Im letzten Teil unserer Beitragsserie über die Novemberrevolution ging es um politische Veränderungen innerhalb der Arbeiterbewegung. Auch im Bezug auf das Geschlechterverhältnis bedeuteten der 1. Weltkrieg und die Novemberrevolution eine Neuzusammensetzung der Arbeiterbewegung. Durch die Industrialisierung im Kaiserreich war auch ein weibliches Proletariat entstanden, im Zuge des ersten Weltkriegs gab es insbesondere in der Kriegsindustrie eine Zunahme des weiblichen Anteils der Belegschaften. Auch in den Revolten und Demonstrationen gegen den 1. Weltkrieg waren oft Frauen in der ersten Reihe. Der darin entstandene Anspruch, das Geschehen mitzubestimmen und entsprechend in den Räten vertreten zu sein, wurde jedoch von der männlich dominierten Arbeiterbewegung nicht umgesetzt. Dies schildert die Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Gisela Notzim Gespräch mit Radio Corax. Im Gespräch wird auch auf den Schwerpunkt der Ausgabe 643 / November 2018 von Analyse und Kritik hingewiesen, in der mehrere Texte zu den Frauen in der Novemberrevolution veröffentlicht sind.
Dania Alasti hat 2018 im Unrast-Verlag ein Buch mit dem Titel Frauen der Novemberrevolution – Kontinuitäten des Vergessens veröffentlicht. Am 29.01.2019 hat sie bei der Hellen Panke in Berlin ihr Buch vorgestellt. Darin schildert sie, wie Frauen im Zuge des 1. Weltkriegs Kampferfahrungen gemacht und eigene Formen der Solidarität entwickelt haben. Sie stellt bisherige Forschungen zur Rolle der Frauen in der Novemberrevolution vor und arbeitet auch heraus, wie die männliche Arbeiterbewegung den Frauen die Solidarität größtenteils verweigerte und wie die Rolle der Frauen in der Geschichtsschreibung zur Novemberrevolution unterschlagen wurde. In der Ausblendung der Sorgetätigkeit von Frauen macht sie eine Kontinuität aus und stellt darin einen Bezug zur Gegenwart her.
Frauen protestierten vor hundert Jahren in Massen gegen den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich. Ihre Streiks, Demonstrationen und Ausschreitungen leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Vorbereitung der Novemberrevolution. Doch während der Formung und Kämpfe um die Richtung der Revolution tauchten Frauen als Massenerscheinung nicht mehr auf.
Ihre Kämpfe entstanden aus einer prekären Mobilisierung auf den Arbeitsmarkt, wobei ihre vorangegangenen Lohnarbeitsverhältnisse, wie Hausanstellung oder Heimarbeit, zumeist erst gar nicht als Beschäftigungsverhältnisse wahrgenommen wurden. Sie zeigten sich bei der Doppelbelastung von Lohn- und Versorgungsarbeit, deren Anerkennung bereits damals gefordert, aber nicht umgesetzt wurde.
Diese Strukturen sind bestehen geblieben. Anhand der Proteste der Frauen der Novemberrevolution und den vielfältigen reaktionären Antworten soll diskutiert werden, welche grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte bis heute dringend feministischer Kämpfe bedürfen, und wie sich diese Kämpfe in Hinblick auf die weltweiten Frauen*streikbewegungen gestalten. (via)
Im Anschluss geht auch Gisela Notz (u.a. „Wegbereiterinnen„) auf die Frauen der Novemberrevolution ein. Sie schildert zunächst, wie die sozialistische Frauenbewegung das Frauenwahlrecht durchsetzte (siehe hierzu auch das Buch, das Notz mitherausgegeben hat), geht dann auf Konzeptionen ein, die Frauen im Zuge der Novemberrevolution entwickelten und beleuchtet zuletzt beispielhaft Wege von Frauen in der Novemberrevolution.
Im August 1914 beschloss die SPD die Bewilligung der Kriegskredite – wichtige Voraussetzung für die Kriegsführung des Deutschen Reichs im 1. Weltkrieg. Dies bedeutete unweigerlich die Spaltung der Arbeiterbewegung, die für den Verlauf der Novemberrevolution entscheidend wird. M-SPD, USPD, Gruppe Internationale, Bremer Linksradikale, Spartakusbund und später KPD – damit sind nur die wichtigsten Ergebnisse dieser Spaltung genannt. Im zweiten Teil unserer Beitrags-Serie über die Novemberrevolution fokussieren wir auf diese Neuzusammensetzung der Arbeiterbewegung. Im nächsten Teil beschäftigen wir uns mit den Frauen der Novemberrevolution.
1.) Der Bruch mit dem Bestehenden
Wir stellen zunächst noch einmal ein Gespräch voran, in dem eine zusammenfassende Einordnung über die Geschehnisse der Novemberrevolution gegeben wird. Philipp von den Falken Erfurt – die immer wieder Veranstaltungen zur Geschichte der Novemberrevolution organisiert haben – spricht über die Ursachen der Novemberrevolution und die Frage, wie konkret und verankert revolutionäre Ideen damals in der Arbeiterschaft gewesen sind. Dabei geht es auch um die Rolle der SPD. Im Gespräch, das Radio Corax bereits im Dezember 2015 geführt hat, antwortet er zunächst auf die Frage nach den Ursachen der Novemberrevolution.
Während die SPD nach der Bewilligung der Kriegskredite gemeinsam mit den Gewerkschaften eine Politik des Burgfriedens vertrat, wehrten sich viele Mitglieder der sozialdemokratischen Jugendorganisationen gegen den Kriegskurs und traten aktiv gegen den Krieg ein – wie sich etwa in der Autobiografie von Karl Retzlaw oder in der Biografie von Karl Plättner nachlesen lässt. Die Arbeiterjugendbewegung war daher auch besonders empfänglich für radikalere Ideen, wie sie von der Gruppe um Liebknecht und Luxemburg oder den Bremer Linksradikalen vertreten wurden. So fanden sich zu Ostern 1916 in Jena auf der „Osterkonferenz gegen Militarismus und Krieg“ Aktive der Arbeiterjugend aus ganz Deutschland zusammen und berieten über die Perspektiven einer antimilitaristischen Opposition. Im Januar 2016 haben die Thüringer Falken eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Osterkonferenz organisiert. Radio Corax hat mit Philipp von den Erfurter Falken darüber gesprochen und ihn zunächst nach der gesellschaftlichen Situation gefragt, in der die Osterkonferenz organisiert worden ist.
3.) Die Arbeiterbewegung in der Novemberrevolution
Im Gespräch mit dem Historiker Dietmar Lange – Mitglied der Redaktion der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ – hat Radio Corax explizit darauf geschaut, wie sich die Arbeiterbewegung im Zuge der Novemberrevolution verändert hat. Voraussetzung ist dafür zunächst, sich die Klassenverhältnisse im Deutschen Kaiserreich und die damalige Rolle der SPD anzuschauen. Das Gespräch dreht sich dann um die Ursachen, warum SPD und Gewerkschaften den 1. Weltkrieg mitgetragen haben und im Zuge der Novemberrevolution zu einer gegenrevolutionären Kraft wurden. Es geht dann um die Rolle der USPD und die Forderung nach einem „Ende des Bruderstreits“, die im Zuge der Novemberrevolution in der sozialdemokratischen Basis laut wurde.
Die KPD gründete sich erst im Zuge der Novemberrevolution, zum Jahreswechsel 1918/19. Mit der „Gruppe Internationale“, dem „Spartakusbund“, den Bremer Linksradikalen und den Internationalen Kommunisten Deutschlands sind wichtige Vorgängergruppierungen aus der radikalen Linken genannt. Über die Aktivitäten dieser Vorgänger-Gruppierungen (mit Fokus auf Gruppe Internationale und Spartakusbund), die Ursprünge der Kommunistischen Partei und ihren Charakter sprach Radio Corax mit dem Historiker Ottokar Luban, u.a. Sekretär der Internationalen Rosa-Luxemburg-Gesellschaft.
Die Bremer Linksradikalen wurden hier schon benannt. In einer Ausgabe der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge vom Januar 2018 wurde gemeinsam mit dem Historiker Jörg Wollenberg ein genauerer Blick auf diese Gruppierung geworfen. Dabei geht es insbesondere um die Beziehung zwischen den Bremer Linken und Rosa Luxemburg – um Gemeinsamkeiten und Kontroversen zwischen ihnen. Ein Vortrag von Wollenberg über die „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ ist hier dokumentiert – dort gibt es einen genaueren Überblick über die radikaleren Spaltprodukte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik. Im zweiten Teil der Sendung geht es dann auch um den Rätekommunismus in der Weimarer Republik, insbesondere um die KAPD – das zugrundeliegende Interview mit Seb Bronsky findet sich hier, ein Vortrag von ihm zum Thema ist hier dokumentiert.
Wir beginnen hier eine Beitragsreihe, die sich mit der Geschichte der Novemberrevolution bzw. der Revolution in Deutschland 1918-23 auseinandersetzt. Unsere Zusammenstellung orientiert sich dabei weitestgehend an einer thematischen Sendereihe von Radio Corax, wobei wir jedoch zusätzlich ergänzende Beiträge und Vortragsmitschnitte hinzufügen.
1.) Deutsche ohne Bahnsteigkarte
Wir beginnen mit einem Studiogespräch mit Daniel Kulla, in dem er einen allgemeinen Überblick über den Charakter der „Novemberrevolution“ gibt. Dabei korrigiert er einige Missverständnisse über diese Revolution – u.a. merkt er an, dass sie sich weder auf den November noch auf die Jahre 1918/19 beschränkt hat. Er vertritt dabei den Ansatz, die Geschichte der Novemberrevolution jenseits der bisherigen Partei-Geschichtsschreibungen in den Blick zu nehmen und sie als eine Massenbewegung von unten zu begreifen. Unter dem Titel „Deutsche ohne Bahnsteigkarte“ hat Kulla auch einen Beitrag in der Corax-Programmzeitung Oktober/November 2018 veröffentlicht – eine extended version dieses Textes stellt das Transit-Magazin zur Verfügung.
2.) Revolution 1918/19 – Die Spaltung der Sozialdemokratie
Der marxistische Politikwissenschaftler Wolfgang Abendroth (1906-1985) hat als Professor in Marburg zahlreiche Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (auch ihres dissidenten und radikalen Teils) ermöglicht. Ende der 1970er-Jahre hat er selbst eine Vorlesungsreihe zur Geschichte der Arbeiterbewegung gehalten, die auf einer Dokumentationsseite zur Verfügung gestellt wird. Im Rahmen dieser Vorlesungsreihe hat er auch zur Novemberrevolution gesprochen. Er rekonstruiert die Revolution zunächst knapp ereignisgeschichtlich, um dann auf die marxistischen Debatten innerhalb der Sozialdemokratie jener Zeit einzugehen. Die ganze Vorlesungsreihe kann hier nachgehört oder hier heruntergeladen werden.
Im März 2018 hat der Regisseur und Autor Klaus Gietinger das Buch November 1918 – Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts veröffentlicht. Es trägt den aktuellen Forschungsstand zur Novemberrevolution zusammen und bringt ihn in eine gut lesbare Form. Wir dokumentieren hier einen Vortrag, den Gietinger an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg gehalten hat. Es empfiehlt sich die Video-Version des Vortrags anzusehen, da Gietinger in seinem Vortrag immer wieder Bezug auf die gezeigten Folien nimmt – die von uns dokumentierte Audioversion ist leicht nachbearbeitet. Im Vortrag skizziert er die Ereignisse von 1918/19 – von der Veränderung der Sozialdemokratie vor und im Zuge des 1. Weltkriegs, über den 9. November 1918, bis hin zu den Januarkämpfen und der Ermordung Luxemburgs und Liebknechts… – es wird vor allem das Agieren einzelner Personen dargestellt. Klaus Gietinger hat außerdem ein Buch über die Ermordung Rosa Luxemburgs veröffentlicht – gerade bereitet er ein Buch über den Kapp-Putsch und dessen Abwehr vor.
Was bleibt? Eine Revolution, die einen Weltkrieg beendete, parlamentarische Demokratie erkämpfte, die aber noch viel mehr im Köcher hatte. Die revolutionären Arbeitermassen wünschten eine neue Form von Demokratie, die nicht bloß parlamentarisch sein sollte, sondern auch den Kapitalismus und Militarismus abschaffen wollte, eine Demokratie ganz neuen Typs’. Ob dies neben oder mit einer Nationalversammlung möglich war, bleibt offen. Aber es war eine ungenutzte Chance. Hätte die Novemberrevolution wenigstens in Teilen gesiegt, es hätte vermutlich keinen Hitler und vermutlich auch keinen Stalin gegeben. (via)
2018/2019 hat Daniel Kulla in zahlreichen Städten Vorträge über die Novemberrevolution gehalten. Wie schon zum oben dokumentierten Studiogespräch angemerkt, legt Kulla Wert darauf, dass wir es mit einem längeren Zeitraum zu tun haben, in dem eine kommunistisch-rätesozialistische Revolution eine reale Option ist – daher steckt er den Zeitraum von 1918 bis 1923 ab. Wir dokumentieren hier einen Vortrag, den Kulla am 12.09.2018 in Kassel gehalten hat. Er gibt dabei einen Überblick über die revolutionären Bestrebungen in diesem Zeitraum und wie die Konterrevolution diese Bestrebungen vernichtet, was schließlich auch eine Voraussetzung zum Aufstieg des Nationalsozialismus wird. Am Ende empfiehlt er, der Verdrängung der wirklichen Revolutionsgeschichte entgegenzuwirken, schlägt einen Bogen zur Gegenwart, argumentiert für die Aktualität der damaligen Kämpfe und gibt u.a. Betriebsbesetzungen in Argentinien als positives Beispiel der Gegenwart an. Auch hier lohnt es sich, die Video-Version anzusehen, in der Folien und Video-Auszüge zu sehen sind – die Folien stellt Kulla auch auf seinem Blog zur Verfügung.
Die Novemberrevolution 1918 hat es gerade so ins landläufige Geschichtsbild geschafft, zumindest unter Linken geht sie noch bis Januar 1919 weiter. Der Höhepunkt der revolutionären Bewegung im März 1919 ist hingegen unter den diversen historischen Siegererzählungen fast verschwunden, was auch die Rückschau auf die weiteren Massenstreiks, Sozialisierungen und Erhebungen bis 1923 sowie die Folgegeschichte prägt. (Nazis redeten nicht gern genauer darüber, wen sie da zusammengeschossen hatten und für wen; die SPD redete gar nicht gern darüber, auf wen sie die ersten Nazis so alles hat schießen lassen; die KPD redete nicht ganz so gern darüber, auf wen geschossen wurde, wenn es nicht ihre Leute waren oder sich zumindest als solche reklamieren ließen.)
So ist das wichtigste revolutionäre Vorbild in der deutschen Geschichte genau deshalb fast vergessen, weil es in so hohem Maß selbstorganisiert war und damit nicht in die übliche nationale wie antinationale Vorstellung vom Deutschen passt, sich weder für Vereinnahmung noch als Schreckbild anbietet. Gleichermaßen in Vergessenheit geraten sind die Konsequenzen: Sowohl der Aufstieg des Nationalsozialismus als auch sein konkretes Erscheinungsbild – mehr als bei jedem anderen Faschismus eine Verkleidung als Arbeitskräfterevolution – erscheinen ohne diese Vorgeschichte kaum begreiflich. Kulla schlägt vor, die kommenden fünf Jahre der revolutionären 100. Jahrestage ab November 2018 dazu zu nutzen, diese Geschichte so sichtbar wie möglich zu machen. (via)
5.) Zur Rezeptionsgeschichte der Novemberrevolution
Die Aufmerksamkeit, die historischen Ereignissen zuteil wird, unterliegt stets Konjunkturen – sie sind geschichtspolitisch umstritten und wenn die Bezugnahme auf sie zum „Kanon“ wird, spricht dies dafür, dass sie erfolgreich für das Bestehende instrumentalisiert werden. Die Novemberrevolution war lange Zeit unbeachtet, da sie den verschiedenen Parteien nicht recht in den Kram passte – inzwischen spricht gar das Kieler Stadtmarketing von einer Revolution für die Demokratie. Radio Corax hat mit dem Historiker Marcel Bois gesprochen, der zur Rezeptionsgeschichte der Novemberrevolution geforscht hat. Im Gespräch schildert er die Konjunkturen, die die Beforschung und geschichtspolitische Bearbeitung der Novemberrevolution in unterschiedlichen Phasen von verschiedenen Akteuren erfahren hat. Im Gespräch antwortet er zunächst auf die Frage, welche Deutungen zur Novemberrevolution in der Weimarer Republik vorherrschend gewesen sind:
Etwas ausführlicher hat Marcel Bois seine Überlegungen auf einem Workshop der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kiel dargelegt (vom Sound her etwas angenehmer als das Telefon-Interview):
Im nächsten Beitrag dokumentieren wir Beiträge, in denen genauere Abläufe geschildert werden (Matrosenaufstand in Wilhelmshaven Kiel, die Revolution in Berlin und Halle) und wie sich die Arbeiterbewegung im Zuge des Weltkriegs und der Novemberrevolution neu zusammengesetzt hat.