Archiv für den Monat: Juni 2011

Die Deutschen und der Stuttgarter Bahnhof

Über die Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart und die damit verbundenen baulichen Maßnahmen wird nach wie vor auf allen Ebenen gestritten: Der Bundestag hält eine aktuelle Stunde zum Thema ab, Feuilletonisten und Leitartikler beleuchten das Thema von allen moralischen Seiten, Soziologen rätseln über den neuartigen Charakter sozialer Konflikte, der hier zum Ausdruck kommen soll und die Linke weiß nicht so recht, wie sie sich zu all dem verhalten soll. Wir dokumentieren hier zwei Beiträge, die sich kritisch mit der neuen Protestbewegung gegen Stuttgart 21 auseinandersetzen.

1. Uff de’ schwäb’sche Eisebahne…“ – Der Protest gegen Stuttgart 21 als Spielwiese der Gegensouveränität:

Uli Krug (Redaktion Bahamas) referiert in seinem von der Gruppe Monaco in München organisierten Vortrag vor allem zwei Thesen: 1. Es ist kennzeichnend für die deutsche Protestbewegung, dass sie nicht die Welt verändern will, sondern dass sie verhindern will, dass sich die Welt verändert. 2. Im Protest gegen Stuttgart 21 wird ein Idealbild von Gesellschaft und Staat verhandelt: angestrebt wird eine Abkehr vom naturfernen, künstlichen Rechtsstaat – es handelt sich um eine Heimatschutzbewegung. Während diese Thesen (nebst eingestreuten Klagen über den Anti-Katholizismus) wohl von einem Bahamas-Redakteur zu erwarten gewesen sind, sind die weiteren Ausführungen dann doch recht interessant. So führt er aus, dass sich im Motto der Proteste, „Oben bleiben„, die soziale Abstiegsangst der grünen Mittelschicht ausdrückt, die ihren drohenden Abstieg in der Verlagerung des Stuttgarter Bahnhof ins Unterirdische symbolisiert sieht. So trennte ein überirdischer Bahnhof bisher sauber diejenigen, die sich ein Bahnticket leisten können, vom ubahnfahrenden Pöbel, während ein unterirdischer Bahnhof das bisher Getrennte nun zu vermischen droht. Dass hier nicht nur eine Analogie in der Symbolik vorliegt, macht er deutlich, indem er die Sozialstruktur Baden-Württembergs als von mittelständigen Zünften und Clans geprägt charakterisiert, die sich hartnäckig gegen Modernität und Mobilität zur Wehr setzen.

In Stuttgart wird ein Bahnhof gebaut. Der schäbige, alte Kopfbahnhof, der die Durchreisenden dazu zwang, länger als eigentlich nötig in der Spießermetropole Nummer 1 zu verweilen und kostbare Lebenszeit für mehr als einen Blick auf ein trostloses Beispiel antimoderner Architektur zu opfern, wird endlich abgerissen. Nicht eine einzige Person wird durch den Bau des neuen Bahnhofes absichtlich verletzt werden, keiner wird deshalb verhungern oder erfrieren (im Gegenteil), und niemand droht darum die Abschiebung oder Verhaftung. Und doch behaupten die Protestierenden, es gehe um nichts weniger als um die „Zerstörung der Stadt“ (www.kopfbahnhof-21.de). Wo der wahnwitzige Kult um die Heimat so stark ist, dass jede Veränderung, ja sogar jede Verschönerung zur „Zerstörung“ erklärt wird, während man sich um die physisch und psychisch durch den Gang der kapitalistischen Logik Zerstörten, die auch in Stuttgart allgegenwärtig sind, nicht im Geringsten schert, da ist „sozialer Protest“ nur ein anderes Wort für irregewordene Raserei. Der Bahnhof wird zur heiligen Stätte, die Steine selbst zum Symbol des Widerstands gegen ein fetischisiertes Abbild des Kapitalismus, der alles niederreiße und nichts als neue Wunden hinterlasse, die nie wieder verheilten.

Gegen diesen „Raubtierkapitalismus“ (Helmut Schmidt) der Banken und Konzerne helfe nur die geballte Wut des Volkes, ein Aufstand der Anständigen, die sich nicht mehr durch das korrumpierte Staatspersonal repräsentiert fühlen. Die in der Form Demokratie als Tendenz angelegte Herrschaft des Mobs wird in Stuttgart als wirksame Arznei gegen volks- und umweltschädliche Potentaten empfohlen. Die Zauberformel der Stunde heißt, in Ermangelung eines Volkstribuns Hitlerschen Typus, mit dem sich die Massen fraglos identifizieren könnten, „Volksbefragung“. Die Ausschaltung des Parlaments und des rationalen, weil kalkulierbaren Rechts zugunsten der obskuren und willkürlichen Beschlüsse eines sich ebenso spontan wie vorhersehbar bildenden Plebiszits der Öko-, Friedens- und Sozialaktivisten läuft auf nichts weniger als eine postmoderne Version der Volksgemeinschaft hinaus. [via]

    Download: original via MF (m4a; 27,1 MB; 56:42 min) oder nachbearbeitet via AArchiv (mp3; ; 56:42 min)

2. 17 Grad – Stuttgarter Bahnhof:

Dass es sich bei den Protesten gegen Stuttgart 21 tatsächlich um eine besonders deutsche Bewegung handelt, macht eine Sendung der Redaktion „17 Grad“ deutlich, die den Blick vor allem auf den Architekten desjenigen Gebäudes richtet, das hier so vehement verteidigt wird: Paul Bonatz, der das Hauptgebäude des Stuttgarter Bahnhofs entwarf, steht für diejenige nationalistische, antimoderne Architekturschule, die sich gegen das neue Bauen (Bauhaus etc.) engagierte, für die selbst das Bauen rassisch und naturverbunden zu sein hatte und die sich der nationalsozialistischen Herrschaft andiente und von dieser gefördert wurde. Der sonst von der 17Grad-Redaktion gewohnte gute Musikgeschmack lässt in dieser Sendung leider etwas zu wünschen übrig (gespielt wird ausschließlich Reggae), deshalb habe ich eine nachbearbeitete Version erstellt, in der die Musik entfernt ist.

    Download: Originalsendung via MF (mp3; 55,3 MB; 1 h) oder nachbearbeitet, ohne Musik via AArchiv (mp3; 13,9 MB; 24:19 min)

Einführendes zur Kritik des Antisemitismus

Regelmäßige Hörer_innen des Audioarchivs werden einer Einführung in die Kritik des Antisemitismus gewiss nicht bedürfen, befasst sich doch ein nicht unerheblicher Teil des hier bereits zusammengetragenen Materials mit genau diesem Thema. Wer sich jedoch erstmals ideologiekritisch mit Formen und Inhalten der Judenfeindschaft beschäftigen möchte, findet im Folgenden einige recht aktuelle Beiträge zur Einführung.

1. Gabriele Kammerer: Antisemitismus – ein Vorurteil wie andere? SWR2 Wissen vom 22.06.2011.

Die Sendung widmet sich u.a. dem aktuell in der Antisemitismusforschung schwelenden Streit darüber, inwieweit der Antisemitismus als Vorbild oder Matrix für andere Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung betrachtet werden kann. Damit einher geht die nicht unbedeutende Frage, ob überhaupt eine eigene Antisemitismusforschung nötig ist oder diese stattdessen als Zweig der (vergleichenden) Vorurteilsforschung betrieben werden sollte.1 Es kommen unter anderen Wolfgang Benz (bis vor kurzem Direktor des Berliner ZfA) und Matthias Küntzel (Sozialwissenschaftler aus Hamburg) zu Wort. Des Weiteren werden die aktuellen Formen und Konjunkturen des sekundären und anti-israelischen Antisemitismus behandelt, die »Protokolle der Weisen von Zion« thematisiert und (Aufklärungs-)Initiativen gegen Judenhass vorgestellt. Es erübrigt sich fast anzumerken, dass dem Feature als Beitrag des öffentlich-rechtlichen SWR nahezu jede kapitalismuskritische Dimension in der Erklärung des Antisemitismus abgeht.

„Du Jude!“ tönt es auf deutschen Schulhöfen, Politiker ereifern sich über den „Vernichtungskrieg“ der Israelis, Stammtische giften über „zu hohe“ Entschädigungssummen nach dem Holocaust. Wer die verschiedenen Formen des Antisemitismus begreifen will, muss sich mit religiösen und rassistischen Motiven, mit dem kollektiven Ego der Deutschen, mit linkem und rechtem Antizionismus beschäftigen. Die Frage, ob Antisemitismus ein Vorurteil ist wie andere Vorurteile auch – zum Beispiel gegen Muslime -, wird in jüngster Zeit kontrovers diskutiert.

2. Associazione Delle Talpe: Einführung in die Kritik des Antisemitismus. Dritter Teil der Hamburger Veranstaltungsreihe »Intros« (Mai 2011).

Den theoretischen Hauptbezugspunkt der Bremer Maulwurfsvereinigung bildet die Kritische Theorie. Dementsprechend wird der Antisemitismus als wahnhaftes Syndrom pathischer Projektion und »Gerücht über die Juden« gedeutet. Neben allgemeinen Bestimmungen erfährt man einiges zur Geschichte der Judenfeindschaft in Europa und zu sekundärem, anti-israelischem und linkem Antisemitismus. Gegenstände der ebenfalls aufgezeichneten Diskussion sind u.a. (wie so oft) die (Un-)Möglichkeit einer nicht-antisemitischen Israelkritik und »verkürzte Kapitalismuskritik«.

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Mit dem Ausspruch „Die Juden sind unser Unglück.“ lieferte Heinrich von Treitschke 1879 die Leitparole für den modernen Antisemitismus. Dieser löste den religiös motivierten Judenhass des Mittelalters ab, indem er die damals beliebte Rassentheorie auf Jüd_innen übertrug. Das Judentum wurde zu einer Rasse konstruiert, die man für Krisen und andere negativ empfundene Aspekte der Moderne verantwortlich machte. Die Nazis unterstellten eine, die einzelnen Nationen zersetzende „jüdische Weltverschwörung“. Dieser antisemitische Wahn wurde im Nationalsozialismus von der Mehrzahl der Deutschen unterstützt und gipfelte in der industriell organisierten Ermordung von sechs Millionen Menschen durch Massenerschießungen, Aushungerung in Ghettos, tödliche Zwangsarbeit und letztlich in den Gaskammern der Konzentrations- und Vernichtungslager. Der Name „Auschwitz“ ist zum Symbol dafür geworden.

Antisemitisches Denken ist auch heute noch weit verbreitet – der Soziologe Heitmeyer zeigt in seinen Studien zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“, dass aktuell 20% der Deutschen dem klassischen „Nazi-Antisemitismus“ zustimmen. Gar 55% verstehen, dass man etwas gegen Juden hat, wenn man sich die israelische Staatspolitik anschaut und demonstrieren damit Israelbezogenen bzw. neuen modernen Antisemitismus.

Egal ob in klassischer Form oder verborgen in einer Kritik an Israel – Antisemitismus ist in jeder Form zu entlarven und konsequent zu kritisieren!

In dem Vortrag wollen wir uns mit Euch darüber auseinandersetzen, was antisemitisches Denken und Handeln ausmacht. Dabei sollen uns einige Gedanken zur Theorie und Kritik des Antisemitismus der Gesellschaftstheoretiker Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Moishe Postone helfen, die wir Euch kurz vorstellen möchten. Vorweg gibt es einen knappen historischen Überblick über die Entwicklung des Judenhass vom religiös motivierten Antijudaismus, über den Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten bis hin zu gegenwärtigen Formen des Antisemitismus. Um den Vortrag anschaulich zu machen, haben wir viel Bild- und Textmaterial zusammengetragen und sind offen für alle Eure Fragen und Diskussionsbeiträge.

Die Gruppe associazione delle talpe aus Bremen arbeitet seit 2005 zur Kritik des Antisemitismus, des Staates und der Nation.

3. Olaf Kistenmacher: Einführung in die Kritik des sekundären Antisemitismus (Dezember 2010).

Sekundärer Antisemitismus ist Antisemitismus nach 1945, Antisemitismus nicht trotz sondern wegen Auschwitz. Olaf Kistenmacher knüpft in seinem Vortrag aus der Hamburger »Allein schon«-Reihe an sein Referat über Antisemitismus in der KPD an. Ging es dort um die Linke der Vorkriegszeit, steht in diesem Vortrag die deutsche Nachkriegslinke und ihr Antizionismus im Zentrum (wobei es auch hier einen Exkurs in die 20er Jahre gibt). Kistenmacher bezieht sich ein paar mal auf den Berliner Juden Dieter Tam (jetzt Arie Tam), der sich nach mehreren antisemitischen Vorfällen 2004 zur Auswanderung nach Israel genötigt sah. Ein Bericht über ihn kann auf den Seiten des RRB angesehen werden.

Einführende Veranstaltung zur Kritik des sekundären Antisemitismus

Es spielt sich wieder mal Verwunderliches in der deutschen Medienlandschaft ab: Die Rede ist von christlich-jüdischen Werten, einer „Tradition“ gar. Dabei gingen wir immer von einem ungebrochenen 1500-jährigen christlich-antijüdischen Erbe in diesen Breitengraden aus. Denn Antisemitismus, als negative Leitidee der Moderne, die sich in der Feindschaft gegen Juden und Jüdinnen niederschlägt, hat sich schon immer den Umständen angepasst. Auch nach Auschwitz, der grausamen Realisierung des antisemitischen Vernichtungswunsches, gibt es ihn weltweit in unverminderter Stärke. Im deutschsprachigen Raum ist dabei eine besondere Form zu beobachten: der sekundäre Antisemitismus, der Antisemitismus nach, trotz und wegen Auschwitz. Die Mechanismen und Bilder im Inneren sind ähnlich geblieben: Es wird eine (jüdische) Weltverschwörung imaginiert, gegen Zinsen und das Unverstandene im Kapitalismus gewettert, die seit jeher mit Juden und Jüdinnen in Verbindung gebracht werden, und somit fühlt sich der_die Antisemit_in als Opfer einer größeren Macht. Nur die Sprache musste eine andere werden. Durch Auschwitz wird der Antisemitismus mit einem Tabu belegt, er darf nicht mehr allzu offen geäußert werden, ohne dass es Konsequenzen gibt. Verwendet werden also Bilder und Chiffren. Die Rede ist also von der „Ostküste“, wenn das „vom Juden beherrschte/gesteuerte Kapital“ gemeint ist, von „Heuschrecken“, wenn es um den „wuchernden Juden“ und das „raffende Kapital“ geht, und von Israel, das als Jude unter den Staaten gedacht wird. Diese Verschiebungen sind auch in der Linken weit verbreitet. Es wird sich antizionistisch-antiimperialistisch-rebellisch gegeben, wo sich doch nur der Antisemitismus Bahn bricht.

In der dritten Veranstaltung der „Allein schon…“-Reihe werden wir uns dem Antisemitismus besonders in seiner aktuellen Form zuwenden und einen Einstieg in seine Kritik geben. Zeigen, welche Kontinuitäten, aber auch welche Neuheiten es gibt. Wir wollen aufdecken, was gesellschaftlich hinter Antisemitismus steht und damit auch die Augen öffnen für die Alltäglichkeit, die er weiterhin besitzt. Dafür haben wir uns als Experten Olaf Kistenmacher eingeladen.

Olaf Kistenmacher promoviert in Bremen zum Thema: Arbeit und „jüdisches Kapital“. Antisemitische Aussagen in der Tageszeitung der KPD, Die Rote Fahne, zur Zeit der Weimarer Republik, 1918-1933. Er schreibt gelegentlich für die Konkret und Phase zwei.

Neuere wissenschaftliche Veröffentlichungen:
„Gerechtigkeit“ für Palästina? Die mediale Agitation der KPD gegen den „zionistischen Faschismus“ während der Weimarer Republik, in: Alexandra Böhm/Antje Kley/Mark Schönleben (Hg.): Ethik – Anerkennung – Gerechtigkeit. Philosophische, literarische und gesellschaftliche Perspektiven, München: Wilhelm Fink (im Erscheinen), S. 369-380.

„Jüdischer Warenhausbesitzer finanziert Nazipropaganda“. Antifaschismus und antisemitische Stereotype in der Tageszeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands, der Roten Fahne, am Ende der Weimarer Republik, 1928-1933, in: Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim/New York/Zürich: Georg Olms 2010, S. 97-112.

Bei dem Mitschnitt handelt es sich um eine FSK-Sendung mit Musik, durch mich komprimiert und gekürzt um den Eröffnungssong sowie die Schlussmusik und -moderation. Sie enthält auch Teile der Diskussion. Die Originaldatei kann hier bezogen werden (2:00 h, 164 MB).

  1. Insbesondere die Vergleichbarkeit bzw. der Sinn und Unsinn eines Vergleiches des Antisemitismus mit der recht jungen Erscheinung des antimuslimischen Rassismus/Ressentiments ist Gegenstand der Debatte. Diese Frage wird demnächst auch Thema im Audioarchiv sein. [zurück]

Radiobeiträge von Hans-Joachim Lenger

Der poststrukturale Marxist, ehemalige Bloch-Schüler und nun Bloch-Kritiker Hans-Joachim Lenger stellt auf seiner Homepage einige seiner Radiobeiträge zur Verfügung: hier. Es geht um allerlei Tagespolitisches, Mythen des Alltags, Medientheoretisches und wissenswerte Nebensächlichkeiten.

Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft

Während es im letzten Beitrag einen groben Überblick darüber gab, was die Postmoderne eigentlich ist, können wir uns nun der Kritik derselben widmen: Die Gruppe Monaco stellt einen Mitschnitt der Buchvorstellung des kürzlich im ça ira Verlag erschienenen Sammelbandes „Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft“ zur Verfügung, die am 17. Juni 2011 in München stattfand (danke für den Hinweis, KayOhKayn). Im ersten Teil rekonstruiert Alex Gruber (Café Critique) den Poststrukturalismus als deutsche Ideologie: er umreißt erst den Begriff der Deutschen Ideologie, wie ihn erst Marx und Engels und später Adorno verwendet haben und gleicht diesen dann mit Nietzsche, Heidegger, Derrida und Butler ab. Im zweiten Teil referiert Philipp Lenhard (Redakteur der Zeitschrift Prodomo), mit einem Umweg über Heidegger und Freud, über den Zusammenhang von deutscher Ideologie und politischem Islam.

Download:

      via zippyshare: Teil 1 (mp3; 54,1 MB; 59:03 min), Teil 2 (mp3; 47,8 MB; 51:15 min), Diskussion (mp3; 30,7 MB; 33:34 min)

Zwei der Texte aus dem Buch stehen inzwischen schon im Internet zur Verfügung: “Deutsche Ideologie”: Von Stirner zum Poststrukturalismus (leicht abgewandelt in der Jungle World) | Dekonstruktion und Regression. Der Poststrukturalismus als Masseverwalter Carl Schmitts und Martin Heideggers

Was ist eigentlich »die Postmoderne«?

Während im letzten Beitrag vor allem eine Kritik der »Postmoderne« zu hören war, womit zum einen eine bestimmte Denkbewegung und zum anderen ein Abschnitt historischer Wirklichkeit bezeichnet wurde, erlauben wir uns in diesem Beitrag mit einer etwas älteren Sendung der Redaktion 17 Grad noch einmal die grundlegende Frage: »Was ist eigentlich die Postmoderne?« Die Sendung beschäftigt sich einführend mit dem Begriff der Postmoderne: sie enthält ein Interview zum Unterschied von Moderne und Postmoderne, eine kurze Einführung in die Philosophie Lyotards, stellt Definitionen von Terry Eagleton und Jürgen Felix vor, fragt nach der Postmoderne in der Ethnologie und widmet sich außerdem dem postmodernen Film und postmoderner Musik (vgl. das Buch „Soundcultures„). Die inhaltlichen Beiträge werden ergänzt durch Hörspielausschnitte und geschmackvolle Country-, Singer-Songwriter- und Blueseinlagen.

Download: via MF (mp3; 27,3 MB; 59:31 min)

Der postmoderne Körper

1. Die Antiquiertheit des SexusZur Kritik der postmodernen Körpertechnologie: Im Rahmen der Reihe „Hab mich gerne, Postmoderne. Zur Kritik des Poststrukturalismus“ der Gruppe AG No Tears for Krauts referierte Magnus Klaue am 18. Mai 2011 über die Ersetzung des Leib-Begriffs durch den des Körpers in der postmodernen Körperpolitik. Er geht dabei zunächst auf das Konzept der Polyamorie ein, das er als einen rationalisierten, technisierten Umgang mit eigenen Gefühlen kritisiert. Während in der Polyamorie über Sexualität eigentlich gar nicht mehr gesprochen wird, ist die Austreibung der Sexualität auch für postmoderne Körperkonzepte kennzeichnend. Während im Begriff des Leibes auf etwas nicht Verfügbares verwiesen ist und zudem mit der Thematisierung des Alterns Geschichtlichkeit impliziert, ist hier der Körper als etwas bloß Erzeugtes nur noch ein Ensemble von Technologien, das keine Geschichte mehr hat. Die Aufnahmequalität ist leider nicht sonderlich gut.

Zur neuesten Tendenz postmoderner Genderpolitik gehört der Versuch, die geschlechtertheoretischen Prämissen der Arbeiten von Judith Butler et al. in einer Weise praktisch werden zu lassen, die die altlinke Formel vom Privaten, das politisch sei, in denkbar bedrohlichster Weise zu verwirklichen verspricht. Beatriz Preciados „Kontrasexuelles Manifest“, das den Hass auf Sexus und Trieb selbstbewusst im Titel führt, sowie die „gendertechnologischen“ Schriften Donna Haraways sind die Referenztexte einer gender- und queerlinken Bewegung, die jeden Einzelnen auffordert, die Abschaffung des Leibes zugunsten des „Körpers“ und den Rückbau des Ich zum bewusstlosen Knotenpunkt blinder „Konstitutionsprozesse“ mit Haut und Haaren an sich selbst zu exekutieren. Der anti-humanistische „neue Mensch“, der dabei entstehen soll und wahlweise als „Mensch-Maschine“ oder „Cyborg“ figuriert, hat kein Unbewusstes und kein Triebschicksal, keine Geschichte und kein Begehren mehr. Seine Symbolwelt steht Preciado gemäß nicht mehr im Banne des „Phallus“, sondern des „Dildos“, des puren Konstrukts, das die reale Erfahrung der Verschränkung von Sexualität und Herrschaft liquidiert, indem es Intersubjektivität und Herrschaft konvergieren lässt. In seiner Welt gibt es weder Intimität noch individuelle Liebe, die Impulse der kindlichen Sexualität sind ebenso getilgt wie die Erfahrung der Sterblichkeit des menschlichen Körpers. Sexualität, von jedem Einzelnen als angstbesetzt und rätselhaft empfunden, soll kommensurabel gemacht werden, indem sie zum puren Vollzug eines allgemeinen Gesetzes erniedrigt wird: lästig, aber nötig, frei von jedem Glücksversprechen und damit auch von der Angst vor Enttäuschung. In Anschluss an Günther Anders’ Theorem von der „Antiquiertheit des Menschen“ möchte der Vortrag zeigen, dass die Postmoderne damit endgültig zur praktischen Ethik individueller Selbstauslöschung wird, wie Anders sie in Heideggers Technikbegriff, den der deutsche Faschismus zu verwirklichen suchte, angelegt sah. Magnus Klaue ist freier Autor und schreibt unter anderem für „Bahamas“ und „Jungle World“. [via]

2. Der (post-)moderne KörperOrt der gelebten Möglichkeiten?: In ihrem Vortrag über den postmodernen Körper im Rahmen der Reihe „Kunst, Spektakel und Revolution“ kritisieren Katja und Korinna (siehe ihren Artikel Fat is a feminist Issue hier oder zum anhören hier) aus einer dezidiert feministischen Perspektive ebenfalls das postmoderne Verhältnis zum Körper. Grundthese ist hier mit Marx und Adorno, dass das verdinglichte Gesellschafts-Naturverhältnis in der kapitalistischen Produktionsweise neben einer Beherrschung der äußeren Natur auch die des eigenen Leibes bedeutet. Die so beherrschte und verdrängte Natur kehrt im bürgerlichen Konzept der Weiblichkeit wieder – die verdrängte menschliche Leiblichkeit wird auf die Frau projiziert. Mit der Emanzipation der Frau zum bürgerlichen Subjekt verschärft sich das weibliche Verhältnis zum eigenen Körper jedoch: sie muss Natur zugleich repräsentieren und beherrschen. Was diese Veränderung für weibliche Körperlichkeit bedeutet, hat dabei etwas mit den Veränderungen im Produktionsprozess zu tun: während im industriellen Zeitalter der Körper ein Mittel der Produktion darstellt, wird er im post-industriellen Zeitalter aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen und selbst zu einem Gegenstand der Produktion: er wird zu einem gestaltbaren, jederzeit verfügbaren Produkt. Was dies für viele Frauen bedeutet, ist Gegenstand des Vortrags. In Weimar haben Katja und Korinna ihrem Vortrag ein Musikvideo vorangestellt, welches hier angesehen werden kann.

Die Entwicklung des bürgerlichen Subjekts war notwendig verbunden mit der Spaltung des Menschen in Geist und Körper. Die Herrschaft des sich autonom dünkenden Geistes über den Körper bedeutete seitdem, immer einen Teil der körperlichen Bedürfnisse zu verleugnen. Unterdessen zeichnet sich der gegenwärtige Trend eher durch eine tiefe Sorge um den Körper aus. Er ist zu einem Ort der unendlichen Gestaltung avanciert, in dem sich Bilder von Ästhetik, Fitness und Selbstkompetenz vereinen sollen. Dies scheint jedoch zunächst weniger ein Zeichen von Autonomie zu sein als vielmehr der Gewalt gesellschaftlicher Zwänge geschuldet, von denen vor allem Frauen betroffen sind. Diese äußern sich nicht zuletzt darin, dass der Körper zum bevorzugten Austragungsort innerer Konflikte geworden ist. Spiegelt der destruktive Umgang mit dem Körper einerseits die leidvollen Konflikte des Subjekts mit der Gesellschaft wider, so bleibt ebenso zu fragen, welches emanzipatorische Potential sich im Körperkult ausdrückt. Steckt im Bedürfnis nach der Umgestaltung des eigenen Körpers womöglich ebenso die Anklage gegen das schlechte Bestehende wie der verborgene Wunsch der individuellen Emanzipation? Eine feministische, emanzipatorische Kritik am Körper hieße eine bewusste Reflexion auf dieses Verhältnis von Wünschen und Zwängen, dem versucht wird, nachzuspüren. Katja und Korinna leben in Leipzig. In der letzten Ausgabe der „Outside the Box Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik“ schrieben sie über die feministische Kritik des postmodernen Körperverhältnisses. [via]

Recht auf Stadt & Recht auf Party

Auf Radio Corax werden immer wieder sehr hörenswerte Features gesendet. Zwei davon seien hier dokumentiert:

Zur Ambivalenz der heutigen und der anderen Stadt: Im Feature kommen sowohl Vertreter_innen der Anti-Gentrifizierungsbewegung zu Wort, als auch die Kritiker_innen dieser Bewegung. Zu hören sind Andrej Holm (Stadtsoziologe), Gesine Leyk (Radio Corax), Roger Behrens (Philosoph), Karsten Jost (Initiative Media Spree versenken), und Jean Baudrillard.

Seit einigen Jahren beklagen Initiativen, die Gentrifizierung bekämpfen, eine neoliberale Stadtpolitik, die sich dem Regime der Kapitalakkumulation unterwirft. Doch ist dieses Regime wirklich so neu? Und was ist eigentlich vom utopischen Moment einer Auseinandersetzung mit Städten geblieben? Ein Moment, der nicht für Mitgestaltung, sondern für das Recht auf ein ganz anderes Leben steht. Wir sprechen mit Menschen, die sich weigern die (städtische) Realität als die einzig Mögliche anzuerkennen und wir sprechen mit Menschen, die sich im Bereich des Möglichen versuchen zu behaupten. [via]

Bis zur Revolution… Gedanken zum Hedonismus: Diskutiert wird das Konzept des Hedonismus in seiner Widersprüchlichkeit innerhalb und außerhalb der linken Szene. Zu Wort kommen Torsun (Egotronic), Chris (Beatpunk), Sebastian Tränkle (Vgl. Phase 2 (Ausgabe 33) – „Alle Lust will Ewigkeit„), Johannes Ullmaier (Testcard), Jan Gerber (Vgl. Bahamas 57 – „Die Partei des Glücks“), Nina Scholz (Hate Mag), Mark Terkessidis (Mainstream der Minderheiten) und Vertreter der Hedonistischen Internationale.

Nicht selten ist das, was als links und revolutionär angepriesen wird, vom selben Arbeits- und Konkurrenzfetisch geprägt wie im Bestehenden. Für einige bleibt da nur noch der Rückzug aus den praktischen Zusammenhängen ins Reich der reinen Kritik, aus dem heraus sich ab und an in einer hedonistischen Party gegönnt wird. Nicht die schlechteste Idee, findet Sebastian Tränkle, der hier in den nächsten Minuten (auch) zu Wort kommen wird. Für Tränkle verlangt dennoch die Kritik Reflexion auch in Bezug aufs Feiern. Wird der Abschlag nämlich fürs Ganze genommen, dann ist auch die Suche nach dem guten Leben nur die Einrichtung in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus. Ein Collage zum Hedonismus als Ideologie der Selbstbefreiung. [via]

Das Geschlecht des Kapitalismus

Die marxo-feministische Gesellschaftstheoretikerin Roswitha ScholzExit!«) war kürzlich (Juni 2011) bei den Linken Buchtagen in Berlin eingeladen, ihr Buch »Das Geschlecht des Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose des Kapitals« vorzustellen, dass erstmals im Jahr 2000 bei Horlemann erschienen ist und nun in einer erweiterten Fassung neu aufgelegt wurde. Ihr zur Vorstellung des Buches gehaltener Vortrag eignet sich als Einführung in den abspaltungstheoretischen Ansatz.

Download: via AArchiv | via MF (1:01 h, 21 MB)

Buchkurzbeschreibung: Weiterlesen

Die Befreiung von der Knechtschaft?

1. Es ist eine Weile her, aber ich möchte die Dokumentation der Leipziger Veranstaltungsreihe »Das Ende des Kommunismus« vervollständigen, indem ich auf den recht kurzen – und im Redestil etwas spröden – Eröffnungsvortrag von Diethard Behrens zur Geschichte der Russischen Revolution und über den Begriff des Stalinismus hinweise. (Oktober 2010)

    Download: nachbearbeitet via AArchiv (0:40 h, 14 MB)
    Vortrag ohne Diskussion, dafür mit Vorrede einer der Veranstalter_innen. Die Nachbearbeitung ist kleiner und um ein störendes Hintergrundgeräusch bereinigt, dass die Originaldatei (75 MB) enthielt [via].

Ankündigungstext und Referenteninfo:

Der revolutionäre Standpunkt des 20. Jahrhunderts war von der Einsicht in die Notwendigkeit eines grundlegenden Umsturzes geprägt, der die Menschheit dem Diktat der kapitalistischen Akkumulation entreißt, weil erst dann die Befreiung des Menschen möglich wäre. In der offiziellen Weltanschauung der Sowjetunion setzte sich die Annahme durch, dass dies wiederum nur mit Hilfe eines politisch beschlossenen und durchgesetzten Plans zu erreichen wäre. Die Folgen sind durch die vielzählig entstandenen Planungsbürokratien unter der Diktatur der kommunistischen Parteien weitestgehend bekannt: Die Teilhabe der arbeitenden Klasse an den Produktionsmitteln verkam zur propagandistischen Farce, während die Reglementierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens immer umfassender wurde. Bereits Lenin wich von der marxschen Auffassung der kommunistischen Bewegung als »selbständiger Bewegung« ab. Stattdessen sollte die Partei als Avantgarde – als »Vorhut der Arbeiterklasse« – stellvertretend die Diktatur des Proletariats durchsetzen und die Revolution durchführen. Der Sinn der Eroberung der staatlichen Macht sei lediglich die Verwaltung der Produktionsmittel und die notwendige Unterdrückung der einst herrschenden Klasse. Schließlich sollte der in einer Übergangsphase noch existierende Staat die vollkommenste Form der Demokratie darstellen.
Neben der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands der Matrosen gibt es unzählige Beispiele, die zeigen, dass staatliche Repressionen schon unter der Führung Lenins weit über den »Klassenfeind« hinausreichte. Die Befreiung des Menschen von der Knechtschaft war schon bei Marx mit der Abschaffung des bürgerlich-kapitalistischen Individuums verbunden. Mit dem Fortschreiten der kommunistischen Revolution wurde hieraus mehr und mehr die Abschaffung von Individualität, die Zerstörung des Individuums und schließlich die Entrechtung, Unterdrückung und Ermordung von Millionen Menschen im Stalinismus.
Sind damit diese Entwicklungen der Parteidiktatur und der Auflösung der Individuen in den marxschen Grundlagen vielleicht schon angelegt? Wurde Marx von seinen Nacheiferern vielleicht weder missverstanden, noch – wie man immer wieder hört – »missbraucht«?
Vor diesem Hintergrund ist es besonders problematisch, dass gerade in den letzen Jahren der Leninismus immer dann Auftrieb bekam, wenn es um die Frage einer übergreifenden politischen Bewegung ging. Linke Theoretiker wie Slavoj Žižek und Alain Badiuo wollen mit Bezug auf Lenin eine unzweideutig radikale Position einnehmen. Der provozierende, »gegen seine liberalen Verleumder« gerichtete Rekurs auf Lenin sei dem »unbedingten Willen« geschuldet die Situation auch wirklich grundlegend zu verändern. Nach den Erfahrungen des Verlaufs der Revolution muss sich jedoch zwingend die Frage gestellt werden, ob die – in Rückgriff auf Lenin – Eroberung der Macht zur radikalen Umwälzung der Verhältnisse nicht zwangsläufig zur Verewigung von Machtverhältnissen und Unterdrückung führt.

Diskussionsveranstaltung mit Diethard Behrens
Montag 11. Oktober 2010 Conne Island, Koburger Str. 3, 19:30 Uhr
Diethard Behrens ist Autor zahlreicher Publikationen zum Marxismus, Mitbegründer der Karl-Marx-Gesellschaft und Lehrbeauftragter der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M.

2. Vollständig ist die Dokumentation natürlich nur zusammen mit der Abschlussveranstaltung vom November 2010. Diese bestand in einer Diskussionsrunde mit Alex Demirović sowie Mitgliedern der Gruppe [pæris] und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff. Gegenstände der Diskussion waren die Möglichkeit einer Planwirtschaft, Organisationsfragen wie auch die Frage nach den grundsätzlichen Zielen einer sozialen Revolution (wenn ich mich recht erinnere).

Ankündigungstext:

Abschließende Veranstaltung der INEX-Reihe zur linken Kritik am Stalinismus

Zum Abschluss der Reihe widmet sich dieses Podium der Kritik am Stalinismus und ihrer Relevanz für radikal linke Positionen.
Bei der Analyse des Realsozialismus und des Stalinismus stößt man immer wieder auf Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Angesichts der Tatsache, dass beide Systeme ähnliche Elemente der Herrschaft enthalten, entwickeln sich oft totalitarismustheoretische Positionen, die eine Wesensverwandtschaft betonen. Unabhängig von der politisch antikommunistischen Instrumentalisierung, stellt sich trotzdem die Frage, ob der Vergleich nicht schon deshalb wenig aussagekräftig ist, weil bisher, in den meisten Totalitarismustheorien, ausschließlich staatliche Herrschaftsstrukturen unter die Lupe genommen wurden? Somit wurden wesentliche Merkmale, wie die ideologische Durchdringung, als Fundament der Herrschaft, oder der Grad der Identifikation der Einzelnen mit dem jeweiligen System außen vor gelassen? Dagegen interpretieren viele radikale Linke den Stalinismus zum Lektürefehler, zum gescheiterten Experiment und lehnen nahezu jede Relevanz für ihr eigenes Streben nach der freien Assoziation freier Individuen ab. Andere unterscheiden einfach zwischen Sozialismus und Kommunismus, oder gar zwischen zwei Typen derselben Idee, einzig unterschieden durch ihre Schreibweisen – mit »K« oder mit »C«. Dabei wird oftmals die Frage vernachlässigt, ob es überhaupt möglich ist, frei vom realen Sozialismus, an die Idee des Kommunismus anzuknüpfen. So oder so steht die radikale Linke von heute viele stärker im Schatten des Realsozialismus, als sie sich bewusst ist. So zeugt z.B. die positive Bezugnahme auf Symbole des Sowjetkommunismus, die bei antifaschistischen Aktionen immer wieder zu beobachten ist, von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den konkreten historischen Verhältnissen.

Podiumsdiskussion mit Alex Demirovic, der Gruppe [pæris] und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX)
am Dienstag, 23.11.2010 im Conne Island, Koburger Str. 3. 19:30 Uhr

Die Veranstaltungsreihe wird durch den Stura der Uni Leipzig und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert und vom Conne Island unterstützt.

Ankündigungstext der VA-Reihe: Weiterlesen

Sartres Aufhebung des Existenzialismus

Im vorerst letzten Vortrag der Reihe »Existentialism Revisited« geht es noch einmal um das Verhältnis Sartres zum Marxismus. Fabian Schmidt gibt hier eine sehr nachvollziehbare und der Komplexität des Themas dennoch angemessene Einführung in Grundkategorien der Philosophie Sartres in ihren verschiedenen Phasen (Das Sein und das Nichts, Fragen der Methode, Kritik der dialektischen Vernunft). Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Rolle des Subjektiven im Prozess der Objektivität gelegt. Leider bricht die Aufnahme des Vortrags nach anderthalb Stunden ab und auch von der Diskussion sind nur Fragmente vorhanden, da es vor Ort Probleme mit dem Aufnahmegerät gab. Es lohnt sich dennoch, sich den sehr hörenswerten Vortrag anzuhören.

Jean-Paul Sartres Hinwendung zum Marxismus wird häufig als Bruch mit dem Existenzialismus wahrgenommen. Die von ihm in den Fragen der Methode skizzierte Aufhebung des Existenzialismus zielt jedoch – im Hegelschen Sinne des Wortes – gerade auch auf dessen Bewahrung. Ausgehend von in Das Sein und das Nichts entwickelten Grundgedanken werde ich in meinem Vortrag versuchen, aus Sartres Perspektive das Verhältnis zwischen Existenzialismus und Marxismus näher zu bestimmen. Themenkomplexe werden insbesondere Bewusstsein und Praxis, Freiheit und Notwendigkeit sowie Individualität und Gesellschaftlichkeit sein. Anhand ihrer möchte ich die Frage diskutieren, inwieweit Sartres Ansatz als Korrektiv gegen mechanistische Marx-Auslegungen dienen kann. [via]

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Da die angekündigten Vorträge von Roswitha Scholz und Andreas Trottnow leider bis auf weiteres verschoben werden mussten, gibt es hier zur Überbrückung der Wartezeit noch zwei Empfehlungen: zum einen die Texte unter der Kategorie „Existenzialismus“ auf dem Blog la vache qui rit und zum anderen die nun bei Youtube verfügbare Dokumentation »Sartre über Sartre«: Teil 1 | Teil 2.

Rote Armee Fiktion

Im Folgenden sei eine etwas ältere Veranstaltung dokumentiert, die 2007 für einigen Trubel gesorgt hat: Die Werbeveranstaltung für das Buch »Rote Armee Fiktion« mit Jan Gerber und Joachim Bruhn auf der linken Literaturmesse in Nürnberg am 15.12.2007. Im ersten Part referiert Bruhn und streift darin in gewohnter Polemik zahlreiche Aspekte zum Thema RAF und Deutscher Herbst: Das Attentat als Berufsrisiko für Politiker in der Klassengesellschaft, die RAF als Naturkatastrophe der bürgerlichen Gesellschaft usw. Er formuliert sowohl eine Kritik an der Aufregung über die RAF, als auch an der RAF selbst – diese hat, so Bruhn, dem revolutionären Projekt geschadet, da sie den Begriff der Charaktermaske ruiniert hat und zudem nicht auf die Aneignung von Reichtum, sondern auf das Anzünden von Kaufhäusern gesetzt hat. Zentral ist dabei auch der Antizionismus der RAF und der RZ. Jan Gerber versucht die RAF in eine Geschichte der Protestbewegung nach ’68 einzuordnen und kritisiert ebenfalls sowohl die Herrschaft, die, sobald es um die RAF geht, in ein Gestammel des gesunden Menschenverstandes verfällt, als auch die RAF selber, die er als »ideelle Gesamtlinke« bezeichnet. Ob es sich bei der Kritik der beiden an der RAF nun um eine »solidarische Kritik« handelt oder nicht, ist dann zentraler Gegenstand der Diskussion.

    Download: via ISF (mp3; 22 MB; 1 h 36:02 min) oder nachbearbeitet (trotzdem relativ schlechte Klanqqualität) via AArchiv (mp3; 16,5 MB)

Am obigen Beitrag ist es also möglich nachzuprüfen, ob oder wie Joachim Bruhn und Jan Gerber die Gesprächskultur auf der linken Literaturmesse zerstört oder dies zumindest versucht haben – dies war nämlich der zentrale Vorwurf, mit dem schließlich der Ausschluss des ça ira Verlags von der linken Literaturmesse begründet wurde (siehe die Erklärung des ça ira Verlags). In einem Gespräch mit dem FSK haben dann Norbert von der AG Kritische Theorie und Joachim Bruhn ihre Sicht auf die Vorgänge des Ausschlusses geschildert. Das Interview enthält sowohl eine Vorstellung des ça ira Verlags als auch der AG Kritische Theorie, welche den ça ira Verlag damals auf der Literaturmesse vertreten hatte:

    Download: via FRN (mp3; 29,8 MB; 25:59 min)

Nachprüfbar ist ebenfalls, ob Joachim Bruhns Seitenhieb gegen Jutta Ditfurths Ulrike-Meinhof-Biographie zutrifft, die er in seinem Vortragsteil als »Terror-Soap« unter dem Niveau bürgerlicher Geschichtsschreibung beschreibt und sie vor allem als Ideal- bzw. Wunschbiographie Ditfurths selbst versteht. In zwei Interviews mit Ditfurth erfährt man, neben einigen Details über die Person Meinhof und die bisherige Behandlung dieser Person im allgemeinen Kanon der bundesdeutschen Literatur und Presse, auch einiges über Ditfurth selbst: dass sie cool und mit Profis gegen Verleumdungen in der Presse vorgeht, wie sie aufopferungsvoll viele Jahre an dieser Biographie gearbeitet hat, dass Kunst, Literatur und Politik ihr Leben sind und dass sie meint, dass Veränderung und Gegenöffentlichkeit eher aus einer anderen Welt kommen (dass eine solche möglich ist, wissen wir ja bereits):

  • Interview mit J. Ditfurth von Klaus Blödow vom NEWS Magazin: via FRN (mp3; 25,8 MB; 37:35 min)
  • Interview mit J. Ditfurth von Roger Spindler vom Schweizer Freien Radio RaBe: via archive.org (mp3; 48 MB; 59:54 min)

Sexualität und Behinderung

„Behinderung“ bedeutet in kapitalistischen Gesellschaften die körperlich oder geistig bedingte Unmöglichkeit gelungener Subjektivität. Vermittelt über die gesellschaftlichen Anforderungen an das Subjekt, ist es den unter diese Kategorie subsumierten Menschen nicht nur erschwert ein glückliches Verhältnis zu sich selbst und zum eigenen Körper zu finden, es sind zudem zahlreiche Ausschlüsse im gesellschaftlichen Leben damit verbunden. Zentral ist dabei u.a., dass behinderten Menschen abgesprochen wird, eine selbstbestimmte Sexualität zu haben. Nicht nur, dass etwa weibliche Behinderte in der ideologischen Vorstellung als geschlechtslose Wesen gelten – die gesellschaftlichen Bedingungen zeigen deutlich, dass Sexualität Behinderter nicht erwünscht ist. Im Februar 2011 wurde auf Radio LORA München eine Sendung ausgestrahlt, die sich mit Sexualität und Behinderung auseinandersetzte. Vier körperlich behinderte Frauen kommen in dieser Sendung zu Wort, sprechen über das gesellschaftliche Körperverhältnis, über ideologische Vorstellungen von der (A-)Sexualität Behinderter, gesellschaftliche Schranken, die Behinderten gesetzt werden, über den Kampf Behinderter um sexuelle Selbstbestimmung und berichten vor allem über eigene Erfahrungen.

Behindert ist nicht – behindert wird. Auch im Ausleben selbstbestimmter Beziehung und Sexualität müssen körperlich Behinderte gesellschaftliche, bürokratische und physische Hürden nehmen. Erschreckend ist die Zahl der sexuellen Gewalt, die behinderten Mädchen und Frauen wiederfährt und der Umgang der Rechtsprechung mit diesem Phänomen. Interviewpartnerinnen sind die Sozialpädagogin Ute Strittmater und die Mitarbeiterin Ute Schön von den Netzwerkfrauen-Bayern. Außerdem die Psychologinnen Inge Plangger und Renate Geifrig. Alle vier Frauen bewegen sich im Rollstuhl. [via]

Download: via FRN (mp3; 47,5 MB; 51:50 min)

»Ich unterstütze Sie doch nicht dabei, einen weiteren Sozialfall zu produzieren« – dies wird oftmals körperlich beeinträchtigten Frauen entgegengehalten, wenn sie sich bei Kinderwunsch über eine mögliche Schwangerschaft beraten lassen wollen. Das Stichwort des ›Sozialfalls‹ verweist dabei darauf, dass die Diskriminierung Behinderter, soziale Ungleichheit und Biopolitik eng miteinander verwoben sind. Eine weitere Sendung auf Radio LORA klärt darüber auf, wie Behinderung und deren angebliche Vererbbarkeit tatsächlich in Beziehung zueinander stehen, welche Möglichkeiten behinderte Frauen mit Kinderwunsch haben und welche Schwierigkeiten ihnen dabei durch die Gesellschaft und die körperliche Einschränkung gesetzt sind. Es kommen in der Sendung betroffene Frauen, eine Gynäkologin und eine Dokumentarfilmerin zu Wort, die über Hilfsmaßnahmen, pränatale Diagnostik (das damit verbundene Thema der Eugenik ist Gegenstand dieses Artikels in der Phase 2) und eigene Erfahrungen berichten und formulieren dabei die klare Botschaft, dass der Kinderwunsch behinderter Frauen erfüllbar ist. Im zweiten Teil der Sendung spricht die Moderatorin zudem mit einer Sexualpädagogin über gesellschaftlich bedingte Probleme bei der Sexualität geistig beeinträchtigter Menschen.

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, steht im Artikel 3 des Grundgesetzes. Die gesellschaftlichen Tabuthemen: ‚mentale und körperliche Beeinträchtigungen und Sexualität und Kinderwunsch‘ finden allerdings reichlich zögerlich Raum in der öffentlichen Wahrnehmung. Wer will sich schon gedanklich damit befassen, womit Menschen mit Lernschwierigkeiten und deren Angehörige konfrontiert sind, wenn mit der Pubertät die Sexualität in ihr Leben tritt? Wer will sich damit auseinandersetzen, welche Probleme auftauchen, wenn beispielsweise Frauen mit Lähmungen oder Spastiken, im Rollstuhl sitzend, Kinder bekommen wollen? Es sind wahrscheinlich auch deshalb Tabuthemen, weil wenig Wissen über Erblichkeiten, über die tatsächlichen Probleme, über Hilfsmaßnahmen und Finanzierungsbedarf vorhanden ist. Wir versuchen heute ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten und lassen zu Wort kommen: Die Betroffenen Esther Hoffmann und Christine Gasafy, die Gynäkologin Prof. Dr. Gerlinde Debus, die Dokumentarfilmerin Ute Wagner-Oswald, die Betroffene Petra Gross und die Diplompsychologin und Sexualpädagogin Lucyna Wronska. [via]

Download: via FRN (mp3; 50 MB; 54:38 min)

Leider ist das Thema der Behinderung, die damit verbundenen gesellschaftlichen Körperverhältnisse und das hierdurch produzierte Leid viel zu selten Teil linksradikaler Theoriebildung und Forderungen. Daher sei zusätzlich auf ein sehr hörenswertes Interview mit Philipp von den Falken Erfurt verwiesen [via], das im Vorfeld der Veranstaltung „Hauptsache gesund!? Behinderung und Krankheit als Super-GAU des bürgerlichen Subjekts„, in der Sendung „Reibungspunkt“ auf Radio FREI gesendet wurde. Unbedingt lesenswert ist außerdem der gleichnamige Text der Jungen Linken gegen Kapital und Nation. Im FRN stehen in der Kategorie Behinderung neu denken weitere Sendungen zum Thema zum Nachhören zur Verfügung.