Schlagwort-Archive: Geschlechterverhältnisse

Revolution in Deutschland 1918-23 #3

Die Frauen der Novemberrevolution

Im letzten Teil unserer Beitragsserie über die Novemberrevolution ging es um politische Veränderungen innerhalb der Arbeiterbewegung. Auch im Bezug auf das Geschlechterverhältnis bedeuteten der 1. Weltkrieg und die Novemberrevolution eine Neuzusammensetzung der Arbeiterbewegung. Durch die Industrialisierung im Kaiserreich war auch ein weibliches Proletariat entstanden, im Zuge des ersten Weltkriegs gab es insbesondere in der Kriegsindustrie eine Zunahme des weiblichen Anteils der Belegschaften. Auch in den Revolten und Demonstrationen gegen den 1. Weltkrieg waren oft Frauen in der ersten Reihe. Der darin entstandene Anspruch, das Geschehen mitzubestimmen und entsprechend in den Räten vertreten zu sein, wurde jedoch von der männlich dominierten Arbeiterbewegung nicht umgesetzt. Dies schildert die Sozialwissenschaftlerin und Historikerin Gisela Notz im Gespräch mit Radio Corax. Im Gespräch wird auch auf den Schwerpunkt der Ausgabe 643 / November 2018 von Analyse und Kritik hingewiesen, in der mehrere Texte zu den Frauen in der Novemberrevolution veröffentlicht sind.

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Dania Alasti hat 2018 im Unrast-Verlag ein Buch mit dem Titel Frauen der Novemberrevolution – Kontinuitäten des Vergessens veröffentlicht. Am 29.01.2019 hat sie bei der Hellen Panke in Berlin ihr Buch vorgestellt. Darin schildert sie, wie Frauen im Zuge des 1. Weltkriegs Kampferfahrungen gemacht und eigene Formen der Solidarität entwickelt haben. Sie stellt bisherige Forschungen zur Rolle der Frauen in der Novemberrevolution vor und arbeitet auch heraus, wie die männliche Arbeiterbewegung den Frauen die Solidarität größtenteils verweigerte und wie die Rolle der Frauen in der Geschichtsschreibung zur Novemberrevolution unterschlagen wurde. In der Ausblendung der Sorgetätigkeit von Frauen macht sie eine Kontinuität aus und stellt darin einen Bezug zur Gegenwart her.

Frauen protestierten vor hundert Jahren in Massen gegen den Ersten Weltkrieg und das deutsche Kaiserreich. Ihre Streiks, Demonstrationen und Ausschreitungen leisteten einen wesentlichen Beitrag zur Vorbereitung der Novemberrevolution. Doch während der Formung und Kämpfe um die Richtung der Revolution tauchten Frauen als Massenerscheinung nicht mehr auf.

Ihre Kämpfe entstanden aus einer prekären Mobilisierung auf den Arbeitsmarkt, wobei ihre vorangegangenen Lohnarbeitsverhältnisse, wie Hausanstellung oder Heimarbeit, zumeist erst gar nicht als Beschäftigungsverhältnisse wahrgenommen wurden. Sie zeigten sich bei der Doppelbelastung von Lohn- und Versorgungsarbeit, deren Anerkennung bereits damals gefordert, aber nicht umgesetzt wurde.

Diese Strukturen sind bestehen geblieben. Anhand der Proteste der Frauen der Novemberrevolution und den vielfältigen reaktionären Antworten soll diskutiert werden, welche grundlegenden gesellschaftlichen Konflikte bis heute dringend feministischer Kämpfe bedürfen, und wie sich diese Kämpfe in Hinblick auf die weltweiten Frauen*streikbewegungen gestalten. (via)

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Im Anschluss geht auch Gisela Notz (u.a. „Wegbereiterinnen„) auf die Frauen der Novemberrevolution ein. Sie schildert zunächst, wie die sozialistische Frauenbewegung das Frauenwahlrecht durchsetzte (siehe hierzu auch das Buch, das Notz mitherausgegeben hat), geht dann auf Konzeptionen ein, die Frauen im Zuge der Novemberrevolution entwickelten und beleuchtet zuletzt beispielhaft Wege von Frauen in der Novemberrevolution.

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Can‘t take my eyes off you

… ein Versuch, utopisch zu denken

Unter dem Titel Can’t take my eyes off you hat der Leipziger AK Unbehagen im Mai 2019 einen temporären Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum eröffnet. Im Rahmen dessen fanden auch mehrere Veranstaltungen statt, die wir im Folgenden dokumentieren. Es geht weitestgehend um die Stellung der Utopie innerhalb gesellschaftskritischen Denkens. Zur Ausstellung und zur Veranstaltungsreihe siehe auch das Interview des Transit-Magazins mit dem AK-Unbehagen.

Was wäre in der Utopie anders? Was steht der Utopie im Weg? Und wo sehen wir in der Gegenwart, in unserem Leben Utopisches?

Diese und weitere Fragen haben wir uns und Menschen, die uns nahe stehen, in den letzten Monaten gestellt. Im Mai 2019 eröffnen wir einen Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum, in dem wir unsere Auseinandersetzung sichtbar machen und zu utopischem Denken einladen wollen.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzung haben wir Briefe an Menschen verschickt, deren Gedanken und Haltungen uns wichtig sind. Aus den Antworten, die wir bekommen haben, haben wir ein fiktives Gespräch geschrieben, das in Form einer Audioinstallation hörbar sein wird.

Für das Veranstaltungsprogramm haben wir Freund*innen und Genoss*innen eingeladen, ihre Überlegungen mit uns zu teilen und mit uns in den Austausch zu treten.

In dieser Reihe wollen wir Debatten darüber anstoßen, welche Formen von Arbeit, Beziehungen und Subjektivität wir uns wünschen. Wir möchten mit euch über die gegebenen Verhältnisse hinaus denken und über die Vorstellungen und Bedingungen von einem guten Leben diskutieren.

[Edit (28.03.2020): Ein ausführliches Gespräch mit zwei Mitgliedern des AK Unbehagens, über die Aktivitäten des AK’s und die Auseinandersetzungen im Rahmen der dokumentierten Reihe findet sich hier.]

1.) …und für wen das alles? – das Subjekt und die Utopie

In einer Lesung hat der AK Unbehagen einige Überlegungen vorgestellt, die der Ausstellung und der Veranstaltungsreihe vorangegangen sind. Es geht dabei insbesondere um das Subjekt der Utopie: Ausgangspunkt ist bürgerliche Subjektivität, die ihre eigenen Voraussetzungen abspalten muss. Mit Überlegungen zur Psychanalyse, weiblicher Subjektivität, Arbeit, Alltag, Bedürfnissen, Bedürftigkeit, Körperlicheit, linke Gruppen und (Liebes)Beziehungen kreist die Lesung um die Aufhebung bürgerlicher Subjektivität, hin zu einer Gesellschaft glücklicher Subjekte, zur Vorstellung einer ganz anderen Gesellschaft. Dabei geht es auch immer wieder um Geschlechterverhältnisse. (Die Tonqualität dieser Aufnahme ist nicht sonderlich gut – die anderen Mitschnitte sind deutlich besser.)

Wenn wir versuchen utopisch zu denken, sind wir immer darauf zurückgeworfen, uns zu fragen, wer oder was da eigentlich denkt. Was für ein Subjekt ist das und welche Zurichtung erfährt es? Wo weisen unsere Vorstellungen von einer glücklichen und befreiten Gesellschaft in ihrer Negation auf gegenwärtige Verhältnisse hin, über die hinaus wir gar nicht denken können, weil uns die Sprache dafür fehlt?

Wir möchten in unserer Lesung Aspekte diskutieren, die das Subjekt mit der Utopie verbinden und unser Begehren nach dem wirklich Besseren ausdrücken. Welche Rolle spielt Mangel in der Subjektkonstitution und kann das Glück im Kleinen ein Stück Zukunft im Hier und Heute bedeuten? Wie soll sich alles zum guten Leben für alle ändern oder wie sollen sich alle ändern? Und an welchen Utopie-Entwürfen können wir uns abarbeiten?

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2.) Über das Utopische in der Erfahrung

In einer Lesung haben zwei Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Outside the Box Texte aus der 7. Ausgabe der Zeitschrift zum Thema Erfahrung vorgestellt (zur Ausgabe siehe auch: Interview von Radio Corax; Interview des Konkret-Magazins). Die Redakteurinnen lesen zu folgenden Themen: Ein Erfahrungsbericht von gegenwärtigen feministischen Kämpfen in Buenos Aires; ein Gespräch über gewerkschaftliche Frauengruppen in der BRD der 70er-Jahre; ein Gespräch mit Frigga Haugg u.a. über deren (4 in 1)-Perspektive (siehe auch das Interview mit Haugg zum Thema hier); ein Text über Verena Stefan und deren Roman „Häutungen“; ein Text über die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ (siehe auch das Interview zum Thema hier, siehe auch den Kurztext hier); das Editorial zum Verhältnis von Erkenntnis und Erfahrung; ein Gedicht (Überraschung). Die Aufnahme setzte kurz nach Beginn der Lesung ein.

»Wir erfahren den Gegensatz zwischen dem, was sein könnte, und dem, was ist.«

— Preview-Lesung über das Utopische in der ERFAHRUNG (Ausgabe #7) der Outside the Box. Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik

Erfahrung – ist das, als unmittelbar Gegenwärtiges und Alltägliches, nicht das Gegenteil von Utopie? Zwei Redakteurinnen der outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik hoffen, bei ihrer allerersten Lesung aus der Ausgabe #7, die jeden Moment erscheinen wird, Antworten auf diese und alle darin enthaltenen Fragen zu finden – ob Erfahrung so unmittelbar überhaupt ist, zum Beispiel – oder, falls das nicht gelingen sollte, zumindest ein paar neue Fragen aufzuwerfen. Eine (utopische?) ERFAHRUNG, die man sich nicht entgehen lassen sollte!

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3.) „Rufen, was nicht ist“

Zur Utopie und ihrer Rolle für die Emanzipation. In ihrem Vortrag gehen Max und Jakob von der Translib Leipzig näher auf eine begriffliche Bestimmung des Verhältnisses von Utopie und Gesellschaftskritik ein. Zunächst charakterisiert Max das utopische Denken seit Thomas Morus, geht auf die Kritik des Utopismus von Friedrich Engels ein, verharrt kurz bei Ernst Bloch, um dann die Argumentation für ein Bilderverbot mit Adorno und Horkheimer zusammenzufassen. Er geht dann mit Hans-Jürgen Krahl auf das Verhältnis von objektiven und subjektiven Bedingungen einer kommunistischen Befreiung ein, das für den Stellenwert der Utopie entscheidend ist. Daran knüpft Jakob im zweiten Vortragsteil an. Er untersucht das Verhältnis von bestimmter Negation und positivem Gegenentwurf; rekonstruiert, wie durch die Tendenzen des Ökonimusmus und Determinismus im marxistischen Denken die Differenz von Bestehendem und zu erreichendem Zustand verwischt wurde und benennt Kriterien für eine befreite Gesellschaft. Insbesondere der zweite Teil des Vortrags knüpft an die Diskussionen der Klassenlossen und Hannes Giessler-Furlan sowie an die Reihe Where is an alternative? an. (Edit: Aus dem Vortrag ist ein Text entstanden, der mittlerweile hier nachgelesen werden kann.)

Emanzipatorische Bewegung zeichnet sich durch den Willen der Veränderung des herrschenden Zustandes aus. Die Kritik am Bestehenden, von der sie ausgeht, enthält immer schon ihre logische Gegenseite – so abstrakt sie auch sein mag – der Gedanke eines Anderen, Besseren. Die Diskussion darum, ob und – wenn ja – wie dieses bestimmt werden kann, ist daher in der Linken immer geführt worden: von der Kritik des »wissenschaftlichen Sozialismus« am »utopischen« Frühsozialismus zum sozialdemokratischen »Zukunftsstaat«, vom Rätekommunismus bis zu gegenwärtigen Ideen eines »Marktsozialismus« – die Bedeutung der Utopie als der Gestalt, in der das Bessere als Ganzes auftritt, für das Denken und die Praxis der Emanzipation spiegelt sich in der Bedeutung, die ihr in verschiedenen, mitunter verfeindeten linken Strömungen zugesprochen wird. Gemeinhin sind jedoch eine fundamentale Umwälzung der Produktionsverhältnisse beinhaltende Utopien heute weitestgehend diskreditiert.

Die Reflexion auf das bisherige Scheitern der revolutionären Linken zeigt aber auch, dass diese entweder alles in Schutt legen wollte, in der Behauptung des Besseren dem Schlechteren womöglich näher kam, oder dem Besseren unter Verweis auf die Unmöglichkeit es zu denken entsagte, um sich doch noch im Bestehenden einzurichten. Allen geht das Denken konkreter kommunistischer Forderungen ab. Dass es mit dem Verweis auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht getan ist, weil keiner sagen kann, was sie mehr meint als die Negation des Privateigentums, hat Karl Korsch bereits vor mehr als hundert Jahren festgestellt.

Dies verweist uns heute auf die drängende Frage nach konkreter Utopie. Was ist sie und wie müsste sie gedacht werden, wenn sie nicht hinter berechtigter Kritik an abstraktem Utopismus zurückfallen soll? Wie kann sie vermeiden, bestehendes Elend gedanklich bloß zu verlängern? Wie kann sie konkretes Fordern ohne bloß Soziareformismus zu sein?

In unserem Vortrag wollen wir uns zunächst dem Begriff der Utopie unter Reflexion des Vorwurfs des Utopismus und des Bilderverbots annähern und ihn historisch verorten. Hier sollen auch die Debatten innerhalb der Arbeiterinnenbewegung und revolutionären Linken beleuchtet werden. Auf Basis dieser Reflexionen möchten wir moderne konkrete Utopien vorstellen, um dann mit euch ins Gespräch zu kommen.

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4.) Utopische Forderungen an Mutterschaft / Elternschaft

Auf dem Podium wurde die Frage diskutiert, inwiefern es utopische Bilder von Mutterschaft gibt und in welchem Verhältnis feministische Ansprüche an eine (emanzipierte) Mutterschaft und reale Verhältnisse von Müttern stehen. Neben persönlichen Erfahrungen werden auch psychoanalytische und historische Perspektiven diskutiert. Zentral ist die (reproduktive) Arbeitsteilung. Am Ende werden einige Forderungen im Bezug auf Mutterschaft vorgetragen. An der Diskussion waren beteiligt: Anke Stelling (Schriftstellerin, u.a. Fürsorge und Schäfchen im Trockenen), Maya Dolderer (Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?) sowie Lisa und Saša (beide vom Feministischen MÜTTER*-Stammtisch Süd, Leipzig).

In der gegenwärtigen Gesellschaft erscheinen Fürsorge, die fundamentale Bezogenheit aufeinander und Abhängigkeiten – kurz alles, was mit Mütterlichkeit assoziiert ist – systematisch abgewertet. Dies spiegelt sich nicht nur in konkreten Erfahrungen von Müttern, sondern weiterhin in den prekären Arbeitsbedingungen im Care-Sektor oder den miserablen Zuständen in Pflegeeinrichtungen wider. Auch die feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft verläuft notgedrungen ambivalent.

Wir möchten nach einer Kritik an gegenwärtigen Bedingungen von Mutterschaft suchen, die nicht bei der Aushandlung von Aufgaben oder beim Entwurf der „neuen Mutterideale“ endet. Wir möchten danach fragen, was mit einer Gesellschaft und ihren Beziehungen passiert, wenn eine grundlegende Abhängigkeit nicht mehr geleugnet werden muss.

In dieser Podiumsdiskussion möchten wir deshalb aus psychoanalytischer, materialistischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive nach Ansatzpunkten für ein utopisches Denken von Mutterschaft und Elternschaft suchen. Gleichzeitig soll hierbei auch immer wieder auf Grenzen verwiesen werden, die sich aus einer feministisch-materialistischen Betrachtung stellen. Auch die eigene Erfahrung der Gegenwart soll dabei in den Blick genommen und explizit verhandelt werden.

Wir stellen uns unter anderem diese Fragen: Wie kann Mutterschaft in feministischer Kritik und emanzipatorischen Entwürfen mitgedacht werden? Neben solidarischen Konzepten und neuen Familienmodellen – welche fruchtbaren Punkte bietet eine feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft? Wie sehen unsere utopischen Forderungen an Mutterschaft und Elternschaft aus und auf welchen Mangel verweisen sie in der Gegenwart?

Es werden sprechen: Anke Stelling, Autorin aus Berlin. Maya Dolderer, Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?. Lisa und Saša vom Feministischen MÜTTER*- Stammtisch Süd (Leipzig)

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Mütterimagines, Mückenstiche und die selbstverschuldete Unmündigkeit der Frau

Zum Zusammenhang von einseitiger Ideologiekritik und antifeministischer Regression – Ein Vortrag der Feministischen Intervention

Am 30.01.2019 fand im Conne Island eine Diskussionsveranstaltung zum antideutschen Antifeminismus statt. Dabei ging es insbesondere um die Positionen von Magnus Klaue, Thomas Maul und David Schneider, die sich u.a. in der Bahamas #78 nachlesen lassen. Die Veranstaltung war auch eine Reaktion auf Vorträge von Thomas Maul und Magnus Klaue im Conne Island. Der Vortrag hatte drei Teile: Im ersten Teil hat Sarah (es wird nur der Vorname genannt) einige Aussagen von Maul, Klaue und Schneider analyisiert. Sie geht dabei insbesondere auf die ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein, und was diese mit dem Geschlechterverhältnis zu tun haben. Sie skizziert das Problem einer einseitigen Ideologiekritik, die sich nicht mehr auf ökonomische Verhältnisse bezieht. Im zweiten Teil führt Constanze Stutz aus, inwiefern Antifeminismus eine regressive Reaktion auf gesellschaftliche Widersprüche und Krisenerscheinungen ist und was das mit Männlichkeit zu tun hat. In diesen Zusammenhang ordnet sie auch den antideutschen Antifeminismus ein. Im dritten Teil skizziert Koschka Linkerhand ein notwendiges Spannungsverhältnis zwischen Realpolitik und grundlegender Gesellschaftskritik, das in Teilen der antideutschen Theoriebildung einseitig aufgelöst werde. Sie formuliert die Notwendigkeit einer feministischen, materialistischen Gesellschaftsanalyse. In den Referaten gibt es mehrere Bezüge auf den Text „Raus aus der Comfort Zone. Für eine feministische Position in antideutscher Gesellschaftskritik„, den der Antifaschistische Frauenblock vor etwa zehn Jahren veröffentlicht hat. Bei Minute 32:30 gibt es eine technik-bedingte Unterbrechung der Aufnahme.

Eine Befindlichkeit vorab: Die Welt geht unter und wir diskutieren den Frauenhass von Magnus Klaue und Thomas Maul. Aber da wir an der Notwendigkeit einer linken, feministischen Gesellschaftskritik festhalten und das Conne Island als zentralen Veranstaltungsort der Leipziger Linken nicht unkommentiert diesem offenen Antifeminismus überlassen wollen, diskutieren wir heute Abend über Magnus Klaue und Thomas Maul.

Innerhalb des letzten Jahres haben die beiden Bahamas-Autoren in ihren Artikeln und Vorträgen im Conne Island eindrucksvoll vorgeführt, wie weit die antifeministische Regression einiger antideutscher Theoretiker fortgeschritten ist: Kritik heißt bei ihnen mittlerweile, Feministinnen als »brutal verdummt« zu verunglimpfen. Kaum des Lesens und Schreibens mächtig und unabgelöst von ihren Müttern, seien sie so unwillens wie unfähig, »Männer, sei es sexuell oder gar intellektuell, zu befriedigen«. Dass Feministinnen sich und ihren antideutschen Kritikern diese Befriedigung versagen, beklagen ideologiekritische Pamphlete, die mit einer Analyse des kapitalistisch-patriarchalen Istzustands nicht viel zu tun haben.

Der Vortrag soll erhellen, wie sich – während Nazis, Islamisten und die Klimakatastrophe auf dem Vormarsch sind – die krisenhafte Verfasstheit des männlichen Subjekts auch in den autoritären Auswüchsen antideutscher Kritik zeigt. Wir fordern eine Ideologiekritik, die sich nicht für die Rundumschläge gekränkter Theoretikermännlichkeit eignet, sondern Ideologien in Beziehung zu den Verhältnissen setzt, die sie hervorbringen. Weder Islamkritik noch die Kritik am Queerfeminismus darf den Mäulern und Klauen antideutscher Antifeministen überlassen werden. Denn die haben immer noch nicht verstanden, dass das bürgerliche Subjekt, das sich wesentlich über kapitalistische Sphärentrennung und damit die Abspaltung von Weiblichkeit und Reproduktion konstituiert, nicht das Sehnsuchtsziel einer feministischen Gesellschaftskritik sein kann. Der Vortrag plädiert dafür, antideutschen Antifeministen zukünftig lieber den Felsenkeller oder das Haus Auensee als Vortragsort anzuempfehlen und sich einem materialistischen Feminismus als adäquater Gesellschaftsanalyse zu widmen.

Vortrag:

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Diskussion:

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Feministisch streiten!

Wir dokumentieren hier mehrere Beiträge, die aktuelle Diskussionen innerhalb des deutschsprachigen Feminismus abbilden. Dabei liegt ein Fokus auf einer Kritik des Queer- bzw. Popfeminismus aus materialistisch-feministischer Perspektive.

1.) Beißreflexe

Das 2017 veröffentlichte Buch Beißreflexe – Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten ist viel besprochen worden. Radio Corax hat ein Interview mit zwei Co-AutorInnen des Buches geführt – mit Caroline Sosat, die „betroffenheitsfeministische Dynamiken“ kritisiert und Jakob Hayner, der Queerfeminismus und Critical Whiteness im universitären Kontext analysiert und kritisiert.

Wir von Radio Corax versuchen immer wieder auch eine Kritik der Geschlechterverhältnisse zu thematisieren. Kritik der Geschlechterverhältnisse – das heißt zu erkennen, dass Geschlecht eine Kategorie ist, an der entlang Herrschaftsverhältnisse und Ideologie sich organisieren und ausrichten. Eine feministische Gesellschaftskritik ist notwendig – etwa wenn es darum geht, zu erkennen, dass weibliche Körper in besonderem Maß gesellschaftlichem Zugriff und Reglementierung unterliegen. Eine bestimmte Spielart des Feminismus ist heute bekannt unter der Bezeichnung „Queerfeminismus“. Queer – das meinte ursprünglich das nicht Normierte, das Abweichende, das Perverse, das sexuell Deviante. Queer ist aber Stichwort für eine bestimmte Art von Politik, die auch innerhalb feministischer Zusammenhänge kontrovers diskutiert wird. Es ließe sich etwa sagen: Queer, das ist heute eine bestimmte Art von Politik, die sich auf Identitätspolitik reduziert und dabei selbst extrem reglementierte Räume schafft. Eine solche Kritik an queer politics wird etwa formuliert in einem Buch, das kürzlich im lesbisch-schwulen Querverlag erschienen ist. „Beißreflexe“ heißt dieses Buch, das etwa 25 Beiträge versammelt und das herausgegeben wurde von Patsy l’amour lalove. Es schien uns interessant, einmal einen Blick in dieses Buch zu werfen. Deshalb sprachen wir einerseits Caroline Sosat und andererseits Jakob Hayner – welche sich jeweils mit einem Beitrag an diesem Sammelband beteiligten.

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2.) Feministisch streiten!

Ebenfalls im Querverlag ist das Buch Feministisch streiten – Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen erschienen, herausgegeben von Koschka Linkerhand. Noch vor Veröffentlichung des Buches haben Koschka Linkerhand und Co-Autorin Sabrina Zachanassian einen Vortrag in der Leipziger MonaLisa gehalten, in der sie ihre Kritik des Queerfeminismus und dabei auch ein Selbstverständnis des materialistischen Feminismus formuliert haben. Ihre Kritik am Queerfeminismus lautet, dass er durch seinen Fokus auf Identitäten gesellschaftliche Strukturen und Wirkweisen nicht richtig erfassen kann.

Feministin sein heißt heutzutage fast automatisch: Queerfeministin sein. Der Queerfeminismus, als dessen bekannteste Urheberin Judith Butler firmiert, dominiert seit etwa zwanzig Jahren die kultur- und geisteswissenschaftliche akademische Debatte weit über das Thema Geschlecht hinaus; queerfeministische Geschlechtervorstellungen reichen mittlerweile bis in die Politik der etablierten Parteien und in eine queere Pop- und Alltagskultur hinein, wie sie sich in vielen linken und LGBT-Szenen etabliert hat. Doch was genau bedeutet Queerfeminismus? Was unterscheidet ihn vom klassischen Feminismus, der von Frauen ohne Anführungszeichen und Sternchen, von biologischem versus sozialem Geschlecht und patriarchaler Gesellschaft spricht?

In unserer Veranstaltung wollen wir diskutieren, wie eine adäquate feministische Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft aussehen könnte. Inwieweit kann Queerfeminismus über pure Identitätspolitik hinausreichen – taugt er zur Gesellschaftskritik oder ist er nicht mehr als ein Wegweiser zum neoliberalen Nischenglück? Was bedeutet es und welche politischen Konsequenzen hat es, das Geschlechterverhältnis als Ergebnis von Diskursen zu analysieren? Bereitet Dekonstruktion, das queere Wundermittel gegen Diskriminierung, tatsächlich den Weg zu einer freieren Gesellschaft, in der alle „ohne Angst verschieden sein können“ (Adorno)? In welchem Verhältnis stehen queerfeministische Kategorien zu einem Feminismus, der sich auf die Zweite Frauenbewegung, auf Materialismus, Universalismus und die Kritik der politischen Ökonomie beruft – und trotzdem das Wünschen noch nicht verlernt hat?

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Eine Aktivistin bei Radio Corax hat eine mehrteilige Interview-Reihe über das „Feministisch-Streiten“-Buch produziert, in der dieses wiederum aus queer-feministischer Perspektive kritisiert wird: Teil 1, Teil 2, Teil 3.

3.) I am a Materialist Girl – Zum materialistischen Feminismus

Am 17.09.2018 trafen sich auf Einladung der Gesellschaftskritischen Odyssee [geko] Koschka Linkerhand und Ilse Bindseil zur Diskussion über den Feminismus an der Universität in Halle (Saale). Während Koschka Linkerhand in Umrissen ihre Vorstellung eines materialistischen Feminismus referiert (der sich ihres Erachtens explizit auf das Subjekt Frau beziehen muss), bringt Ilse Bindseil eine Reflexion auf der Meta-Ebene ins Spiel. Für sie stehen Materialismus und Feminismus in einem ausschließenden Verhältnis des Widerspruchs, ebenso wie Theorie und Praxis. Diese eher philosophische Stoßrichtung bestimmt dann die Diskussion zwischen beiden, wobei es zu großen Teilen um Begriffsklärungen geht. Ein Vorabgespräch mit Radio Corax gibt es hier, die Diskussion mit dem Publikum kann hier nachgehört werden.

Wenn derzeit von „materialistischem Feminismus“ gesprochen wird, schlagen die Herzen höher, während der Kopf stehen bleibt. Kaum jemand weiß, was mit der Rede vom „Materialismus“ überhaupt gemeint ist. Weil man sich aber in der Gegnerschaft zu Patriarchat und Queerfeminismus einig ist, darf die Arbeit am Begriff ruhig liegen bleiben. So gelingt es, kaum vereinbare Positionen unter ein gemeinsames Banner zu zwingen und Streit zu vermeiden. Uns ist jedoch weniger am feministischen Frieden gelegen als daran, das Geschlechterverhältnis zu analysieren und treffend zu kritisieren.

Deshalb werden wir mit Ilse Bindseil und Koschka Linkerhand diskutieren, welche sich beide als materialistische Kritikerinnen des Geschlechterverhältnisses sehen. Gleichzeitig vertreten sie bezüglich vieler Fragen unterschiedliche Positionen. Mit ihnen wollen wir klären, was es überhaupt bedeutet das Geschlechterverhältnis materialistisch zu betrachten, wie dies mit der Kritik der Gesellschaft zusammenhängt und welche feministische Praxis sich daraus eventuell ableiten lässt.

Ilse Bindseil veröffentlichte im ca ira-Verlag unter anderem Elend der Weiblichkeit, Zukunft der Frauen und Es denkt. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift Ästhetik und Kommunikation. Koschka Linkerhand ist Herausgeberin des Sammelbandes Feministisch Streiten. Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen und Autorin eines Beitrags in Beißreflexe.

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4.) Auf dem Fleischmarkt untenrum frei unterwegs

Auf dem Fleischmarkt untenrum frei unterwegs: Zur Kritik am Popfeminismus – unter diesem Titel hat Constanze Stutz von der Zeitschrift Outside the Box in Leipzig und Halle Vorträge gehalten. Leider liegt uns kein Vortragsmitschnitt vor – falls es eine Aufnahme gibt, kontaktiert uns gerne. Radio Corax hat mit Constanze Stutz im Vorfeld des Vortrags in Halle recht ausführlich gesprochen. Darin geht es um eine Begriffsbestimmung, die Potentiale und die Beschränkungen des Popfeminismus. Der Titel des Vortrags verweist auf Bücher von Laury Penny und Margarete Stokowsky, auf die auch im Gespräch eingegangen wird.

    Download (via FRN; mp3; 45 MB; 19:28 min)

Thematisches zum Welthurentag

Anlässlich des Welthurentags am 02. Juni hat Radio-Corax ein thematisches Mittagsmagazin gesendet, in dem es um eine feministische Auseinandersetzung mit Sexarbeit ging. Interviewt wurden dabei Vertreterinnen der Vereine Madonna e.V. und Doña Carmen, die die Arbeit des jeweiligen Vereins vorgestellt und über die Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes gesprochen haben. Weiterhin wurde das Sexarbeitsfrühstück – ein Vernetzungstreffen in Leipzig – vorgestellt (weitere Infos hier). Im Interview war außerdem Theodora Becker, die einen analytischen, kritisch-theoretischen Blick auf Sexarbeit geworfen hat. Zwischendurch war immer wieder die Vertonung einer Kolumne von Christian Schmacht (Missy Magazine) zu hören, in der verschiedene AutorInnen über ihre Erfahrungen mit Sexarbeit berichten. Ihr könnt hier das ganze Mittagsmagazin nachhören – untenstehend findet ihr dann drei der Interviews, die Radio Corax separat veröffentlicht hat:

    Download: via AArchiv (mp3; 207.3 MB; 2:09:23)

Sexarbeit und Verdinglichung

Das Interview mit Theodora Becker beginnt mit der Geschichte des Internationalen Hurentags: Dem Huren-Streik am 02. Juni 1975 in Lyon, bei dem SexarbeiterInnen auch eine Kirche besetzten. Dann geht es um eine begriffliche Analyse der Sexarbeit und um verschiedene feministische Positionen zur Sexarbeit. Im Bezug auf ältere Beiträge von Theodora Becker ging es auch um die Fragen, inwiefern der Sexarbeit etwas Utopisches innewohnt, inwiefern sie Ausdruck patriarchaler Verhältnisse ist. Im Interview wird auch Bezug auf den Text genommen, den Theodora Becker in dem Sammelband „Grenzsteine – Beiträge zur Kritik der Gewalt“ veröffentlicht hat (zu diesem Sammelband siehe auch dieses Interview).

    Download: via FRN (mp3; 24 MB; 26:24 min)

Stopp dem Prostituiertenschutzgesetz!

Doña Carmen e.V. engagiert sich seit 1998 als Prostituiertenselbsthilfeorganisation für soziale und politische Anliegen von Prostituierten in Frankfurt am Main. Radio Corax sprach mit Juanita Henning über die Arbeit des Vereins, die Schwierigkeiten der Selbstorganisation von SexarbeiterInnen und über Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes. Im Interview kritisiert Juanita Henning auch eine Nähe zum Staat, die sie vielen SexarbeiterInnen-Vereinen vorwirft.

    Download: via FRN (mp3; 15 MB; 16:49 min)

Selbstorganisiertes Frühstück von Sexarbeiter*innen

Seit Anfang diesen Jahres findet in Leipzig in den Räumlichkeiten der RosaLinde e.V. ein selbstorganisiertes Frühstück von Sexarbeiter*innen statt. Das „Sexarbeitsfrühstück“ ist ein Format wo Sexarbeiter*innen der Gegend sich vernetzten und austauschen können, da es in Leipzig kaum Angebote für Austausch von Sexarbeiter*innen gibt. Violett, Mitinitiatorin des „Sexarbeitsfrühstück“, erklärt wie es dazu kam.

    Download: via FRN (mp3; 7 MB; 7:09 min)

Da hier größtenteils sex-positiv-feministische Positionen zu hören waren, sei – um die Debatte abzubilden – auch auf zwei Texte verwiesen, die Sexarbeit aus feministischer Perspektive kritisieren: Die Kritische Perspektive rezensiert das Buch „Being and being bought“ der schwedischen Feministin und Marxistin Kajsa Ekis Ekman, die darin eine materialistishe Kritik der Sexarbeit und der Sex-Industrie formuliert – hier. Huschke Mau kritisiert die linke Freude an der Prostitution – ein offener Brief zur Kritik an einem Antrag der Linksjugend Solid.

»Vorwärts und nicht vergessen!«

Sendereihe zur Geschichte der Oktoberrevolution

Vor einem halben Jahr sprachen alle über die Reformation und die Oktoberrevolution. Das Jubiläumsgedächtnis ist kurz – inzwischen wird mit 1968 die nächste Sau durchs mediale Dorf gejagt. Wir halten an dieser Stelle noch einmal inne und dokumentieren untenstehend eine Sendereihe, die Radio Corax im letzten Jahr gesendet hat. Die Sendereihe begleitete eine Veranstaltungsreihe über „100 Jahre Oktoberrevolution„, die von verschiedenen linksradikalen Gruppen in Leipzig organisiert wurde.

Im Rahmen von acht Sendungen wurden 24 Interviews zum Thema geführt. Im Folgenden dokumentieren wir sowohl die einzelnen Interviews, als auch die ganzen Radiosendungen. Das Hören der ganzen Sendungen lohnt sich insofern, als dass die SendungsmacherInnen die Beiträge und Interviews jeweils selbst noch einmal kommentieren und diskutieren – und natürlich sind die Sendungen mit thematisch passenden Musikstücken versehen. Auf die Mitschnitte der Vorträge der Veranstaltungsreihe – insofern vorhanden – verweisen wir in den jeweiligen Beschreibungen.

Sendung 1

Einführung in die Geschichte der Oktoberrevolution

Der Historiker Christoph Jünke gibt im Gespräch einen einführenden Überblick über Ursachen, Akteure, Verlauf und Entwicklung der Oktoberrevolution. Eine wichtige Fragestellung ist dabei, wie und mit welcher Notwendigkeit sich der Stalinismus durchgesetzt hat. Zu Beginn des Interviews kommt Bini Adamczak zu Wort. Im Jahr 2016 hat Radio Corax mit Christoph Jünke ein Interview über den „Großen Terror“ des Stalinismus geführt, das hier nachgehört werden kann. Jünke ist Herausgeber der Anthologie „Marxistische Stalinismuskritik im 20. Jahrhundert“ im Neuen ISP-Verlag.

    Download (via FRN; 49 MB; 36 min)

Revolution und Erlösung – Zur Ideengeschichte des Kommunismus

Um entgegen des materialistischen Selbstverständnis‘ des Kommunismus eine Ideengeschichte des Kommunismus zu skizzieren, muss Christian Schmidt (Uni Leipzig) ihm einen geheimen religiösen Gehalt unterstellen – dies war das Thema seines Vortrags im Rahmen der Leipziger Veranstaltungsreihe. Radio Corax hat vorab mit ihm über sein Vortragsthema gesprochen – der Mitschnitt des Vortrags findet sich hier (via AArchiv; 1:57:38; 188.5 MB).

    Download (via FRN; 19:23 min; 27 MB)

»Der Neue Mensch«

Rainer Rother und Alexander Schwarz haben bei „Absolut Medien“ eine Doppel-DVD unter dem Titel „Der Neue Mensch. Aufbruch und Alltag im revolutionären Russland“ herausgebracht. Darauf sind sowjetische Spiel-, Dokumentar‑ und Trickfilme aus den Jahren 1924 bis 1932 gesammelt. Roger Behrens, der die DVD in Konkret 10/2017 rezensiert hat, bespricht sie im Interview mit Radio Corax.

    Download (via FRN; 24 MB; 17:20 min)

■ Ganze Sendung

Im Gesamtmitschnitt der Sendung ist zusätzlich zu den oben dokumentierten Interviews auch eine Diskussion der Sendungsmacher über Sinn oder Unsinn von Geschichtspolitik enthalten.

    Download (via AArchiv; 160 MB; ca 2 h)

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Der Maulwurf und die Nelken

Krise & Revolution in Portugal

A toupeira e os cravos – Crise e Revolucão em Portugal – O rizoma … 1974 – 2014 / The mole and the carnations – crisis and revolution in Portugal – the rhizome … 1974 – 2014

This article includes one lecture in english language – please have a look at the third capture.

Im letzten Jahr hat die Leipziger Translib eine Veranstaltungsreihe anlässlich der vierzigsten Jährung der portugiesischen Revolution von 1974/75 organisiert. Nach dem Putsch vom 25.04.1974 gegen das faschistische Regime Salazars explodierten in Portugal die Klassenkämpfe und das Proletariat begann sich in großen Teilen in Räten und Komitees selbst zu organisieren. Gegen diese Selbstorganisierungsansätze setzte sich in Portugal nach erheblichen Auseinandersetzungen schließlich die bürgerliche Demokratie durch – die radikalen Tendenzen der »letzten sozialistisch orientierten Revolutionsbewegung der Arbeiter_innen und der Landarmut im alten Europa« sind heute nahezu vergessen. Die Translib hat es sich im Zuge der Veranstaltungsreihe zur Aufgabe gemacht, diesem Vergessen entgegenzuwirken und zahlreiches Material zutage befördert. Dabei ging es nicht um eine rückblickende Glorifizierung dieser Bewegung, sondern um eine Aufarbeitung – so wurde etwa im Rahmen der Reihe immer wieder der Sexismus der Arbeiterbewegung Portugals jener Zeit problematisiert und die Rolle der Frauen herausgearbeitet. Wir dokumentieren im Folgenden die Mitschnitte der Veranstaltungsreihe. Wir hatten damals bereits schon ein Interview zur Veranstaltungsreihe dokumentiert, das gut zur Einführung und Einstimmung gehört werden kann.

Die Veranstaltungsreihe „Der Maulwurf & die Nelken“ / „Topeira e Cravos“ hat zum Gegenstand die revolutionäre communistische Tendenz in der bürgerlichen Gesellschaft, die in den Ereignissen um die „Nelkenrevolution“ in Portugal vor allem in den Jahren 1974 und 1975 als wirkender Faktor in Erscheinung trat. Dieser Teil der Geschichte, als eine von Klassenkämpfen, ist heute weitgehend vergessen oder überhaupt unbekannt, und an seiner Stelle steht das spektakuläre Bild der Aktionen von Militärs und Politikern. Dabei war der Putsch vom 25.4.1974 gegen das faschistische Regime der Anlass zu einer regelrechten Explosion der Klassenkämpfe, die sich schon durch die vielen Streiks und Demonstrationen der Arbeiter_innen Ende 1973 angekündigt hatte, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die portugiesische Gesellschaft in einer tiefen Krise befand. Der proletarische Maulwurf wühlte eben schon, bevor die Nelken zu blühen begannen, die dann zum Symbol des friedlichen Umsturzes des faschistischen Salazar/Caetano-Regimes geworden sind. Diese Periode des Klassenkampfes, die in Portugal als „Processo Revolucionário Em Curso” (anhaltender revolutionärer Prozess; abgekürzt: PREC) bezeichnet wird, begann mit einer großen Welle von Streiks und Demonstrationen. Sofort strömten die Menschenmassen spontan auf die Straße, feierten das Ende des alten Regimes und nahmen den Kampf gegen die faschistischen Überreste in der Gesellschaft (zunächst die Geheimpolizei sowie Faschisten in der Leitung verschiedener Unternehmen) selbsttätig auf. Am 1.Mai 1974 war der Aufbruch von Millionen Menschen auf den Straßen der deutlichste Ausdruck des allgemeinen Willens zur Emanzipation von den alten Mächten. Am Vorabend, dem 30. April („Walpurgisnacht“!) hat sich die organisierte Frauenbewegung in Portugal gegründet – die MLM. Wie schwer sie es hatte, machte aber auch zugleich die fatale Rückständigkeit des proletarischen „Maulwurfs“, seine Blindheit deutlich ! Immerhin: überall gab es nun Streiks und Fabrikbesetzungen, und die Arbeiter_innen organisierten sich selbst, unabhängig von den gewerkschaftlichen Apparaten, um ihre Interessen durchzusetzen und teilweise sogar die Produktion in die eigenen Hände zu nehmen. Auch wurden schliesslich viele Ländereien besetzt, und die Landarbeiter_innen schlossen sich zu Kooperativbetrieben zusammen, begannen sich so aus der Armut und Ohnmacht zu befreien. Nachdem im März 1975 noch einmal ein rechter Putschversuch von Arbeiter_innen und Soldaten abgewehrt werden konnte, wurden zunehmend Fragen der Selbstbewaffnung und der Bildung revolutionärer Räte aufgeworfen. Dieser Macht-Klärungsprozess spitzte sich bis Ende 1975 immer weiter zu und konnte erst durch eine große polizeiliche Aktion der unter dem Schutz der „sozialistischen“ Militärdiktatur neuentstehenden bürgerlichen Demokratie unterbunden werden.

Im offiziellen Gedächtnis ist wenig Wahres von dieser abgebrochenen Revolution übrig geblieben. Die Rolle des Proletariats als Maulwurf und Unterminierer der alten feudalen, kolonialen und ebenso der modernen bürgerlichen Gesellschaft und seine Wühlarbeit als revolutionäre Subversion in den Klassenkämpfen wird kaum begriffen, ist aber darum noch lange nicht aus der Welt geschafft. Das Rhizom bleibt! Denn der gesellschaftliche Gegensatz von gesellschaftlicher Arbeit und privatem Klasseneigentum, der immer wieder zur Krise und zum Klassenkampf treibt, wie die Ereignisse der letzten 6 Jahre auf der ganzen Welt mal wieder gezeigt haben, besteht weiterhin und zwingt uns bei Strafe des Untergangs, ihn auf eine neue Weise aufzuheben. Um den schon begonnenen, aber bisher immer wieder gescheiterten Übergang zu einer communistischen Produktions- und Verteilungsweise erneut anzugehen, müssen wir die revolutionären Versuche der Vergangenheit genau studieren, um nicht dem geschichtlichen Wiederholungszwang zu verfallen, ihre alten Fehler erneut zu begehen. An der „portugiesischen Erfahrung“ können wir vor allem lernen, wie und um welchen Preis das Proletariat die politische Macht an das Militär oder an staatstragende Parteien – trotz ihrer vorübergehenden „sozialistischen“ Programme stets die Hüter der bürgerlichen Eigentumsordnung – abgeben kann und wie es passiert, dass wir im Schatten unserer Repräsentation alle unsere Möglichkeiten aufgeben können, endlich zur geschichtlichen Macht, zum selbstbewussten Subjekt zu werden, das heisst für unsere eigene Aufhebung als Proletariat, als Objekt der Lohnsklaverei. Die Zahlungsbilanz der sozialen Kämpfe an Europas Peripherie wirft nach 40 Jahren im Zentrum der neuen Krise unweigerlich, auf allen Ebenen die Frage der Abrechnung auf. [via]

1.) „Nelkenrevolution“ – 40 Jahre PRECärer Aufbruch in Portugal

Die Veranstaltungsreihe wurde mit einer kommentierten Lesung eröffnet. Nach einer Einleitung zum Titel und zur Intention der Reihe begann die Lesung mit einem Auszug des Textes „Wer hat die Macht in Portugal?“ von Maren Sell aus dem Sommer 1974, worin die Vorgeschichte der Revolution und die Ereignisse und Stimmungen unmittelbar nach ihrem Ausbruch beschrieben werden. Im Text „Portugal vor der Entscheidung“ von Tony Cliff aus dem Herbst 1975 wird dann die Dynamik und Entfaltung der Klassenkämpfe beschrieben. Der Text „Der soziale Krieg in Portugal“ des Situationisten Jaime Semprun charakterisiert die Klassenauseinandersetzungen im Zuge der portugiesischen Revolution und bezieht sich dabei vor allem auf die Ereignisse des Jahres 1975. Der Text des Trotzkisten Peter Robinson, „Arbeiterräte in Portugal 1974/75“, aus dem Jahr 2010 enthält Beschreibungen der rätemäßigen Organisierung der Arbeiter, wobei er die Auseinandersetzung um die Selbstverwaltung mehrer Zeitungen fokussiert, und beschreibt das Auslaufen des revolutionären Prozesses. Der Text „Die portugiesische Erfahrung“ des Zeitzeugen Charles Reeve versucht eine Auswertung der gescheiterten Revolution und eine Bestimmung ihrer inneren Schranke, die er vor allem in der Fixierung auf das Militär sieht. Der zweite Teil widmet sich der Erfahrung von Frauen, die an der Revolution teilgenommen, sich in ihrem Zuge ebenfalls selbst organisiert haben und die dabei auf erheblichen Widerstand der Männer gestoßen sind. So werden Auszüge aus den „Neuen Portugiesischen Briefen“ von Maria Isabel Barreno, Maria Teresa Horta und Maria Velho da Costa verlesen. Außerdem wurden einige Stellungnahmen und Flugblätter der Movimente de Libertação das Mulheres (MLM, Bewegung zur Befreiung der Frauen) verlesen. Eine Literaturliste der verlesenen Texte gibt es hier (PDF). Ein Video von dem in der Lesung erwähnten Angriff auf eine feministische Demonstration in Lissabon kann hier gesehen werden, ein Flugblatt der MLM, das auf dieses Ereignis reagiert, gibt es hier.

“A Revolucâo dos Cravos“ – 40 anos de partida PRECária – „Nelkenrevolution“ –40 Jahre PRECärer Aufbruch in Portugal

Wir wollen diese „vergessene Revolution“ am Rande Europas ins Zentrum der Gegenwart, unserer Wahrnehmung bringen – in eine heute noch weiter verschärft krisenhafte Aktualität, deren Alltag ähnlich prekär ist für lohnabhängige Menschen überall, wie sie es bei dem Aufbruch in Portugal vor 40 Jahren war. Und diese – wie jede – Revolution war selbst äusserst brüchig, ja gebrochen, eben prekär: so in ihrer Klassenzusammensetzung, ihren widerspruchsvollen sozialen Interessen-Triebkräften, was in ihrem politischen Durchbruch, Aufbruch und Abbruch als Tumult und „Chaotisierung“, als „Ordnung“ und „Demokratisierung“ erschien. So im Geschlechterverhältnis, im Aufbruch der Frauen aus dem klerikal-faschistischen und unterentwickelt-kapitalistischen Muff patriarchalischer Ausbeutung … Und auch der feministische Emanzipationsanlauf brach sich zunächst noch während jener Revolution an dem Machismo und Sexismus, der in Portugal – natürlich nicht nur dort — bis heute fast ungebrochen dominant geblieben ist.

Aus Anlass der Gründung der portugiesischen Frauenselbstbefreiungsorganisation MLM (Movimento de Libertaçâo das Mulheres) am 30.April 1974 — wenige Tage nach dem Miltärputsch der antifaschistischen Offiziere & Hauptmänner und am Vorabend des 1.Mai, an dem „die Arbeiterklasse und das Volk“ in Portugals Zentren massenhaft als revolutionäres Subjekt, aber auch als bloße Repräsentation auf die Bildfläche trat – in dieser „Walpurgisnacht“ ist die translib ein Ort der Zugänge und des Zusammentreffens: von Bildern und Dokus, Analysen und Stimmen aus jenen Tagen sowie kritischen Blicken der Jetztzeit … Eine Fete ohne Folklore und Tanz in den Mai. Ein Büffet mit Portwein soll es aber geben. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 153 MB; 2:47:09 h)
    Hören bei Youtube: Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

2.) Die Abrechnung steht noch aus – 40 Jahre Klassenkämpfe in Portugal

Am 20. Juni 2014 waren im Rahmen der Portugal-Reihe Charles Reeve und Ricardo Noronha zu Gast. Charles Reeve war selbst an der portugiesischen Revolution beteiligt und hat seit dem mehrere Texte über die revolutionären Prozesse aus linkskommunistischer Sicht veröffentlicht. Nach einer Einleitung durch die Translib referiert Reeve auf portugiesisch und wird von Cornelia Döll ins Deutsche übersetzt. Charles Reeve geht es in seinem Vortrag vor allem darum, mehrere Mythen zu zerstören: Ein demokratischer Teil der Armeeführung habe die Revolution gemacht und das faschistische Regime gestürzt; die Portugiesische Revolution sei eine Revolution gewesen, die das heutige bürgerlich-demokratische System erreichen wollte; die Portugiesische Revolution sei ein staatssozialistischer Putsch gewesen. Außerdem skizziert er die Schwierigkeiten der ökonomischen Organisierung des Landes im Zuge der revolutionären Prozesse und sucht nach Ursachen für das Scheitern der Revolution. Immer wieder setzt er sich dabei mit Äußerungen Guy Debords zur Portugiesischen Revolution auseinander.

Ajustar contas ainda abertas – 40 anos de luta de classes em Portugal. Debate acerca da “Revolução dos Cravos/PREC”, com um participante e um activista de Portugal (colaboradores da revista “Tranvía” e do Vol. 15 da “Biblioteca da Resistência”)

Die Abrechnung steht noch aus – 40 Jahre Klassenkämpfe in Portugal. Diskussionsveranstaltung zur „Nelkenrevolution / PREC“ mit Charles Reeve und Ricardo Noronha

Es gibt Orte und Jahreszahlen, die in linken Ohren sofort vertraut klingen und bei Vielen eine Flut von Assoziationen, Bildern und Namen hervorrufen. St. Petersburg 1917, Barcelona 1936 oder Paris 1968 sind längst zu mythischen Chiffren für die Siege und Niederlagen der sozialen Revolution geworden. „Lissabon 1974“ bringt dagegen nichts zum Klingen, ruft keine Namen, Bilder und Parolen hervor. Lissabon 1974 steht in keiner lebendigen Beziehung mehr zu uns, und das wofür die Chiffre einsteht, ist nahezu völlig aus dem historischen Bewusstsein einer sich revolutionär verstehenden Linken gelöscht. Und das obwohl – oder vielleicht: gerade weil – das, was am 25. April 1974 in Lissabon mit einem linken Militärputsch in Gang kam, sich rasant zu der radikalsten und umfassendsten sozialen Revolution ausweitete, die Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg erschüttert hat. Denn auf die Absetzung eines faschistischen und kolonialistischen Regimes folgte in Portugal eine riesige Bewegung der Besetzungen, die sich innerhalb weniger Monate zehntausende Wohnhäuser, Betriebe und Landgüter aneignete und sie unter die räteförmige Selbstverwaltung der ausgebeuteten Klassen stellte. Seither gab es wohl keinen praktischen Angriff auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse mehr, der den herrschenden Klassen so gefährlich geworden wäre!

Wir möchten an diesem Abend über jene Ereignisse diskutieren. Dafür konnten wir mit Charles Reeve und Ricardo Noronha zwei ganz besondere internationale Gäste gewinnen.

Charles Reeve (*1945) desertierte 1967 aus der portugiesischen Kolonialarmee und lebt seitdem im Pariser Exil. Er war in den Jahren 1974/75 aktiver Teilnehmer des revolutionären Prozesses in Portugal. Bereits im Frühjahr 1976 legte er eine kritische Analyse des Scheiterns der „Nelkenrevolution“ in seiner Broschüre Die portugiesische Erfahrung vor. Die hierin enthaltenen Einsichten sind bis heute maßgebend und wurden von Reeve in mehreren über die letzten 40 Jahre verfassten Artikeln und Essays zum Thema kontinuierlich vertieft, zuletzt in seinem neusten Text Das Unvorhersehbare – unser Territorium. Reeve schreibt unter anderem für die Zeitschrift Wildcat und berichtet seit den 1970ern aus verschiedenen Kontinenten über die Kämpfe und Lebensbedingungen eines in permanenter Umwälzung begriffenen Weltproletariats. Zuletzt erschien 2001 von ihm Die Hölle auf Erden. Bürokratie, Zwangsarbeit und Business in China in deutscher Übersetzung bei Edition Nautilus.

Ricardo Noronha arbeitet als Sozial- und Wirtschaftshistoriker am Institut für Zeitgeschichte der Universität Lissabon. Er forscht vor allem zur Einbindung des semi-peripheren Portugal in die europäische und weltkapitalistische Ökonomie und zur Nationalisierung des Bankwesens im Rahmen der „Nelkenrevolution“ (siehe seinen Aufsatz “Die Banken im Dienste des Volkes” in dem Buch “Portugal 25. April 1974 – Die Nelkenrevolution” vom Laika-Verlag). Unlängst veröffentlichte er unter dem Titel Never has a winter been so long ein Thesenpapier auf der Homepage der Gruppe Affect (New York), in dem er seine Einschätzung der komplizierten Konflikte und Alternativen 1974-75 prägnant verdichtet. In der Vergangenheit hat Noronha sich auch mit dem Spanischen Bürgerkrieg 1936-39, dem italienischen Operaismus und der Situationistischen Internationale auseinandergesetzt.

Gemeinsam wollen wir danach fragen, wie und warum die damals durch die Aktion der Ausgebeuteten kurzfristig eroberten ungeheuren Möglichkeiten zur Emanzipation wieder zerschlagen werden konnten? Welche Rolle spielten Staat und Kapital, aber auch die linken Organisationen, also Sozialdemokraten und Gewerkschaften, Parteikommunisten und linksradikale Grüppchen in dieser Auseinandersetzung? Worin bestanden die entscheidenden Schwächen der Bewegung, die eine teils gewaltsame, teils „samtene“ Konterrevolution möglich machten? Und nicht zuletzt: wo stehen Portugal und die portugiesische Bewegung heute, nach 40 Jahren bürgerlicher Konterrevolution und 5 Jahren Schuldenkrise? [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 66.1 MB; 1:12:09 h)
    Hören bei Youtube: Einleitung | Referat Charles Reeve

3.) Revenge is still outstanding – 40 years of class struggles in Portugal

After a progressive military coup against the fascist Salazar-regime in april 1974 the class struggles exploded in Portugal. What happened then is known as the PREC (permanent revolutionary process): the working class started to organize itself in councils and neighborhood-comittees, workers started to takeover factories and poor farmers began to collectivize the acres. The PREC was ended by a social-democratic counter-coup in november 1975. On 20.06.2014 the historian Ricardo Noronha (Lissabon) was guest of the Translib (a self-organized, far-left-communist library in Leipzig) and talked about the PREC. He held a well-informed lecture about the economic, political, military and psychological reasons of the revolution, described it’s course and how it was possible, that the proletariat first started to organize autonomous in a radical way but then the state was able to takeover the organization of the workers. In his opinion the revolution is still current and it is present in the mind of many people in Portugal. Also in the recording of the discussion you get many interesting informations about the PREC – in the discussion you can also hear Charles Reeve, a left-communist who participated in the PREC. Sorry for any mistakes in this english description.

Download: Lecture (mp3; 30.4 MB; 33:10 min) | Discussion (mp3; 62.3 MB; 1:07:59 h)

Familienverhältnisse

1.) Liebe, Autonomie und Arbeitsteilung – Zur politischen Ökonomie der Paarbeziehung

Am 04. März 2015 hat Sarah Speck (u.a. Hg. von Kitchen Politics) in der Translib Leipzig einen Vortrag über geschlechtliche Arbeitsteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen gehalten. Grundlage ihres Vortrags war eine Studie, die sie gemeinsam mit Cornelia Koppetsch und Alice Jockel an der TU Darmstadt durchgeführt hat. In dieser Studie wurden Paare befragt, in denen der Mann einer atypischen Beschäftigung nachgeht oder erwerbslos ist und die Frau das Haupteinkommen bezieht. In der Befragung wurde dann ein Fokus auf die gemeinsame Ökonomie und auf Fragen der Reproduktion gelegt. Im Vortrag stellt sie drei Fallbeispiele aus drei verschiedenen Milieus vor: dem klassischen Arbeitermilieu, dem wertkonservativen Milieu und dem akademisch/urbanenen Kreativ-Milieu. Dabei wird deutlich, dass individualisierte Paare aus dem „großstädtischen Selbstverwirklichungsmilieu“ den ökonomischen Charakter gemeinsamen Haushaltens wesentlich mehr verschleiern und dadurch klassische Rollenverteilungen reproduzieren, als dies bspw. im wertkonservativen Milieu der Fall ist. Diese Verschleierung findet paradoxer Weise mit Hilfe einer Vorstellung von Geschlechtergleichheit statt.

Möchte man die Stabilität der Geschlechterverhältnisse verstehen, so genügt es nicht, auf Ehegattensplitting und Gender Pay Gap zu fokussieren. Ein detaillierter Blick ins ‚Private‘ und den Alltag heterosexueller Paare offenbart, dass zentrale Gründe für die Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung woanders liegen – in latenten Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen, aber auch in gegenwärtigen Idealen, etwa der Vorstellung von Geschlechteregalität selbst und in der Reproduktion von Klassenverhältnissen. Der Vortrag möchte den Zusammenhang von Ökonomie und Geschlecht, der derzeit vielerorts erneut diskutiert wird, durch eine spezifische Perspektive auf die Ökonomien und Aushandlungsprozesse des Alltags lenken und stellt die altbekannte Frage neu: Was ist aus feministischer Perspektive zu tun? [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 43.2 MB; 47:14 min)
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2.) Über Familie, Kinder und die radikale Linke

Im Rahmen der Reihe „Die Untüchtigen“ haben Feline Nowak und Doris Liebscher (Phase 2) am 12.10.2014 im Hamburger Golem einen Vortrag über historische, rechtliche und geschlechterspezifische Aspekte der Familie gehalten. Zu Beginn hat Doris Liebscher eine historische Bestimmung der Familie als Norm gegeben, wobei sie einen Fokus auf rechtliche Bestimmungen und damit verbundene Probleme gelegt hat. Ausgehend von der Feststellung, dass die Familie als Norm gegenwärtig bröckelt, ist Feline Nowak dann der Frage nachgegangen, wieso dennoch eine Rekonstituierung der traditionelen Familiennorm festgestellt werden kann. Insbesondere legt sie einen Fokus auf das Kinderkriegen, das die Beziehung der Eltern zum Staat in der Regel intensiviert, und problematisiert den Umgang mit Elternschaft und damit verbundenen Rollenmustern innerhalb linker Zusammenhänge. Liebscher geht dann auf Familienmodelle ein, die nicht der Norm entsprechen und zeigt auf, welche rechtlichen Probleme solche Familien haben. Zum Schluss ziehen sie ein Fazit und stellen einige Forderungen auf, die m.E. recht reformistisch bleiben. Dies ist dann auch Gegenstand der Diskussion: in mehreren Redebeiträgen wird die Fixierung auf rechtliche Regelungen kritisiert.

Familie gilt als der kleinste Zusammenschluss, in dem sich Gesellschaft reproduziert und die jeden und jede nachhaltig formt. Diese Einheit hat sich historisch enorm verändert. Bürgerliche Familienstrukturen haben die letzte Generation womöglich mehr geprägt, als die gegenwärtige. Doch die vorsichtige Liberalisierung des Konzeptes Familie kann nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor zutiefst ideologisch durchtränkt ist.

Die Familie, im Sinne einer auf Blutsverwandtschaft beruhenden Verbindung mehrerer Generationen, ist in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durch zwei Momente charakterisiert: Als Mini-Enklave stellt sie einerseits einen Raum dar, in dem zwischenmenschliche Beziehungen anders realisiert sind, als die übrigen, durch kapitalistische Denkweisen geordneten Verbindungen. Als solche kann sie den Einzelnen als Schutzraum dienen, in dem – zumindest dem Ideal nach – Beziehungen mehr als irgendwo sonst von Liebe und Verbindlichkeit geprägt sind. Andererseits war die Familie immer auch eine, wenn nicht autoritär, so zumindest hierarchisch strukturierte Gemeinschaft im Kleinen, die die Voraussetzungen dafür schuf, eben das zu reproduzieren, wovor sie zu schützen vorgab. Es ist eine zentrale Aufgabe der Familie, die Reproduktion der Individuen nach den Erfordernissen gesellschaftlicher Bedingungen zu garantieren. Aus dieser Perspektive erfüllt die traditionell verstandene Familie eine zutiefst ambivalente Funktion.

Wer die traditionelle geschlechtliche Ordnung, die die Familie vorzugeben vermag, nicht annehmen möchte, wer als Eltern Betreuung und Fürsorge eines Kindes wie auch individuelle Freiheit zu gleichen Teilen wahrnehmen oder auch nur sein Kind jenseits von geschlechtlichen Stereotypen großziehen möchte, der/die wird sich unangenehm mit dem Einbruch der gesellschaftlichen Realität in der ehemals als von dieser relativ unabhängig betrachteten Privatsphäre konfrontiert sehen.

In einem ersten Teil der Veranstaltung wird Feline Nowak darstellen, warum mit der Geburt das private Leben noch offensichtlicher zum Feld politischer Auseinandersetzungen wird und sich politische Prämissen wie die Gleichheit zwischen den Geschlechtern und die Selbstbestimmungsfreiheit des Individuums nun noch schwerer umsetzen lassen. Das heißt aber auch, dass neben aller notwendigen Gesellschaftskritik eine Beschäftigung mit Familie gleichfalls eine individuelle Perspektive und die dort vorhandenen Handlungsspielräume erfassen sollte. Im zweiten Teil der Veranstaltung wird Doris Liebscher sich mit dem Familienkonzept im bürgerlichen Recht auseinandersetzen und aufzeigen, wie vor allem Mehrelternschaft, Transelternschaft und soziale Wahlverwandtschaft sowohl das traditionelle Familienverständnis wie auch das Recht gleichermaßen herausfordern. In Bezug auf die Übernahme von Sorgeverantwortung, die Weitergabe von Kapital oder die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung sind die Familienpolitik und Familienrechtssprechung weiterhin am traditionellen Familienkonzept orientiert, denn das deutsche Familienrecht stellt unmissverständlich die Abstammung über alles andere. Um die sozialen, politischen und rechtlichen Einschränkungen, die mit dem aktuellen Familienmodell einhergehen, zu überwinden, werden an diesem Abend von den Referentinnen auch emanzipative Familienmodelle wie die Freundschaftsfamilien und soziale Elternschaften diskutiert. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 104.9 MB; 1:54:14 h)
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Sex als Lohnarbeit

Kaum eine Debatte ist so moralisch aufgeladen wie die um Prostitution. Die Frage, ob Prostitution per se als Unterdrückung von Frauen verurteilt werden soll oder ob nicht vielmehr die Selbstorganisierung von SexarbeiterInnen ein sinnvoller Ansatz ist, zieht einen Graben auch durch feministische Zusammenhänge. Wir dokumentieren im Folgenden mehrere Beiträge, die für letztere Position argumentieren und die eine Kritik an der moralischen Verurteilung von Prostitution formulieren.

1.) 17 Grad – Prostitution ist …

In einer Themensendung von 17 Grad wurde im letzten Jahr die Prostitution behandelt. Vor allem werden Argumente von Prostitutionsgegnern unter die Lupe genommen und kritisiert. Davon ausgehend wird eine ökonomische und klassen-analytische Betrachtung der Sexarbeit entwickelt. Immer wieder wird dabei auf den Text „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ von Friedrich Engels zurückgegriffen. Die Sendung basiert auf Texten von Nichtidentisches und von Helen Ward.

„Prostitution ist nur ein besonderer Ausdruck der allgemeinen Prostitution des Arbeiters”. Dieses Zitat von Marx könnte suggerieren, dass Prostitution für unsere Hörerinnen und Hörer eine recht klare Sache ist. Stattdessen hat sie sich als wahre Herausforderung erwiesen – und die Positionen Linker erstrecken sich von der Befürwortung von Repression und Abschaffung auf der einen Seite zur Entkriminalisierung und gewerkschaftlichen Organisierung auf der anderen Seite. [via]

    Download: via Mediafire (mp3; 92.3 MB; 59:59 min)

2.) Melissa Grant – Hure spielen

Im Rahmen der Reihe „Die Untüchtigen“ war im letzten Jahr die Autorin Melissa Grant im Hamburger Golem zu Gast. Im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal hat sie ihr Buch „Hure Spielen“ vorgestellt, das im letzten Jahr bei Edition Nautilus erschienen ist. Es geht Melissa Grant in diesem Buch darum, die Perspektive umzudrehen: nicht über SexarbeiterInnen und deren Schicksal zu reden, sondern über jene, die sich anmaßen, für Prostituierte zu sprechen. So lässt sich herausfinden, dass es in diesen Debatten meist nicht in erster Linie um die SexarbeiterInnen selbst geht, sondern um eine moralische Legitimation einer Reihe von Berufen: Polizei, Journalismus, Sozialarbeit, etc. – von Melissa Grant zusammengefasst als „Mitleidsindustrie“. Auf der Veranstaltung wurde zunächst Melissa Grant vorgestellt und ein Auszug aus ihrem Buch vorgelesen. Dann beantwortet sie einige Fragen, wobei es viel um einen Vergleich der amerikanischen und europäischen Verhältnisse geht.

Buchvorstellung, Gespräch »HURE SPIELEN – DIE ARBEIT DER SEXARBEIT« mit: Melissa Grant & Mithu M. Sanyal

Während die Bundesregierung an Änderungen zum Prostitutionsgesetz arbeitet, die bis Jahresende vorgenommen werden sollen, ist es in der öffentlichen Debatte zur Prostitution stiller geworden. Doch nun meldet sich in Deutschland eine junge amerikanische Stimme zu Wort: Melissa Gira Grant – ehemals Sexarbeiterin, heute Journalistin – stellt mit ihrem Buch »Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit« die Debatte vom Kopf auf die Füße und attackiert all jene, die Prostitution zum Wohle der Frauen verbieten wollen. Sie lässt Sexarbeiterinnen (und Sexarbeiter) selbst zu Wort kommen und zeigt auf, dass nicht die Arbeit der Sexarbeit eine Zumutung ist, sondern deren Kriminalisierung: entwürdigende Polizeieinsätze, Illegalität, gewalttätige Übergriffe und Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Außerdem stellt Grant eine Verknüpfung her zwischen dem Umgang mit dem Thema Sexarbeit zu einer Reproduktion klassischer Geschlechterrollen und entlarvt die Position von Alice Schwarzer & Co. als paternalistischen Willen zur Kontrolle. Grants kluge Analyse liefert eine sachliche und differenzierte Auseinandersetzung mit einem hochaufgeladenen Thema. Im Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Mithu M. Sanyal stellt Grant ihr Buch vor und diskutiert über die Situation von Sexarbeitern in Deutschland. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 229.3 MB; 1:40:08 h)

Ein Interview mit Melissa Grant im Spiegel findet sich hier.

3.) Carolin Küppers – Diskurs über Sexarbeit und Menschenhandel während der WM in Südafrika

Interessanterweise gibt es immer wieder dann Wellen von moral panic über Prostitution, wenn internationale Sport-Events stattfinden – oft werden dabei Sexarbeit und Menschenhandel unzulässigerweise miteinander vermengt und nicht selten wird dabei rassistisch argumentiert. Im Rückblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika hat die Wüste Welle Tübingen ein Interview mit der Soziologin Carolin Küppers geführt, die über den Diskurs über Prostitution und Menschenhandel geforscht und dabei auch mit südafrikanischen SexarbeiterInnen gesprochen hat. Im Interview geht es dabei auch sehr grundlegend um den Charakter und die gesellschaftliche Bewertung von Sexarbeit sowie um unterschiedliche feministische Positionen zu diesem Thema. [Teil 1 | Teil 2]

Teil 1

    Download: via FRN (mp3; ; 15:27 min)

Teil 2

    Download: via FRN (mp3; 10 MB; 13:29 min)

Radio Dreieckland hat anlässlich ähnlicher Debatten im Vorfeld der WM in Brasilien ein hörenswertes Interview mit Friedrike Strack geführt, die lange Zeit bei Davida, einer brasilianischen Prosituiertenorganisation, gearbeitet hat. Dieses Interview kann hier gehört werden.

4.) Welche Prostitution wollen wir? Prostitutionsverbot – Problemlöser oder Populismus?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Die Welt am Donnerstag“ (ein Projekt der WOZ und der Autonomen Schule Zürich) fand am 05.02.2015 eine Gesprächsrunde mit Rebecca Angelini (Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration) und Brigitte Obrist (ehemalige Prostituierte und ehemalige Projektleiterin bei der Aidshilfe Schweiz) statt. Anlass der Diskussion sind zunehmende rechtliche Reglementierungen für SexarbeiterInnen in der Schweiz und zunehmende Stimmen, die eine Bestrafung von Freiern fordern. Beide berichten aus den Erfahrungen von SexarbeiterInnen, plädieren für eine klare Trennung zwischen Sexarbeit und Menschenhandel, fordern eine Verbesserung der Arbeitsverhältnisse von SexarbeiterInnen und kritisieren jegliche Verbotsforderungen und z.B. das Schwedische Modell. Rebecca Angelini macht in der Diskussion eine Sache klar, die m.E. sehr wichtig ist: Wer es für problematisch hält, dass Frauen mehr oder weniger unfreiwillig im Bereich der Sexarbeit ihr Geld verdienen, der sollte anstatt ein Verbot der Sexarbeit zu fordern, vor allem die Ursachen dafür bekämpfen, dass zahlreiche Frauen eine äußerst beschränkte Berufswahl haben – nämlich die europäische Flüchtlingspolitik.

WELCHE PROSTITUTION WOLLEN WIR? Prostitutionsverbot – Problemlöser oder Populismus?

Die Frage, ob Prostitution verboten oder legalisiert werden soll, entzweit Europas Feminist_innen. Wenn es nach Alice Schwarzer geht, ist der Fall klar: Prostitution fördert den Menschenhandel und gehört verboten, die Freier müssen bestraft werden. In der Schweiz kommt ein Expertenbericht des Bundesrats zu einem anderen Befund: Prostituierte sollen rechtlich gestärkt werden. Politische Vorstösse von links bis rechts, die von Besserstellung bis zum Verbot des Gewerbes reichen sowie der vorliegende Expertenbericht: 2015 wird das Jahr sein, in dem in der Schweiz politisch die Weichen gestellt werden, welcher Weg eingeschlagen wird. [via]

    Download: via FRN (mp3; 54 MB; 59:28 min)

Nicht nur in der Schweiz, auch in Deutschland werden Debatten darüber geführt, Sexarbeit zu reglementieren und wichtige Errungenschaften zurückzunehmen. Hierüber hat im letzten Jahr Sonja Dolinsek ein Interview bei Radio Corax gegeben, welches hier nachgehört werden kann.

Das Ex-Magazin hat im letzten Jahr einen offenen Antwortbrief von Sascha Bergthal an Tanja Rahm veröffentlicht, die zuvor in der Welt ihrerseits einen Offenen Brief geschrieben hatte. Beiträge zum Thema im Audioarchiv findet ihr hier: Leib ohne Trieb – Von der Prostitution zur Sexarbeit | Femen und der Feminismus.

Immer wieder immer noch

Im Sprechen über das Geschlechterverhältnis kommt es zum Schwanken zwischen der Beschwörung eines gesellschaftlichen Fortschritts, der das Patriarchat mindestens in Recht und Ökonomie längst überwunden habe, und der weitere Gleichstellungsbemühungen einfordernden Aufzählung von Missständen, von denen Frauen nach wie vor betroffen sind, sei es die Alltäglichkeit von sexualisierter Gewalt, die »gläserne Decke« oder die schlechtere Bezahlung gegenüber Männern. Ausgehend von der Erfahrung, dass feministisches politisches Handeln allzu oft lediglich weibliche Handlungsfähigkeit überhaupt demonstrieren oder herstellen soll, plädiert Karina Korecky dafür, Fortschrittserzählungen gegenüber skeptisch zu sein und den gesellschaftlich bedingten Wiederholungszwang ernstzunehmen, der feministische Selbstermächtigungsversuche in diese – theoretisch wie praktisch – stets von vorn beginnende Position nötigt. Diesen Gedanken entwickelt sie im Gespräch mit einer Redakteurin der Sendung Studio F vom FSK Hamburg, dessen Thema feministische Geschichtsschreibung ist und den ich im Folgenden dokumentieren möchte. Er findet sich ebenfalls formuliert in weiteren von Koreckys Vorträgen sowie einem Text in der aktuellen Printausgabe der Konkret (10/2014).

Hören:

Download: mp3 via AArchiv | mp3, ogg via archive.org (0:36 h, 22 MB)

Vielen Dank an die Redakteurin für die Bereitstellung der Sendung!

Kein Kavaliersdelikt

Die Ex-Magazin-Redaktion dokumentiert einen Vortrag der Gruppe Les Madeleines zur Kritik der Definitionsmacht, über die in Berlin wieder mal diskutiert wird – wahlweise herunterzuladen via Hightail oder via AArchiv. Material zur Kritik des Konzepts findet sich hier, Texte zur Begründung und Verteidigung der Definitionsmacht hier, hier und hier.

Hysterie

Der Wahnsinn des Weibes – oder: Sternstunden patriarchaler Wissenschaft

Das Krankheitsbild der Hysterie und seine Geschichte geben ein eindrückliches Beispiel von den sexistischen Gehalten männlich dominierter Wissenschaft, wurde der Hysterie und somit der Gebärmutter doch alles zugeschlagen, was am »Weib« vermeintlich unerklärlich und/oder krankhaft war. Die folgenden Beiträge aus dem Öffentlich-Rechtlichen zeichnen die Geschichte der Hysterie mit unterschiedlichen Schwerpunkten nach.

1. Die wandernde Gebärmutter – Eine Kulturgeschichte der Hysterie (2012)

Diesmal führt die Reise von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, immer auf den Spuren eines medizinischen Irrglaubens – in die Welt gesetzt von Männern, zu Lasten der Frauen.

Download: via br.de (0:24 h, 21 MB)

2. Hysterie – Die Geschichte eines Krankheitsbildes (2012)

„Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt. Bleibt es lange Zeit unfruchtbar, so erzürnt es sich und erzeugt allerlei Krankheiten!“ So heißt es bei Platon. Vom griechischen Wort für Gebärmutter ist die Bezeichnung Hysterie abgeleitet. Die Hysterieforschung brachte Freuds Psychoanalyse hervor. Autorin: Ulrike Rückert

Download: br.de (0:11 h, 9 MB)

3. Theatrum Hystericum. Der Siegeszug/kurze Glanz eines Nervenleidens (2013) Hörenswert

Das SWR2-Feature von Christine Wunnicke legt den Schwerpunkt auf das fin de siècle, eine Zeit, in der die Hysterie eine Art kulturellen Hype erlebte und regelrecht zur Kunstform avancierte. Sehr schön gestaltet und hörenswert!

In den 1880er-Jahren öffnete die neurologische Abteilung des Hôpital de la Salpêtrière in Paris ihre Pforten für die Öffentlichkeit: Jeden Dienstag führten die hauseigenen Hysterikerinnen vor Publikum ihr ansehnliches Leiden vor. Professor Charcot erklärte; Dr. Tourette assistierte; Dr. Duchenne elektrisierte und nahm Lichtbilder auf. In hypnotischen Tableaus inszenierte man die Krankheit der Epoche. Sie konnte jeden ereilen; neuerdings auch Männer. Die Hysterie, eben noch mit rustikalen Theorien über wandernde Gebärmütter assoziiert, wurde plötzlich zur Befindlichkeit à la mode, zur Muse der Künste, zum Schatten der Belle Époque.

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Feministische Theorie im Frühling

Im Frühling dieses Jahres fand in Jena eine interessante Veranstaltungsreihe statt, die vom StuRa und dem Gleichstellungsreferat der Uni Jena (beide Gremien sind inzwischen neu besetzt) organisiert wurde. Es wurden in dieser Reihe verschiedene Ansätze feministischer Gesellschaftskritik vorgestellt, die derzeit in der radikalen Linken diskutiert werden.

Es geht um Materialismus, queer theory und Feminismus. Queer Theory ermöglicht es, Heteronormativität und gesellschaftliche Normierungsprozesse zu benennen und zu kritisieren. Aber die Produktionsverhältnisse und materiellen Lebensbedingungen lassen sich nicht dekonstruieren. Wie kann der Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus aussehen – und was ist untragbar für eine emanzipatorische Gesellschaftskritik?

1. Roswitha Scholz: Die Wert-Abspaltungskritik – ein neuer Versuch marxo-feministischer Theoriebildung

Roswitha Scholz hat in ihrem Vortrag einführend einige Grundgedanken der Wert-Abspaltungskritik vorgestellt, wie sie vor allem in „Der Wert ist der Mann“ und „Das Geschlecht des Kapitalismus“ ausformuliert ist, wie sie aber auch aus vielen anderen Vorträgen bekannt sind. Gegen Ende stellt sie einige Überlegungen zur Verwilderung des Patriarchats und der Herausbildung zwangs-flexibilisierter Identitäten im Neoliberalismus an. Im Zusammenhang mit Scholz‘ Vortrag sei auf die jüngeren Ausgaben der Exit! verwiesen, in denen das Geschlechterverhältnis auf verschiebenen Ebenen erneut diskutiert wurde. Ebenfalls sei auf die Rezension von Justin Monday anlässlich der Neuauflage von „Das Geschlecht des Kapitalismus“ im letzten Jahr verwiesen.

Seit geraumer Zeit lässt sich eine Marx-Renaissance beobachten. Nach dem „cultural turn“ der letzten Jahrzehnte treten nun wieder „materielle“ Aspekte in den Vordergrund. Und so fordert Nancy Fraser auch im feministischen Kontext „Frauen, denkt ökonomisch“. Ansonsten sind jedoch marxo-feministische Konzepte rar, die jenseits traditioneller Marxismen nach dem Zusammenbruch des Ostblocksozialismus und den neuerlichen Krisenentwicklungen im Kapitalismus Neuland betreten. Im Vortrag wird thesenhaft die Wert-Abspaltungstheorie als „Big Theory“ vorgestellt, die einer neuen Qualität des warenproduzierenden Patriarchats Rechnung tragen und dabei gleichzeitig auch die kulturell-symbolische Ebene berücksichtigen will.

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2. Hanna Meißner: Kritik der politischen Ökonomie queer/feministisch gelesen

Hanna Meißner (u.a. „Jenseits des autonomen Subjekts„) will in ihrem Vortrag die Grenzen der Marx’schen Analysen aufzeigen und wie an dieser Grenze poststrukturalistische bzw. queer-theoretische Analysen anknüpfen können. Dabei referiert sie einige Merkmale der Subjektivität des Warenbesitzers und weist darauf hin, dass dieser konstitutiv von Voraussetzungen abhängig ist, die nicht in seinem Wirkungsbereich liegen und die er selbst nicht einholen kann. Der Marx’schen Analyse müsse mit einer gewissen Notwendigkeit entgehen, wie genau an dieser Stelle das Geschlechterverhältnis wirkmächtig wird. Meißner verweist daher auf Subjektivitäts-Analysen von Butler, Foucault und Spivak.

Die Frage, was die Marx’’sche Kritik der politischen Ökonomie zur Analyse der Geschlechterverhältnisse beitragen kann wurde in Teilen der feministischen Debatten lange intensiv und kontrovers diskutiert. Sie ist allerdings in der jüngeren Vergangenheit etwas in den Hintergrund getreten und schien durch einen poststrukturalistisch informierten Blick auf die wirklichkeitskonstituierenden Effekte der diskursiven Ordnung überlagert. Statt allerdings von einer Unvereinbarkeit von queer/feministischen Theorien und der Marx’’schen Kapitalismusanalyse auszugehen, lohnt sich eine erneute Re-Lektüre der Marx’’schen Texte. Marx bietet für (queer/feministische) Gesellschaftskritik ein wichtiges Instrumentarium, da er mit der kapitalistischen Produktionsweise einen historischen Strukturzusammenhang erkennbar macht, der unserem In-der-Welt-Sein (auch in seiner vergeschlechtlichten Dimension) bestimmte Formen und Dynamiken vorgibt und spezifische Hierarchisierungen sowie versachlichte Herrschaftsverhältnisse hervorbringt.

Interessant ist dabei nicht so sehr das, was Marx selber zum Verhältnis von Männern und Frauen und zur geschlechtlichen Arbeitsteilung geschrieben hat. In einer Lektüre von Marx nach Judith Butler (und Michel Foucault) lässt sich argumentieren, dass auf der analytischen Abstraktionsebene, auf der Marx die Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise rekonstruiert, gar keine Aussagen über Geschlechterverhältnisse oder Heteronormativität möglich sind. Wird dies als (notwendige) Grenze der Marx’’schen Analyse gelesen, dann lassen sich Anschlüsse zu einer queer/feministischen Perspektive eröffnen.

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3. Andrea Truman: Bürgerschreck: der schwule Mann

Andrea Trumann (u.a. „Feministische Theorie„, „Das bürgerliche Subjekt und sein Anderes„) hat in ihrem Vortrag zunächst an zwei Beispielen (eine Dokumentation über Homophobie im Fußball und eine Studie von Frank Lammerding) und dann mit Bezug auf Foucault und Freud einige Thesen zu den gesellschaftlichen Ursachen von Homophobie vorgestellt. Zentral ist dabei das Begriffspaar Aktivität/Passivität, wobei Aktivität männlich kodiert und mit Leistungsfähigkeit verbunden ist, während Passivität für Weiblichkeit bzw. Verweiblichung und Unfähigkeit zur Selbstbeherrschung steht.

Homosexualität scheint in der Gesellschaft angekommen zu sein. Aber unter dieser oberflächlichen Anerkennung, schwelt immer noch der Hass auf Schwule. In Kreuzberg werden Schwule nach Partys abgefangen und zusammengeschlagen; „schwul“ ist in Schulen neben „Jude“ eins der beliebtesten Schimpfwörter. Und auch die Toleranz im bürgerlichen Milieu endet in der Regel, wenn es um die eigene Kinder geht. Aber woher kommt dieser Hass auf Schwule, der sich unter der Oberfläche bürgerlicher Toleranz Bahn bricht? Dieser Hass ist nicht das Andere zur bürgerlichen Gesellschaft, sondern konstitutiv für diese. Gehasst wird an den Schwulen nicht, dass sie mit jemandem gleichgeschlechtlichen schlafen, sondern dass im schwulen Sex mindestens einer in die Rolle der Frau schlüpfen und sich „ficken“ lassen muss.

Die Angst vor dem Schwulsein ist gleichzeitig eine Angst vor der Verweiblichung. Eine Angst, die auch bei einem Großteil der schwulen Szene selbst nicht Halt macht, in der ein Männlichkeitskult gepflegt wird, der Tunten oftmals ausschließt. Der Hass auf die Schwulen wird geschürt durch die Angst vor der Passivität und dem Kontrollverlust, hinter der sich der Wunsch eben danach verbirgt. Denn dem Schwulen (gleichsam wie der Frau) wird die Macht zugesprochen, die Bürger von ihrem rechten Weg (vom Arbeitszwang und der Kleinfamilie) abzubringen, und dieser Wunsch nach Ruhe und Kontrollverlust muss bei Strafe des drohenden Untergangs, die innerhalb kapitalistischer Vergesellschaft der Preis wäre für das Auslebens dieses Bedürfnis abgewehrt werden und die vermeintlichen Verführer gehasst und im schlimmsten Fall ausgelöscht werden.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 52,7 MB; 57:35 min) | Diskussion (mp3; 34,4 MB; 37:31 min)

4. Lars Quadfasel: The Great Gender’n’Trouble Swindle. Judith Butlers un_kritische Theorie

Lars Quadfasel rekonstruiert in seinem Vortrag kurz die feministischen Debatten und Widersprüche, aus denen heraus Judith Butlers Projekt entstand, will zeigen, dass Butler nicht so radikal ist, wie es von ihren Anhängern suggeriert wird und kritisiert einzelne Theoreme Butlers. Größeren Raum nimmt dabei das Verhältnis von Geist/Mensch/Kultur auf der einen und Körper/Natur auf der anderen Seite ein. Gegen Ende kritisiert er einige Aspekte von Butlers Moralphilosophie und zeigt auf, warum der Antizionismus mit einer gewissen Notwendigkeit aus deren Prämissen folgt. Die Diskussion, in der es u.a. um Butlers Begriff der Verletzbarkeit und noch einmal um das Verhältnis von erster und zweiter Natur geht, ist dann nochmal relativ interessant. Vgl. auch „Beiträge zur Adorno-Preisverleihung 2012„.

Quadfasel will zeigen, dass Butlers Ansatz im Grunde eine Neuauflage des alten bürgerlichen Idealismus ist und entsprechend der kapitalistischen Logik nicht die Emanzipation von den geschlechtlichen Zwangscharakteren, sondern lediglich deren Flexibilisierung betreibt.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 51,9 MB; 56:39 min) | Diskussion (mp3; 37,4 MB; 40:49)

5. Korinna Linkerhand: Leben wir (noch) im Patriarchat? Ein Plädoyer für die Anliegen des klassischen Feminismus

Korinna Linkerhand (Meine Frauengruppe, u.a. Autorin in „Outside the Box„, z.B. „Der postmoderne Körper“: Vortrag, Text) nimmt in ihrem Vortrag eine grundlegende Bestimmung des Patriarchat-Begriffs vor und bestimmt Sexismus als ideologischen Niederschlag des Patriarchats. Einigen Raum nimmt in ihrem Vortrag die Bestimmung des Verhältnisses von Patriarchat und Kapitalismus ein, wobei sie den Kapitalismus in Bezug auf Roswitha Scholz als warenproduzierendes Patriarchat begreift, für das eine Abspaltung des Weiblichen konstitutiv ist. In diesem Zusammenhang entgegnet sie auch der Auffassung, im Kapitalismus seien patriarchale Verhältnisse bereits tendenziell überwunden. Zuletzt übt sie eine Kritik am „Postfeminismus“, dem sie einen materialistischen und universellen Feminismus entgegenstellt, der Gesellschaftskritik als Kritik eines historischen Vermittlungsverhältnisses von Mensch und Natur formuliert, anstatt Natur in Diskurse auflösen zu wollen.

Dass die Rede vom Patriarchat gegenstandslos geworden sei, ist eine gängige Diagnose von gesellschaftskritischer und auch genderbewegter Seite, die angesichts der mittlerweile umfassenden Gleichstellung der Frau in der westlichen Hemisphõre auf der Hand zu liegen scheint: Frauen seien berufstätig, selbstbestimmt und obendrein Kanzlerin, eine Vielfalt von Lebensentwürfen stünden ihnen zur Verfügung und vorm Kapital seien sowieso alle gleich. Doch nach wie vor ist Geschlecht ein nicht wegzudenkendes Strukturprinzip der Gesellschaft: Menschen werden wie eh und je in Männer und Frauen unterteilt und zu solchen sozialisiert. Das Patriarchat als Analysekategorie vor allem der Zweiten Frauenbewegung bezeichnet die Herrschaft von Männern bzw. – unter den Vorzeichen einer abstrakten Vergesellschaftung – eines männlichen Prinzips, wie sie innerster Bestandteil nicht nur der abendländischen Kultur ist. Sollte das Geschlechterverhõltnis nun plötzlich nicht mehr herrschaftlich verfasst sein? Fördert die Leugnung eines patriarchalen Gefälles in der Gesellschaft nicht letztlich das ungebrochene Fortwirken der sexistischen Ideologie – wirft es nicht vor allem Frauen mit ihrer Vielzahl an geschlechterspezifischen Problemen, die sie ihrer Sozialisation verdanken, in die Vereinzelung zurück, wenn wir aufhören, die Besonderheiten weiblicher Subjektbildung zu analysieren und zu kritisieren?

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 47,5 MB; 51:52 min) | Diskussion (mp3; 33 MB; 36:01 min)

6. Katharina Lux: Marx und der blinde Fleck des Feminismus

In ihrem Vortrag weist Katharina Lux auf einen grundlegenden Mangel in den gängigen feministischen Theoriemodellen hin — ihnen fehle ein Begriff gesellschaftlicher Totalität sowie grundlegende Bestimmungen des gesellschaftlichen Seins. So gibt sie eine allgemeine Skizze des Verhältnisses von Mensch und Natur, von Arbeit und Vergegenständlichung, sowie – für eine feministische Gesellschaftskritik entscheidend – der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion. Hauptbezugspunkte für ihre Thesen sind dabei die Philosophisch-ökonomischen Manuskripte von Marx und „Die deutsche Ideologie“ von Marx und Engels sowie „Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins“ des späten Georg Lukács. Insgesamt ist der Vortrag ein nützlicher Crashkurs durch den historischen Materialismus, der als Anregung für eine feministische Kritik verstanden werden will. In ihrem kürzlich in der vierten Ausgabe der Zeitschrift „Outside the Box“ erschienen Text mit dem Titel „Über die Repräsentation der Differenz und die Kritik Marx’scher Begriffe“ verfolgt sie eine ähnliche Stoßrichtung.

Was Georg Lukács schon in den 60er Jahren für die kommunistische Theoriebildung allgemein feststellte, gilt heute immer noch und ebenfalls für das Bewusstsein der feministischen Linken: Der Mangel der theoretischen Entwicklung grundlegender Kategorien des gesellschaftlichen Seins. Heute drückt sich dieser Mangel sowohl darin aus, dass keine Reflektion der implizit in den vertretenen feminstischen Theorien enthaltenen Vorstellungen von Natur, Gesellschaft und Menschsein geleistet wird, oder aber – wie zur Zeit überall in Mode – die grundlegenden Kategorien des gesellschaftlichen Seins als angeblich nicht notwendige oder sogar dogmatische zum Schein verworfen werden. Das Resultat ist – so ist zu befürchten – die Wiederholung der beklagten Fehler der zweiten Frauenbewegung. Die zweite Frauenbewegung war spätestens seit den 80er Jahren größtenteils rekuperiert, ihre Forderungen beschränkten sich auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Interessen der Frauen und ihre Teilhabe in der bestehenden Gesellschaft. Plötzlich passte sie hervorragend zu den neuen Anforderungen an die Subjekte in der kapitalistischen Gesellschaft. Nach dieser historischen Erfahrung stellt sich heute für die theoretische Arbeit des Feminismus die Aufgabe, das Verhältnis des Feminismus zur Totalität der Gesellschaft zu bestimmen, will er der Partikularisierung und Einhegung seines Begehrens auf ein für die kapitalistische Gesellschaft verträgliches Maß entgehen. Andernfalls wird der Feminismus zum zufälligen Produkt der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die er selbst nicht versteht oder verstehen will und der er so ausgeliefert bleibt.

Ein erster Schritt diesem selbstverschuldeten „Schicksal“ zu entgehen, wäre die Sichtung der grundlegenden Kategorien des gesellschaftlichen Seins wie Menschsein, Natur, Arbeit und Gesellschaft, die im Werk von Karl Marx und Friedrich Engels vorliegen, das von FeministInnen oft verworfen wurde. Was die Analyse und Kritik des Geschlechterverhältnisses angeht – so eine gängige Meinung bis heute – sei dieses Werk von „blinden Flecken“ durchzogen und ökonomistisch, weshalb dort nicht viel zu holen sei. Das ist ein unverzeihlicher Irrtum. Denn im Denken von Marx und Engels liegt der methodische Schlüssel, mit dem das Geschlechterverhältnis als gesellschaftlicher Komplex in seiner Eigendynamik und zugleich seiner Determiniertheit durch die kapitalistische Gesellschaft begriffen werden kann. Ebenso finden sich in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten, der Deutschen Ideologie bis hin zur Kritik der Politischen Ökonomie die Grundlagen einer Subjekttheorie, die eine umfassende, nicht-partikulare Befreiung des Individuums von Herrschaft zu ihrem Ziel hat. Will die feministische Linke ihren „blinden Fleck“ überwinden, so muss sie sich dem Fundament, den grundlegenden Kategorien einer Subjekttheorie wie sie im historischen Materialismus entwickelt sind, zuwenden. Genau dieser Aufgabe ist der Vortrag gewidmet, in dem versucht werden soll, die grundlegenden Kategorien des gesellschaftlichen Seins wie sie von Marx, Engels und Lukács entwickelt wurden, darzulegen.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 45,1 MB; 49:13 min) | Diskussion (mp3; 25,8 MB; 28:12 min)

Über Jenny Marx

Jenny Marx führte das typische Leben einer bürgerlichen Frau des 19. Jahrhunderts. Jedes noch so beknackte Urteil ihres wankelmütigen Ehemannes teilend, machte sie das Beste aus widrigsten Verhältnissen – nicht für sich, sondern für ihn und die Familie. Dass sie ihr Glück darin sah, andere glücklich zu machen, wie Friedrich Engels es ihr in seiner Grabesrede hoch anrechnete, mag sein. Dass sie es gefunden hat, kann mitnichten angenommen werden. Unter dem Titel Mama Marx: Jenny — Karls Frau und Sekretärin erinnert Anja Koemstedt in der Reihe Bayern 2 radioZeitreise an die wenig beachtete Frau und Mitarbeiterin eines der bis heute einflussreichsten Denker überhaupt.

Selten wurde weiblicher Aufopferung für die hehren Ziele des Gatten so kärgliche Anerkennung zuteil wie in diesem Fall. Hören Sie die Geschichte einer großen Liebe, hoher Ideale und enttäuschter Hoffnungen. Sendung vom 04.08.2013

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Eine wesentlich kürzere Sendung der Reihe Kalenderblatt erinnert ebenfalls an Jenny Marx.

Der Journalist Karl Marx war alles andere als der Traumschwiegersohn von Herrn von Westphalen, aber Tochter Jenny war schrecklich verliebt. Kurz nach der Hochzeit, am 18. März 1843, schrieb sie ihrem „Mohr“ einen Brief, der schon einige Ahnungen für die langjährige Ehe vorwegnahm. Autorin: Carola Zinner

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Sie nennen es Liebe – Wir nennen es unbezahlte Arbeit

Care-Arbeit im Kapitalismus

Eine gute Sendung zur Notwendigkeit feministischer Gesellschafts- und Ökonomiekritik haben Julia Fritzsche und Sebastian Dörfler für die Reihe Zündfunk Generator (BR 2) gestaltet.

Frankfurt im Mai 2013. Bei den Blockupy-Protesten der Kapitalismuskritiker fliegen plötzlich nicht nur Farbbeutel, sondern auch Windeln. Daneben kippen Aktivistinnen Töpfe, Bügelbretter und Wäscheständer auf die Straße, bis sich dort ein kleiner Berg aus Haushaltsmüll türmt. Dazwischen Pappschilder mit Botschaften wie: „Jetzt kurz shoppen, noch schnell das Kind abholen und morgen gleich wieder früh raus… Who Cares?“

Während die Politik fehlende Kitaplätze und ein marodes Pflegesystem diskutiert, fragen Kongresse und Zeitschriften unter dem Motto „Take Care“ nach geschlechtergerechten Wirtschaften. Bücher fordern den „Aufstand aus der Küche“.

In der Krise reden alle von Finanzmärkten und Rettungspaketen, die Vertreter der Care-Revolution aber wollen wissen: Wer kümmert sich eigentlich um die Daseinsvorsorge der Menschen? Die Antwort: Nach wie vor Frauen. Sie kochen, putzen, ziehen die Kinder groß, pflegen die Alten und Schwachen.

Um diese „Reproduktionsarbeit“ sichtbar zu machen, forderten italienische Feministinnen in den 70ern deshalb „Lohn für Hausarbeit“. Doch statt Hausarbeit sichtbar zu machen, tummeln sich die Frauen heute auf dem Arbeitsmarkt. Sie werden schlechter bezahlt, arbeiten häufiger in Niedriglohnjobs und müssen sich daneben noch um Haushalt, Kinder und Pflegebedürftige kümmern.

Der Zündfunk-Generator spricht mit Gabriele Winker von der Technischen Universität Hamburg-Harburg sowie mit der Blockupy-Aktivistin Anja, liest sich durch Texte der heute wieder durch die Welt tourenden Feministin Silvia Federici und fragt: Wer macht hier eigentlich die ganze Arbeit? Und was haben Kochlöffel und Klobürste mit dem Kapitalismus zu tun?

Hören auf br.de.

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