Schlagwort-Archive: Geschichtsphilosophie

Kairós: Kritische Theorie der Gelegenheit

Ende des Jahres 2019 hat Alexander Neupert-Doppler im Mandelbaumverlag das Buch „Die Gelegenheit ergreifen – eine politische Philosophie des Kairós“ veröffentlicht. Wir dokumentieren hier eine Buchvorstellung, die Neupert-Doppler bei der Association for the Design of History abgehalten hat. Er stellt dabei das Motiv seines Buches vor: Die Revolution ist weder durch den bloßen Willen der Revolutionäre machbar, noch folgt sie aus objektiven Gesetzmäßigkeiten der Geschichte. Vielmehr müssen die Revolutionäre die Bedingungen ihres Handelns kennen und in einer günstigen Situation handlungsfähig sein – dazu bedarf es der Organisierung. Ein Aufsatz, in dem dies ausgeführt wird, ist kürzlich bei kritiknetz erschienen.

Unter Menschen, die die Welt verändern wollen, sind vier Perspektiven auf Geschichte populär: Die einen glauben immer noch an einen chronologischen Fortschritt der Menschheit in die Utopie, die anderen wetten hingegen eher auf die konkrete Dystopie einer unvermeidlichen Selbstzerstörung. Wieder andere meinen, dass Weltverbesserung immer und überall möglich ist, einige denken sogar, dass sich am großen Ganzen ohnehin nichts mehr ändern wird und wir nur an Details ansetzen können. Gegen diese fortschrittlichen, katastrophischen, voluntaristischen und postmodernen Denkweisen richtet sie die Kairós-Theorie.

Angesichts der verpassten Gelegenheiten und eingetretenen Katastrophen des 20. Jahrhunderts entwickelten Philosophen wie Walter Benjamin und Paul Tillich eine kairologische Geschichtsphilosophie. Kurz gesagt: „Nicht jedes ist zu jeder Zeit möglich, nicht jedes zu jeder Zeit wahr, nicht jedes in jedem Moment gefordert“ (Tillich 1922). Heute vertreten Theoretiker wie Immanuel Wallerstein, Antonio Negri und Michael Hardt, dass wir uns einem Gelegenheitsfenster zum Überschreiten des Kapitalismus nähern. Aber: „Den Kairós – den günstigen Augenblick […] – muss ein politisches Subjekt ergreifen“ (Hardt/Negri 2010).

Was folgt aus der Kairós-Theorie für politisches Denken und Handeln? Zu diesem Thema erschien im Herbst 2019 das Buch ‚Kairós – Politische Philosophie der Gelegenheit‘ von Dr. Alexander Neupert-Doppler. Er arbeitet zur Zeit als Mitarbeiter für Politische Theorie am IASS in Potsdam und veröffentlichte bisher die Bücher ‚Staatsfetischismus‘ (2013) gegen zu kritisierende Widrigkeiten und ‚Utopie‘ (2015) über die Möglichkeiten utopischen Denkens. Mit ‚Kairós‘ (2019) soll die theoretische Lücke zwischen Kritik und Utopie durch ein Denken in politischen Gelegenheiten gefüllt werden. [via]

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Kommunismus und Geschichte

Wir dokumentieren zwei weitere Ausgaben der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge:

1.) Was wollen Kommunisten?

In der Wutpilger-Ausgabe für Oktober 2018 wird ein Stand kommunistischer Debatte zusammengetragen. Was bedeutet Kommunismus? Welche Schritte führen zu ihm? Wie gehen Kommunistinnen mit dem Erbe kommunistischer Geschichte um? Wo stehen Kommunisten heute?

In vielen Ausgaben der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ habe ich mich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigt. Dass es dabei um eine Sympathie mit der Sache des Kommunismus geht ist unausgesprochen klar. Aber was denken Kommunistinnen heute, was wollen sie, welche Vorstellung haben sie von Kommunismus? Diesen Fragen bin ich in der aktuellen Ausgabe nachgegangen – und habe dafür einige meiner kommunistischen Freunde befragt. (via)

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2.) Warum Geschichte?

Die Wutpilger-Ausgabe für August 2019 beschäftigt sich mit dem Sinn und Zweck von Geschichtsarbeit. Es sprechen wahlverwandte und eigene GenossInnen über Geschichte in einem materialistischen, feministischen und kritisch-theoretischen Verständnis.

Immer wieder findet im Rahmen der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ eine Auseinandersetzung mit Geschichte statt – insbesondere mit einem Fokus auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. In dieser Ausgabe der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ wird den Fragen nachgegangen, welchen Sinn eine Auseinandersetzung mit Geschichte überhaupt macht, welche Motivation und welche Interessen hinter dem Drang zu historischer Auseinandersetzung stehen, warum ein einfach lineares Geschichtsbild abzulehnen ist… Im Feature sind zu hören: Marlene Pardeller, Lilli Helmbold und Julian Kuppe. (via)

    Download: via archive.org (mp3; 151.8 MB; 1:06:24 h)

Immer wieder immer noch

Im Sprechen über das Geschlechterverhältnis kommt es zum Schwanken zwischen der Beschwörung eines gesellschaftlichen Fortschritts, der das Patriarchat mindestens in Recht und Ökonomie längst überwunden habe, und der weitere Gleichstellungsbemühungen einfordernden Aufzählung von Missständen, von denen Frauen nach wie vor betroffen sind, sei es die Alltäglichkeit von sexualisierter Gewalt, die »gläserne Decke« oder die schlechtere Bezahlung gegenüber Männern. Ausgehend von der Erfahrung, dass feministisches politisches Handeln allzu oft lediglich weibliche Handlungsfähigkeit überhaupt demonstrieren oder herstellen soll, plädiert Karina Korecky dafür, Fortschrittserzählungen gegenüber skeptisch zu sein und den gesellschaftlich bedingten Wiederholungszwang ernstzunehmen, der feministische Selbstermächtigungsversuche in diese – theoretisch wie praktisch – stets von vorn beginnende Position nötigt. Diesen Gedanken entwickelt sie im Gespräch mit einer Redakteurin der Sendung Studio F vom FSK Hamburg, dessen Thema feministische Geschichtsschreibung ist und den ich im Folgenden dokumentieren möchte. Er findet sich ebenfalls formuliert in weiteren von Koreckys Vorträgen sowie einem Text in der aktuellen Printausgabe der Konkret (10/2014).

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Vielen Dank an die Redakteurin für die Bereitstellung der Sendung!

Über die historische Vergänglichkeit von »Geschichte und Klassenbewusstsein«

Geschichte und Klassenbewusstsein war ein zu Recht prägendes Werk des Marxismus und es gibt Grund genug, 90 Jahre nach seinem Erscheinen an dieses Buch und seinen Autor, Georg Lukács, zu erinnern. Aber es gibt keinen Grund, auf eine kritische Revision seiner Grundlagen zu verzichten oder über die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts hinwegzugehen, als ließe sich bruchlos an den jungen Lukács anknüpfen. Das dachte sich auch die Hamburger Gruppe Melange und organisierte am 4. Juli 2013 eine Art Gegenveranstaltung zur Reihe »Über das Schicksal der Revolution entscheidet das Klassenbewusstsein«. Die Reihe wurde von Kritikmaximierung organisiert und ist bei uns dokumentiert worden.

In den ersten knapp 20 Minuten des folgenden Mitschnitts formuliert ein Vertreter der Gruppe Melange eine Kritik an der Ausrichtung der Veranstaltungsreihe und stellt anschließend den Referenten Robert Fechner vor. Dieser befasst sich im ersten Teil seines Vortrags mit Lukács‘ Verdinglichungsaufsatz und kritisiert die diesem zugrunde liegende Interpretation der Kritik der politischen Ökonomie. Fechner attestiert Lukács u.a. Gebrauchswertfetischismus und ein falsches Verständnis der Kategorie »abstrakte Arbeit«. Im zweiten Teil wendet er sich Axel Honneths Verdinglichungstheorie zu und liefert eine fulminante Kritik an dessen idealistisch-ideologischem Anerkennungsgefasel.

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    Download via AArchiv: Vorrede (0:19 h, 8 MB), Vortrag (0:46 h, 19 MB) | Beides zusammen via MF

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Nackte Gewalt – Die Übermacht der Verhältnisse und die Sprachlosigkeit der Kritik (III+IV)

Nachdem es zu einiger Verzögerung meinerseits kam, dokumentiere ich nun gleich zwei Vorträge aus der Reihe »Nackte Gewalt«.

1. Jordi Maiso: Gegenwärtige Vorgeschichte: Versuch einer Standortbestimmung

Jordi Maiso (u.a. Hrsg. der Constelaciones. Revista de Teoría Crítica) nimmt die Thematik von Arne Kellermanns Vortrag auf und führt sie fort: Was bedeutet es für kritische Theorie, dass sie wirkungslos bleibt in einem historischen Augenblick, in dem tiefgreifende Veränderung mehr denn je geboten, ja überfällig ist, aber nicht stattfindet, sondern die kapitalistisch induzierte Barbarei von der Peripherie in die Zentren zurückkehrt? Er bezieht sich u.a. auf Robert Hullot-Kentor (vgl. A New Type of Human Being and Who We Really Are) sowie auf Schriften von Robert Kurz, Detlev Claussen, Wolfgang Pohrt und Falko Schmieder.

Kritische Theorie, die vielen überholt dünkte, bleibt aktuell, weil blind wirkendes Naturgesetz und gesellschaftlich organisierter Wille ineinander übergehen. Die Vorstellung, dass mit dem Ende des Kapitalismus auch das Ende der Vorgeschichte erreicht wäre, scheint heute nicht mehr haltbar. Wenn der Kapitalismus gegenwärtig vor einem Auflösungsprozess steht, passiert dies nicht auf Grund der bewussten Handlung lebendiger Subjekte, sondern auf Grund der inneren Widersprüchen des »automatischen Subjekts« und der materiellen Widerstände einer Welt, die nicht grenzenlos ausbeutbar ist. Angesichts der Verrohung sozialer Verhältnisse, der enormen Opfer, die das immer mühseligere Weitergehen des business as usual fordert, scheint die Kritik der »Pathologien« der Moderne und der Vernunft bereits eine arge Verharmlosung. Kritische Theorie sieht sich heute genötigt, eine neue Stufe der Vorgeschichte zu begreifen, in der das Misslingen von Subjektivität und Geschichte gewaltsam zutage tritt: Was heißt das für die Theoriebildung, für die Fähigkeit zur Einsicht überhaupt? Wie wirkt das auf die subjektiven Triebkräfte der Kritik? Wie verändert sich unter diesen Bedingungen die Möglichkeit von Erfahrung? Bei aller Dringlichkeit einer gesellschaftstheoretischen Reflexion, die seinem Gegenstand gerecht wird, muss auch die Ohnmacht reiner Theorie mitreflektiert werden: »Für Kontemplation scheint es zu spät«.

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2. Joachim Bruhn: Kalkül und Wahn, Vertrauen und Gewalt. Vor dem Ausnahmezustand des Kapitals

Joachim Bruhns (ISF/ça ira Freiburg) Vortrag ist vor allem eine Zitateschlacht mit ideologischem Material aus Druckerzeugnissen von der FAZ bis zur Apothekenumschau, das illustriert, welchen, teils rationalisierten, teils schlicht esoterischen, Unsinn das bürgerliche Bewusstsein hervorbringt, wenn es sich in der Krise auf den »Gegenstand« Geld richtet. Der Vortrag könnte auch den Titel eines anderen Referats tragen, das Bruhn kürzlich in Leipzig gehalten hat: „Gescheites Rindvieh“ – Über die Volkswirtschaftslehre als die Kunst, das Unbegreifliche des Kapitals zur gefälligen Ideologie zu rationalisieren.

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Gleichwohl: Die Gesellschaft der totalen Konkurrenz ist in heller Panik, sie wird sich zersetzen und zerstören. Unmöglich noch kann sie die Bedingung der Möglichkeit ihrer eigenen Existenz aus sich selbst heraus reproduzieren: der vollendet autistische Selbstbezug des Kapitals, die losgelassene Akkumulation um der Akkumulation willen, die »Plusmacherei« (Marx) rutscht ins historische Minus, zerbricht an sich und eben daran, dass die Gesellschaftlichkeit der Individuen als Subjekte bloß auf dem generalisierten Ausschluss aller durch alle gründet, der, eben in den Formen von Wert, Geld, Kapital den totalen Einschluss stiftet, d.h.: die gesellschaftliche Synthesis als vollendet negative. Das ist gewiss paradox: die unbedingte gesellschaftliche Einheit in der Form des totalisierten Atomismus; ein Paradox jedoch, das im Geld dingliche Gewalt annimmt und als »logisches Rätsel« (FAZ) erscheint. In der Panik wird sich die falsche Gesellschaft ihres eigenen Widersinns inne, allerdings in einer nur noch verrückteren Form, einer Form, die das bankrotte Kalkül der Ökonomie vermittels des Wahns der Politik zu therapieren verspricht, tatsächlich zu überbieten sucht: der Form eines paranoiden Souveräns, der den Triumph des Willens über den kapitalen Sachzwang beschwört und so gerade die »Angst vor dem Chaos« schürt, darin die Flucht nach vorn anpeitscht und so auf den autoritären Staat provoziert, auf den Ausnahmezustand, d.h. auf die ursprünglich faschistische Situation: denn nichts anderes ist der »Preis des Marktes« als das politisch, vermittels des Gewaltmonopols auf Leben und Tod erzwungene Opfer der Individuen.

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90 Jahre Georg Lukács’ »Geschichte und Klassenbewußtsein«

Denn es gibt kein Problem […], dessen Lösung nicht in der Lösung des Rätsels der Warenstruktur gesucht werden müßte. (Georg Lukács)

Diejenigen, die beim Namen Georg Lukács an den ungarischen Kommunisten denken und nicht (nur) an Star Wars, werden in den letzten Monaten wieder zahlreicher. Bücher, Artikel und Vortragsveranstaltungen beschäftigen sich derzeit mit dem anspruchvollen und widersprüchlichen Werk des ersten genuinen Philosophen der Oktoberrevolution (Lars Quadfasel), der die Kategorie der Verdinglichung ins Zentrum seiner Gesellschaftskritik stellte. Lukács war es, der in seinem Werk Geschichte und Klassenbewusstsein darauf verwies, dass mit der universellen Warenform – die alle Lebensäußerungen entscheidend beeinflussende Form – die Verdinglichung total wurde. In Hamburg organisierte Kritikmaximierung eine dreiteilige Veranstaltungsreihe mit Frank Engster/Patrick Eiden-Offe, Rüdiger Dannemann und Detlev Claussen, die wir hier dokumentieren können.
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Überlegungen zur Kritischen Theorie

Nackte Gewalt – Die Übermacht der Verhältnisse und die Sprachlosigkeit der Kritik (I)

In dieser Woche begann in Berlin eine vielversprechende Veranstaltungsreihe, deren erster Teil im Folgenden dokumentiert wird. Es handelt sich um einen sehr einführenden Vortrag zur Kritischen Theorie. Nina Rabuza und Martin Mettin geben anhand »klassischer Texte« Kerngedanken Horkheimers, Benjamins und Adornos wieder. Im einzelnen geht es um Traditionelle und kritische Theorie (Horkheimer), Benjamins Geschichtsthesen, die Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno) und Adornos Reflexionen zur Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden in der Negativen Dialektik.

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Die weiteren Termine im Überblick (Vorträge finden donnerstags um 19:30 Uhr in der HU statt):

  • Arne Kellermann, Fetzen kritischer Theorie in Zeiten konstitutiver Überflüssigkeit. Zur Stellung der Überbleibsel des Denkens zum stacheligen Objekt – 20. Juni 2013
  • Jordi Maiso, Gegenwärtige Vorgeschichte: Versuch einer Standortbestimmung – 27. Juni 2013 + Tagesseminar am Folgetag
  • Joachim Bruhn, Kalkül und Wahn, Vertrauen und Gewalt. Vor dem Ausnahmezustand des Kapitals – 5. Juli 2013 + Tagesseminar am Folgetag zu Kritik und Krise. Der Anfang des Marxschen Kapital und das Ende der kapitalisierten Gesellschaft
  • Lea Bendemann, »Wirf‘ weg, damit Du gewinnst«. Metaphysik bei Adorno – 11. Juli 2013
  • Sebastian Tränkle, »Sagen, was sich eigentlich nicht sagen lässt«. Über Sprachlosigkeit und materialistische Sprachkritik – 18. Juli 2013

Ankündigungstext zum Vortrag:

Die Kritische Theorie der Gesellschaft, wie Max Horkheimer in seinem Aufsatz »Traditionelle und kritische Theorie« schreibt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die realen gesellschaftlichen Verhältnissen zu analysieren und die Frage nach der Möglichkeit von Freiheit zu stellen, deren Verwirklichung heute unmöglich erscheinen muss. Die Spannung zwischen der Hoffnung auf Glück und Freiheit und deren verpasster Verwirklichung stellt eine paradoxe Grundfigur der Kritischen Theorie dar. Der Vortrag möchte diese und einige weitere Motive des Kritischen Denkens, insbesondere Theodor W. Adornos, Max Horkheimers und Walter Benjamins, einführend beleuchten.

Ankündigungstext der Reihe: Weiterlesen

Römische Verhältnisse

Zur Aktualität von Hegels »Philosophie der Geschichte«

Deutschlandfunk stellt ein interessantes Radio-Essay von Peter Bürger zum Hören zur Verfügung, in dem dieser einige Überlegungen über die Aktualität der Hegelschen Geschichtsphilosophie anstellt. Das Essay ist meines Erachtens ambivalent: Einerseits spricht hier deutlich der bürgerliche Intellektuelle, der von der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen (der »Souverenität des Volkes« und insbesondere der Kultur) enttäuscht ist, ohne in einer materialistischen Analyse herauszuarbeiten, wie dieser Verfall einer kapitalistischen Krisenlogik immanent sein könnte (und dabei auch ohne Managergehälter oder italienische Wahlen etwas mit Ausbeutung zu tun hat). Er muss daher bei seinem Vergleich dieser Institutionen mit dem Hegelschen Bild der römischen Gesellschaft auf der Ebene oberflächlicher Analogien verbleiben — auf der anderen Seite bemüht sich Bürger jedoch, ein »nach dem Kapitalismus« denkbar zu machen, ohne dabei einerseits in blinden Geschichtsoptimismus oder andererseits in ebenso blinden Fatalismus zu verfallen.

Der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel betrachtete die Geschichte als Prozess eines dialektischen Fortschritts. Von diesem Vertrauen ist heute nicht mehr viel übrig. Die Zukunft erscheint in eher düsteren Farben. Doch auch für die Gegenwart hält Hegels „Philosophie der Geschichte“ Ermutigung bereit.

Der Literaturwissenschaftler Peter Bürger befasst sich in regelmäßigen Abständen mit vielfach als verstaubt geltenden Klassikern der Geistesgeschichte. So untersuchte er etwa die Rolle Friedrich Nietzsches als Reformator oder er versuchte Oswald Spenglers „Untergang des Abendlands“ neu zu bewerten.

Er lehrte an der Universität Bremen Literaturwissenschaften. Sein Hauptwerk über die „Theorie der Avantgarde“ wurde in fast alle Sprachen übersetzt. 2007 erschien beim Suhrkamp Verlag sein Buch „Sartre. Eine Philosophie des Als-ob“. [via]

Lesen und Hören: bei DLF (Essay und Diskurs)

Download: via RS

Das Problem des Kommunismus

Bei der Basisgruppe Antifaschismus habe ich einen ganz informativen Vortrag Frank Engsters über die Revolutions- und Kommunismusvorstellungen des traditionellen Marxismus sowie bei Lenin, Lukács, in der Kritischen Theorie und im Postmarxismus (Negri, Badiou, Das Unsichtbare Komitee) gefunden. Ein großer Teil seiner Ausführungen gegen Ende kreisen um die Problematik und die (postmoderne) Kritik der Repräsentation.

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Roger Behrens: Versuche einer kritischen Radiopraxis

Er hielt Rundfunkvorträge, nahm an Gesprächsrunden1 teil, diskutierte im Fernsehen über Fragen der kritischen Theorie, bediente sich des Rundfunks, um im Sinne der Erziehung zur Mündigkeit mit politisch – philosophischen Beiträgen Aufklärung zu leisten: Theodor W. Adorno. Michael Schwarz, Mitarbeiter im Adorno-Archiv, hat allein 114 Rundfunkgespräche gezählt, bei denen sich Adorno vor das Mikrophon setzte. Noch höher ist die Zahl der ausgestrahlten Vorträge im Radio. Durch die Partizipation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprach er sich seinen Teil zur Entbarbarisierung beizutragen; das Radio als Kommunikationsapparat zu nutzen, statt es wie in der Kulturindustrie zum Volksempfänger zu funktionalisieren.
Das (öffentlich-rechtliche) Radio, das hilft nicht zu verkümmern, ist heute Illusion: Rundfunkanstalten sind vernarrt in die Idee, dass Hörfunk eine Art überall erreichbaren Services sei. Die Konsequenz ist das kleinste zumutbare gemeinsame Vielfache: Musik, die durch den Alltag dudelt und – quasi zusätzlich- Informationen über das Wetter, den Verkehr und das tagesaktuelle Geschehen – möglichst gut und schnell verdaulich. Nicht verwunderlich daher, dass Akteure, die sich in der Tradition der Kritischen Theorie sehen, sehr selten in solchen Formaten zu Wort kommen. Die Wenigen, die dennoch zu hören sind, sind zumeist auf die limitierten Möglichkeiten freier Radios angewiesen. Ein Beispiel liefert Roger Behrens Sendung Freibaduniversität (im Winter Hallenbaduniversität genannt), die er für das Freie Senderkombinat Hamburg und Radio Corax produziert. Einige Sendungen der letzten Monate dokumentieren wir im Folgenden.
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Einführung in die Wert-Abspaltungs-Kritik

Auf Einladung interessierter Studierender der TU Darmstadt versuchte sich Daniel Späth (Redaktion »EXIT!«) an einer Einführung in die Wert- bzw. Wert-Abspaltungs-Kritik. Beginnend mit einer an Kant ansetzenden Kritik der Aufklärung, setzt er sich mit dem bürgerlichen und dem kritischen Marx sowie der Arbeiterbewegung auseinander, nimmt Bezug auf Foucaults Ordnung der Dinge und formuliert eine Kritik der Spaltung der deutschen Linken in »Antiimps« und »Antideutsche«. Abschließend geht er auf das geschlechtliche Abspaltungsverhältniss ein.

Download via AArchv: Vortrag (21 MB), Diskussion (unvollständig, 11 MB)

Denkstoffe

Beim Schweizer Radio DRS gab es in der Sendung Reflexe eine interessante Reihe zu KlassikerInnen der Kulturwissenschaften im 20. Jh. In je etwa halbstündigen Gesprächen mit KennerInnen des besprochenen Werkes geht u. a. um Horkheimer/Adorno, H. Arendt, M. Foucault, J. Butler, J. Derrida und N. Luhmann. (Backup via MF)

Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie

Georg Lukács und die Ohnmacht der Arbeiterklasse

Markus Bitterolf und Denis Maier, die beiden Herausgeber des kürzlich im ça ira-Verlag erschienen Sammelbandes „Verdinglichung, Marxismus, Geschichte – Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie„, haben am 23. Mai das zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienene Buch vorgestellt. Darin referieren sie über die historischen Bedingungen (Oktoberrevolution in Russland, Novemberrevolution in Deutschland) unter deren Einfluss der ungarische Marxist Georg Lukács zu wirken begann. Sie rekonstruieren Lukács‘ politischen Werdegang und diskutieren dann einige zentrale Kategorien der mittleren Phase des Denkers: Das Rätsel der Ware und die Verdinglichung, Totalität, Klassenbewusstsein und Freiheit. Zuletzt sprechen sie über Horkheimers Weiterentwicklung Lukács’er Theoreme, dessen spezifischem Begriff von Materialismus und die damit einhergehende Verabschiedung der kritischen Theorie vom Proletariat. Mangel des Vortrags, ähnlich wie der meisten Beiträge des Buches, ist m.E. die vollständige Aussparung des Lukács’en Spätwerkes (u.a. Ontologie des gesellschaftlichen Seins und Die Eigenart des Ästhetischen), in dem Lukács seine früheren Schriften selbst einer gründlichen Kritik unterzieht.

    Download: via AArchiv (mp3; 21,7 MB; 47:26 min)

Daß “die Weltrevolution um die Ecke ist”, wie sich Leo Löwenthal einmal ausdrückte, war nicht nur für viele Linke in den Jahren nach der Oktoberrevolution gewiß. So auch für Georg Lukács. Warum sich allerdings das “Tempo der Entwicklung der Revolution” verlangsamt hatte und wie diese Einsicht mit der “Erkenntnis von Gesellschaft und Geschichte” zusammenhing, diese Frage wollte Lukács beantworten. Vor dem Hintergrund von Krieg, Krise und Revolution schrieb er acht Aufsätze, die damals einen der radikalsten Versuche bedeuteten, das Revolutionäre an Marx durch Weiterführung der Hegelschen Dialektik wieder aktuell zu machen. Als sie 1923 unter dem Titel Geschichte und Klassenbewußtsein erschienen, war zunächst kaum abzusehen, welche Bedeutung diesem Buch vergönnt sein sollte. Der wichtigste Essay über Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats orientierte sich an Marx’ Kritik des Fetischcharakters der Ware und wollte gleichzeitig begründen, warum das Proletariat sich als revolutionäres Subjekt konstituieren müsse. Dem Materialismus, wie ihn Max Horkheimer bestimmte, blieb es überlassen zu fragen, wie die Aktualität der Revolution mit der Erfahrung ihres Scheiterns zusammenhing, wie die Entwicklung in der Sowjetunion zu beurteilen sei und warum sich das Proletariat nicht als das Subjekt-Objekt der Geschichte konstituieren wollte, wie es Lukács’ Theorie darlegte. – Es sprechen Markus Bitterolf (Heidelberg) und Denis Maier (Luzern), Herausgeber des Bandes Georg Lukács u.a., Verdinglichung, Marxismus, Geschichte. Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie. [via]

Lost Tapes #2

Seite A: Zu hören ist ein Feature mit dem Titel »Jean Cocteau – Ein Lebensweg«. Die HörerInnen erhalten einen Überblick über Leben und Werk des avantgardistischen Dichters, Malers und Theater- sowie Filmregisseurs. Über Cocteau kommen u.a. Ernst Bloch, Rainer Maria Rilke, Walter Benjamin, Klaus Mann und Ernst Jünger zu Wort. Vor allem werden seine Filme besprochen. Seite A enthält ein starkes Hintergrundrauschen – ihr müsst euch an die Lautsprecher drücken, um das authentische Erlebnis des 90’er-Jahre-Radios zu fühlen. Der unmittelbare Anfang fehlt leider (ebenso auf S. B).

    Download: via Mediafire (mp3; 14,3 MB; 25:04 min)

Seite B: Wesentlich besser hörbar ist der Radiovortrag mit dem Titel »Warten auf die Barbaren« von Manfred Schneider: er untersucht die Vorstellung des Untergangs des Abendlands und eines damit verbundenen Neubeginns durch die barbarische Ungeduld – besprochen wird dieser Topos bei Nietzsche, bei dem die moderne Welt durch ihre Vergeistigung gefährdet ist, Walter Benjamin, bei dem Erfahrung und Erinnerung verloren gehen und die Barbaren Feuer an das morsche Alte legen, sowie Ernst Jünger, bei dem eine metaphysische Weltrevolution sich lachend des Alten (insbesondere des Individuums) entledigt. In jedem dieser Denkmodelle erscheint die Beschwörung der Endzeit als Wiederholung von Roms Untergang. Das Anliegen Schneiders ist die Entlarvung dieses Diskurses – der in seiner Darstellung solch unterschiedliche Denker vereint – als geschichtsphilosophische Konstruktion.

    Download: via Mediafire (mp3; 16,8 MB; 29:22 min)

Traditionalität und Aktualität. Zur Aufgabe kritischer Theorie

Heinz Maus, marxistischer Soziologe und Agitator der linken Studentenbewegung, gehörte in den 60er Jahren zusammen mit Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann zum sogenannten „Marburger Dreigestirn“. Mit diesen Namen ist die Stadt Marburg als ein zweites Zentrum der Kritischen Theorie bekannt geworden. Heinz Maus‘ Wirken gilt im Rückblick als „bar jeglicher taktischer Opportunität“, „unbürokratisch bis zur Inkorrektheit“ und es umgab ihn „neben der politischen Komponente ein starkes Element persönlicher Intransigenz gegenüber jeder Ordnung, jedem Establishment“. (via) Seinen hundertsten Geburtstag nahm die AG Kritische Theorie der Uni Marburg zum Anlass, um eine Tagung mit dem Titel „Traditionalität und Aktualtität. Zur Aufgabe Kritischer Theorie“ zu organisieren (zum Programm). Die OrganisatorInnen der Tagung haben uns freundlicher Weise sämtliche Mitschnitte der dort gehaltenen Vorträge1 zukommen lassen (insbesondere Dank an David für’s Schneiden des Audiomaterials und den freundlichen Kontakt), die wir hier zur Verfügung stellen:

Im Folgenden sind relativ große Dateien (128 kBit/s) verlinkt. Kleinere Fassungen (48 kBit/s) sind auf unserem Server abgelegt.

1. BegrüßungAG Kritische Theorie

Zur Einführung referieren Oliver Römer und Christian Spiegelberg von der AG Kritische Theorie über Ausgangsfragen und Intention der Konferenz, über den Hintergrund an der Marburger Uni, insbesondere am Institut für Soziologie, sowie über die Rolle des Soziologen Heinz Maus.

    Download: via AArchiv (mp3; 11 MB; 11:58 min)

2. Zur Soziologie von Heinz Maus – David Salomon

David Salomon (Universität Marburg) stellt zunächst einige Überlegungen über die Relevanz der Begriffe Traditionalität und Aktualität für kritische Theorie im Allgemeinen an, um dann über die intellektuelle Sozialisation von Heinz Maus zu referieren. Im Anschluss nimmt er das besondere Verhältnis von Philosophie und Marxismus (Karl Korsch, Georg Lukács) zum Ausgangspunkt und rekonstruiert auf welche Weise Heinz Maus dieses bearbeitet und präzisiert hat. Zentral sind dabei die Rolle der Soziologie für den modernen Marxismus (Positivismusstreit etc.) und das Problem der Historizität im marxistischen Denken (Karl Marx, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche). Er endet mit einem Umweg über Bertolt Brecht mit einigen Überlegungen zu den Mausschen Ausführungen zum Verhältnis von Leid und Glück als materialistische Maßstäbe der Kritik und als Kategorien, denen nach wie vor eine dringende Aktualität für eine kritische Theorie der Gesellschaft als Ganzer zukommt.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 45,2 MB; 49:19 min)

3. »Politisierung der Kunst« oder »die Kunst wegschaffen«?Zum Verhältnis von Politik und Kunst bei Walter Benjamin und bei der Situationistischen Internationale – Claus Baumann

Seinem Vortrag über den Vergleich der benjaminschen und situationistischen Perspektive auf das Verhältnis von Kunst und Politik stellt Claus Baumann (Universität Stuttgart, Duale Hochschule Stuttgart, Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator) einige grundsätzliche Überlegungen zum nachträglichen, reflexiven Charakter dieser Kategorien voran (wie sie ähnlich in schriftlicher Form hier veröffentlicht wurden). Dann stellt er jeweils die ästhetischen Konzepte von Benjamin und den Situationisten vor, um sie u.a. anhand der Stellung zur surrealistischen Parole, dass die Poesie in den Dienst der Revolution zu stellen sei, aneinander abzuarbeiten.

Die Situationistische Internationale (1958–1972) um Guy Debord sprach sich einerseits für »neue Aktionsformen gegen Politik und Kunst« aus. Andererseits kritisierten sie die Surrealisten um André Breton dafür, dass diese »Poesie in den Dienst der Revolution« stellen wollten (la poésie au service de la révolution); es komme vielmehr darauf an, »die Revolution in den Dienst der Poesie zu stellen« (la révolution au service de la poésie). Prima facie scheint das situationistische Projekt den Überlegungen von Walter Benjamin zu widersprechen, der 1936 in seinem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« die Auffassung vertreten hat, dass es für gesellschaftskritische, communistische Bestrebungen auf eine »Politisierung der Kunst« ankomme, während der Faschismus eine »Ästhetisierung der Politik« betreibe. Ziel des Vortrags ist es, die jeweiligen Spezifika der situationistischen sowie benjaminischen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Kunst darzulegen und daran anknüpfend der Frage nachzugehen, wie eine aktuelle und kritische Reflexion dieses Verhältnisses angesichts der derzeitigen Lage der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse aussehen könnte.

Claus Baumann (*1967) promovierte im Fach Philosophie an der Universität Stuttgart. Er ist Lehrbeauftrager der Universität Stuttgart im Fachbereich Philosophie sowie an der Dualen Hochschule in Stuttgart im Fachbereich Sozialwesen. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Dialektik, Kritik der politischen Ökonomie, Gesellschaftstheorie, politische Philosophie und Philosophie der Ästhetik.

    Download: Vortrag (mp3; 34,4 MB; 37:33 min), Diskussion (mp3; 22,8 MB; 24:54 min)

4. Gehirn und Geist. Über das Verhältnis von Material und Freiheit zum Gegensatz von empirischer Forschung und Reflexivität – Christine Zunke

Christine Zunke (Universität Oldenburg, siehe auch ihren Beitrag hier) eröffnet die Problemstellung ihres Vortrags mit einer einführenden Überlegung zur descartschen Unterscheidung von denkender und materieller Substanz, um hiervon zu aktuellen Problemen der Gehirnforschung überzugehen: inwiefern lässt sich das Denken aus den physikalischen Prozessen im Gehirn erklären, inwiefern geht es darüber hinaus? Diese Problemstellung führt notwendiger Weise zur Frage nach der Freiheit des Willens, bzw. grundlegender nach der Frage, ob es das Denken überhaupt gibt. Dass diese Frage mit Ja zu beantworten ist, ist für Zunke nur möglich, indem die Gegensätze von Geist|Körper, Materialität|Immaterialität, physikalischen Prozessen im Gehirn|Immaterialität des Denkens als Antinomien zu begreifen sind: weder als Dualität, noch als Identität verhalten sich die widerstreitenden Seiten wechselseitig konstitutiv zueinander, so die These des Vortrags.

Die modernen Neurowissenschaften scheitern trotz immenser Fortschritte beständig an der Frage nach der Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist. Diese Frage nach der Entstehung des (reflexiven und freien) Denkens aus dem physischen Material kann nirgendwo hinführen. Eine im naturwissenschaftlichen Sinne befriedigende Antwort hierauf kann es prinzipiell nicht geben, denn dann müsste das Material die kausale Ursache des Ideellen sein, was das Ideelle als physikalische Wirkung zu einem materiellen Gegenstand machen würde, welcher seiner Bestimmung nach kein Ideelles sein kann. Die konsequenteste Antwort der Neurophysiologie lautet darum, dass das Ideelle bloßer Schein sei, dem keine Wirklichkeit korrespondiere. Der Geist sei eben nicht reflexiv und frei, sondern eine bloß natürliche Funktion des Gehirns, die in der Innenwahrnehmung als Bewusstsein erscheine. Unser Geist sei nicht materiell und darum nicht wirklich. Wir denken ihn bloß. Dass das Denken Gedachtes ist, hat die Philosophie schon immer gewusst. Doch wenn diese Erkenntnis unter den Vorzeichen der empirischen Wissenschaften von der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufgenommen wird, bekommt sie einen reaktionären Gehalt: Da Reflexionen als gegenstandslos erscheinen, wird Kritik methodisch unmöglich und es bleibt allein der Weg der Affirmation des Bestehenden offen.

Dr. Christine Zunke lehrt Philosophie an der Universität Oldenburg und hat mit ihrer 2008 im Akademie-Verlag erschienenen Dissertation „Kritik der Hirnforschung“ eine der ersten grundlegenden Kritiken der Neurophilosophie vorgelegt. Ihre Forschung fokussiert die moralischen und politischen Implikationen moderner Naturwissenschaften.

    Download: Vortrag (mp3; 42,9 MB; 46:53 min), Diskussion (mp3; 19,3 MB; 21:03 min)

5. Intellektuelle und die Genealogie der Kritischen Theorie – Alex Demirović

Alex Demirović (TU Berlin, „PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“) greift die Auseinandersetzung mit Heinz Maus wieder auf, um ihn als eine besondere Figur der älteren Generation der Kritischen Theorie zu verorten und dessen Rolle für die kritische Soziologie in Deutschland und sein Verhältnis zum Institut für Sozialforschung in Frankfurt zu rekonsturieren. Hiervon ausgehend arbeitet sich Demirović an der bundesdeutschen Historisierung der Kritischen Theorie und ihrer Einordnung in (nach seiner eigenen ironischen Berechnung) mittlerweile 7 Generationen ab, um dafür zu plädieren, dass sich kritische Theorie zwar permanent selbst zu reflektieren habe, in ihrer kritischen Selbsthistorisierung aber nicht in der selbstreferentiellen und inhaltsentleerten Frage stecken bleiben darf, wer denn nun zur Kritischen Theorie gehört und wer nicht. Gegenüber dem akademischen Leerlauf beharrt Demirović darauf, dass die Begriffe wieder in Bezug auf die Gesellschaft und ihren Wandel entwickelt werden müssen und vor Allem nicht nach dem besseren Funktionieren der Gesellschaft, sondern nach ihrer praktischen Veränderung zu trachten haben. An diesem Vortrag fällt m.E. das Faktum der Trennung von institutionalisierter Kritischer Theorie in der Akademie und radikaler Linker auf, die bei Demirović ebenfalls überhaupt nicht vorkommt.

    Download: Vortrag (mp3; 36,1 MB; 39:23 min), Diskussion (mp3; 21,8 MB; 23:47 min)

6. Gewalt als Grenze des Anerkennens – Thomas Bedorf

Der Vortrag von Thomas Bedorf (Fernuniversität Hagen) sticht ein wenig aus dem Programm heraus, da dieser sich selbst nach eigener Angabe nicht in der „Großfamilie“ der Kritischen Theorie verortet, dafür aber gewissermaßen von außen eine Auseinandersetzung mit einem Theorem (bzw. Verfallsprodukt) der Kritischen Theorie sucht: die Theorie der Anerkennung von Axel Honneth. Er diskutiert dabei grundlegende Fragen: Ist Gewalt hermeneutisch in den Bereich des Verstehbaren hineinzuholen? Ist Anerkennung überhaupt ein geeigneter Schlüsselbegriff um Interaktion in ihrer Konflikthaftigkeit zu begreifen? Welchen Platz räumt eine Theoretisierung von Anerkennungsverhältnissen der Gewalt ein? Er arbeitet sich zu nächst an Honneths Theorie der Anerkennung ab, vergleicht diese dann mit anderen Auseinandersetzungen mit Anerkennung (Judith Butler, u.a.), um schließlich seine eigene Position zu begründen: Anerkennung implizert auch immer Verkennung, sie kann zwar ohne Gewalt, nicht aber ohne Macht gelingen.

Ob es um die Themen von Protestbewegungen geht, um die Belange ethnischer und sexueller Minderheiten oder um Nationen im Kampf um einen eigenen Staat – stets geht es um die Anerkennung von Anderen, die zum Gegenstand von Verhandlungen, aber auch politischem Widerstand und sozialen Konflikten wird. Der Vortrag wird die Gewalt, die das Ringen um Anerkennung auslösen kann im Horizont eines Modells „verkennender Anerkennung“ zum Thema haben. Anerkennungstheorien, die das Ideal gelingender Anerkennung unterstellen, schließen Gewalt prinzipiell aus. Sie betrachten Missachtungen lediglich als Signale für Ansprüche auf Anerkennung. Anerkennungstheorien, die die Subjektivierungsdispositive in den Vordergrund stellen, behaupten hingegen Gewalt als für die Subjektkonstitution unausweichlich. Ein Modell „verkennender Anerkennung“, das auf der Einsicht beruht, dass es vollkommene Anerkennung nicht geben kann, da moderne Identitäten nichts fixierbares, sondern ständig in Bewegung sind, droht zur Affirmation von Gewalt genötigt zu sein, da es ihm an normativen Kriterien fehlt, sie von vornherein auszuschließen. Als Lösungsvorschlag soll der Gedanke dienen, dass, wo Machtformen irreduzibel zum Anerkennen hinzugehören, Gewalt als Abbruch des Prozesses des Anerkennens dennoch ausgeschlossen werden kann.

Dr. Thomas Bedorf ist Privatdozent für Philosophie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen. Im Wintersemester 2009/2010 war er Gastprofessor für Politische und Sozialphilosophie an der Universität Wien.

    Download: Vortrag (mp3; 40,9 MB; 44:40 min), Diskussion (mp3; 32,4 MB; 35:24 min)

7. Zweite Natur: Kritik und Affirmation – Christoph Menke Besonders hörenswert

Christoph Menke (Goethe Universität Frankfurt am Main) referiert in seinem Beitrag über den Begriff der 2. Natur, wie ihn Hegel entwickelt hat. Das Theorem der zweiten Natur versucht selbstauferlegten Zwang, selbstverschuldete Unmündigkeit zu erklären, indem es die soziale Struktur in den Blick nimmt – es soll der Umschlag des aus Freiheit selbst gemachten in ein selbstständig Seiendes, Unmittelbares erklärt werden. Menke erklärt die Ausführungen Hegels zu diesem Problem vor Allem am Begriff der Gewohnheit als unbewusstes bzw. unbewusst geleitetes Handeln und rekonstruiert hierbei zwei Seiten der Gewohnheit: einmal als Bildung zur Fähigkeit Zwecke zu setzen, auf der anderen Seite als selbst mechanischer Vollzug. An dieser Doppelseitigkeit macht Menke deutlich, dass Hegel nicht einfach abstrakt negierend vorgeht: es geht nicht um eine Gegenüberstellung vom Prozess des Setzens als etwas Gutem und der Verselbstständigung der Setzung gegenüber dem Setzenden als etwas Schlechtem – Kritik und Affirmation sind bei Hegel auf unlösbare Weise miteinander verquickt. Menke streift die Relevanz der Hegelschen Reflexion auf die zweite Natur für die Kritische Theorie (für Marx, Lukács, Adorno und Benjamin) nur am Rande, macht aber deutlich, dass Hegel die Grundlagen materialistischer Kritik gelegt hat. – Ein wirklich guter und hörenswerter Hegel-Vortrag!

    Download: Vortrag (mp3; 45,1 MB; 49:16 min), Diskussion (mp3; 13,5 MB; 14:44 min)

8. Negativität. Adorno und Hegel – Michael Städtler

Negativität fasst Michael Städtler in seinem Vortrag als Formbestimmung kritischer Theorie und setzt Adorno und Hegel unter diesem Aspekt in Bezug zueinander. Er zeigt warum Adorno Zweifel an einer Geistesgeschichte hegte, deren Triumph Hegel bloß zu rekonstruieren suchte – während Hegel die Verwirklichung der Vermittlung von Vernunft und Wirklichkeit am Ende der Philosophiegeschichte zu sehen glaubte, bestreitet Adorno die so definierte Verwirklichung der Philosophie. Städtler macht dabei deutlich, dass Adorno jedoch gegenüber Hegel nicht nur Skepsis hegt – gerade an Adornos Kritik des Positivismus wird deutlich, dass er mit dem Anspruch, dass das Denken über das bloß Gegebene hinauszuweisen habe, an Hegel festhält. Ziel Adornos ist es, Theorie und Praxis miteinander zu verwirklichen, ohne sie jedoch wechselseitig zueinander aufzuheben – hieran wird deutlich, dass Adorno zu Kant zurückkehrt, nicht jedoch ohne Hegels Kritik an Kant zu verwerfen. Vielmehr gilt es die Spannung von Widersprüchen aufrecht zu erhalten, die in Hegels Versuch der Aufhebung zu einer verkehrten Totalität eingeebnet zu werden drohen. Was dies bedeutet macht Städtler u.a. an der negativen Theologie deutlich, die versucht Gott aus der Summe dessen zu bestimmen, was Gott nicht ist – Adorno macht die Widersprüchlichkeit dieses Denkversuchs für materialistische Kritik fruchtbar, die Hegel im Versuch, aus dieser Negativität ein System absoluten Wissens zu machen, einebnet.

Das Verhältnis Adornos zu Hegel ist gespalten. Einerseits sei die Hegelsche Philosophie unübergehbare Voraussetzung jedes „theoretische[n] Gedankens von einiger Tragweite heute“ (Adorno, Aspekte), andererseits sei das System Ausdruck der Angst des Bürgertums vorm eigenen Untergang „[i]m Schatten der Unvollständigkeit der eigenen Emanzipation“. (Adorno, Negative Dialektik) Damit aber gilt diese Form von Philosophie der Kritik nicht einfach als eine falsche, sondern in der Kritik ihrer Fehler werden Einsichten über den Stand der Entwicklung von Selbstbewußtsein und Freiheit möglich, die sonst unsichtbar blieben. Die Kritik des bürgerlichen Bewußtseins setzt dessen selbstbewußt durchformulierten Begriff voraus. Noch strikter: Das Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft ist, wie diese selbst, realisierte Freiheit, aber in verkehrter Gestalt. Das Ziel radikaler Befreiung ist diesem Bewußtsein ebenso fremd, wie es selbst diesem Ziel vorausgesetzt ist. Mit diesem Gedanken begibt sich aber das Bewußtsein kritischer Theorie in Widerspruch zu sich selbst: Es verdankt seine wesentlichen Einsichten einer Geschichte, die abzulehnen, aber nicht mehr aufzuheben ist; ein durchaus unbefriedigender Zustand, der dazu führt, daß Adorno eine Dialektik entwirft, an deren Ende keine affirmativen Urteile mehr stehen. Die Kritik wird nicht konstruktiv gewendet, sondern sie bleibt kritisch. Dieser Gedanke ist offenkundig so frustrierend, daß nicht bloß die Schulphilosophie des 20. Jahrhunderts ihn nie wahrhaben wollte, sondern daß selbst diejenigen, die seit Adorno unter dem zum Label gewordenen Ausdruck ‚Kritische Theorie‘ firmieren, ihn aus ihrem Sortiment genommen haben. Was es dagegen heißt, bei der Kritik zu bleiben und wer eigentlich deren Subjekt sein kann, warum schließlich der auf Kritik beharrende Gedanke nicht nichts ist, soll in dem um die Bedeutung von Negativität zentrierten Vortrag über das Verhältnis Adornos zu Hegel überlegt werden.

PD Dr. Michael Städtler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Vorstand des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover.

    Download: Vortrag (mp3; 48,9 MB; 53:22 min), Diskussion (mp3; 12,1 MB; 13:10 min)

9. Glückliche Ehe oder liaison dangereuse? Fragen nach der Verbindung von Feministischer und Kritischer Theorie – Cornelia Klinger

Cornelia Klinger (Eberhard Karls Universität Tübingen) beginnt ihren Vortrag mit einigen Vorüberlegungen zur Entstehung und zu Schwierigkeiten feministischer Bewegung und Theorie, um dann Kritische Theorie und Feministische Theorie unter drei Aspekten in Beziehung zueinander zu setzen: 1. Kritik, 2. Negation und Negativität und 3. Utopie. Sie legt im ersten Teil sehr ausführlich dar, welche Bedeutung diese drei Aspekte für die Kritische Theorie haben und referiert in einem zweiten, kürzeren Teil, wie feministische Kritik diese drei Aspekte auf spezifische Weise bewusst oder unbewusst aufgreift und erweitert. Sie schließt mit der Formulierung eines Anspruchs, den sie an feministische Theorie heute heranträgt: dass diese wieder vermehrt an die Kritische Theorie Adornos/Horkheimers anknüpfen möge. Trotz der Genauigkeit ihrer Ausführungen zur Kritischen Theorie bleibt deren Verbindung zum Feminismus oberflächlich und müsste selbst noch konkret bestimmt werden. Sympathisch ist ihre Betonung der außer(!)akedemischen Dimension kritischer Theorie im Anspruch auf allgemeine Emanzipation.

Feminismus wurde nicht als Theorie geboren, sondern verdankt seine Entstehung einer gesellschaftlichen und politischen Bewegung, die erst im Verlauf ihrer Entwicklung – nicht zuletzt infolge der Widerstände, auf die sie gestoßen ist – begonnen hat, sich ein theoretisches Fundament zu erarbeiten. An verschiedene unterschiedliche Theoriegebäude (Liberalismus, Marxismus, Psychoanalyse u.a.) hat feministische Theorie mehr oder weniger erfolgreich Anschluss gesucht und gefunden. Vor diesem Hintergrund geht der Vortrag der Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und kritischer Theorie nach. Ausgehend von der These, dass feministische Theorie per se kritische Theorie ist, das heißt mit der älteren kritischen Theorie der Frankfurter Schule im Ansatz mehr Gemeinsamkeiten aufweist als mit irgend einem anderen Theoriegebäude wird zu zeigen sein, dass feministische Theorie die ‚bessere‘, konsequentere und vollständigere Kritische Theorie sein bzw. werden könnte – unter der Voraussetzung, dass sie ausgerechnet einige besonders traditional erscheinende Elemente der kritischen Theorie aufzunehmen und zu aktualisieren vermöchte.

Cornelia Klinger ist außerplanmäßige Professorin an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ständiges wissenschaftliches Mitglied am Institut für die Wissenschaften am Menschen in Wien. Sie hatte Lehraufträge und Gastprofessuren an den Universitäten Wien, Zürich, Bielefeld, Frankfurt, Klagenfurt, Innsbruck, Tübingen, München, Luzern und Berlin inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Philosophie und Geschichte der Moderne, Feministische Theorie/gender studies und Ästhetische Theorie.

    Download: Vortrag (mp3; 40,5 MB; 44:13 min), Diskussion (mp3; 26,6 MB; 29:02 min)

10. Im Handgemenge des SprechensGibt es eine „verdrängte Sprachphilosophie“ der Kritischen Theorie? – Jan Müller

Jan Müller (TU Darmstadt) widerspricht in seinem Vortrag der sprachpragmatischen Deutung Adornos (u.a. Jürgen Habermas, Martin Seel), alles Denken und Sprechen sei per se verdinglicht, womit Sprache selbst in einer tragischen Auffassung von Geschichte aufgehen müsse und nur der Ausweg einer sprachlosen Offenbarung bliebe. Hierzu referiert er ausführlich Benjamins frühen Text „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen„, um dann Benjamin und Adorno in Beziehung zueinander zu setzen. Ein sehr komplexer und kompakter sprachtheoretischer Vortrag.

Die Aneignung der ersten (oder Gründungs-)Phase der kritischen Theorie steht allgemein unter Metaphysikverdacht, eine Befürchtung, die insbesondere das Verständnis von Sprechen und Sprache betrifft. Theodor W. Adorno habe, darin inspiriert von Walther Benjamin, eine Fundamentalkritik der Sprache unter dem „eisigen Strahlen“ instrumenteller Vernunft verfolgt. Die Konsequenz dieser unterstellten Absicht ist ein Dilemma: Entweder – das sei der Ausweg Benjamins – sei Zuflucht zu einem theologischen Sprachmodell genommen, oder – so unterstellt man Adorno – eine Delegation der sonst dem Sprechen zugeschriebenen
Funktionen an eine (damit aber überlastete) „ästhetische Erfahrung“ unternommen worden. Würde die frühere kritische Theorie an einem romantisch überhöhten Bild der Sprache leiden, dann wäre seine Korrektur durch die Erfordernisse kommunikativer Rationalität eine wünschenswerte und sachlich unvermeidbare Konsequenz. Der Vortrag möchte dagegen die – allmählich vernehmbarere, aber noch immer randständige – Vermutung stark machen: (1) Die Kritik an den sprachphilosophischen Überlegungen Benjamins und Adornos gewinnt ihre Plausibilität vor allem aus der Übernahme von Grundunterscheidungen der analytischen Theorie des Sprachhandelns – sie artikuliert den Sachverhalt, dass Adorno und Benjamin Sprache anders thematisieren als die Tradition z.B. Searles. (2) Diese andere Thematisierungsform lässt sich nicht als bloß alternatives Modell von Sprechen und Sprache verstehen; Benjamin und Adorno liefern, in offener und verdeckter Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen sprachphilosophischen Diskussion, eine „Metakritik“ – sie fragen präsuppositionsanalytisch nach den Voraussetzungen und Angemessenheitskriterien vernünftigen Nachdenkens über Sprache. (3) Das Resultat dieser Auseinandersetzung ist eine Verortung der Funktion und Reichweite des Modells propositionaler Sprachreflexion. Sie zeigt (a) das Ungenügen einer am Kommunikationsparadigma orientierten Reflexionsform, die Funktion des Sprechens als Medium der Bildung und Reproduktion unserer Praxisform zu thematisieren, und provoziert (b) eine für die gegenwärtige Diskussion provozierende Blickumkehr, die Sprache nicht einfach Medium „des Politischen“ , sondern als politisches Medium begreifbar macht.

Dr. Jan Müller (*1979) studierte Philosophie und Deutsche Sprache und Literatur in Marburg. Promotion 2010 in Stuttgart, derzeit wiss. Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Er beschäftigt sich vor allem mit dialektischer Handlungs- und Tätigkeitstheorie, Sprachphilosophie und politischer Philosophie (und ihrem Verhältnis zueinander).

    Download: Vortrag (mp3; 42,3 MB; 46:08 min), Diskussion (mp3; 31,9 MB; 34:49 min)

11. Podiumsdiskussion: Zur Praxis kritischer Theorie. Formen der Gesellschafrkskritik heute

Moderiert von Christoph Demmerling (Philipps-Universität Marburg) diskutieren auf dem ersten Podium Alexander Garciá Düttman, Christoph Henning (Universität St. Gallen, u.a. „Philosophie nach Marx„), Philip Hogh (Goethe Universität Frankfurt a.M., u.a. Jungle World) und Cornelia Klinger über die Anforderungen einer tatsächlichen Weiterführung und Aktualisierung Kritischer Theorie. Für Düttman stellt sich eine solche Aktualisierung als eine kritische Selbstreflexion der AkademikerInnen dar: er verbindet die adornitischen Theoreme der sozialen Kälte und des universellen Verblendungszusammenhangs mit einer Kritik der neoliberalen Universität. Henning plädiert dafür, einige Themen der Klassiker der Kritischen Theorie (insbeondere nennt er Honneth) liegen zu lassen und fordert gleichzeitig dazu auf, wieder an die ältere Generation der Kritischen Theorie anzuknüpfen und von ihr zu lernen – in seinem Statement geht er auf einige Vorträge ein, die auf der Konferenz gehalten worden sind und gibt Anstoß, noch einmal über einzelne Aspekte zu diskutieren. Hogh schließt noch einmal an die sprachtheoretische Diskussion an, um unter diesem Aspekt Adorno und Habermas kritisch in Beziehung zueinander zu setzen. Klinger hält die Frage, ob es eine Praxis der Kritischen Theorie geben kann, für verkehrt – ihr Statement: die Praxis der Kritischen Theorie ist die Theorie. Eine revolutionäre Perspektive scheint in der Abschlussdiskussion nicht auf.

    Download: Statements (mp3; 65,1 MB; 1 h 11:08 min), Diskussion (mp3; 34,6 MB; 37:48 min)
  1. Dazu sei angemerkt, dass der Vortrag von Ingo Elbe aus gesundheitlichen Gründen leider ausfallen musste und der Mitschnitt des Vortrags von Frank Benseler aufgrund der zu geringen Lautstärke nicht verwendbar war. [zurück]