Archiv für den Monat: Juni 2014

Fritz Lamm – Briefe und Interview

Passend zu unserem Posting über Dissidenten der Arbeiterbewegung wurde ich gerade aufmerksam gemacht auf eine Schallplatte mit Briefen und einem Gespräch mit Fritz Lamm, die bei Youtube hochgeladen wurde. Der Linkssozialist Fritz Lamm kam aus der jüdisch geprägten Jugendbewegung und war Mitglied der SPD, wo er jedoch 1931 ausgeschlossen wurde »aufgrund Radikalisierung der Jugend mittels Schriften von Marx und Engels«. Als SAP-Mitglied war er beteiligt am Widerstand gegen den Nationalsozialismus und blieb auch im Exil als Antifaschist aktiv. Als er nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurückkehrte, trat er erneut in die SPD ein (dort wurde er in den sechziger Jahren u.a. wegen Linksabweichung und aufgrund seiner Homosexualität1 erneut ausgeschlossen), war aktiv in der Naturfreundejugend und bei den Falken und stand im Kontakt mit dem SDS, dessen revolutionstheoretische Ausprägung er mit beeinflusst hat.

Zum nachhören stehen drei Briefe an die 19-jährige Vera Bergmann von 1946 (gesprochen von Martin Lüttge und Regine Vergeen) sowie ein biographisches Interview zur Verfügung (wann letzteres geführt wurde, konnte ich leider nicht herausfinden).

    Download:

  1. Briefe an Vera Bergmann: via AArchiv (mp3; 27,4 MB; 29:53 min) | hören via Youtoube: I, II, III

  2. Interview: via AArchiv (mp3; 14,8 MB; 16:10 min) | hören via Youtube

Empfohlen sei auch die Lamm-Biographie von Michael Benz.

  1. Dass Lamm wegen seiner Homosexualität ausgeschlossen wurde, ist nicht ganz korrekt. Offiziell wurde er 1963 im Zuge des Unvereinbarkeitsbeschlusses mit dem SDS ausgeschlossen. Richtig ist, dass ihm später die SPD aufgrund seiner Homosexualität die Jugendarbeit bei den Falken untersagte. Zudem dürfte ein homophobes Ressentiment in der Nachriegs-SPD stets präsent gewesen sein, wie es etwa der Lamm-Schüler Helmut Schauer berichtete: „Der Emigrant, Jude, Homosexuelle und radikale Sozialist Fritz Lamm war – zumal im Restaurationsklima der fünfziger Jahre – unter den biederen Schwaben ein Exot, der nicht nur Faszination, sondern auch Vorurteile und Abwehrreaktionen hervorrief.“ via [zurück]

“Jeder stirbt für sich allein.” Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen.

Nachdem es in letzter Zeit häufiger (etwa hier) den Versuch einer materialistischen Auseinandersetzung mit dem Tod gegeben hat, organisierte die „Kritische Intervention“ in Halle eine Vortragsreihe über die „Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen.“

Oliver Decker sprach dabei über den Körper als Heils- und Handelsgut, Guido Sprügel unternahm eine gesellschaftskritische Betrachtung der Sterbehilfe, Kirsten Achtelik referierte über die Widersprüche der Pränataldiagnostik und zwei Protagonisten der K.I – Malina Schwarz und Morten Lund – erklärten zum Auftakt die Motivation der Veranstaltungsreihe und erinnerten an Auseinandersetzungen mit der Ideologie (und den Ideologen) des Todes (mit Verweisen auf Adorno, Bloch, Sartre, Canetti, Heidegger, Horkheimer, Marcuse,..).

Malina Schwarz/Morten Lund: Nachruf. Über den Tod im Bestehenden

Die Thematisierung des Todes, um den die materialistische Kritik „nie ein großes Gewese“ (Magnus Klaue) gemacht hat, erweckt häufig den Eindruck eines rein intellektuellen Spiels. Im Gegensatz zum Sterben, diesem körperlichen und oftmals schmerzhaften Prozess, scheint es unmöglich den Tod sinnvoll zu fassen: den Tod denkend zu bestimmen, überschreitet die Grenzen des Bestimmbaren. So haben aktuelle Versuche sich dem Thema aus einer kritisch-materialistischen Perspektive zu nähern, nicht zufällig zumeist eine thesenhafte Form.
Doch jede Beschäftigung mit dem Tod einzustellen, Tod und Sterben voneinander getrennt zu betrachten, greift zu kurz. Nicht ohne Grund sprach Adorno von der Abschaffung des Todes als wesentlichem Bestandteil utopischen Denkens, das versucht über das Bestehende hinauszukommen. Notwendig ist zudem eine Kritik am Umgang mit dem Tod, der „bloß noch die absolute Irrelevanz des natürlichen Lebewesens gegenüber dem gesellschaftlich Absoluten“ bestätigt. Den Tod als „Gegebenes“ (Jean-Paul Sartre) darzustellen und zu akzeptieren, bedeutet der „Ideologie der Unparteilichkeit des Todes“ (Max Horkheimer) zuzureden und die materialistische Kritik daran zu vernachlässigen, wohl wissend, dass in der falschen Gesellschaft “selbst die Utopie von der Abschaffung des Todes falsch wird” (Lars Quadfasel).
Im Rahmen der Vortragsreihe „Jeder stirbt für sich allein. Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen“ werden Malina Schwarz und Morten Lund referieren und dabei an Auseinandersetzungen mit der Ideologie (und den Ideologen) des Todes erinnern. Sie zeigen unterschiedlichste Formen der Verherrlichung des Todes, die mit Martin Heidegger als deutschen Philosophen nicht rein zufällig den einflussreichsten Apologeten des Todes in der Moderne fand, und deren philosophische Kritik. Darüber hinaus zeigen sie aktuelle Entwicklungen im Umgang mit dem Tod, der “Nichtung aller Möglichkeiten” (Jean-Paul Sartre) auf, die zum einen in einer Ökonomisierung des Sterbens und des Todes zu sehen sind; zum anderen in einer Todessehnsucht. In „einer Welt in der es längst Schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod“ (Theodor W. Adorno) bleiben Fragen: Wie ist es in diesen Zuständen um die Hoffnung bestellt, das Leben nicht vom Tod diktieren zu lassen? Wenn die gewalttätige Abkürzung des Lebens, die gerade in den verschiedenen Formen der Todessehnsucht ihren Ausdruck findet, nichts anderes ist, als die Dementierung des Glücksversprechens: Ist die Aufforderung das Ende seines Lebens selbst zu bestimmen, kaum mehr als eine voreilige Versöhnung mit Naturkräften?

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Oliver Decker: Ware:Körper. Zur Sozialpsychologie von Markt und Medizin

In der Gesellschaft der Warenproduzenten, geht es auch bei der Gesundheit als Ware um Kapitalbildung. Ein Produkt wird nicht produziert, um sinnliche Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um den Kapitalstock zu vermehren. Mit einem Rückgriff auf die Schutzpatrone vieler medizinischer Fakultäten (Cosmas und Damian), zeigt Oliver Decker wie der menschliche Körper direkt in diese ökonomische Logik einbezogen wird. Vorab führte Radio Corax ein Interview mit Decker, der sich unter anderem in seiner Veröffentlichung „Der Warenkörper“ mit dem Verhältnis von kapitalistischer Akkumulation und dem menschlichen Körper beschäftigt.

Die Ökonomisierung erfasst den menschlichen Körper, er wird zur Ware. Am deutlichsten ist das in der modernen Medizin. Sie braucht den Körper als Ressource, ob in der Stammzellforschung oder der Organtransplantation. So wird der menschliche Körper und werden seine Teile zum Handelsgut. Erstaunlicherweise war der Körper im historischen Umbruch zur Moderne schon einmal ein solches: Der ganz Europa erfassende Reliquienhandel machte menschliche Körperteile zum begehrtesten Handelsgut – und zum Heilsgut. Mit dieser Vorgeschichte wird auf einen Schlag sichtbar, dass der Griff nach dem menschlichen Körper keine ökonomische Landnahme ist: Waren-Gesellschaft und moderne Medizin verbindet mehr, als sie an ihrer Oberfläche zu erkennen geben. So wird eine noch weiter zurückreichende „untergründige Geschichte des Körpers“ (Horkheimer/Adorno) frei gelegt. Es ist die Geschichte des Opfers, das zuallerst das Menschenopfer war. Schon dieses war geprägt von der Ersetzungslogik und wie das Menschenopfer sind Markt und Medizin Versöhnungsversuche – die dann wiederholen, was sie abwehren sollen. Von diesem Wiederholungszwang sind weder Markt noch Medizin bis heute frei. Im Rahmen der Vortragsreihe „Jeder stirbt für sich allein. Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen“ wird Oliver Decker zur Warenförmigkeit des Körpers und den damit zusammenhängenden Problemen der Organspende und des Organhandels referieren. Dabei kommt dem Thema Tod eine mehrfache Bedeutung zu: Zunächst benötigt die Organtransplantation die Feststellung des Todes, bei der sich vor allem der Hirntod als das Ende des Lebens aus wissenschaftlicher Sicht durchgesetzt hat. Zudem ermöglicht die Verlängerung des Lebens nicht nur eine erweiterte Verwertbarkeit des menschlichen Körpers, sondern verkürzt auf der anderen Seite das Leben anderer, weniger profitabler Körper; Menschen, die auf den Verkauf ihrer Organe angewiesen sind.

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Guido Sprügel: Die Einsamkeit der letzten Dinge. Eine gesellschaftskritische Betrachtung der Sterbehilfe

Was es über eine Gesellschaft aussagt, wenn der Tod als Erlösung erscheint, wenn die Zahl der in Anspruch genommenen Sterbehilfe zunimmt, fragt der Journalist Guido Sprügel (Jungle World) und zeichnet mit Hilfe viel empirischen Materials das Bild einer legalisierten Sterbehilfe als bürokratisches Monstrum, dem die Idee des Hospiz gegenübergestellt wird. Auch hier sprach Radio Corax zuvor mit dem Referenten.

„Die Signatur des Zeitalters ist es“, so Adorno „daß kein Mensch, ohne alle Ausnahme […] sein Leben mehr selbst bestimmen kann.“ So scheint die Sehnsucht, wenigstens das Ende seines Lebens selbst frei wählen zu dürfen, ein letztes Residuum menschlicher Autonomie zu sein. Nicht verwunderlich ist es somit, dass über 70% der deutschen Bevölkerung, so legen es die immer wiederkehrenden Umfragen durch Meinungsforschungsinstitute nahe, eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe begrüßen würden. Dass sich in einer kapitalistischen Vergesellschaftung bei einer bestehenden Nachfrage entsprechende marktförmige Angebote finden lassen, scheint ebenso wenig verwunderlich. Wieso aber ist es problematisch, Organisationen wie Dignitas, die gewerbliche Sterbehilfe anbieten, zu legalisieren? Der Vortrag wird das problematische Verhältnis von Freitod und organisierter Sterbehilfe thematisieren und dabei auch die Frage nach Möglichkeiten eines selbstbestimmten Todes „in einer Welt in der es längst Schlimmeres zu fürchten gibt als den Tod“ (Adorno) aufwerfen.
Im Rahmen der Vortragsreihe „Jeder stirbt für sich allein. Von der Notwendigkeit und Unmöglichkeit über den Tod zu sprechen“ berichtet Guido Sprügel, der als freier Journalist unter anderem für die Jungle World schreibt, über die letzte Lebensstation vieler Menschen. Welche Gründe gibt es für den Wunsch nach Sterbehilfe? Und was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn die “Lösung Tod” immer einfacher zu bekommen ist? Dabei sollen auch der gesellschaftliche Umgang mit organisierter Sterbehilfe im europäischen Ausland und dortige gesetzliche Bestimmungen in den Blick genommen werden.

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Kirsten Achtelik: Auslese, Perfektionierung und die Last der Entscheidung

Kirsten Achtelik, die zum Thema ein Buch im Verbrecher-Verlag veröffentlichen wird, zeigt die diskriminierenden Implikationen der pränatalen Dignostik auf, die bei Verdacht auf genetisch bedingte Behinderungen an Embryonen in den ersten Tagen ihrer Entwicklung durchgeführt werden. Achtelik problematisiert im Vortrag das Selbstbestimmungskonzepts der Frauenbewegung („Mein Bauch gehört mir“), verweist auf technische und gesetzliche Entwicklungen der Pränataldiagnistik, um dann – mit Hilfe eines geschichtlichen Abrisses zur Eugenik – zu fragen, inwieweit sich hier Kontinuitäten aufzeigen lassen. Einige Einwände finden sich in einem ebenfalls vorab geführten Gespräch.

Dass Fortschritt und Regression sich in technischen Möglichkeiten verschränken, wird mit Blick auf sogenannte Reproduktionstechnologien wie Präimplantations- und Pränataldiagnostik besonders deutlich. In den achtziger Jahren galten sie vielen als Ausdruck kapitalistischer und patriarchaler Herrschaft, wobei auch eugenische Tendenzen und NS-Kontinuitäten kritisiert wurden. Die in den 1970er Jahren legalisierte (und Mitte der 1990er nur auf dem Papier abgeschaffte) embryopathische Indikation zum Schwangerschaftsabbruch erlaubte den Abbruch bei diagnostizierten oder prognostizierten ‚Schädigungen‘ oder ‚Erbkrankheiten‘ des Fötus.
Dabei ist die Entscheidung über eine solche Abtreibung nie eine bloß individuelle, sondern gesellschaftlich vermittelt und bedingt. Die abelistische Gleichsetzung von Behinderung mit Leiden und Schmerzen, die unterstellt dass das Leben der Betroffenen nicht wert sei, gelebt zu werden ist ein weiterhin wirkmächtiges Konstrukt. Diese Techniken befördern, so eine weitere Kritik, zudem die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung.
In gewissen queeren Zusammenhängen werden einige dieser Technologien heute als subversive Mittel für selbstbestimmte Fortpflanzungsentscheidungen jenseits heteronormativer Zwänge und Vorstellungen von Natürlichkeit gerühmt. Einer Kritik an der modernen Biomedizin wird schnell eine regressive Sehnsucht nach vortechnologischer Harmonie unterstellt. Die kürzlich erfolgte Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik gilt schließlich vielen als Erweiterung der Selbstbestimmung der Frau.
Kristen Achtelik wird unterschiedlichen Positionen zu Reproduktionstechnologien aufzeigen und für eine Reflektion der Bedeutung gesellschaftlicher Verhältnisse für individuelle Entscheidungen argumentieren. Die politische Förderung der wissenschaftlichen Entwicklung und persönlichen Anwendung von Reproduktionstechnologien entspringt – bereits bei einer historischen Betrachtung – nicht nur dem Wunsch das Individuum von der Schicksalhaftigkeit seiner eigenen Biologie zu befreien, sondern war und ist immer auch eine Form der Bevölkerungspolitik. Bevölkerungspolitische Maßnahmen sind dabei immer auch an die Idee eines gesunden „Volkskörpers“ gebunden, der den Tod der Anderen in der Weise impliziert, dass er zwar nicht, „meine persönliche Sicherheit erhöht; der Tod der Anderen, der Tod der bösen, der niederen (oder degenierten oder anormalen) […]wird das Leben im allgemeinen gesünder machen“ (Foucault).
Eine – auch feministisch motivierte – Kritik an Gen- und Reproduktionstechnologien kann dabei aufzeigen, warum der Gendiskurs momentan so erfolgreich ist und von staatlichen Instanzen gefördert wird und wie Frauen unter einen gesellschaftlichen Druck gesetzt sind, diesen in eine individuelle Entscheidung zu integrieren.

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Thomas Ebermann – Widerstand gegen sich selbst

Die technische Qualität ist nicht die Beste, der Mitschnitt bricht abrupt ab und das Gesagte ist recht anekdotisch. Dennoch sind die Ausführungen von Thomas Ebermann zur Konsumkritik als kapitalistische Selbstoptimierung aus dem Conne Island eine Empfehlung.