Archiv für den Monat: Januar 2014

Kein Kavaliersdelikt

Die Ex-Magazin-Redaktion dokumentiert einen Vortrag der Gruppe Les Madeleines zur Kritik der Definitionsmacht, über die in Berlin wieder mal diskutiert wird – wahlweise herunterzuladen via Hightail oder via AArchiv. Material zur Kritik des Konzepts findet sich hier, Texte zur Begründung und Verteidigung der Definitionsmacht hier, hier und hier.

Gesellschaftliche Naturverhältnisse

Vom 26.-29. Oktober 2013 richtete die Gruppe »Exit!« ihr Jahresseminar unter dem etwas schlicht formulierten Thema »Gesellschaftliche Naturverhältnisse« aus. Im Folgenden werden alle vier Vorträge dokumentiert, die sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten (Ökonomie, Ökologie, Wissenschaft, Ideologie, Subjekt) mit einer Kritik der historischen wie gegenwärtigen Naturverhältnisse des warenproduzierenden Patriarchats befassten.
Die Mitschnitte sind, größtenteils auch in kleineren ogg-Versionen, ebenfalls auf archive.org zu finden (dort auch alles auf einmal als Zip-Archiv, knapp 400 MB). Bei den Vortragenden handelt es sich mit Ausnahme Karina Koreckys um Exit!-Redakteure. Die dokumentierten Diskussionen enthalten Beiträge u.a. von JustIn Monday und Roswitha Scholz.

Seminarankündigungstext von Roswitha Scholz:

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlebte der Kasinokapitalismus in den 1990er Jahren seinen Höhepunkt. In diesem Kontext stellten sich auch linke und feministische Theoriebildung auf kulturalistische und dekonstruktivistische Konzepte um. „Natur“ und eine wie auch immer verstandene „Materie“ waren als Beschäftigungsgegenstand weithin suspendiert, ja geradezu verpönt. Man/frau trug stets die Essentialismus-Keule bei sich. In den 2000er Jahren änderte sich dies, nicht zuletzt die Finanzkrise von 2008 machte deutlich, dass objektive und „materielle“ Problemlagen nicht mehr selbstverständlich zurückgewiesen werden können. Nun drängten auch liegen gelassene ökologische Fragen wieder in den Vordergrund, ausgehend von Skandalisierung der Klimaveränderung. Allerdings sind  postmoderne Schlacken in großen Teilen der Ökologie-Debatte noch deutlich sichtbar: So etwa im linksfeministischen Kontext: „Ziel der sozial-ökologischen Forschung ist es, Wissensinhalte in Bezug auf konkrete Problemlagen zu generieren, die es ermöglichen, praktisch verändernd in die Welt einzugreifen. Dementsprechend beansprucht das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse keine universalisierende Welterklärung, sondern die Generierung kontextualisierten Gestaltungswissens. Gesellschaftliche Naturverhältnisse werden in ihrer Pluralität betrachtet und es wird zwischen  einer Vielzahl gesellschaftlicher Naturverhältnisse differenziert – es gibt nicht das singuläre gesellschaftliche Naturverhältnis.“ (Diana Hummel/Irmgard Schulz, Hervorheb.i.O.)
Wenn wir von gesellschaftlichen Naturverhältnissen sprechen, geht es um etwas anderes, nämlich um das Verhältnis von Natur und kapitalistischem Patriarchat, das sich nicht in postmoderne Pluralität auflösen lässt. Ökologische Probleme können unter kapitalistischen Bedingungen nicht gelöst werden; darüber hinaus weisen neue ökologische Bewegungen starke ideologische Momente auf, die bei fortschreitender Krise ihr Destruktionspotential erst voll entfalten könnten, wie anhand der Postwachstumsbewegung aufgezeigt wird. Außerdem werden Überlegungen zum Androzentrismus in der Geschichte der Naturwissenschaften und zur „Natur des Subjekts und des Staates“ angestellt.

1. Claus Peter Ortlieb: Kapitalistische Krise und Naturschranke

Claus Peter Ortlieb leitete das Seminar ein mit recht umfangreichen Ausführungen zu aktuellen Positionen, die den Zusammenhang von kapitalistischer Ökonomie, Wachstumszwang und den Grenzen der ökologischen Belastbarkeit der natürlichen Umwelt thematisieren – und meist verfehlen. Der Vortrag enthält einige Zwischen- und eine Abschlussdiskussion, die ebenfalls dokumentiert sind. Der eingangs erwähnte Konkret-Artikel zum selben Thema ist mittlerweile online verfügbar.

Anders als die ökonomische Krise, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit als vorübergehende Erscheinung gedeutet wird, wird die ökologische Krise dort durchaus als Grundproblem der modernen Lebensweise wahrgenommen. Allzu offensichtlich ist der Widerspruch zwischen den ökonomischen Wachstumsimperativen auf der einen und der Endlichkeit der stofflichen Ressourcen auf der anderen Seite. Solange allerdings die kapitalistische Produktionsweise für so natürlich gehalten wird wie die Luft zum Atmen, beruhen alle Problemlösungen auf Fiktionen: Während die einen die Naturschranke unter Hinweis auf den technischen Fortschritt als nicht existent vom Tisch wischen, vernachlässigen oder verniedlichen die anderen die systemischen Zwänge und halten allen Ernstes einen Kapitalismus ohne Wachstum für möglich. Dazwischen versucht eine Mehrheit, das Problem durch die Kreation logisch unverträglicher Begriffe wie den des „nachhaltigen Wachstums“ zu vernebeln und sich so die Vereinbarkeit des Unvereinbaren einzureden.

Zur Klärung der Frage, was da eigentlich so zwanghaft wächst, sollen im Referat die im Laufe der kapitalistischen Entwicklung dynamisch sich verändernden Beziehungen zwischen Mehrwertproduktion, stofflichem Output und Ressourcenverbrauch und die aus ihnen resultierenden Wachstumszwänge untersucht werden. Dabei zeigt sich, dass ökonomische und ökologische Krise einerseits dieselbe Ursache in dem immer weiteren Auseinandertreten von stofflichem und abstraktem Reichtum haben. Auf der anderen Seite geraten die innerkapitalistischen Lösungsversuche für beide Krisen miteinander zunehmend in Widerspruch: Während etwa im Rezessionsjahr 2009 die weltweite CO2-Emission tatsächlich leicht zurückging, laufen die vergeblichen Versuche zur Bewältigung der ökonomischen Krise darauf hinaus, noch die letzten natürlichen Schranken gewaltsam zu durchbrechen.

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    Download via AArchiv: Vortrag+Diskussion (2:08 h, 77 MB)

2. Johannes Bareuther: Überlegungen zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft

Die Naturwissenschaften, die das Wissen zur Naturbeherrschung liefern können, tauchen in den Debatten, die sich auf die Kritische Theorie beziehen, in den letzten Jahren nur selten auf. Dankenswerterweise erinnert daher Johannes Bareuther mit seinen Überlegungen zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft an einige Texte und Diskussionen zur Kritik der Naturwissenschaften. Hervorgehoben wird etwa ein unvollendetes Meisterwerk (Fabian Kettner) aus dem Jahr 2004: Eske Bockelmanns Im Takt des Geldes, ein Buch, das anhand der Taktlehre aufzeigen konnte, wie Geld das Denken von seinen Grundlagen her bestimmt. Rhythmus nach betont/unbetont erscheint als etwas ganz Natürliches, ist aber erst seit dem 17. Jahrhundert Norm. Das Referat arbeitet die Grenzen der Untersuchung Bockelmanns sowie den Zusammenhang von Geschlecht und Wissenschaft heraus und nimmt Bezug auf einen älteren Aufsatz von Claus Peter Ortlieb.

Dass ein enger Zusammenhang zwischen der Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaften und der kapitalistischen Vergesellschaftung besteht, aus dem sich auch deren destruktive Tendenzen erklären, diese Ahnung treibt schon länger TheoretikerInnen um. 2004 wies Eske Bockelmann in überzeugender Weise nach, dass sich die gesetzesförmige Naturerkenntnis der klassischen Mechanik einer an der Ware-Geld-Beziehung erlernten Abstraktionsleistung verdankt. Nicht in den Blick gerät in seiner Studie (wie in vielen anderen Wissenschaftskritiken) jedoch, welch konstitutive Rolle dem sich in derselben Zeit umwälzenden Geschlechterverhältnis hinsichtlich den naturwissenschaftlichen Denk- und Praxisformen zukam. Und dies, obwohl feministische Theoretikerinnen wie Elvira Scheich und Evelyn Fox Keller diesem Zusammenhang auf unterschiedlichen Ebenen bereits seit den 1980er Jahren nachgegangen sind. Keller untersuchte u. a. die geschlechtliche Metaphorik in den Schriften Francis Bacons, der von Bockelmann wie schon zuvor von Adorno/Horkheimer als Kronzeuge des modernen Programms wissenschaftlicher Naturbeherrschung herangezogen wird. Scheich wiederum knüpft in ihrem Buch Naturbeherrschung und Weiblichkeit (1993) an Sohn-Rethels Versuche an, die Entstehung der Naturwissenschaft aus der formalen Vergesellschaftung über das Geld zu erklären. Dabei erweitert sie Sohn-Rethels androzentrische Perspektive um die Dimension der abgespaltenen, unbewusst gemachten Gesellschaftlichkeit des Geschlechterverhältnisses und hebt die Bedeutung des Phantasmas der Weiblichkeit für das wissenschaftliche Naturverhältnis der Moderne hervor.

Der Vortrag möchte, an die feministische Wissenschaftskritik anknüpfend, einige Überlegungen vorstellen, wie eine wert-abspaltungs-theoretisch akzentuierte Kritik der Naturwissenschaft aussehen kann, wobei der Schwerpunkt auf der historischen Konstitutionsphase um das 17. Jahrhundert liegen wird.

Literatur:

Bockelmann, Eske (2004): Im Takt des Geldes: Zur Genese modernen Denkens. 1., Aufl. Springe: Zu Klampen.
Braun, Kathrin; Kremer, Elisabeth (1987): Asketischer Eros und die Rekonstruktion der Natur zur Maschine. Oldenburg: Bibliotheks- u. Informationssystem d. Univ. Oldenburg (Studien zur Soziologie und Politikwissenschaft).
Keller, Evelyn Fox (1986): Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft. Carl Hanser.
Merchant, Carolyn (1987): Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. C.H. Beck Verlag.
Ortlieb, Claus Peter (1998): „Bewusstlose Objektivität – Aspekte einer Kritik der mathematischen Naturwissenschaft“. In: Krisis. (21/22).
Scheich, Elvira (1993): Naturbeherrschung und Weiblichkeit: Denkformen und Phantasmen der modernen Naturwissenschaften. Pfaffenweiler: Centaurus (Feministische Theorie und Politik).
Scheich, Elvira (1990): „„Natur“ im 18. Jahrhundert und die Bestimmung der Geschlechterdifferenz“. In: Gerhard, Ute; Jansen, Mechtild; Andrea, Maihofer; u. a. (Hrsg.) Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht. Frankfurt am Main: Ulrike Helmer Verlag.

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    Download via AArchiv: Vortrag (1:10 h mit Zwischendiskussion, 42 MB), Diskussion (0:18 h, 11 MB)

3. Karina Korecky: »Man nennt mich Natur und ich bin doch ganz Kunst«: Zur Natur des Subjekts und des Staates

Karina Korecky widmet sich der Geschichte des bürgerlichen Naturverhältnisses auf der Ebene der politischen Theorie. Die »innere Natur des Menschen«, die in den Vertragstheorien seit Hobbes als Voraussetzung des politischen Gemeinwesens, bürgerlicher Subjektivität und Rechtsgleichheit begriffen worden ist, verlor im Zuge der »Biopolitik« des »autoritären Staates« den Charakter einer positiven Berufungsinstanz und wurde folgerichtig im 20. Jh. zum Gegenstand rücksichtsloser »Dekonstruktion«. Wie angesichts dieser historischen Konstellation noch ein »Eingedenken der Natur im Subjekt« (Horkheimer/Adorno) möglich ist, ohne Natur zur Parole verkommen zu lassen, ist die letztlich unbeantwortbar bleibende Frage des Vortrags, der an vielen Stellen sympathisch-unsichere, fragende, aporetische Züge trägt.

Wer in kritischer Absicht von den Gründen für Unfreiheit, Unterdrückung und Diskriminierung spricht, verortet diese normalerweise in der Gesellschaft oder im Sozialen, keineswegs in der Natur. Alles, was gesellschaftlich, sozial, gemacht oder konstruiert ist, kann verändert werden, während „Natur“ Ungleichheit und Zwang verfestigt und legitimiert. Einst war das genau anders herum: Die Natur war gut und ihr zum Durchbruch zu verhelfen Programm der Aufklärung zur Durchsetzung von Freiheit und Gleichheit.

Die freundliche Natur der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde zweihundert Jahre später zur Berufungsinstanz für Ungleichheit. Wer heute für gleiche Rechte kämpft, kritisiert „Naturalisierung“ und „Biologismus“. Am konsequentesten – sozusagen als Aufklärung mit umgekehrten Vorzeichen – geht dabei der linke Poststrukturalismus vor, der eine klare Feinderklärung an Natur abgibt und auf die Fähigkeiten des Geistes zur (De-)Konstruktion setzt. Demgegenüber steht in der linken Debatte ein eher hilfloser und vage bleibender Verweis auf Natur als das unverfügbare Moment, das sich sperrt, nicht aufgeht im beherrschenden Zugriff – manchmal verbunden mit der Hoffnung, da möge es ein Außen der gesellschaftlichen Totalität geben, vielleicht sogar einen Ausgangspunkt, an dem der revolutionäre Hebel angesetzt werden kann.

Der Vortrag handelt von der inneren Natur als Voraussetzung von Subjekt (Natur des Menschen) und Staat (Naturzustand) und ihrer Geschichte. Gezeigt werden soll, dass Materialismus nicht heißen kann, nach dem richtigen Naturbegriff zu suchen, sondern die Geschichte des Verhältnisses von Geist und Natur zu erzählen: von der Befreiung versprechenden Natur zur Biopolitik des autoritären Staates.

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    Download via AArchiv: Vortrag (0:52 h, 31 MB)

4. Daniel Späth: Postwachstumsbewegung: Eine Variante (links)liberaler Krisenverdrängung

Daniel Späth sprach noch einmal (siehe Mitschnitt aus Halle) über die verschiedenen Varianten linker und liberaler »Wachstumskritik«, die er in einen Zusammenhang mit der Aufklärungsphilosophie stellt.

Es ist ein Wesensmerkmal des linken ideologiekritischen Reduktionismus, sich in den vielfältigen Polaritäten moderner Subjektivität einzurichten und damit Freiheit im Sinne Adornos, als kritische Verweigerung gegenüber den herrschenden Alternativen, der Partikularität zu überantworten. Ob nun der Idealismus zu einem Materialismus (Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt) oder aber der Subjektivismus zu einem Objektivismus („Historischer Materialismus“) gewendet wird, das Resultat ist immer dasselbe: Als kritische Weiterentwicklung der bürgerlichen Vernunft apostrophiert, desavouiert sich der identitätslogische Anbau an der modernen Theoriearchitektur nicht etwa als transzendierende Kritik, sondern regelmäßig als ein immanenter Widerpart. Dieser Reduktionismus blamiert sich insbesondere in der Krise des warenproduzierenden Patriarchats. Der westliche Linksradikalismus, der statt der Fundamentalkrise überall „Chancen“ und „Aushandlungsoptionen“ wittert, hat die realgeschichtlichen Metamorphosen der Aufklärungsvernunft nicht überwunden, welche vielmehr zum unhinterfragbaren Selbstverständnis sedimentierte. Der weithin neoliberalisierten Linken scheinen sich quasi naturwüchsig neue Alternativen zu eröffnen: „Aufklärung“ versus „Gegenaufklärung“, „Vernunft“ versus „Unvernunft“, „Liberalismus“ versus „Volkstum“ etc., wobei, der identitätslogischen Versessenheit folgend, erstere gerne dem „rationalen Westen“ und letztere irgendwelchen „irrationalen Banden“ zugeordnet werden, wodurch der eigene männlich-westliche, weiße Standpunkt wieder mal fein raus ist.

Einer derart verkürzten „Ideologiekritik“ muss die „Postwachstumsbewegung“ als Wiederkehr eines ausgemacht völkischen Denkens gelten. Schließlich operieren ihre VertreterInnen nicht nur mit einem positiven Naturbegriff, darüber hinaus verweisen die diversen Begründungsmodi eines „falschen Wachstums“ auf eine strukturell antisemitische Ideologie, deren Ursachendiagnostik bezüglich der Krise sich ausschließlich auf das dämonisierte Finanzkapital und den inkriminierten Zins kapriziert. Für die assoziative Grundgesinnung des postmodernisierten Linksradikalismus bedürfte es hierbei keinerlei dialektischer Begründung mehr, zumindest dort, wo derartige Sachverhalte noch einem Anspruch der Kritik unterliegen: Naturversessenheit und struktureller Antisemitismus – na, wenn das kein völkisches Denken ist… Allerdings handelt es sich hierbei um einen Trugschluss. Denn dass struktureller Antisemitismus und ein problematischer Naturbegriff gleichwohl zu Bestandteilen liberaler Gesinnung gerinnen können, soll an ausgewählten Texten jener „Postwachstumsbewegung“ rekonstruiert werden. In diesem Sinne wird der erste Teil des Vortrags einen erkenntnis- und ideologiekritischen Durchgang durch zentrale Referenztheorien der Postwachstumsideologie (Immanuel Kant/ Silvio Gesell) versuchen, um den gemeinsamen epistemologischen Bezugsrahmen einer liberalen Zins- bzw. Geld„kritik“ offenzulegen, um sodann ihre zentrale Kategorie in den Fokus zu rücken: Die Natur. Auch weitere wichtige Aspekte der Postwachstumsbewegung (Regionalwährung, quasi subsistenzwirtschaftliche Arbeitsformen, neue Maßstäbe des Wachstums etc.) werden dabei einer Kritik unterzogen und in den Kontext der Fundamentalkrise gerückt, deren konstitutiver Bedingungszusammenhang für jene liberale „Kritik“ des Wachstums evident ist.

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    Download via AArchiv: Teil 1 via AArchiv (0:40 h, 24 MB), Teil 2 (1:13 h, 44 MB)

Der Antisemitismus und die Linke – Antisemitism and the Left

This post includes two presentations in english language – english descriptions you find further down (point 3 and 4). Please forgive, if there are some mistakes in the english descriptions. | Zu Antizionismus und sekundärem Antisemitismus vgl. auch diesen Beitrag.

1.) Die Antisemitismusdebatte in der linken Bewegung

Peter Nowak hat am 19.09.2013 in Erfurt einen Vortrag (organisiert vom BiKo und der Offenen Arbeit) über die Antisemitismusdebatte in der linken Bewegung im deutschsprachigen Raum gehalten, der auf seinem Buch „Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte in der in der deutschen Linken“ basierte, das kürzlich bei Edition Assemblage erschienen ist. Der Vortrag ist eher in einem chronologisch-erzählendem Stil gehalten, die theoretischen Diskussionen über die ideologische Struktur und den Stellenwert des Antisemitismus sind hingegen kaum entfaltet. Der Vortrag ist dennoch interessant – vor allem für solche, die sich zunächst einen Überblick über die Gemengelage verschaffen wollen. Stationen des Vortrags sind u.a. die Texte „Gerd Albartus ist tot“ und „Das Ende der Politik“ der Revolutionären Zellen / Rote Zora (interessant: die Textsammlung „Früchte des Zorns„), der Zerfall des Kommunistischen Bundes und die Spaltung des „Arbeiterkampfes„, die Diskussionen um eine Hamburger Wandbemalung, die Nie-Wieder-Deutschland-Kampagne und später die Diskussionen nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11.09.2001. Unverständlich bleibt mir, was ein „progressiver Antizionismus“ sein soll, den Nowak vom „regressiven Antizionismus“ unterschieden wissen will.

Über den Antisemitismus in der linken Bewegung ist in den letzten 20 Jahren viel geschrieben worden. Doch warum hat gerade dieses Thema eine solche Sprengkraft entwickelt, dass langjährige politische Zusammenhänge, alte politische Freundschaften und viele Wohngemeinschaften daran in die Brüche gegangen sind? Oft sind die politischen Zusammenhänge nicht mehr bekannt, die dafür sorgten, dass diese Debatte in Deutschland einen solchen Stellenwert bekommen hat. Der Journalist Peter Nowak hat in der edition assemblage die „Kurze Geschichte der Antisemitismusdebatte“ herausgegeben, in der an einige bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts unter Anderem von Wolfgang Pohrt und Moishe Postone verfasste Grundlagentexte zur Antisemitismusdebatte erinnert wird, die erst nach 1989 in den Teilen einer Linken rezipiert wurde, die sich kritisch mit Staat und Nation auseinanderzusetzen begannen. Auf der Veranstaltung soll auch an konkreten Beispielen aufgezeigt werden, wie sich der Fokus der Antisemitismusdebatte von der Politik in Deutschland auf den Nahen Osten verlagerte und welche politischen Implikationen damit verbunden waren. Besonders die Auswirkungen, die die islamistischen Anschläge vom 11.09.2001 auf die Antisemitismusdebatte hatten, soll genauer dargestellt werden. Schließlich soll ein Vorschlag zur Versachlichung zur Diskussion gestellt werden, der an Diskussionen anknüpft, wie sie in der letzten Zeit in linken Zusammenhängen geführt wurde, die weder ein Interesse daran haben, dass sich die Antisemitismusdebatte ständig nur wiederholt, die aber auch nicht bereit sind, bestimmte in der Auseinandersetzung mit regressiven Antizionismus und verkürzter Kapitalismuskritik gewonnene Grundlagen aufzugeben.

Peter Nowak lebt in Berlin und arbeitet als Journalist unter Anderem für die Jungle World und das Onlinemagazin Telepolis.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Offenen Arbeit Erfurt mit dem Bildungskollektiv Biko und gefördert vom Lokalen Aktionsplan der Stadt Erfurt.
mehr: http://peter-nowak-journalist.de/ [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 63,7 MB; 1:09:34 h)

2.) Wie hältst du es mit Israel? Zündfunkgenerator über linken Antisemitismus

Mit dem Verhältnis der Linken zu Israel hat sich Anfang des vergangenen Jahres ein Feature der Sendereihe „Zündfunk-Generator“ auseinandergesetzt. Ausgangspunkt ist die kurzzeitige Aufregung, die Anfang des Jahres 2010 innerhalb und außerhalb der Partei „Die Linke“ entstand, nachdem bei einem Besuch des israelischen Staatspräsidenten im Bundestag Sarah Wagenknecht und drei weitere Linke-Abgeordnete demonstrativ sitzen geblieben waren. Zu Wort kommen u.a. Henryk M. Broder, Peter Ullrich, Stefanie Schüler-Springorum und Bodo Ramelow. Zu Beginn des Features gibt es einen kurzen Blick in die Geschichte des linken Antisemitismus von der Arbeiterbewegung bis zur Neuen Linken, später verliert sich das Feature m.E. (u.a. anhand der Augstein-Debatte) in der unvermeidlichen Frage, was man in der Debatte um Israel darf und was nicht, es geht um Fallstricke und Sicherheitskriterien. Das Feature ist um Ausgewogenheit und die Vermeidung von „extremen Positionen“ bemüht – was nicht selten zum Nachteil für Israel gerät, dem man freilich ein Existenzrecht zuspricht. In diesem Fall wird Jakob Augstein kurz vor Ende vom Antisemitismusverdacht freigesprochen.

    Download: via Rapidshare (mp3; 47,8 MB; 52:09 min)
    Hören: auf BR2

3.) Antisemitism and the Left: A German-U.S. Comparison

Am 29.11.2011 hat Zeena Arnold in New York für die Gruppe „The Platypus Affilated Society“ (eine Gruppierung, die Moishe Postone nahesteht) einen Vortrag über Antisemitismus und die Linke gehalten, der u.a. auf antisemitische Manifestationen in der us-amerikanischen Occupy-Bewegung (z.B. hier) reagiert. Skizzenartig stellt sie einige Grundmerkmale des Antisemitismus vor, wobei sie auch auf den sekundären und strukturellen Antisemitismus eingeht und darlegt inwiefern Antikapitalismus und Antisemitismus zusammengehen können. In ihrer kurzen historischen Darstellung geht sie auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den deutschen und amerikanischen Verhältnissen ein. In ihren Ausführungen bezieht sie sich u.a. auf Adorno und Horkheimer sowie auf Moishe Postone (Antisemitismus und Nationalsozialismus).

On 29.11.2011 Zeena Arnold held a lecture about Antisemitism and the Left at the university in New York, that was organised by the group „The Platypus Affilated Society„. In a way the lecture was a reaction on some antisemitic manifestations within the Occupy movement (one example). Roughly sketched she talked about general characteristics of antisemitism, as secondary and structural antisemitism and shew how anticapapitalism and antisemitism (not necessarily) can go together. In her historical portrayal she compared antisemitism in Germany/Europe and in the USA. In her explanations she quoted Adorno and Horkheimer („Dialectic of Enlightment„, specially the chapter „Elements of Antisemitism“), as Moishe Postone („History and Helplessness„, „Antisemitism and National Socialism„).

From accusations directed towards Occupy Wall Street to arson attacks in Brooklyn, antisemitism has reemerged as a concern of the left in recent months. This talk will look at the relationship between the left and antisemitism, giving an overview of different historical forms, analyzing divergent theoretical explanations, and comparing the U.S. and German cases. Special attention will be given to examining the particular relationship of antisemitism to political economy and critiques of capitalism, the political implications of viewing antisemitism as a form of prejudice versus an ideology, and left debates around antisemitism and Israel post-9/11. This event continues the transatlantic dialogue series initiated by the Platypus Affiliated Society which aims to rebuild an emancipatory internationalism. Zeena Arnold is an activist and scholar from Germany researching perspectives on antisemitism within the U.S. left. [via]

    Download: via Archive.org (mp3; 87,6 MB; 1:16:32 h) | via AArchiv: Lecture (40 MB; 43:39 min) / Discussion (30,1 MB; 32:52 min)

4.) Israel, the Left, and the Crisis of the Late 1960s

Unter diesem Titel liegt uns ein Vortrag von Moishe Postone vor, den er an der Universität Wisconsin-Madison gehalten hat. Wenn ich es richtig verstanden habe (die etwas verhallte Aufnahme macht es etwas schwierig, das Englisch zu verstehen), versucht er einen Zusammenhang zwischen dem linken Antisemitismus und Antizionismus und der Ende der 60’er, Anfang der 70’er Jahre nach einer Periode der Prosperität erstmals wieder einbrechenden Krise zu rekonstruieren. Dabei greift er auf Aspekte seiner Antisemitismus-Theorie zurück, die er in Antisemitismus und Nationalsozialismus entwickelt hat. [Falls jemand eine genauere Inhaltsangabe schreiben kann/will – her damit!]

We present a lecture, Moishe Postone held at the University of Wisconsin-Madison. If I unterstood correctly (the quality is not the best, what makes it difficult for me to understand the english language), he tries to reconstruct a dependence between the leftist antisemitism and antizionism and the crisis in the late 60’s / early 70’s, that hit after a period of prosperity. For this he quotes aspects of his theory of antisemitism, he has expounded in his text „Antisemitism and National Socialism„. [If somebody wants to give a more exactly summary – you’re welcome!]

    Download: via AArchiv (45,5 MB; 49:41 min) | via Soundcloud

5.) Zeiten des Zorns – Zur Geschichte und Politik der Revolutionären Zellen

Back to Germany: Die letzten Statements der Revolutionären Zellen sind dahingehend mit der Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken verbunden, als dass in ihnen — mehr als 10 Jahre nach der Entebbe-Entführung, bei denen Mitglieder der RZ Juden und Nicht-Juden voneinander selektiert hatten — erstmals aus der antiimperialistischen Bewegung heraus Zweifel am linken Antizionismus formuliert wurde, der fest in der Theorie und Praxis der bewaffneten Gruppen verankert war. In ihrer Bewertung der Geschichte der RZ spielen Antisemitismus und Antizionismus zwar keine Rolle (bzw. werden kurz als unwesentlich abgetan), der Vortrag von Klaus Viehmann (ehemals Bewegung 2. Juni) und Stefan Wisniewski (Ex-RAF-Mitglied), den beide am 22.03.2001 im Berliner SO36 gehalten haben, ist dennoch interessant, da er einen ausführlichen Überblick über die Aktivitäten, Aktionsformen und Debatten der RZ von ihren ersten Aktionen bis zu ihrer Auflösung gibt. Zwischendurch sind Ausschnitte aus einem Interview mit Enno Schwall (RZ) von 1986 einmontiert, das damals nicht veröffentlicht wurde. Schwall gibt darin Statements zu einer (damals) neuen Perspektive auf den bewaffneten Kampf, wie sie den RZ vorschwebte.

Durch eine Reihe von Verhaftungen wurden Revolutinäre Zellen und Rote Zora wieder in das Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Aber hinter den Fragen der Solidarität mit den Angeklagten, der Prozessstraegie oder der Auswirkungen von Verrat ist die Politik dieser Gruppen aus der linken Diskussion fast verschwunden. In der Veranstaltung soll die langjährige Geschichte der RZ vorgestellt und diskutiert werden. Wieso entstanden die RZ Anfang der 70er Jahre? Mit welcher Konzeption traten sie an? Welche Sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansätze versuchten sie zu verwirklichen? Wie kam es zur Aktion gegen die OPEC- Konferenz 1995 und zur Entführen eines Verkehrsflugzeuges nach Entebbe 1976? Wie veränderten sich die RZ in den 80er Jahren? Warum wurde die „Flüchtlingskampagne“ gestartet? Und wieso haben die RZ ihre Aktionen seit einigen Jahren eingestellt? Ausschnitte aus dem Film der Veranstaltung am 22. März 2001 im SO 36 in Berlin u.a. mit Klaus Viehmann (Bewegung 2. Juni und zu 15 Jahre Haft verurteilt. Von 1978 bis 1993 im Knast) und Stefan Wisniewski (RAF und zu zweimal lebenslänglich verurteilt, 1978 – 1999 in Haft.)

    Download (Audio): via AArchiv (75,9 MB; 1:22:53 h)
    Video: youtube oder

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Je me souviens. Über Georges Perec

Georges Perec war Mitbegründer der Gruppe Oulipo, der Werkstatt für potentielle Literatur, einem Zusammenschluss von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, die mit sprachlichen Formen experimentieren und sich selbst willkürliche Regeln auferlegen. In seinem Roman La Disparation verzichtete Perec etwa ganz auf den Buchstaben E. Eine Sendung des FSK macht sich auf die Suche nach den Spuren der Geschichte in Perecs Werk und den Spuren, die er selbst hinterlassen hat. Dabei wird ein Feature und ein Ausschnitt aus dem sogenannten Kostprobenabend der Vers- und Kaderschmiede des Hamburger Polittbüros dokumentiert.

    Download: via AArchiv (mp3)

Ausgehtipp: Im Frühjahr 2014 wird das Hamburger Polittbüro eine szenische Lesung aus Georges Perecs Werk auf die Bühne bringen.

Literaturtipps: Judith Heckel/Olaf Kistenmacher: Im Labyrinth der Wörter. Das Leben und Werk des französischen Schriftstellers Georges Perec und Philipp Böhm: Topographie einer versehrten Welt.

Filmtipp: Im Jahr 1973 verfilmte Perec gemeinsam mit dem Regisseur Bernard Queysanne sein Buch Ein Mann der schläft.