Schlagwort-Archive: Ästhetik und Kulturkritik

Kritik und Eigensinn im Zeitalter der Katastrophe

Im Folgenden werden drei Beiträge dokumentiert, die thematisch mehr oder weniger zusammen hängen, jedoch jeweils einen eigenen thematischen Fokus haben. Es geht um Rechtsruck, ökologische Krise, Widerstand auf verlorenem Posten, Erziehungsweisen, die Kategorie des Eigensinns und um Ästhetik.

1.) Widerstand ohne Hoffnung

Am 08. Januar 2019 hat der Autor Wolfram Ette einen Vortrag im Chemnitzer Lesecafé Odradek gehalten. Der Vortrag wirft die Frage auf, wie angesichts der historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, der Antiquiertheit des Fortschrittsglaubens und düsterer Zukunftserwartungen überhaupt noch eine emanzipatorische Perspektive formuliert werden kann. Dafür wird das Motiv des „Widerstands ohne Hoffnung“ eingeführt, das Ette aus der Lektüre der „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiß entwickelt. Zudem argumentiert Ette, dass der Erfolg rechtspopulistischer und rechtsextremer Motive ein Stück weit aus der Desavouierung des Fortschrittsglaubens erklärbar ist. Die Thesen des Vortrags sind unter dem Eindruck der Ereignisse in Chemnitz im Spätsommer 2018 entstanden.

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Einige Motive des Vortrags werden auch in dem Manifest „Schwarze Linke unter Sternen“ entwickelt. Texte von Wolfram Ette und Anderen finden sich unter wolframettetexte.wordpress.com.

2.) Das eigensinnige Kind

2019 hat Wolfram Ette im Büchner-Verlag das Buch „Das eigensinnige Kind. Über unterdrückten Widerstand und die Formen ungelebten Lebens“ veröffentlicht. Dieses Buch wurde im Oktober 2021 in der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge vorgestellt, wobei Wolfram Ette ausführlich zu Wort kommt. Es geht in der Sendung um das Märchen vom eigensinnigen Kind (Gebrüder Grimm), die Kategorie des Eigensinns und um die pathologischen Folgen unterdrückten Eigensinns.

„Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen.“ – So beginnt eines der kürzesten Märchen aus den Sammlungen der Gebrüder Grimm. Das Märchen vom eigensinnigen Kind verdeutlicht die Bedeutung dessen, was Eigensinn ist: Eine Reaktion auf unterdrückende Verhältnisse, die das Leben tendenziell unmöglich machen. Aber Eigensinn muss keineswegs eine emanzipatorische Stoßrichtung haben, er kann auch gemeine, barbarische, reaktionäre Züge tragen. Wolfram Ette untersucht in seinem Buch „Das eigensinnige Kind – Über unterdrückten Widerstand und die Formen ungelebten Lebens“ die pathologischen Folgen unterdrückten Eigensinns. Einigen Gedanken dieses gesellschaftspolitischen Essays folgt diese Sendung.

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3. Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind

Die nachfolgende Ausgabe der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge widmet sich dann einer kritischen Auseinandersetzung mit Johanna Haarer und dem nationalsozialistischen Erziehungsratgeber „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind„. In der Sendung kommt vor allem die Literaturwissenschaftlerin Karin Nungeßer zu Wort. Die Sendung ist auch ein Ergebnis des Seminars „Das eigensinnige Kind„, das Karin Nungeßer und Wolfram Ette im November 2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kritik und Eigensinn“ im Conne Island Infoladen in Leipzig durchgeführt haben. Ausgehend vom „eigensinnigen Kind“ wird der Frage nachgegangen, wie das Nachwirken von Johanna Haarers Erziehungsratgebern nach 1945 zu erklären ist.

Diese Radiosendung setzt sich kritisch mit der Pädagogik von Johanna Haarer (1900-1988) auseinander. Mit den Büchern „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ und „Unsere kleinen Kinder“ schrieb Haarer die wichtigsten nationalsozialistischen Erziehungsratgeber. Doch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ wurde auch nach 1945 unter verändertem Titel bis in die 1980er Jahre wieder aufgelegt. Was machte die Pädagogik von Johanna Haarer aus? Was war das neue an dieser Pädagogik? Worin bestehen Kontinuitäten bis heute? Was machte Haarers Bücher auch nach 1945 anschlussfähig? Zu diesen Fragen kommen Karin Nungeßer, Wolfram Ette, Anne Kratzer und Benjamin Ortmeyer zu Wort.

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Auf dem Youtube-Kanal Schachtel1000 werden zahlreiche Folgen der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge hochgeladen. Hier findet sich ein Verzeichnis von Wutpilger-Sendungen – auf aergernis.org finden sich wesensverwandte Interview und Beiträge.

Theater — Realität — Realismus

Im letzten Jahr fand in Berlin unter dem Titel Theater — Realität — Realismus eine Tagung statt, auf der eine Kritik des Gegenwartstheaters diskutiert wurde. Bezugspunkt der Diskussion waren dabei Dramatiker wie Bertolt Brecht, Peter Hacks und Heiner Müller. Mittlerweile liegt die Dokumentation dieser Tagung als sechste Ausgabe der Zeitschrift Kunst, Spektakel & Revolution vor. Aus diesem Anlass dokumentieren wir hier die Audioaufnahmen von der Tagung und Radiosendungen und Interviews im selben Zusammenhang.

A.) Wutpilger-Streiftzüge: Theater — Realität — Realismus

In der Mai-Ausgabe der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge (Radio Corax) wurde ein umfangreiches Feature gesendet, in dem bestimmte Diskussionsstränge der Berliner Tagung eingefangen wurden. Zu Wort kommen dabei Tina Turnheim (u.a. EGfKA), Sebastian Tränkle (u.a. Phase 2) und Jakob Hayner (u.a. KSR & Theater der Zeit).

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B.) Interview mit Jakob Hayner zur Tagung

Im Nachgang der Tagung wurde Jakob Hayner für Radio Corax interviewt. Es geht dabei um eine Bestandsaufnahme des Gegenwartstheaters, den Begriff des Realismus, die Linie Brecht-Hacks-Müller und das Theater in der DDR. Das Interview kann in Textform hier nachgelesen werden. Das Interview wurde auszugsweise auch im obigen Feature verwendet – die ursprüngliche Version ist jedoch noch umfassender.

    Download: via FRN (mp3; 53 MB; 23:13 min)

C.) Interview mit Jakob Hayner zu KSR N°6

Im Vorfeld der Release-Veranstaltung zu KSR N°6 an der Oper in Halle hat Radio Corax erneut ein Interview mit Jakob Hayner geführt. Dabei ging es um das Verhältnis von Avantgarde und Realismus – aber auch um eigene Theatererfahrungen und Debatten um die Oper in Halle.

    Download: via FRN (mp3; 24 MB; 17:46 min)

Im Folgenden nun die Dokumentation der Tagung:

1.) Einleitung zur Tagung

In der Einleitung hat Jakob Hayner noch einmal begründet, warum der Begriff des Realismus sich besonders für eine politische Diskussion über das Theater eignet. Er stellt die Themen der Tagung vor und integriert die einzelnen Vorträge in einen Gesamtzusammenhang.

    Download: via AArchiv (mp3; 32 MB; 23:22 min)

2.) Realismus als ästhetischer Kampfbegriff in Exil- und DDR-Literaturdebatten

Bernadette Grubner (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie, FU Berlin) verortet den Begriff des Realismus historisch und analysiert den Charakter der um diesen Begriff geführten Debatten.

    Download: via AArchiv (mp3; 65 MB; 47:23 min)

3.) Die Explosion der Utopie. Heiner Müller und die Frage der Gewalt

Frank M. Raddatz (Publizist, Dramaturg und Theaterregisseur) zeichnet eine Entwicklung innerhalb des Werks von Heiner Müller nach: Dessen Beschreibung und Bezugnahme auf (revolutionäre, gegenrevolutionäre) Gewalt.

    Download: via AArchiv (mp3; 104 MB; 1:15:54 h)

4.) The world is a stage, but the play is badly cast.

Sebastian Tränkle hat in seinem Vortrag Thesen über Theater und Wirklichkeit vorgetragen. Dabei beschreibt er Tendenzen des Gegenwartstheaters und formuliert eine Kritik dieser Tendenzen, wobei er diese mit Tendenzen der gesellschaftlichen Wirklichkeit abgleicht. Der Vortrag bricht leider ungefähr nach der Hälfte des Vortrags ab – die Batterie des Aufnahmegeräts war erschöpft. Ausführlicher ist Sebastian Tränkle dafür in oben verlinktem Feature zu hören.

    Download: via AArchiv (mp3; 27 MB; 19:44 min)

5.) Against facts?

Der Vortrag von Tina Turnheim trug den Untertitel: Brechts »Realismus der Möglichkeit« als Waffe gegen vermeintliche Sachzwänge, Fatalismus und mangelnde Vorstellungskraft im »kapitalistischen Realismus«. Sie stellt dabei Bertolt Brecht als einen Realisten dar, der Kältestrom und Wärmestrom (Bloch) gleichermaßen integrieren konnte. In ihrem Textbeitrag in KSR N°6 formuliert sie auch eine Kritik an Bernd Stegemann (s.u.). In der Ausgabe 626 der ak hat Tina Turnheim einen Artikel über die Notwendigkeit einer antifaschistischen Offensive am Theater geschrieben. Jakob Hayner hat in der ak 627 darauf geantwortet.

    Download: via AArchiv (mp3; 84,8 MB; 1:01:45 h)

6.) Brechts »eingreifendes Denken« und die Chancen eines Linkspopulismus

Am Abend des ersten Konferenztages referierte Bernd Stegemann (Dramaturg, Autor und Professor für Theatergeschichte an der Ernst-Busch-Schauspielschule), der in Theaterkreisen durch seine Bücher „Kritik des Theaters“ und „Lob des Realismus“ aufmerksam auf sich gemacht hat. In seinem Vortrag geht er jedoch eher weniger auf die Theater-Debatten ein – er spricht über den Begriff des Populismus, auch die Möglichkeit eines Linkspopulismus und zieht hierfür u.a. Bertolt Brecht heran. Der Vortrag war eine Vorarbeit zu seinem inzwischen erschienenen Buch „Das Gespenst des Populismus„. Der Vortrag ist auf der Konferenz kontrovers diskutiert worden.

    Download: via AArchiv (mp3; 117 MB; 1:25:28 h)

7. Das poetische Element ist natürlich nichts Unrealistisches!

Am nächsten Tag referierte zuerst Doris Neumann-Rieser (Mitarbeiterin am Institut für Germanistik der Uni Wien) über Realität und Realismus im Verständnis des Dramatikers Brecht. Dabei ordnet sie mehrere Phasen der Werkentwicklung von Brecht und geht auf einige Stücke ein.

    Download: via AArchiv (mp3; 65.7 MB; 47:52 min)

8.) Drama und Theater

Jens Mehrle (Regisseur und Miterhausgeber der Berlinischen Dramaturgie) referierte zu einem Aspekt des Realismus in Peter Hacks‘ »Berlinischer Dramaturgie«. In seinem Vortrag verteidigt er das Drama gegenüber dem nichtdramatischen Diskurstheater.

    Download: via AArchiv (mp3; 106 MB; 1:17:20 h)

9.) Adorno: Realismus in der verwalteten Welt

Anja Nowak (Researcherin an der University of British Columbia) referierte über Adornos Position zum Realismus. Dabei hat Adorno selbst keine ausgearbeitete Theorie oder Kritik des Realismus vorgelegt, sich aber immer wieder im Zusammenhang von Realismus-Debatten geäußert.

    Download: via AArchiv (mp3; 59.6 MB; 43:27 h)

10.) Realismus und Dramenform

Kai Köhler (Literaturwissenschaftler, u.a. Autor von Literaturkritik) beschreibt Realismus und Dramenform als notwendig aufeinander bezogen und zieht hierfür ebenfalls vor allem Peter Hacks heran.

    Download: via AArchiv (mp3; 55.5 MB; 40:29 min)

11.) Neuer Realismus? – Abschließende Podiumsdiskussion

Auf dem Abschlusspodium waren mehrere der Mitorganisatoren vertreten: Thomas Zimmermann, Max Köhler und Jakob HaynerLukas Holfeld moderierte das Podium. Aspekte der Diskussion waren: Grundlegende Tendenzen der Realität, von der wir sprechen / Zusammenhang von Realismus und Krise / Philosophie und Realismus / Avantgarde und Realismus.

    Download: via AArchiv (mp3; 155 MB; 1:53:21 h)

Kunst, Spektakel & Revolution N°5

Beiträge zur Kritik der Gewalt

Wir haben immer wieder die Vortragsmitschnitte aus der Veranstaltungsreihe Kunst, Spektakel & Revolution dokumentiert. Seit einiger Zeit haben im Rahmen dieses Formats keine Vorträge stattgefunden – trotzdem ist im letzten Jahr eine weitere Ausgabe des gleichnamigen Magazins erschienen, die sich schwerpunktmäßig um einen kritischen Begriff von Gewalt bemüht hat. Um diese Ausgabe herum sind einige Radiobeiträge entstanden, die wir im Folgenden dokumentieren.

1.) Nachrichten aus dem beschädigten Leben

Das Sendungsformat „Nachrichten aus dem beschädigten Leben“ bei Radio Corax hat die fünfte Ausgabe von Kunst, Spektakel & Revolution vorgestellt, wobei einer der Mitherausgeber zu Wort kommt. Es wird allgemein über das Thema Gewalt gesprochen.

[Audio:http://audioarchiv.k23.in/Referate/Kunst_Spektakel_Revolution/KSR-5-Heftvorstellungen/Nachrichten_aus_dem_beschaedigten_Leben__KSR_Gewalt.mp3]

    Download: via AArchiv (mp3; 13:24 min; 21,4 MB)

2.) Missverständnisse über Kulturindustrie

Im Rahmen einer Gemeinschaftssendung von FSK und Radio Corax hat Jakob Hayner ein Interview über seinen Beitrag gegeben. Er hat in der KSR N°5 über „Missverständnisse über Kulturindustrie“ geschrieben. Er kontextualisiert den Begriff der Kulturindustrie innerhalb der „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer und grenzt ihn von anderen Begriffen ab, etwa von dem der Massenkultur.

[Audio:http://audioarchiv.k23.in/Referate/Kunst_Spektakel_Revolution/KSR-5-Heftvorstellungen/Jakob_Hayner_Missverstaendnisse_Kulturindustrie__Interview.MP3]

    Download: via AArchiv (mp3; 13:05 min; 17,9 MB)

3.) Wutpilger-Streifzüge: Zur Kritik der Gewalt

In einer Ausgabe der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge im Dezember 2016 wurde ein längeres Feature gesendet, das auf der fünften Ausgabe von Kunst, Spektakel & Revolution basiert. Es kommen darin Roger Behrens, Jakob Hayner, Susann Offenmüller und Lukas Holfeld zu Wort. Unter anderem enthält es Auszüge aus einem Mitschnitt einer Heftvorstellung in Hamburg. Das zugrundeliegende Interview mit Jakob Hayner bezog sich auf eine weitere Publikation zu einem ähnlichen Thema: „Grenzsteine – Beiträge zur Kritik der Gewalt“ (Edition Text und Kritik). Es enthält außerdem Passagen aus der Ausgabe 63/2015 der wertkritischen Zeitschrift „Streifzüge„, die sich ebenfalls dem Thema Gewalt gewidmet hat.

[Audio:http://audioarchiv.k23.in/Referate/Kunst_Spektakel_Revolution/KSR-5-Heftvorstellungen/2016_12_18_Wutpilger_Streifzuege__Gewalt.MP3]

    Download: via Mediafire (mp3; 1 h; 96,1 MB)

4.) Wutpilger-Streifzüge: Destruction of RSG-6

Die Novemberuar/2016-Ausgabe von Wutpilger-Streifzüge hat sich ebenfalls der fünften Ausgabe von Kunst, Spektakel & Revolution gewidmet. Sie enthält einen Vortrag von Lukas Holfeld über die Ausstellung „Destruction of RSG-6“, die im Jahr 1963 von der Situationistischen Internationale in Odense (DK) organisiert wurde. Der Vortrag ist eine Einführung in die Theorie der Situationisten (mit einem Fokus auf deren Verhältnis zur Kunst), schildert Aspekte des kalten Krieges und beschreibt die genannte Ausstellung.

Destruction of the RSG-6

Oder: Wie man die Kunst mit den Mitteln der Kunst zerstört

Im April 1963 veröffentlichte die britische Aktivisten-Gruppe „Spies for Peace“ die Existenz eines geheimen Atomschutzbunker-Systems, das ausschließlich für Mitglieder der britischen Regierung reserviert war: Die „Regional Seats of Government“ (RSG). Mitglieder der Gruppe selbst waren in den RSG-6 in Reading eingebrochen und hatten dort die Pläne der übrigen Bunker gefunden. Die Gruppe veröffentlichte ihre Funde in einer Broschüre, die weltweit für Aufmerksamkeit sorgte und einen enormen Mobilisierungsschub für die außer-parlamentarische Abrüstungs-Bewegung nach sich zog. Im Juni 1963 eröffnete die Situationistische Internationale eine Ausstellung, die mit dem Titel „Destruction of RSG-6″ überschrieben war. Offensichtlich nahm die marxistische, post-surrealistische Gruppe Bezug auf die Funde in Reading. Aber nicht nur das: Die Galerie zeigte den Stand einer Kritik der Kunst, die die S.I. in den Jahren zuvor erarbeitet hatte.

Der Vortrag gibt einen Einblick in die fünfte Ausgabe der Zeitschrift „Kunst, Spektakel & Revolution“ und erzählt die Geschichte der Ausstellung „Destruction of RSG-6″. Dabei werden Fotos von der Ausstellung gezeigt. Zugleich sollen Ansätze der kritischen Theorie der Situationistischen Internationale eingeführt werden. Die Ausgaben 3-5 von KSR können beim Vortrag erworben werden. [via]

[Audio:http://audioarchiv.k23.in/Referate/Kunst_Spektakel_Revolution/KSR-5-Heftvorstellungen/2016_11_20_Wutpilger_Streifzuege__Destruction_of_RSG_6.MP3]

    Download: via Mediafire (mp3; 1:30 h; 144 MB)

6.) KSR-Heftvorstellung in Berlin

Am 24.07.2016 wurde die fünfte Ausgabe von Kunst, Spektakel & Revolution in Berlin im Laidak vorgestellt. Im Vortrag sprechen Julian Kuppe und ein Redaktionsmitglied, das den im Heft enthaltenen Beitrag von Olga Montseny vorstellt. Julian Kuppe umkreist in seinem Vortrag, wie im Spätkapitalismus bzw. in der Postmoderne Identität und Subjektivität prekär werden und was dies für Gesellschaftskritik und Psychoanalyse für Folgen hat. Der andere Vortrag geht ausgehend von den Hamburger Gefahrengebieten darauf ein, wie der Ausnahmezustand zunehmend ein normaler Bestandteil von Ordnungspolitik wird.

Es gibt keine Herrschaft ohne Gewalt. Die Gewalt sachlich vermittelter Herrschaft ist in den Institutionen verborgen und vollzieht sich als stummer Zwang der Verhältnisse. Offen zutage tritt sie in der Peripherie, an den Grenzen, gegenüber „beschwerdearmen Bevölkerungsgruppen“ und im Ausnahmezustand. Sichtbar wird sie auch in der Deformierung der (post)modernen Subjekte. Herrschaft zwingt ihren Gegnern die Frage der Gewalt auf – ist sie einmal in der Welt, muss mit ihr umgegangen werden. Die äußeren Bedingungen und die Wahl der Mittel entscheiden darüber, ob die Revolution ihr (im doppelten Sinne) erliegt. Die im Juli erscheinende fünfte Ausgabe der Broschüren-Reihe „Kunst, Spektakel & Revolution“ beschäftigt sich auf verschiedenen Ebenen mit der Gewalt der Verhältnisse. Wir wollen im Laidak gemeinsam mit mehreren Autoren einen Einblick in das Heft geben. [via]

[Audio:http://audioarchiv.k23.in/Referate/Kunst_Spektakel_Revolution/KSR-5-Heftvorstellungen/KSR_6_Heftvorstellung_Berlin.mp3]

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Wer darüber hinaus weiter hören möchte – die Homepage von Kunst, Spektakel & Revolution enthält auch ein ausführliches Archiv mit Audiodateien, die im Zusammenhang mit der Veranstaltungsreihe und dem Magazin stehen.

Die Verwirklichung der Poesie

Kunst, Spektakel & Revolution N°4

Ende 2014 ist die vierte Ausgabe der Zeitschrift Kunst, Spektakel & Revolution erschienen (herausgegeben vom Bildungskollektiv im Katzenberg Verlag). Das Heft dokumentiert und ergänzt den vierten Teil der gleichnamigen Veranstaltungsreihe in Weimar. Thema des Heftes ist die Poesie des 19. Jahrhunderts und ihr Verhältnis zu den revolutionären Bewegungen jener Epoche. Wir dokumentieren hier zum einen Vorträge, die bei Heft-Vorstellungen gehalten wurden und zum anderen die der Veranstaltungsreihe zugrundeliegenden Vorträge.

Die vierte Ausgabe dokumentiert den Veranstaltungsblock, der im Sommer 2012 unter dem Titel »Die Verwirklichung der Poesie« stattgefunden hat. Thema ist das Verhältnis von Poesie und Revolution – revolutionäre Poesie, Poetik der Revolution – im Laufe des 19. Jahrhunderts. Die beiden Wegmarken bilden dabei die Französische Revolution von 1789ff und den Aufstand der Pariser Commune von 1871. Jene Revolution und dieser Revolutionsversuch haben bestimmt, was in dieser Epoche möglich war, haben eröffnet, was künftig möglich sein würde und hinterlassen ein Erbe, das noch zu rächen sein wird – auch im Bereich der künstlerischen Produktion. Besprochen werden im Heft u.a.: Friedrich Hölderlin, Heinrich Heine, Rahel Varnhagen, Comte de Lautréamont, Arthur Rimbaud, Baudelaire und Blanqui, Richard Wagner, Louise Michel und die Frauen der Pariser Commune. (via)

Zur vierten Ausgabe von KSR

Interview mit Radio Dreyeckland

Einen kurzen Einblick in das Heft hat der Mitherausgeber Lukas Holfeld in einem Interview bei Radio Dreyeckland in Freiburg gegeben (via):

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    1. :

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    1. |

via FRN

    (mp3; 21 MB; 9:03 min)

Lukas Holfeld im Gespräch mit Marcus Quent

Einen etwas ausführlicheren Einblick in das Heft hat Lukas Holfeld am 11.02.2014 im Leipziger Institut für Zukunft im Gespräch mit Marcus Quent (Engagierte Wissenschaft) gegeben. Sie sprechen über den Hintergrund der Veranstaltungsreihe und das Thema der Broschüre.

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    1. :

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    (mp3; 26.5 MB; 28:54 min)

Despotismus der Freiheit

Im Anschluss an das Gespräch hat Sebastian Tränkle einen Vortrag über Georg Büchner gehalten, ein Dichter, der gut in die vierte KSR-Ausgabe gepasst hätte, es aber nicht hineingeschafft hat. Tränkle arbeitet anhand Georg Büchners Dantons Tod den Widerspruch zwischen revolutionärer Moral und individuellem Glücksstreben heraus – um anschließend mit Bezug auf Oscar Wilde der Moral eine materialistische Absage zu erteilen. Dem Vortrag liegt ein Beitrag zugrunde, den Tränkle für das Buch Gewalt und Moral. Eine Diskussion über die Dialektik der Befreiung (Hendrik Wallat, Hg.) verfasst hat.

In Georg Büchners Dantons Tod (1835) wird ein zentrales Problem aller revolutionären Politik dramatisiert: Der Konflikt zwischen der ihr zugrunde liegenden Moral und dem Glücksstreben der einzelnen Individuen. Büchners Drama – in der Sprache so unerhört modern, dass man bisweilen meinen möchte, es nehme Brecht vorweg – seziert in geradezu ideologiekritischer Manier die jakobinischen Moralvorstellungen und ihren blutigen Konsequenzen. Aus der historischen Rückschau lässt das zur terroristischen Endzeit der Französischen Revolution situierte Stück gar Fluchtlinien hin zum Großen Terror des Stalinismus erkennen. Vor dem Hintergrund der beiden historischen Erfahrungen wird die Fragwürdigkeit eines jeden Ansatzes zu einer politischen Ethik deutlich. Mit einem Seitenblick auf Oscar Wilde soll ihr schließlich eine materialistische Absage erteilt werden: Dort wo nur für »die Sache« gekämpft wird, statt für das eigene Glück ist die Revolution schon an den Revolutionären gescheitert – oder zeitgemäßer formuliert: führt sich jeder Versuch zur Befreiung selbst ad absurdum.

Von Sebastian Tränkle ist jüngst ein Aufsatz zum Thema erschienen: »Polizeisoldat des Himmels. Über revolutionäre Moral und die Negation des individuellen Glücksanspruchs«, in: Hendrik Wallt (Hg.), Gewalt und Moral. Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung, Münster: Unrast 2014. Der Vortrag möchte mit dem Essay auch das Buch vorstellen. Sebastian Tränkle ist als freier Autor tätig und lebt in Berlin. [via]

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    1. :

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    (mp3; 48.9 MB; 53:26 min)

Auguste Langlois schäumt nicht im Tuileriengarten

Bei der Release-Veranstaltung zu KSR#4 in der ACC Galerie Weimar hat Clemens Bach seinen in der Broschüre enthaltenen Artikel vorgestellt: es geht um den Begriff einer negativen Pädagogik in den Werken von Joris-Karl Huysmans und Comte de Lautréamont. Zuvor liest Lukas Holfeld einen Auszug aus der Einleitung des Heftes vor.

Am 30.10.2014 wird das Heft in der ACC Galerie vorgestellt und wird erstmals erhältlich sein. Außerdem stellt Clemens Bach die Thesen seines Textbeitrags über die Romane von Joris-Karl Huysman und Comte de Lautréamont vor. In Huysmans‘ Roman »Gegen den Strich« und Lautréamonts »Gesängen des Maldoror« spürt er einen negativen Kern pädagogischer Prozesse auf und stößt dabei auf die Grenzen, die der Leib dem pädagogischen Zugriff setzt und dabei ein fiebriges Erschaudern vor dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft hervorruft. Passagen aus beiden Romanen werden leserisch vorgetragen. (via)

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    1. :

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    (mp3; 43.9 MB; 47:57 min)

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Kritische Zombies

Apropos Utopie/Dystopie – einige der populärsten Dystopien kommen aus dem Zombie-Genre. Hierzu drei Beiträge:

1. Gesellschaftskritik in Zombie-Filmen

Im Rahmen des Jour-Fixe der Falken Erfurt hat einer der Falken-Genossen einen Vortrag über Gesellschaftskritik in Zombie-Filmen gehalten. Er informiert über Ursprünge und die Entwicklung des Genres, bespricht einige wichtige Zombie-Filme und arbeitet verschiedene gesellschaftskritische Motive aus diesem Material heraus.

Wenn die Toten erwachen …

Zombiefilme haben den Ruf, genauso stumpfsinnig und geistlos zu sein wie die darin vorkommenden Untoten – aber das stimmt nur zum Teil. Tatsächlich können die inszenierten Dystopien und Endzeitszenarien durchaus als Projektionsfläche einer allgemein empfundenen Ohnmacht gegenüber der Gesellschaft und Artikulation eines Fortschrittspessimismus gelesen werden. Anhand von Filmausschnitten und Thesen diskutieren wir verschiedene Interpretationsansätze. [via]

    Download: via Aarchiv (mp3; 40.7 MB; 29:40 min)

2. Der Zombie ist der Wert

Ähnliche Motive arbeitet der Text „Der Zombie ist der Wert“ von Alex Schärer heraus, der in der Züricher Zeitschrift Risse – Analyse und Subversion – No.6 erschienen ist. In der Sendereihe Sexy Kapitalismus … oder Pop ist eine Pizzaschachtel wurde dieser Text, unterlegt mit passender Musik und Audio-Film-Schnipseln, schon vor einiger Zeit einmal vorgelesen. Der Text konzentriert sich auf die Motive der Zombie-Triologie von George Romero und bringt diese am Schluss mit einigen wertkritischen Theoremen in Verbindung.

    Download: via Mediafire (mp3; 54.9 MB; 1h)

3. Zombies! Dekonstruktion eines Mythos

Auf Deutschlandfunk wurde 2011 ein aufwendig produziertes Feature über den Zombie-Mythos von Markus Metz und Georg Seeßlen gesendet. Darin wird die Entwicklung des Zombie-Mythos von seinen Ursprüngen im Voodo-Kult bis zu den postmodernen Hollywoodproduktionen hörbar, wobei vor allem die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Zombie herausgearbeitet wird. Es kommen verschiedene Kulturwissenschaftler, Autoren und Filmproduzenten zu Wort und das Ganze wird von zahlreichen Samples und eigens produzierten Hörspielsequenzen gerahmt. Eine durchaus hörenswerte Radioproduktion.

50 Millionen Menschen auf der Welt bekennen sich zu der aus Afrika stammenden Religion, die in der westlichen populären Kultur als „Vodoo“ bezeichnet wird und hier für wüste Okkult- und Verschwörungsfantasien herhalten muss. Zu den faszinierend-bedrohlichen Vorstellungen dabei gehört der Zombie: der durch Zauberei in eine willenlose Hülle verwandelte Mensch.

Die ersten Hollywood-Zombie-Filme standen in den 1930er-Jahren noch ganz unter dem Eindruck der tendenziösen Berichte aus Haiti und des Schocks der erfolgreichen Sklavenrevolte, bei der die Vodoo-Religion eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatte. Mit wenigen Ausnahmen wurde in der Filmproduktion der rassistisch-propagandistische Aspekt gedankenlos übernommen und mit anderen Horror-Mythen verbunden. Erst George A. Romero schuf 1968 mit seinem rauen Film „The Night of the Living Dead“ einen neuen Bezug: Der Zombie als Metapher des Verfalls von Kapitalismus und Demokratie. Seitdem sind Zombie-Filme, -Songs, -Bücher und -Comics aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken.

Produktion: DLF 2011 [via]

    Hören: via DLF-Stream (1 h)

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Der eindimensionale Mensch wird 50

Vor 50 Jahren erschien Herbert Marcuses »Der eindimensionale Mensch«, ein Text der dem studentischen Protest um 1968 die Stichworte (»Große Weigerung«) lieferte und zu einem der meistgelesenen Bücher jener Zeit avancierte. Nun ist nicht nur bei zu Klampen eine Neuausgabe erschienen, sondern wurde auch mit Hilfe eines Konzerttheaters an den Text erinnert. Aus Anlass der von Thomas Ebermann konzipierten Tournee sprachen Dietmar Dath und Hermann Gremliza mit den Künstlern (neben Ebermann; Robert Stadtlober und Andreas Spechtl) der Inszenierung. Der Text ist in der konkret zu finden, die Audioaufnahme hier.

    Download: via AArchiv (mp3)

Differenz und Distinktion

Über ästhetische, sensualistische und soziologische Aspekte des Geschmacksbegriffs

1.) Vor ca. zwei Jahren hat Bersarin im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kunst, Spektakel, Revolution“ einen Vortrag über „Kunst und Geschmack“ gehalten. Die verschriftlichte Version des Vortrags ist zwischenzeitlich in der 3. KSR-Broschüre erschienen und inzwischen auch online nachlesbar. Wir dokumentieren an dieser Stelle den Mitschnitt des zugrundeliegenden Vortrags. Bersarin handelt darin drei ideengeschichtliche Stationen ab: Geschmack als Begriff in der Frühaufklärung, Geschmack in der Ästhetik Adornos und Geschmack in einem Essay von Detlev Claussen.

Der Begriff „Geschmack“ lässt sich in mehrfacher Wortbedeutung verstehen: einmal als Geschmack, welcher auf der unmittelbar sinnlichen Ebene funktioniert – also innerhalb unserer fünf Sinne in der Weise des Schmeckens als passives Vermögen – und als Geschmack in der Bedeutung der stil- und empfindungssicheren Beurteilung bzw. der distinktiven Wertung von aisthetischen und lebensweltlich begegnenden Gegenständen. Hier fungiert Geschmack als aktives Vermögen. Dabei fallen Kunstwerke als spezielle Objekte unter die zweite Bedeutung von Geschmack. Philosophie, Soziologie und die Ästhetik beschäftigen sich in der Regel mit diesem zweiten Aspekt, der dem Geschmack zugrunde liegt. Die Felder reichen vom Kantischen Geschmacksurteil, der Analyse subjektiver Empfindungen bzw. der Idiosynkrasien über den Dandy- und Bohème-Begriff des 19. Jahrhunderts, der Ästhetik Adornos, deren Fokus auf dem Kunstwerk selbst liegt, bis hin zur Konzeption Bourdieus, in welcher der Geschmack als Phänomen der sozialen Ab- und Ausgrenzung interpretiert wird.

Zunächst soll im historischen Rückgriff die Bedeutung aufgezeigt und ein skizzenhafter Überblick zum Geschmack sowie dem ihm innewohnenden emanzipatorischen Potential gegeben werden, das diesem Begriff in der sich entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts zugrunde liegt. Geschmack konzipierte sich im 18./19. Jahrhundert als eine Möglichkeit von (bürgerlicher) Autonomie jenseits feudaler Fesseln und Reglementierungen und ist als Form der bürgerlichen Selbstvergewisserung auch parallel zum ästhetischen Moment zentrale Kategorie. Es kam diesem Begriff ein objektiver Gehalt zu, der sich unter spätmodernen bzw. -kapitalistischen Bedingungen kaum noch revitalisieren lässt und dort lediglich subjektiv konnotiert ist: Jenes „De gustibus non est disputandum“ gibt mittlerweile die (auch ästhetische) Ideologie des herabgesunkenen Bürgertums ab. Dieser verschüttete objektive Gehalt soll in seinen Grundzügen dargestellt werden, um von dort zur Gesellschaftstheorie sowie zur Ästhetik Adornos überzuleiten. In seiner Ästhetik erfährt der Geschmacksbegriff eine grundsätzliche Kritik, welche einerseits geschichtsphilosophisch, andererseits aber immanent ästhetisch motiviert ist.

Nachdem diese Kritik Adornos kurz dargestellt wurde, soll anhand seiner Ästhetik sowie der Gesellschaftskritik zur sinnlichen Komponente des Geschmacks als Schmecken übergeleitet werden. Dass diese erste Bedeutung des Geschmacksbegriffs genauso ein Feld für die Philosophie und Ästhetik abgeben kann – und dies jenseits der Restaurantkritik oder einer schlechten Unmittelbarkeit –, zeigt etwa Prousts „Recherche“: Im Moment des Schmeckens, nachdem der Protagonist jene legendäre Madeleine in den Lindenblütentee tauchte und das Gebäck verspeiste, geschieht jener Vorgang, welcher mit dem Begriff der memoire involontaire verbunden ist. Im Schmecken, im Moment unmittelbarer Sinnlichkeit evoziert sich ein Anderes. In diesem Zusammenhang möchte ich Aspekte aus Detlev Claussens Aufsatz „Kleine Frankfurter Schule des Essens und Trinkens“ aufgreifen und die darin entfalteten Ansätze von Geschmack und Kritischer Theorie in den Zusammenhang mit Adornos „Meditationen zur Metaphysik“ bringen. Denn auch in jenem letzten Teil der „Negativen Dialektik“ geht es um ein sinnliches Moment der Philosophie. Diesem kann zwar innerhalb einer Theorie kein Prius eingeräumt werden, da dialektisches Denken sich nicht auf eine Seite der Opposition schlägt, doch ist es im Rahmen von Kritischer Theorie auch nicht auszuscheiden. „Nur im ungeschminkt materialistischen Motiv überlebt Moral“, so schreibt Adorno in den „Meditationen“. Dieser Satz lässt sich zugleich im Hinblick auf die Philosophie insgesamt ergänzen, ohne dabei jedoch eine Philosophie der reinen Sinnlichkeit zu kultivieren. Es soll aufgezeigt werden, dass Adornos Philosophie jenes vielfach aus dem Kanon der Philosophie abgesonderte Moment der Sinnlichkeit durchaus aufnimmt. Dies zeigt sich neben den „Meditationen“ auch in seinen „Minima Moralia“ , sowie über die Begriffe des Impulses oder des Somatischen, um dadurch eine Passage hin zu einer Theorie unreglementierter Erfahrung zu öffnen.

Bersarin, Jahrgang 1964, hat Philosophie, Soziologie, Germanistik und nebenher Kunstgeschichte studiert, er betreibt den Blog AISTHESIS und macht Fotos: Proteus Image. [via]

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2.) Auch in der klassischen Soziologie hat man sich über die Kultivierung des Geschmacks und die Sitte der Mahlzeit Gedanken gemacht. So erforschte Norbert Elias, wie im Prozess der Zivilisation auch das Speisen der Affekt- und Triebkontrolle unterworfen wird, Georg Simmel untersuchte die Mikrosoziologie der bürgerlichen Kleinfamilie bei Tisch und für Pierre Bourdieu ist Geschmack immer Klassengeschmack und seine Ausbildung dient der Distinktion. Ihre Äußerungen zu diesen Themen könnt ihr hier nachhören:

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»Sehr, sehr unviktorianisch«

Beiträge über Virginia Woolf

Wer sich mit feministischer Theorie und der Geschichte des Feminismus auseinandersetzt, wird um eine Autorin nicht herumkommen: Virginia Woolf. In einem ihrer bekanntesten Texte, dem Essay »A Room of one’s own«, fordert sie – so sehr ihr Horizont ein bürgerlicher bleibt – auf bezwingend materialistische Weise, dass Frauen, wenn sie literarisch produktiv sein wollen, zum einen ein eigenes Zimmer haben müssen, in dem sie von allen reproduktiven Ansprüchen unbehelligt bleiben können und zum anderen über eigenes Geld verfügen können müssen. Gleichwohl ist ihr Wirken nicht auf den politischen oder literarischen Feminismus zu reduzieren – ihre Romane und Erzählungen haben stilbildend den inneren Monolog in der modernen englischen Literatur zur Anerkennung gebracht und stehen in Erzählkunst und Wagnis einem Marcel Proust oder James Joyce in nichts nach. Wir machen im Folgenden auf vier Beiträge zu Werk und Leben von Virginia Woolf aufmerksam:

1. »Sehr, sehr unviktorianisch« – Virginia Woolf – Pionierin der literarischen Moderne

Erst kürzlich ist im Hörspiel-Pool des Bayrischen Rundfunks ein biographisches Feature über Virginia Woolf erschienen. Der Erzählung ihres Lebensweges sind, neben Zeugnissen ihrer Zeitgenossen, zahlreiche Ausschnitte aus ihren Werken beigegeben. [Call: Die Datei auf dem Server von BR2 ist über weite Strecken hin beschädigt – wenn jemand im Besitz einer nichtbeschädigten Version ist – her damit!]

Bereits mit ihrem ersten Roman „Die Fahrt hinaus“ (The Voyage Out, 1915) setzte sich Virginia Woolf über die literarischen Konventionen ihrer Zeit hinweg und veranlasste ihren Freund, den Schriftsteller Lytton Strachey, zu dem Ausruf: „Oh, es ist sehr, sehr unviktorianisch!“ Das könnte als Motto über dem Leben von Virginia Woolf stehen, aber nur als eines von vielen, denn ihr Werk als Schriftstellerin und Biographin, als Essayistin, Literaturkritikerin und Verlegerin war vielschichtig und facettenreich. Virginia Woolf wurde 1882 als Tochter eines angesehenen Intellektuellen und einer viktorianischen Dame der gehobenen Mittelklasse geboren. Schulbildung für Mädchen lehnte ihre Mutter ebenso ab wie Studium, Beruf und Wahlrecht für Frauen. Sich von dieser viktorianischen Knebelung zu befreien, war eines der Ziele von Virginia Woolfs Schreiben. Sie begann ihre Laufbahn mit literarischen Rezensionen, dann folgten Prosawerke und zahlreiche Essays. Sie machte sich auf, den Roman zu revolutionieren, und die Gattung der Biographie gleich mit. Keine klar strukturierten Handlungsverläufe, keine deutliche Personencharakterisierung, keine allwissende Erzählstimme. Stattdessen tauchte sie ein in die Innenwelten ihrer Figuren, erzählte fragmentarisch von ganz normalen Ereignissen an ganz normalen Tagen. In wunderschön komponierter rhythmischer Sprache, in poetischen Bildern und Metaphern, mit Witz, Ironie und mit Wut auf den Militarismus und den Krieg, das patriarchale System und die Unterdrückung von Frauen. Zwischen 1922 und 1931, der produktivsten Zeit in ihrem Leben, veröffentlichte Woolf fünf experimentelle Werke: die Romane Jacobs Zimmer (Jacob’s Room), Mrs. Dalloway (Mrs. Dalloway), Zum Leuchtturm (To the Lighthouse), Die Wellen (The Waves), die fiktive Biographie Orlando. Daneben zahlreiche Essays, darunter den wegweisenden Ein Zimmer für sich allein (A Room of One’s One). Mit diesen Werken wurde sie zur angesehenen Schriftstellerin und zur bedeutendsten englischen Autorin der Moderne. Virginia Woolf erlebte in jungen Jahren den sexuellen Missbrauch durch ihre Halbbrüder und den Tod ihrer engsten Familienangehörigen. Zu diesen belastenden Erfahrungen kam der Ausbruch einer psychischen Krankheit, unter der sie ein Leben lang litt. Als sie 1941 befürchten musste, wahnsinnig zu werden, nahm sie sich am 28. März 1941 das Leben. / Realisation: Mira Alexandra Schnoor / BR 2013

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2. »Ein eigenes Zimmer«

In der BR2-Mediathek steht außerdem ein weiteres, etwas kürzeres, aber ebenfalls hörenswertes biografisches Feature zur Verfügung, in dem einige literarische Motivie Woolfs beleuchtet werden.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts in die Ober-und Bildungsschicht des spätviktorianischen Londons hineingeboren, begann sie früh, sich schreibend mit der Innen- und Außenwelt zu befassen. Traditionelle Erzähltechniken aufbrechend, wurde Woolf zur wichtigsten Vertreterin der literarischen Moderne. Die „Bloomsbury Group“, ein Kreis Kreativer, gilt als Inbegriff kreativer Lebens- und Arbeitsform. Trotz ihrer körperlichen und psychischen Labilität arbeitete Virginia Woolf mit großer Intensität an ihrem Werk. Die Abwendung von patriarchalen Werten, die Selbstreflexion und Betonung der weiblichen Sicht, machten sie zur Gallionsfigur der Frauenbewegung und zum Vorbild weiblicher Selbstentfaltung unter erschwerten Bedingungen.

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3. Jacobs Zimmer

Beim Bayrischen Rundfunk werden meines Erachtens zur Zeit einige der besten zeitgenössischen Hörspiele produziert – im letzten Jahr wurde dort der Roman Jacobs Zimmer von Virginia Woolf als Hörspiel in vier Teilen gesendet. Der Roman ist eine Charakterstudie an dem Protagonisten Jacob Flanders, wobei dessen innere Vorgänge permanent mit den Eindrücken kontrastiert werden, die andere Personen um ihn herum von ihm haben. Thema ist die Sinnlosigkeit und das Scheitern eines Lebens kurz vor und im Zuge des ersten Weltkriegs.

Eine Schriftstellerin um die Vierzig im Prozess, ihren scharfen Blick auf die Welt, deren Politik und innere Mechanik in erfahrungsnaher Literatur darzustellen. Eine untergehende Gesellschaftsform im England der (Vor-)Kriegszeit und ein junger Mann, der im Ersten Weltkrieg stirbt, noch bevor er seine Persönlichkeit voll entfalten konnte. Virginia Woolf, ihr Gegenstand und der Wunsch nach einem neuen, unmittelbaren Ausdruck: Das sind die äußeren Koordinaten des Romans Jacobs Zimmer, der 1922 erschien und ein wenig bekanntes Meisterwerk der Moderne ist.

Aus der inneren Logik des Romans entsteht eine faszinierende literarische Erfahrung, eine multisensorische Folge von atmosphärischen Ausschnitten, kurzen Einblicken, vielstimmigen Einschätzungen, die lose chronologisch aneinandergereiht sind. Wir begegnen Jacob als Kleinkind am Strand, erhaschen Eindrücke aus seiner Schulzeit, seinem Studentenleben in Cambridge, sehen ihn durchs nächtliche London zu einer Geliebten gehen oder nach Griechenland reisen. Das Unerhörte daran: Jacob selbst spricht nie und genau das war Virginia Woolfs Schlag gegen die viktorianische Erzählkonvention, in der sie sozialisiert wurde, und deren autoritäre Vorgaben sie zeitlebens angriff. Ihre gelungene Romanerfindung arbeitet erstmals mit einer Art fotografischer Schnitttechnik und zeigt, dass Jacob durchaus da ist: heraufbeschworen, nicht aus der Aufzählung von charakterbestimmenden Fakten und gedrechselten Sätzen eines allwissenden Erzählers, sondern auf geisterhafte Weise in Facetten gespiegelt: in den Blicken, Gedanken- und Gesprächsfetzen seiner Umgebung. Es ist, als blättere man mit angehaltenem Atem durch das Fotoalbum eines Fremden.

So stehen wir heutzutage im Leben, meinte Woolf, so erfahren wir die Welt: Wir gleiten durch eine Abfolge von symbolischen Räumen, durch sprechende Atmosphären, angerissene Szenen und Gesprächsfetzen, und wenn wir sie lesen lernen, verstehen wir vielleicht ein bisschen besser, wer wir sind.

Virginia Woolf ist bekannt für ihre schonungslose Selbstkritik, doch mit Jacobs Zimmer, das die Reihe ihrer berühmten Romanexperimente einleitete, war sie durchaus zufrieden: „Ich habe keinen Zweifel mehr, dass ich (mit 40!) herausgefunden habe, wie ich die Dinge in meiner eigenen Stimme ausdrücken kann“, notierte sie beim Erscheinen des Romans in ihr Tagebuch.

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4. Orlando

Orlando ist meines Erachtens einer der lesenswertesten Romane Woolfs, der vielleicht auch leichter zugänglicher ist, als viele andere ihrer Romane. Der Roman erzählt die Lebensgeschichte eines adeligen Jünglings, die sich über vier Jahrhunderte erstreckt und innerhalb derer sich auf rätselhafte Weise eine Geschlechtsumwandlung des Protagonisten vollzieht. Das Hörspiel wird auf Bayern 2 ab dem 14.07.2013 um 15:00 Uhr in insgesamt sechs Teilen ausgestrahlt.

„Ich will die Biographie über Nacht revolutionieren!“ notierte sich Virginia Woolf spät im Jahr 1927 euphorisch ins Tagebuch und der Funke war gezündet. Begeistert stürzte sie sich in das „Projekt Orlando“, das zum „Rückgrad ihres Herbstes“ wurde, ein Buch, das sie leichthändig „vor dem Abendessen schreiben“ konnte. Es machte ihr unendlich viel Spaß! Den Lesern übrigens auch, wie die Verkaufszahlen der ersten drei Wochen zeigten, die selbst die kühnsten Erwartungen übertrafen. Orlando war von Anfang an Legende. Was die energetische Dynamik anging, war dieses Buch ein Glücksfall für Woolf. Zwar floss bei dieser Autorin immer Privates mit Beruflichem zusammen, doch jetzt war sie angefeuert von der engen Beziehung, Begeisterung und Liebe zu einer schillernden Abenteurerin, der adeligen Vita Sackville-West. Als schönsten Liebesbrief der Literaturgeschichte hat man Orlando bezeichnet. Und sicher: Sackville-West stand ihrer Freundin in vielem Modell für diese Fantasie. Fakten wurden mit Fiktivem vermischt, zu symbolischen Szenen verdichtet, mit Goldstaub überzogen.

Trotzdem greift die Beschreibung vom Liebesbrief zu kurz. Denn vor allem gelang es Woolf hier unaufgeregt und verspielt, gesellschaftspolitisch und kulturhistorisch relevante Themen aufzugreifen. Die Stellung der Frau, die Aggression des Empire, die rückwirkende Deutung von Geschichte aus machtpolitischen Gründen. Alles, was Virginia Woolf als Denkerin ausmacht, finden wir hier. Scheinbar Unverrückbares wird funkelnd und satirisch zugleich demontiert: Stand, Status, Geschlecht und Geschichtsschreibung, Macht, Posen und Konventionen. Besonders viel Sorgfalt verwendet Woolf auf die Darstellung der Relativität von Zeit und Begebenheit.

Neben ihrer Begeisterung für Sackville-Wests Person, behandelt Orlando eine weitere Leidenschaft Woolfs: ihre Liebe zur Biographie als Genre. Als Leserin verschlang sie diese Bücher und reflektierte in ihren Notizen über die Form. Woher kam der oft anmaßende, allwissende Ton der Autoren? Woher der Glaube, die Figur so gut fassen zu können? Wieso erfahren wir oft mehr über Zeit und Moral des Biographen, als über die Person, die zur Debatte steht? Wieso erstickte oft eine buchhalterische Sprache jedes Gefühl für einen Menschen, der vor langer Zeit sehr lebendig war. Und, ganz zentral: wer legt eigentlich fest, dass Phantasie und Dichtung in einer Biographie nichts zu suchen haben. Woolf selbst gibt in Orlando vielen Positionen eine Stimme.

    Alle Sendetermine finden sich im Überblick hier. Die Audiodateien werden zu gegebener Zeit hier verlinkt.

    Teil 1: via BR2

Empfohlen sei abschließend der Film The Hours, in dem das Leben Virginia Woolfs (gespielt von Nicole Kidman) mit den Handlungen ihres Romans Mrs Dalloway verquickt wird – auch wenn mir das unvermeidliche Ende auf fragwürdige Weise aufgeladen scheint.

Roger Behrens: Versuche einer kritischen Radiopraxis

Er hielt Rundfunkvorträge, nahm an Gesprächsrunden1 teil, diskutierte im Fernsehen über Fragen der kritischen Theorie, bediente sich des Rundfunks, um im Sinne der Erziehung zur Mündigkeit mit politisch – philosophischen Beiträgen Aufklärung zu leisten: Theodor W. Adorno. Michael Schwarz, Mitarbeiter im Adorno-Archiv, hat allein 114 Rundfunkgespräche gezählt, bei denen sich Adorno vor das Mikrophon setzte. Noch höher ist die Zahl der ausgestrahlten Vorträge im Radio. Durch die Partizipation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprach er sich seinen Teil zur Entbarbarisierung beizutragen; das Radio als Kommunikationsapparat zu nutzen, statt es wie in der Kulturindustrie zum Volksempfänger zu funktionalisieren.
Das (öffentlich-rechtliche) Radio, das hilft nicht zu verkümmern, ist heute Illusion: Rundfunkanstalten sind vernarrt in die Idee, dass Hörfunk eine Art überall erreichbaren Services sei. Die Konsequenz ist das kleinste zumutbare gemeinsame Vielfache: Musik, die durch den Alltag dudelt und – quasi zusätzlich- Informationen über das Wetter, den Verkehr und das tagesaktuelle Geschehen – möglichst gut und schnell verdaulich. Nicht verwunderlich daher, dass Akteure, die sich in der Tradition der Kritischen Theorie sehen, sehr selten in solchen Formaten zu Wort kommen. Die Wenigen, die dennoch zu hören sind, sind zumeist auf die limitierten Möglichkeiten freier Radios angewiesen. Ein Beispiel liefert Roger Behrens Sendung Freibaduniversität (im Winter Hallenbaduniversität genannt), die er für das Freie Senderkombinat Hamburg und Radio Corax produziert. Einige Sendungen der letzten Monate dokumentieren wir im Folgenden.
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Reflexionen über die Kulturindustrie

Im Rahmen der Sendung Klärwerk hat Marius Meier von Radio Z Nürnberg im Juli 2012 ein interessantes Interview mit Detlev Claussen geführt, das in eine Reihe von Reflexionen über Begriff und Wirklichkeit der Kulturindustrie eingebettet ist. Sowohl eine knappe Einführung in die Kritik der Kulturindustrie wird geboten, als auch die Frage nach ihrer Aktualisierung (insb. hinsichtlich des WWW) gestellt. Interessant sind Claussens Ausführungen zum Verhältnis des Internets zur (Halb-)Bildung sowie zum Eindringen der Verwalteten Welt ins Individuum.

Download: via AArchiv (0:28 h, 10 MB), via Radio Z (26 MB) | via FRN (0:23 h, 33 MB, Interview ohne Kommentar!)

Im Rahmen unserer letzten Sendung beschäftigten wir uns eine Stunde lang mit der Theorie der Kulturindustrie.

Ein wechselhafter Sommer hat begonnen, und während andere Medien sich vor allem einer ressentimentbehafteten Berichterstattung über die Folgen der Schulden- und Wirtschaftskrise widmen, will das Klärwerk heute die Frage nach den Verhältnissen und Rahmenbedingungen stellen, unter denen sich Kultur im Jahre 2012 abspielt.
Der Begriff der „Kulturindustrie“ geisterte noch vor 20 Jahren häufiger durch Zeitungen und Magazine und wurde häufig im Sinne der kulturkonservativen Konstatierung eines vermeintlichen Werteverfalls missbraucht. Heutzutage gibt es kaum mehr öffentliche Debatten, die sich seiner bedienen.Wir versuchen im Rahmen unserer Themenstunde in die Theorie der Kulturindustrie einzuführen.

Das situationistische Ende der Kunst und sein Ausbleiben

Alles falsch — auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie

Anlässlich des kürzlichen Erscheinens des Buches »Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie« hat Sebastian Dittmann am 3. Juli 2012 in Halle einen Vortrag gehalten, in dem er zunächst eine kurze Einführung in das Theorem der Kulturindustrie von Horkheimer & Adorno gibt und anschließend über die Spektakel-Kritik der Situationisten referiert. Konklusio des Vortrags ist die Gegenüberstellung der verschiedenen Ausgangsbedingungen Adornos und Horkheimers auf der einen und Debords und der Situationisten auf der anderen Seite und wie daraus unterschiedliche Positionen zum Umgang mit der Kunst entspringen.

Während es üblich geworden ist, innerhalb der Kulturwaren zu differenzieren, um so deren vermeintliche Freiheitspotentiale zu entdecken, haben es sich die Autoren eines vor kurzem im VerbrecherVerlag erschienenen Buches vorgenommen, die Kulturindustrie als das zu kritisieren, was sie ist: Produkt und zugleich Produzentin des falschen Ganzen, als welche sie Theodor W. Adorno zu seiner Zeit verurteilte. Konnte der noch damit rechnen, durch Übertreibung ihre Wahrheit zu treffen, hat die Kulturindustrie unterdessen ihren eigenen Superlativismus übertroffen. „Alles falsch – Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie“, heißt das betreffende Buch. Mitherausgeber Sebastian Dittmann stellt es nun vor. In den Mittelpunkt rückt Dittmann dabei die Situationisten um Guy Debord. Debord und Adorno versuchten Mitte des letztens Jahrhunderts das Voranschreiten der Entfremdung seit dem Erscheinen von Marx´ ›Kapital‹ zu fassen. Interessanterweise ist ihre Kritik von „Kulturindustrie“ bzw. „Spektakel“ sich dabei recht ähnlich, manchmal bis in die Wortwahl, aber ihre Schlußfolgerungen unterscheiden sich radikal: Bejahte Adorno die Kunst als letztes Medium von Kritik, verneinten die Situationisten sie, da in der von ihnen erwarteten Revolution die in der Kunst in eine eigene Sphäre ge- und verbannte ästhetische Qualität in die wirkliche Welt zurückgenommen, die Poesie mit dem Leben versöhnt werden sollte; in dieser Aufhebung der Kunst erblickten die Situationisten die „Nordwestpassage“ der proletarischen Revolution. Der Vortrag versucht, zuerst einige zentrale situationistische Begriffe darzustellen und davon ausgehend ihre Kritik der Kunst behandeln; abschließend wird es um die Frage gehen, warum die erwartete Aufhebung der Kunst ausblieb. [via]

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Kritische Theorie und Emanzipation

Wir stellen stellen im Folgenden Download-Versionen der von der Bielefelder Association Critique dokumentierten Aufzeichnungen der Tagung Kritische Theorie und Emanzipation bereit. Diese fand, veranstaltet von der Antifa AG an der Uni Bielefeld, [association critique], der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, dem Rosa-Luxemburg-Club Bielefeld sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, am 11. und 12. November 2011 statt. Verlinkt sind jeweils mit 48 kBit/s kodierte Dateien. Auf dem Audioarchiv-Server sind zusätzlich auch 64 kBit/s-Varianten verfügbar (allerdings mit einer geringeren Abtastrate von 22 statt 32 kHz).

Alex Demirovic: Was ist Kritische Theorie?

Im Vortrag wird das Selbstverständnis von kritischer Theorie umrissen. Diese kann nicht als Theorie einzelner Personen verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das tief in der bürgerlichen Gesellschaft verankert ist und an dessen Entwicklung viele Menschen seit vielen Jahrzehnten beteiligt sind. Entsprechend den historischen Veränderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen verändert sich auch das Verständnis von kritischer Theorie. Es geht kritischer Theorie um Aufklärung und Emanzipation, um Mündigkeit, Einrichtung einer vernünftigen Welt, Weltfrieden, Demokratie. Seit Marx ist kritische Theorie nicht mehr naiv, sondern stellt die Frage danach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich solche Ziele verwirklichen lassen. Horkheimer und Adorno haben danach gefragt, wieweit die Tradition der kritischen Theorie nicht naiv im Verhältnis zu sich selbst ist. Zu wenig kritisch gegenüber der eigenen Praxis, kann auch kritische Theorie autoritär werden. So stellt sich heute, angesichts einer neuen Phase kapitalistischer Vergesellschaftung die Frage nach einer erneuerten Befreiungstheorie.

Alex Demirovic, Prof. Dr., lehrt z.Zt. politische Theorie an der Technischen Universität Berlin. Zuvor arbeitete er u.a. am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er gilt als einer der jungen Vertreter der kritischen Theorie. Mitglied der Redaktionen von PROKLA und LuXemburg. Arbeitsschwerpunkte: Demokratie- und Staatstheorie, kritische Theorie der Gesellschaft, Intellektuellen- und Wissenschaftssoziologie.

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    Rüdiger Dannemann: Über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács und dessen Aktualität

    Rüdiger Dannemann gibt einen guten Überblick über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács, dessen spätere Selbstkritik, ihre Fortentwicklung sowie ihren Stellenwert für die Kritische Theorie und ihre Entschärfung bei Habermas und Honneth. Adorno nimmt dabei wenig Raum ein. Dafür erfährt man einiges über aktuelle englischsprachige Ansätze, die sich der Thematik annehmen und im Zuge dessen auch Axel Honneths Verdinglichungstheorie kritisieren.

    Im theoretischen Zentrum Georg Lukács’ 1923 veröffentlichten „Geschichte und Klassenbewußtsein“ steht die durch das Warenverhältnis allgegenwärtig gewordene Verdinglichung. Hinter dem Warentausch verschwinden die Beziehungen zwischen den Personen und erscheinen als streng rationelle, geschlossene Verhältnisse von Dingen. So kann Lukács schließlich festhalten, dass im modernen Kapitalismus die Individuen einzig noch als teilnahmslose Beobachter eines ihnen scheinbar fremden Geschehens dastehen. Damit nicht genug, ist zuletzt die gesamte Gesellschaft eine Funktion des Warenverkehrs. In einer sehr grundlegenden Weise stehen die gesellschaftskritischen Analysen der frühen kritischen Theorie Max Horkheimers, Theodor W. Adornos und anderer auf den Schultern der „Studien über marxistische Dialektik“, ja scheinen ohne den großen Wurf des Jahres 1923 kaum denkbar. Jürgen Habermas indes gelang es, dies – wie zuletzt das gesamte marxistische Erbe der kritischen
    Theorie – respektvoll zu tilgen. Jedoch kehrt die Verdinglichung als verdrängter, unverarbeiteter Brocken aus den Untiefen vergangen geglaubter Zeiten wieder. So haben unlängst Rahel Jaeggi sowohl als auch Axel Honneth den durchaus mutigen Versuch unternommen, die Überlegungen Georg Lukács zu reformulieren. Insbesondere Honneth aber wendet die Verdinglichung anerkennungstheoretisch und bringt die Verdinglichungskritik weiter um ihren politökonomisches Stachel. Im Vortrag soll zunächst die Verdinglichungskritik Georg Lukács dargestellt werden. Im Anschluss wird versucht, die oft verleugnete Bezugnahme Horkheimers und zumal Adornos sichtbar zu machen. Schließlich werden die Anschlüsse Honneths und Jaeggis ebenso zur Sprache kommen wie Möglichkeiten einer polit-ökonomisch informierten Verdinglichungskritik.

    Rüdiger Dannemann, Philosophielehrer, Mitbegründer und stellv. Vorsitzender der Internationalen Georg Lukács-Gesellschaft; Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Bochum und Frankfurt am Main. Promotion über Das Prinzip Verdinglichung (1987) in Rotterdam. Arbeitsschwerpunkte: Georg Lukács, Kritische Theorie und westlicher Marxismus; ästhetische Probleme der populären Musik.

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      Heinz Gess: Antisemitismus und Emanzipation

      Heinz Gess bestimmt Antisemitismus als die Gegenbewegung zur Emanzipation und spricht in seinem Vortrag u.a. über Verdrängung und Schuldabwehr im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.

      Der Antisemitismus markiert die „Grenzen des Aufklärung“, so der Untertitel des von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter Mitwirkung Leo Löwenthals gemeinsam verfassten Abschnittes „Elemente des Antisemitismus“. Spätestens seit den frühen 1940er Jahren steht die Antisemitismuskritik auch im Zentrum der Bemühungen der kritischen Theorie. Eine wesentliche Einsicht ist dabei, dass die antisemitische Verhaltensweise gerade keine bloß vorurteilsbasierte ist. Damit gehen Horkheimer und Adorno deutlich über konventionelle Erklärungsansätze hinaus. Kritische Theorie versucht den Antisemitismus gesellschaftstheoretisch aus einem gescheiterten Zivilisationsprozess heraus zu begreifen. Vor diesem Hintergrund geht es ihr schließlich sowohl um die historische Entstehung des Antisemitismus, seine Grundlagen im Lebensprozess einer Gesellschaft, das heißt in der Ökonomie, als auch um die Verfasstheit der Subjekte dieser Gesellschaft.
      Im Vortrag wird es einerseits um die Antisemitismuskritik des exilierten Instituts für Sozialforschung gehen. Zudem soll versucht werden, die Überlegungen Horkheimers und anderer von anderen Erklärungsansätzen abzugrenzen. Zuletzt wird es freilich um die Aktualität einer kritischen Theorie über den Antisemitismus, gerade auch vor dem Hintergrund des Islamismus, gehen.

      Heinz Gess, Prof. Dr., war bis 2010 Hochschullehrer für Soziologie an der Fachhochschule Bielefeld. Er ist Herausgeber von Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft.

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        Isabelle Klasen: Über Begriff und Aktualität der Kulturindustrie

        Isabell Klasen erläutert den Begriff der Kulturindustrie im Kontrast zur autonomen Kunst, wie Adorno sie verstand.

        Max Horkheimer und Theodor W. Adorno entwickelten den Begriff der Kulturindustrie am Modell der „verwalteten Welt“, des Spätkapitalismus der 40er und 50er Jahre, welcher samt der kulturellen Erzeugnisse durch die Destruktivität des kapitalistischen Verwertungsmechanismus und die Herrschaft des universalen Tauschprinzips geprägt war. Alles Individuelle sei hierdurch in Schemata gezwungen und die Wirklichkeit werde mit Identität und Konformismus geschlagen. In den Produkten der Kulturindustrie sahen Horkheimer und Adorno diese Identität besonders zwingend zum Ausdruck kommen, auch und gerade durch deren scheinbare Nonkonformität und Pluralität. Kulturindustrie ziele auf das, was zunächst einmal nicht identisch sei und was, insbesondere für Adorno, die Kunst dagegen bewahre: die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, welche sie neutralisiere.
        Im Vortrag soll der Begriff der Kulturindustrie im Gegensatz zur Kunst dargestellt werden. Überdies soll es um die Aktualität der Überlegungen Horkheimers und Adornos gehen. Es läßt sich nämlich fragen, ob heute am Begriff der Kulturindustrie noch festgehalten werden kann, da die Kulturindustrie mittlerweile ihren eigenen, einstmals kritischen Begriff geschluckt zu haben scheint.

        Isabelle Klasen ist Lehrbeauftragte an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Arbeitskreises Rote-Ruhr-Uni. Sie ist Mitherausgeberin des in Kürze erscheinenden Bandes „Alles falsch: von verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie“.

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          Dirk Braunstein: Kritische Theorie und Kritik der politischen Ökonomie

          Dirk Braunstein legt seinen Fokus zwar auf Adornos Beschäftigung mit der Kritik der Politischen Ökonomie, rekonstruiert aber auch die Debatten, die innerhalb des Instituts über die polit-ökonomische Verfassung des Nationalsozialismus geführten worden sind (Pollocks Staatskapitalismus-These vs. Neumanns Behemoth). Er arbeitet heraus, dass Adornos Zugang zur Ökonomiekritik zunächst allein von Lukács Verdinglichungskritik bestimmt ist, dann aber durch die Wendung zur Klassentheorie und zur (transhistorischen) Kritik der »Ökonomie überhaupt« eine andere Gestalt annimmt. Auch Adornos Position zu den Begriffen der Gerechtigkeit und des Rechts nimmt im Vortrag wie in der Diskussion einigen Raum ein.

          Bis heute ist die Einschätzung verbreitet, dass der Rückgriff auf Karl Marx – und zumal auf dessen Kritik der politischen Ökonomie – in den Schriften der Frankfurter Schule ein Relikt aus bald überwundenen Stadien seiner Theorieentwicklung darstelle. Offensichtlich gab es eine große Distanz zum Fortschrittsoptimismus und erst recht zum Parteikonformismus marxistisch inspirierter Theoretiker wie etwa Georg Lukacs. Jedoch zieht sich eine produktive Auseinandersetzung mit wesentlichen Bestandteilen des Marx‘schen Hauptwerkes durch das gesamte Schaffen von Horkheimer und Adorno. Anhand zahlreicher Textdokumente lässt sich diese These belegen. Sie zeigt, dass im Zentrum von Adornos kritischer Theorie der Gesellschaft eine Kritik nicht nur der politischen Ökonomie steht, sondern eine von Ökonomie überhaupt.
          Der Vortrag soll das Beziehungsgeflecht von Marxscher Ökonomiekritik und der klassischen kritischen Theorie beleuchten und fragen, welche Aktualität diesen Inhalten zukommt.

          Dirk Braunstein, Dr. phil., studierte in Bochum, Köln, Frankfurt a.M. und Berlin und gibt die Vorlesung „Philosophie und Soziologie“ aus dem Nachlass Adornos heraus. Letzte Veröffentlichung: Adornos Kritik der politischen Ökonomie, Bielefeld, 2011.

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            Barbara Umrath: Kritische Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen

            Ausgangs- und Hauptbezugspunkt des Vortrags sind die Ausführungen in der »Dialektik der Aufklärung«, in denen eine Kritik des Subjekts und an dessen männlichem Charakter formuliert werden. Umrath konfrontiert darüber hinaus Aussagen Adornos zum Subjektstatus der Frau und zu deren Stellung im Produktionsprozess mit Ergebnissen der (empirischen) Frauenforschung. Hier stellen die Arbeiten Regina Becker-Schmidts einen wichtigen Bezugspunkt da. Sie zeigt im Zuge dessen, dass feministische Theorie produktiv an die Kritische Theorie anknüpfen kann – was eben auch heißt, über sie hinaus zu gehen.

            Das Denken Adornos, Horkheimers und Co. hat bis heuteeinen starken Einfluss auf gesellschaftskritische Theorien. „Geschlecht“ war für die frühe Kritische Theorie jedoch keine zentrale Analysekategorie, sondern findet eher beiläufig und an verschiedenen Stellen immer wieder Erwähnung.Dabei finden sich gleichermaßen Passagen, in denen die Unterdrückung von Frauen denunziert wird wie solche, in denen die bürgerliche Familie und die mit dieser gegebene geschlechtliche Arbeitsteilung in einem verklärten Licht erscheinen. Dies brachte der Kritischen Theorie von feministischer Seite den Vorwurf ein, sie wiederhole die patriarchale Unterdrückung. Entsprechend spielt die Kritische Theorie heutzutage in der Frauen- und Geschlechterforschung kaum eine Rolle.
            Im Vortrag sollen die Äußerungen der Kritischen Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen betrachtet werden. Dabei wird deutlich werden, dass sich die feministischen Einwände nur bedingt bestätigen lassen. Es wird sich sogar zeigen, dass feministische Kritik von der frühen Kritischen Theorie wichtige Impulse aufnehmen kann.

            Barbara Umrath studierte Diplom-Pädagogik an der Universität Augsburg und Soziologie an der New School for Social Research, NYC. Sie war lange Jahre in Frauenprojekten gegen Gewalt in Deutschland und Mexiko aktiv. Aktuell lebt sie in Köln und arbeitet an einer Promotion zum Thema Feminismus und Kritische Theorie.

              Zu feministischen Bezugnahmen auf die Kritische Theorie siehe auch die Vorträge von Regina Becker-Schmidt, Cornelia Klinger und Roswitha Scholz.

              Einführendes zur Situationistischen Internationalen

              1. Der öffentliche Raum in der spektakulären Zeit – Im Rahmen des 27. Diskursfestivals des Instituts für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen, hat Robert einen einführenden Vortrag über die Psychogeographie und deren wichtigstes Mittel, das dérive (siehe Definitionen) gehalten. Im Zentrum steht dabei die situationistische Entwicklung einer Kritik der Stadt, ausgehend von der Wirklichkeit und der Kritik von Proletarität.

              Die moderne Kunst hatte zum kapitalistischen Alltagsleben bereits in den 20er Jahren alles gesagt: Dass es zu überwinden sei. Die damaligen Avantgarden sahen sich als Vorreiter einer umfassenden Revolution, in deren Dienst die Poesie zu stellen sei. Sie griffen die Kunst selbst an, deren „bürgerliche“ Schönheit und Erbaulichkeit sie nur zur Rechtfertigung des Bestehenden für tauglich hielten. Aber die erhoffte Revolution blieb aus und die avantgardistische Kunstkritik verlor ihre destruktive Bedeutung. Die dadaistischen und surrealistischen Werke wurden genießbar und selbst zu hoch gehandelten Kunstwaren.

              In den 50er Jahren traten in Paris die Lettristen auf den Plan, von denen einige später die Situationistische Internationale gründeten. Sie erklärten die Versuche der alten Avantgarden für gescheitert und schrieben sich konsequent das Projekt der Aufhebung der Kunst und Verwirklichung der Poesie auf die Fahnen, d.h. die Freisprengung der ästhetischen Vermögen aus der Kunstsphäre als Voraussetzung einer neuen revolutionären Praxis im alltäglichen Leben.

              Zu diesem Zweck entwickelten sie Methoden wie la Dérive (das Umherschweifen in Städten als Forschungsmethode), die Psycho-geographie (Wissenschaft von den Wirkungen des geo-graphischen Millieus auf das emotionale Verhalten der Individuen) und das Détournement (bewusste Entwendung vorgefundener kultureller Gegenstände), deren Bedeutung für eine revolutionäre Theorie und Praxis der Vortrag zu disku-tieren unternimmt. [via]

                Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 10,7 MB; 18:44 min) | Diskussion (mp3; 30,1 MB; 52:33 min)

              2. Enfants Perdus: Über die Situationistische Internationale in ihrer Zeit – Im Rahmen der Bildungsreihe am Donnerstag [BaD] haben Philipp (Falken Erfurt) und Lukas (BiKo) am 16.02.12 einen einführenden Vortrag über die Situationistische Internationale gehalten. Im ersten Teil geben sie einen Überblick über die Geschichte der Situationisten, inklusive eines ausführlichen Teils über den Pariser Mai ’68, während sie im zweiten Teil einige Aspekte der kritischen Theorie der Situationisten vorstellen.

              Die Situationistische Internationale gehörte von 1957 bis 1972 zu einer der radikalsten Gruppierungen derjenigen Bewegung, die es anstrebt, den jetzigen Zustand aufzuheben. Selbst hervorgegangen aus versprengten Resten der nach dem zweiten Weltkrieg verbliebenen Kunstavantgarde, richtete sich die S.I., ausgehend von Frankreich, gegen die Borniertheit der Künstler-Kreise und die Szene linker Polit-Spezialisten, um außerhalb des akademischen Wissenschaftsbetriebs eine umfassende Kritik der kapitalistischen Gesellschaft auf der Höhe der Zeit zu formulieren und ein Programm der Abschaffungen zu erarbeiten. Während die S.I. vor allem für einen gewissen Stil bekannt wurde, der sich etwa in der Herausgabe einer aufwendig gestalteten Zeitschrift oder in den bekannten Comic-Verfremdungen zeigte, war es jedoch eines ihrer vorrangigen Tätigkeiten, eine von Hegel ausgehende Theorietradition des Marxismus – jedoch nicht mehr als »ismus« – als Theorie der Praxis zu rekonstruieren und hiervon ausgehend eine Kritik der »Gesellschaft des Spektakels« zu entwickeln. Deren Augenmerk ist besonders auf die Bildhaftigkeit kapitalistischer Warenproduktion und -konsumtion gerichtet, begreift das Alltagsleben als Hauptfeld der Auseinandersetzungen, richtet sich zentral gegen das Prinzip der Repräsentation, setzt sich intensiv mit Zeitstrukturen und Geschichtsschreibung in der Warengesellschaft auseinander und widmet sich der Ordnung des urbanen Raums als einem wichtigen Aspekt der Disziplinierung und Zurichtung rund um die Lohnarbeit und ihre Reproduktion. In ihrer Ablehnung des Staatssozialismus und mit ihrer gnadenlosen Kritik des Marxismus-Leninismus kann die S.I., neben Adorno/Horkheimer in Deutschland, Georg Lukács in Ungarn und den rätekommunistischen Zusammenhängen in den Niederlanden, zu einem der wichtigsten Stränge kritischer Theorie gezählt werden. Wir wollen einige wichtige Aspekte der situationistischen Kritik der Gesellschaft vorstellen und dabei auf das Wirken der S.I. in ihrer Zeit eingehen. [via | via]

                Download:

              1. Teil 1: via AArchiv (mp3; 42,1 MB; 1 h 13:37 min)
              2. Teil 2: via AArchiv (mp3; 33,3 MB; 58:06 min)

              3. Einführung in die Situationistische Internationale – Im Rahmen der Reihe Die Untüchtigen in der Hamburger Kneipe Golem war am 12.02.12 Dr. Roberto Ohrt (u.a. Phantom Avantgarde) zu Gast. Im Gespräch erzählt er einiges darüber, wie es gewesen ist mit den Situationisten – dabei erfährt man einige interessante Fakten, er verbleibt darin m.E. aber auf einer Ebene des Anekdotischen und Kunsthistorischen.

              »ne travaillez jamais« – Jeder kennt dieses Bild, oder zumindest diesen Ausspruch. Doch wer waren die Situationisten, die von 1957 – bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1972 an der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik operierten, deren maßgebliche Rolle in den Pariser Maiunruhen von 1968 sie für eine kurze Zeit berühmt machte? Auf dem revolutionären Programm der SI stand die Abschaffung jeder Form von Repräsentation, also die Untergrabung jeder Autorität, die Zerstörung aller Machtsymbole, die Abschaffung der Kunst, die Rückgewinnung der in der Konsum- und Warengesellschaft enteigneten Lebenswirklichkeit – kurzum der Kampf gegen die spätkapitalistischen Enteignung. Sie kämpften mit Trinkgelagen und Straßen-Aktionen, mit Anschlägen auf Kunstwerke und den Eiffelturm, mit Anti-Filmen und Mauer-Graffitis gegen die Gesellschaft. Ihre Ideen finden weiter Verbreitung, in der Kunst, Politik, Architektur und Pop, bis in die heutige Gegenwart hinein, ihre Methoden tauchen unter anderem in Fluxus, Punk, sowie bei den Aktionen der »Globalisierungsgegner« des 21. Jahrhunderts, auf, stehen geistig Pate für auch heute noch die Gemüter erhitzende Schriften wie »Der kommende Aufstand«. Die SI, deren Kritik am Spektakel, begegnet uns als Referenz an so vielen Orten, dennoch bleibt es durch seine Komplexität und Radikalität für die meisten unbegreifbar. Und dieses möchten wir mit dem Beginn einer Reihe auflösen. Es geht uns bei der ersten Veranstaltung um eine sehr grundlegende Annährung an die SI, sie aus der Ecke des Mythos herausholen, ihre Ursprünge, die Lettristische Bewegung und ihrem Vordenker, Guy Debord, zu umreißen. Was können wir für unsere heutige politische Praxis daraus lernen? [via]

                Download: via AArchiv (mp3; 59,9 MB; 1 h 44:44 min) | anhören via Soundcloud

              Utopie, Spiel, Menschenmaschine

              Charles Fourier und die Avantgarde-Bewegungen

              Ich bin gerade mehr oder weniger durch Zufall wieder auf einen Vortrag gestoßen, den Tilman Reitz am 15.04.2010 im Rahmen der Reihe Kunst, Spektakel und Revolution gehalten hat. Der Vortrag gibt einen kurzen Überblick über das theoretische Werk Charles Fouriers und konzentriert sich dann vor allem auf die Rezeption Fouriers in der Kunst-Avantgarde und einem ihr nahestehenden intellektuellen Umfeld. Besonders ist die bearbeitete Radio-Version zu empfehlen, da dort dem Vortrag der Auszug eines Gedichts von André Breton über Fourier vorangestellt ist. Der Vortrag ist als ausgearbeiteter Textbeitrag in der zweiten Broschüre zur Reihe Kunst, Spektakel und Revolution erschienen und kann hier vollständig gelesen werden.

              Eine Gesellschaft, die auf dem Spiel- oder Formtrieb aufbaut, hätte vermutlich starke zeremonielle, von ‚Sinn’ entlastete, aber strukturell gestaltete Anteile. Charles Fourier hat dieses Motiv in seiner frühsozialistischen Utopie konsequent durchgeführt: Er arrangiert Produktionsweisen, soziale Rangordnungen, Wohn- und Geschlechterverhältnisse so, dass ein Maximum künstlicher Ordnung höchste Abwechslung für die Beteiligten verspricht. Seine formalen Muster entnimmt Fourier Mythologie, Mathematik und Militär – die zentrale Produktionseinheit des ‚Palanstère’ leitet sich von der Phalanx, der antiken Schlachtreihe her – sein Formungsgegenstand sind die menschlichen Leidenschaften – die er selbst vorrangig als Triebe zu Spiel und Variation begreift. Die Ergebnisse lassen wenig von den gewohnten, bürgerlichen oder auch nur ‚realistischen’ Prinzipien von Vergesellschaftung übrig: Alle Arbeit soll attraktiv, die Konkurrenz ästhetisch, das Geschlechtsleben polymorph werden. Man muss sich daher kaum über das Interesse der Surrealisten an Fourier wundern. Neben seiner Fusionierung von Kunst und Leben dürfte für sie nicht zuletzt sein technischer, konstruktivistischer Umgang mit dem Begehren anziehend gewesen sein, der zwischen Befreiungsversprechen und planerischer Grausamkeit oszilliert (Benjamin und Barthes ziehen denn auch vergleichend de Sade heran). Fouriers Utopie kann als Traum wie als Alptraum erscheinen. Im Vortrag wird es darum gehen, was die anti-naturalistische, anti-bürgerliche und kunstkritische Avantgarde konkret mit Fourier anfangen konnte oder könnte – und wie seine eigenen Impulse zwischen der sozialtechnischen Tradition, der neuen Warenästhetik und dem utopischen Horizont des 19. Jahrhundert verortet sind.

              Tilman Reitz schrieb über Ideologiekritik im historisch-kritischen Wörterbuch des Marxismus, promovierte zu „Bürgerlichkeit als Haltung“ und ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. [via]

              Download:

              1. via FRN (mp3; 48,9 MB; 71:11 min)
              2. via AArchiv: Vortrag (mp3; 36,0 MB; 62:50 min) | Diskussion (mp3; 12,8 MB; 22:25 min)
              3. bearbeitete Radio-Version: via Mediafire (mp3; 82,6 MB; 1 h 30:11 min)

              Außerdem hat Swen Meyer auf Radio Corax ein Interview über Charles Fourier mit Tilman Reitz geführt, in dem dieser noch einmal zentrale Momente der Fourierschen Utopie zusammenfasst und in Beziehung zur Gegenwart und zur Möglichkeit des Kommunismus setzt:

                Download: via FRN (mp3; 24,1 MB; 26:17 min | via)