Schlagwort-Archive: Theoriegeschichte

Wir sind der Euro?

Bevor der Euro schließlich doch noch notgeschlachtet wird (oder sich vielmehr selbst erledigt), möchte ich hier auf einen Vortrag Gerhard Stapelfeldts vom 27. Mai 2011 hinweisen, der sich mit der politischen Ökonomie und Krise des Euro sowie mit dessen integrativer wie identitätsstiftender Funktion befasst. Er liegt als Audio- und als Video-Mitschnitt vor.

    Download/Audio: via AArchiv (1:31 h, 31 MB)

    Video/Audio: via Archive.org (ogg vorbis/ogg video/mpeg/mp3/flac/wav), Stream via Youtube

Zur Kritik des Antiimperialismus

1. Olaf Kistenmacher, Einführung in die Kritik des Antiimperialismus

Auf Einladung des BAK Shalom referierte Olaf Kistenmacher Anfang Dezember in Berlin über linken Antiimperialismus. Sein Vortrag gibt eine gute Einführung in dessen Kritik und arbeitet auch dessen impliziten Nationalismus und seine Nähe zum Antisemitismus heraus. Der Fokus liegt dabei weniger auf Rosa Luxemburg, deren akkumulationstheoretische Imperialismustheorie politisch wenig einflussreich war, als auf Lenin und dessen Denunziation des Finanzkapitals sowie auf der antizionistischen Propaganda der KPD der 1920er Jahre. Genaueres kann diesem Veranstaltungsbericht und dem Ankündigungstext entnommen werden:

Der Imperialismus wurde erst im frühen 20. Jahrhundert mit den Schriften Wladimir I. Lenins und Rosa Luxemburgs zum zentralen Thema marxistischer Theorie, auch wenn die Analysen bereits in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie angelegt waren. Dabei unterscheiden sich Lenin und Luxemburg wesentlich: Luxemburg analysierte von ihrem antinationalen Standpunkt aus in Die Akkumulation des Kapitals 1913 den Imperialismus als strukturelles Phänomen der weltweiten Kapitalisierung. Lenin hingegen schuf in Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus 1916 die Grundlage, um fortan den Nationen ein „Finanzkapital“ gegenüberzustellen, das die Welt beherrsche. So standen sich global scheinbar zwei Klassen gegenüber: die „unterdrückten Nationen“ auf der einen Seite und dem „Parasitismus, der dem Imperialismus eigen ist“, auf der anderen. Seit Mitte der 1920er Jahre war es üblich, den berühmten Aufruf aus dem Kommunistischen Manifest um ein weiteres revolutionäres Subjekt zu erweitern: „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!“

Der Vortrag beleuchtet diese Traditionslinien des linken Antiimperialismus und zeigt, inwiefern der positive Bezug auf die Nationen bis in die Gegenwart ein Problem darstellt. Am Beispiel des Begriffs „Finanzkapital“ wird die Anfälligkeit zu verschwörungstheoretischen Denkweisen deutlich, die ein wesentlicher Grund sind, warum Antiamerikanismus und Antisemitismus innerhalb der Linken nicht verschwinden werden.

Olaf Kistenmacher, Historiker aus Hamburg, Mitglied des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e. V., veröffentlicht in Jungle World, Konkret und Phase 2.

Neuere Veröffentlichungen
• Klassenkämpfer wider Willen. Die KPD und der Antisemitismus in der Weimarer Republik, Jungle World 28, 14. Juli 2011.
• „Jüdischer Warenhausbesitzer finanziert Nazipropaganda“. Antifaschismus und antisemitische Stereotype in der Tageszeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands, der Roten Fahne, am Ende der Weimarer Republik, 1928-1933, in: Gideon Botsch/Christoph Kopke/Lars Rensmann/Julius H. Schoeps (Hg.): Politik des Hasses. Antisemitismus und radikale Rechte in Europa, Hildesheim/New York/Zürich: Georg Olms 2010, S. 97-112.

06. Dezember 2011, 18 Uhr
Berlin, Karl-Liebknecht-Haus, Kleine Alexanderstraße 28, U-Bahn-Station Rosa-Luxemburg-Platz

Download: via AArchiv | via MF (1:07 h, 23 MB) | Original via Megaupload (65 MB)

2. Daniel Späth, Antiimperialismus und Ideologie: Zur Geschichte des Imperialismus, seinem Wandel im globalen Zeitalter und seiner anachronistischen Auffassung seitens der deutschen Linken

Ausgehend von der Unterscheidung des wertkritischen Marx vom aufklärerischen Modernisierungstheoretiker Marx unternimmt Daniel Späth (Redaktion EXIT!) in diesem recht umfangreichen Vortrag den Versuch einer historisch fundierten Kritik an noch heute in der (deutschen) Linken anzutreffenden antiimperialistischen Positionen. Dazu zeichnet er zunächst die Genese des Arbeiterbewegungsmarxismus der Sozialdemokratie (Lasalle) und der leninschen Imperialismustheorie nach, die beide gleichermaßen den kritischen Gehalt der (späten) Marxschen Theorie zugunsten eines personalisierenden Klassenkampfdenkens verfehlen, um anschließend der historischen wie gegenwärtigen Realität des Imperialismus vor dem Hintergrund einer wertkritischen Krisentheorie nachzuspüren und die Defizite der Antiimp- und ebenso der »antideutschen« Linken aufzuzeigen.
Der Vortrag kann aufgrund der ausführlichen Grundlagenreflexion (vor allem im ersten Teil) auch als Einführung in die Wert-Abspaltungs-Kritik gelten, insbesondere hinsichtlich der Aufklärungskritik, ihrer erkenntniskritischen Deutung der Kritik der politischen Ökonomie (Kritik der Arbeit, objektive Gedankenformen) sowie ihrer politökonomischen Gegenwarts-, d.h. Krisenanalyse und Ideologiekritik.

Der Vortrag wurde im Juli 2011 im Rahmen der Tübinger Reihe »Linke Irrwege«1 gehalten.

Spätestens seit dem 11. September ereilte die deutsche Linke geradezu schicksalhaft eine Spaltung in zwei Lager: Während antiimperialistische Gruppierungen eine anti-westliche Rhetorik mit der Solidarisierung diverser nationaler „Befreiungsbewegungen“ verbinden und auf diese Weise zu den bizarresten Gruppierungen einen affirmativen Bezug aufzubauen sich bemüßigt fühlen – genannt sei hier als Spitze des Eisbergs die Hamas als das neue „revolutionäre Subjekt“ vieler Antiimperialisten –, hat das antideutsche Bewusstsein im Zuge der Krise des westlichen Kapitalismus die militante Apologetik des männlich-weißen westlichen Subjekts wiederentdeckt, wofür nicht zuletzt die Redaktion der Bahamas ein trauriges Zeugnis liefert.
Trotz aller Fehden und Befeindungen zwischen den beiden Lagern können man und frau nicht umhin festzustellen, dass diese scheinbar entgegengesetzten Pole der linken Auseinandersetzungen mit einem identischen Bezugssystem operieren und beide Strömungen gleichermaßen den globalen Imperialismus nicht kritisch auf den Begriff bringen können: Nämlich seine Zerfallserscheinungen als ebenso reflexhafte wie erfolglose Reaktion der westlichen Mächte auf die Krise des globalen Kapitalismus und die seinem Boden entsprungenen Barbarisierungsregimes. Um eine radikale Kritik des globalen Kapitalismus auf der Höhe der Zeit zu formulieren, wird der Vortrag im ersten Teil einen historischen Durchgang durch den Kolonialismus und seiner Legitimation (Kant), die Haltung der westlichen Arbeiterbewegung (Lassalle) sowie des Staatskapitalismus (Lenin) zum Imperialismus versuchen, wobei sich herauskristallisieren wird, dass weder der sozialdemokratische „Reformismus“ noch die „orthodoxen Marxisten“ des Ostens an die Tiefendimension der Marxschen Fetischkritik auch nur ansatzweise herankamen (Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel).
Vor dem Hintergund der durch die kritischen Analysen des Kantischen, Lassalleschen und Leninschen Verständnisses von Kapitalismus gewonnenen Einsichten wird der zweite Teil des Vortrags den globalen Imperialismus und seine „Weltordnungskriege“ (Robert Kurz) als ebenso destruktive wie unbegriffene Reaktionsformen der westlichen Welt auf die Krise des Kapitals explizieren und im Zuge dieser Erörterungen sich kritisch sowohl mit antiimperialistischen wie auch antideutschen Positionen zu dieser Frage auseinandersetzen.

Download via AArchiv: Teil 1 (1:25 h, 29 MB), Teil 2 (0:57 h, 20 MB)
Download via MF: Teil 1, Teil 2 (~)

  1. Der Vortrag stellt eine Intervention in die radikale Linke Tübingens dar, deren Vorgeschichte wie Folgen hier nicht gänzlich dargestellt werden kann. Ausgangspunkt der teilweise polemischen Auseinandersetzung war aber der Israel-Vortrag von Tilman Tarach und ein infolgedessen erschienener Text der Marxistischen Aktion Tübingen, welcher wiederum Daniel Späth zu einer Replik veranlasste und die Gründung des »AK Linke Irrwege« provozierte. [zurück]

Raus aus der Klasse, rein in die Klasse?

Eine der wesentlichen Intentionen Moishe Postones, die er in seinem Buch »Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft« begründet, ist die Kritik einer einseitigen Kritik der Distributionsverhältnisse vom Standpunkt der Arbeit aus, welche Produktion selbst aus dem analytischen Blick verliert. Die wertkritische Kritik der Arbeit soll nicht vom Standpunkt des Proletariats aus formuliert werden. Während unter Postones Einfluss ein Teil der MarxistInnen hierzulande also diejenige Klasse, »die ihr eignes Produkt als Kapital producirt« (Marx), ein für allemal abgeschrieben hat, erfreut sie sich an der Universität vielerorts einer erneuten liebevollen Zuwendung in sozialarbeiterischer Manier. Dass »die Klasse« kein äußerer Garant der Revolutionäre für die Revolution ist, sollte klar sein. Dass das Proletariat im Nationalsozialismus zu Pöbel und das Bürgertum zu Gesindel wurde (Bruhn), macht eine gnadenlose Kritik der traditionellen ArbeiterInnenbewegung zur notwendigen Voraussetzung von Kritik überhaupt. Ob aber die Kategorie der Klasse für eine kritische Theorie der Gesellschaft und damit eine Kritik als intendierte Selbstaufhebung des Proletariats (deren Voraussetzung heute eine Kriegserklärung an den Antisemitismus sein müsste) damit gleich mit null und nichtig sind, ist m.E. keine ausgemachte Sache. Zur Diskussion hierüber sollen die folgenden Audiogespräche beitragen:

1. Anlässlich der zweiten Jenaer »Klassenkonferenz«, die im Juni diesen Jahres unter dem Titel »Klassen Kämpfe der Gegenwart« stattfand (siehe Programm), habe ich mit Tilman Reitz (Uni Jena) über den Begriff der Klasse gesprochen.

Am 1. und 2. Juni 2011 organisiert die Rosa Luxemburg Stiftung Thüringen in Zusammenarbeit mit Teilen des Instituts für Soziologie der Uni Jena eine Konferenz über „(Klassen)Kämpfe der Gegenwart“. „Stuttgart – Hamburg – Neukölln“ sind die Städtenamen, die dabei als Stichworte für gegenwärtige Auseinandersetzungen auf der politischen Schaubühne der Bundesrepublik stehen und deren Klassencharakter auf der zweiten Jenaer Klassenkonferenz diskutiert werden soll. Ich habe mich mit Tilman Reitz, Juniorprofessor am soziologischen Institut der Uni Jena und Mitorganisator der Klassenkonferenz, getroffen, mit ihm über den Begriff der Klasse gesprochen und ihn gefragt, was uns in der nächsten Woche in den Rosensälen der Uni Jena erwartet. [via]

    Download: via FRN (mp3; 22,8 MB; 24:54 min) | via AArchiv (14,3 MB)

2. Sehr ausführlich hat mir Christopher Zwi auf ähnliche Fragen wie im obigen Interview geantwortet. Für die geplante Radiosendung haben wir zwei Durchläufe des Interviews gemacht – hier stehen beide zur Verfügung (die Fragen bleiben gleich, inhaltlich sind die beiden Interviews nicht 100%ig deckungsgleich).

Interview 1

    Download: via AArchiv (mp3; 30,6 MB; 53:26 min)

Interview 2

    Download: via AArchiv (mp3; 20,7 MB; 36:06 min)

Beide Interviews wurden in der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ gesendet. Die Sendung steht hier zur Verfügung:

    Download: via Mediafire (mp3; 54,9 MB; 1 h)

Weitere Audioarchiv-Beiträge zur Diskussion um den Begriff der Klasse folgen.

Was ist eigentlich »die Postmoderne«?

Während im letzten Beitrag vor allem eine Kritik der »Postmoderne« zu hören war, womit zum einen eine bestimmte Denkbewegung und zum anderen ein Abschnitt historischer Wirklichkeit bezeichnet wurde, erlauben wir uns in diesem Beitrag mit einer etwas älteren Sendung der Redaktion 17 Grad noch einmal die grundlegende Frage: »Was ist eigentlich die Postmoderne?« Die Sendung beschäftigt sich einführend mit dem Begriff der Postmoderne: sie enthält ein Interview zum Unterschied von Moderne und Postmoderne, eine kurze Einführung in die Philosophie Lyotards, stellt Definitionen von Terry Eagleton und Jürgen Felix vor, fragt nach der Postmoderne in der Ethnologie und widmet sich außerdem dem postmodernen Film und postmoderner Musik (vgl. das Buch „Soundcultures„). Die inhaltlichen Beiträge werden ergänzt durch Hörspielausschnitte und geschmackvolle Country-, Singer-Songwriter- und Blueseinlagen.

Download: via MF (mp3; 27,3 MB; 59:31 min)

Traditionalität und Aktualität. Zur Aufgabe kritischer Theorie

Heinz Maus, marxistischer Soziologe und Agitator der linken Studentenbewegung, gehörte in den 60er Jahren zusammen mit Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann zum sogenannten „Marburger Dreigestirn“. Mit diesen Namen ist die Stadt Marburg als ein zweites Zentrum der Kritischen Theorie bekannt geworden. Heinz Maus‘ Wirken gilt im Rückblick als „bar jeglicher taktischer Opportunität“, „unbürokratisch bis zur Inkorrektheit“ und es umgab ihn „neben der politischen Komponente ein starkes Element persönlicher Intransigenz gegenüber jeder Ordnung, jedem Establishment“. (via) Seinen hundertsten Geburtstag nahm die AG Kritische Theorie der Uni Marburg zum Anlass, um eine Tagung mit dem Titel „Traditionalität und Aktualtität. Zur Aufgabe Kritischer Theorie“ zu organisieren (zum Programm). Die OrganisatorInnen der Tagung haben uns freundlicher Weise sämtliche Mitschnitte der dort gehaltenen Vorträge1 zukommen lassen (insbesondere Dank an David für’s Schneiden des Audiomaterials und den freundlichen Kontakt), die wir hier zur Verfügung stellen:

Im Folgenden sind relativ große Dateien (128 kBit/s) verlinkt. Kleinere Fassungen (48 kBit/s) sind auf unserem Server abgelegt.

1. BegrüßungAG Kritische Theorie

Zur Einführung referieren Oliver Römer und Christian Spiegelberg von der AG Kritische Theorie über Ausgangsfragen und Intention der Konferenz, über den Hintergrund an der Marburger Uni, insbesondere am Institut für Soziologie, sowie über die Rolle des Soziologen Heinz Maus.

    Download: via AArchiv (mp3; 11 MB; 11:58 min)

2. Zur Soziologie von Heinz Maus – David Salomon

David Salomon (Universität Marburg) stellt zunächst einige Überlegungen über die Relevanz der Begriffe Traditionalität und Aktualität für kritische Theorie im Allgemeinen an, um dann über die intellektuelle Sozialisation von Heinz Maus zu referieren. Im Anschluss nimmt er das besondere Verhältnis von Philosophie und Marxismus (Karl Korsch, Georg Lukács) zum Ausgangspunkt und rekonstruiert auf welche Weise Heinz Maus dieses bearbeitet und präzisiert hat. Zentral sind dabei die Rolle der Soziologie für den modernen Marxismus (Positivismusstreit etc.) und das Problem der Historizität im marxistischen Denken (Karl Marx, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche). Er endet mit einem Umweg über Bertolt Brecht mit einigen Überlegungen zu den Mausschen Ausführungen zum Verhältnis von Leid und Glück als materialistische Maßstäbe der Kritik und als Kategorien, denen nach wie vor eine dringende Aktualität für eine kritische Theorie der Gesellschaft als Ganzer zukommt.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 45,2 MB; 49:19 min)

3. »Politisierung der Kunst« oder »die Kunst wegschaffen«?Zum Verhältnis von Politik und Kunst bei Walter Benjamin und bei der Situationistischen Internationale – Claus Baumann

Seinem Vortrag über den Vergleich der benjaminschen und situationistischen Perspektive auf das Verhältnis von Kunst und Politik stellt Claus Baumann (Universität Stuttgart, Duale Hochschule Stuttgart, Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator) einige grundsätzliche Überlegungen zum nachträglichen, reflexiven Charakter dieser Kategorien voran (wie sie ähnlich in schriftlicher Form hier veröffentlicht wurden). Dann stellt er jeweils die ästhetischen Konzepte von Benjamin und den Situationisten vor, um sie u.a. anhand der Stellung zur surrealistischen Parole, dass die Poesie in den Dienst der Revolution zu stellen sei, aneinander abzuarbeiten.

Die Situationistische Internationale (1958–1972) um Guy Debord sprach sich einerseits für »neue Aktionsformen gegen Politik und Kunst« aus. Andererseits kritisierten sie die Surrealisten um André Breton dafür, dass diese »Poesie in den Dienst der Revolution« stellen wollten (la poésie au service de la révolution); es komme vielmehr darauf an, »die Revolution in den Dienst der Poesie zu stellen« (la révolution au service de la poésie). Prima facie scheint das situationistische Projekt den Überlegungen von Walter Benjamin zu widersprechen, der 1936 in seinem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« die Auffassung vertreten hat, dass es für gesellschaftskritische, communistische Bestrebungen auf eine »Politisierung der Kunst« ankomme, während der Faschismus eine »Ästhetisierung der Politik« betreibe. Ziel des Vortrags ist es, die jeweiligen Spezifika der situationistischen sowie benjaminischen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Kunst darzulegen und daran anknüpfend der Frage nachzugehen, wie eine aktuelle und kritische Reflexion dieses Verhältnisses angesichts der derzeitigen Lage der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse aussehen könnte.

Claus Baumann (*1967) promovierte im Fach Philosophie an der Universität Stuttgart. Er ist Lehrbeauftrager der Universität Stuttgart im Fachbereich Philosophie sowie an der Dualen Hochschule in Stuttgart im Fachbereich Sozialwesen. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Dialektik, Kritik der politischen Ökonomie, Gesellschaftstheorie, politische Philosophie und Philosophie der Ästhetik.

    Download: Vortrag (mp3; 34,4 MB; 37:33 min), Diskussion (mp3; 22,8 MB; 24:54 min)

4. Gehirn und Geist. Über das Verhältnis von Material und Freiheit zum Gegensatz von empirischer Forschung und Reflexivität – Christine Zunke

Christine Zunke (Universität Oldenburg, siehe auch ihren Beitrag hier) eröffnet die Problemstellung ihres Vortrags mit einer einführenden Überlegung zur descartschen Unterscheidung von denkender und materieller Substanz, um hiervon zu aktuellen Problemen der Gehirnforschung überzugehen: inwiefern lässt sich das Denken aus den physikalischen Prozessen im Gehirn erklären, inwiefern geht es darüber hinaus? Diese Problemstellung führt notwendiger Weise zur Frage nach der Freiheit des Willens, bzw. grundlegender nach der Frage, ob es das Denken überhaupt gibt. Dass diese Frage mit Ja zu beantworten ist, ist für Zunke nur möglich, indem die Gegensätze von Geist|Körper, Materialität|Immaterialität, physikalischen Prozessen im Gehirn|Immaterialität des Denkens als Antinomien zu begreifen sind: weder als Dualität, noch als Identität verhalten sich die widerstreitenden Seiten wechselseitig konstitutiv zueinander, so die These des Vortrags.

Die modernen Neurowissenschaften scheitern trotz immenser Fortschritte beständig an der Frage nach der Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist. Diese Frage nach der Entstehung des (reflexiven und freien) Denkens aus dem physischen Material kann nirgendwo hinführen. Eine im naturwissenschaftlichen Sinne befriedigende Antwort hierauf kann es prinzipiell nicht geben, denn dann müsste das Material die kausale Ursache des Ideellen sein, was das Ideelle als physikalische Wirkung zu einem materiellen Gegenstand machen würde, welcher seiner Bestimmung nach kein Ideelles sein kann. Die konsequenteste Antwort der Neurophysiologie lautet darum, dass das Ideelle bloßer Schein sei, dem keine Wirklichkeit korrespondiere. Der Geist sei eben nicht reflexiv und frei, sondern eine bloß natürliche Funktion des Gehirns, die in der Innenwahrnehmung als Bewusstsein erscheine. Unser Geist sei nicht materiell und darum nicht wirklich. Wir denken ihn bloß. Dass das Denken Gedachtes ist, hat die Philosophie schon immer gewusst. Doch wenn diese Erkenntnis unter den Vorzeichen der empirischen Wissenschaften von der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufgenommen wird, bekommt sie einen reaktionären Gehalt: Da Reflexionen als gegenstandslos erscheinen, wird Kritik methodisch unmöglich und es bleibt allein der Weg der Affirmation des Bestehenden offen.

Dr. Christine Zunke lehrt Philosophie an der Universität Oldenburg und hat mit ihrer 2008 im Akademie-Verlag erschienenen Dissertation „Kritik der Hirnforschung“ eine der ersten grundlegenden Kritiken der Neurophilosophie vorgelegt. Ihre Forschung fokussiert die moralischen und politischen Implikationen moderner Naturwissenschaften.

    Download: Vortrag (mp3; 42,9 MB; 46:53 min), Diskussion (mp3; 19,3 MB; 21:03 min)

5. Intellektuelle und die Genealogie der Kritischen Theorie – Alex Demirović

Alex Demirović (TU Berlin, „PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“) greift die Auseinandersetzung mit Heinz Maus wieder auf, um ihn als eine besondere Figur der älteren Generation der Kritischen Theorie zu verorten und dessen Rolle für die kritische Soziologie in Deutschland und sein Verhältnis zum Institut für Sozialforschung in Frankfurt zu rekonsturieren. Hiervon ausgehend arbeitet sich Demirović an der bundesdeutschen Historisierung der Kritischen Theorie und ihrer Einordnung in (nach seiner eigenen ironischen Berechnung) mittlerweile 7 Generationen ab, um dafür zu plädieren, dass sich kritische Theorie zwar permanent selbst zu reflektieren habe, in ihrer kritischen Selbsthistorisierung aber nicht in der selbstreferentiellen und inhaltsentleerten Frage stecken bleiben darf, wer denn nun zur Kritischen Theorie gehört und wer nicht. Gegenüber dem akademischen Leerlauf beharrt Demirović darauf, dass die Begriffe wieder in Bezug auf die Gesellschaft und ihren Wandel entwickelt werden müssen und vor Allem nicht nach dem besseren Funktionieren der Gesellschaft, sondern nach ihrer praktischen Veränderung zu trachten haben. An diesem Vortrag fällt m.E. das Faktum der Trennung von institutionalisierter Kritischer Theorie in der Akademie und radikaler Linker auf, die bei Demirović ebenfalls überhaupt nicht vorkommt.

    Download: Vortrag (mp3; 36,1 MB; 39:23 min), Diskussion (mp3; 21,8 MB; 23:47 min)

6. Gewalt als Grenze des Anerkennens – Thomas Bedorf

Der Vortrag von Thomas Bedorf (Fernuniversität Hagen) sticht ein wenig aus dem Programm heraus, da dieser sich selbst nach eigener Angabe nicht in der „Großfamilie“ der Kritischen Theorie verortet, dafür aber gewissermaßen von außen eine Auseinandersetzung mit einem Theorem (bzw. Verfallsprodukt) der Kritischen Theorie sucht: die Theorie der Anerkennung von Axel Honneth. Er diskutiert dabei grundlegende Fragen: Ist Gewalt hermeneutisch in den Bereich des Verstehbaren hineinzuholen? Ist Anerkennung überhaupt ein geeigneter Schlüsselbegriff um Interaktion in ihrer Konflikthaftigkeit zu begreifen? Welchen Platz räumt eine Theoretisierung von Anerkennungsverhältnissen der Gewalt ein? Er arbeitet sich zu nächst an Honneths Theorie der Anerkennung ab, vergleicht diese dann mit anderen Auseinandersetzungen mit Anerkennung (Judith Butler, u.a.), um schließlich seine eigene Position zu begründen: Anerkennung implizert auch immer Verkennung, sie kann zwar ohne Gewalt, nicht aber ohne Macht gelingen.

Ob es um die Themen von Protestbewegungen geht, um die Belange ethnischer und sexueller Minderheiten oder um Nationen im Kampf um einen eigenen Staat – stets geht es um die Anerkennung von Anderen, die zum Gegenstand von Verhandlungen, aber auch politischem Widerstand und sozialen Konflikten wird. Der Vortrag wird die Gewalt, die das Ringen um Anerkennung auslösen kann im Horizont eines Modells „verkennender Anerkennung“ zum Thema haben. Anerkennungstheorien, die das Ideal gelingender Anerkennung unterstellen, schließen Gewalt prinzipiell aus. Sie betrachten Missachtungen lediglich als Signale für Ansprüche auf Anerkennung. Anerkennungstheorien, die die Subjektivierungsdispositive in den Vordergrund stellen, behaupten hingegen Gewalt als für die Subjektkonstitution unausweichlich. Ein Modell „verkennender Anerkennung“, das auf der Einsicht beruht, dass es vollkommene Anerkennung nicht geben kann, da moderne Identitäten nichts fixierbares, sondern ständig in Bewegung sind, droht zur Affirmation von Gewalt genötigt zu sein, da es ihm an normativen Kriterien fehlt, sie von vornherein auszuschließen. Als Lösungsvorschlag soll der Gedanke dienen, dass, wo Machtformen irreduzibel zum Anerkennen hinzugehören, Gewalt als Abbruch des Prozesses des Anerkennens dennoch ausgeschlossen werden kann.

Dr. Thomas Bedorf ist Privatdozent für Philosophie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen. Im Wintersemester 2009/2010 war er Gastprofessor für Politische und Sozialphilosophie an der Universität Wien.

    Download: Vortrag (mp3; 40,9 MB; 44:40 min), Diskussion (mp3; 32,4 MB; 35:24 min)

7. Zweite Natur: Kritik und Affirmation – Christoph Menke Besonders hörenswert

Christoph Menke (Goethe Universität Frankfurt am Main) referiert in seinem Beitrag über den Begriff der 2. Natur, wie ihn Hegel entwickelt hat. Das Theorem der zweiten Natur versucht selbstauferlegten Zwang, selbstverschuldete Unmündigkeit zu erklären, indem es die soziale Struktur in den Blick nimmt – es soll der Umschlag des aus Freiheit selbst gemachten in ein selbstständig Seiendes, Unmittelbares erklärt werden. Menke erklärt die Ausführungen Hegels zu diesem Problem vor Allem am Begriff der Gewohnheit als unbewusstes bzw. unbewusst geleitetes Handeln und rekonstruiert hierbei zwei Seiten der Gewohnheit: einmal als Bildung zur Fähigkeit Zwecke zu setzen, auf der anderen Seite als selbst mechanischer Vollzug. An dieser Doppelseitigkeit macht Menke deutlich, dass Hegel nicht einfach abstrakt negierend vorgeht: es geht nicht um eine Gegenüberstellung vom Prozess des Setzens als etwas Gutem und der Verselbstständigung der Setzung gegenüber dem Setzenden als etwas Schlechtem – Kritik und Affirmation sind bei Hegel auf unlösbare Weise miteinander verquickt. Menke streift die Relevanz der Hegelschen Reflexion auf die zweite Natur für die Kritische Theorie (für Marx, Lukács, Adorno und Benjamin) nur am Rande, macht aber deutlich, dass Hegel die Grundlagen materialistischer Kritik gelegt hat. – Ein wirklich guter und hörenswerter Hegel-Vortrag!

    Download: Vortrag (mp3; 45,1 MB; 49:16 min), Diskussion (mp3; 13,5 MB; 14:44 min)

8. Negativität. Adorno und Hegel – Michael Städtler

Negativität fasst Michael Städtler in seinem Vortrag als Formbestimmung kritischer Theorie und setzt Adorno und Hegel unter diesem Aspekt in Bezug zueinander. Er zeigt warum Adorno Zweifel an einer Geistesgeschichte hegte, deren Triumph Hegel bloß zu rekonstruieren suchte – während Hegel die Verwirklichung der Vermittlung von Vernunft und Wirklichkeit am Ende der Philosophiegeschichte zu sehen glaubte, bestreitet Adorno die so definierte Verwirklichung der Philosophie. Städtler macht dabei deutlich, dass Adorno jedoch gegenüber Hegel nicht nur Skepsis hegt – gerade an Adornos Kritik des Positivismus wird deutlich, dass er mit dem Anspruch, dass das Denken über das bloß Gegebene hinauszuweisen habe, an Hegel festhält. Ziel Adornos ist es, Theorie und Praxis miteinander zu verwirklichen, ohne sie jedoch wechselseitig zueinander aufzuheben – hieran wird deutlich, dass Adorno zu Kant zurückkehrt, nicht jedoch ohne Hegels Kritik an Kant zu verwerfen. Vielmehr gilt es die Spannung von Widersprüchen aufrecht zu erhalten, die in Hegels Versuch der Aufhebung zu einer verkehrten Totalität eingeebnet zu werden drohen. Was dies bedeutet macht Städtler u.a. an der negativen Theologie deutlich, die versucht Gott aus der Summe dessen zu bestimmen, was Gott nicht ist – Adorno macht die Widersprüchlichkeit dieses Denkversuchs für materialistische Kritik fruchtbar, die Hegel im Versuch, aus dieser Negativität ein System absoluten Wissens zu machen, einebnet.

Das Verhältnis Adornos zu Hegel ist gespalten. Einerseits sei die Hegelsche Philosophie unübergehbare Voraussetzung jedes „theoretische[n] Gedankens von einiger Tragweite heute“ (Adorno, Aspekte), andererseits sei das System Ausdruck der Angst des Bürgertums vorm eigenen Untergang „[i]m Schatten der Unvollständigkeit der eigenen Emanzipation“. (Adorno, Negative Dialektik) Damit aber gilt diese Form von Philosophie der Kritik nicht einfach als eine falsche, sondern in der Kritik ihrer Fehler werden Einsichten über den Stand der Entwicklung von Selbstbewußtsein und Freiheit möglich, die sonst unsichtbar blieben. Die Kritik des bürgerlichen Bewußtseins setzt dessen selbstbewußt durchformulierten Begriff voraus. Noch strikter: Das Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft ist, wie diese selbst, realisierte Freiheit, aber in verkehrter Gestalt. Das Ziel radikaler Befreiung ist diesem Bewußtsein ebenso fremd, wie es selbst diesem Ziel vorausgesetzt ist. Mit diesem Gedanken begibt sich aber das Bewußtsein kritischer Theorie in Widerspruch zu sich selbst: Es verdankt seine wesentlichen Einsichten einer Geschichte, die abzulehnen, aber nicht mehr aufzuheben ist; ein durchaus unbefriedigender Zustand, der dazu führt, daß Adorno eine Dialektik entwirft, an deren Ende keine affirmativen Urteile mehr stehen. Die Kritik wird nicht konstruktiv gewendet, sondern sie bleibt kritisch. Dieser Gedanke ist offenkundig so frustrierend, daß nicht bloß die Schulphilosophie des 20. Jahrhunderts ihn nie wahrhaben wollte, sondern daß selbst diejenigen, die seit Adorno unter dem zum Label gewordenen Ausdruck ‚Kritische Theorie‘ firmieren, ihn aus ihrem Sortiment genommen haben. Was es dagegen heißt, bei der Kritik zu bleiben und wer eigentlich deren Subjekt sein kann, warum schließlich der auf Kritik beharrende Gedanke nicht nichts ist, soll in dem um die Bedeutung von Negativität zentrierten Vortrag über das Verhältnis Adornos zu Hegel überlegt werden.

PD Dr. Michael Städtler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Vorstand des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover.

    Download: Vortrag (mp3; 48,9 MB; 53:22 min), Diskussion (mp3; 12,1 MB; 13:10 min)

9. Glückliche Ehe oder liaison dangereuse? Fragen nach der Verbindung von Feministischer und Kritischer Theorie – Cornelia Klinger

Cornelia Klinger (Eberhard Karls Universität Tübingen) beginnt ihren Vortrag mit einigen Vorüberlegungen zur Entstehung und zu Schwierigkeiten feministischer Bewegung und Theorie, um dann Kritische Theorie und Feministische Theorie unter drei Aspekten in Beziehung zueinander zu setzen: 1. Kritik, 2. Negation und Negativität und 3. Utopie. Sie legt im ersten Teil sehr ausführlich dar, welche Bedeutung diese drei Aspekte für die Kritische Theorie haben und referiert in einem zweiten, kürzeren Teil, wie feministische Kritik diese drei Aspekte auf spezifische Weise bewusst oder unbewusst aufgreift und erweitert. Sie schließt mit der Formulierung eines Anspruchs, den sie an feministische Theorie heute heranträgt: dass diese wieder vermehrt an die Kritische Theorie Adornos/Horkheimers anknüpfen möge. Trotz der Genauigkeit ihrer Ausführungen zur Kritischen Theorie bleibt deren Verbindung zum Feminismus oberflächlich und müsste selbst noch konkret bestimmt werden. Sympathisch ist ihre Betonung der außer(!)akedemischen Dimension kritischer Theorie im Anspruch auf allgemeine Emanzipation.

Feminismus wurde nicht als Theorie geboren, sondern verdankt seine Entstehung einer gesellschaftlichen und politischen Bewegung, die erst im Verlauf ihrer Entwicklung – nicht zuletzt infolge der Widerstände, auf die sie gestoßen ist – begonnen hat, sich ein theoretisches Fundament zu erarbeiten. An verschiedene unterschiedliche Theoriegebäude (Liberalismus, Marxismus, Psychoanalyse u.a.) hat feministische Theorie mehr oder weniger erfolgreich Anschluss gesucht und gefunden. Vor diesem Hintergrund geht der Vortrag der Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und kritischer Theorie nach. Ausgehend von der These, dass feministische Theorie per se kritische Theorie ist, das heißt mit der älteren kritischen Theorie der Frankfurter Schule im Ansatz mehr Gemeinsamkeiten aufweist als mit irgend einem anderen Theoriegebäude wird zu zeigen sein, dass feministische Theorie die ‚bessere‘, konsequentere und vollständigere Kritische Theorie sein bzw. werden könnte – unter der Voraussetzung, dass sie ausgerechnet einige besonders traditional erscheinende Elemente der kritischen Theorie aufzunehmen und zu aktualisieren vermöchte.

Cornelia Klinger ist außerplanmäßige Professorin an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ständiges wissenschaftliches Mitglied am Institut für die Wissenschaften am Menschen in Wien. Sie hatte Lehraufträge und Gastprofessuren an den Universitäten Wien, Zürich, Bielefeld, Frankfurt, Klagenfurt, Innsbruck, Tübingen, München, Luzern und Berlin inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Philosophie und Geschichte der Moderne, Feministische Theorie/gender studies und Ästhetische Theorie.

    Download: Vortrag (mp3; 40,5 MB; 44:13 min), Diskussion (mp3; 26,6 MB; 29:02 min)

10. Im Handgemenge des SprechensGibt es eine „verdrängte Sprachphilosophie“ der Kritischen Theorie? – Jan Müller

Jan Müller (TU Darmstadt) widerspricht in seinem Vortrag der sprachpragmatischen Deutung Adornos (u.a. Jürgen Habermas, Martin Seel), alles Denken und Sprechen sei per se verdinglicht, womit Sprache selbst in einer tragischen Auffassung von Geschichte aufgehen müsse und nur der Ausweg einer sprachlosen Offenbarung bliebe. Hierzu referiert er ausführlich Benjamins frühen Text „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen„, um dann Benjamin und Adorno in Beziehung zueinander zu setzen. Ein sehr komplexer und kompakter sprachtheoretischer Vortrag.

Die Aneignung der ersten (oder Gründungs-)Phase der kritischen Theorie steht allgemein unter Metaphysikverdacht, eine Befürchtung, die insbesondere das Verständnis von Sprechen und Sprache betrifft. Theodor W. Adorno habe, darin inspiriert von Walther Benjamin, eine Fundamentalkritik der Sprache unter dem „eisigen Strahlen“ instrumenteller Vernunft verfolgt. Die Konsequenz dieser unterstellten Absicht ist ein Dilemma: Entweder – das sei der Ausweg Benjamins – sei Zuflucht zu einem theologischen Sprachmodell genommen, oder – so unterstellt man Adorno – eine Delegation der sonst dem Sprechen zugeschriebenen
Funktionen an eine (damit aber überlastete) „ästhetische Erfahrung“ unternommen worden. Würde die frühere kritische Theorie an einem romantisch überhöhten Bild der Sprache leiden, dann wäre seine Korrektur durch die Erfordernisse kommunikativer Rationalität eine wünschenswerte und sachlich unvermeidbare Konsequenz. Der Vortrag möchte dagegen die – allmählich vernehmbarere, aber noch immer randständige – Vermutung stark machen: (1) Die Kritik an den sprachphilosophischen Überlegungen Benjamins und Adornos gewinnt ihre Plausibilität vor allem aus der Übernahme von Grundunterscheidungen der analytischen Theorie des Sprachhandelns – sie artikuliert den Sachverhalt, dass Adorno und Benjamin Sprache anders thematisieren als die Tradition z.B. Searles. (2) Diese andere Thematisierungsform lässt sich nicht als bloß alternatives Modell von Sprechen und Sprache verstehen; Benjamin und Adorno liefern, in offener und verdeckter Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen sprachphilosophischen Diskussion, eine „Metakritik“ – sie fragen präsuppositionsanalytisch nach den Voraussetzungen und Angemessenheitskriterien vernünftigen Nachdenkens über Sprache. (3) Das Resultat dieser Auseinandersetzung ist eine Verortung der Funktion und Reichweite des Modells propositionaler Sprachreflexion. Sie zeigt (a) das Ungenügen einer am Kommunikationsparadigma orientierten Reflexionsform, die Funktion des Sprechens als Medium der Bildung und Reproduktion unserer Praxisform zu thematisieren, und provoziert (b) eine für die gegenwärtige Diskussion provozierende Blickumkehr, die Sprache nicht einfach Medium „des Politischen“ , sondern als politisches Medium begreifbar macht.

Dr. Jan Müller (*1979) studierte Philosophie und Deutsche Sprache und Literatur in Marburg. Promotion 2010 in Stuttgart, derzeit wiss. Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Er beschäftigt sich vor allem mit dialektischer Handlungs- und Tätigkeitstheorie, Sprachphilosophie und politischer Philosophie (und ihrem Verhältnis zueinander).

    Download: Vortrag (mp3; 42,3 MB; 46:08 min), Diskussion (mp3; 31,9 MB; 34:49 min)

11. Podiumsdiskussion: Zur Praxis kritischer Theorie. Formen der Gesellschafrkskritik heute

Moderiert von Christoph Demmerling (Philipps-Universität Marburg) diskutieren auf dem ersten Podium Alexander Garciá Düttman, Christoph Henning (Universität St. Gallen, u.a. „Philosophie nach Marx„), Philip Hogh (Goethe Universität Frankfurt a.M., u.a. Jungle World) und Cornelia Klinger über die Anforderungen einer tatsächlichen Weiterführung und Aktualisierung Kritischer Theorie. Für Düttman stellt sich eine solche Aktualisierung als eine kritische Selbstreflexion der AkademikerInnen dar: er verbindet die adornitischen Theoreme der sozialen Kälte und des universellen Verblendungszusammenhangs mit einer Kritik der neoliberalen Universität. Henning plädiert dafür, einige Themen der Klassiker der Kritischen Theorie (insbeondere nennt er Honneth) liegen zu lassen und fordert gleichzeitig dazu auf, wieder an die ältere Generation der Kritischen Theorie anzuknüpfen und von ihr zu lernen – in seinem Statement geht er auf einige Vorträge ein, die auf der Konferenz gehalten worden sind und gibt Anstoß, noch einmal über einzelne Aspekte zu diskutieren. Hogh schließt noch einmal an die sprachtheoretische Diskussion an, um unter diesem Aspekt Adorno und Habermas kritisch in Beziehung zueinander zu setzen. Klinger hält die Frage, ob es eine Praxis der Kritischen Theorie geben kann, für verkehrt – ihr Statement: die Praxis der Kritischen Theorie ist die Theorie. Eine revolutionäre Perspektive scheint in der Abschlussdiskussion nicht auf.

    Download: Statements (mp3; 65,1 MB; 1 h 11:08 min), Diskussion (mp3; 34,6 MB; 37:48 min)
  1. Dazu sei angemerkt, dass der Vortrag von Ingo Elbe aus gesundheitlichen Gründen leider ausfallen musste und der Mitschnitt des Vortrags von Frank Benseler aufgrund der zu geringen Lautstärke nicht verwendbar war. [zurück]

Die Situationisten und die Aufhebung der Kunst

Die Dokumentation des internationalen Symposiums Interventionen, das im Oktober 2010 in Paderborn stattfand, enthält den Mitschnitt eines Vortrags von Anselm Jappe (u.a. Autor der Zeitschrift Exit!) mit dem Titel „Die Situationisten und die Aufhebung der Kunst: was bleibt davon nach fünfzig Jahren?„. Jappe gibt dort einen Überblick über die Geschichte und Aspekte der kritischen Theorie der Situationistischen Internationalen, besonders mit einem Fokus auf den Gegenstand der Kunst. Besonders interessant werden die Ausführungen Jappes m.E. am Ende des Vortrags, wo er den Fortschrittsglauben der S.I. kritisiert und die Perspektive der S.I. auf die Aufhebung der Kunst mit ähnlichen und doch entscheidend anderen Ansätzen aus der Ästhetischen Theorie Adornos konfrontiert. Um diesen Aspekt dreht sich dann auch die Diskussion, die wegen des Mittagessens leider vorzeitig abgebrochen werden musste. Die anderen auf dem Symposium gehaltenen Vorträge sind hier dokumentiert. Ein Text von Anselm Jappe zum Vergleich von Adorno und Guy Debord gibt es hier.

Abstract: Weiterlesen

Das negative Potential – Gespräche mit Johannes Agnoli

Bei veoh gibt es einen Film mit einer Reihe von Gesprächen mit Johannes Agnoli, die im September 2001 in San Quirico, Lucca (Italien) aufgezeichnet wurden. Agnoli spricht darin u.a. über Subversion, Staatskritik, die Schwierigkeiten emanzipatorischer Bewegungen, das Verhältnis von Anarchismus und Kommunismus und Schlagwörter der Gegenwart. Die Audiospuren stehen hier zur Verfügung:

1. Eva, Prometheus und die Anderen

2. Die schönen Ideen

3. Die Negation als Weg zur Freiheit

Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus

Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist – neben der Entwicklung der Dialektik und seinem Einfluss auf Karl Marx – auch dafür bekannt, den autoritären preußischen Ständestaat als höchstentwickelte Verwirklichungsform des Weltgeistes gefeiert zu haben. Dass er in jüngeren Jahren schon einmal wesentlich kritischere Ansichten über das Wesen des Staates hatte, zeigt ein leider nur sehr kurzes Fragment: »Das Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus«. Es handelt sich dabei um ein in der Handschrift von Hegel Ende der 1790er gezeichnetes Schriftstück, welches 1917 von Franz Rosenzweig entdeckt und publiziert wurde, welcher dem Fragment den leicht missverständlichen Titel gegeben hat. In der Hegelforschung ist umstritten, ob es sich bei dem Verfasser des Fragments tatsächlich um Hegel handelt – »Vergleiche mit Parallelstellen machen es vielmehr wahrscheinlich, daß Schelling […] der Verfasser gewesen ist.« [Frank 1982, S.153] Gleichwohl das Fragment eine radikale Staatskritik enthält, klingen auch leicht romantisch-reaktionäre Töne an (die Hegel später überwunden hat), etwa wenn hier der Staat im Gegensatz zu einer organisch-vernünftigen Natur als mechanisches Räderwerk erscheint oder eine neue Religion gefordert wird.

Hören:


Download
: via federlese.com (4,0 MB | 6,3 min)

Lesen bei Zeno.org

Frigga und Wolfgang Haug im Gespräch über das InkriT

Gespräch über das Institut für kritische Theorie, Berlin, mit Frigga und Wolfgang Fritz Haug: seine Geschichte, Theorieentwicklung und Arbeitsweise, Projekte wie das Historisch-Kritische Wörterbuch des Marxismus (HKWM), die Zeitschrift „Das Argument“ Zeitschrift für Philosophie und Sozialwissenschaften sowie der Bezug zu internationalen Bewegungen…

Download: via FRN (51,2 MB), via MF (19,19 MB)

Antisemitismus in der KPD der Weimarer Republik

Ein sehr interessanter Vortrag von Olaf Kistenmacher, den der Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel veranstaltet und dankenswerterweise aufgezeichnet hat.

Download (0:46 h): via AArchiv | via MF (16 MB, geringfügig lauter), Original via AK Kiel (43 MB)

Texte Kistenmachers bei der Roten Ruhr Uni.

Kritik als subversive Praxis? Gesellschaftskritik im Spannungsfeld von Kritischer Theorie und Poststrukturalismus

Vortrag von Lars Gertenbach, im Januar 2010 aufgezeichnet und dokumentiert vom Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel. Es geht um unterschiedliche Typen von Gesellschaftskritik, die insbesondere hinsichtlich ihres Standpunktes und ihrer normativen Grundlage untersucht und darstellt werden.

Download (0:57 h): via MF (16 MB), Original via akkiel (26 MB)

Ankündigungstext: Weiterlesen

Zur Aktualität des Kommunismus

In Anlehnung an den Themenschwerpunkt der vorletzten Ausgabe der Phase 2 hat sich Inkasso Hasso mit mehreren mehr oder weniger bekannten TextproduzentInnen über Möglichkeit und Schwierigkeit des Kommunismus unterhalten. In dem 38-minütigen Feature kommen zu Wort: Joachim Bruhn, Lars Quadfasel, Roger Behrens, Bini Adamczak, Hannes Gießler, Renate Hürtgen und ein Mitglied der Gruppe TOP Berlin. Ein Schwerpunkt des Features liegt auf der Auseinandersetzung mit demjenigen Teil der kommunistischen Geschichte, der in einer Brutalisierung der Herrschaft des Menschen über den Menschen endete.

Download (via frn) [52,4 MB; 38 min 8 sec; mp3; 192 kbps; stereo]

Zur deutschen Ideologie. Entstehung der deutschen Identität bis 1918.

Der Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel dokumentiert viele seiner früheren Veranstaltungen. Unter den hochwertigen Mitschnitten befindet sich auch dieser Leckerbissen von Gerhard Stapelfeldt zur Entstehung der deutschen Identität. Stapelfeldt gibt einen fundierten Abriss deutscher Ideologiegeschichte vom nationalen Liberalismus und der Gegenaufklärung des 19. Jahrhunderts (besonders Savigny, Fichte und List) bis zu den Autarkisten um 1914/18 und zum Nationalsozialismus.

Download: Nachbearbeitet (28 MB, 1:22 h)

Die Originaldatei ist leiser und 75 MB groß.

Differenzen & Gemeinsamkeiten in der Entwicklung der Kritischen Theorie zur Wert-Abspaltungskritik

In seinem Vortrag warf Daniel Späth einen wert-abspaltungskritischen Blick auf die kritische Theorie Adornos. Sein Interesse galt dabei den Differenzen, die auf Seiten Adornos als Beschränkungen der Kritik moderner Fetischverhältnisse gedeutet werden. Seine Gliederung/Themen gehen aus seiner Zitatesammlung (PDF) hervor:

  1. Die kritische Geschichtstheorie Adornos und die wert-abspaltungskritische Theorie der Geschichte als „Geschichte von Fetischverhältnissen“
  2. Das bürgerliche Subjekt und der Status der Vernunft bei Adorno
  3. Die „Kritik der politischen Ökonomie“ und der historische Kontext Adornos
  4. „Natur“ und Wertabspaltung

Durch die Orientierung am Zitatematerial und die rege Beteiligung im Auditorium gewann der Vortrag einen starken Workshopcharakter.

Veranstaltet und aufgezeichnet vom Wert-Abspaltungskritischen Lese- & Diskussionskreis Berlin in Zusammenarbeit mit dem Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V. August 2010.

Download: via AArchiv | via MF (1:42 h, 41 MB)

Ankündigungstext: Weiterlesen