Schlagwort-Archive: Soziologie

Familienverhältnisse

1.) Liebe, Autonomie und Arbeitsteilung – Zur politischen Ökonomie der Paarbeziehung

Am 04. März 2015 hat Sarah Speck (u.a. Hg. von Kitchen Politics) in der Translib Leipzig einen Vortrag über geschlechtliche Arbeitsteilung in heterosexuellen Paarbeziehungen gehalten. Grundlage ihres Vortrags war eine Studie, die sie gemeinsam mit Cornelia Koppetsch und Alice Jockel an der TU Darmstadt durchgeführt hat. In dieser Studie wurden Paare befragt, in denen der Mann einer atypischen Beschäftigung nachgeht oder erwerbslos ist und die Frau das Haupteinkommen bezieht. In der Befragung wurde dann ein Fokus auf die gemeinsame Ökonomie und auf Fragen der Reproduktion gelegt. Im Vortrag stellt sie drei Fallbeispiele aus drei verschiedenen Milieus vor: dem klassischen Arbeitermilieu, dem wertkonservativen Milieu und dem akademisch/urbanenen Kreativ-Milieu. Dabei wird deutlich, dass individualisierte Paare aus dem „großstädtischen Selbstverwirklichungsmilieu“ den ökonomischen Charakter gemeinsamen Haushaltens wesentlich mehr verschleiern und dadurch klassische Rollenverteilungen reproduzieren, als dies bspw. im wertkonservativen Milieu der Fall ist. Diese Verschleierung findet paradoxer Weise mit Hilfe einer Vorstellung von Geschlechtergleichheit statt.

Möchte man die Stabilität der Geschlechterverhältnisse verstehen, so genügt es nicht, auf Ehegattensplitting und Gender Pay Gap zu fokussieren. Ein detaillierter Blick ins ‚Private‘ und den Alltag heterosexueller Paare offenbart, dass zentrale Gründe für die Aufrechterhaltung der Geschlechterordnung woanders liegen – in latenten Männlichkeits- und Weiblichkeitsnormen, aber auch in gegenwärtigen Idealen, etwa der Vorstellung von Geschlechteregalität selbst und in der Reproduktion von Klassenverhältnissen. Der Vortrag möchte den Zusammenhang von Ökonomie und Geschlecht, der derzeit vielerorts erneut diskutiert wird, durch eine spezifische Perspektive auf die Ökonomien und Aushandlungsprozesse des Alltags lenken und stellt die altbekannte Frage neu: Was ist aus feministischer Perspektive zu tun? [via]

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2.) Über Familie, Kinder und die radikale Linke

Im Rahmen der Reihe „Die Untüchtigen“ haben Feline Nowak und Doris Liebscher (Phase 2) am 12.10.2014 im Hamburger Golem einen Vortrag über historische, rechtliche und geschlechterspezifische Aspekte der Familie gehalten. Zu Beginn hat Doris Liebscher eine historische Bestimmung der Familie als Norm gegeben, wobei sie einen Fokus auf rechtliche Bestimmungen und damit verbundene Probleme gelegt hat. Ausgehend von der Feststellung, dass die Familie als Norm gegenwärtig bröckelt, ist Feline Nowak dann der Frage nachgegangen, wieso dennoch eine Rekonstituierung der traditionelen Familiennorm festgestellt werden kann. Insbesondere legt sie einen Fokus auf das Kinderkriegen, das die Beziehung der Eltern zum Staat in der Regel intensiviert, und problematisiert den Umgang mit Elternschaft und damit verbundenen Rollenmustern innerhalb linker Zusammenhänge. Liebscher geht dann auf Familienmodelle ein, die nicht der Norm entsprechen und zeigt auf, welche rechtlichen Probleme solche Familien haben. Zum Schluss ziehen sie ein Fazit und stellen einige Forderungen auf, die m.E. recht reformistisch bleiben. Dies ist dann auch Gegenstand der Diskussion: in mehreren Redebeiträgen wird die Fixierung auf rechtliche Regelungen kritisiert.

Familie gilt als der kleinste Zusammenschluss, in dem sich Gesellschaft reproduziert und die jeden und jede nachhaltig formt. Diese Einheit hat sich historisch enorm verändert. Bürgerliche Familienstrukturen haben die letzte Generation womöglich mehr geprägt, als die gegenwärtige. Doch die vorsichtige Liberalisierung des Konzeptes Familie kann nur schwer darüber hinwegtäuschen, dass es nach wie vor zutiefst ideologisch durchtränkt ist.

Die Familie, im Sinne einer auf Blutsverwandtschaft beruhenden Verbindung mehrerer Generationen, ist in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert durch zwei Momente charakterisiert: Als Mini-Enklave stellt sie einerseits einen Raum dar, in dem zwischenmenschliche Beziehungen anders realisiert sind, als die übrigen, durch kapitalistische Denkweisen geordneten Verbindungen. Als solche kann sie den Einzelnen als Schutzraum dienen, in dem – zumindest dem Ideal nach – Beziehungen mehr als irgendwo sonst von Liebe und Verbindlichkeit geprägt sind. Andererseits war die Familie immer auch eine, wenn nicht autoritär, so zumindest hierarchisch strukturierte Gemeinschaft im Kleinen, die die Voraussetzungen dafür schuf, eben das zu reproduzieren, wovor sie zu schützen vorgab. Es ist eine zentrale Aufgabe der Familie, die Reproduktion der Individuen nach den Erfordernissen gesellschaftlicher Bedingungen zu garantieren. Aus dieser Perspektive erfüllt die traditionell verstandene Familie eine zutiefst ambivalente Funktion.

Wer die traditionelle geschlechtliche Ordnung, die die Familie vorzugeben vermag, nicht annehmen möchte, wer als Eltern Betreuung und Fürsorge eines Kindes wie auch individuelle Freiheit zu gleichen Teilen wahrnehmen oder auch nur sein Kind jenseits von geschlechtlichen Stereotypen großziehen möchte, der/die wird sich unangenehm mit dem Einbruch der gesellschaftlichen Realität in der ehemals als von dieser relativ unabhängig betrachteten Privatsphäre konfrontiert sehen.

In einem ersten Teil der Veranstaltung wird Feline Nowak darstellen, warum mit der Geburt das private Leben noch offensichtlicher zum Feld politischer Auseinandersetzungen wird und sich politische Prämissen wie die Gleichheit zwischen den Geschlechtern und die Selbstbestimmungsfreiheit des Individuums nun noch schwerer umsetzen lassen. Das heißt aber auch, dass neben aller notwendigen Gesellschaftskritik eine Beschäftigung mit Familie gleichfalls eine individuelle Perspektive und die dort vorhandenen Handlungsspielräume erfassen sollte. Im zweiten Teil der Veranstaltung wird Doris Liebscher sich mit dem Familienkonzept im bürgerlichen Recht auseinandersetzen und aufzeigen, wie vor allem Mehrelternschaft, Transelternschaft und soziale Wahlverwandtschaft sowohl das traditionelle Familienverständnis wie auch das Recht gleichermaßen herausfordern. In Bezug auf die Übernahme von Sorgeverantwortung, die Weitergabe von Kapital oder die Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung sind die Familienpolitik und Familienrechtssprechung weiterhin am traditionellen Familienkonzept orientiert, denn das deutsche Familienrecht stellt unmissverständlich die Abstammung über alles andere. Um die sozialen, politischen und rechtlichen Einschränkungen, die mit dem aktuellen Familienmodell einhergehen, zu überwinden, werden an diesem Abend von den Referentinnen auch emanzipative Familienmodelle wie die Freundschaftsfamilien und soziale Elternschaften diskutiert. [via]

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Differenz und Distinktion

Über ästhetische, sensualistische und soziologische Aspekte des Geschmacksbegriffs

1.) Vor ca. zwei Jahren hat Bersarin im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kunst, Spektakel, Revolution“ einen Vortrag über „Kunst und Geschmack“ gehalten. Die verschriftlichte Version des Vortrags ist zwischenzeitlich in der 3. KSR-Broschüre erschienen und inzwischen auch online nachlesbar. Wir dokumentieren an dieser Stelle den Mitschnitt des zugrundeliegenden Vortrags. Bersarin handelt darin drei ideengeschichtliche Stationen ab: Geschmack als Begriff in der Frühaufklärung, Geschmack in der Ästhetik Adornos und Geschmack in einem Essay von Detlev Claussen.

Der Begriff „Geschmack“ lässt sich in mehrfacher Wortbedeutung verstehen: einmal als Geschmack, welcher auf der unmittelbar sinnlichen Ebene funktioniert – also innerhalb unserer fünf Sinne in der Weise des Schmeckens als passives Vermögen – und als Geschmack in der Bedeutung der stil- und empfindungssicheren Beurteilung bzw. der distinktiven Wertung von aisthetischen und lebensweltlich begegnenden Gegenständen. Hier fungiert Geschmack als aktives Vermögen. Dabei fallen Kunstwerke als spezielle Objekte unter die zweite Bedeutung von Geschmack. Philosophie, Soziologie und die Ästhetik beschäftigen sich in der Regel mit diesem zweiten Aspekt, der dem Geschmack zugrunde liegt. Die Felder reichen vom Kantischen Geschmacksurteil, der Analyse subjektiver Empfindungen bzw. der Idiosynkrasien über den Dandy- und Bohème-Begriff des 19. Jahrhunderts, der Ästhetik Adornos, deren Fokus auf dem Kunstwerk selbst liegt, bis hin zur Konzeption Bourdieus, in welcher der Geschmack als Phänomen der sozialen Ab- und Ausgrenzung interpretiert wird.

Zunächst soll im historischen Rückgriff die Bedeutung aufgezeigt und ein skizzenhafter Überblick zum Geschmack sowie dem ihm innewohnenden emanzipatorischen Potential gegeben werden, das diesem Begriff in der sich entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts zugrunde liegt. Geschmack konzipierte sich im 18./19. Jahrhundert als eine Möglichkeit von (bürgerlicher) Autonomie jenseits feudaler Fesseln und Reglementierungen und ist als Form der bürgerlichen Selbstvergewisserung auch parallel zum ästhetischen Moment zentrale Kategorie. Es kam diesem Begriff ein objektiver Gehalt zu, der sich unter spätmodernen bzw. -kapitalistischen Bedingungen kaum noch revitalisieren lässt und dort lediglich subjektiv konnotiert ist: Jenes „De gustibus non est disputandum“ gibt mittlerweile die (auch ästhetische) Ideologie des herabgesunkenen Bürgertums ab. Dieser verschüttete objektive Gehalt soll in seinen Grundzügen dargestellt werden, um von dort zur Gesellschaftstheorie sowie zur Ästhetik Adornos überzuleiten. In seiner Ästhetik erfährt der Geschmacksbegriff eine grundsätzliche Kritik, welche einerseits geschichtsphilosophisch, andererseits aber immanent ästhetisch motiviert ist.

Nachdem diese Kritik Adornos kurz dargestellt wurde, soll anhand seiner Ästhetik sowie der Gesellschaftskritik zur sinnlichen Komponente des Geschmacks als Schmecken übergeleitet werden. Dass diese erste Bedeutung des Geschmacksbegriffs genauso ein Feld für die Philosophie und Ästhetik abgeben kann – und dies jenseits der Restaurantkritik oder einer schlechten Unmittelbarkeit –, zeigt etwa Prousts „Recherche“: Im Moment des Schmeckens, nachdem der Protagonist jene legendäre Madeleine in den Lindenblütentee tauchte und das Gebäck verspeiste, geschieht jener Vorgang, welcher mit dem Begriff der memoire involontaire verbunden ist. Im Schmecken, im Moment unmittelbarer Sinnlichkeit evoziert sich ein Anderes. In diesem Zusammenhang möchte ich Aspekte aus Detlev Claussens Aufsatz „Kleine Frankfurter Schule des Essens und Trinkens“ aufgreifen und die darin entfalteten Ansätze von Geschmack und Kritischer Theorie in den Zusammenhang mit Adornos „Meditationen zur Metaphysik“ bringen. Denn auch in jenem letzten Teil der „Negativen Dialektik“ geht es um ein sinnliches Moment der Philosophie. Diesem kann zwar innerhalb einer Theorie kein Prius eingeräumt werden, da dialektisches Denken sich nicht auf eine Seite der Opposition schlägt, doch ist es im Rahmen von Kritischer Theorie auch nicht auszuscheiden. „Nur im ungeschminkt materialistischen Motiv überlebt Moral“, so schreibt Adorno in den „Meditationen“. Dieser Satz lässt sich zugleich im Hinblick auf die Philosophie insgesamt ergänzen, ohne dabei jedoch eine Philosophie der reinen Sinnlichkeit zu kultivieren. Es soll aufgezeigt werden, dass Adornos Philosophie jenes vielfach aus dem Kanon der Philosophie abgesonderte Moment der Sinnlichkeit durchaus aufnimmt. Dies zeigt sich neben den „Meditationen“ auch in seinen „Minima Moralia“ , sowie über die Begriffe des Impulses oder des Somatischen, um dadurch eine Passage hin zu einer Theorie unreglementierter Erfahrung zu öffnen.

Bersarin, Jahrgang 1964, hat Philosophie, Soziologie, Germanistik und nebenher Kunstgeschichte studiert, er betreibt den Blog AISTHESIS und macht Fotos: Proteus Image. [via]

    Download: via AArchiv [58,7 MB; 1:04:09 h]

2.) Auch in der klassischen Soziologie hat man sich über die Kultivierung des Geschmacks und die Sitte der Mahlzeit Gedanken gemacht. So erforschte Norbert Elias, wie im Prozess der Zivilisation auch das Speisen der Affekt- und Triebkontrolle unterworfen wird, Georg Simmel untersuchte die Mikrosoziologie der bürgerlichen Kleinfamilie bei Tisch und für Pierre Bourdieu ist Geschmack immer Klassengeschmack und seine Ausbildung dient der Distinktion. Ihre Äußerungen zu diesen Themen könnt ihr hier nachhören:

    Download: via RS (zip; pw: Skorbut)

Gerhard Stapelfeldt: Kritik der Soziologie

Die kritische Theorie der Gesellschaft in Soziologie zu verwandeln, ist überhaupt ein problematisches Unterfangen. (Max Horkheimer)

Gerhard Stapelfeldt, der 30 Jahre am Institut für Soziologie der Universität Hamburg lehrte, bestimmt den Begriff der Soziologie in Differenz zur Gesellschaftstheorie: Die Theorie der Gesellschaft ist Aufklärung über die Bewusstlosigkeit der Gesellschaftsgeschichte und des gesellschaftlichen Verhältnisses. Die Soziologie, so Stapelfeldt, geht von dieser Bewusstlosigkeit aus, ohne sie zu Bewusstsein zu bringen: sie erfährt dadurch Gesellschaft als einen Kosmos unveränderlicher Gesetze und Tatsachen. Einen Beitrag zur Kritik der Soziologie leistete Stapelfeld auf Einladung der ag antifa in Halle, in dem er unter anderem die Entstehungsgeschichte von Soziologie und Gesellschaftstheorie aufzeigt.

Die Soziologie, die Wissenschaft vom logos der societas, verhält sich paradox zu ihrem Gegenstand: sie untersucht gesellschaftliche Phänomene und Strukturen, indem sie gesellschaftliche Verhältnisse voraussetzt. Daher ist ihr nicht der Geist des Widerspruchs, sondern der Geist der Anpassung und des Autoritarismus immanent.
Um im allgemeinen zu bestimmen, was Soziologie sei, ist ihre Entstehung als Fachwissenschaft im frühen 19. Jahrhundert nachzuzeichnen. Daraus ergeben sich nicht nur die Differenzen von Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie einerseits, Soziologie andererseits, sondern auch die beiden grundsätzlich unterschiedenen Richtungen der Soziologie als Naturwissenschaft (»soziale Physik«) einerseits und als Geisteswissenschaft andererseits. Max Weber hat um 1900/1920 versucht, diese beiden Richtungen zusammenzuführen: in einer sinnverstehenden Soziologie, die geschichtstheoretisch die Genese der politischen Gesellschaft als »Gehäuse der Hörigkeit« vorführt.

    Download: via AArchiv | via RS.com (mp3; 82 min; 113 MB)

Siehe auch Stapelfeldts Veröffentlichungen Zur deutschen Ideologie, Soziologische Theorie und gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Lit-Verlag Münster, 2005. Hier besprochen von JustIn Monday und Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung. Zur Logik der Aufklärung des Unbewußten, ça ira Freiburg, 2004.

Denkstoffe

Beim Schweizer Radio DRS gab es in der Sendung Reflexe eine interessante Reihe zu KlassikerInnen der Kulturwissenschaften im 20. Jh. In je etwa halbstündigen Gesprächen mit KennerInnen des besprochenen Werkes geht u. a. um Horkheimer/Adorno, H. Arendt, M. Foucault, J. Butler, J. Derrida und N. Luhmann. (Backup via MF)

Besprechungen und Gespräche über Marx

Herbert Panzer bespricht kritisch das Buch »Wo Marx Recht hat« von Fritz Reheis, welches kürzlich im Primusverlag erschienen ist. Zu hören bei Radio Klärwerk: hier. [via] Wer einen Eindruck davon gewinnen möchte, wie SoziologInnen heute sich Marx annähren, sei auf die Gespräche verwiesen, die anlässlich des demnächst erscheinenden Buches »Marx für SoziologInnen« geführt wurden: hier.

Raus aus der Klasse, rein in die Klasse?

Eine der wesentlichen Intentionen Moishe Postones, die er in seinem Buch »Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft« begründet, ist die Kritik einer einseitigen Kritik der Distributionsverhältnisse vom Standpunkt der Arbeit aus, welche Produktion selbst aus dem analytischen Blick verliert. Die wertkritische Kritik der Arbeit soll nicht vom Standpunkt des Proletariats aus formuliert werden. Während unter Postones Einfluss ein Teil der MarxistInnen hierzulande also diejenige Klasse, »die ihr eignes Produkt als Kapital producirt« (Marx), ein für allemal abgeschrieben hat, erfreut sie sich an der Universität vielerorts einer erneuten liebevollen Zuwendung in sozialarbeiterischer Manier. Dass »die Klasse« kein äußerer Garant der Revolutionäre für die Revolution ist, sollte klar sein. Dass das Proletariat im Nationalsozialismus zu Pöbel und das Bürgertum zu Gesindel wurde (Bruhn), macht eine gnadenlose Kritik der traditionellen ArbeiterInnenbewegung zur notwendigen Voraussetzung von Kritik überhaupt. Ob aber die Kategorie der Klasse für eine kritische Theorie der Gesellschaft und damit eine Kritik als intendierte Selbstaufhebung des Proletariats (deren Voraussetzung heute eine Kriegserklärung an den Antisemitismus sein müsste) damit gleich mit null und nichtig sind, ist m.E. keine ausgemachte Sache. Zur Diskussion hierüber sollen die folgenden Audiogespräche beitragen:

1. Anlässlich der zweiten Jenaer »Klassenkonferenz«, die im Juni diesen Jahres unter dem Titel »Klassen Kämpfe der Gegenwart« stattfand (siehe Programm), habe ich mit Tilman Reitz (Uni Jena) über den Begriff der Klasse gesprochen.

Am 1. und 2. Juni 2011 organisiert die Rosa Luxemburg Stiftung Thüringen in Zusammenarbeit mit Teilen des Instituts für Soziologie der Uni Jena eine Konferenz über „(Klassen)Kämpfe der Gegenwart“. „Stuttgart – Hamburg – Neukölln“ sind die Städtenamen, die dabei als Stichworte für gegenwärtige Auseinandersetzungen auf der politischen Schaubühne der Bundesrepublik stehen und deren Klassencharakter auf der zweiten Jenaer Klassenkonferenz diskutiert werden soll. Ich habe mich mit Tilman Reitz, Juniorprofessor am soziologischen Institut der Uni Jena und Mitorganisator der Klassenkonferenz, getroffen, mit ihm über den Begriff der Klasse gesprochen und ihn gefragt, was uns in der nächsten Woche in den Rosensälen der Uni Jena erwartet. [via]

    Download: via FRN (mp3; 22,8 MB; 24:54 min) | via AArchiv (14,3 MB)

2. Sehr ausführlich hat mir Christopher Zwi auf ähnliche Fragen wie im obigen Interview geantwortet. Für die geplante Radiosendung haben wir zwei Durchläufe des Interviews gemacht – hier stehen beide zur Verfügung (die Fragen bleiben gleich, inhaltlich sind die beiden Interviews nicht 100%ig deckungsgleich).

Interview 1

    Download: via AArchiv (mp3; 30,6 MB; 53:26 min)

Interview 2

    Download: via AArchiv (mp3; 20,7 MB; 36:06 min)

Beide Interviews wurden in der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ gesendet. Die Sendung steht hier zur Verfügung:

    Download: via Mediafire (mp3; 54,9 MB; 1 h)

Weitere Audioarchiv-Beiträge zur Diskussion um den Begriff der Klasse folgen.

Material zu Helmuth Plessner gesucht/gefunden

Es ist Solidarität gefragt. In einem kleinen Beitrag vor zwei Jahren hatte ich auf Audiomaterial verwiesen, dass auf einem Server der TU Dresden lag. Mittlerweile ist das Zeug nicht mehr online. Ein Audioarchiv-Hörer hat nun aber großes Interesse an den Helmuth Plessner-Materialien, die ich nicht gesichert habe und die er für die Aufzeichnungen einer Plessner-Tagung hält. Wenn jemand von euch diese Dateien (oder andere zu Plessner) hat, wäre es verdammt freundlich und solidarisch, sie noch einmal hochzuladen. Also meldet euch bitte per Kommentar oder Email, wenn ihr helfen könnt!

– Siehe Kommentare unten – Weiterlesen

Traditionalität und Aktualität. Zur Aufgabe kritischer Theorie

Heinz Maus, marxistischer Soziologe und Agitator der linken Studentenbewegung, gehörte in den 60er Jahren zusammen mit Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann zum sogenannten „Marburger Dreigestirn“. Mit diesen Namen ist die Stadt Marburg als ein zweites Zentrum der Kritischen Theorie bekannt geworden. Heinz Maus‘ Wirken gilt im Rückblick als „bar jeglicher taktischer Opportunität“, „unbürokratisch bis zur Inkorrektheit“ und es umgab ihn „neben der politischen Komponente ein starkes Element persönlicher Intransigenz gegenüber jeder Ordnung, jedem Establishment“. (via) Seinen hundertsten Geburtstag nahm die AG Kritische Theorie der Uni Marburg zum Anlass, um eine Tagung mit dem Titel „Traditionalität und Aktualtität. Zur Aufgabe Kritischer Theorie“ zu organisieren (zum Programm). Die OrganisatorInnen der Tagung haben uns freundlicher Weise sämtliche Mitschnitte der dort gehaltenen Vorträge1 zukommen lassen (insbesondere Dank an David für’s Schneiden des Audiomaterials und den freundlichen Kontakt), die wir hier zur Verfügung stellen:

Im Folgenden sind relativ große Dateien (128 kBit/s) verlinkt. Kleinere Fassungen (48 kBit/s) sind auf unserem Server abgelegt.

1. BegrüßungAG Kritische Theorie

Zur Einführung referieren Oliver Römer und Christian Spiegelberg von der AG Kritische Theorie über Ausgangsfragen und Intention der Konferenz, über den Hintergrund an der Marburger Uni, insbesondere am Institut für Soziologie, sowie über die Rolle des Soziologen Heinz Maus.

    Download: via AArchiv (mp3; 11 MB; 11:58 min)

2. Zur Soziologie von Heinz Maus – David Salomon

David Salomon (Universität Marburg) stellt zunächst einige Überlegungen über die Relevanz der Begriffe Traditionalität und Aktualität für kritische Theorie im Allgemeinen an, um dann über die intellektuelle Sozialisation von Heinz Maus zu referieren. Im Anschluss nimmt er das besondere Verhältnis von Philosophie und Marxismus (Karl Korsch, Georg Lukács) zum Ausgangspunkt und rekonstruiert auf welche Weise Heinz Maus dieses bearbeitet und präzisiert hat. Zentral sind dabei die Rolle der Soziologie für den modernen Marxismus (Positivismusstreit etc.) und das Problem der Historizität im marxistischen Denken (Karl Marx, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche). Er endet mit einem Umweg über Bertolt Brecht mit einigen Überlegungen zu den Mausschen Ausführungen zum Verhältnis von Leid und Glück als materialistische Maßstäbe der Kritik und als Kategorien, denen nach wie vor eine dringende Aktualität für eine kritische Theorie der Gesellschaft als Ganzer zukommt.

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 45,2 MB; 49:19 min)

3. »Politisierung der Kunst« oder »die Kunst wegschaffen«?Zum Verhältnis von Politik und Kunst bei Walter Benjamin und bei der Situationistischen Internationale – Claus Baumann

Seinem Vortrag über den Vergleich der benjaminschen und situationistischen Perspektive auf das Verhältnis von Kunst und Politik stellt Claus Baumann (Universität Stuttgart, Duale Hochschule Stuttgart, Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator) einige grundsätzliche Überlegungen zum nachträglichen, reflexiven Charakter dieser Kategorien voran (wie sie ähnlich in schriftlicher Form hier veröffentlicht wurden). Dann stellt er jeweils die ästhetischen Konzepte von Benjamin und den Situationisten vor, um sie u.a. anhand der Stellung zur surrealistischen Parole, dass die Poesie in den Dienst der Revolution zu stellen sei, aneinander abzuarbeiten.

Die Situationistische Internationale (1958–1972) um Guy Debord sprach sich einerseits für »neue Aktionsformen gegen Politik und Kunst« aus. Andererseits kritisierten sie die Surrealisten um André Breton dafür, dass diese »Poesie in den Dienst der Revolution« stellen wollten (la poésie au service de la révolution); es komme vielmehr darauf an, »die Revolution in den Dienst der Poesie zu stellen« (la révolution au service de la poésie). Prima facie scheint das situationistische Projekt den Überlegungen von Walter Benjamin zu widersprechen, der 1936 in seinem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« die Auffassung vertreten hat, dass es für gesellschaftskritische, communistische Bestrebungen auf eine »Politisierung der Kunst« ankomme, während der Faschismus eine »Ästhetisierung der Politik« betreibe. Ziel des Vortrags ist es, die jeweiligen Spezifika der situationistischen sowie benjaminischen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Kunst darzulegen und daran anknüpfend der Frage nachzugehen, wie eine aktuelle und kritische Reflexion dieses Verhältnisses angesichts der derzeitigen Lage der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse aussehen könnte.

Claus Baumann (*1967) promovierte im Fach Philosophie an der Universität Stuttgart. Er ist Lehrbeauftrager der Universität Stuttgart im Fachbereich Philosophie sowie an der Dualen Hochschule in Stuttgart im Fachbereich Sozialwesen. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Dialektik, Kritik der politischen Ökonomie, Gesellschaftstheorie, politische Philosophie und Philosophie der Ästhetik.

    Download: Vortrag (mp3; 34,4 MB; 37:33 min), Diskussion (mp3; 22,8 MB; 24:54 min)

4. Gehirn und Geist. Über das Verhältnis von Material und Freiheit zum Gegensatz von empirischer Forschung und Reflexivität – Christine Zunke

Christine Zunke (Universität Oldenburg, siehe auch ihren Beitrag hier) eröffnet die Problemstellung ihres Vortrags mit einer einführenden Überlegung zur descartschen Unterscheidung von denkender und materieller Substanz, um hiervon zu aktuellen Problemen der Gehirnforschung überzugehen: inwiefern lässt sich das Denken aus den physikalischen Prozessen im Gehirn erklären, inwiefern geht es darüber hinaus? Diese Problemstellung führt notwendiger Weise zur Frage nach der Freiheit des Willens, bzw. grundlegender nach der Frage, ob es das Denken überhaupt gibt. Dass diese Frage mit Ja zu beantworten ist, ist für Zunke nur möglich, indem die Gegensätze von Geist|Körper, Materialität|Immaterialität, physikalischen Prozessen im Gehirn|Immaterialität des Denkens als Antinomien zu begreifen sind: weder als Dualität, noch als Identität verhalten sich die widerstreitenden Seiten wechselseitig konstitutiv zueinander, so die These des Vortrags.

Die modernen Neurowissenschaften scheitern trotz immenser Fortschritte beständig an der Frage nach der Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist. Diese Frage nach der Entstehung des (reflexiven und freien) Denkens aus dem physischen Material kann nirgendwo hinführen. Eine im naturwissenschaftlichen Sinne befriedigende Antwort hierauf kann es prinzipiell nicht geben, denn dann müsste das Material die kausale Ursache des Ideellen sein, was das Ideelle als physikalische Wirkung zu einem materiellen Gegenstand machen würde, welcher seiner Bestimmung nach kein Ideelles sein kann. Die konsequenteste Antwort der Neurophysiologie lautet darum, dass das Ideelle bloßer Schein sei, dem keine Wirklichkeit korrespondiere. Der Geist sei eben nicht reflexiv und frei, sondern eine bloß natürliche Funktion des Gehirns, die in der Innenwahrnehmung als Bewusstsein erscheine. Unser Geist sei nicht materiell und darum nicht wirklich. Wir denken ihn bloß. Dass das Denken Gedachtes ist, hat die Philosophie schon immer gewusst. Doch wenn diese Erkenntnis unter den Vorzeichen der empirischen Wissenschaften von der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufgenommen wird, bekommt sie einen reaktionären Gehalt: Da Reflexionen als gegenstandslos erscheinen, wird Kritik methodisch unmöglich und es bleibt allein der Weg der Affirmation des Bestehenden offen.

Dr. Christine Zunke lehrt Philosophie an der Universität Oldenburg und hat mit ihrer 2008 im Akademie-Verlag erschienenen Dissertation „Kritik der Hirnforschung“ eine der ersten grundlegenden Kritiken der Neurophilosophie vorgelegt. Ihre Forschung fokussiert die moralischen und politischen Implikationen moderner Naturwissenschaften.

    Download: Vortrag (mp3; 42,9 MB; 46:53 min), Diskussion (mp3; 19,3 MB; 21:03 min)

5. Intellektuelle und die Genealogie der Kritischen Theorie – Alex Demirović

Alex Demirović (TU Berlin, „PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“) greift die Auseinandersetzung mit Heinz Maus wieder auf, um ihn als eine besondere Figur der älteren Generation der Kritischen Theorie zu verorten und dessen Rolle für die kritische Soziologie in Deutschland und sein Verhältnis zum Institut für Sozialforschung in Frankfurt zu rekonsturieren. Hiervon ausgehend arbeitet sich Demirović an der bundesdeutschen Historisierung der Kritischen Theorie und ihrer Einordnung in (nach seiner eigenen ironischen Berechnung) mittlerweile 7 Generationen ab, um dafür zu plädieren, dass sich kritische Theorie zwar permanent selbst zu reflektieren habe, in ihrer kritischen Selbsthistorisierung aber nicht in der selbstreferentiellen und inhaltsentleerten Frage stecken bleiben darf, wer denn nun zur Kritischen Theorie gehört und wer nicht. Gegenüber dem akademischen Leerlauf beharrt Demirović darauf, dass die Begriffe wieder in Bezug auf die Gesellschaft und ihren Wandel entwickelt werden müssen und vor Allem nicht nach dem besseren Funktionieren der Gesellschaft, sondern nach ihrer praktischen Veränderung zu trachten haben. An diesem Vortrag fällt m.E. das Faktum der Trennung von institutionalisierter Kritischer Theorie in der Akademie und radikaler Linker auf, die bei Demirović ebenfalls überhaupt nicht vorkommt.

    Download: Vortrag (mp3; 36,1 MB; 39:23 min), Diskussion (mp3; 21,8 MB; 23:47 min)

6. Gewalt als Grenze des Anerkennens – Thomas Bedorf

Der Vortrag von Thomas Bedorf (Fernuniversität Hagen) sticht ein wenig aus dem Programm heraus, da dieser sich selbst nach eigener Angabe nicht in der „Großfamilie“ der Kritischen Theorie verortet, dafür aber gewissermaßen von außen eine Auseinandersetzung mit einem Theorem (bzw. Verfallsprodukt) der Kritischen Theorie sucht: die Theorie der Anerkennung von Axel Honneth. Er diskutiert dabei grundlegende Fragen: Ist Gewalt hermeneutisch in den Bereich des Verstehbaren hineinzuholen? Ist Anerkennung überhaupt ein geeigneter Schlüsselbegriff um Interaktion in ihrer Konflikthaftigkeit zu begreifen? Welchen Platz räumt eine Theoretisierung von Anerkennungsverhältnissen der Gewalt ein? Er arbeitet sich zu nächst an Honneths Theorie der Anerkennung ab, vergleicht diese dann mit anderen Auseinandersetzungen mit Anerkennung (Judith Butler, u.a.), um schließlich seine eigene Position zu begründen: Anerkennung implizert auch immer Verkennung, sie kann zwar ohne Gewalt, nicht aber ohne Macht gelingen.

Ob es um die Themen von Protestbewegungen geht, um die Belange ethnischer und sexueller Minderheiten oder um Nationen im Kampf um einen eigenen Staat – stets geht es um die Anerkennung von Anderen, die zum Gegenstand von Verhandlungen, aber auch politischem Widerstand und sozialen Konflikten wird. Der Vortrag wird die Gewalt, die das Ringen um Anerkennung auslösen kann im Horizont eines Modells „verkennender Anerkennung“ zum Thema haben. Anerkennungstheorien, die das Ideal gelingender Anerkennung unterstellen, schließen Gewalt prinzipiell aus. Sie betrachten Missachtungen lediglich als Signale für Ansprüche auf Anerkennung. Anerkennungstheorien, die die Subjektivierungsdispositive in den Vordergrund stellen, behaupten hingegen Gewalt als für die Subjektkonstitution unausweichlich. Ein Modell „verkennender Anerkennung“, das auf der Einsicht beruht, dass es vollkommene Anerkennung nicht geben kann, da moderne Identitäten nichts fixierbares, sondern ständig in Bewegung sind, droht zur Affirmation von Gewalt genötigt zu sein, da es ihm an normativen Kriterien fehlt, sie von vornherein auszuschließen. Als Lösungsvorschlag soll der Gedanke dienen, dass, wo Machtformen irreduzibel zum Anerkennen hinzugehören, Gewalt als Abbruch des Prozesses des Anerkennens dennoch ausgeschlossen werden kann.

Dr. Thomas Bedorf ist Privatdozent für Philosophie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen. Im Wintersemester 2009/2010 war er Gastprofessor für Politische und Sozialphilosophie an der Universität Wien.

    Download: Vortrag (mp3; 40,9 MB; 44:40 min), Diskussion (mp3; 32,4 MB; 35:24 min)

7. Zweite Natur: Kritik und Affirmation – Christoph Menke Besonders hörenswert

Christoph Menke (Goethe Universität Frankfurt am Main) referiert in seinem Beitrag über den Begriff der 2. Natur, wie ihn Hegel entwickelt hat. Das Theorem der zweiten Natur versucht selbstauferlegten Zwang, selbstverschuldete Unmündigkeit zu erklären, indem es die soziale Struktur in den Blick nimmt – es soll der Umschlag des aus Freiheit selbst gemachten in ein selbstständig Seiendes, Unmittelbares erklärt werden. Menke erklärt die Ausführungen Hegels zu diesem Problem vor Allem am Begriff der Gewohnheit als unbewusstes bzw. unbewusst geleitetes Handeln und rekonstruiert hierbei zwei Seiten der Gewohnheit: einmal als Bildung zur Fähigkeit Zwecke zu setzen, auf der anderen Seite als selbst mechanischer Vollzug. An dieser Doppelseitigkeit macht Menke deutlich, dass Hegel nicht einfach abstrakt negierend vorgeht: es geht nicht um eine Gegenüberstellung vom Prozess des Setzens als etwas Gutem und der Verselbstständigung der Setzung gegenüber dem Setzenden als etwas Schlechtem – Kritik und Affirmation sind bei Hegel auf unlösbare Weise miteinander verquickt. Menke streift die Relevanz der Hegelschen Reflexion auf die zweite Natur für die Kritische Theorie (für Marx, Lukács, Adorno und Benjamin) nur am Rande, macht aber deutlich, dass Hegel die Grundlagen materialistischer Kritik gelegt hat. – Ein wirklich guter und hörenswerter Hegel-Vortrag!

    Download: Vortrag (mp3; 45,1 MB; 49:16 min), Diskussion (mp3; 13,5 MB; 14:44 min)

8. Negativität. Adorno und Hegel – Michael Städtler

Negativität fasst Michael Städtler in seinem Vortrag als Formbestimmung kritischer Theorie und setzt Adorno und Hegel unter diesem Aspekt in Bezug zueinander. Er zeigt warum Adorno Zweifel an einer Geistesgeschichte hegte, deren Triumph Hegel bloß zu rekonstruieren suchte – während Hegel die Verwirklichung der Vermittlung von Vernunft und Wirklichkeit am Ende der Philosophiegeschichte zu sehen glaubte, bestreitet Adorno die so definierte Verwirklichung der Philosophie. Städtler macht dabei deutlich, dass Adorno jedoch gegenüber Hegel nicht nur Skepsis hegt – gerade an Adornos Kritik des Positivismus wird deutlich, dass er mit dem Anspruch, dass das Denken über das bloß Gegebene hinauszuweisen habe, an Hegel festhält. Ziel Adornos ist es, Theorie und Praxis miteinander zu verwirklichen, ohne sie jedoch wechselseitig zueinander aufzuheben – hieran wird deutlich, dass Adorno zu Kant zurückkehrt, nicht jedoch ohne Hegels Kritik an Kant zu verwerfen. Vielmehr gilt es die Spannung von Widersprüchen aufrecht zu erhalten, die in Hegels Versuch der Aufhebung zu einer verkehrten Totalität eingeebnet zu werden drohen. Was dies bedeutet macht Städtler u.a. an der negativen Theologie deutlich, die versucht Gott aus der Summe dessen zu bestimmen, was Gott nicht ist – Adorno macht die Widersprüchlichkeit dieses Denkversuchs für materialistische Kritik fruchtbar, die Hegel im Versuch, aus dieser Negativität ein System absoluten Wissens zu machen, einebnet.

Das Verhältnis Adornos zu Hegel ist gespalten. Einerseits sei die Hegelsche Philosophie unübergehbare Voraussetzung jedes „theoretische[n] Gedankens von einiger Tragweite heute“ (Adorno, Aspekte), andererseits sei das System Ausdruck der Angst des Bürgertums vorm eigenen Untergang „[i]m Schatten der Unvollständigkeit der eigenen Emanzipation“. (Adorno, Negative Dialektik) Damit aber gilt diese Form von Philosophie der Kritik nicht einfach als eine falsche, sondern in der Kritik ihrer Fehler werden Einsichten über den Stand der Entwicklung von Selbstbewußtsein und Freiheit möglich, die sonst unsichtbar blieben. Die Kritik des bürgerlichen Bewußtseins setzt dessen selbstbewußt durchformulierten Begriff voraus. Noch strikter: Das Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft ist, wie diese selbst, realisierte Freiheit, aber in verkehrter Gestalt. Das Ziel radikaler Befreiung ist diesem Bewußtsein ebenso fremd, wie es selbst diesem Ziel vorausgesetzt ist. Mit diesem Gedanken begibt sich aber das Bewußtsein kritischer Theorie in Widerspruch zu sich selbst: Es verdankt seine wesentlichen Einsichten einer Geschichte, die abzulehnen, aber nicht mehr aufzuheben ist; ein durchaus unbefriedigender Zustand, der dazu führt, daß Adorno eine Dialektik entwirft, an deren Ende keine affirmativen Urteile mehr stehen. Die Kritik wird nicht konstruktiv gewendet, sondern sie bleibt kritisch. Dieser Gedanke ist offenkundig so frustrierend, daß nicht bloß die Schulphilosophie des 20. Jahrhunderts ihn nie wahrhaben wollte, sondern daß selbst diejenigen, die seit Adorno unter dem zum Label gewordenen Ausdruck ‚Kritische Theorie‘ firmieren, ihn aus ihrem Sortiment genommen haben. Was es dagegen heißt, bei der Kritik zu bleiben und wer eigentlich deren Subjekt sein kann, warum schließlich der auf Kritik beharrende Gedanke nicht nichts ist, soll in dem um die Bedeutung von Negativität zentrierten Vortrag über das Verhältnis Adornos zu Hegel überlegt werden.

PD Dr. Michael Städtler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Vorstand des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover.

    Download: Vortrag (mp3; 48,9 MB; 53:22 min), Diskussion (mp3; 12,1 MB; 13:10 min)

9. Glückliche Ehe oder liaison dangereuse? Fragen nach der Verbindung von Feministischer und Kritischer Theorie – Cornelia Klinger

Cornelia Klinger (Eberhard Karls Universität Tübingen) beginnt ihren Vortrag mit einigen Vorüberlegungen zur Entstehung und zu Schwierigkeiten feministischer Bewegung und Theorie, um dann Kritische Theorie und Feministische Theorie unter drei Aspekten in Beziehung zueinander zu setzen: 1. Kritik, 2. Negation und Negativität und 3. Utopie. Sie legt im ersten Teil sehr ausführlich dar, welche Bedeutung diese drei Aspekte für die Kritische Theorie haben und referiert in einem zweiten, kürzeren Teil, wie feministische Kritik diese drei Aspekte auf spezifische Weise bewusst oder unbewusst aufgreift und erweitert. Sie schließt mit der Formulierung eines Anspruchs, den sie an feministische Theorie heute heranträgt: dass diese wieder vermehrt an die Kritische Theorie Adornos/Horkheimers anknüpfen möge. Trotz der Genauigkeit ihrer Ausführungen zur Kritischen Theorie bleibt deren Verbindung zum Feminismus oberflächlich und müsste selbst noch konkret bestimmt werden. Sympathisch ist ihre Betonung der außer(!)akedemischen Dimension kritischer Theorie im Anspruch auf allgemeine Emanzipation.

Feminismus wurde nicht als Theorie geboren, sondern verdankt seine Entstehung einer gesellschaftlichen und politischen Bewegung, die erst im Verlauf ihrer Entwicklung – nicht zuletzt infolge der Widerstände, auf die sie gestoßen ist – begonnen hat, sich ein theoretisches Fundament zu erarbeiten. An verschiedene unterschiedliche Theoriegebäude (Liberalismus, Marxismus, Psychoanalyse u.a.) hat feministische Theorie mehr oder weniger erfolgreich Anschluss gesucht und gefunden. Vor diesem Hintergrund geht der Vortrag der Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und kritischer Theorie nach. Ausgehend von der These, dass feministische Theorie per se kritische Theorie ist, das heißt mit der älteren kritischen Theorie der Frankfurter Schule im Ansatz mehr Gemeinsamkeiten aufweist als mit irgend einem anderen Theoriegebäude wird zu zeigen sein, dass feministische Theorie die ‚bessere‘, konsequentere und vollständigere Kritische Theorie sein bzw. werden könnte – unter der Voraussetzung, dass sie ausgerechnet einige besonders traditional erscheinende Elemente der kritischen Theorie aufzunehmen und zu aktualisieren vermöchte.

Cornelia Klinger ist außerplanmäßige Professorin an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ständiges wissenschaftliches Mitglied am Institut für die Wissenschaften am Menschen in Wien. Sie hatte Lehraufträge und Gastprofessuren an den Universitäten Wien, Zürich, Bielefeld, Frankfurt, Klagenfurt, Innsbruck, Tübingen, München, Luzern und Berlin inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Philosophie und Geschichte der Moderne, Feministische Theorie/gender studies und Ästhetische Theorie.

    Download: Vortrag (mp3; 40,5 MB; 44:13 min), Diskussion (mp3; 26,6 MB; 29:02 min)

10. Im Handgemenge des SprechensGibt es eine „verdrängte Sprachphilosophie“ der Kritischen Theorie? – Jan Müller

Jan Müller (TU Darmstadt) widerspricht in seinem Vortrag der sprachpragmatischen Deutung Adornos (u.a. Jürgen Habermas, Martin Seel), alles Denken und Sprechen sei per se verdinglicht, womit Sprache selbst in einer tragischen Auffassung von Geschichte aufgehen müsse und nur der Ausweg einer sprachlosen Offenbarung bliebe. Hierzu referiert er ausführlich Benjamins frühen Text „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen„, um dann Benjamin und Adorno in Beziehung zueinander zu setzen. Ein sehr komplexer und kompakter sprachtheoretischer Vortrag.

Die Aneignung der ersten (oder Gründungs-)Phase der kritischen Theorie steht allgemein unter Metaphysikverdacht, eine Befürchtung, die insbesondere das Verständnis von Sprechen und Sprache betrifft. Theodor W. Adorno habe, darin inspiriert von Walther Benjamin, eine Fundamentalkritik der Sprache unter dem „eisigen Strahlen“ instrumenteller Vernunft verfolgt. Die Konsequenz dieser unterstellten Absicht ist ein Dilemma: Entweder – das sei der Ausweg Benjamins – sei Zuflucht zu einem theologischen Sprachmodell genommen, oder – so unterstellt man Adorno – eine Delegation der sonst dem Sprechen zugeschriebenen
Funktionen an eine (damit aber überlastete) „ästhetische Erfahrung“ unternommen worden. Würde die frühere kritische Theorie an einem romantisch überhöhten Bild der Sprache leiden, dann wäre seine Korrektur durch die Erfordernisse kommunikativer Rationalität eine wünschenswerte und sachlich unvermeidbare Konsequenz. Der Vortrag möchte dagegen die – allmählich vernehmbarere, aber noch immer randständige – Vermutung stark machen: (1) Die Kritik an den sprachphilosophischen Überlegungen Benjamins und Adornos gewinnt ihre Plausibilität vor allem aus der Übernahme von Grundunterscheidungen der analytischen Theorie des Sprachhandelns – sie artikuliert den Sachverhalt, dass Adorno und Benjamin Sprache anders thematisieren als die Tradition z.B. Searles. (2) Diese andere Thematisierungsform lässt sich nicht als bloß alternatives Modell von Sprechen und Sprache verstehen; Benjamin und Adorno liefern, in offener und verdeckter Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen sprachphilosophischen Diskussion, eine „Metakritik“ – sie fragen präsuppositionsanalytisch nach den Voraussetzungen und Angemessenheitskriterien vernünftigen Nachdenkens über Sprache. (3) Das Resultat dieser Auseinandersetzung ist eine Verortung der Funktion und Reichweite des Modells propositionaler Sprachreflexion. Sie zeigt (a) das Ungenügen einer am Kommunikationsparadigma orientierten Reflexionsform, die Funktion des Sprechens als Medium der Bildung und Reproduktion unserer Praxisform zu thematisieren, und provoziert (b) eine für die gegenwärtige Diskussion provozierende Blickumkehr, die Sprache nicht einfach Medium „des Politischen“ , sondern als politisches Medium begreifbar macht.

Dr. Jan Müller (*1979) studierte Philosophie und Deutsche Sprache und Literatur in Marburg. Promotion 2010 in Stuttgart, derzeit wiss. Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Er beschäftigt sich vor allem mit dialektischer Handlungs- und Tätigkeitstheorie, Sprachphilosophie und politischer Philosophie (und ihrem Verhältnis zueinander).

    Download: Vortrag (mp3; 42,3 MB; 46:08 min), Diskussion (mp3; 31,9 MB; 34:49 min)

11. Podiumsdiskussion: Zur Praxis kritischer Theorie. Formen der Gesellschafrkskritik heute

Moderiert von Christoph Demmerling (Philipps-Universität Marburg) diskutieren auf dem ersten Podium Alexander Garciá Düttman, Christoph Henning (Universität St. Gallen, u.a. „Philosophie nach Marx„), Philip Hogh (Goethe Universität Frankfurt a.M., u.a. Jungle World) und Cornelia Klinger über die Anforderungen einer tatsächlichen Weiterführung und Aktualisierung Kritischer Theorie. Für Düttman stellt sich eine solche Aktualisierung als eine kritische Selbstreflexion der AkademikerInnen dar: er verbindet die adornitischen Theoreme der sozialen Kälte und des universellen Verblendungszusammenhangs mit einer Kritik der neoliberalen Universität. Henning plädiert dafür, einige Themen der Klassiker der Kritischen Theorie (insbeondere nennt er Honneth) liegen zu lassen und fordert gleichzeitig dazu auf, wieder an die ältere Generation der Kritischen Theorie anzuknüpfen und von ihr zu lernen – in seinem Statement geht er auf einige Vorträge ein, die auf der Konferenz gehalten worden sind und gibt Anstoß, noch einmal über einzelne Aspekte zu diskutieren. Hogh schließt noch einmal an die sprachtheoretische Diskussion an, um unter diesem Aspekt Adorno und Habermas kritisch in Beziehung zueinander zu setzen. Klinger hält die Frage, ob es eine Praxis der Kritischen Theorie geben kann, für verkehrt – ihr Statement: die Praxis der Kritischen Theorie ist die Theorie. Eine revolutionäre Perspektive scheint in der Abschlussdiskussion nicht auf.

    Download: Statements (mp3; 65,1 MB; 1 h 11:08 min), Diskussion (mp3; 34,6 MB; 37:48 min)
  1. Dazu sei angemerkt, dass der Vortrag von Ingo Elbe aus gesundheitlichen Gründen leider ausfallen musste und der Mitschnitt des Vortrags von Frank Benseler aufgrund der zu geringen Lautstärke nicht verwendbar war. [zurück]

Kritik als subversive Praxis? Gesellschaftskritik im Spannungsfeld von Kritischer Theorie und Poststrukturalismus

Vortrag von Lars Gertenbach, im Januar 2010 aufgezeichnet und dokumentiert vom Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel. Es geht um unterschiedliche Typen von Gesellschaftskritik, die insbesondere hinsichtlich ihres Standpunktes und ihrer normativen Grundlage untersucht und darstellt werden.

Download (0:57 h): via MF (16 MB), Original via akkiel (26 MB)

Ankündigungstext: Weiterlesen

Das unternehmerische Selbst

Ulrich Bröckling, Soziologieprofessor in Halle, hat sich intensiv mit dem »unternehmerischen Selbst« befasst, das er als die aktuelle Form der Subjektivierung begreift. Sein von Michel Foucault begründeter Forschungs- und Theorieansatz ist derjenige der »Gouvernementalität«. Einblick in seine Thesen liefern diese drei Beträge:

1. Kreativität als Ideologie: Ulrich Bröckling im Gespräch mit Alex Körner (Radio Corax) »über Kreativität als Antwort auf Innovationszwänge des kapitalistischen Normalbetriebes.«

2. »Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform«. Gespräch über das gleichnamige Buch Bröcklings im Thomasius Club (Leipzig)

3. »Jenseits des kapitalistischen Realismus. Anders anders sein.« Vortrag über die Schwierigkeiten, unter den Bedingungen der unternehmerischen Subjektivierung noch Protest und Gesellschaftskritik zu formulieren, mit Bezug auf Anti-Prekaritätsproteste.

    Download (1:10 h mit Vorstellung): via Uni Wien

Die Klangqualität dieses aus der Ringvorlesung »Kapitalistischer Realismus« stammenden Vortrags ist sehr schlecht. Eine Nachbearbeitung folgt vielleicht noch.

Soziologie made in Frankfurt

Eine Reihe von Christa Schell, gesendet bei HR2. Die Folgen sind je etwa 15 Minuten lang bzw. 7 MB groß.

1. Der Kongress tanzt.

Das Engagement Frankfurter Bürger um 1900 führte zu einer Verwurzelung der Soziologie in der Stadt am Main.

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2. Die zwanziger Jahre

Der erste deutsche Lehrstuhl für Soziologie entsteht dank der Gelder großzügiger Frankfurter Bürger.

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3. Die Frankfurter Schule

Die wechselvolle Geschichte des Institutes für Sozialforschung von der Gründung bis heute.

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4. 1968 und die Folgen

Auf dem 16. Soziologentag gingen Studenten mit Professoren offen ins Gericht.

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5. Eine Krisenwirtschaft par excellence?

Entwicklung des Faches seit 1968 bis heute: aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wurden die Gesellschaftswissenschaften.

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Theodor W. Adorno – Kultur und Verwaltung. Vorträge und Gespräche

Im Folgenden eine Zusammenstellung von Rundfunkvorträgen und Gesprächen von und mit Adorno (Dank an Luis für das Fundstück):

1. Kultur und Verwaltung

Sendung: 26.07./02.08.1959, SWF
Aufnahmeort: Baden-Baden, Kunsthalle
Aufnahmeleitung: Biallowancz; Kranz
Laufzeit: 54:25

Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung. Kultur ist gemäß deutscher Begrifflichkeit der Verwaltung erst einmal entgegengesetzt. Sie soll das Höhere und Reine sein, das, was nicht angetastet und zurechtgestutzt wird. Die Kultur ist damit der nackten Notdurft des Überlebens enthoben. Was jedoch unter die nützlichen Güter eingereiht wird, ging schon immer über die biologischen Notwendigkeiten des Überlebens hinaus. Die Reproduktion der Arbeitskraft ist keine statische Naturkategorie, sondern folgt dem jeweils historisch erreichten Standard. Umgekehrt ist das Nützliche nicht unmittelbares, da nicht aus Gründen der Nützlichkeit, sondern um des Profits willen produziert wird. Kultur soll daher als bewusst unnütz von Planungsmethoden der materiellen Produktion unterschieden sein, damit auf der anderen Seite das angeblich Nützliche an Profil gewinnt. Kultur erhält allen Institutionen gegenüber ein kritisches Moment: Indem überhaupt etwas gedeiht, was nicht zu verwerten ist, zeigt Kultur die Fragwürdigkeit der herrschenden Praxis auf. Durch ihr Unpraktischsein hat die Kunst einen polemischen Zug und wird erst wenn der Kulturbegriff seine mögliche Beziehung zur Praxis einbüßt, ein Moment des Betriebs. Das Polemische und Unnütze wird dann zum Nichtigen oder zum schlechten Nützlichen, nämlich zu den Produkten der Kulturindustrie. Man lässt Kultur in einer Art Zigeunerwagen herumfahren, doch dieser Zigeunerwagen bewegt sich in einer monströsen Halle. Es gibt keine Schlupfwinkel mehr. Keine Armut in Würde, nicht einmal mehr die Möglichkeit des Überwinterns für den, der aus der Verwaltung herausfällt. Spontaneität schwindet, weil die Planung des Ganzen der einzelnen Regung vorgeordnet ist. Kritik wird ausgehöhlt, weil der kritische Geist den reibungslosen kulturellen Ablauf stört. Stattdessen reift parallel zur östlichen Spruchbanddenkerei eine westliche UNESCO-Philosophie heran. Willfährige Intellektuelle, die lebensbejahend den kritischen Geisten verdächtigen, finden sich genug. Der für die Verwaltung typische Jargon ist nicht die Verwaltungssprache des alten Stils, in der noch eine relative Trennung zwischen Verwaltung und Kultur vorlag. Die Verwaltung plustert sich mit Sprachbestandteilen aller gesellschaftlichen Bereiche auf, als wäre jeder Beamte sein eigener Radiosprecher. Nimmt man den Begriff der Kultur als die Entbarbarisierung der Menschen, der sie dem Zustand bloßer Natur enthebt. so ist Kultur misslungen. Kultur ist längst in sich selber fragwürdig zum geronnenen Inhalt des Bildungsprivilegs geworden, der sich als verwalteter Anhang in den Produktionsprozess eingliedert.

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2. Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?

Sendung: 22.09.1969, SDR
Regie: Heinz Nesselrath
Laufzeit: 57:43

Es geht bei der Unterscheidung dieser beiden Begriffe nicht um eine abstrakte Unterscheidung, sondern um die Frage, ob Marx veraltet ist. Prognosen der Klassentheorie über Verelendung sind nicht so drastisch eingetreten wie erwartet. Der Kapitalismus entdeckte durch die Steigerung der Technik in sich selbst Hilfsquellen, die den Zusammenbruch aufschieben. Im Gegensatz zu der heute mit Hilfe statistischer Erhebungen an Einzelpersonen ermittelten Klassenzugehörigkeit, beruhte die Marxsche Klassentheorie auf der Stellung von Unternehmungen und Arbeitern im Prozess der Produktion und auf der Verfügung über die Produktionsmittel. Eine dialektische Theorie der Gesellschaft befasst sich daher mit den Strukturgesetzen, welche die Fakten bedingen, sich in ihnen offenbaren und gleichzeitig von ihnen verändert werden. Struktur wird hier nicht als Systematisierung verstanden, sondern als das den Daten vorgeordnete System der Gesellschaft. Eine solche Theorie darf sich nicht den Fakten entziehen oder sie zurechtbiegen. Denn eine Dialektik, die es nicht auf Bewegung abgesehen hat, sondern glaubt, invariante Gesetze feststellen zu sollen, ist ein Widerspruch in sich selbst. So geht es bei der Gegenüberstellung von Spätkapitalismus und Industriegesellschaft nicht darum, zwischen diesen beiden Formen zu wählen, vielmehr drückt dieses Verhältnis den Widerspruch aus, der die gegenwärtige Phase kennzeichnet und den die Soziologie artikulieren sollte. Die Irrationalität der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur verhindert ihre rationale Entfaltung in der Theorie. Herrschaft wird über Menschen durch den ökonomischen Prozess hindurch ausgeübt. Unfreiheit und Abhängigkeit von einer der Kontrolle entlaufenen Apparatur breitet sich universal über die Menschen aus. Die gegenwärtige Gesellschaft ist nach dem Stand ihrer produktiven Kräfte durchaus Industriegesellschaft, in ihren Produktionsverhältnissen jedoch Kapitalismus. Die Menschen sind demnach immer noch das, was sie zur Zeit von Marx waren: Anhängsel der Maschinerie. Produziert wird heute wie früher um des Profits willen, allerdings sind die Bedürfnisse inzwischen zu Funktionen des Produktionsapparats geworden und nicht umgekehrt. Die Bedürfnisse werden nicht nur indirekt über den Tauschwert befriedigt, sondern überhaupt erst planmäßig und auf Kosten objektiver Bedürfnisse, wie etwa dem nach Bildung und Information, hervorgebracht. Im Bereich des nicht zur nackten Lebenserhaltung Notwendigen werden die Tauschwerte als solche abgelöst genossen. Sie sind das, was man gemeinhin Statussymbol oder Prestige nennt. Doch nicht die Technik ist das Verhängnis, sondern ihr Verfilzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Der Begriff Industriegesellschaft tut hingegen so, als folge das Wesen der Gesellschaft aus dem Stand der Produktivkräfte, unabhängig von deren gesellschaftlichen Bedingungen. Die Verselbstständigung des gesellschaftlichen Systems gegenüber allen, auch den Verfügenden, hat dabei einen Grenzwert erreicht. Sie ist zu jener Fatalität geworden, die in einer allgegenwärtigen, frei flutenden Angst ihren Ausdruck findet.

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3. Zum 80. Geburtstag von Ernst Bloch

Sendung: 13.06.1965, SWF
Regie: Horst Krüger
Laufzeit: 41:24

Bis zum Erscheinen des „Prinzip Hoffnung“ war „Der Geist der Utopie“ Ernst Blochs chef d’oeuvre. Schon hier wird die Unterscheidung des Helden als dem Blutenden und dem Vollendeten zwischen expressionistischer und klassizistischer Haltung differenziert, ein Ansatz den Bloch sein gesamtes Leben lang verfolgte. Aber schon das Buch selbst sah aus, als sei es von Nostradamus geschrieben. Auch der Name Bloch hatte eine ähnliche Aura: Dunkel wie ein Tor und gedämpft dröhnend wie ein Posaunenstoß. Man konnte meinen, hier sie die Philosophie dem Fluch des Offiziellen entkommen. Eine Philosophie, die sich nicht vor der avancierten Literatur zu schämen hatte, die nicht zur abscheulichen Resignation der Methode abgerichtet war. Sollte gemäß Platon die Philosophie aus dem Staunen, wörtlich dem Sich-Wundern, entspringen, so erhob Blochs Werk Einspruch gegen den zur Selbstverständlichkeit gefrorenen Widersinn, dass Philosophie wichtigtuerisch um das betrügt, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Blochs Philosophie begann nicht nur mit dem Staunen, sondern mündete ins Erstaunliche. Das Spezifische der Philosophie Blochs war schon hier als Gestus angelegt: Die Perspektive des messianischen Endes der Geschichte, des Durchbruchs zur Transzendenz, um das sich seine gesamte Philosophie ordnet. Mit dem Begriff der unkonstruierbaren Frage hatte Bloch einen Zweifel gegen die Annahme formuliert, Denken könne von sich aus seinen Namen nennen. Um die Philosophie Blochs genauer fassen zu können, mag ein Vergleich mit Georg Simmel helfen. In Simmels Buch „Philosophische Kultur“ gibt es einen Aufsatz mit dem Titel „Der Henkel“, in Blochs „Geist der Utopie“ handeln mehrere Seiten von einem alten Krug, jedoch einem Krug ohne Henkel, einem, der nicht so unmöglich mit der Gebrauchswelt kommuniziert wie das von Simmel ausgewählte Objekt. Ästhetik wird bei Simmel zum Ästhetisieren. Anstelle unnachgiebiger philosophischer Kraft, die zur Nachgiebigkeit den Objekten gegenüber fähig ist, tritt bei Simmel Bildung. Seine Philosophie bedient sich, wie Brecht sagte, des Silbergriffes, betrachtet nur das ästhetisch Wohlfeile und kapituliert vor dem Kunstgewerbe. Der Text Blochs unterscheidet sich schon auf den ersten Blick durch das Tempo. Kein Gedanke wird exponiert oder in besinnlichen Ausführungen abgewandelt. Es wird wie im Film mit bewegter Kamera gedacht. Schön sind bei Bloch nicht länger die Maßverhältnisse des Kruges, sondern was sich an Werden und Geschichte in ihnen aufgespeichert hat. Das Tempo Blochs ist auch Ungeduld mit der Kultur, die das Noch-nicht-Gewesene verstellt. Die Simmelsche Wald-und-Wiesen-Metaphysik ist bei Bloch verbrannt. Mensch und Krug gleichen sich nicht länger in ihrer dünnen Doppelzugehörigkeit zur Welt ästhetischer Autonomie und praktischer Zweckmäßigkeit. Der Krug Blochs bin ich selber, wörtlich und unmittelbar, dumpfes Muster dessen, was ich werden könnte und nicht sein darf.

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4. Öffentlichkeit – was ist das eigentlich?

Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen im Gespräch
Sendung; 18.03.1964
Regie: Horst Krüger
Laufzeit: 56:55

Öffentlicheit als Kategorie und bestimmende Form des Bewusstseins ist aus einer Polemik entstanden, die John Locke im Gegensatz zur geheimen Kabinettspolitik formulierte. Es sollte öffentlich werden was von allgemeinem Interesse ist. Öffentlichkeit ist damit die Beschreibung einer zu erfüllenden Funktion. Der Begriff hat sich inzwischen verselbstständigt und ist zu einer eigenen Macht geworden, einer Sphäre, in das, was zwischen Menschen stattfindet, verdinglicht wird. Der Begriff der Öffentlichkeit geht dabei an Institutionen wie die Medien über, so dass nur das als Öffentlichkeit wahrgenommen wird, was in ihnen erscheint. Gesellschaftliche Fragen werden in den Medien generell privatisiert, etwa bei Wahlen mit der Frage: Wer ist der beste Mann? Das Öffentliche wird hinter dem Schleier des Privaten präsentiert. Das hingegen, was Schutz verdiente, die Privatsphäre der einzelnen Menschen, wird ununterbrochen in die Öffentlichkeit gezerrt. Intimsphäre ist damit das, worüber alle reden. In einer Gesellschaft konkurrierender Wirtschafts- und Klasseninteressen, besteht ein Interesse an Geheimhaltung. Doch in der Geheimhaltung liegt auch ein Moment der Negativität, es ist das Tuscheln der Schamanen, die es besser wissen. Wenn in der Welt, in der wir leben, die einzelnen Gruppen zu Geheimnis und Intrige gezwungen sind, so hat die Öffentlichkeit zumindest das Recht, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Die Presse als Medium der Öffentlichkeit hat selbst den Charakter einer öffentlichen Einrichtung. Gleichzeitig erklärt sie ihre eigenen Interessen für die der Öffentlichkeit. Die Medien haben eine privilegierte Stellung. Sobald man in den Raum der Öffentlichkeit eintritt, entsteht eine Potenzierung der Lebenswirklichkeit. Auf der anderen Seite hat das öffentliche Ansehen ein Moment des Scheinhaften. Eine öffentliche Figur zu sein, hat immer auch etwas vom Schauspieler der öffentlichen Rolle. Neben dem Realisierungseffekt gibt es auch einen Vernichtungseffekt. Ein Politiker, der auf dem Fernsehschirm versagt, ist für die Politik unbrauchbar. Was man früher Revolution nannte, sind heute nur noch Verwaltungsakte, die inszeniert werden. Diese Kategorien der Kritik, mit denen das Scheinhafte des Öffentlichen bezeichnet wird, dürfen jedoch nicht den Menschen selbst zugeschrieben werden, Die Öffentlichkeit ist eine noch nicht verwirklichte. Sie ist eine Ideologie, jedoch eine Ideologie, die die Möglichkeit hat, ihre eigenen Verhältnisse zu durchstoßen.

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5. Ist die Soziologie eine Wissenschaft vom Menschen?

Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen im Gespräch
Sendung; 28.03.1966, SWF
Laufzeit: 50:07

Die Soziologie ist im Wesentlichen eine Wissenschaft, die sich auf kulturelle Momente bezieht und sich nicht auf anthropologische Prinzipien reduzieren lässt, da es vor dem Menschen keine Kultur gab. Die wichtige Frage der Soziologie ist die, ob krisenhafte Momente der Gesellschaft auf den Menschen selbst zurückzuführen sind oder auf Verhältnisse, die zwar vom Menschen geschaffen wurden, sich aber verselbstständigt haben. Der Fortschritt vollzieht sich heute von selbst. Materielle Lebensgüter und geistige Lebensreize werden immer mehr Menschen zugängig. Hauptsächlich ist es jedoch eine Fortschritt innerhalb der Naturbeherrschung. Die Menschheit ist durch ihn nicht mündig geworden. Das universale Tauschprinzip scheidet die spezifischen Eigenarten der zu tauschenden Güter ab, ebenso die spezifischen Arbeitsformen der Produzierenden und die spezifischen Bedürfnisse derer, die sie empfangen. Gesellschaftliche Verhältnisse werden durch die Technik verdeckt. Der Kalte Krieg hat dazu geführt, dass die saubere Scheidung von Krieg und Frieden nicht mehr gilt. Das alles sind Erstmaligkeiten, für deren Beschreibung die Worte fehlen. Die Menschen sind heute in einem zuvor nicht gekannten Maß von den Institutionen abhängig. Die Institutionen stehen den Menschen als fremde und bedrohliche Macht gegenüber, als eine Fatalität, derer sie sich kaum erwehren können. Diese Fatalität entsteht aus der Tatsache, dass menschliche Verhältnisse und Beziehungen zwischen Menschen sich selbst undurchsichtig geworden sind. Institutionen sind bewahrend und verzehrend. Sie fordern Anpassungsprozesse, die zu einer Verkrüppelung des Menschen führen. Das Verhältnis vieler Menschen zur Technik wird dabei neurotisch. Der Defekt ist zur Norm geworden. Die Menschen bewegen sich viel zu genau in den ihnen vorgezeichneten Bahnen. Sie beziehen daraus eine gewisse Sicherheit im Bezug auf die Realität, entkommen jedoch nicht einer Realangst, die sich aus dem Wissen speist, dass es auch ohne sie geht. Solange man die Menschen entlastet und ihnen nicht die ganze Verantwortung und Selbstbestimmung zumutet, ist ihr Glück in dieser Welt ein Schein, der eines Tages platzen wird. Die Not, die den Menschen zu den entlastenden Institutionen treibt, wird ihnen genau von diesen Institutionen aufgebürdet. Man flüchtet sich zu genau der Macht, die einem das Unheil überhaupt erst antut. Es ist eine Identifikation mit dem Angreifer. Aus dieser Lage kann uns, wie Grabbe sagt, nichts als nur Verzweiflung noch retten.

Downlad (via MF)

6. Soziologische Erfahrungen an der modernen Kunst

Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen im Gespräch
Sendung: 28.03.1966, SWF
Laufzeit: 50:07

Bisher war es so, dass die Kunstwerke für einen Liebhaber oder Käufer gedacht waren. Mittlerweile soll das Kollektiv mit der Kunst angesprochen werden. Gerade weil die Beziehung zwischen Kunst und Kollektiv gestört ist, versucht die Kunst diese Grenze zu überspringen. Happening ist zum Beispiel eine Inszenierung von Leben, die Vortäuschung, dass etwas passiert. Es ist ein Versuch, das, was an Leben ausgetrieben ist, das Moment der Unmittelbarkeit und Spontaneität, als Fiktion wieder herzustellen. Gerade weil die Oberfläche der Gesellschaft so dicht ist, dass sie das Wesen dieser Gesellschaft nicht mehr durchlässt, wird die gesellschaftliche Betrachtung auf die Kunst verwiesen. Die Kunst zeigt in einer Art von Chiffre viel von den verborgenen Elementen der Gesellschaft. Sie fällt dabei keine Urteile und braucht keine Begriffe, auch setzt sie keinen positiven Sinn. Sie hat aber insofern Sinn, als sie menschliche Erfahrung ausdrückt und einen Zustand der Gesellschaft widerspiegelt. Diese in der Kunst verkörperten Inhalte bedürfen jedoch der soziologischen und philosophischen Interpretation. Ein Kunstwerk, das sich jeder möglichen Kritik entzieht, gibt damit auch seinen Wahrheitsanspruch auf und ist damit kein Kunstwerk mehr. Dabei gibt es Kunstwerke, die in sich selbst an die Grenze des Schweigens gehen, die eigene Lädiertheit ausdrücken und in ihrer Isolation dennoch einen Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse zu Stande bringen. Eigentliches lässt sich jedoch nicht mehr sagen, so dass sich für jeden ernsthaften Künstler die Frage stellt, ob er nicht aufhören soll. Das Verhältnis der Kunst zur rationalisierten Welt war immer doppeldeutig. Auf der einen Seite hat die Kunst Protest gegen die Verdinglichung ausgesprochen, auf der anderen Seite war sie immer auch in den Prozess eingeordnet und hatte an ihm Teil. Das Verhältnis der Kunst zur Welt der Rationalität ist auch nicht hoffnungslos zufällig, da sie in sich technische Kriterien ausbildet und eigene Gesetzmäßigkeiten hat, an denen sie sich erkennen lässt. Zwar redet kein Mensch mehr von Perspektive oder Harmonielehre, dennoch gehen diese Elemente als erfahrene und negierte in das Kunstwerk ein. Im Widerstand der Kunst gegen die Ordnung der Welt liegt das, was menschenwürdig an ihr ist, denn sie drückt die Hoffnung aus, dass es nicht immer so bleiben muss.

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Die zip-Packeges sind mit einem Passwort geschützt:

Schnabelfeld

Ausbeutung – Ungleichheit – soziale Kämpfe in der Gegenwart

Sowohl für die kritische Gesellschaftstheorie als auch für die sozialen Bewegungen ist ungeklärt, welche analytischen und handlungsrelevanten Einsichten die Anwendung des Klassenbegriffs auf die heutige Sozialstruktur bietet, ja ob es überhaupt möglich ist, von sozialen Klassen zu sprechen.

Class Counts – selbst wer am Klassenbegriff festhält, weil alle Alternativangebote (Schicht, Milieu, Multitude) kapitalismustheoretisch fragwürdig sind, steht vor Unklarheiten: Wie ist die gegenwärtige Klassenlandschaft zu kartographieren? Welche bekannten Klassen­formationen existieren in welcher Gestalt fort, welche entstehen neu? Lässt sich in den Prozessen der Neuzusammensetzung die Ausbildung von Klassenbewusstsein beobachten? Wie entscheidend ist der (Nicht-)Besitz von Produktionsmitteln – zumal der informationstechnischen, die sich mehr und mehr verallgemeinern? Wie hängt der „arbeitsweltliche“ Klassenbegriff mit außerbetrieblichen kulturellen Praxen zusammen? Darüber hinaus: Wie artikulieren sich Klassen(-fraktionen) auf der Ebene der (staatlichen, zivilgesellschaftlichen) Politik? Welche Konsequenzen (für Gewerkschaften und soziale Bewegungen) sind aus einer aktuellen Klassenanalyse sinnvoller Weise zu ziehen?

Die Veranstaltung soll sowohl zeitdiagnostische Fragen diskutieren als auch mögliche theoretische Zugänge prüfen und nicht zuletzt Folgen für Strategie und Praxis emanzipatorischer Politik abwägen. Herausforderung, aber auch Chance liegen in der Integration wissenschaftlicher und bewegungsorientierter Perspektiven.

Download und Hören (via archive.org)

Programmübersicht, Thesenpapier und Inputs zur Konferenz hier.