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»Ein Jahrhundert verlassen!«

Vom Mythos der russischen Kommune
zum Spektakel um 1917

Im Oktober 2017 haben Zwi und Negator auf Einladung des Anachistischen Netzwerks Stuttgart einen Vortrag zur Geschichte der Oktoberrevolution gehalten. Schwerpunkte des Vortrags liegen auf den trügerischen Bildern, die um die „große sozialistische Oktoberrevolution“ entstanden sind; dem Bezugspunkt der Kommune in der Revolution (Pariser Commune, die bäuerliche Kommune bzw. Obshchina bzw. commune rural); dem Antisemitismus, der sich gegen die Revolution richtet und sie begleitet.

In der herrschenden Geschichtsschreibung wirkt der Oktober 1917 wie ein riesenhafter retrospektiver Zerrspiegel. Die Verhältnisse zwischen den Gesellschaftsklassen, Organisationen, Nationen und Personen erscheinen darin bis heute in der Regel als Personenkult mit positiven oder negativen Vorzeichen, zugleich entzünden sich hier wie in einem Brennspiegel immer neu die linken Rivalitäten um die Repräsentation der Revolution. In der Jahrhundertbilanz gar hat sich eine totale Spiegelverkehrung im Blick auf das «sowjetische System» 1917-1991 eingestellt: «Das war der Kommunismus» (Schwarzbuch). Und so können die für jene Ära aufgerechneten zig Millionen Menschenopfer des «Realsozialismus» als dessen notwendige Betriebskosten verbucht werden: mit Lamento oder Achselzucken, je nachdem, aus welcher Perspektive der jeweils «besten aller möglichen Welten». Was von der «Großen Sozialistischen Oktoberrevolution“ seine Legitimation für den «Arbeiter- und Bauern-Staat» als angeblicher «Übergangsgesellschaft» zur Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen bezog, ist von der andauernden Herrschaft totaler Warenproduktion und -konsumtion über die Menschen, von einer «klassenlosen Klassengesellschaft» die keinen Widerspruch mehr duldet, integriert worden. Gerade auch in Russland.

Radikale Kritik der seit 1917 dergestalt veränderten weltkapitalistischen Herrschaft erfordert die Reflexion auf ihre wirklichen historischen Grundlagen, d.h. die besonderen Produktionsverhältnisse und den Charakter ihrer Umwälzung. Diese Arbeit einer materialistischen Erklärung der gesellschaftlichen «Spiegelbilder» und ideologischen Spiegelverkehrungen wurde von der situationistischen Spektakelkritik angegangen, um «das 20. Jahrhundert verlassen» zu können. Die Frage ist aber, ob Letzteres «nach hinten», in einen vor- und antimodernen romantischen Antikapitalismus, oder in Richtung auf eine communistische Produktionsweise und Zivilisation im Weltmaßstab des 21. Jahrhunderts geht.

Im Versuch einer spektakelkritischen Skizze soll an diesem Abend der besondere russische Ursprung und Verlauf der «Revolution in Permanenz“ vor und nach 1917 vor Augen geführt werden. Die Reflexion der bäuerlichen, bürgerlichen und proletarischen Revolutionszwecke ineinander wird als blutig roten Faden auch etwas sichtbar machen, was sich als spiegelverkehrende Konter-Revolution schlechthin gegen alle diese wirklichen Bewegungsmomente gekehrt hat. Immer wieder, bis in das Welt-Bild des heutigen Russland hinein.

Vom Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator stammen zwei Bände über „Situationistische Revolutionstheorie“ in der Reihe theorie.org [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 316.1 MB; 3:17:17 h)

Der im Vortrag erwähnte Film „Die Kommissarin“ (1967/1987) findet sich hier. Siehe auch »Vorwärts und nicht vergessen!«.

Asja Lācis: Regisseurin, revolutionär im Beruf

Jolande Fleck veröffentlicht auf RabanRadio Features, Radio-Beiträge und Sendungen – oft entstanden im Kontext von Radio Corax. Seit Kurzem ist dort eine zwei-stündige Radiosendung über Asja Lācis zu finden, die wir im Folgenden dokumentieren.

Asja Lacis (1891-1979) war eine linke Theaterfrau aus Lettland, die, neben politischen Theater- und Kinoprojekten, vor allem netzwerkte und so Kulturschaffende und Künstler aus der Sowjetunion und Deutschland miteinander bekannt machte. Mit einigen Protagonisten im Kunst- und Kulturbetrieb ihrer Zeit war sie freundschaftlich verbunden und arbeitete zeitweise eng zusammen (die prominentesten unter ihnen wohl Brecht, Benjamin, Feuchtwanger, Piscator, Meyerhold, Kracauer, Toller u.v.m.). Auch beteiligte sie sich rege am zeitgenössischen Diskurs über Form, Inhalt und Potential polititsch-ästhetischer Interventionen, spannenderweise vor allem durch praktisches Eingreifen. [via]

In der Sendung werden einige Abschnitte aus dem Leben von Asja Lācis geschildert – u.a. Erfahrungsberichte ihrer Theaterarbeit, Erinnerungen an ihre Berliner Zeit, ihre Freundschaft mit Walter Benjamin. Im Zentrum der Radiosendung steht das proletarische Kindertheater, das Asja Lācis in Orjol gegründet hat und für das Walter Benjamin später das Programm des proletarischen Kindertheaters geschrieben hat. Dabei sind (erstmals im Original) einige Erinnerungen von Asja Lācis zu hören. Zu Wort kommen außerdem Karin Burk (siehe das Interview hier), Beata Paškevica (siehe das Interview hier) und Andris Brinkmanis.

    Download: via AArchiv (mp3; 110 MB; 2 h)

Lenin und die Oktoberrevolution

Lenins Werdegang, seine Wandlungen und zentrale Konzepte

Im Rahmen der Libertären Reihe in Halle hat Raban Witt einen sehr informativen Vortrag über W.I. Lenin gehalten. Er gibt im Vortrag eine kurze Skizze der Biografie Lenins, schildert im Bezug auf Lenins Rolle den Verlauf der Oktoberrevolution und die ersten Phasen der Sowjetunion und widmet sich zuletzt dem Staatsverständnis wie es in Lenins Schrift „Staat und Revolution“ entwickelt wird. Der Vortrag geht fließend in die Diskussion über, die Aufnahme bricht leider irgendwann ab. [Thematisch ähnliche Vorträge hat Witt auch in Frankfurt, Bremen und Wien gehalten – vielleicht existieren hier vollständige Mitschnitte, die uns die entsprechenden Gruppen zur Verfügung stellen können? edit: Der Vortrag, den Raban Witt in Bremen gehalten hat, steht nun hier zur Verfügung.]

    Download: via AArchiv | via archive.org | via youtube (NokturnalTimes)

Über einige Aspekte der Kritik an Lenin hat Raban Witt nach einem seiner Vorträge im Interview mit der Wüsten Welle gesprochen:

    Download: via FRN

Die Russische Revolution aus libertärer Sicht

Eng verbunden mit dem Wirken Lenins ist ohne Zweifel die Oktoberrevolution von 1917. Ebenfalls in der Libertären Reihe fand ein Vortrag über die Russische Revolution aus libertärer Sicht statt. Die zwei Genossen von der FAU referieren über die geografischen und politischen Bedingungen und den Verlauf der Russischen Revolution und legen dabei einen Fokus auf revolutionäre Gruppen links von den Bolschewiki. Vgl. auch Der Kronstadt-Aufstand.

    Download: via AArchiv | via archive.org

Zum Thema sei auch der Band „Marxistischer Antileninismus“ empfohlen, in dem u.a. die „Thesen über den Bolschewismus“ von Helmut Wagner (im ca-ira-Band fälschlicherweise der Gruppe Internationaler Kommunisten zugerechnet) enthalten sind. In der Libertären Reihe fanden zudem weitere interessante Vorträge statt, von denen zum Teil Mitschnitte existieren (siehe hier oder hier) auf die eventuell nochmal gesondert hingewiesen wird.