Schlagwort-Archive: Jan Gerber

Der 2. Juni 1967 und die Folgen

Vor wenigen Tagen jährte sich der Todestag von Benno Ohnesorg zum 50. mal. In den Erzählungen über die Ursachen jener Bewegung, die später mit der Chiffre 1968 bezeichnet wurde, spielt der 2. Juni 1967 eine zentrale Rolle. Am 2. Juni 2017 wurde viel über dieses Datum gesprochen – wir dokumentieren hier einige Beiträge, die unseres Erachtens über eine unpolitische Jahrestagserinnerung hinausgehen.

1.) Benno Ohnesorg – Chronik einer Hinrichtung

Kürzlich hat Margot Overath (die u.a. ein sehr hörenswertes Feature über den Mord an Oury Jalloh produziert hat) ein Feature über die Ermordung von Benno Ohnesorg veröffentlicht. Dafür sprach sie mit Zeitzeugen und am Einsatz beteiligten Polizeibeamten über die Tat, den Tag und die Folgen bis heute. Ergänzend dazu siehe dieses Interview mit Uwe Soukup, der ebenfalls im Feature von Overath zu Wort kommt.

    Download: via SWR2 | via MF (mp3; 74.8; 54:30 min)

2.) Die studentische Linke, der Tod Benno Ohnesorgs und der 6-Tage-Krieg Israels

Ein Feature von Peter Leusch rekonstruiert die Ereignisse jener Jahre unter einem anderen Blickwinkel: Die Ermordung Benno Ohnesorgs geschah kurz vor dem 6-Tagekrieg, in dessen Folge sich die Beziehung der westdeutschen Linken zu Israel grundlegend veränderte. Leusch rekonstruiert diese Diskursverschiebung und geht dabei u.a. auf den Faschismusbegriff der Neuen Linken und ihr Verhältnis zur kritischen Theorie ein.

    Download: via ARD | via MF (mp3; 13.6 MB; 14:54 min)

3.) Das proletatrische 1968

Im Tagesaktuellen Programm von Radio Corax war der 2. Juni ein Anlass, um über 1968 zu sprechen. Ein oft ausgeblendeter Umstand ist, dass 1968 auch mit erheblichen ökonomischen Verschiebungen und mit Klassenauseinandersetzungen verbunden war. Bernd Gehrke und Gerd-Rainer Horn haben hierzu ein Buch mit dem Titel „1968 und die Arbeiter : Studien zum ‚proletarischen Mai‘ in Europa“ veröffentlicht. Radio Corax sprach mit Bernd Gehrke über dieses Buch. (Zum Thema außerdem interessant und materialreich: „Das proletarische 1968“ von Nelke.)

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 27:42 min)

4.) Rekonstruktion einer Niederlage

Der 2. Juni 1967 und der bewaffnete Kampf sind unweigerlich miteinander verbunden – die Bewegung 2. Juni hat das Ereignis zu ihrem Namen gemacht. Der 2. Juni 1967 war eines von mehreren Ereignissen, das zu einer Entwicklung führte, in der die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen dem Staat und linken Gruppen unausweichlich schien. Darüber sprach Radio Corax mit Karl-Heinz Dellwo. Der ist ehemaliges Mitglied der RAF und heute Mitbetreiber des Laika-Verlags. (Das Gespräch enthält in der ersten Hälfte zahlreiche Störgeräusche – das ändert sich ab der zweiten Hälfte.)

    Download: via FRN (mp3; 40 MB; 35:04 min)

5.) Anmerkungen zum Jahr 1968

In den Nachrichten aus dem beschädigten Leben vom 25. Januar 2016 kam Jan Gerber über 1968 zu Wort. Er rekonstruiert 1968 als Teil einer Modernisierungsbewegung des Kapitalismus – die 1968er haben dem Kapital zu einer Neuausrichtung verholfen:

    Download: via FRN (mp3; 13 MB; 7:50 min)

Dieser Kommentar wurde wiederum kritisch von einem Moderatoren von Radio Corax kommentiert:

    Download: via FRN (mp3; 0.7 MB; 4:16 min)

Auf dem Blog der interventionistischen Linken wurde übrigens ein lesenswertes Interview mit einem ehemaligen Mitglied der Bewegung 2. Juni veröffentlicht – die Interventionistische Linke ruft angesichts einiger Jahrestage zu einer Debatte über Geschichtspolitik auf. Zum Thema sei außerdem empfohlen: Johannes Agnoli – 1968 und die Folgen (da dieses Buch über den ça ira Verlag leider nicht mehr lieferbar ist, muss man im Internet findig sein).

Deutsche Dörfer: Comeback der 90er?

Im Zuge der Leipziger Buchmesse lud die Jungle World ins Conne Island um über den Antirassismus im Zeichen der Nazi- und Bürgerproteste gegen Flüchtlingsheime diskutieren zu lassen. Der knapp zweistündige Mitschnitt der Veranstaltung gibt einen bemerkenswerten Einblick in den Zustand der hiesigen Linken im Jahr 2014: Christian Jakob weist zu Beginn sachlich auf die (durchaus verbesserte, aber weiterhin desaströse) Situation von Flüchtlingen in Deutschland hin, Jennifer Stange erinnert daran, dass es Proteste gegen Notunterkünfte nicht nur in der Zone gab/gibt und während Felix Fiedler in den Flüchtlingsprotesten eine neue Perspektive für die radikale Linke sieht, macht Jan (Georg) Gerber auf das instrumentelle Verhältnis dieser in Bezug auf Flüchtlinge aufmerksam.

Die Zahl rechtsextremer Angriffe auf Flüchtlingsheime hat sich 2013 im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt. Bürger protestieren gemeinsam mit Nazis gegen die Unterbringung von Asylsuchenden. Das erinnert an die neunziger Jahre. Gleichzeitig haben Flüchtlinge den Widerstand gegen das Migrationsregime mehr und mehr selbst in die Hand genommen und die Flüchtlingsabwehr hat sich an die europäischen Außengrenzen verlagert. Wie geht die Linke mit dieser Situation um? Muss sich antirassistische Arbeit zuerst gegen den gesellschaftlichen Rassismus wenden oder gegen die staatliche Flüchtlingspolitik? Ist wieder klassische Antifa-Arbeit gefragt? Oder geht es jetzt darum, vor allem Flüchtlinge bei ihrem Kampf zu unterstützen?
Die Wochenzeitung „Jungle World“ diskutiert dies mit Christian Jakob, Felix Fiedler, Jennifer Stange, Jan-Georg Gerber. Moderation: Ivo Bozic

    Download: via AArchiv (mp3)

Once again: Deutschland? Nie wieder [?]

Am Tag nationaler Selbstbeweihräucherung, in einem Jahr in dem immer offensichtlicher zum omnipräsentem ökonomischen Sachzwang die Niedertracht politischer Nötigung durch die europäische Hegemonialmacht – den „Zuchtmeister“ – Deutschland hinzutritt, will das Audioarchiv einmal mehr auf (theoretische) Bemühungen verweisen, die versuchen Kontinuität und Wandel deutscher Ideologie zu bestimmen.
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Recht auf Stadt & Recht auf Party

Auf Radio Corax werden immer wieder sehr hörenswerte Features gesendet. Zwei davon seien hier dokumentiert:

Zur Ambivalenz der heutigen und der anderen Stadt: Im Feature kommen sowohl Vertreter_innen der Anti-Gentrifizierungsbewegung zu Wort, als auch die Kritiker_innen dieser Bewegung. Zu hören sind Andrej Holm (Stadtsoziologe), Gesine Leyk (Radio Corax), Roger Behrens (Philosoph), Karsten Jost (Initiative Media Spree versenken), und Jean Baudrillard.

Seit einigen Jahren beklagen Initiativen, die Gentrifizierung bekämpfen, eine neoliberale Stadtpolitik, die sich dem Regime der Kapitalakkumulation unterwirft. Doch ist dieses Regime wirklich so neu? Und was ist eigentlich vom utopischen Moment einer Auseinandersetzung mit Städten geblieben? Ein Moment, der nicht für Mitgestaltung, sondern für das Recht auf ein ganz anderes Leben steht. Wir sprechen mit Menschen, die sich weigern die (städtische) Realität als die einzig Mögliche anzuerkennen und wir sprechen mit Menschen, die sich im Bereich des Möglichen versuchen zu behaupten. [via]

Bis zur Revolution… Gedanken zum Hedonismus: Diskutiert wird das Konzept des Hedonismus in seiner Widersprüchlichkeit innerhalb und außerhalb der linken Szene. Zu Wort kommen Torsun (Egotronic), Chris (Beatpunk), Sebastian Tränkle (Vgl. Phase 2 (Ausgabe 33) – „Alle Lust will Ewigkeit„), Johannes Ullmaier (Testcard), Jan Gerber (Vgl. Bahamas 57 – „Die Partei des Glücks“), Nina Scholz (Hate Mag), Mark Terkessidis (Mainstream der Minderheiten) und Vertreter der Hedonistischen Internationale.

Nicht selten ist das, was als links und revolutionär angepriesen wird, vom selben Arbeits- und Konkurrenzfetisch geprägt wie im Bestehenden. Für einige bleibt da nur noch der Rückzug aus den praktischen Zusammenhängen ins Reich der reinen Kritik, aus dem heraus sich ab und an in einer hedonistischen Party gegönnt wird. Nicht die schlechteste Idee, findet Sebastian Tränkle, der hier in den nächsten Minuten (auch) zu Wort kommen wird. Für Tränkle verlangt dennoch die Kritik Reflexion auch in Bezug aufs Feiern. Wird der Abschlag nämlich fürs Ganze genommen, dann ist auch die Suche nach dem guten Leben nur die Einrichtung in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus. Ein Collage zum Hedonismus als Ideologie der Selbstbefreiung. [via]

Rote Armee Fiktion

Im Folgenden sei eine etwas ältere Veranstaltung dokumentiert, die 2007 für einigen Trubel gesorgt hat: Die Werbeveranstaltung für das Buch »Rote Armee Fiktion« mit Jan Gerber und Joachim Bruhn auf der linken Literaturmesse in Nürnberg am 15.12.2007. Im ersten Part referiert Bruhn und streift darin in gewohnter Polemik zahlreiche Aspekte zum Thema RAF und Deutscher Herbst: Das Attentat als Berufsrisiko für Politiker in der Klassengesellschaft, die RAF als Naturkatastrophe der bürgerlichen Gesellschaft usw. Er formuliert sowohl eine Kritik an der Aufregung über die RAF, als auch an der RAF selbst – diese hat, so Bruhn, dem revolutionären Projekt geschadet, da sie den Begriff der Charaktermaske ruiniert hat und zudem nicht auf die Aneignung von Reichtum, sondern auf das Anzünden von Kaufhäusern gesetzt hat. Zentral ist dabei auch der Antizionismus der RAF und der RZ. Jan Gerber versucht die RAF in eine Geschichte der Protestbewegung nach ’68 einzuordnen und kritisiert ebenfalls sowohl die Herrschaft, die, sobald es um die RAF geht, in ein Gestammel des gesunden Menschenverstandes verfällt, als auch die RAF selber, die er als »ideelle Gesamtlinke« bezeichnet. Ob es sich bei der Kritik der beiden an der RAF nun um eine »solidarische Kritik« handelt oder nicht, ist dann zentraler Gegenstand der Diskussion.

    Download: via ISF (mp3; 22 MB; 1 h 36:02 min) oder nachbearbeitet (trotzdem relativ schlechte Klanqqualität) via AArchiv (mp3; 16,5 MB)

Am obigen Beitrag ist es also möglich nachzuprüfen, ob oder wie Joachim Bruhn und Jan Gerber die Gesprächskultur auf der linken Literaturmesse zerstört oder dies zumindest versucht haben – dies war nämlich der zentrale Vorwurf, mit dem schließlich der Ausschluss des ça ira Verlags von der linken Literaturmesse begründet wurde (siehe die Erklärung des ça ira Verlags). In einem Gespräch mit dem FSK haben dann Norbert von der AG Kritische Theorie und Joachim Bruhn ihre Sicht auf die Vorgänge des Ausschlusses geschildert. Das Interview enthält sowohl eine Vorstellung des ça ira Verlags als auch der AG Kritische Theorie, welche den ça ira Verlag damals auf der Literaturmesse vertreten hatte:

    Download: via FRN (mp3; 29,8 MB; 25:59 min)

Nachprüfbar ist ebenfalls, ob Joachim Bruhns Seitenhieb gegen Jutta Ditfurths Ulrike-Meinhof-Biographie zutrifft, die er in seinem Vortragsteil als »Terror-Soap« unter dem Niveau bürgerlicher Geschichtsschreibung beschreibt und sie vor allem als Ideal- bzw. Wunschbiographie Ditfurths selbst versteht. In zwei Interviews mit Ditfurth erfährt man, neben einigen Details über die Person Meinhof und die bisherige Behandlung dieser Person im allgemeinen Kanon der bundesdeutschen Literatur und Presse, auch einiges über Ditfurth selbst: dass sie cool und mit Profis gegen Verleumdungen in der Presse vorgeht, wie sie aufopferungsvoll viele Jahre an dieser Biographie gearbeitet hat, dass Kunst, Literatur und Politik ihr Leben sind und dass sie meint, dass Veränderung und Gegenöffentlichkeit eher aus einer anderen Welt kommen (dass eine solche möglich ist, wissen wir ja bereits):

  • Interview mit J. Ditfurth von Klaus Blödow vom NEWS Magazin: via FRN (mp3; 25,8 MB; 37:35 min)
  • Interview mit J. Ditfurth von Roger Spindler vom Schweizer Freien Radio RaBe: via archive.org (mp3; 48 MB; 59:54 min)

Die Erhöhung des Tiers und die Erniedrigung des Menschen. Zur Debatte um den (Anti-)Speziesismus

Der Mensch ist dem Tier gleich in seiner Leidensfähigkeit und ist doch als geist- und kulturbegabtes Wesen mehr als ein Tier, mehr als nur Naturwesen. Diese (Nicht-)Identität von Mensch und Tier ist Dreh- und Angelpunkt der innerlinken Auseinandersetzung um politischen Veganismus und das Konzept des sog. Antispeziesismus. Fordern die einen – über bürgerlichen Tierschutz hinaus und gegen die staatsidealistischen Versuche der Tierrechtsbewegung, „nichtmenschlichen Individuen“ zum Subjektstatus zu verhelfen – die Abschaffung aller Einrichtungen der Herrschaft von Menschen über Tiere im Zuge einer sozialen Revolution und den Verzicht auf tierische Produkte im Hier und Jetzt, so sehen die andern in der Grenzverwischung zwischen Mensch und Natur Aufklärungsverrat, Zivilisationsfeindschaft und Antihumanismus und verweisen auf die völkischen Wurzeln der Tierschutzbewegung in Deutschland.
Ich möchte hier einiges zu dieser Problematik versammeln.

  1. Vorbei mit den Grenzen. Warum sich der Mensch nur graduell vom Tier unterscheidet. Von Volker Sommer. SWR2 Aula vom 22.11.2009.
    Der Glaube an einen prinzipiellen Unterschied zwischen Tier und Mensch ist weit verbreitet. Doch diese Auffassung ist – aus naturwissenschaftlicher Perspektive – nicht mehr zu halten. Die Evolutionsbiologie zeigt: Mensch und Tier unterscheiden sich nur graduell, das betrifft die Emotionen, die Kognition, das Verhalten.

    Download (ca. 28 Minuten, 13 MB)

  2. Das Philosophische Radio mit Markus Wild über Mensch und Tier

    Download: via WDR5 | via MF (24 MB; 52 Minuten)

  3. Radio Dreyeckland, Freiburg: (Anti-)Speziesismus – eine tierische Studiodebatte

    Antispeziesismus ist die angesagte Bewegung. Auch in Freiburg werden die Aktivist_innen zahlreicher.
    Die Antispes wenden sich dagegen, dass Tiere aufgrund ihrer Spezies als minderwertig wahrgenommen und vom Menschen ausgebeutet werden. Speziesismus gilt ihnen als antiemanzipatorische gesellschaftliche Ideologie, vergleichbar mit Sexismus oder Rassismus.
    Ist der Antispeziesismus also eine überfällige Voraussetzung für emanzipatorische Politik? Oder eine gefährliche Herabsetzung von Menschen?
    Diese und weitere Fragen wurden im Studio mit vier Gästen diskutiert. Geladen waren Niels, ein selbsternannter Speziesist, zwei vegane TierrechtsaktivistInnen, die beide unter anderem in der AntiSpe Freiburg aktiv sind und Winni, der kürzlich einen Anti-AntiSpe-Text im Korraktor verfasst hat. Dabei standen die Themen Mensch-Tier-Verhältnis, Herrschafts- und Zivilisationskritik, das Konzept Anti-Speziesismus sowie ökologische Folgen des Fleischkonsums auf dem ambitionierten Programm der spannenden Diskussionsstunde.

    Download via FRN in vier Teilen (45 MB, ca. 50 Minuten)

  4. Jan Gerber und Michael Bauer: Who killed Bambi? Über das regressive Bedürfnis der Tierfreunde
    Aufnahme vom Januar 2007,57 Minuten.

    Im Sommer des letzten Jahres sollte in der Reilstrasse 78 ein Vortrag über das „regressive Bedürfnis der veganen Tierrechtsszene“ stattfinden. Das Zentralkomitee des Hauses konnte es allerdings nicht ertragen, in seinen heiligen und garantiert fleischlosen Hallen Kritisches über seine Religion, den Zusammenhang von Tierliebe und Menschenhass sowie die Frage, warum sich auch Nazis regelmäßig mit „Go-vegan“-T-Shirts schmücken, zu hören. Der Vortrag wurde kurzerhand verboten. Die Veranstaltung wird nun, wie versprochen, nachgeholt. Und zwar definitiv nicht im Mief der Reilstrasse 78.

    Als sich ein Bär, der schnell auf den Namen Bruno getauft wurde, im Sommer in die bayrisch-österreichische Grenzregion verirrte, mutierten die Deutschen parteiübergreifend zum ideellen Gesamtwildhüter. Zeitungen und Nachrichtensendungen berichteten über fast zwei Monate hinweg fast täglich über den „Problembären“, Kinder beteten und zeichneten für ihn, und eine Homepage, die ein kostenloses Bruno-Computerspiel anbot, wurde zu einer der beliebtesten deutschen Internetseiten. Die Hysterie steigerte sich schließlich zum offenen Wahnsinn, als der Bär Ende Juni erlegt wurde. Ganze Schulklassen hielten Schweige- und Gedenkminuten ab, die regionale Tourismusbranche beklagte sich darüber, dass tausende Feriengäste aus Empörung über den Abschuss Abstand von einem Urlaub in der Region genommen hätten, und im Internet wurde ein Kondolenzbuch eingerichtet, dessen Server aufgrund der Überlastung – nach Angaben der Betreiber gab es zeitweise mehr als zehntausend Anfragen pro Sekunde – kurzfristig abgeschaltet werden musste.
    Auf dieser Homepage erklärten die Tierfreunde nicht nur, dass Bruno „einer von uns“ gewesen sei. Sie brachten vielmehr regelmäßig ihre Vernichtungsphantasien zum Ausdruck: Die Jäger, die den Bären erlegt hatten, „sollte man ebenso abschlachten wie Bruno“, sie sollten „hingerichtet“ und „abgeknallt“ werden, und die Verantwortlichen für den Tod des Bären sollten „selbst mal erfahren, was es bedeutet, immer nur gehetzt zu werden“. Die Verfolgungs- und Vernichtungsphantasien beschränkten sich aber nicht nur auf diejenigen, die im Fall des Bären tätig geworden waren. Innerhalb kürzester Zeit warteten die Tierfreunde vielmehr mit weiteren Vorschlägen auf, wer noch alles an Stelle des Tieres hätte getötet werden sollen. Während der Bär, der nur „mal zu Besuch kommt“, „ermordet“ worden sei, so beschwerte sich ein Naturliebhaber, bekämen Vergewaltiger und Kindermörder „auf Staatskosten“ lediglich „eine Tätschel-Tätschel-Therapie“, Kinderschänder „laufen frei rum und sind gefährlicher als ein Bär“ usw.
    Aus diesen Aussagen sprechen nicht nur Verfolgungs- und Vernichtungsbedürfnisse . Sie signalisieren zugleich, dass die Naturfreunde längst nicht mehr bereit sind, einen Unterschied zwischen Mensch und Tier zu machen. Sie geben damit wieder, was vegane Tierrechtler, die derzeitigen Vorreiter der deutschen Tierliebe, seit Jahren propagieren: Tiere sind die besseren Menschen. Während sich ein Teil dieser Szene noch um eine Gleichsetzung von Mensch und Tier bemüht und beispielsweise den Holocaust mit Massentierhaltung vergleicht, predigt ihre Avantgarde bereits das „sanfte Verschwinden der Menschheit von der Erde“. Die Welt der Tierfreunde ist dabei sauber in Gut und Böse unterteilt: Auf der einen Seite stehen die veganen Weltretter und ihre vier- und mehrbeinigen Freunde; auf der anderen Seite befinden sich fiese Tierfeinde, die von Profitgier, Blutrausch und Genusssucht angetrieben werden. Die Mehrheit der heutigen Tierrechtler zögert zwar, diese Personifikation der gesellschaftlichen Verhältnisse weiter zu konkretisieren und die „Mächte des Bösen“, von denen eine Veganer-Crew aus Essen vor einigen Jahren sprach, mit Name und Anschrift zu benennen. Die inoffiziellen Urväter der Bewegung – das völkische Milieu des 19. Jahrhunderts – waren hier allerdings weniger zimperlich; Richard Wagner und seine Freunde hatten auf die Frage „Who killed Bambi“ eine eindeutige Antwort parat: die Juden.
    Im Rahmen des Vortrags soll nicht nur gezeigt werden, warum die Tierfreunde mit ihrer Forderung nach der Gleichsetzung von Mensch und Tier lediglich exekutieren, was ohnehin auf der Tagesordnung steht. Es sollen zugleich die Fragen gestellt werden: In welcher Tradition steht die deutsche Tierliebe? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Tierliebe und Menschenhass? Und: Woher stammt das obsessive Verhältnis veganer Tierrechtler zu Splattervideos aus Schlachthöfen und Fotos von zerstückelten Tieren, ohne die offenbar keine ihrer Kampagnen auskommt?

    Veranstaltet von der AG Antifa im Stura und der ag no tears for krauts

    Download: via AArchiv (19 MB)

    Diskussion des Vortrags u.a. auf veg.gs und im Corax-Forum.

  5. Rosa Luxemburg: Der Büffel. Aus den Briefen aus dem Gefängnis.
    Vertont zu hören auf lesung.podspot.de
    Luxemburgs Ausführungen über den geschundenen Büffel verdeutlichen eine Ambivalenz der Mensch-Tier-Gleichsetzung. „Oh, mein armer Büffel, mein armer, geliebter Bruder, wir stehen hier beide so ohnmächtig und stumpf und sind nur eins in Schmerz, in Ohnmacht, in Sehnsucht“, schreibt sie. Denn nur unter den Verhältnissen von Herrschaft und Ausbeutung, die zwischen Mensch und Tier keinen Unterschied (mehr) machen, ist dieser jenem gleich – im Leiden. Zugleich wird der Mensch in seinem Leiden dem Elend der Tiere gewahr, das für jene ebenso unerträgliche Realität ist wie für ihn. Luxemburgs Beobachtung enthält darüber hinaus einen Hinweis auf die Ursachen der Tierquälerei, die in eben jenen Verhältnissen der Herrschaft entspringt. Schließlich fügen die Soldaten dem Büffel das Leid zu, das sie – keineswegs unverschuldet – selbst erfahren: „Mit uns Menschen hat auch niemand Mitleid“.

Das Ende der Zukunft

Kurzbeschreibung: Dr. Indoktrinator liest drei Texte zur Geschichte und zur Geschichtsphilosphie: »Nach Weltuntergang – die Linke, Auschwitz und das Ende der Geschichte« von Jan Gerber (aus „Jungle World“ 50/2006), »Zehn Thesen gegen Geschichtsphilosophie« (PDF) von Ilse Bindseil (1999) und »Gegen Geschichte« von Tjark Kunstreich (2002).

Sendereihe: Sachzwang FM

Mitwirkende:
Moderation & Sprecher: Dr. Indoktrinator
AutorInnen: Jan Gerber, Ilse Bindseil, Tjark Kunstreich

Links zum Beitrag: Beschreibung auf FRN

Gesamtlänge: 2 Stunden

Audiocharakteristika: mp3, mono, 48 kbit/s

Download: In einem zweistündigen Stück via AArchiv oder via Mediafire oder zwei einstündige Teile via Mediafire: Teil 1, Teil 2 (Gesamtgröße: 42 MB)