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Vortragsreihe über Johannes Agnoli

Wir dokumentieren hier eine Reihe von Vorträgen, die Ali Ma 2019 an verschiedenen Orten in Leipzig gehalten hat. In den vier Vorträgen gibt Ma eine Einführung in je verschiedene Aspekte des Werks von Agnoli. Die Vorträge haben einen sehr grundlegenden und einführenden Charakter. Alle Vorträge können auch bei Mixcloud nachgehört werden, unsere Dateien sind leicht nachbearbeitet.

1.) 1968 und die Folgen – Johannes Agnoli und die ApO

Im ersten Vortrag geht Ma auf Agnolis Reflexionen über 1968 ein (bei ça ira erschienen in einem Sammelband). Um ein Verständnis herzustellen, schildert er zunächst wichtige Ereignisse um 1968 herum und den Verlauf der Bewegung. Anschließend skizziert er, wie Agnoli sich auf die Bewegung von 1968 bezog, wobei das Verhältnis von Erfolg und Niederlage sowie der Begriff der Desintegration hervorgehoben werden. Außerdem geht der Vortrag auf das Faschismus-Verständnis von Agnoli ein. Zuletzt erfolgt ein Ausblick auf das, was für Agnoli „Subversion“ bedeutet. Der im Vortrag erwähnte Film „Das negative Potential“ findet sich hier – die Dokumentation über die Schlacht am Tegeler Weg, auf die im Vortrag ebenfalls Bezug genommen wird, findet sich hier – die Fernsehdiskussion mit Rudi Dutschke und Daniel Cohn-Bendit von 1978 hier.

1968 ist für die Linke und deren Praxis ein wichtiger Ausgangspunkt. Es entstanden Protest- und Organisationsformen, die bis heute prägend sind. Diese wurden in den 70er Jahren weiterentwickelt und beeinflussten die Entstehung der Neuen Sozialen Bewegungen. Um diese besser zu verstehen und einzuordnen sollten die Ereignisse von 68 genauer betrachtet werden.

Agnoli war selbst ein Protagonist dieser Zeit. Als Mitbegründer des Republikanischen Clubs 1967 wirkte er auf die damaligen Proteste ein und verfasste bereits währenddessen wichtige Reflexionen.

Als Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin von 1972 bis 1990 beeinflusste er maßgebend die studentische Linke. Seine politisch-ökonomischen Analysen auf Grundlage der marxistischen Theorie zielten auf eine emanzipatorische Praxis.

In dem Sammelband 1968 und die Folgen wirft Agnoli einen kritischen Blick auf die Revolte. Er beschreibt die Außerparlamentarische Opposition und hinterfragt ihre Wirkung. Dabei greift er die wichtigsten Diskussionen über Theorie und Praxis der Bewegung auf. Provokation und Öffentlichkeit, Basisdemokratie und Willensbildung sind die großen Schlagwörter dieser Zeit. Weitere Themen die im Vortrag anhand seiner Texte vorgestellt werden, sind seine Analyse des Faschismus und der Begriff der Klassenautonomie. Damit setzt er sich erstens mit der Diskussion der damals beginnenden Aufarbeitung des Nationalsozialismus auseinander und bespricht zweitens die Frage nach emanzipatorischen Veränderungen in einer kapitalistischen Gesellschaft.

Der Vortrag soll einen ersten Einstieg in Agnolis Theorien bieten und zu einer kritischen Diskussion über die 68er Ereignisse beitragen.

    Download: via AArchiv (mp3; 107.9 MB; 1:07:19 h)

2.) Die subversive Theorie – Negation und Widerstand

Im zweiten Teil stellt Ma das Buch „Die subversive Theorie“ vor, das eine Verschriftlichung der Vorlesungsreihe enthält, die Johannes Agnoli im Wintersemester 1989/90 an der FU Berlin gehalten hat und einen ideengeschichtlichen Abriss des subversiven Denkens beinhaltet. Während er nur kurz auf die Häretiker des Mittelalters eingeht, rekonstruiert Ma vor allem die begriffliche Essenz des Buches: Den Begriff der Subversion und damit eng verbunden die Begriffe von Negation und Destruktion.

Im Vortrag wird es um eine Annäherung und eine Bestimmung des Begriffs Subversion bei Johannes Agnoli gehen. Sein Buch „Die Subversive Theorie – Die Sache selbst und ihr Geschichte“ basiert auf einer Vorlesung von 1989/90 und ist als Ideengeschichte konzipiert. Agnoli untersuchte Theoretiker_innen von der Antike bis zur Französischen Revolution, die aus seiner Sicht subversiv handelten. Kurz zusammengefasst bedeutet Subversion Herrschaftskritik mit der gleichzeitigen Bewahrung von errungenen Fortschritten und die Benennung von Möglichkeiten der gesellschaftlichen Transformation. Um sich ein Bild davon zu machen, was das genau bedeutet, werden im Vortrag drei wichtige Aspekte genauer betrachtet: Die Vorbereitung auf die Revolution, Theorie&Praxis und die Negation des Bestehenden. Das Besondere an Agnolis Buch ist seine spezielle Form der Dialektik, die er hier veranschaulicht. Denn der Subversion gehe es nicht um die Negation der Negation, sondern um die Negation destructio. Diese spiegelt sich in seiner fesselnden Analyse der Geschichte wieder und macht die Aktualität seiner Herrschaftskritik aus.

    Download: via AArchiv (mp3; 69.9 MB; 43:37 min)

3.) Der Staat des Kapitals – Ein Beitrag zur Kritik der Politik

Den dritten Vortrag hat Ali Ma gemeinsam mit einem Genossen gehalten. Die beiden geben zunächst einen Überblick über linke Staatstheorien, wobei sie vor allem auf die Staatsmonopol-Kapitalismus-Theorie und die Staatsableitungsdebatte eingehen, die Johannes Agnoli sowohl aufgenommen als auch kritisiert hat. Sie rekonstruieren dann Agnolis Staatskritik, in der Agnoli den Staat als ein gesellschaftliches Verhältnis begreift, in dem Herrschaft abstrakt vermittelt ist. Zugrunde liegt hier Agnolis Buch „Der Staat des Kapitals“ (als PDF hier). Die Aufnahme ist leider stark verhallt – daher verweisen wir auf diesen Beitrag, in dem es um Agnolis Buch „Transformation der Demokratie“ geht und seine Staatskritik ebenfalls besprochen wird und auf diese Beiträge zur Staatskritik.

Was ist eigentlich der Staat? Nach Johannes Agnoli ist der Staat der konkrete politische Ausdruck der unterdrückenden Gesellschaft. Er hat im bestehenden System eine gewisse Autonomie gegenüber der Ökonomie, wird aber von dieser in seinem Handlungsspielraum begrenzt. Mit dem Staat ist daher keine Emanzipation und aufgrund seiner herrschaftlich verfassten Form auch kein progressiver Fortschritt zu machen. Um die Relevanz dieser Positionen zu verstehen wird im Vortrag zuerst mit gängigen linken Vorstellungen über den Staat aufgeräumt. Der Staat ist weder ein reines Unterdrückungselement der Kapitalisten, noch bloßer Überbau, hinter dem sich das Kapital versteckt. Sondern er ist konkreter Ausdruck eines Herrschaftsverhältnisses zwischen den Menschen. Er ist Reproduzent und Organisator der Gesellschaft, zudem unterdrückt er soziale Konflikte. Zum Abschluss des Vortrags werden Möglichkeiten der Überwindung des bürgerlich-kapitalistischen Systems diskutiert und welche Aktualität “Der Staat des Kapitals” heute noch hat. Ziel ist es eine Debatte über aktuelle Formen linker Staatskritik anzustoßen und neue, so wie radikale Perspektiven zu eröffnen.

    Download: via AArchiv (mp3; 100.7 MB; 1:02:52 h)

4.) Faschismus ohne Revision – Der italienische Korporativismus

Im vierten Vortrag stellt Ali Ma Agnolis Buch „Faschismus ohne Revision“ vor. Er gibt eine Einführung in die Geschichte des italienischen Faschismus, den er in seinen verschiedenen Phasen skizziert. Im Zentrum steht dabei der Korporativismus als ökonomisches Modell des Faschismus. Er geht außerdem auf den Begriff des Postfaschismus ein, der im Anschluss an Agnoli entwickelt wurde – es geht dabei um die Fragestellung, welche Vermittlungsfunktionen vom Faschismus in die Nachkriegsgesellschaft eingegangen sind. Zuletzt kritisiert er bei Agnoli den geringen Stellenwert des Antisemitismus in der Faschismuskritik. [Anmerkung des Referenten: Minute 15:03 muss „Italien“ hat an der Seite der Franquisten eingegriffen heißen und nicht „Spanien“.]

>Johannes Agnoli analysierte in Faschismus ohne Revision den italienischen Faschismus der 20er und 30er Jahre. Seine Grundthese war, dass der Kapitalismus den Faschismus hervorbringt, in Zeiten in denen die Wirtschaft in der Krise ist und daher eine politisch-autoritäre Stabilisierung benötigt. Historisch wurde dies in Italien durch die Einführung des Korporativen Systems bewerkstelligt. Eine Zusammenarbeit von Unternehmen, Arbeiter_innen und Regierung um gemeinsam die Wirtschaft zu verwalten. Das Besondere daran ist, dass der Klassengegensatz des Kapitalismus dadurch anerkannt wird. Die Aufgabe besteht darin ihn zu verrechtlichen und damit in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Das Ziel war, das es zu keinen sozialen Konflikten kommt.

Anschließend an Agnolis Faschismusanalyse wurde der Begriff des Postfaschismus entwickelt. Damit sind autoritäre Kontinuitäten in den nachfaschistischen Staaten gemeint die bis heute fortbestehen. Genau diese Weiterexistenz in den bestehenden Systemen, sowohl auf staatlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene ist die eigentliche Gefahr, die sich aktuell stellt. Es geht also nicht um die Möglichkeit eines neuen faschistischen Staates, sondern das es diesen bereits gab.

Im Vortrag werden Agnolis Thesen des Korporativismus und des Postfaschismus vorgestellt und ihre Aktualität für die Analyse bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse besprochen.

    Download: via AArchiv (mp3; 77.1 MB; 48:09 min)

„Das Leben ändern, die Welt verändern“

Kunst, Spektakel & Revolution #7

Wir veröffentlichen einen weiteren Sammelbeitrag im Anschluss an die Beitragsreihe Talkin‘ bout a revolution und dokumentieren den siebten Teil der Weimarer Veranstaltungsreihe Kunst, Spektakel & Revolution (Teaser zur Reihe hier). „Das Leben ändern, die Welt verändern“ ist eine Reminiszenz an ein Zitat von André Breton: »›Die Welt verändern‹, hat Marx gesagt; ›das Leben ändern‹, hat Rimbaud gesagt. Diese beiden Losungen sind für uns eine einzige.« Gleichzeitig ist es Titel eines Sammelbandes von Edition Nautilus, in dem Dokumente und Berichte der 68er-Revolte zusammengestellt sind. Die Veranstaltungsreihe dreht sich um 1968, verweigert jedoch die Blickverengung auf ein einziges Jahr und bildet stattdessen einen Zyklus der Revolte von den 50er-Jahren bis in die 80er-Jahre ab.

Den Vortragsmitschnitten sind jeweils Interviews von Radio Corax mit den ReferentInnen vorangestellt, die im Vorfeld der Veranstaltungen entstanden sind. Die Interviews behandeln zum Teil bereits den Gegenstand des jeweiligen Vortrags, enthalten zum Teil aber auch Wissenswertes jenseits des engeren Veranstaltungsprogramms.

1.) »Geht doch arbeiten!« – Nicht-Arbeit und soziale Diskriminierung vom ›Halbstarken‹ bis zum ›Gammler‹

Interview mit Bodo Mrozek über Gammler und andere Sozialtypen in den 50er- und 60er-Jahren:

Ansammlungen von sogenannten Gammlern erregten in den ’60er Jahren großes Aufsehen und sorgten mitunter für äußerst aggressive Reaktionen. Anhand der Figur des Gammlers wurde verhandelt, wie die Öffentlichkeit, die Rollen der Geschlechter und das Verhältnis von Arbeit und Freizeit ausgerichtet sein sollen. Der Historiker Bodo Mrozek hat sich mit der Figur des Gammlers auseinandergesetzt. Da die Forschungen von Bodo Mrozek oft einen popgeschichtlichen Zugang haben, haben wir ihn zunächst gefragt, aus welcher Perspektive und mit welchen Fragestellungen er auf die Bewegung der Gammler blickt. (via)

    Download: via FRN (mp3; 31 MB; 19:10 min)

Im Vortrag schildert Bodo Mrozek (Zentrum für zeithistorische Forschung Potzdam) wie bereits in den 50er-Jahren Subkulturen entstehen, die sich der vorgesehenen Lebensplanung verweigern, in der die Lohnarbeit im Zentrum steht: Eckensteher, Halbstarke, Langhaarige, Gammler… Er geht insbesondere darauf ein, wie die Gesellschaft auf diese Art von Delinquenz reagiert hat und blickt sowohl in die BRD als auch in die DDR.

Ab den 50er Jahren treten in der BRD verschiedene Sozialtypen ins Zentrum von gesellschaftlichen Debatten – etwa Eckensteher, Halbstarke, Langhaarige oder Gammler. An diesen Figuren verdichteten sich auf je unterschiedliche Weise Diskurse über jugendliches Verhalten, Männlichkeit und Weiblichkeit, die Nutzung des öffentlichen Raumes und die Zuständigkeit des Staats. Zentral war dabei auch die tatsächliche oder unterstellte Verweigerung der (Lohn-)Arbeit. Die gegen Abweichler*innen in Stellung gebrachte Nützlichkeitsideologie wurde von Denormalisierungsängsten grundiert und mobilisierte neue Regierungstechnologien, führte aber langfristig zu veränderten Rollenbildern. Bodo Mrozek (Historiker am Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam) geht auf diese Debatten und auf Selbstbeschreibung und Fremdzuschreibung dieser Jugendlichen ein. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 108.1 MB; 1:07:26 h)

Bodo Mrozek spielt im Vortrag zwei Lieder, die in der Aufnahme nicht enthalten sind: Antoine »Les élucubrations« (bei h 1:04), Freddy Quinn »Wir« (bei h 1:06).

2.) Beat und Gammler, Konsum und Verweigerung – Jugend in Westdeutschland

Interview mit Wolfgang Seidel über die „Long Sixties“ in Westdeutschland:

„Alle reden von 1968 – Wir auch.“ Das ist in der aktuellen Programmzeitung von Radio Corax zu lesen. Es ist zugleich hinzugefügt, dass wir einen Unterschied machen wollen: wenn wir das Jubiläum „50 Jahre 1968“ thematisieren, dann mit einer gehöriger Portion Misstrauen gegenüber dem offiziellen Gedenk-Kanon. Die Fokussierung auf das Jahr 1968 ist verkehrt – es geht um eine langfristigere Entwicklung. Und diese Entwicklung war am wenigsten von der Studentenbewegung geprägt, wenngleich sich aus ihren Reihen diejenigen erhoben haben, die für Hartz IV und die Agenda 2010 verantwortlich sind. Das sagt Wolfgang Seidel – Drummer in der Gründungskonstellation der Ton-Steine-Scherben, Musiker und Autor. Wir sprachen mit ihm über seine Perspektive auf 1968 und fragten ihn zunächst, wie er den Jubiläums-Hype um 1968 wahrnimmt. (via)

    Download: via FRN (mp3; 28 MB; 17:36 min)

Im Vortrag formuliert Wolfgang Seidel (u.a. „Wir müssen hier raus! Krautrock, Freebeat, Reeducation“ – Interview zum Buch hier) eine Kritik der sogenannten 68er-Bewegung – er rekonstruiert, wie der studentische Teil der Bewegung in der Selbsthistorisierung den proletarischen Teil der Bewegung verdrängt hat. Er kritisiert in essayistischer Weise außerdem einige regressive Gehalte der 68er-Bewegung.

Kaum ist das Luther-Jahr vorbei, wird dieses Jahr 1968 als historische Wegmarke gefeiert. Dabei kommt 68 oder „die 68er“ untrennbar angekettet daher an die Begriffe Studentenbewegung oder Studentenrevolte. Die sollen, so der Tenor des Jubiläumsjahres, zwar nicht ihre sozialistischen Träume verwirklicht haben. Aber sie hätten eine Kulturrevolution vollbracht, die gescheiterte bürgerliche Revolution von 1848 vollendet, das Land demokratisiert und entnazifiert – also das moderne Deutschland geschaffen, das mit moralischem Überlegenheitsanspruch in der Welt auftreten darf.

Dazu eine Binsenweisheit: Geschichte wird von den Siegern geschrieben. Aus den Studenten von damals sind die Professoren, Journalisten, Autoren von heute geworden, die die Geschichtsschreibung bestimmen. Tatsächlich war die Zahl der Studenten gering. In den 1960ern machten nicht einmal 10% eines Jahrgangs Abitur. Davon waren nur wenige Teil des linken Spektrums, das heute als „die 68er“ erscheint. Dementsprechend begrenzt war ihre politische Wirkmacht. In Frankreich wurden die Studentenproteste erst dann für die Regierung De Gaulles bedenklich, als die Arbeiter von Renault die Fabriken besetzten. Der nicht studentische Teil des Protestes gegen die alten, autoritären Strukturen wie die Lehrlingsbewegung ist heute aber weitgehend vergessen.

Im Medien-Zeitalter hängt die Diskurshoheit ganz wesentlich davon ab, wer die einprägsamsten Bilder produziert. Im Jubiläumsjahr werden wir durch alle Medien hindurch eine Wiederholungsschleife erleben mit Bildern von untergehakt unter roten Fahnen voranstürmenden Demonstranten, der von einem Polizisten erschossene Benno Ohnesorg, oder den nackt posierenden Mitgliedern der Kommune und Uschi Obermaier mit dem Joint in der Hand. Bei dieser doppelt gefilterten Geschichtsschreibung fällt sehr viel unter den Tisch wie die Rolle junger Arbeiter und Lehrlinge oder die Rolle der Frauen.

Auch die Fixierung auf die Jahreszahl 68 ist fraglich. Die meisten Veränderungen, die das Land in dem Jahrzehnt von 1960 bis 1970 erfuhr, waren nicht das Ergebnis singulärer Ereignisse oder der Taten heldenhafter Revolutionäre sondern Prozesse, die sich auch ohne die Studentenbewegung auf Grund ökonomischer Entwicklungen und des Generationenwechsels vollzogen hätten. Das fing lange vor 68 an mit den Halbstarkenkrawallen, den Ostermärschen, der Beat-Musik oder den Gammlern, zumeist proletarischen Aussteigern, die die Gemüter der Spießer Mitte der 60er erregten. Man könnte die Frage stellen, ob nicht die von den Gewerkschaften durchgesetzte 5-Tage-Woche mehr für die kulturelle Veränderung getan hat, als die gesamte Textproduktion des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes.

Die 5-Tage-Woche war das Ergebnis des nach dem Krieg notwendig gewordenen Kompromisses zwischen Kapital und Arbeit und des Nachkriegsbooms. Freizeit ist auch ein Vorgeschmack auf Freiheit. Durch die gestiegenen Einkommen und das Mehr an Freizeit wurde erst so etwas wie eine Jugend- oder Popkultur möglich. Die ist zwar durchaus ambivalent in ihrer Mischung aus Freiheitsversprechen und Konsumismus. Für die Ideologen der Studentenbewegung aber war sie vor allem eines: angepasst. Die bogen sich das falsch verstandene Wort von der Kulturindustrie zurecht, indem sie es mit dem bürgerlichen antimodernen und antiwestlichen Kulturchauvinismus vermählten. Der Arbeiter, der endlich mehr wollte als nur malochen, war für sie der vom Konsum verblödete „eindimensionale Mensch“, weswegen sie sich ihr „revolutionäres Subjekt“ lieber in einer romantisierten Ferne bei nationalen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt suchten. Man könnte die provokante Frage stellen, ob es eine gerade Linie gibt von der, trotz aller sozialistischer Rhetorik, Verachtung des Arbeiters hin zur Agenda 2010. Die haben die 68er ausgeheckt, die es beim Marsch durch die Institutionen an die Spitze geschafft hatten. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 150.9 MB; 1:34:13 h)

Im Interview und Vortrag werden zwei Filme angesprochen: »Das ist unser Haus« (1971), »Allein machen sie dich ein« (1973). Eine schriftliche Version des Vortrags findet sich hier. Eine Reaktion auf Seidels SDS-Kritik findet sich in einem Interview mit Peter Cardorff, das wir hier dokumentiert haben (direkt Nachhören hier).

3.) Politik und Psychedelik: Ostblock-Popkultur zwischen Nonkonformismus und “Normalisierung” 1968 – 1978

Interview mit Alexander Pehlemann über Ostblock-Popkultur 1968 – 1978:

Für die Jugendrevolten um das Jahr 1968 herum gaben Beat und Rock’n’Roll entscheidende Impulse. Dies war nicht nur im Westen der Fall, sondern auch im damaligen Ostblock. Dort gab es zum Teil ganz ähnliche pop- und subkulturelle Entwicklungen, die sich jedoch unter anderen Bedingungen entfalteten: Repression und Auftrittsverbote ließen einen Untergrund im tatsächlichen Wortsinn entstehen. (via)

    Download: via FRN (mp3; 28 MB; 17:25 min)

Alexander Pehlemann (Zonic) erkundet in seinem Vortrag musikalisch-subkulturelle Milieus des Ostblocks im Jahrzehnt nach 1968. Er schildert kenntnis- und anekdotenreich subkulturelle Zusammenhänge und Szenen in verschiedenen Ländern des Ostblocks und befördert dabei Radikales wie Skurriles zutage. Es ist im Grunde der gleiche Vortrag, den wir bereits hier dokumentiert haben.

Das Jahr 1968 war weltweit ein Aufbruch in vehementer Ablehnung der Verhältnisse, oft getragen vom Nonkonformismus der Hippie-Bewegung, die sich schnell auch in den Ländern des Warschauer Pakts etablierte. Deren „Love, Peace & Happiness“ wurde dort wegen der transportierten radikal-demokratischen, sexuell libertären, pazifistischen oder spirituellen Ideen schnell zur Provokation, auf die repressiv reagiert wurde. Am extremsten in der ČSSR nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts im August 1968, der den „Prager Frühling“ beendete und die sogenannte „Normalisierung“ auslöste. Aber die Saat der Subkultur konnte nicht komplett unterdrückt werden, zumal das System sich im Widerspruch bewegte, den antikapitalistischen Jugend-Bewegungen des Westens wie der Dritten Welt aufgeschlossen gegenüber wirken zu wollen. Parallel entwickelten sich so auch Tendenzen der Tolerierung und sogar Förderung, die mit Einhegung und Reglementierung einhergingen, jedoch auch zu einer einzigartigen Phase gegenseitigen kulturellen Austauschs führte. Die mehrmedial unterfütterte Präsentation von „Post ´68“ wird daher nicht nur die jugendkulturelle und künstlerische Opposition betrachten, sondern zugleich das widerspruchsreiche Einsickern ihrer Ästhetik, in dessen Vor- und oft auch Rückbewegungen. Dabei geht es quer durch den gesamten Ostblock mit den jeweiligen Landesbedingungen sowie einmal durch die Dekade 1968-1978, an deren Ende mit Punk ganz neue radikale Ansätze kamen. An dem mit der Charta 77, gegründet in Reaktion auf die Unterdrückung künstlerischen Ausdrucks, sowie in Polen mit dem Komitee zur Verteidigung der Arbeiter zudem auch zwei politische Gruppen existierten, die den Beginn des Wegs zum Systemkollaps von 1989 markierten. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 217.2 MB; 2:15:35 min)

4.) Der Beginn einer Epoche? Eine kurze Geschichte von Detournement und Récupération des Mai ’68

Im Rahmen der KSR-Veranstaltungsreihe fand zum einen ein Vortrag über die Situationistische Internationale, andererseits ein Wochenendseminar über 1968 in Frankreich, Italien und weltweit statt. Im Vorfeld beider Veranstaltungen hat Radio Corax ein Interview mit Negator (der den Vortrag gehalten hat) und Kazimir (der am Wochenendseminar beteiligt war) über die Situationisten und den französischen Mai 1968 geführt, das wir bereits hier dokumentiert haben (hier zum Nachhören). Im Vortrag rekonstruiert Negator (Biene Baumeister Zwi Negator) die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich und geht dabei insbesondere auf die Situationistische Internationale ein, deren Vorgeschichte und Revolutionstheorie er einführt.

Sie haben „Deutschland wahlweise gründlich zivilisiert“ oder „an die Wand gefahren“: DIE 68er, vor dreißig, vierzig Jahren von den Punks noch als jener kumpelige Führungsnachwuchs gehasst, der nun die Zwänge im mitbestimmbaren Gewand exekutierte; Modernisierungsadel, Minister, Avantgarde für jeden Scheiß; in der Toskana, in Rente, verarmt – oder auch schon längst tot, verzweifelt daran, dass alles so weiterging. Aber auch in Italien, England, Mexiko, Japan oder den USA, ganz besonders aber Frankreich hat sich ein spektakuläres Bild von 68 in den Gencode nationaler Modernisierungserzählungen eingefressen, das vom allgegenwärtigen rechtsnationalistischen Backlash vehement bekämpft, inzwischen mit seinen Protagonisten von der Bühne abtritt. Was bleibt? Global scheint von der mit 68 konnotierten Erinnerung kaum mehr anderes kenntlich als die Modernisierung des Antisemitismus und des Antiamerikanismus. Das Projekt des Antiimperialismus und Kulturrelativismus, um 68 so gründlich modernisiert, hat sich im Islamismus wiedergefunden oder im Staat als letztlicher Appellationsinstanz.

Wars das? Dann wären alle jene massenhaft in den 60er Jahren weltweit manifest gewordenen Sehnsüchte und Hoffnungen nichts weiter als notwendiges Vorspiel zum gegenwärtigen dystopischen Resultat gewesen, jenes spektakulären Monologs des Weltzustands, der von sich nichts anderes mehr zu sagen weiß als: Es ist.

Wie aber die Arbeit der Widersprüche in der wechselhaften Epoche um dieses zum spektakulären Bild geronnenen Jahres 68 herum vor sich ging, wie ein Bewusstsein der Möglichkeiten über die Wiederaufnahme revolutionärer Kritik sich bildete und wieder verfiel, soll an einer der damals bewusstesten Assoziationen und ihrem Vorgehen namentlich in Frankreich dargestellt werden: der Situationistischen Internationale.

Erwartet werden darf eine kurze Geschichte von Detournement und Récupération im Mai ’68 – anlässlich des Jubiläums multimedial dargeboten durch Teile des Autor_en*kollektief Biene Baumeister Zwi Negator. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 191.1 MB; 1:59:17 h)

Die Radiosendung, die Negator im Vortrag anspielt, ist vollständig zum Nachhören hier dokumentiert.

5.) Zur Geschichte eines Bruchs: 1968 in globaler Perspektive

Vom Weimarer Wochenendseminar gibt es den Mitschnitt eines Input-Referats von Bernd Gehrke (AK Geschichte sozialer Bewegungen Ost-West). Im Vortrag rekonstruiert er global-gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen der 68er-Revolte, macht einen Durchgang durch verschiedene Länder des Ostblocks und geht dabei auch auf marxistische Debatten jener Zeit ein.

    Download: via AArchiv (mp3; 108.7 MB; 1:07:50 h)

7.) Das Unvorstellbare ist nicht das Unmögliche: Herrschaftskritik und Literatur in der Zeitschrift ‚Die Schwarze Botin‘

Interview mit Katharina Lux über die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“:

Die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ erschien von 1976 bis 1987 in 31 Ausgaben. Diese Zeitschrift zeichnete sich durch einen Anspruch auf Radikalität und Negativität aus, formulierte eine feministische Kritik am Feminismus und kam äußerst stilbewusst daher.

Katharina Lux (u.a. „Outside the Box“) wird am 07.06.2018 in der ACC Galerie Weimar einen Vortrag über „Die Schwarze Botin“ halten. Im Gespräch mit Radio Corax rekonstruiert sie die Entstehung und Entwicklung der Frauenbewegung, aus der heraus „Die Schwarze Botin“ entstand. Zunächst fragten wir sie, wie sie auf die Zeitschrift gestoßen ist. (via)

    Download: via FRN (mp3; 108.7 MB; 1:07:50 h)

Im Vortrag schildert Katharina Lux (Outide the Box) die Entstehung der autonomen Frauenbewegung und deren unterschiedliche Flügel. Im Zentrum des Vortrags steht dann die Kritik, die die Schwarze Botin an der Frauenbewegung aus feministischer Perspektive entwickelt hat, wobei sie auch auf Widersprüche und Schwachstellen dieser Kritik eingeht.

In Mitten der Revolte von 1968 und des Auflösungsprozesses des SDS nahm die Frauenbewegung mit der Gründung sozialistischer Frauengruppen wie dem Aktionsrat zur Befreiung der Frau und dem Frankfurter Weiberrat ihren Anfang. Das Ziel der Linken, alle Verhältnisse umzuwälzen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist, verfolgte die Frauenbewegung konsequent: Kein Verhältnis – auch nicht das hierarchische Geschlechterverhältnis – sollte so bleiben wie es war. Bis Mitte der 1970er Jahre gründeten sich zahlreiche Frauenzentren und Frauengesundheitszentren, Selbsterfahrungsgruppen und Zeitschriften, die autonom von den gemischtgeschlechtlichen Gruppen der Linken, den Parteien und Gewerkschaften agierten. Sie waren die Orte, an denen eine gemeinsame Sprache gesucht und Erfahrungen geteilt, Begriffe und Theorien entwickelt und diskutiert wurden. Als Organe der Selbstverständigung und Kommunikation gründeten sich 1976/77 drei der wichtigen überregionalen Zeitschriften der autonomen Frauenbewegung, wenn auch mit unterschiedlichen Zielen: Courage. Berliner Frauenzeitung, Emma und Die Schwarze Botin.

Herausgeberin der Schwarzen Botin war die Historikerin Brigitte Classen. In der Redaktion arbeiteten neben Classen in unterschiedlicher Besetzung die Journalistin und spätere Schriftstellerin Gabriele Goettle, die Juristin Branka Wehowski, die Schriftstellerin Elfriede Jelinek und die Übersetzerin Marie-Simone Rollin mit. Ab 1983 war die Architektin Marina Auder Verlegerin der Zeitschrift. Bis zur letzte Ausgabe 1987 erschien die Schwarze Botin einunddreißig Mal in einer Auflage zwischen 3000 und 5000 Exemplaren. Die Zeitschrift versammelt wissenschaftliche Aufsätze, Essays, literarische Texte und Gedichte, Collagen, Glossen und satirische Kommentare. Sie lässt sich nicht eindeutig zuordnen: Sie ist weder ein wissenschaftliches Journal im akademischen Sinne, noch eine reine Literaturzeitschrift, noch ist sie eine Szene-Zeitschrift der Frauenbewegung, in der Informationen über Frauenzentren und Frauenfeste veröffentlicht werden, wie es in anderen Zeitschriften der autonomen Frauenbewegung der Fall war. Eindeutig aber ist die Zeitschrift in ihrem Anspruch, der „kritischen Auseinandersetzung mit feministischer Theorie und Praxis einerseits und der Zerstörung patriarchalischen Selbstverständnisses andererseits“ (Die Schwarze Botin) dienen zu wollen. Feministische Ideologiekritik war für die Zeitschrift die Kritik des gesellschaftlichen Bewusstseins und damit auch die (Selbst)Kritik des feministischen Bewusstseins. Was die Zeitschrift zu einem ungewöhnlichen Zeugnis ihrer Zeit macht, ist jedoch weniger die feministische Kritik des Feminismus als vielmehr die Mittel und der Modus der Kritik: Die Ideologiekritik der Schwarzen Botin vereinte provokative Satire und das Beharren auf der Negativität der Kritik. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 100.4 MB; 1:02:39 h)

8.) Züri brännt: Über die Jugendrevolten der ’70er und ’80er Jahre in der Schweiz

Der 7. Teil der KSR-Veranstaltungsreihe endete mit einer Doppelveranstaltung: Einem Vortrag von Miklós Klaus Rózsa und einer Vorführung des Films „STAATENLOS – Klaus Rózsa, Fotograf“ von Erich Schmid. Der Film zeigt Lebenswege von Klaus Rózsa und wie er sich mit der Polizeigewalt, die er dokumentiert hat und von der er betroffen war, und mit seiner jüdischen Vergangenheit auseinandersetzt. Hier zunächst das Interview mit Erich Schmid:

Klaus Rózsa ein bekannter, politisch engagierter Fotograf, lebte jahrzehntelang staatenlos in Zürich.Der Film arbeitet chronologisch und dokumentarisch das bisherige Leben von Klaus Rózsa auf. 1956 aus Ungarn geflohen, wuchs er in der Schweiz mit einem jüdischen Vater auf, der Auschwitz überlebte. Klaus Rózsa dokumentierte über Jahrzehnte die politischen Bewegungen von unten. Rozsa wurde mit 17 Jahren bei Protesten zu der Schließung des AJZ Bunker 1972 politisiert und diese Zeit fing er auch an zu fotografieren und Protest und polizeiliche Gewalt zu dokumentieren. Fokus des Films liegt auch auf der Staatenlosigkeit von Rozsa. Jahrzentelang lebte Klaus Rozsa in Zürich, alle seine Einbürgerungsversuche, 3 an der Zahl, wurden aus politischen Gründen abgelehnt. Wir haben uns mit Erich Schmid über seinen Film unterhalten und über die Hintergründe der Entstehung, und welche Prozesse der Film bei den Mitwirkenden ausgelöst hat. (via)

    Download: via FRN (mp3; 17 MB; 18:10 min)

Interview mit Miklós Klaus Rózsa:

1968 fand – wenn auch mit etwas Verzögerung – auch in der Schweiz statt. Die Kämpfe wurden dort vor allem immer wieder um Autonome Jugendzentren geführt – so im Jahr 1968 bei den Globuskrawallen oder 1980 beim Opernhauskrawall.

Am kommenden Donnerstag wird Miklós Klaus Rózsa in der ACC Galerie Weimar über die Jugendrevolten in den 70’er und 80’er Jahren in der Schweiz sprechen. Wir sprachen mit ihm vorab am Telefon über sein Vortragsthema und fragten ihn zunächst, was die Chiffre „1968“ in der Schweiz bedeutete. Zuletzt fragten wir ihn nach seiner Erfahrung mit Antisemitismus in linken Zusammenhängen. (via)

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 20:09 min)

Im Vortrag schildert Miklós Klaus Rózsa Verläufe der 68er-Bewegung in der Schweiz und deren Übergang in die Schweizer Jugendrevolten der 80er-Jahre. In der Schweiz drehten sich die Konflikte immer wieder um den Kampf um autonome Jugendzentren.

Am 30. Oktober 1970 eröffnete der Zürcher Stadtrat in einem Luftschutzkeller den Lindenhof-Bunker. Es sollte ein Autonomes Jugendzentrum sein. Der Bunker wird in der Folge rege frequentiert. Bereits Ende Dezember wird die, inzwischen besetzte, Autonome Republik Bunker durch die Polizei geräumt. Wenig später entsteht dort die Tiefgarage Urania. Hätte der Stadtrat (Exekutive) geahnt, was diese Schließung bewirken wird, er hätte wohl auf die Eröffnung des Zentrums oder auf die Schließung verzichtet.

Auf jeden Fall haben die 68-er Unruhen das Leben zumindest in Zürich, wenn nicht in der ganzen Schweiz, verändert. Die Jugend war nicht mehr bereit, alles als göttlich gegebene Ordnung hinzunehmen. In den 70er Jahren war natürlich die Anti-AKW Bewegung im Brennpunkt. Neben dem Dauerbrenner um den Kampf für autonome Räume, alternative Lebensformen und gegen die totale Kommerzialisierung des Lebensraumes.

Die 8oer Jahre waren geprägt von der Radikalisierung der Jugend: Nach Jahrzehntelangem Kampf um selbstverwaltete Räume, war die Jugend nicht mehr bereit, es bei friedlichen Protesten zu belassen. Dass die Repression in der Schweiz extreme Ausmaße annahm, dürfte immer noch – oder wieder, überraschen.

Die zweite Hälfte des Jahrzehnts war geprägt von einer kulturellen Entwicklung und dem Versuch, das von der Jugendbewegung erreichte nicht wieder zu verlieren. Die Wohnungsnot wurde immer drängender, die Gentrifizierung forderte ihre Opfer: Die Drogenszene nahm gigantische Ausmaße an und Zürich wurde zum Zentrum der europäischen Hausbesetzerszene. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 123.5 MB; 1:17:03 h)

Der Titel des Vortrags ist eine Reminiszenz an den Film „Züri brännt„. Ein Interview mit Christian Koller über die im Vortrag erwähnten Opernhauskrawalle gibt es hier.

Das unmögliche Verlangen

50 Jahre 1968 – Geschichte und Gegenwart

Anschließend an die 1968er-Sendereihe von Radio Corax fand von Mai 2018 bis Januar 2019 eine Veranstaltungsreihe in Halle (Saale) statt. Titel war: „Das unmögliche Verlangen“ (oder: „Das Unmögliche verlangen“?) Folgendermaßen wurde die Reihe angekündigt:

Pariser Mai und Prager Frühling, sexuelle Revolution und „versäumte Revolte“ (Stefan Wolle) – das Jahr 1968 wurde schon vielbeschrieben und doch gibt es noch unentdeckte oder kaum thematisierte Perspektiven. So sind nicht nur die weiblichen Akteure der “68er” sondern auch die Geschehnisse in der DDR und im ganzen Ostblock kaum im öffentlichen Gedächtnis verankert.

In Kooperation mit Radio Corax und der Oper Halle wirft die Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen-Anhalt 50 Jahre nach den bewegenden Ereignissen in Ost und West in sieben Veranstaltungen im Frühsommer und Herbst einen Blick auf die blinden Flecken dieses – zu erwartenden – Jubiläums-Spektakels und fragt dabei auch nach Bezügen zur Gegenwart. (via)

1.) Keine Ruhe nach dem Sturm

Im Februar 2018 hat Ulrike Heider ein autobiographisches Buch über 1968 und die nachfolgenden Jahre der Bewegung veröffentlicht. In der Lesung spricht sie über den SDS in Frankfurt, die Gruppe „Revolutionärer Kampf“ (RK), das Leben in Wohngemeinschaften und besetzten Häusern, Geschlechterverhältnis und sexuelle Befreiung, die Sponti-Szene und die Autonomen. Es ist eine kritische Aufarbeitung, die nicht der Abschwörung verfällt. Sie blickt auf ein linkssozialistisches, rätekommunistisches Umfeld. Siehe auch das ausführliche Interview mit Ulrike Heider, das wir hier dokumentiert haben.

Lebendig und mitreißend erzählt Ulrike Heider 50 Jahre ihrer persönlichen Geschichte als spannungsreiche Zeitgeschichte. Den politischen und kulturellen Aufbruch der späten 1960er Jahre erlebte Ulrike Heider als befreiend. In ihrem jüngst bei Bertz+Fischer veröffentlichten Buch (“Keine Ruhe nach dem Sturm“) beschreibt sie Höhepunkte, Kriminalisierung und Zerfallserscheinungen der antiautoritären Protestbewegung. Ob es um SDS-Versammlungen, Experimente mit der freien Liebe, die Frankfurter Universitätsbesetzung, um Straßenschlachten oder Hausbesetzungen geht, immer sind ihre Erinnerungen intim und kritisch zugleich. Mit Ulrike Heider begegnen wir auch Mackertum, Untertanenmentalität, Antisemitismus und das alltägliche Elend des Zerfalls einer Bewegung.

Ulrike Heider, Jahrgang 1947, studierte Politik und Germanistik, promovierte, zog später nach New York und lebt seit 2000 als freie Schriftstellerin in Berlin. Sie schreibt Bücher, Essays und Radiosendungen zu den Themen Schüler- und Studentenbewegung, Anarchismus, afroamerikanische Politik und Sexualität. Zuletzt »Vögeln ist schön – Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt« (Berlin 2014). (via)

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2.) Politik und Psychedelik

Ostblock-Popkultur zwischen Nonkonformismus und “Normalisierung” 1968 – 1978. Alexander Pehlemann erkundet in seinem Vortrag musikalisch-subkulturelle Milieus des Ostblocks im Jahrzehnt nach 1968. Er schildert kenntnis- und anekdotenreich subkulturelle Zusammenhänge und Szenen in verschiedenen Ländern des Ostblocks und befördert dabei Radikales wie Skurriles zutage.

Das Jahr 1968 war weltweit ein Aufbruch in vehementer Ablehnung der Verhältnisse, die sich schnell auch in den Ländern des Warschauer Pakts etablierte. Deren „Love, Peace & Happiness“ wurde schnell zur Provokation, auf die repressiv reagiert wurde. Aber die Saat der Subkultur konnte nicht komplett unterdrückt werden, zumal das System sich im Widerspruch bewegte, den antikapitalistischen Jugend-Bewegungen des Westens wie der Dritten Welt aufgeschlossen gegenüber wirken zu wollen. Parallel entwickelten sich so auch Tendenzen der Tolerierung und sogar Förderung, die mit Einhegung und Reglementierung einhergingen, jedoch auch zu einer einzigartigen Phase gegenseitigen kulturellen Austauschs führte. Alex Pehlemann wird daher nicht nur die jugendkulturelle und künstlerische Opposition betrachten, sondern zugleich das widerspruchsreiche Einsickern ihrer Ästhetik, in dessen Vor- und oft auch Rückbewegungen. Dabei geht es quer durch den gesamten Ostblock mit den jeweiligen Landesbedingungen sowie einmal durch die Dekade 1968-1978.

Alexander Pehlemann wurde 1969 in Berlin-Lichtenberg geboren. Er ist seit 1993 Herausgeber des »Zonic«, Magazin für »Kulturelle Randstandsblicke & Involvierungsmomente«, dabei mit Vorliebe in osteuropäische Subkulturzonen blickend. (via)

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3.) Mein ’68

Mein ’68 – Ein verspäteter Brief an meinen Vater“ ist ein Film von Hannes Heer aus dem Jahr 1988, in dem er den Bruch zwischen ihm und seinem Vater im Zuge von 1968 verarbeitet (siehe auch das Gespräch mit Hannes Heer darüber: hier). Im Vortrag geht es Hannes Heer um zwei zentrale Punkte: 1968 markiert für ihn einerseits den Punkt, an dem ein Teil der Generation, die in den 40er Jahren zur Welt gekommen ist, damit begann, die Elterngeneration nach ihrer (Mit)Täterschaft im Nationalsozialismus zu befragen. Andererseits ist für ihn 1968 ein Kulminationspunkt der Verweigerung, die Rekonstituierung des Kapitalismus nach 1945 hinzunehmen – davon ausgehend entsteht ein Experimentierraum einer Fundamentalopposition. Diese beiden Punkte erläutert er in acht Kapiteln, in denen er u.a. die Debatten innerhalb des SDS und die Diskussion mit Intellektuellen der Nachkriegszeit (u.a. Herbert Marcuse, Norbert Elias, Jürgen Habermas) beleuchtet.

Hannes Heer, Jahrgang 1941, führt in die Geschichte der Revolte in zweifacher Weise ein – mit einem Vortrag und einem Film: „Mein 68. Ein verspäteter Brief an meinen Vater“ versucht eine im Leben gescheiterte und nur filmisch mögliche argumentative Auseinandersetzung des Autors mit seinem Vater. Dieser, früher NSDAP-Mitglied und nach dem Krieg CDU-Wähler, reagierte auf den politischen Aufbruch der damaligen Studentengeneration und seines eigenen Sohnes mit hasserfülltem Unverständnis und brach 1968 alle Brücken zu ihm ab. An diesem Nichthinsehen- und Nichthinhören-Wollen setzt der Film an. Er rekonstruiert auf nachdenkliche und selbstkritische Weise im fiktiven Dialog mit dem Vater die Gründe, die die Studentenbewegung auslösten.

Hannes Heer war wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und Leiter des Ausstellungsprojektes „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Er dreht für ARD und ZDF zahlreiche Dokumentationen. Der Film “Mein 68” wurde, nach heftigen internen Kämpfen, vom WDR ausgestrahlt. (via)

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4.) Im Osten nichts Neues?

Von ’68, dem Autoritarismus und den späten Folgen. In der DDR gab es im Jahr 1968 keine vergleichbare Revolte wie in anderen europäischen Ländern. Ob dies eine Ursache für immer wiederkehrende nationalistische und rassistische Mobilisierungen ist, darüber haben in einer Podiumsdiskussion Bernd Gehrke, Thorsten Hahnel und Petra Dobner debattiert. Bernd Gehrke schildert, inwiefern es gleichwohl in der DDR im Jahr 1968 zahlreiche Proteste gab und wie es zum antikommunistischen Drive in der Wendebewegung kam; Thorsten Hahnel erzählt von nationalistischen, rassistischen und konformistisch motivierten Angriffen, denen sich damals auch Hahnel als Punk zu erwehren hatte; Petra Dobner vertritt einige unklare Thesen und verwendet dabei universitäre Redewendungen. Siehe auch: Ausführliches Interview mit Bernd Gehrke über 1968 im Ostblock (Unterpunkt 6) / Wendefokus-Gespräch mit Thorsten Hahnel.

Was hat die derzeitige globale Krise der Demokratie mit 1968 zu tun? Und wie sieht das mit Blick auf Ostdeutschland aus? Ist die Anziehung eines Viertels der Bevölkerung für autoritäre und rassistische Bewegungen wie Pegida oder die AfD eine Folge der fehlenden ’68 Revolution im Osten Deutschlands?
Diese und weitere Fragen diskutieren der DDR-Oppositionelle und Historiker Bernd Gehrke, Thorsten Hahnel (Miteinander e.V.) und Prof. Dr. Petra Dobner (Lehrstuhl für Systemanalyse und Vergleichende Politikwissenschaft, MLU).

Auch wenn in der DDR 1968 keine vergleichbare Revolte stattfand wie in der BRD, war es ein Jahr außerordentlicher Proteste. Bernd Gehrke spricht über die Auseinandersetzungen um Öffentlichkeit in den Betrieben und die niederschmetternden Folgen. Letzere sind für Thorsten Hahnel eine Erklärung für die heutige konformistische Rebellion um Pegida und AFD gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die derzeitige reaktione Welle, auf der in vielen Teilen der Welt wieder autokratisches, nationalistisches Denken mehrheitsfähig wird, analysiert Petra Dobner als Umkehrung eines 68er Postmaterialismus und fordert, “mehr 68” zu wagen. (via)

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Talkin‘ bout a Revolution?! #5

Kultur, Konsum, Gegengeschichte

Im vorerst letzten Teil der 1968er-Reihe dokumentieren wir Gespräche, die nicht recht in die bisherigen Kategorien einzuordnen waren.

1.) 1968 – Reflexion einer Niederlage?

Schon 2017 führten Radio Corax und FSK ein Gespräch mit Roger Behrens (u.a. Testcard), Karl-Heinz Dellwo (Laika Verlag) und Thomas Seibert (Institut Solidarische Moderne) über 1968, wobei alle drei Gesprächspartner nach 1968 politisch aktiv geworden sind: Roger Behrens im Kontext maoistisch-syndikalistischer Gruppen, Kar-Heinz Dellwo in der zweiten Generation der RAF, Thomas Seibert in den Reihen der Autonomen. Es geht im Gespräch um die Dialektik von Erfolg und Niederlage im Bezug auf 1968.

    Download: via FRN (mp3; 58 MB; 51:32 min)

2.) Über ein nachvollziehbares, aber harmloses Begehren

Gängigerweise wird 1968 als Kulturrevolution gedeutet – die Corax-Sendereihe über 1968 hat diese Verengung eher verweigert, stattdessen ging es um poli-ökonomische Bedingungen, globale Verhältnisse und (gebrochene) Traditionslinien des Widerstands. Im Gespräch mit Roger Behrens war der kulturelle Aspekt dennoch ein Thema. Es geht um Pop-, Sub-, Jugend- und Gegenkultur; neue Körperlichkeit; Massenkultur und Kulturindustrie; 1968 als Zäsur der Popkultur; das Affirmative in der Kultur …

    Download: via FRN (mp3; 43 MB; 26:56 min)

3.) Konsum und Gewalt

2018 ist bei Suhrkamp Insel das Buch „Konsum und Gewalt – Radikaler Protest in der Bundesrepublik“ von Alexander Sedlmair erschienen (eine deutsche Übersetzung des 2014 ursprünglich auf englisch erschienen Buches). Darin geht er insbesondere auf die Konsumkritik ein, die von 1968 ausgehend in der linken Bewegung immer wieder formuliert wurde und inwiefern dort Konsumtions- und Produktionsverhältnisse zusammen gedacht wurden (er spricht in diesem Zusammenhang von „Versorgungsregimen“). Mit diesem Fokus geht er auf verschiedene Stränge der Bewegung ein: Die Kaufhausbrände, aus denen heraus die 1. Generation der RAF entstand; Antispringer-Kampagne, Friedensbewegung und Autonome; Proteste gegen Fahrpreiserhöhungen, Hausbesetzerbewegung, etc. Im Interview geht es um die Motivation, dieses Buch zu schreiben und einzelne inhaltliche Aspekte.

    Download: via FRN (mp3; 22 MB; 13:57 min)

4.) 1968 – Der Widerspruch

Im Mai 2018 ist im Mandelbaum-Verlag ein Buch von Peter Cardorff erschienen: „Der Widerspruch – 49 Arten, 68 ein Loblied zu singen„. In 49 Aphorismen arbeitet Cardorff Aspekte von 1968 durch. Der „Widerspruch“ hat dabei mehrere Bedeutungen: Es geht darum, in Widerspruch zu gängigen Erzählungen über 1968 zu gehen; Widersprüche von 1968 selbst herauszuarbeiten; 1968 als einen Wdierspruch zum Bestehenden zu begreifen. Im Gespräch geht es um die Motivation, das Buch zu schreiben und einzelne inhaltliche Aspekte – u.a. die Rolle des Trotzkismus in der 68er-Bewegung (der Autor bewegte sich selbst in trotzkistischen Zusammenhängen). Diskutiert wird auch der Stellenwert des linken Antisemitismus im Zuge von 1968ff. Im Gespräch wird auf ein Interview mit Wolfgang Seidel und auf ein Kursbuch-Gespräch zwischen Semmler, Dutschke, Rabehl und Enzensberger Bezug genommen.

    Download: via FRN (mp3; 55 MB; 39:44 min)

Mit dem 5. Beitrag haben wir die Dokumentation der 1968er-Reihe von Radio Corax abgeschlossen. Wir werden in der kommenden Zeit weitere Beiträge zum Thema posten: Die Dokumentation der Vortragsreihe „Das unmögliche Verlangen“ in Halle (Saale), den 7. Teil der Reihe „Kunst, Spektakel & Revolution“ unter dem Motto „Das Leben ändern, die Welt verändern!„, Ausgaben der Sendereihe Sachzwang FM. Zum Weiterlesen an dieser Stelle ein paar (linksradikale) Literaturtips:

Robert Kurz über „Glanz und Elend des Antiautoritarismus“ (erschienen 1988 in Marxistische Kritik); eine frühe (Selbst)Kritik der antiautoritären bzw. neuen Linken des (inzwischen neurechten) Frank Böckelmann: „Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit„; gesammelte Texte von Johannes Agnoli über die Ereignisse um 1968 herum: „1968 und die Folgen“ (nach dem Rechtsstreit mit der Witwe Agnolis nur noch antiquarisch erhältlich); Analysen aus rätekommunistischer Sicht, zusammengetragen in einer Broschüre von „Soziale Befreiung„: „Das proletarische 1968“ (daraus das Kapitel über Italien online hier); deutsche Übersetzung von Analysen und Erfahrungsberichten der französischen Gruppe „Mouvement Communiste„: „Der Mai / Juni 1968 – Eine verpasste Gelegenheit der Arbeiterautonomie“ (erschienen als Wildcat-Beilage); das Buch „Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen“ schildert die Maiereignisse in Frankreich aus situationistischer Sicht … (to be continued).

Abschließend eine aktuelle und besondere Empfehlung: Das thug-Magazin hat im letzten Jahr eine Sonderausgabe mit dem Text „Orgasmusschwierigkeiten und Revolution. Über einige Gründe zum Aufkommen und Scheitern der 68er Revolte in Deutschland“ von Andrea Trumann und Karl Rauschenbach herausgebracht.

Talkin‘ bout a Revolution?! #4

Nach 1968

Im vierten Teil unserer Beitrags-Serie über 1968 fokussieren wir auf das, was nach 1968 geschah. Überhaupt scheint eine Fokussierung auf das eine Jahr 1968 eine fragwürdige Verengung zu sein. Nicht nur, dass wichtige Gruppierungen der Neuen Linken schon Ende der 50er-Jahre entstanden waren. Für die Bewegung entscheidende Ereignisse fanden im Jahr 1967 statt: Beginn der Anti-Springer-Kampagne, Antischah-Protest, Erschießung Benno Ohnesorgs… Wer das Interesse an der Rekonstruktion eines Beweguns-Zyklus‘ hat, dessen Blick wird auch auf das Jahr 1969 und darüber hinaus gelenkt… Wir versammeln hier Beiträge über die Zeit nach 1968, die jedoch immer wieder auch auf 1968 Bezug nehmen.

1.) Das Sozialistische Büro und die Gründung einer Rätepartei

Im Jahr 1969 gründete sich mit dem Sozialistischen Büro eine linkssozialistische Gruppierung jenseits von DKP, SPD und Spontis. Carsten Prien hat im August 2019 ein Buch mit dem Titel „Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros, Oskar Negt und Rudi Dutschke – Ein Beitrag zur Organisationsdebatte“ veröffentlicht. Im Interview skizziert Prien die Entstehungsbedingungen des SB, dessen „Arbeitsfeldansatz“ und die Diskussion über eine Parteigründung aus dem SB heraus.

    Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21:15 min)

2.) Zur Theorie der Stadtguerilla in der BRD

Im April 1968 legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein einen Brand in einem Frankfurter Kaufhaus. Die Täter wurden gefasst – die anschließende Befreiung von Andreas Baader mit Hilfe von Ulrike Meinhoff im Jahr 1970 war die Geburtsstunde der RAF. Die RAF war nicht die einzige bewaffnete Gruppe in der BRD – neben (und zum Teil mit) ihr agierten auch die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die Rote Zora. In der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ hat Robert Wolff einen Text mit dem Titel „Das Konzept Stadtguerilla – Die Entzauberung kommunistischer Guerilla- und Revolutionstheorien?“ veröffentlicht. Im Gespräch rekonstruiert er die Entstehungsbedingungen des Bewaffneten Kampfes in der BRD, schildert Unterschiede zwischen den bewaffneten Gruppen und geht auf die Theorie der Stadtguerilla und den „Primat der Praxis“ ein. Er geht zunächst auf die Gewalt-Debatten ein, die schon im Zuge der 68er-Bewegung eine Rolle gespielt hatten.

    Download: via FRN (mp3; 38 MB; 23:46 min)

Zur Kritik der RAF siehe das Buch: „Stadtguerilla und soziale Revolution. Über den bewaffneten Kampf der Roten Armee Fraktion“ von Emile Marenssin.

3.) Zur Geschichte der Roten Zora

Die Rote Zora war zunächst ein Teil der Revolutionären Zellen – später agierte sie als eigenständiger Zusammenhang unabhängig von den Revolutionären Zellen. Ihre Aktionen hatten einen dezidiert feministischen Fokus, Themen der Gruppe waren Reproduktionsarbeit, Reproduktionsmedizin, weibliche Arbeitskämpfe, Flüchtlingssolidarität, (Anti-)Militarismus, Pornografie und Frauenhandel. Katharina Karcher hat im September 2018 ein Buch unter dem Titel „Sisters in Arms. Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968“ veröffentlicht, in dem es u.a. auch um die Rote Zora geht. In der „Analyse und Kritik“ hat sie einen Artikel über die Rote Zora geschrieben. Im Gespräch rekonstruiert Karcher Entstehungsbedingungen, Themenschwerpunkte und Entwicklung der Roten Zora. Zunächst geht es um Begriffe von Gewalt und Gegengewalt in den Diskussionen feministischer Gruppierungen der 60er-Jahre.

    Download: via FRN (mp3; 48 MB; 30:09 min)

Im Frühjahr 2019 ist unter dem Titel „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ ein Film über die Rote Zora erschienen (siehe Rezension hier). Radio Corax hat ein etwa 20-minütiges Feature über den Film produziert. Zu hören sind neben den Filmemacherinnen des Kollektivs „Lasotras“ auch Ausschnitte aus dem Film – unter anderem die Historikerin Katharina Karcher und die (eingelesenen) Stimmen von Roten Zoras…

    Download: via FRN (mp3; 28 MB; 21:18 min)

Zum Thema siehe auch den Text „Frauen, die Schweine haben Adressen! Feminismus und Militanz“ des Autorinnenkollektivs Zora Zobel im Buch „Feministisch Streiten!„. Zu den Revolutionären Zellen und der Roten Zora siehe das Buch „Die Fruechte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora„. Zu den RZ siehe auch den entsprechenden Unterpunkt in diesem Beitrag.

4.) Zur Geschichte der K-Gruppen

Im Zuge des Zerfalls der 1968er-Bewegung entstanden in der BRD die sogenannten „K-Gruppen“ – leninistische Kader-Organisationen, deren mittelfristiges Ziel jeweils die Gründung einer neuen kommunistischen Partei gewesen ist und die sich auf unterschiedliche Weise auf den Maoismus bezogen. Im Gespräch skizziert der Historiker David Spreen Entstehungsbedingungen, Unterschiede und Entwicklung der verschiedenen K-Gruppen. Zur ersten Frage:

Dabei baten wir ihn zunächst um die Einordnung einer gewissen Erzählung über die K-Gruppen: Sie seien das Resultat einer „anti-autoritären Phase“ gewesen, die an ihre Grenzen geraten und der eine Organisationsdebatte gefolgt war. Aus dieser Organisationsdebatte seien dann die K-Gruppen entstanden – was daran ist wahr, was daran ist Mythos? (via)

    Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21 min)

Zahlreiche Primärquellen zu den K-Gruppen finden sich unter: Materialien zur Analyse von Opposition (MAO).

5.) Geschichte und Begriff der „Neuen Sozialen Bewegungen“

Neben Stadtguerilla, K-Gruppen und Autonomen entstanden in den 70er-Jahren auch die sogenannten „Neuen Sozialen Bewegungen“. Damit sind eher dezentral und unabhängig von Parteien organisierte Bewegungen gemeint, die sich jeweils spezifischen Themen gewidmet haben: Anti-AKW-Bewegung, Ökologiebewegung, Bürgerbeteiligungsbewegung, Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung, Stadtteilbewegung, Friedensbewegung… Dabei werden die Begriffe „Neue Soziale Bewegungen“ und „Alternativbewegungen“ oft analog verwendet. Mit der Hinwendung zu diesen jeweils spezifischen Themen ging auch eine zunehmende Abwendung von der Klassenfrage einher – so eine gängige These in der Historisierung. Genau diese These wird in der Ausgabe 3/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ angezweifelt – u.a. angesichts der Beteiligung von Lehrlingen und Proletarisierten an den NSB, die dort immer wieder auch ihre spezifische Betroffenheitslage thematisierten. Ulf Teichmann hat gemeinsam mit Christian Wicke den Thementeil dieser Ausgabe betreut – er skizziert im Gespräch Entstehungsbedingungen und Spezifika der Neuen Sozialen Bewegungen.

    Download: via FRN (mp3; 41 MB; 25:49 min)

6.) Falsche Wege und neue Anfänge

Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass sich die radikale Linke Ende der 70er-Jahre im Zustand einer umfassenden Niederlage wahrgenommen hat. Nachdem es mit den Autonomen und der Hausbesetzerbewegung in den 80er-Jahren einen zeitweiligen Aufschwung der Bewegung gegeben hat, sah man sich 1989-91 erneut mit einem Trümmerhaufen konfrontiert. Die Zeiten der Niederlage sind immer auch Zeiten von Reflexion und Kritik, in denen alte Gewissheiten über Bord geworfen werden. Solche Debatten hat sich Jana König in der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ näher angeschaut: „Falsche Wege und neue Anfänge: Die Bedeutung von Theorie in Zeiten linker Krisen – im Kontext von ‚Deutscher Herbst‘ und ‚Wiedervereinigung‘“. In diesem Text rekonstruiert sie die Debatten zweier Kongresse: Des Tunix-Kongresses von 1978 und des Konkret-Kongresses von 1993. Jana König im Gespräch über ihren Text, in dem sie zunächst auf die gesamtgesellschaftliche Situation der 70er-Jahre eingeht:

    Download: via FRN (mp3; 36 MB; 19:54 min)

Es bleiben einige Lücken: Spontis, Autonome, Anarchismus und Rätekommunismus nach 1968, linke Intellektuelle jenseits der verschiedenen Lager, etc. Aspekte dessen werden hier in verschiedenen Beiträgen demnächst immer wieder auftauchen. Im nächsten – vorerst letzten – Teil unserer Serie wird es noch einmal allgemeiner um 1968 gehen.

Talkin‘ bout a Revolution?! #3

Theorie und Kritik der ‚Neuen Linken‘

Zum dritten Teil unserer Beitragsreihe über 1968: Die Bewegung von 1968 und die Geschichte der „Neuen Linken“ sind eng miteinander verknüpft, aber sie fallen nicht in eins: Die Neue Linke hat ihre Ursprünge in den 50er-Jahren, bekommt in den Jahren um 1968 herum eine größere Aufmerksamkeit und spielt für die Reflexion des Scheiterns der 68er-Revolte eine wichtige Rolle. Es ist fraglich, ob es die Neue Linke überhaupt gibt, ihre Geschichte ist widersprüchlich: Steht sie anfangs für eine dissident-marxistische, linksradikal-undogmatische, anti-stalinistische Position, die bisherige Modelle von Partei und Gewerkschaft infrage stellt, geht sie später in (neo-)marxistisch-leninistische Theorie- und Organisationsmodelle einerseits, in postmoderne Theorieansätze und „Neue Soziale Bewegungen“ andererseits über. Die Geschichte der Neuen Linken verweist auch auf die Geschichte der Zwischenkriegszeit – sind es doch linkskommunistische oder -sozialistische Theoretiker (meist männliche) aus dieser Zeit, die ab den 50er-Jahren zum Entstehen der Neuen Linken beitragen. Anhand einzelner Personen verweisen wir hier vor allem auf die Theorie(n) der Neuen Linken, wobei stets auch deren Einfluss und Bezug auf 1968 behandelt wird. Herbert Marcuse, der sicher als wichtiger Impulsgeber einer Neuen Linken gelten kann (sowohl in Westdeutschland, als auch in den USA), wird in diesem Beitrag nicht einzeln behandelt – wir verweisen dazu auf diesen Sammelbeitrag.

1.) Ignorierte Vorläufer: Die Neue Linke der 50er Jahre

Dass 1968 nicht vom Himmel fiel – auch und gerade was eine dezidiert linksradikale theoretische Reflexion betrifft -, darauf weist Christoph Jünke (u.a. Autor des Buches „Streifzüge durch das rote 20. Jahrhundert„) hin. Er schildert im Gespräch, wie eine Neue Linke schon in den 50er-Jahren entstand. Es geht um die Bezüge der Neuen Linken auf die alte Arbeiterbewegung, die linken Debatten der Weimarer Republik und die Oktoberrevolution, die Frage des Anti-Autoritarismus und die Staatskritik, um die Aktualität der Neuen Linken.

1968 gab es nicht nur einen Bruch und Entwicklungsschub innerhalb des Kapitalismus, sondern auch das Jahr der „antiautoritären Linken“. An den 60’er Jahren lässt sich nachvollziehen, wie eine „Neue Linke“ in Deutschland entsteht, nachdem zuvor eine linke und/oder revolutionäre Bewegungstradition abgebrochen war. Über diesen Abbruch sprach Radio Corax mit dem Historiker Christoph Jünke. Jünke schreibt vor allem zur Geschichte des Realsozialismus und des Marxismus. (via)

    Download: via FRN (mp3; 43 MB; 27:07 min)

2.) Zauber der Theorie – Ideengeschichte der Neuen Linken in Westdeutschland

Mit der „Ideengeschichte“ der Neuen Linken hat sich das Heft 2018/II der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ auseinandergesetzt. Im Gespräch schildert David Bebnowski (verantwortlicher Redakteur dieser Ausgabe – seine Einleitung zum Schwerpunkt hier) den Anlass des Themenschwerpunkts und spricht über Ursprünge der Neuen Linken (mit dem Schlüsseljahr 1956), die Rolle der Theorie, die Rolle West-Berlins als Zentrum der Neuen Linken, die Rolle der Universitäten und der Politikwissenschaft. Insbesondere geht es auch um die Rolle Franz Neumanns, zu dem Bebnowski gearbeitet hat.

Im Mai ist die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ erschienen, die sich mit der Geschichte der Neuen Linken auseinandersetzt. Wir sprachen mit David Bebnowski, dem inhaltlich verantwortlichen Redakteur dieser Ausgabe. Wir fragten ihn zunächst nach der Geschichte der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“, die ursprünglich als „JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung” erschienen ist. (via)

    Download: via FRN (mp3; 38 MB; 22:43 min)

3.) Leo Kofler – Ein vergessener Vordenker der Neuen Linken

Eine Zeit lang ging die Theorieentwicklung der Neuen Linken mit Impulsen einher, die vom Frankfurter Institut für Sozialforschung ausgegangen waren – später kam es (wie unten noch zu sehen sein wird) auch zum Bruch mit diesen „Vordenkern“. Es gab jedoch bereits von Anfang an Vorbilder und Einflüsse von Denkern, die der kritischen Theorie Frankfurter Provenience kritisch gegenüberstanden. Zu diesen Figuren gehört auch Leo Kofler, wie Christoph Jünke hervorkehrt, der selbst zu den Schülern Koflers gehört. Er spricht über die politisch-theoretische Herkunft Koflers, über seine Tätigkeit in der außerakademischen Bildungsarbeit und sein Verhältnis zur „Frankfurter Schule“. Siehe Jünkes Kofler-Biografie (PDF) und die Homepage der Kofler-Gesellschaft.

Als marxistischer Theoretiker ist Leo Kofler heute kaum noch bekannt. Dies mag darin liegen, dass sein Denken quer zu eindeutigen Traditionslinien lag: So verband er etwa die politischen Ansätze des Austromarxisten und Linkssozialisten Max Adler mit Motiven des marxistischen Philosophen Georg Lukács. Obwohl Leo Kofler heute kaum noch bekannt ist, kann seine Rolle als Vordenker der 68’er nicht unterschätzt werden – seit Anfang der 50er Jahre war er in der außerakademischen Bildungsarbeit aktiv. Wir sprachen mit dem Kofler-Biographen Christoph Jünke und fragten ihn zunächst nach seinem persönlichen Zugang zu Leo Kofler. (via)

    Download: via FRN (mp3; 40 MB; 24:55 min)

4.) Johannes Agnoli – Ein Staatskritiker mit Lehrstuhl

Johannes Agnoli war Stichwortgeber für die Neue Linke, nahm ihre Impulse in sein eigenes Denken auf und er reflektierte ihre Beschränkungen. Sein Buch „Transformation der Demokratie“ kann als eines der wichtigsten Werke für die Neue Linke in Westdeutschland gelten. Dennoch war er eine Einzelperson, die zu keiner der festen Gruppen der Neuen Linken gehörte. Im Gespräch mit Felix Klopotek geht es um den Lebensweg Agnolis, seine Rolle in verschiedenen Debatten und um Vorwürfe, die immer wieder gegen Agnoli lanciert worden sind. Siehe auch Klopoteks Vortrag über Agnoli.

Das Buch „Transformation der Demokratie“ von Johannes Agnoli verhalf den Aktivisten der außerparlamentarischen Opposition zu einer Kritik desjenigen Staates, dessen Polizeiknüppel sie zuvor auf den eigenen Köpfen gespürt hatten. Agnoli nahm an zahlreichen Debatten der Neuen Linken teil und versuchte den Charakter des antiautoritären Protests (sowie seine Beschränkung) auf den Begriff zu bringen. Wir sprachen mit Felix Klopotek über diesen Staatskritiker mit Lehrstuhl.

Johannes Agnoli wurde 1925 in Italien geboren – das heißt er hat den Faschismus als junger Mann miterlebt. Aber nicht nur das: über die SS meldete er sich bei der Wehrmacht, um an der Seite der Deutschen kämpfen zu können. Wir fragten Felix Klopotek wie Agnoli von einem jungen Faschisten zu einem Theoretiker der Neuen Linken wurde. (via)

    Download: via FRN (mp3; 47 MB; 29:12 min)

5.) Peter Brückner – Ein großer Bruder der ApO

Ein Kollege von Agnoli war Peter Brückner – er hatte etwa einen Essay zu Agnolis „Transformation der Demokratie“ beigesteuert. Während bei Johannes Agnoli der Faschismus Italiens den Erfahrungshintergrund prägte, war es bei Peter Brückner der deutsche Nationalsozialismus – diese Erfahrung hat das ganze Denken Brückners beeinflusst. Brückner begleitete die Debatten der radikalen Linken bis zu seinem Tod und hat dafür als Proffessor immer wieder Stress gekriegt. Christoph Jünke spricht im Interview über Brückners Verhältnis zum SDS und zur antiautoritären Protestbewegung, seine Suspendierungen und seine Reflexionen über den bewaffneten Kampf. Siehe auch: Ein Interview mit Simon Brückner, dem Sohn Peter Brückners, der einen Dokumentarfilm über seinen Vater gedreht hat – und: die Aufnahmen einer Theorie-Praxis-Lokal-Seminarreihe über Brückner.

Der kritische Sozialpsychologe und Hochschullehrer Peter Brückner war ein stetiger Begleiter und Diskussionspartner der radikalen Linken in der Nachkriegs-BRD. Er hatte Kontakt zum SDS, gehört zu den Gründern des Club Voltair in Hannover und sprach sich für das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg aus. In seinen Texten versuchte er, der Protestbewegung zu einem kritischen Bewusstsein zu verhelfen und kritisierte ihre Beschränkungen. Immer wieder äußerte sich Brückner auch zum bewaffneten Kampf – was ihm eine mehrmalige Suspendierung einbrachte. Wir sprachen mit dem Historiker Christoph Jünke über diesen älteren Bruder der ApO.

Peter Brückner wurde im Jahr 1922 in Dresden geboren – den Nationalsozialismus erlebte er als Jugendlicher. Eine autobiographische Skizze über diese Zeit überschrieb er mit dem Titel „Das Abseits als sicherer Ort“. Wir fragten Jünke zunächst, wie Peter Brückner den Nationalsozialismus überlebte. (via)

    Download: via FRN (mp3; 36 MB; 22:37 min)

6.) Hans-Jürgen Krahl – Ein Theoretiker der Neuen Linken

Rudi Dutschke war nicht nur ein charismatischer Sprecher der anti-autoritären Fraktion innerhalb des SDS – (als Schüler Ernst Blochs) war er auch ein wichtiger Theoretiker der ApO. Christoph Jünke hat dies in einem Text über Dutschke herausgestellt. Während Rudi Dutschke heute nach wie vor als Ikone der 68er gilt, ist Hans-Jürgen Krahl heute nahezu unbekannt – und das, obwohl Krahl innerhalb des SDS mindestens genauso wichtig war wie Dutschke. Als Schüler Adornos hat die kritische Theorie die Perspektive von Krahls Denken maßgeblich bestimmt – und doch hat Krahl eine Kritik an Adornos Positionen erarbeitet. Im Interview rekonstruiert Carsten Prien (u.a. Krahl-Briefe) die politische Sozialisation Krahls und spricht über seine Rolle innerhalb des SDS, Aspekte seiner kritischen Theorie (als einer Theorie der Klassengesellschaft), sein Verhältnis zu Adorno und die Aktualität von Krahls Denken. Siehe auch: Aufnahmen einer TPL-Veranstaltungsreihe über Krahl – und: Krahls „Angaben zur Person“ (verfilmt von der Gruppe Slatan Dudow).

Für den SDS war er ebenso relevant wie Rudi Dutschke, ist aber heute viel weniger bekannt: Hans-Jürgen Krahl. Als Adorno-Schüler versuchte er das theoretische Bewusstsein der außerparlamentarischen Opposition voranzutreiben – seine hinterlassenen Texte zeugen von analytischer Schärfe und Weitsicht. Wir sprachen mit Carsten Prien über diesen Theoretiker der Neuen Linken.

Carsten Prien ist Mitarbeiter des Projekts „Krahl-Briefe“. Wir fragten ihn zunächst nach der Geschichte dieses Projekts. (via)

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 20:05 min)

Im vierten Teil der 68er-Beitragsserie wird es um die Ausläufer und Nachfolger von 1968 gehen.

Talkin‘ bout a Revolution?! #2

1968 als multipolares Weltereignis

1868 war ein multipolares, mehrdimensionales Weltereignis. Nicht nur, dass die von 68 ausgehende Bewegung in ihrem Selbstverständnis internationalistisch war – weltweit brachen in den Fabriken und Universitäten ähnliche Konflikte auf, in der sogenannten 3. Welt formierten sich anti-koloniale Befreiungsbewegungen. Es verallgemeinerte sich die Jugend als eigenständiger Lebensabschnitt, der mit einem spezifischen Warenangebot versehen und mit diversen Konflikten verbunden ist. Es formieren sich überall Gruppen, die sich dissident zum damals vorherrschenden Modell kommunistischer Parteien verhielten und eine Revision des Marxismus vornahmen (später bezeichnet als „Neue Linke“). All dies ist verbunden mit einer wechselseitigen Bezugnahme und gegenseitigen Beeinflussung. (Siehe auch diesen Text.) Im zweiten Teil unser 68er-Reihe (Teil 1 hier) beleuchten wir die internationale Dimension von 1968.

1.) Die Situationisten und der Pariser Mai 1968

Die Situationistische Internationale gehört zu den oben genannten dissidenten Gruppierungen, die bereits ab Mitte der 50er Jahre zu wirken begannen und später zu wichtigen Stichwortgebern der 68er-Revolte geworden sind – wobei es den Situationisten selbst darum ging, der radikalste und theoretisch versierteste Ausdruck der revolutionären Bewegung zu sein. Im Gespräch rekonstruieren Kazimir und Negator (BBZN) die Rolle der Situationisten im Pariser Mai 68 und gehen dabei auf die historische Situation im Frankreich der 60er Jahre ein. (Siehe auch die Buchbesprechung zu „Paris Mai 68 – Die Phantasie an die Macht„. Siehe auch „Midnight Notes: Zwei Sendungen über 1968„.)

In der Nachkriegszeit bildeten sich überall neue, linksradikale Gruppen heraus, die nach Organisierungsmodellen jenseits der kommunistischen/sozialistischen Parteien und der traditionellen Gewerkschaften suchten. Zu ihnen gehörte auch die „Situationistische Internationale“ (1957 – 1972). Die Situationisten waren auch während der Maitage 1968 in Frankreich aktiv. Wir sprachen mit Negator und Kazimir über die Situationisten und den französischen Mai ’68. [via]

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2.) Italien: Ein Kampfzyklus 1960-1980

Eine weitere dissidente neo-marxistische Strömung ist später mit dem Stichwort „Operaismus“ bezeichnet worden und ist eng mit den Klassenkämpfen in Italien verbunden. Das besondere an der italienischen Situation besteht darin, dass hier radikale Studentenbewegung und militante Fabrikkämpfe eine Verbindung eingegangen sind und sich die Kämpfe über beinahe zwei Jahrzehnte hinweg zogen – bis hin zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in den 70er Jahren. Über diesen Kampfzyklus und den Operaismus war Christian Frings im Gespräch. (Über Italien siehe auch ein Gespräch mit Thomas Bremer.)

Die Ereignisse, die üblicherweise mit der Chiffre „1968“ bezeichnet werden, zogen sich in Italien über beinahe drei Jahrzehnte hin. Die Auseinandersetzungen waren in Italien besonders intensiv. Wir sprachen mit Christian Frings über die italienische Gesellschaft der Nachkriegszeit, die Ereignisse von 1960 und 1962, die Operaisten, den heißen Herbst 1969, die 77er-Bewegung und die Strategie der Spannung. Am Ende schlagen wir den Bogen zur Gegenwart.

Zunächst fragten wir nach der Nachkriegszeit in Italien. Italien hatte eine faschistische Vergangenheit, hier hatte es jedoch eine starke Resistenza-Bewegung gegeben. Inwiefern hat dies die Nachkriegszeit bestimmt? [via]

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3.) 1968 international – ein grenzenloser Aufbruch

Unter dem Titel „1968 international – ein grenzenloser Aufbruch“ hat die Zeitschrift iz3w im Januar/Februar 2018 eine Schwerpunktausgabe veröffentlicht. Die Ausgabe hat sich nicht nur mit 1968 im globalen Süden auseinandergesetzt, sondern auch mit der Geschichte der Zeitschrift selbst – denn 50 Jahre 1968 und 50 Jahre iz3w fielen zusammen (in diesem Zusammenhang hat iz3w auch einiges Audiomarterial veröffentlicht: hier). Im Gespräch mit dem iz3w-Redakteur Christian Stock gibt es einen kusorischen Überblick über 1968 im globalen Süden.

Im Rahmen unserer Sendereihe über 1968 wollen wir den Rahmen des nationalen Geschichtsbewusstseins verlassen und 1968 als ein globales Geschehen in den Blick nehmen. Dazu passend hat die Zeitschrift „iz3w“ im Januar/Februar ein Themenheft veröffentlicht. Wir sprachen mit dem Redakteur Christian Stock über diese Ausgabe und 1968 im globalen Süden. Zunächst baten wir ihn, das iz3w vorzustellen. [via]

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4.) 1968 in Afrika

In der im April/Mai 2018 folgenden Ausgabe von iz3w hat Bernhard Schmid einen Artikel mit dem Titel „1968: Révolution Afrique“ geschrieben. Im Gespräch mit Radio Dreyeckland skizziert er Ereignisse um das Jahr 1968 herum in Afrika.

Das magische Revoltenjahr gab es nicht nur in Europa und den USA auch in Mexiko und im frankophonen Afrika war es ein Jahr der Revolte und mehr als ein Anhängsel von Paris oder Westberlin. Der Frankreichskorrespondent von Radio Dreyeckland, Bernard Schmid vertritt sogar die These, dass es den Mai 68 in Paris ohne den Kontakt der französischen Linken jenseits der KP so garnicht gegeben hätte. Das Interview könnt Ihr hier nachhören oder den Artikel im neuen Heft der iz3w nachlesen. [via]

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5.) Das Massaker von Tlatelolco

Im oben dokumentierten Gespräch mit Christian Stock (iz3w) wird die harte Repression des mexikanischen Staates gegen die Studentenbewegung von 1968 erwähnt. Zentral war dabei das Massaker von Tlaltelolco – ein Massenmord an 200 bis 300 friedlich demonstrierenden Studenten im Stadtteil Tlatelolco von Mexiko-Stadt. Über diesen Massenmord und seine (ungenügende) Aufarbeitung sprach Radio Dreyeckland mit dem Historiker Julián. (Siehe ein weiteres Gespräch mit Julián über Proteste und Gewalt vor dem 02.10.1968.)

Historiker Julián erzählt uns von einem menschenverachtenden Kapitel der mexikanischen Geschichte, als am 2. Oktober 1968 der Staat der Studierendenbewegung gewaltsam ein Ende setzte. Das „Bataillon Olympia“, war eigentlich für die Sicherheit der olympischen Spiele verantwortlich und verursachte heute vor 50 Jahren ein Blutbad.

Während des ganzen sogenannten „Schmutzigen Krieges“ in Mexiko verschwanden etwa 1.200 Personen; man spricht von Folter und politischen Gefangenen, sogar von einer Geheimpolizei. [via]

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6.) 1968 in der DDR, der Tschechoslowakei und Polen

Auch im Ostblock war 1968 ein Jahr der Bewegungen und Proteste – und die Entstehung der „Neuen Linken“ im Westen ist auch von zentralen Verschiebungen im Ostblock beeinflusst (die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU, der Aufstand in Ungarn 1956, der Prager Frühling 1968). In der DDR lässt sich kaum von einer 68er-Bewegung sprechen – und doch war es auch hier ein Jahr der Proteste und Konflikte. Das ist die These von Bernd Gehrke (AK Geschichte Sozialer Bewegungen Ost West), der im Gespräch einen Überblick über Bewegungen und Ereignisse um 1968 herum in der DDR, der Tschechoslowakei und Polen gibt. (Siehe auch Bernd Gehrke über das „proletarische 1968“ hier.)

Auch wenn in der DDR 1968 keine vergleichbare Revolte stattfand wie in der BRD, war es doch auch hier ein Jahr außerordentlicher Proteste. Dabei ging es sowohl um subkulturelle Bewegungen als auch um Auseinandersetzungen um Öffentlichkeit in den Betrieben.

In der Tschechoslowakei und in Polen fanden unterdessen Ereignisse statt, die für 1968 zentral waren: In der CSSR leuteten Gewerkschaften und kritische Intelligenz den Prager Frühling ein, der schließlich niedergeschlagen wurde. Auch in Polen gab es eine Studentenbewegung, die für eine Demokratisierung des Sozialismus eintrat – sie wurde niedergeschlagen und die Partei leitete eine antisemitische Kampagne ein.

Hinter all dem steht ein längerer Entwicklungsprozess, für den das Jahr 1956 zentral ist: Anfang dieses Jahres sprach Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU über die Verbrechen Stalins – am Ende des Jahres wurde die Räte-Bewegung in Ungarn niedergeschlagen. Die Räte sind immer wieder Bezugspunkt in den nachfolgenden Ereignissen.

Über diese Ereignisse sprach Radio Corax mit Bernd Gehrke. Wir fragten ihn zunächst nach der Quellenlage und danach, woran es liegt, dass „1968 in der DDR“ in der heutigen Öffentlichkeit kaum präsent ist. [via]

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7.) 1968 in Japan

Auch in Japan gab es 1968 eine starke Studentenbewegung, die dort besonders radikal und militant auftrat. Die in Japan geführten Kämpfe, in deren Zusammenhang die Zengakuren zentral waren, wurden weltweit zu einem Vorbild und diese suchten ihrerseits Kontakte zu Gruppierungen der Neuen Linken in anderen Ländern. Die Entwicklung der Bewegung, ihre Militarisierung und Sektenbildung, hat für die Japanische Linke bis heute traumatisierende Folgen. William Andrews hat eine Forschungsarbeit unter dem Titel „Japanese Radicalism and Counterculture, from 1945 to Fukushima“ veröffentlicht. Ein erweiterter Auszug aus diesem Buch über die Japanische Rote Armee ist in deutscher Übersetzung bei Bahoe Books erschienen. Andrews sprach mit Corax über 1968 in Japan. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.

Die Stärke der japanischen Linken strahlte in den 1960er Jahren in die ganze Welt. Die Studierendengewerkschaft Zengakuren machte aus den japanischen Universitäten verbarrikadierte Stützpunkte und Ausbildungszentren des Klassenkrieges. Auf riesigen Demonstrationen kämpften tausende behelmte und mit Stöcken bewaffnete Studenten gegen die Polizei. Auf internationalen Konferenzen mit Gruppen wie den Students for a Democratic Society, dem Weather Underground, den Black Panthers oder dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, wurde versucht durch intensive Vernetzung eine weltweite simultane Revolution denkbar zu machen. Hierzulande ist über 1968 in Japan jedoch relativ wenig bekannt.

William Andrews lebt in Tokyo und forscht zur Geschichte der sozialen Bewegungen in Japan. Wir sprachen mit ihm per Skype und fragten ihn zunächst, wie sein Interesse an der japanischen Geschichte zustandekam und nach den Gründen, letztlich nach Japan zu ziehen. [via]

    Download: via FRN (mp3; 61 MB; 37:49 min)

8.) DRUM Beats Detroit – Schwarze Fabrikrevolten 1968

1968 war Detroit ein Zentrum der Fabrikrevolten, die eng mit antirassistischen Kämpfen verbunden waren. Die Heftigkeit und Militanz der Bewegung in Detroit ist historisch verbunden mit der Rolle der Stadt im 2. Weltkrieg, den ökonomischen Verschiebungen nach 1945 und der rassistischen Segregation. Auch in Detroit enstanden Gruppierungen der Neuen Linken, die marxistische Analyse und eine Thematisierung der spezifischen Situation schwarzer FabrikarbeiterInnen miteinander verbanden. Christian Frings, Felix Klopotek, Malte Meyer und Peter Scheiffele haben einen Text darüber geschrieben. Auf Basis dieses Textes und eines Interviews mit Felix Klopotek ist im Rahmen der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge ein einstündiges Feature entstanden. (Siehe auch ein Interview in der Jungle World.)

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Im nächsten Teil der Beitragsserie widmen wir uns den Theoretikern der „Neuen Linken“.

Talkin‘ bout a Revolution?! #1

Wir dokumentieren im Folgenden in einer mehrteiligen Beitragsserie eine Sendereihe, die im letzten Jahr auf Radio Corax zu hören war: Talkin‘ bout a revolution?! Sendereihe über 1968 und die Folgen. Nach Abschluss der Beitragsserie dokumentieren wir auch eine gleichnamige Vortragsreihe und thematisch verwandte Vorträge. Die SendungsmacherInnen haben ihre eigenen Intentionen zur Sendereihe folgendermaßen beschrieben:

Wenn 2018 – 50 Jahre danach – über 1968 gesprochen wird, fixiert sich die deutsche Öffentlichkeit tendenziell auf wenige Aspekte eines komplexen historischen Prozesses: 1968 erscheint als ein Generationskonflikt deutscher Studenten, der seinen Höhepunkt und Niedergang in diesem einzigen Jahr erfuhr. Wenn wir uns in einer Corax-Sendereihe diesem Thema zuwenden, wollen wir den so gesteckten Rahmen etwas erweitern: 1968 war ein Weltereignis, das mit Entwicklungen zusammenhängt, die viel eher als „long sixties“ bestimmt werden können. Es ist Kulminationspunkt einer Reihe von Konflikten und Kämpfen, in denen weltweit die Fabriken mindestens eine genauso große Rolle spielten wie die Universitäten.

Was waren die gesellschaftlichen Bedingungen, die damals die Revolution als eine Möglichkeit erscheinen ließen? Welche Aspekte waren lediglich Teil einer Modernisierung des Kapitalismus, welche Aspekte gingen darüber hinaus? U.a. diesen Fragen wollen wir uns in unserer Sendereihe widmen. Außerdem wollen wir mit Menschen ins Gespräch kommen, die das damalige Geschehen miterlebt haben und deren Sicht kaum in den üblichen Erzählungen des Jubiläums-Spektakels vorkommt.

Diese Intention wurde in der ersten Sendereihe in einem kleinen gebauten Beitrag konkretisiert, in dem Wolfgang Seidel, Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo Bilder zerstören und Narrative korrigieren (die Links in den Namen führen zum jeweils zugrundeliegenden Interview):

    Download: via FRN (mp3; 25 MB; 15:48 min)

Insgesamt zur Einführung in den Themenkomplex 1968 eignet sich ein Interview mit dem Historiker Norbert Frei, der bei dtv ein Buch mit dem Titel 1968 – Jugendrevolte und globaler Protest veröffentlicht hat. Im Gespräch geht Frei auf die epochalen Änderungen jener Zeit ein, gibt einen Überblick über zentrale Ereignisse und blickt dabei in verschiedene Länder. Er antwortet zunächst auf die Frage nach dem historischen Forschungsstand zu 1968 – im Vorwort zu einer früheren Auflage hatte er geschrieben: „Die Geschichte von 1968 ist – zumindest in Deutschland – überkommentiert und unterforscht“.

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 20:16 min)

Erinnerungen an 1968

Den ersten Teil unserer Beitragsserie beginnen wir mit einer Reihe von ausführlicheren Gesprächen über 1968 mit ProtagonistInnen, die sich auf verschiedene Weise an der damaligen Bewegung beteiligt haben. Auch wenn dabei persönliche Erinnerungen eine Rolle spielen, geht es in diesen Gesprächen um mehr, als nur Anekdoten zu erzählen. In den Interviews wird analysiert und auch selbstkritisch zurückgeschaut.

1.) Denken lernen mit Ilse Bindseil

Ilse Bindseil ist mit mehreren Publikationen bei ça ira, Beiträgen bei Ästhetik und Kommunikation und Artikeln in der Konkret bekannt geworden. Für sie ist das Jahr 1968 vor allem Teil einer intellektuellen Geschichte. Im Interview spricht sie über Auseinandersetzungen mit den Eltern, die Politisierung der Praxis, radikale Umbrüche und die Entdeckung der Theorie. Sie antwortet zunächst auf die Frage, wie sie heute über 1968 nachdenkt.

    Download: via FRN (mp3; 26 MB; 18:56 min)

2.) Keine Ruhe nach dem Sturm findet Ulrike Heider

Keine Ruhe nach dem Sturm“ ist der Titel eines Buches, das Ulrike Heider bei Bertz+Fischer veröffentlicht hat. Ulrike Heider hat zahlreiche Bücher, Textbeiträge und Radioproduktionen über Sexualität, Frauenbewegung und Anarchismus veröffentlicht. In ihrem Buch über 1968 beschreibt sie Höhepunkte, Kriminalisierung und Zerfallserscheinungen der antiautoritären Protestbewegung. Dabei erfährt man Einiges über die Frankfurter Sponti-Szene, in der sich Ulrike Heider selbst bewegt hat. Eine Besprechung des Buches (im Grunde eine komprimierte Version des unten dokumentierten Interviews) findet sich hier. Im Interview geht es u.a. um sexuelle Emanzipation und den Frankfurter SDS. Zunächst geht sie auf die Atmosphäre in der BRD der 50er/60er Jahre ein.

    Download: via FRN (mp3; 55 MB; 40:12 min)

3.) Mein 68 erzählt Hannes Heer

Der Historiker Hannes Heer ist bekannt geworden als wissenschaftlicher Gestalter der Wehrmachtsausstellung, die ab Mitte der 90er Jahre die Kriegsverbrechen der Wehrmacht dokumentiert und zahlreiche Kontroversen ausgelöst hat. Die Beteiligung Hannes Heers an der 68er-Bewegung führte zum Bruch mit seinem Vater, der früher NSDAP-Mitglied und nach 1945 CDU-Wähler gewesen war. Über das Verhältnis zu seinem Vater hat Hannes Heer einen Film gemacht: Mein 68 – Ein verspäteter Brief an meinen Vater (WDR, 1988, 45 Minuten). Damit sind Stichworte benannt, die auch für 1968 eine wichtige Rolle gespielt haben: Die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und personeller wie kultureller Kontinuitäten des NS in der Nachkriegs-BRD. Darum drehte es sich auch im Interview mit Radio Corax, in dem es auch um die Hintergründe in Bonn geht.

    Download: via FRN (mp3; 59 MB; 42:55 min)

Im nächsten Beitrag zur 68er-Beitragsserie wird es um die internationale Dimension von 1968 gehen. Siehe auch: Der 2. Juni 1967 und die Folgen.

Midnight Notes: Zwei Sendungen über 1968

Anlässlich der 30. Jährung des Pariser Mai 1968 hat das politische Magazin „Midnight Notes“ beim FSK im Jahr 1998 eine zweiteilige Sendung produziert. Die Sendungen geben nicht nur einen Einblick in die Mai-Ereignisse in Frankreich, sondern gleichzeitig einen guten Eindruck einer gewissen Ästhetik in der Szene der Freien Radios in den 90er Jahren…

1.) Die erste Sendung konzentriert sich vor allem auf eine Schilderung des Pariser Mai 1968: Der Aufstand der Studenten, die Dynamik des danach folgenden Generalstreiks und das Ende der traditionellen Linken. Material sind dabei vor allem die Schilderungen des libertären Trotzkisten Maurice Brinton, der im Mai 1968 in Paris zugegen war. Zu Wort kommen auch Lutz Schulenburg und Hanna Mittelstädt (Edition Nautilus).

    Download: via AArchiv (mp3; 84.2 MB; 1 h)

2.) In der zweiten Sendung geht es vor allem um dissident-marxistische Gruppen, die um 1968 herum Stichworte für ein autonomes Agieren jenseits der traditionellen Linken gaben: Socialisme ou barbarie, die Operaisten und die Situationistische Internationale. Der Fokus liegt dann vor allem auf der Theorie und Praxis der Situationisten.

    Download: via AArchiv (mp3; 83 MB; 1 h)

Der 2. Juni 1967 und die Folgen

Vor wenigen Tagen jährte sich der Todestag von Benno Ohnesorg zum 50. mal. In den Erzählungen über die Ursachen jener Bewegung, die später mit der Chiffre 1968 bezeichnet wurde, spielt der 2. Juni 1967 eine zentrale Rolle. Am 2. Juni 2017 wurde viel über dieses Datum gesprochen – wir dokumentieren hier einige Beiträge, die unseres Erachtens über eine unpolitische Jahrestagserinnerung hinausgehen.

1.) Benno Ohnesorg – Chronik einer Hinrichtung

Kürzlich hat Margot Overath (die u.a. ein sehr hörenswertes Feature über den Mord an Oury Jalloh produziert hat) ein Feature über die Ermordung von Benno Ohnesorg veröffentlicht. Dafür sprach sie mit Zeitzeugen und am Einsatz beteiligten Polizeibeamten über die Tat, den Tag und die Folgen bis heute. Ergänzend dazu siehe dieses Interview mit Uwe Soukup, der ebenfalls im Feature von Overath zu Wort kommt.

    Download: via SWR2 | via MF (mp3; 74.8; 54:30 min)

2.) Die studentische Linke, der Tod Benno Ohnesorgs und der 6-Tage-Krieg Israels

Ein Feature von Peter Leusch rekonstruiert die Ereignisse jener Jahre unter einem anderen Blickwinkel: Die Ermordung Benno Ohnesorgs geschah kurz vor dem 6-Tagekrieg, in dessen Folge sich die Beziehung der westdeutschen Linken zu Israel grundlegend veränderte. Leusch rekonstruiert diese Diskursverschiebung und geht dabei u.a. auf den Faschismusbegriff der Neuen Linken und ihr Verhältnis zur kritischen Theorie ein.

    Download: via ARD | via MF (mp3; 13.6 MB; 14:54 min)

3.) Das proletatrische 1968

Im Tagesaktuellen Programm von Radio Corax war der 2. Juni ein Anlass, um über 1968 zu sprechen. Ein oft ausgeblendeter Umstand ist, dass 1968 auch mit erheblichen ökonomischen Verschiebungen und mit Klassenauseinandersetzungen verbunden war. Bernd Gehrke und Gerd-Rainer Horn haben hierzu ein Buch mit dem Titel „1968 und die Arbeiter : Studien zum ‚proletarischen Mai‘ in Europa“ veröffentlicht. Radio Corax sprach mit Bernd Gehrke über dieses Buch. (Zum Thema außerdem interessant und materialreich: „Das proletarische 1968“ von Nelke.)

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 27:42 min)

4.) Rekonstruktion einer Niederlage

Der 2. Juni 1967 und der bewaffnete Kampf sind unweigerlich miteinander verbunden – die Bewegung 2. Juni hat das Ereignis zu ihrem Namen gemacht. Der 2. Juni 1967 war eines von mehreren Ereignissen, das zu einer Entwicklung führte, in der die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen dem Staat und linken Gruppen unausweichlich schien. Darüber sprach Radio Corax mit Karl-Heinz Dellwo. Der ist ehemaliges Mitglied der RAF und heute Mitbetreiber des Laika-Verlags. (Das Gespräch enthält in der ersten Hälfte zahlreiche Störgeräusche – das ändert sich ab der zweiten Hälfte.)

    Download: via FRN (mp3; 40 MB; 35:04 min)

5.) Anmerkungen zum Jahr 1968

In den Nachrichten aus dem beschädigten Leben vom 25. Januar 2016 kam Jan Gerber über 1968 zu Wort. Er rekonstruiert 1968 als Teil einer Modernisierungsbewegung des Kapitalismus – die 1968er haben dem Kapital zu einer Neuausrichtung verholfen:

    Download: via FRN (mp3; 13 MB; 7:50 min)

Dieser Kommentar wurde wiederum kritisch von einem Moderatoren von Radio Corax kommentiert:

    Download: via FRN (mp3; 0.7 MB; 4:16 min)

Auf dem Blog der interventionistischen Linken wurde übrigens ein lesenswertes Interview mit einem ehemaligen Mitglied der Bewegung 2. Juni veröffentlicht – die Interventionistische Linke ruft angesichts einiger Jahrestage zu einer Debatte über Geschichtspolitik auf. Zum Thema sei außerdem empfohlen: Johannes Agnoli – 1968 und die Folgen (da dieses Buch über den ça ira Verlag leider nicht mehr lieferbar ist, muss man im Internet findig sein).