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Den leeren Himmel anrufen

Adrian Lauchengrund hat nach diesem – über den Verlust der Utopie – ein weiteres Feature produziert. Darin geht es um „den medialen Raum als ideologische Form einer erst herzustellenden Öffentlichkeit, in der es tatsächlich um die Menschen und ihre Angelegenheiten ginge, entlang der Begriffe der Zerstückelung und der Zerissenheit“. Hier das Feature

In Erinnerung an Hunter S. Thompson

Vor wenigen Tagen, am 20. Februar, jährte sich der Todestag von Hunter S. Thompson zum zehnten mal. In Deutschland ist er vor allem durch den Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“ und dessen Verfilmung von Terry Gilliam bekannt geworden. Dabei lohnt es sich doch vor allem sich auch das journalistische Werk des Begründers des Gonzo-Journalismus zu vergegenwärtigen. Thompson hat bewiesen, dass es möglich ist, über politisches Tagesgeschehen oder gar über Sportereignisse zu schreiben und dabei gleichzeitig radikal, treffsicher, feindselig, witzig und unterhaltsam zu sein. Die heutigen linken Schreiberlinge könnten sich mal etwas davon abschauen. Aus diesem Grund dokumentieren wir zwei Beiträge, die an Hunter S. Thompson erinnern.

1.) The Crazy Never Die

Im Jahr 2011 hat Deutschlandradio Kultur eine Lange Nacht über Hunter S. Thompson gesendet. Das rund dreistündige Feature von Tom Noga ist ein ausführliches Portrait von Thompson, das die verschiedenen Phasen des Schriftstellers durchgeht und dabei die Hoffnungen und Wirren der 60’er Jahre und ihrer Nachwehen eindrücklich hörbar macht. Es sind zahlreiche O-Töne zu hören, sowie Interviews mit Thompson und mit einigen seiner Freunde und Zeitgenossen. Das Ganze ist mit zahlreichen Auszügen aus Thompsons eigenen Texten illustriert und mit 60’er-Jahre-Musik unterlegt.

    Download: via NDR | via Mediafire (mp3; 197.4 MB; 2:48:15 h)

2.) 10. Todestag: Gonzo-Erfinder Hunter S. Thompson

Ein kürzeres Feature wurde anlässlich des 10. Todestages von Hunter S. Thompson auf Radio RaBe gesendet. Das Feature enthält mehrere Interview-Auszüge, es geht um den Gonzo-Journalismus, um Thompsons Wahlkampf für Freak Power und vor allem wird ein Fokus auf seine politische Betätigung gelegt. Im Feature wird auch deutlich, dass Thompson gegen Ende seines Lebens zu Verschwörungstheorien neigte und die Sicherheit im politischen Urteil eher verlor (etwa beim Vergleich George W. Bushs mit Hitler) … – was auch für antideutsche Ideologiekritiker kein Grund sein sollte, die frühen Texte von Hunter S. Thompson zu verschmähen (schließlich war Thompson immer auf der Suche nach dem american dream).

Am 20. Februar 2015 jährt sich der Todestag von Hunter S. Thompson, U.S. amerikanischer Schriftsteller und Journalist. Vor zehn Jahren erschoss er sich 67-jährig in seinem Haus in der Nähe von Aspen, Colorado. Berühmt wurde er für seinen verfilmten Reportage-Roman „Fear and Loathing in Las Vegas“. Mit seiner kritischen Politikberichterstattung half er unter anderem mit, das legendäre Magazin „Rolling Stone“ zu etablieren. Zudem wird ihm hoch angerechnet, dass er es mit seinem von ihm erfundenen Gonzo-Stil geschafft hatte, die Grenze zwischen Journalismus und Literatur zu verwischen. Eine Hommage an Hunter S. Thomspon von Michael Spahr. [via]

    Download: via FRN (mp3; 30 MB; 13:04 MB)

Kritische Zombies

Apropos Utopie/Dystopie – einige der populärsten Dystopien kommen aus dem Zombie-Genre. Hierzu drei Beiträge:

1. Gesellschaftskritik in Zombie-Filmen

Im Rahmen des Jour-Fixe der Falken Erfurt hat einer der Falken-Genossen einen Vortrag über Gesellschaftskritik in Zombie-Filmen gehalten. Er informiert über Ursprünge und die Entwicklung des Genres, bespricht einige wichtige Zombie-Filme und arbeitet verschiedene gesellschaftskritische Motive aus diesem Material heraus.

Wenn die Toten erwachen …

Zombiefilme haben den Ruf, genauso stumpfsinnig und geistlos zu sein wie die darin vorkommenden Untoten – aber das stimmt nur zum Teil. Tatsächlich können die inszenierten Dystopien und Endzeitszenarien durchaus als Projektionsfläche einer allgemein empfundenen Ohnmacht gegenüber der Gesellschaft und Artikulation eines Fortschrittspessimismus gelesen werden. Anhand von Filmausschnitten und Thesen diskutieren wir verschiedene Interpretationsansätze. [via]

    Download: via Aarchiv (mp3; 40.7 MB; 29:40 min)

2. Der Zombie ist der Wert

Ähnliche Motive arbeitet der Text „Der Zombie ist der Wert“ von Alex Schärer heraus, der in der Züricher Zeitschrift Risse – Analyse und Subversion – No.6 erschienen ist. In der Sendereihe Sexy Kapitalismus … oder Pop ist eine Pizzaschachtel wurde dieser Text, unterlegt mit passender Musik und Audio-Film-Schnipseln, schon vor einiger Zeit einmal vorgelesen. Der Text konzentriert sich auf die Motive der Zombie-Triologie von George Romero und bringt diese am Schluss mit einigen wertkritischen Theoremen in Verbindung.

    Download: via Mediafire (mp3; 54.9 MB; 1h)

3. Zombies! Dekonstruktion eines Mythos

Auf Deutschlandfunk wurde 2011 ein aufwendig produziertes Feature über den Zombie-Mythos von Markus Metz und Georg Seeßlen gesendet. Darin wird die Entwicklung des Zombie-Mythos von seinen Ursprüngen im Voodo-Kult bis zu den postmodernen Hollywoodproduktionen hörbar, wobei vor allem die Ähnlichkeit zwischen Mensch und Zombie herausgearbeitet wird. Es kommen verschiedene Kulturwissenschaftler, Autoren und Filmproduzenten zu Wort und das Ganze wird von zahlreichen Samples und eigens produzierten Hörspielsequenzen gerahmt. Eine durchaus hörenswerte Radioproduktion.

50 Millionen Menschen auf der Welt bekennen sich zu der aus Afrika stammenden Religion, die in der westlichen populären Kultur als „Vodoo“ bezeichnet wird und hier für wüste Okkult- und Verschwörungsfantasien herhalten muss. Zu den faszinierend-bedrohlichen Vorstellungen dabei gehört der Zombie: der durch Zauberei in eine willenlose Hülle verwandelte Mensch.

Die ersten Hollywood-Zombie-Filme standen in den 1930er-Jahren noch ganz unter dem Eindruck der tendenziösen Berichte aus Haiti und des Schocks der erfolgreichen Sklavenrevolte, bei der die Vodoo-Religion eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatte. Mit wenigen Ausnahmen wurde in der Filmproduktion der rassistisch-propagandistische Aspekt gedankenlos übernommen und mit anderen Horror-Mythen verbunden. Erst George A. Romero schuf 1968 mit seinem rauen Film „The Night of the Living Dead“ einen neuen Bezug: Der Zombie als Metapher des Verfalls von Kapitalismus und Demokratie. Seitdem sind Zombie-Filme, -Songs, -Bücher und -Comics aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken.

Produktion: DLF 2011 [via]

    Hören: via DLF-Stream (1 h)

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Michel Foucault – Was macht Macht?

Michael Reitz hat für RadioWissen ein hörenswertes Feature über Foucault gestaltet.

Der französische Philosoph Michel Foucault ist einer der einflussreichsten kritischen Denker der Moderne. Ihn interessierte, wie Macht entsteht, wozu sie benutzt wird und was sie aus Menschen machen kann.

Download: via BR | via RS.com (0:22 h, 20 MB)

»Sehr, sehr unviktorianisch«

Beiträge über Virginia Woolf

Wer sich mit feministischer Theorie und der Geschichte des Feminismus auseinandersetzt, wird um eine Autorin nicht herumkommen: Virginia Woolf. In einem ihrer bekanntesten Texte, dem Essay »A Room of one’s own«, fordert sie – so sehr ihr Horizont ein bürgerlicher bleibt – auf bezwingend materialistische Weise, dass Frauen, wenn sie literarisch produktiv sein wollen, zum einen ein eigenes Zimmer haben müssen, in dem sie von allen reproduktiven Ansprüchen unbehelligt bleiben können und zum anderen über eigenes Geld verfügen können müssen. Gleichwohl ist ihr Wirken nicht auf den politischen oder literarischen Feminismus zu reduzieren – ihre Romane und Erzählungen haben stilbildend den inneren Monolog in der modernen englischen Literatur zur Anerkennung gebracht und stehen in Erzählkunst und Wagnis einem Marcel Proust oder James Joyce in nichts nach. Wir machen im Folgenden auf vier Beiträge zu Werk und Leben von Virginia Woolf aufmerksam:

1. »Sehr, sehr unviktorianisch« – Virginia Woolf – Pionierin der literarischen Moderne

Erst kürzlich ist im Hörspiel-Pool des Bayrischen Rundfunks ein biographisches Feature über Virginia Woolf erschienen. Der Erzählung ihres Lebensweges sind, neben Zeugnissen ihrer Zeitgenossen, zahlreiche Ausschnitte aus ihren Werken beigegeben. [Call: Die Datei auf dem Server von BR2 ist über weite Strecken hin beschädigt – wenn jemand im Besitz einer nichtbeschädigten Version ist – her damit!]

Bereits mit ihrem ersten Roman „Die Fahrt hinaus“ (The Voyage Out, 1915) setzte sich Virginia Woolf über die literarischen Konventionen ihrer Zeit hinweg und veranlasste ihren Freund, den Schriftsteller Lytton Strachey, zu dem Ausruf: „Oh, es ist sehr, sehr unviktorianisch!“ Das könnte als Motto über dem Leben von Virginia Woolf stehen, aber nur als eines von vielen, denn ihr Werk als Schriftstellerin und Biographin, als Essayistin, Literaturkritikerin und Verlegerin war vielschichtig und facettenreich. Virginia Woolf wurde 1882 als Tochter eines angesehenen Intellektuellen und einer viktorianischen Dame der gehobenen Mittelklasse geboren. Schulbildung für Mädchen lehnte ihre Mutter ebenso ab wie Studium, Beruf und Wahlrecht für Frauen. Sich von dieser viktorianischen Knebelung zu befreien, war eines der Ziele von Virginia Woolfs Schreiben. Sie begann ihre Laufbahn mit literarischen Rezensionen, dann folgten Prosawerke und zahlreiche Essays. Sie machte sich auf, den Roman zu revolutionieren, und die Gattung der Biographie gleich mit. Keine klar strukturierten Handlungsverläufe, keine deutliche Personencharakterisierung, keine allwissende Erzählstimme. Stattdessen tauchte sie ein in die Innenwelten ihrer Figuren, erzählte fragmentarisch von ganz normalen Ereignissen an ganz normalen Tagen. In wunderschön komponierter rhythmischer Sprache, in poetischen Bildern und Metaphern, mit Witz, Ironie und mit Wut auf den Militarismus und den Krieg, das patriarchale System und die Unterdrückung von Frauen. Zwischen 1922 und 1931, der produktivsten Zeit in ihrem Leben, veröffentlichte Woolf fünf experimentelle Werke: die Romane Jacobs Zimmer (Jacob’s Room), Mrs. Dalloway (Mrs. Dalloway), Zum Leuchtturm (To the Lighthouse), Die Wellen (The Waves), die fiktive Biographie Orlando. Daneben zahlreiche Essays, darunter den wegweisenden Ein Zimmer für sich allein (A Room of One’s One). Mit diesen Werken wurde sie zur angesehenen Schriftstellerin und zur bedeutendsten englischen Autorin der Moderne. Virginia Woolf erlebte in jungen Jahren den sexuellen Missbrauch durch ihre Halbbrüder und den Tod ihrer engsten Familienangehörigen. Zu diesen belastenden Erfahrungen kam der Ausbruch einer psychischen Krankheit, unter der sie ein Leben lang litt. Als sie 1941 befürchten musste, wahnsinnig zu werden, nahm sie sich am 28. März 1941 das Leben. / Realisation: Mira Alexandra Schnoor / BR 2013

    Hören: via BR | Download via BR2

2. »Ein eigenes Zimmer«

In der BR2-Mediathek steht außerdem ein weiteres, etwas kürzeres, aber ebenfalls hörenswertes biografisches Feature zur Verfügung, in dem einige literarische Motivie Woolfs beleuchtet werden.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts in die Ober-und Bildungsschicht des spätviktorianischen Londons hineingeboren, begann sie früh, sich schreibend mit der Innen- und Außenwelt zu befassen. Traditionelle Erzähltechniken aufbrechend, wurde Woolf zur wichtigsten Vertreterin der literarischen Moderne. Die „Bloomsbury Group“, ein Kreis Kreativer, gilt als Inbegriff kreativer Lebens- und Arbeitsform. Trotz ihrer körperlichen und psychischen Labilität arbeitete Virginia Woolf mit großer Intensität an ihrem Werk. Die Abwendung von patriarchalen Werten, die Selbstreflexion und Betonung der weiblichen Sicht, machten sie zur Gallionsfigur der Frauenbewegung und zum Vorbild weiblicher Selbstentfaltung unter erschwerten Bedingungen.

    Hören: via BR2 | Download: via BR2

3. Jacobs Zimmer

Beim Bayrischen Rundfunk werden meines Erachtens zur Zeit einige der besten zeitgenössischen Hörspiele produziert – im letzten Jahr wurde dort der Roman Jacobs Zimmer von Virginia Woolf als Hörspiel in vier Teilen gesendet. Der Roman ist eine Charakterstudie an dem Protagonisten Jacob Flanders, wobei dessen innere Vorgänge permanent mit den Eindrücken kontrastiert werden, die andere Personen um ihn herum von ihm haben. Thema ist die Sinnlosigkeit und das Scheitern eines Lebens kurz vor und im Zuge des ersten Weltkriegs.

Eine Schriftstellerin um die Vierzig im Prozess, ihren scharfen Blick auf die Welt, deren Politik und innere Mechanik in erfahrungsnaher Literatur darzustellen. Eine untergehende Gesellschaftsform im England der (Vor-)Kriegszeit und ein junger Mann, der im Ersten Weltkrieg stirbt, noch bevor er seine Persönlichkeit voll entfalten konnte. Virginia Woolf, ihr Gegenstand und der Wunsch nach einem neuen, unmittelbaren Ausdruck: Das sind die äußeren Koordinaten des Romans Jacobs Zimmer, der 1922 erschien und ein wenig bekanntes Meisterwerk der Moderne ist.

Aus der inneren Logik des Romans entsteht eine faszinierende literarische Erfahrung, eine multisensorische Folge von atmosphärischen Ausschnitten, kurzen Einblicken, vielstimmigen Einschätzungen, die lose chronologisch aneinandergereiht sind. Wir begegnen Jacob als Kleinkind am Strand, erhaschen Eindrücke aus seiner Schulzeit, seinem Studentenleben in Cambridge, sehen ihn durchs nächtliche London zu einer Geliebten gehen oder nach Griechenland reisen. Das Unerhörte daran: Jacob selbst spricht nie und genau das war Virginia Woolfs Schlag gegen die viktorianische Erzählkonvention, in der sie sozialisiert wurde, und deren autoritäre Vorgaben sie zeitlebens angriff. Ihre gelungene Romanerfindung arbeitet erstmals mit einer Art fotografischer Schnitttechnik und zeigt, dass Jacob durchaus da ist: heraufbeschworen, nicht aus der Aufzählung von charakterbestimmenden Fakten und gedrechselten Sätzen eines allwissenden Erzählers, sondern auf geisterhafte Weise in Facetten gespiegelt: in den Blicken, Gedanken- und Gesprächsfetzen seiner Umgebung. Es ist, als blättere man mit angehaltenem Atem durch das Fotoalbum eines Fremden.

So stehen wir heutzutage im Leben, meinte Woolf, so erfahren wir die Welt: Wir gleiten durch eine Abfolge von symbolischen Räumen, durch sprechende Atmosphären, angerissene Szenen und Gesprächsfetzen, und wenn wir sie lesen lernen, verstehen wir vielleicht ein bisschen besser, wer wir sind.

Virginia Woolf ist bekannt für ihre schonungslose Selbstkritik, doch mit Jacobs Zimmer, das die Reihe ihrer berühmten Romanexperimente einleitete, war sie durchaus zufrieden: „Ich habe keinen Zweifel mehr, dass ich (mit 40!) herausgefunden habe, wie ich die Dinge in meiner eigenen Stimme ausdrücken kann“, notierte sie beim Erscheinen des Romans in ihr Tagebuch.

    Hören: via BR2 | Download: Teil 1; Teil 2; Teil 3; Teil 4 (via BR2)

4. Orlando

Orlando ist meines Erachtens einer der lesenswertesten Romane Woolfs, der vielleicht auch leichter zugänglicher ist, als viele andere ihrer Romane. Der Roman erzählt die Lebensgeschichte eines adeligen Jünglings, die sich über vier Jahrhunderte erstreckt und innerhalb derer sich auf rätselhafte Weise eine Geschlechtsumwandlung des Protagonisten vollzieht. Das Hörspiel wird auf Bayern 2 ab dem 14.07.2013 um 15:00 Uhr in insgesamt sechs Teilen ausgestrahlt.

„Ich will die Biographie über Nacht revolutionieren!“ notierte sich Virginia Woolf spät im Jahr 1927 euphorisch ins Tagebuch und der Funke war gezündet. Begeistert stürzte sie sich in das „Projekt Orlando“, das zum „Rückgrad ihres Herbstes“ wurde, ein Buch, das sie leichthändig „vor dem Abendessen schreiben“ konnte. Es machte ihr unendlich viel Spaß! Den Lesern übrigens auch, wie die Verkaufszahlen der ersten drei Wochen zeigten, die selbst die kühnsten Erwartungen übertrafen. Orlando war von Anfang an Legende. Was die energetische Dynamik anging, war dieses Buch ein Glücksfall für Woolf. Zwar floss bei dieser Autorin immer Privates mit Beruflichem zusammen, doch jetzt war sie angefeuert von der engen Beziehung, Begeisterung und Liebe zu einer schillernden Abenteurerin, der adeligen Vita Sackville-West. Als schönsten Liebesbrief der Literaturgeschichte hat man Orlando bezeichnet. Und sicher: Sackville-West stand ihrer Freundin in vielem Modell für diese Fantasie. Fakten wurden mit Fiktivem vermischt, zu symbolischen Szenen verdichtet, mit Goldstaub überzogen.

Trotzdem greift die Beschreibung vom Liebesbrief zu kurz. Denn vor allem gelang es Woolf hier unaufgeregt und verspielt, gesellschaftspolitisch und kulturhistorisch relevante Themen aufzugreifen. Die Stellung der Frau, die Aggression des Empire, die rückwirkende Deutung von Geschichte aus machtpolitischen Gründen. Alles, was Virginia Woolf als Denkerin ausmacht, finden wir hier. Scheinbar Unverrückbares wird funkelnd und satirisch zugleich demontiert: Stand, Status, Geschlecht und Geschichtsschreibung, Macht, Posen und Konventionen. Besonders viel Sorgfalt verwendet Woolf auf die Darstellung der Relativität von Zeit und Begebenheit.

Neben ihrer Begeisterung für Sackville-Wests Person, behandelt Orlando eine weitere Leidenschaft Woolfs: ihre Liebe zur Biographie als Genre. Als Leserin verschlang sie diese Bücher und reflektierte in ihren Notizen über die Form. Woher kam der oft anmaßende, allwissende Ton der Autoren? Woher der Glaube, die Figur so gut fassen zu können? Wieso erfahren wir oft mehr über Zeit und Moral des Biographen, als über die Person, die zur Debatte steht? Wieso erstickte oft eine buchhalterische Sprache jedes Gefühl für einen Menschen, der vor langer Zeit sehr lebendig war. Und, ganz zentral: wer legt eigentlich fest, dass Phantasie und Dichtung in einer Biographie nichts zu suchen haben. Woolf selbst gibt in Orlando vielen Positionen eine Stimme.

    Alle Sendetermine finden sich im Überblick hier. Die Audiodateien werden zu gegebener Zeit hier verlinkt.

    Teil 1: via BR2

Empfohlen sei abschließend der Film The Hours, in dem das Leben Virginia Woolfs (gespielt von Nicole Kidman) mit den Handlungen ihres Romans Mrs Dalloway verquickt wird – auch wenn mir das unvermeidliche Ende auf fragwürdige Weise aufgeladen scheint.

Nischen als Übungsfeld für den sich ständig erneuernden Kapitalismus

Hier werden neue Arbeitszeitmodelle geübt, Menschen flexibilisiert, das Chefduzen erlernt, die Kreativität und der Spaß ausgebeutet: (subkulturelle) Nischen. Ein Feature von Radio Corax, welches einen Artikel aus Testcard #19 vertont, unter der Frage „Was blüht (uns) in der Nische?“ Hörenswert gerade beim Blick auf jene Versuche, die sich – bei der Suche nach dem guten Leben – in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus einrichten. Download: via AA (mp3; 0:25 h; 34 MB)

Kinder, Küche, Kantine?

Arbeiterinnen in der Industrialisierung

Radio Z machte kürzlich ein Hörbuch des Nürnberger Forums Frauengeschichte verfügbar, in dem recht anschaulich die geschlechtliche Dimension der Industrialisierung und Proletarisierung dargestellt wird. Unterbrochen von etwa je zweiminütigen Musikschnipseln, schildert das Hörbuch teilweise historisch-allgemein, teilweise erzählend und ZeitzeugInnenberichte wiedergebend, die ungleiche Behandlung, die Arbeiterinnen durch Mehrfachbelastung, Fabrikgesetzgebung und selbst seitens der Genossen von der organisierten Arbeiterbewegung widerfuhr. Wenig theoretisch, aber sehr informativ.

Download: via Radio Z, via AArchiv, via RS.com (0:55 h, 50 MB)

Inhalt:

  1. Kein Drang nach rastlosem Schaffen: Die erste Generation der Fabrikarbeiterinnen
  2. Dreifachbelastung: Lohnarbeit, Hausarbeit, Mutterschaft
  3. „Stillprämien“: Säuglingssterblichkeit und Gegenmaßnahmen
  4. Rationalisierung und (mangelnde) Qualifikation
  5. „Das Evangelium der Arbeiterbewegung“: Sozialistische Frauenagitation und Streiks

Beschreibung: Weiterlesen

»Stell dich nicht so an!«

Indizien für eine Rape Culture

Zündfunk Generator-Sendung von Laura Freisberg und Julia Fritzsche über die Allgegenwart sexualisierter Gewalt, Vergewaltigungsmythen und Schuldumkehr.

Triggerwarnung: Sowohl im Einführungstext, als auch im Feature wird sexuelle Gewalt plastisch beschrieben.

Im Sommer 2012 haben zwei Fotoball-Stars eine bewusstlose 16-Jährige wie eine lebendige Puppe von Party zu Party geschleppt und sie mehrfach vergewaltigt. Die Stationen dieser Nacht sind festgehalten auf Fotos, Twitter-Meldungen und SMS. Etliche Zeugen unternahmen nichts. Der Football-Tainer deckte die beiden jugendlichen Täter im Nachhinein. Und die Medien beklagten das zerstörte Leben der beiden Footballstars.
„Rape Culture“ nennen das Beobachter – und meinen damit eine Gesellschaft, die sexuelle Gewalt duldet, verharmlost oder befördert und die Verantwortung auf die Opfer verschiebt. In Deutschland taucht der Begriff „Rape Culture“ in den letzten Jahren zunehmend in feministischen Blogs auf. Massive Kritik an der „Rape Culture“ übt seit 2011 die weltweite Slut-Walk-Bewegung, die gegen falsche Vorstellungen von sexueller Gewalt auf die Straße geht. Denn spätestens seit der deutschen Sexismusdebatte zu Beginn des Jahres 2013 wurde wieder klar: Schuldzuweisungen wie „Hättest Du doch die Bluse zugemacht!“ sind noch immer salonfähig.
Leben auch wir in einer „Rape Culture“? Was hat es mit dem Begriff auf sich? Ist es nur ein feministischer Kampfbegriff für den Wahnsinn, den Frauen täglich erleben? Oder ist es die treffende Bezeichnung für unsere Gesellschaft?
Der Zündfunk Generator spricht darüber mit Anne Wizorek und Julia Brilling, die im Netz anonym sexuelle Übergriffe sammeln, Birte Rohles von Terre des Femmes und Lorena Palasi vom Slut Walk München sowie der Filmwissenschaftlerin Andrea Kuhn und dem Historiker Hiram Kümper, der Vergewaltigungskulturen in der alteuropäischen Kulturgeschichte untersucht hat.

Download: via BR2 | via RS.com (1 h, 55 MB)

Liebe und Anarchie

Als Nachtrag zu unserer Erich Mühsam-Reihe präsentieren wir euch einen Teilmitschnitt der von Rolf Cantzen gestalteten Langen Nacht, die im Deutschlandfunk am 06/07.04.2013 Lieder, Gedichte, theoretische Texte von und viel Biographisches über Erich Mühsam vorstellte. Unvollständig ist der Mitschnitt aus schierer Verplantheit – die erste der drei Stunden fehlt leider. Vielleicht kann jemand diese nachliefern?

Download via load.to (1:49 h, 100 MB)

Update: Das ging schnell! Per Mail kam nun ein vollständiger Mitschnitt. Ich ergänze hier die erste Stunde:
Download via load.to (mp3, mono, 0:55 h, 25 MB)

Liebe und Anarchie
Eine Lange Nacht über Erich Mühsam
Von Rolf Cantzen

Erich Mühsam (1878 bis 1934) saß zwischen allen Stühlen – fast sein ganzes Leben lang. Den schreibenden Bohemien in München und Berlin war er zu anarchistisch: Er agitierte Arbeiter und das Lumpenproletariat und wurde wegen diverser politischer Straftaten verurteilt.

Den ernsthaften Anarchisten war er zu sehr Boheme: Er dichtete zu unpolitisch, trank zu viel und vergnügte sich zu sehr – nicht nur, so der Vorwurf, mit Frauen. Nach dem Ersten Weltkrieg beteiligte er sich an der Münchener Räterepublik, redete vor Zehntausenden von Arbeitern und Soldaten.

Im Gegensatz zu vielen anderen Genossen überlebte Mühsam die Niederschlagung der Räterepublik. Weil Mühsam mit den Kommunisten kooperierte, um den Aufstieg des Nationalsozialismus zu verhindern, wurde er von vielen anarchistischen Freunden verlassen.

Weil er an der Staatskritik und am Individualismus der Anarchisten festhielt, wurde er von den Kommunisten als Kleinbürger kritisiert, auch noch nach seiner Ermordung in einem KZ nahe Oranienburg. Doch immer beschreiben ihn Zeitgenossen als einen herzlichen, großzügigen und gütigen Menschen.

Libertärer Literat und Lebemann #5

Glos­sen von und über Erich Müh­sam

Im letzten Jahr hat die Audioarchiv-Redaktion mit einer Themen-Reihe über den Anarchisten Erich Mühsam begonnen – Anlass war dabei die Herausgabe einer kritisch-historischen Edition der Tagebücher Mühsams im Verbrecher-Verlag (bisher erschienen Band 1, Band 2, Band 3), inklusive einer Online-Edition der Tagebücher. Zum Abschluss dieser Reihe soll es deshalb noch einmal (siehe auch Beitrag #1) um die Tagebücher Mühsams gehen. Zusätzlich findet ihr ein Feature über Mühsam, das kürzlich auf BR2 zu hören war.

9.) Am 18.12.2011 fand im Rahmen der Reihe „Die Untüchtigen“ in der Hamburger Hafenschenke „Golem“ eine Lesung aus dem ersten Band der Mühsam-Tagebücher (1910-1911) statt. Der Mitherausgeber der Tagebücher, Chris Hirte, hat die Lesung kommentiert und über die Entstehung der Tagebücher berichtet. Philipp Meier von Rouden hat ausführlich aus den Tagebüchern vorgetragen. Im Vordergrund der Lesung stehen dabei Erinnerungen Mühsams an seine Kindheit und Jugend, die wohl einige Bitterkeiten enthielten, sowie seine Münchner Bohéme-Zeit. Mühsam stellt darin einige Beobachtungen über das kulturelle und städtische Leben Münchens an, portraitiert einige Zeitgenossen, berichtet über seine Lebensumstände und notiert Einschätzungen der politischen Lage. Die auf dem AArchiv-Server gespeicherte Datei ist kleiner komprimiert, während die FRN-Version größer und daher auch besser im Radio verwendbar ist.

ERICH MÜHSAM »Tagebücher – Band 1 / 1910–1911«Livemitschnitt aus dem GOLEM (Hamburg) vom 18.12.2011 Gelesen von Philipp Meier von Rouden

Durch allerhand Anekdoten und Anmerkungen garniert sowie Kommentiert durch den Herausgeber Chris Hirte, der ebenfalls der Lesung beigewohnt hat.

15 Jahre lang, von 1910 bis 1924, hat Erich Mühsam, der berühmteste deutsche Anarchist, sein Leben festgehalten: ausführlich, stilistisch pointiert, schonungslos auch sich selbst gegenüber und niemals langweilig. Was diese Tagebücher so fesselnd macht, ist der wache Blick des Weltveränderers. Mühsam wollte Anarchie praktisch ausprobieren. Anarchie hieß für ihn: Leben ohne moralische Scheuklappen, ohne Rücksicht auf Konventionen – und er bewies, dass es geht. Auch das Schreiben ist Aktion, in allen Sätzen schwingt die Erwartung des Umbruchs mit, den er tatsächlich mit herbeiführt: Die Münchner Räterevolution ist auch die seine, und die Rache der bayerischen Justiz trifft ihn hart. Mühsams Tagebücher sind ein Jahrhundertwerk, das es noch zu entdecken gilt, sie erscheinen in 15 Bänden – und zugleich als Online-Edition. Die von Chris Hirte und Conrad Piens gewissenhaft edierten Textbände werden im Internet veröffentlicht, begleitet von einem Anmerkungsapparat mit kommentiertem Namenregister, Sacherklärungen, ergänzenden Materialien, Suchfunktionen – es entsteht eine historisch-kritische Ausgabe.
In dem ersten Band geht es vor allem um Mühsams zentrale Rolle in der Münchener Boheme.

Erich Mühsam, geboren am 6. April 1878 in Berlin, war ein Dichter und politischer Publizist. Er war maßgeblich an der Ausrufung der Münchner Räterepublik beteiligt, wofür er zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt wurde. 1933 wurde er verhaftet und am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg von der SS-Wachmannschaft ermordet.

Chris Hirte war Mitherausgeber der Erich-Mühsam-Werkausgabe beim Verlag Volk und Welt (1978-1985). Seine Mühsam-Biographie erschien 1985 im Verlag Neues Leben. 1994 veröffentlichte er bei dtv München eine Auswahl aus den Tagebüchern. Seit 2009 arbeitet er gemeinsam mit Conrad Piens an der Gesamtausgabe der Tagebücher. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 45,1 MB; 1:33:53 h) | via FRN: Teil 1 / Teil 2 | hören bei Soundcloud

10.) Ebenfalls im Golem fand am 08.04.2012 eine musikalische Lesung statt, die von äußerst prominenten Sprechern und Musikern gestaltet wurde – teilgenommen haben Thomas Ebermann, Harry Rowohlt, Frank Spilker (Die Sterne), Knarf Rellöm und Manuel Schwiers (School of Zuversicht). Dabei wechseln sich Auszüge aus Mühsams Tagebüchern mit musikalischen Beiträgen ab, die zum Teil aus Vertonungen von Mühsams Gedichten, zum Teil aus Bearbeitungen und Interpretationen von Mühsams Texten bestehen. Zusätzlich steht eine Lesung zum gleichen Thema und mit gleicher Besetzung (aber leicht differierendem Inhalt) zur Verfügung, die bereits 2010 im Festsaal Kreuzberg stattfand – bearbeitet und kommentiert vom Dschungelfunk.

    Download:

    A.) Hamburg: via AArchiv (mp3; 369,4 MB; 2:33:54 h) | bei Soundcloud hören

    B.) Kreuzberg: via FRN: Teil 1, Teil 2 | per Stream via Dschungelfunk | via RS

Eine Rezension zum ersten Band der Mühsam-Tagebücher findet sich hier.

11.) Das Leben schreit!Ein Feautre über Erich Mühsam von Carola Zinner. In diesem hörenswerten Feature erhält man einen Überblick über Mühsams Leben und seine Aktivitäten – vor, während und nach der Münchner Räterepublik. Es sind Auszüge aus politischen Reden Mühsams, so wie aus sehr persönlichen Reflexionen zu hören. Unter anderem kommen sein Biograph Günther Gerstenberg, so wie seine Frau Zenzl Mühsam im O-Ton zu Wort.

Erich Mühsam – der „Schwabinger Kaffeehausliterat“ mit scharfem Verstand und ausschweifendem Liebesleben. In die Geschichte eingegangen aber ist Mühsam vor allem als Vertreter der Münchner Räterepublik und – als eines der ersten Opfer in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager. [via]

    Download: via BR2 | via Mediafire (mp3; 20,6 MB; 21:22 min)

Dies, meine Damen und Herren, ist im Übrigen der 600. Audio-Beitrag im Audioarchiv. Daher gibt es untenstehend eine kleine musikalische Zugabe: Weiterlesen