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Kritische Theorie und Emanzipation

Wir stellen stellen im Folgenden Download-Versionen der von der Bielefelder Association Critique dokumentierten Aufzeichnungen der Tagung Kritische Theorie und Emanzipation bereit. Diese fand, veranstaltet von der Antifa AG an der Uni Bielefeld, [association critique], der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, dem Rosa-Luxemburg-Club Bielefeld sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, am 11. und 12. November 2011 statt. Verlinkt sind jeweils mit 48 kBit/s kodierte Dateien. Auf dem Audioarchiv-Server sind zusätzlich auch 64 kBit/s-Varianten verfügbar (allerdings mit einer geringeren Abtastrate von 22 statt 32 kHz).

Alex Demirovic: Was ist Kritische Theorie?

Im Vortrag wird das Selbstverständnis von kritischer Theorie umrissen. Diese kann nicht als Theorie einzelner Personen verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das tief in der bürgerlichen Gesellschaft verankert ist und an dessen Entwicklung viele Menschen seit vielen Jahrzehnten beteiligt sind. Entsprechend den historischen Veränderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen verändert sich auch das Verständnis von kritischer Theorie. Es geht kritischer Theorie um Aufklärung und Emanzipation, um Mündigkeit, Einrichtung einer vernünftigen Welt, Weltfrieden, Demokratie. Seit Marx ist kritische Theorie nicht mehr naiv, sondern stellt die Frage danach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich solche Ziele verwirklichen lassen. Horkheimer und Adorno haben danach gefragt, wieweit die Tradition der kritischen Theorie nicht naiv im Verhältnis zu sich selbst ist. Zu wenig kritisch gegenüber der eigenen Praxis, kann auch kritische Theorie autoritär werden. So stellt sich heute, angesichts einer neuen Phase kapitalistischer Vergesellschaftung die Frage nach einer erneuerten Befreiungstheorie.

Alex Demirovic, Prof. Dr., lehrt z.Zt. politische Theorie an der Technischen Universität Berlin. Zuvor arbeitete er u.a. am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er gilt als einer der jungen Vertreter der kritischen Theorie. Mitglied der Redaktionen von PROKLA und LuXemburg. Arbeitsschwerpunkte: Demokratie- und Staatstheorie, kritische Theorie der Gesellschaft, Intellektuellen- und Wissenschaftssoziologie.

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    Rüdiger Dannemann: Über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács und dessen Aktualität

    Rüdiger Dannemann gibt einen guten Überblick über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács, dessen spätere Selbstkritik, ihre Fortentwicklung sowie ihren Stellenwert für die Kritische Theorie und ihre Entschärfung bei Habermas und Honneth. Adorno nimmt dabei wenig Raum ein. Dafür erfährt man einiges über aktuelle englischsprachige Ansätze, die sich der Thematik annehmen und im Zuge dessen auch Axel Honneths Verdinglichungstheorie kritisieren.

    Im theoretischen Zentrum Georg Lukács’ 1923 veröffentlichten „Geschichte und Klassenbewußtsein“ steht die durch das Warenverhältnis allgegenwärtig gewordene Verdinglichung. Hinter dem Warentausch verschwinden die Beziehungen zwischen den Personen und erscheinen als streng rationelle, geschlossene Verhältnisse von Dingen. So kann Lukács schließlich festhalten, dass im modernen Kapitalismus die Individuen einzig noch als teilnahmslose Beobachter eines ihnen scheinbar fremden Geschehens dastehen. Damit nicht genug, ist zuletzt die gesamte Gesellschaft eine Funktion des Warenverkehrs. In einer sehr grundlegenden Weise stehen die gesellschaftskritischen Analysen der frühen kritischen Theorie Max Horkheimers, Theodor W. Adornos und anderer auf den Schultern der „Studien über marxistische Dialektik“, ja scheinen ohne den großen Wurf des Jahres 1923 kaum denkbar. Jürgen Habermas indes gelang es, dies – wie zuletzt das gesamte marxistische Erbe der kritischen
    Theorie – respektvoll zu tilgen. Jedoch kehrt die Verdinglichung als verdrängter, unverarbeiteter Brocken aus den Untiefen vergangen geglaubter Zeiten wieder. So haben unlängst Rahel Jaeggi sowohl als auch Axel Honneth den durchaus mutigen Versuch unternommen, die Überlegungen Georg Lukács zu reformulieren. Insbesondere Honneth aber wendet die Verdinglichung anerkennungstheoretisch und bringt die Verdinglichungskritik weiter um ihren politökonomisches Stachel. Im Vortrag soll zunächst die Verdinglichungskritik Georg Lukács dargestellt werden. Im Anschluss wird versucht, die oft verleugnete Bezugnahme Horkheimers und zumal Adornos sichtbar zu machen. Schließlich werden die Anschlüsse Honneths und Jaeggis ebenso zur Sprache kommen wie Möglichkeiten einer polit-ökonomisch informierten Verdinglichungskritik.

    Rüdiger Dannemann, Philosophielehrer, Mitbegründer und stellv. Vorsitzender der Internationalen Georg Lukács-Gesellschaft; Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Bochum und Frankfurt am Main. Promotion über Das Prinzip Verdinglichung (1987) in Rotterdam. Arbeitsschwerpunkte: Georg Lukács, Kritische Theorie und westlicher Marxismus; ästhetische Probleme der populären Musik.

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      Heinz Gess: Antisemitismus und Emanzipation

      Heinz Gess bestimmt Antisemitismus als die Gegenbewegung zur Emanzipation und spricht in seinem Vortrag u.a. über Verdrängung und Schuldabwehr im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.

      Der Antisemitismus markiert die „Grenzen des Aufklärung“, so der Untertitel des von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter Mitwirkung Leo Löwenthals gemeinsam verfassten Abschnittes „Elemente des Antisemitismus“. Spätestens seit den frühen 1940er Jahren steht die Antisemitismuskritik auch im Zentrum der Bemühungen der kritischen Theorie. Eine wesentliche Einsicht ist dabei, dass die antisemitische Verhaltensweise gerade keine bloß vorurteilsbasierte ist. Damit gehen Horkheimer und Adorno deutlich über konventionelle Erklärungsansätze hinaus. Kritische Theorie versucht den Antisemitismus gesellschaftstheoretisch aus einem gescheiterten Zivilisationsprozess heraus zu begreifen. Vor diesem Hintergrund geht es ihr schließlich sowohl um die historische Entstehung des Antisemitismus, seine Grundlagen im Lebensprozess einer Gesellschaft, das heißt in der Ökonomie, als auch um die Verfasstheit der Subjekte dieser Gesellschaft.
      Im Vortrag wird es einerseits um die Antisemitismuskritik des exilierten Instituts für Sozialforschung gehen. Zudem soll versucht werden, die Überlegungen Horkheimers und anderer von anderen Erklärungsansätzen abzugrenzen. Zuletzt wird es freilich um die Aktualität einer kritischen Theorie über den Antisemitismus, gerade auch vor dem Hintergrund des Islamismus, gehen.

      Heinz Gess, Prof. Dr., war bis 2010 Hochschullehrer für Soziologie an der Fachhochschule Bielefeld. Er ist Herausgeber von Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft.

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        Isabelle Klasen: Über Begriff und Aktualität der Kulturindustrie

        Isabell Klasen erläutert den Begriff der Kulturindustrie im Kontrast zur autonomen Kunst, wie Adorno sie verstand.

        Max Horkheimer und Theodor W. Adorno entwickelten den Begriff der Kulturindustrie am Modell der „verwalteten Welt“, des Spätkapitalismus der 40er und 50er Jahre, welcher samt der kulturellen Erzeugnisse durch die Destruktivität des kapitalistischen Verwertungsmechanismus und die Herrschaft des universalen Tauschprinzips geprägt war. Alles Individuelle sei hierdurch in Schemata gezwungen und die Wirklichkeit werde mit Identität und Konformismus geschlagen. In den Produkten der Kulturindustrie sahen Horkheimer und Adorno diese Identität besonders zwingend zum Ausdruck kommen, auch und gerade durch deren scheinbare Nonkonformität und Pluralität. Kulturindustrie ziele auf das, was zunächst einmal nicht identisch sei und was, insbesondere für Adorno, die Kunst dagegen bewahre: die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, welche sie neutralisiere.
        Im Vortrag soll der Begriff der Kulturindustrie im Gegensatz zur Kunst dargestellt werden. Überdies soll es um die Aktualität der Überlegungen Horkheimers und Adornos gehen. Es läßt sich nämlich fragen, ob heute am Begriff der Kulturindustrie noch festgehalten werden kann, da die Kulturindustrie mittlerweile ihren eigenen, einstmals kritischen Begriff geschluckt zu haben scheint.

        Isabelle Klasen ist Lehrbeauftragte an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Arbeitskreises Rote-Ruhr-Uni. Sie ist Mitherausgeberin des in Kürze erscheinenden Bandes „Alles falsch: von verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie“.

            Download: via AArchiv | via MF (1:10 h, 24 MB)

          Dirk Braunstein: Kritische Theorie und Kritik der politischen Ökonomie

          Dirk Braunstein legt seinen Fokus zwar auf Adornos Beschäftigung mit der Kritik der Politischen Ökonomie, rekonstruiert aber auch die Debatten, die innerhalb des Instituts über die polit-ökonomische Verfassung des Nationalsozialismus geführten worden sind (Pollocks Staatskapitalismus-These vs. Neumanns Behemoth). Er arbeitet heraus, dass Adornos Zugang zur Ökonomiekritik zunächst allein von Lukács Verdinglichungskritik bestimmt ist, dann aber durch die Wendung zur Klassentheorie und zur (transhistorischen) Kritik der »Ökonomie überhaupt« eine andere Gestalt annimmt. Auch Adornos Position zu den Begriffen der Gerechtigkeit und des Rechts nimmt im Vortrag wie in der Diskussion einigen Raum ein.

          Bis heute ist die Einschätzung verbreitet, dass der Rückgriff auf Karl Marx – und zumal auf dessen Kritik der politischen Ökonomie – in den Schriften der Frankfurter Schule ein Relikt aus bald überwundenen Stadien seiner Theorieentwicklung darstelle. Offensichtlich gab es eine große Distanz zum Fortschrittsoptimismus und erst recht zum Parteikonformismus marxistisch inspirierter Theoretiker wie etwa Georg Lukacs. Jedoch zieht sich eine produktive Auseinandersetzung mit wesentlichen Bestandteilen des Marx‘schen Hauptwerkes durch das gesamte Schaffen von Horkheimer und Adorno. Anhand zahlreicher Textdokumente lässt sich diese These belegen. Sie zeigt, dass im Zentrum von Adornos kritischer Theorie der Gesellschaft eine Kritik nicht nur der politischen Ökonomie steht, sondern eine von Ökonomie überhaupt.
          Der Vortrag soll das Beziehungsgeflecht von Marxscher Ökonomiekritik und der klassischen kritischen Theorie beleuchten und fragen, welche Aktualität diesen Inhalten zukommt.

          Dirk Braunstein, Dr. phil., studierte in Bochum, Köln, Frankfurt a.M. und Berlin und gibt die Vorlesung „Philosophie und Soziologie“ aus dem Nachlass Adornos heraus. Letzte Veröffentlichung: Adornos Kritik der politischen Ökonomie, Bielefeld, 2011.

              Download: via AArchiv | via MF (1:36 h, 33 MB)

            Barbara Umrath: Kritische Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen

            Ausgangs- und Hauptbezugspunkt des Vortrags sind die Ausführungen in der »Dialektik der Aufklärung«, in denen eine Kritik des Subjekts und an dessen männlichem Charakter formuliert werden. Umrath konfrontiert darüber hinaus Aussagen Adornos zum Subjektstatus der Frau und zu deren Stellung im Produktionsprozess mit Ergebnissen der (empirischen) Frauenforschung. Hier stellen die Arbeiten Regina Becker-Schmidts einen wichtigen Bezugspunkt da. Sie zeigt im Zuge dessen, dass feministische Theorie produktiv an die Kritische Theorie anknüpfen kann – was eben auch heißt, über sie hinaus zu gehen.

            Das Denken Adornos, Horkheimers und Co. hat bis heuteeinen starken Einfluss auf gesellschaftskritische Theorien. „Geschlecht“ war für die frühe Kritische Theorie jedoch keine zentrale Analysekategorie, sondern findet eher beiläufig und an verschiedenen Stellen immer wieder Erwähnung.Dabei finden sich gleichermaßen Passagen, in denen die Unterdrückung von Frauen denunziert wird wie solche, in denen die bürgerliche Familie und die mit dieser gegebene geschlechtliche Arbeitsteilung in einem verklärten Licht erscheinen. Dies brachte der Kritischen Theorie von feministischer Seite den Vorwurf ein, sie wiederhole die patriarchale Unterdrückung. Entsprechend spielt die Kritische Theorie heutzutage in der Frauen- und Geschlechterforschung kaum eine Rolle.
            Im Vortrag sollen die Äußerungen der Kritischen Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen betrachtet werden. Dabei wird deutlich werden, dass sich die feministischen Einwände nur bedingt bestätigen lassen. Es wird sich sogar zeigen, dass feministische Kritik von der frühen Kritischen Theorie wichtige Impulse aufnehmen kann.

            Barbara Umrath studierte Diplom-Pädagogik an der Universität Augsburg und Soziologie an der New School for Social Research, NYC. Sie war lange Jahre in Frauenprojekten gegen Gewalt in Deutschland und Mexiko aktiv. Aktuell lebt sie in Köln und arbeitet an einer Promotion zum Thema Feminismus und Kritische Theorie.

              Zu feministischen Bezugnahmen auf die Kritische Theorie siehe auch die Vorträge von Regina Becker-Schmidt, Cornelia Klinger und Roswitha Scholz.

              Die Befreiung von der Knechtschaft?

              1. Es ist eine Weile her, aber ich möchte die Dokumentation der Leipziger Veranstaltungsreihe »Das Ende des Kommunismus« vervollständigen, indem ich auf den recht kurzen – und im Redestil etwas spröden – Eröffnungsvortrag von Diethard Behrens zur Geschichte der Russischen Revolution und über den Begriff des Stalinismus hinweise. (Oktober 2010)

                Download: nachbearbeitet via AArchiv (0:40 h, 14 MB)
                Vortrag ohne Diskussion, dafür mit Vorrede einer der Veranstalter_innen. Die Nachbearbeitung ist kleiner und um ein störendes Hintergrundgeräusch bereinigt, dass die Originaldatei (75 MB) enthielt [via].

              Ankündigungstext und Referenteninfo:

              Der revolutionäre Standpunkt des 20. Jahrhunderts war von der Einsicht in die Notwendigkeit eines grundlegenden Umsturzes geprägt, der die Menschheit dem Diktat der kapitalistischen Akkumulation entreißt, weil erst dann die Befreiung des Menschen möglich wäre. In der offiziellen Weltanschauung der Sowjetunion setzte sich die Annahme durch, dass dies wiederum nur mit Hilfe eines politisch beschlossenen und durchgesetzten Plans zu erreichen wäre. Die Folgen sind durch die vielzählig entstandenen Planungsbürokratien unter der Diktatur der kommunistischen Parteien weitestgehend bekannt: Die Teilhabe der arbeitenden Klasse an den Produktionsmitteln verkam zur propagandistischen Farce, während die Reglementierung des wirtschaftlichen und politischen Lebens immer umfassender wurde. Bereits Lenin wich von der marxschen Auffassung der kommunistischen Bewegung als »selbständiger Bewegung« ab. Stattdessen sollte die Partei als Avantgarde – als »Vorhut der Arbeiterklasse« – stellvertretend die Diktatur des Proletariats durchsetzen und die Revolution durchführen. Der Sinn der Eroberung der staatlichen Macht sei lediglich die Verwaltung der Produktionsmittel und die notwendige Unterdrückung der einst herrschenden Klasse. Schließlich sollte der in einer Übergangsphase noch existierende Staat die vollkommenste Form der Demokratie darstellen.
              Neben der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands der Matrosen gibt es unzählige Beispiele, die zeigen, dass staatliche Repressionen schon unter der Führung Lenins weit über den »Klassenfeind« hinausreichte. Die Befreiung des Menschen von der Knechtschaft war schon bei Marx mit der Abschaffung des bürgerlich-kapitalistischen Individuums verbunden. Mit dem Fortschreiten der kommunistischen Revolution wurde hieraus mehr und mehr die Abschaffung von Individualität, die Zerstörung des Individuums und schließlich die Entrechtung, Unterdrückung und Ermordung von Millionen Menschen im Stalinismus.
              Sind damit diese Entwicklungen der Parteidiktatur und der Auflösung der Individuen in den marxschen Grundlagen vielleicht schon angelegt? Wurde Marx von seinen Nacheiferern vielleicht weder missverstanden, noch – wie man immer wieder hört – »missbraucht«?
              Vor diesem Hintergrund ist es besonders problematisch, dass gerade in den letzen Jahren der Leninismus immer dann Auftrieb bekam, wenn es um die Frage einer übergreifenden politischen Bewegung ging. Linke Theoretiker wie Slavoj Žižek und Alain Badiuo wollen mit Bezug auf Lenin eine unzweideutig radikale Position einnehmen. Der provozierende, »gegen seine liberalen Verleumder« gerichtete Rekurs auf Lenin sei dem »unbedingten Willen« geschuldet die Situation auch wirklich grundlegend zu verändern. Nach den Erfahrungen des Verlaufs der Revolution muss sich jedoch zwingend die Frage gestellt werden, ob die – in Rückgriff auf Lenin – Eroberung der Macht zur radikalen Umwälzung der Verhältnisse nicht zwangsläufig zur Verewigung von Machtverhältnissen und Unterdrückung führt.

              Diskussionsveranstaltung mit Diethard Behrens
              Montag 11. Oktober 2010 Conne Island, Koburger Str. 3, 19:30 Uhr
              Diethard Behrens ist Autor zahlreicher Publikationen zum Marxismus, Mitbegründer der Karl-Marx-Gesellschaft und Lehrbeauftragter der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M.

              2. Vollständig ist die Dokumentation natürlich nur zusammen mit der Abschlussveranstaltung vom November 2010. Diese bestand in einer Diskussionsrunde mit Alex Demirović sowie Mitgliedern der Gruppe [pæris] und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff. Gegenstände der Diskussion waren die Möglichkeit einer Planwirtschaft, Organisationsfragen wie auch die Frage nach den grundsätzlichen Zielen einer sozialen Revolution (wenn ich mich recht erinnere).

              Ankündigungstext:

              Abschließende Veranstaltung der INEX-Reihe zur linken Kritik am Stalinismus

              Zum Abschluss der Reihe widmet sich dieses Podium der Kritik am Stalinismus und ihrer Relevanz für radikal linke Positionen.
              Bei der Analyse des Realsozialismus und des Stalinismus stößt man immer wieder auf Vergleiche mit dem Nationalsozialismus. Angesichts der Tatsache, dass beide Systeme ähnliche Elemente der Herrschaft enthalten, entwickeln sich oft totalitarismustheoretische Positionen, die eine Wesensverwandtschaft betonen. Unabhängig von der politisch antikommunistischen Instrumentalisierung, stellt sich trotzdem die Frage, ob der Vergleich nicht schon deshalb wenig aussagekräftig ist, weil bisher, in den meisten Totalitarismustheorien, ausschließlich staatliche Herrschaftsstrukturen unter die Lupe genommen wurden? Somit wurden wesentliche Merkmale, wie die ideologische Durchdringung, als Fundament der Herrschaft, oder der Grad der Identifikation der Einzelnen mit dem jeweiligen System außen vor gelassen? Dagegen interpretieren viele radikale Linke den Stalinismus zum Lektürefehler, zum gescheiterten Experiment und lehnen nahezu jede Relevanz für ihr eigenes Streben nach der freien Assoziation freier Individuen ab. Andere unterscheiden einfach zwischen Sozialismus und Kommunismus, oder gar zwischen zwei Typen derselben Idee, einzig unterschieden durch ihre Schreibweisen – mit »K« oder mit »C«. Dabei wird oftmals die Frage vernachlässigt, ob es überhaupt möglich ist, frei vom realen Sozialismus, an die Idee des Kommunismus anzuknüpfen. So oder so steht die radikale Linke von heute viele stärker im Schatten des Realsozialismus, als sie sich bewusst ist. So zeugt z.B. die positive Bezugnahme auf Symbole des Sowjetkommunismus, die bei antifaschistischen Aktionen immer wieder zu beobachten ist, von einer fehlenden Auseinandersetzung mit den konkreten historischen Verhältnissen.

              Podiumsdiskussion mit Alex Demirovic, der Gruppe [pæris] und der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX)
              am Dienstag, 23.11.2010 im Conne Island, Koburger Str. 3. 19:30 Uhr

              Die Veranstaltungsreihe wird durch den Stura der Uni Leipzig und die Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert und vom Conne Island unterstützt.

              Ankündigungstext der VA-Reihe: Weiterlesen

              Traditionalität und Aktualität. Zur Aufgabe kritischer Theorie

              Heinz Maus, marxistischer Soziologe und Agitator der linken Studentenbewegung, gehörte in den 60er Jahren zusammen mit Wolfgang Abendroth und Werner Hofmann zum sogenannten „Marburger Dreigestirn“. Mit diesen Namen ist die Stadt Marburg als ein zweites Zentrum der Kritischen Theorie bekannt geworden. Heinz Maus‘ Wirken gilt im Rückblick als „bar jeglicher taktischer Opportunität“, „unbürokratisch bis zur Inkorrektheit“ und es umgab ihn „neben der politischen Komponente ein starkes Element persönlicher Intransigenz gegenüber jeder Ordnung, jedem Establishment“. (via) Seinen hundertsten Geburtstag nahm die AG Kritische Theorie der Uni Marburg zum Anlass, um eine Tagung mit dem Titel „Traditionalität und Aktualtität. Zur Aufgabe Kritischer Theorie“ zu organisieren (zum Programm). Die OrganisatorInnen der Tagung haben uns freundlicher Weise sämtliche Mitschnitte der dort gehaltenen Vorträge1 zukommen lassen (insbesondere Dank an David für’s Schneiden des Audiomaterials und den freundlichen Kontakt), die wir hier zur Verfügung stellen:

              Im Folgenden sind relativ große Dateien (128 kBit/s) verlinkt. Kleinere Fassungen (48 kBit/s) sind auf unserem Server abgelegt.

              1. BegrüßungAG Kritische Theorie

              Zur Einführung referieren Oliver Römer und Christian Spiegelberg von der AG Kritische Theorie über Ausgangsfragen und Intention der Konferenz, über den Hintergrund an der Marburger Uni, insbesondere am Institut für Soziologie, sowie über die Rolle des Soziologen Heinz Maus.

                Download: via AArchiv (mp3; 11 MB; 11:58 min)

              2. Zur Soziologie von Heinz Maus – David Salomon

              David Salomon (Universität Marburg) stellt zunächst einige Überlegungen über die Relevanz der Begriffe Traditionalität und Aktualität für kritische Theorie im Allgemeinen an, um dann über die intellektuelle Sozialisation von Heinz Maus zu referieren. Im Anschluss nimmt er das besondere Verhältnis von Philosophie und Marxismus (Karl Korsch, Georg Lukács) zum Ausgangspunkt und rekonstruiert auf welche Weise Heinz Maus dieses bearbeitet und präzisiert hat. Zentral sind dabei die Rolle der Soziologie für den modernen Marxismus (Positivismusstreit etc.) und das Problem der Historizität im marxistischen Denken (Karl Marx, Walter Benjamin, Friedrich Nietzsche). Er endet mit einem Umweg über Bertolt Brecht mit einigen Überlegungen zu den Mausschen Ausführungen zum Verhältnis von Leid und Glück als materialistische Maßstäbe der Kritik und als Kategorien, denen nach wie vor eine dringende Aktualität für eine kritische Theorie der Gesellschaft als Ganzer zukommt.

                Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 45,2 MB; 49:19 min)

              3. »Politisierung der Kunst« oder »die Kunst wegschaffen«?Zum Verhältnis von Politik und Kunst bei Walter Benjamin und bei der Situationistischen Internationale – Claus Baumann

              Seinem Vortrag über den Vergleich der benjaminschen und situationistischen Perspektive auf das Verhältnis von Kunst und Politik stellt Claus Baumann (Universität Stuttgart, Duale Hochschule Stuttgart, Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator) einige grundsätzliche Überlegungen zum nachträglichen, reflexiven Charakter dieser Kategorien voran (wie sie ähnlich in schriftlicher Form hier veröffentlicht wurden). Dann stellt er jeweils die ästhetischen Konzepte von Benjamin und den Situationisten vor, um sie u.a. anhand der Stellung zur surrealistischen Parole, dass die Poesie in den Dienst der Revolution zu stellen sei, aneinander abzuarbeiten.

              Die Situationistische Internationale (1958–1972) um Guy Debord sprach sich einerseits für »neue Aktionsformen gegen Politik und Kunst« aus. Andererseits kritisierten sie die Surrealisten um André Breton dafür, dass diese »Poesie in den Dienst der Revolution« stellen wollten (la poésie au service de la révolution); es komme vielmehr darauf an, »die Revolution in den Dienst der Poesie zu stellen« (la révolution au service de la poésie). Prima facie scheint das situationistische Projekt den Überlegungen von Walter Benjamin zu widersprechen, der 1936 in seinem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« die Auffassung vertreten hat, dass es für gesellschaftskritische, communistische Bestrebungen auf eine »Politisierung der Kunst« ankomme, während der Faschismus eine »Ästhetisierung der Politik« betreibe. Ziel des Vortrags ist es, die jeweiligen Spezifika der situationistischen sowie benjaminischen Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Kunst darzulegen und daran anknüpfend der Frage nachzugehen, wie eine aktuelle und kritische Reflexion dieses Verhältnisses angesichts der derzeitigen Lage der bürgerlich-kapitalistischen Verhältnisse aussehen könnte.

              Claus Baumann (*1967) promovierte im Fach Philosophie an der Universität Stuttgart. Er ist Lehrbeauftrager der Universität Stuttgart im Fachbereich Philosophie sowie an der Dualen Hochschule in Stuttgart im Fachbereich Sozialwesen. Seine derzeitigen Forschungsschwerpunkte sind Dialektik, Kritik der politischen Ökonomie, Gesellschaftstheorie, politische Philosophie und Philosophie der Ästhetik.

                Download: Vortrag (mp3; 34,4 MB; 37:33 min), Diskussion (mp3; 22,8 MB; 24:54 min)

              4. Gehirn und Geist. Über das Verhältnis von Material und Freiheit zum Gegensatz von empirischer Forschung und Reflexivität – Christine Zunke

              Christine Zunke (Universität Oldenburg, siehe auch ihren Beitrag hier) eröffnet die Problemstellung ihres Vortrags mit einer einführenden Überlegung zur descartschen Unterscheidung von denkender und materieller Substanz, um hiervon zu aktuellen Problemen der Gehirnforschung überzugehen: inwiefern lässt sich das Denken aus den physikalischen Prozessen im Gehirn erklären, inwiefern geht es darüber hinaus? Diese Problemstellung führt notwendiger Weise zur Frage nach der Freiheit des Willens, bzw. grundlegender nach der Frage, ob es das Denken überhaupt gibt. Dass diese Frage mit Ja zu beantworten ist, ist für Zunke nur möglich, indem die Gegensätze von Geist|Körper, Materialität|Immaterialität, physikalischen Prozessen im Gehirn|Immaterialität des Denkens als Antinomien zu begreifen sind: weder als Dualität, noch als Identität verhalten sich die widerstreitenden Seiten wechselseitig konstitutiv zueinander, so die These des Vortrags.

              Die modernen Neurowissenschaften scheitern trotz immenser Fortschritte beständig an der Frage nach der Schnittstelle zwischen Gehirn und Geist. Diese Frage nach der Entstehung des (reflexiven und freien) Denkens aus dem physischen Material kann nirgendwo hinführen. Eine im naturwissenschaftlichen Sinne befriedigende Antwort hierauf kann es prinzipiell nicht geben, denn dann müsste das Material die kausale Ursache des Ideellen sein, was das Ideelle als physikalische Wirkung zu einem materiellen Gegenstand machen würde, welcher seiner Bestimmung nach kein Ideelles sein kann. Die konsequenteste Antwort der Neurophysiologie lautet darum, dass das Ideelle bloßer Schein sei, dem keine Wirklichkeit korrespondiere. Der Geist sei eben nicht reflexiv und frei, sondern eine bloß natürliche Funktion des Gehirns, die in der Innenwahrnehmung als Bewusstsein erscheine. Unser Geist sei nicht materiell und darum nicht wirklich. Wir denken ihn bloß. Dass das Denken Gedachtes ist, hat die Philosophie schon immer gewusst. Doch wenn diese Erkenntnis unter den Vorzeichen der empirischen Wissenschaften von der Geistes- und Gesellschaftswissenschaft aufgenommen wird, bekommt sie einen reaktionären Gehalt: Da Reflexionen als gegenstandslos erscheinen, wird Kritik methodisch unmöglich und es bleibt allein der Weg der Affirmation des Bestehenden offen.

              Dr. Christine Zunke lehrt Philosophie an der Universität Oldenburg und hat mit ihrer 2008 im Akademie-Verlag erschienenen Dissertation „Kritik der Hirnforschung“ eine der ersten grundlegenden Kritiken der Neurophilosophie vorgelegt. Ihre Forschung fokussiert die moralischen und politischen Implikationen moderner Naturwissenschaften.

                Download: Vortrag (mp3; 42,9 MB; 46:53 min), Diskussion (mp3; 19,3 MB; 21:03 min)

              5. Intellektuelle und die Genealogie der Kritischen Theorie – Alex Demirović

              Alex Demirović (TU Berlin, „PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft“) greift die Auseinandersetzung mit Heinz Maus wieder auf, um ihn als eine besondere Figur der älteren Generation der Kritischen Theorie zu verorten und dessen Rolle für die kritische Soziologie in Deutschland und sein Verhältnis zum Institut für Sozialforschung in Frankfurt zu rekonsturieren. Hiervon ausgehend arbeitet sich Demirović an der bundesdeutschen Historisierung der Kritischen Theorie und ihrer Einordnung in (nach seiner eigenen ironischen Berechnung) mittlerweile 7 Generationen ab, um dafür zu plädieren, dass sich kritische Theorie zwar permanent selbst zu reflektieren habe, in ihrer kritischen Selbsthistorisierung aber nicht in der selbstreferentiellen und inhaltsentleerten Frage stecken bleiben darf, wer denn nun zur Kritischen Theorie gehört und wer nicht. Gegenüber dem akademischen Leerlauf beharrt Demirović darauf, dass die Begriffe wieder in Bezug auf die Gesellschaft und ihren Wandel entwickelt werden müssen und vor Allem nicht nach dem besseren Funktionieren der Gesellschaft, sondern nach ihrer praktischen Veränderung zu trachten haben. An diesem Vortrag fällt m.E. das Faktum der Trennung von institutionalisierter Kritischer Theorie in der Akademie und radikaler Linker auf, die bei Demirović ebenfalls überhaupt nicht vorkommt.

                Download: Vortrag (mp3; 36,1 MB; 39:23 min), Diskussion (mp3; 21,8 MB; 23:47 min)

              6. Gewalt als Grenze des Anerkennens – Thomas Bedorf

              Der Vortrag von Thomas Bedorf (Fernuniversität Hagen) sticht ein wenig aus dem Programm heraus, da dieser sich selbst nach eigener Angabe nicht in der „Großfamilie“ der Kritischen Theorie verortet, dafür aber gewissermaßen von außen eine Auseinandersetzung mit einem Theorem (bzw. Verfallsprodukt) der Kritischen Theorie sucht: die Theorie der Anerkennung von Axel Honneth. Er diskutiert dabei grundlegende Fragen: Ist Gewalt hermeneutisch in den Bereich des Verstehbaren hineinzuholen? Ist Anerkennung überhaupt ein geeigneter Schlüsselbegriff um Interaktion in ihrer Konflikthaftigkeit zu begreifen? Welchen Platz räumt eine Theoretisierung von Anerkennungsverhältnissen der Gewalt ein? Er arbeitet sich zu nächst an Honneths Theorie der Anerkennung ab, vergleicht diese dann mit anderen Auseinandersetzungen mit Anerkennung (Judith Butler, u.a.), um schließlich seine eigene Position zu begründen: Anerkennung implizert auch immer Verkennung, sie kann zwar ohne Gewalt, nicht aber ohne Macht gelingen.

              Ob es um die Themen von Protestbewegungen geht, um die Belange ethnischer und sexueller Minderheiten oder um Nationen im Kampf um einen eigenen Staat – stets geht es um die Anerkennung von Anderen, die zum Gegenstand von Verhandlungen, aber auch politischem Widerstand und sozialen Konflikten wird. Der Vortrag wird die Gewalt, die das Ringen um Anerkennung auslösen kann im Horizont eines Modells „verkennender Anerkennung“ zum Thema haben. Anerkennungstheorien, die das Ideal gelingender Anerkennung unterstellen, schließen Gewalt prinzipiell aus. Sie betrachten Missachtungen lediglich als Signale für Ansprüche auf Anerkennung. Anerkennungstheorien, die die Subjektivierungsdispositive in den Vordergrund stellen, behaupten hingegen Gewalt als für die Subjektkonstitution unausweichlich. Ein Modell „verkennender Anerkennung“, das auf der Einsicht beruht, dass es vollkommene Anerkennung nicht geben kann, da moderne Identitäten nichts fixierbares, sondern ständig in Bewegung sind, droht zur Affirmation von Gewalt genötigt zu sein, da es ihm an normativen Kriterien fehlt, sie von vornherein auszuschließen. Als Lösungsvorschlag soll der Gedanke dienen, dass, wo Machtformen irreduzibel zum Anerkennen hinzugehören, Gewalt als Abbruch des Prozesses des Anerkennens dennoch ausgeschlossen werden kann.

              Dr. Thomas Bedorf ist Privatdozent für Philosophie und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fernuniversität Hagen. Im Wintersemester 2009/2010 war er Gastprofessor für Politische und Sozialphilosophie an der Universität Wien.

                Download: Vortrag (mp3; 40,9 MB; 44:40 min), Diskussion (mp3; 32,4 MB; 35:24 min)

              7. Zweite Natur: Kritik und Affirmation – Christoph Menke Besonders hörenswert

              Christoph Menke (Goethe Universität Frankfurt am Main) referiert in seinem Beitrag über den Begriff der 2. Natur, wie ihn Hegel entwickelt hat. Das Theorem der zweiten Natur versucht selbstauferlegten Zwang, selbstverschuldete Unmündigkeit zu erklären, indem es die soziale Struktur in den Blick nimmt – es soll der Umschlag des aus Freiheit selbst gemachten in ein selbstständig Seiendes, Unmittelbares erklärt werden. Menke erklärt die Ausführungen Hegels zu diesem Problem vor Allem am Begriff der Gewohnheit als unbewusstes bzw. unbewusst geleitetes Handeln und rekonstruiert hierbei zwei Seiten der Gewohnheit: einmal als Bildung zur Fähigkeit Zwecke zu setzen, auf der anderen Seite als selbst mechanischer Vollzug. An dieser Doppelseitigkeit macht Menke deutlich, dass Hegel nicht einfach abstrakt negierend vorgeht: es geht nicht um eine Gegenüberstellung vom Prozess des Setzens als etwas Gutem und der Verselbstständigung der Setzung gegenüber dem Setzenden als etwas Schlechtem – Kritik und Affirmation sind bei Hegel auf unlösbare Weise miteinander verquickt. Menke streift die Relevanz der Hegelschen Reflexion auf die zweite Natur für die Kritische Theorie (für Marx, Lukács, Adorno und Benjamin) nur am Rande, macht aber deutlich, dass Hegel die Grundlagen materialistischer Kritik gelegt hat. – Ein wirklich guter und hörenswerter Hegel-Vortrag!

                Download: Vortrag (mp3; 45,1 MB; 49:16 min), Diskussion (mp3; 13,5 MB; 14:44 min)

              8. Negativität. Adorno und Hegel – Michael Städtler

              Negativität fasst Michael Städtler in seinem Vortrag als Formbestimmung kritischer Theorie und setzt Adorno und Hegel unter diesem Aspekt in Bezug zueinander. Er zeigt warum Adorno Zweifel an einer Geistesgeschichte hegte, deren Triumph Hegel bloß zu rekonstruieren suchte – während Hegel die Verwirklichung der Vermittlung von Vernunft und Wirklichkeit am Ende der Philosophiegeschichte zu sehen glaubte, bestreitet Adorno die so definierte Verwirklichung der Philosophie. Städtler macht dabei deutlich, dass Adorno jedoch gegenüber Hegel nicht nur Skepsis hegt – gerade an Adornos Kritik des Positivismus wird deutlich, dass er mit dem Anspruch, dass das Denken über das bloß Gegebene hinauszuweisen habe, an Hegel festhält. Ziel Adornos ist es, Theorie und Praxis miteinander zu verwirklichen, ohne sie jedoch wechselseitig zueinander aufzuheben – hieran wird deutlich, dass Adorno zu Kant zurückkehrt, nicht jedoch ohne Hegels Kritik an Kant zu verwerfen. Vielmehr gilt es die Spannung von Widersprüchen aufrecht zu erhalten, die in Hegels Versuch der Aufhebung zu einer verkehrten Totalität eingeebnet zu werden drohen. Was dies bedeutet macht Städtler u.a. an der negativen Theologie deutlich, die versucht Gott aus der Summe dessen zu bestimmen, was Gott nicht ist – Adorno macht die Widersprüchlichkeit dieses Denkversuchs für materialistische Kritik fruchtbar, die Hegel im Versuch, aus dieser Negativität ein System absoluten Wissens zu machen, einebnet.

              Das Verhältnis Adornos zu Hegel ist gespalten. Einerseits sei die Hegelsche Philosophie unübergehbare Voraussetzung jedes „theoretische[n] Gedankens von einiger Tragweite heute“ (Adorno, Aspekte), andererseits sei das System Ausdruck der Angst des Bürgertums vorm eigenen Untergang „[i]m Schatten der Unvollständigkeit der eigenen Emanzipation“. (Adorno, Negative Dialektik) Damit aber gilt diese Form von Philosophie der Kritik nicht einfach als eine falsche, sondern in der Kritik ihrer Fehler werden Einsichten über den Stand der Entwicklung von Selbstbewußtsein und Freiheit möglich, die sonst unsichtbar blieben. Die Kritik des bürgerlichen Bewußtseins setzt dessen selbstbewußt durchformulierten Begriff voraus. Noch strikter: Das Bewußtsein in der bürgerlichen Gesellschaft ist, wie diese selbst, realisierte Freiheit, aber in verkehrter Gestalt. Das Ziel radikaler Befreiung ist diesem Bewußtsein ebenso fremd, wie es selbst diesem Ziel vorausgesetzt ist. Mit diesem Gedanken begibt sich aber das Bewußtsein kritischer Theorie in Widerspruch zu sich selbst: Es verdankt seine wesentlichen Einsichten einer Geschichte, die abzulehnen, aber nicht mehr aufzuheben ist; ein durchaus unbefriedigender Zustand, der dazu führt, daß Adorno eine Dialektik entwirft, an deren Ende keine affirmativen Urteile mehr stehen. Die Kritik wird nicht konstruktiv gewendet, sondern sie bleibt kritisch. Dieser Gedanke ist offenkundig so frustrierend, daß nicht bloß die Schulphilosophie des 20. Jahrhunderts ihn nie wahrhaben wollte, sondern daß selbst diejenigen, die seit Adorno unter dem zum Label gewordenen Ausdruck ‚Kritische Theorie‘ firmieren, ihn aus ihrem Sortiment genommen haben. Was es dagegen heißt, bei der Kritik zu bleiben und wer eigentlich deren Subjekt sein kann, warum schließlich der auf Kritik beharrende Gedanke nicht nichts ist, soll in dem um die Bedeutung von Negativität zentrierten Vortrag über das Verhältnis Adornos zu Hegel überlegt werden.

              PD Dr. Michael Städtler, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Vorstand des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts Hannover.

                Download: Vortrag (mp3; 48,9 MB; 53:22 min), Diskussion (mp3; 12,1 MB; 13:10 min)

              9. Glückliche Ehe oder liaison dangereuse? Fragen nach der Verbindung von Feministischer und Kritischer Theorie – Cornelia Klinger

              Cornelia Klinger (Eberhard Karls Universität Tübingen) beginnt ihren Vortrag mit einigen Vorüberlegungen zur Entstehung und zu Schwierigkeiten feministischer Bewegung und Theorie, um dann Kritische Theorie und Feministische Theorie unter drei Aspekten in Beziehung zueinander zu setzen: 1. Kritik, 2. Negation und Negativität und 3. Utopie. Sie legt im ersten Teil sehr ausführlich dar, welche Bedeutung diese drei Aspekte für die Kritische Theorie haben und referiert in einem zweiten, kürzeren Teil, wie feministische Kritik diese drei Aspekte auf spezifische Weise bewusst oder unbewusst aufgreift und erweitert. Sie schließt mit der Formulierung eines Anspruchs, den sie an feministische Theorie heute heranträgt: dass diese wieder vermehrt an die Kritische Theorie Adornos/Horkheimers anknüpfen möge. Trotz der Genauigkeit ihrer Ausführungen zur Kritischen Theorie bleibt deren Verbindung zum Feminismus oberflächlich und müsste selbst noch konkret bestimmt werden. Sympathisch ist ihre Betonung der außer(!)akedemischen Dimension kritischer Theorie im Anspruch auf allgemeine Emanzipation.

              Feminismus wurde nicht als Theorie geboren, sondern verdankt seine Entstehung einer gesellschaftlichen und politischen Bewegung, die erst im Verlauf ihrer Entwicklung – nicht zuletzt infolge der Widerstände, auf die sie gestoßen ist – begonnen hat, sich ein theoretisches Fundament zu erarbeiten. An verschiedene unterschiedliche Theoriegebäude (Liberalismus, Marxismus, Psychoanalyse u.a.) hat feministische Theorie mehr oder weniger erfolgreich Anschluss gesucht und gefunden. Vor diesem Hintergrund geht der Vortrag der Frage nach dem Verhältnis von Feminismus und kritischer Theorie nach. Ausgehend von der These, dass feministische Theorie per se kritische Theorie ist, das heißt mit der älteren kritischen Theorie der Frankfurter Schule im Ansatz mehr Gemeinsamkeiten aufweist als mit irgend einem anderen Theoriegebäude wird zu zeigen sein, dass feministische Theorie die ‚bessere‘, konsequentere und vollständigere Kritische Theorie sein bzw. werden könnte – unter der Voraussetzung, dass sie ausgerechnet einige besonders traditional erscheinende Elemente der kritischen Theorie aufzunehmen und zu aktualisieren vermöchte.

              Cornelia Klinger ist außerplanmäßige Professorin an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ständiges wissenschaftliches Mitglied am Institut für die Wissenschaften am Menschen in Wien. Sie hatte Lehraufträge und Gastprofessuren an den Universitäten Wien, Zürich, Bielefeld, Frankfurt, Klagenfurt, Innsbruck, Tübingen, München, Luzern und Berlin inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Politische Philosophie und Geschichte der Moderne, Feministische Theorie/gender studies und Ästhetische Theorie.

                Download: Vortrag (mp3; 40,5 MB; 44:13 min), Diskussion (mp3; 26,6 MB; 29:02 min)

              10. Im Handgemenge des SprechensGibt es eine „verdrängte Sprachphilosophie“ der Kritischen Theorie? – Jan Müller

              Jan Müller (TU Darmstadt) widerspricht in seinem Vortrag der sprachpragmatischen Deutung Adornos (u.a. Jürgen Habermas, Martin Seel), alles Denken und Sprechen sei per se verdinglicht, womit Sprache selbst in einer tragischen Auffassung von Geschichte aufgehen müsse und nur der Ausweg einer sprachlosen Offenbarung bliebe. Hierzu referiert er ausführlich Benjamins frühen Text „Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen„, um dann Benjamin und Adorno in Beziehung zueinander zu setzen. Ein sehr komplexer und kompakter sprachtheoretischer Vortrag.

              Die Aneignung der ersten (oder Gründungs-)Phase der kritischen Theorie steht allgemein unter Metaphysikverdacht, eine Befürchtung, die insbesondere das Verständnis von Sprechen und Sprache betrifft. Theodor W. Adorno habe, darin inspiriert von Walther Benjamin, eine Fundamentalkritik der Sprache unter dem „eisigen Strahlen“ instrumenteller Vernunft verfolgt. Die Konsequenz dieser unterstellten Absicht ist ein Dilemma: Entweder – das sei der Ausweg Benjamins – sei Zuflucht zu einem theologischen Sprachmodell genommen, oder – so unterstellt man Adorno – eine Delegation der sonst dem Sprechen zugeschriebenen
              Funktionen an eine (damit aber überlastete) „ästhetische Erfahrung“ unternommen worden. Würde die frühere kritische Theorie an einem romantisch überhöhten Bild der Sprache leiden, dann wäre seine Korrektur durch die Erfordernisse kommunikativer Rationalität eine wünschenswerte und sachlich unvermeidbare Konsequenz. Der Vortrag möchte dagegen die – allmählich vernehmbarere, aber noch immer randständige – Vermutung stark machen: (1) Die Kritik an den sprachphilosophischen Überlegungen Benjamins und Adornos gewinnt ihre Plausibilität vor allem aus der Übernahme von Grundunterscheidungen der analytischen Theorie des Sprachhandelns – sie artikuliert den Sachverhalt, dass Adorno und Benjamin Sprache anders thematisieren als die Tradition z.B. Searles. (2) Diese andere Thematisierungsform lässt sich nicht als bloß alternatives Modell von Sprechen und Sprache verstehen; Benjamin und Adorno liefern, in offener und verdeckter Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen sprachphilosophischen Diskussion, eine „Metakritik“ – sie fragen präsuppositionsanalytisch nach den Voraussetzungen und Angemessenheitskriterien vernünftigen Nachdenkens über Sprache. (3) Das Resultat dieser Auseinandersetzung ist eine Verortung der Funktion und Reichweite des Modells propositionaler Sprachreflexion. Sie zeigt (a) das Ungenügen einer am Kommunikationsparadigma orientierten Reflexionsform, die Funktion des Sprechens als Medium der Bildung und Reproduktion unserer Praxisform zu thematisieren, und provoziert (b) eine für die gegenwärtige Diskussion provozierende Blickumkehr, die Sprache nicht einfach Medium „des Politischen“ , sondern als politisches Medium begreifbar macht.

              Dr. Jan Müller (*1979) studierte Philosophie und Deutsche Sprache und Literatur in Marburg. Promotion 2010 in Stuttgart, derzeit wiss. Mitarbeiter am Institut für Philosophie der TU Darmstadt. Er beschäftigt sich vor allem mit dialektischer Handlungs- und Tätigkeitstheorie, Sprachphilosophie und politischer Philosophie (und ihrem Verhältnis zueinander).

                Download: Vortrag (mp3; 42,3 MB; 46:08 min), Diskussion (mp3; 31,9 MB; 34:49 min)

              11. Podiumsdiskussion: Zur Praxis kritischer Theorie. Formen der Gesellschafrkskritik heute

              Moderiert von Christoph Demmerling (Philipps-Universität Marburg) diskutieren auf dem ersten Podium Alexander Garciá Düttman, Christoph Henning (Universität St. Gallen, u.a. „Philosophie nach Marx„), Philip Hogh (Goethe Universität Frankfurt a.M., u.a. Jungle World) und Cornelia Klinger über die Anforderungen einer tatsächlichen Weiterführung und Aktualisierung Kritischer Theorie. Für Düttman stellt sich eine solche Aktualisierung als eine kritische Selbstreflexion der AkademikerInnen dar: er verbindet die adornitischen Theoreme der sozialen Kälte und des universellen Verblendungszusammenhangs mit einer Kritik der neoliberalen Universität. Henning plädiert dafür, einige Themen der Klassiker der Kritischen Theorie (insbeondere nennt er Honneth) liegen zu lassen und fordert gleichzeitig dazu auf, wieder an die ältere Generation der Kritischen Theorie anzuknüpfen und von ihr zu lernen – in seinem Statement geht er auf einige Vorträge ein, die auf der Konferenz gehalten worden sind und gibt Anstoß, noch einmal über einzelne Aspekte zu diskutieren. Hogh schließt noch einmal an die sprachtheoretische Diskussion an, um unter diesem Aspekt Adorno und Habermas kritisch in Beziehung zueinander zu setzen. Klinger hält die Frage, ob es eine Praxis der Kritischen Theorie geben kann, für verkehrt – ihr Statement: die Praxis der Kritischen Theorie ist die Theorie. Eine revolutionäre Perspektive scheint in der Abschlussdiskussion nicht auf.

                Download: Statements (mp3; 65,1 MB; 1 h 11:08 min), Diskussion (mp3; 34,6 MB; 37:48 min)
              1. Dazu sei angemerkt, dass der Vortrag von Ingo Elbe aus gesundheitlichen Gründen leider ausfallen musste und der Mitschnitt des Vortrags von Frank Benseler aufgrund der zu geringen Lautstärke nicht verwendbar war. [zurück]

              »Grüner Kapitalismus«? Gesellschaftliche Naturverhältnisse im 21. Jahrhundert

              Im Juni 2008 richtete die Rosa-Luxemburg-Stiftung ein Wochenendseminar zum Thema »green capitalism« aus. Sie stellt auch die in diesem Zusammenhang gehaltenen Vorträge zum Download bereit.

              1. Alex Demirovic: Naturbeherrschung und Nachhaltigkeit.
                Demirovic referiert unter Rekurs u.a. auf Marx und Adorno grundsätzliche Thesen zum Verhältnis Gesellschaft-Natur. 42 Minuten
                Download: Original (mp3, stereo, 128 kBit/s, 38 MB), kleinere Fassung (mp3, mono, 48 kBit/s, 14 MB)
              2. Tadzio Müller: Grüner Kapitalismus.
                Aus einer regulationstheoretischen Perspektive stellt Müller Überlegungen über die ökologischen Modernisierungsversuche des Kapitalismus, über Potentiale des Staates, im Namen von Umwelt- und Klimaschutz Kontrolle auszuüben und über die Möglichkeiten linker Intervention dagegen an.
                Download: Original (mp3, stereo, 128 kBit/s, 28 MB), kleinere Fassung (mp3, mono, 48 kBit/s, 10 MB)
              3. Kai Kaschinski: Klima & Nord-Süd-Verhältnis: offene Fragen in der linken Debatte.
                Download: Original (mp3, stereo, 128 kBit/s, 28 MB), kleinere Fassung (mp3, mono, 48 kBit/s, 10 MB)