Archiv des Autors: aergernis

Einführendes zur Kritik des Parlamentarismus

Wir dokumentieren hier die Aufnahmen von zwei Veranstaltungen der Leipziger Gruppe „The Future is Unwritten„. Beide Vorträge behandeln auf verschiedene Weise die Kritik des Parlamentarismus. Beide Veranstaltungen fanden statt im Rahmen der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative„.

1.) Echte Demokratie jetzt!?

Kritiken des Parlamentarismus im Vergleich. Nach einer kurzen Definition des Parlamentarismus führt der Vortrag in verschiedene Spielarten der Parlamentarismuskritik ein: Die linkssozialistische Parlamentarismuskritik Rosa Luxemburgs, die anarchistische Parlamentarismuskritik Erich Mühsams, die faschistische Parlamentarismuskritik Carl Schmidts und die linkskommunistische Parlamentarismuskritik von Johannes Agnoli. Es geht im ganzen Vortrag immer wieder auch um die Problematisierung von Schnittstellen zwischen rechter und linker Parlamentarismuskritik.

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2.) Gestern radikal – heute Landtagswahl

Parlamentarismuskritik in Zeiten des Rechtsrucks. Der Referent gibt zunächst eine knappe Einführung in die Grundlagen der Kapitalismuskritik, um dann zum Verhältnis von Ökonomie und Politik, Kapital und Staat zu kommen. Er skizziert verschiedene Spielarten der Staatskritik, um dann ausführlicher auf die Parlamentarismuskritik von Johannes Agnoli einzugehen. Als Beispiel für den Charakter staatlicher Politik und parlamentarischer Prozesse werden dann ausführlicher die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen verhandelt. Zuletzt werden einige strategische Überlegungen angesichts des aufsteigenden Rechtspopulismus angestellt. Unter dem Titel „Gestern radikal, heute Landtagswahl – Zur Situation der Parlamentarismuskritik in Zeiten des Rechtsrucks“ gibt es auch einen längeren Text auf der Seite von Unwritten Future.

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Zur Kritik des Parlamentarismus siehe auch: Anton Pannekoek – Denker der Revolution.

Talkin‘ bout a Revolution?! #5

Kultur, Konsum, Gegengeschichte

Im vorerst letzten Teil der 1968er-Reihe dokumentieren wir Gespräche, die nicht recht in die bisherigen Kategorien einzuordnen waren.

1.) 1968 – Reflexion einer Niederlage?

Schon 2017 führten Radio Corax und FSK ein Gespräch mit Roger Behrens (u.a. Testcard), Karl-Heinz Dellwo (Laika Verlag) und Thomas Seibert (Institut Solidarische Moderne) über 1968, wobei alle drei Gesprächspartner nach 1968 politisch aktiv geworden sind: Roger Behrens im Kontext maoistisch-syndikalistischer Gruppen, Kar-Heinz Dellwo in der zweiten Generation der RAF, Thomas Seibert in den Reihen der Autonomen. Es geht im Gespräch um die Dialektik von Erfolg und Niederlage im Bezug auf 1968.

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2.) Über ein nachvollziehbares, aber harmloses Begehren

Gängigerweise wird 1968 als Kulturrevolution gedeutet – die Corax-Sendereihe über 1968 hat diese Verengung eher verweigert, stattdessen ging es um poli-ökonomische Bedingungen, globale Verhältnisse und (gebrochene) Traditionslinien des Widerstands. Im Gespräch mit Roger Behrens war der kulturelle Aspekt dennoch ein Thema. Es geht um Pop-, Sub-, Jugend- und Gegenkultur; neue Körperlichkeit; Massenkultur und Kulturindustrie; 1968 als Zäsur der Popkultur; das Affirmative in der Kultur …

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3.) Konsum und Gewalt

2018 ist bei Suhrkamp Insel das Buch „Konsum und Gewalt – Radikaler Protest in der Bundesrepublik“ von Alexander Sedlmair erschienen (eine deutsche Übersetzung des 2014 ursprünglich auf englisch erschienen Buches). Darin geht er insbesondere auf die Konsumkritik ein, die von 1968 ausgehend in der linken Bewegung immer wieder formuliert wurde und inwiefern dort Konsumtions- und Produktionsverhältnisse zusammen gedacht wurden (er spricht in diesem Zusammenhang von „Versorgungsregimen“). Mit diesem Fokus geht er auf verschiedene Stränge der Bewegung ein: Die Kaufhausbrände, aus denen heraus die 1. Generation der RAF entstand; Antispringer-Kampagne, Friedensbewegung und Autonome; Proteste gegen Fahrpreiserhöhungen, Hausbesetzerbewegung, etc. Im Interview geht es um die Motivation, dieses Buch zu schreiben und einzelne inhaltliche Aspekte.

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4.) 1968 – Der Widerspruch

Im Mai 2018 ist im Mandelbaum-Verlag ein Buch von Peter Cardorff erschienen: „Der Widerspruch – 49 Arten, 68 ein Loblied zu singen„. In 49 Aphorismen arbeitet Cardorff Aspekte von 1968 durch. Der „Widerspruch“ hat dabei mehrere Bedeutungen: Es geht darum, in Widerspruch zu gängigen Erzählungen über 1968 zu gehen; Widersprüche von 1968 selbst herauszuarbeiten; 1968 als einen Wdierspruch zum Bestehenden zu begreifen. Im Gespräch geht es um die Motivation, das Buch zu schreiben und einzelne inhaltliche Aspekte – u.a. die Rolle des Trotzkismus in der 68er-Bewegung (der Autor bewegte sich selbst in trotzkistischen Zusammenhängen). Diskutiert wird auch der Stellenwert des linken Antisemitismus im Zuge von 1968ff. Im Gespräch wird auf ein Interview mit Wolfgang Seidel und auf ein Kursbuch-Gespräch zwischen Semmler, Dutschke, Rabehl und Enzensberger Bezug genommen.

    Download: via FRN (mp3; 55 MB; 39:44 min)

Mit dem 5. Beitrag haben wir die Dokumentation der 1968er-Reihe von Radio Corax abgeschlossen. Wir werden in der kommenden Zeit weitere Beiträge zum Thema posten: Die Dokumentation der Vortragsreihe „Das unmögliche Verlangen“ in Halle (Saale), den 7. Teil der Reihe „Kunst, Spektakel & Revolution“ unter dem Motto „Das Leben ändern, die Welt verändern!„, Ausgaben der Sendereihe Sachzwang FM. Zum Weiterlesen an dieser Stelle ein paar (linksradikale) Literaturtips:

Robert Kurz über „Glanz und Elend des Antiautoritarismus“ (erschienen 1988 in Marxistische Kritik); eine frühe (Selbst)Kritik der antiautoritären bzw. neuen Linken des (inzwischen neurechten) Frank Böckelmann: „Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit„; gesammelte Texte von Johannes Agnoli über die Ereignisse um 1968 herum: „1968 und die Folgen“ (nach dem Rechtsstreit mit der Witwe Agnolis nur noch antiquarisch erhältlich); Analysen aus rätekommunistischer Sicht, zusammengetragen in einer Broschüre von „Soziale Befreiung„: „Das proletarische 1968“ (daraus das Kapitel über Italien online hier); deutsche Übersetzung von Analysen und Erfahrungsberichten der französischen Gruppe „Mouvement Communiste„: „Der Mai / Juni 1968 – Eine verpasste Gelegenheit der Arbeiterautonomie“ (erschienen als Wildcat-Beilage); das Buch „Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen“ schildert die Maiereignisse in Frankreich aus situationistischer Sicht … (to be continued).

Abschließend eine aktuelle und besondere Empfehlung: Das thug-Magazin hat im letzten Jahr eine Sonderausgabe mit dem Text „Orgasmusschwierigkeiten und Revolution. Über einige Gründe zum Aufkommen und Scheitern der 68er Revolte in Deutschland“ von Andrea Trumann und Karl Rauschenbach herausgebracht.

Kommunismus und Geschichte

Wir dokumentieren zwei weitere Ausgaben der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge:

1.) Was wollen Kommunisten?

In der Wutpilger-Ausgabe für Oktober 2018 wird ein Stand kommunistischer Debatte zusammengetragen. Was bedeutet Kommunismus? Welche Schritte führen zu ihm? Wie gehen Kommunistinnen mit dem Erbe kommunistischer Geschichte um? Wo stehen Kommunisten heute?

In vielen Ausgaben der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ habe ich mich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung beschäftigt. Dass es dabei um eine Sympathie mit der Sache des Kommunismus geht ist unausgesprochen klar. Aber was denken Kommunistinnen heute, was wollen sie, welche Vorstellung haben sie von Kommunismus? Diesen Fragen bin ich in der aktuellen Ausgabe nachgegangen – und habe dafür einige meiner kommunistischen Freunde befragt. (via)

    Download: via archive.org (mp3; 123.3 MB; 1:16:54 h)

2.) Warum Geschichte?

Die Wutpilger-Ausgabe für August 2019 beschäftigt sich mit dem Sinn und Zweck von Geschichtsarbeit. Es sprechen wahlverwandte und eigene GenossInnen über Geschichte in einem materialistischen, feministischen und kritisch-theoretischen Verständnis.

Immer wieder findet im Rahmen der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ eine Auseinandersetzung mit Geschichte statt – insbesondere mit einem Fokus auf die Geschichte der Arbeiterbewegung. In dieser Ausgabe der Sendereihe „Wutpilger-Streifzüge“ wird den Fragen nachgegangen, welchen Sinn eine Auseinandersetzung mit Geschichte überhaupt macht, welche Motivation und welche Interessen hinter dem Drang zu historischer Auseinandersetzung stehen, warum ein einfach lineares Geschichtsbild abzulehnen ist… Im Feature sind zu hören: Marlene Pardeller, Lilli Helmbold und Julian Kuppe. (via)

    Download: via archive.org (mp3; 151.8 MB; 1:06:24 h)

Ivan Tuw: Die Helden sind leise

Eine Ausgabe der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge vertont den Text „Die Helden sind leise“ von Ivan Tuw. In der Sendung ist der erste Teil des Textes mit dem Titel „Heroische Jammerlappen“ zu hören: Es geht um die ostdeutsche Misere, um die Nachwirkungen der DDR, die Verklärung der „Wende“, Wohlfühlzonen in Leipzig, die letzten radikalen Autonomen und die Fluchtbewegung ins Fußballstadion. Neben einigen Film-Samples, Punksongs und dem Auszug einer Rede von Alexander Gauland ist auch ein Fetzen aus einem Interview mit Bodo Mrozek beigefügt.

    Download: via archive.org (mp3; 95.8 MB; 1 h)

Ein Manifest für das 21. Jahrhundert

Texte der Gruppen „Eiszeit“ und „FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft“

Da die Diskussion um den Text „Umrisse der Weltcommune“ der „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“ hier immer wieder eine Rolle gespielt hat (siehe hier, hier und hier), dokumentieren wir hier eine Ausgabe der Sendung „Sachzwang FM„. In der Sendung ist zunächst der Text „Auf dem Weg nach Nirgendwo. Das Ende des Fortschritts und die Aktualität einer staaten- und klassenlosen Welt“ von der „Gruppe Eiszeit“ zu hören. Im Anschluss sind dann die „Umrisse der Weltcommune“ der Klassenlosen zu hören. Es geht einerseits um eine Bestandaufnahme der Gegenwart, andererseits um die Darstellung der allgemeinen Umrisse einer kommunistischen Produktion und Verteilung.

Selten genug beschäftigen wir uns mit der Zukunft …

„Nichts mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ ( Sprichwort )

Während die ganz Sedierten und schon immer Abgeklärten ohnehin nie grundsätzliches Beklemmen in dem, was sie umgibt, gespürt haben und höchstens partikulare, fein geschiedene „Mißstände“ aufzuzählen vermögen, haben sich die nicht enden wollenden „Proteste“ diverser sogenannter Bewegungen, die meisten kurzatmig und kurzlebig genug, auf solche Mißstände eingeschossen. Mißstände und „Auswüchse“, denn davon, daß auch aus Gutem Böses ent-wachsen kann, aus Marktwirtschaft Gier beispielsweise, aus Konkurrenz Ungerechtigkeit, oder aus guter Wirtschaft schlechtes Klima, davon sind sie – Großes Kino lehrt nichts anderes, denn Drama und tragedy sind abendfüllend – zutiefst überzeugt. Das Ganze jedoch kann nicht falsch eingerichtet sein.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Man will partout nicht sehen, daß bereits der Reim, den man sich auf die Wirklichkeit macht, nicht reimt.

Und das beginnt schon bei „der Gesellschaft“ als bereits verdinglichtem Denkbegriff – als sei diese etwas, das man tatsächlich von außen betrachten, es bewältigen und über es verfügen könne. Längst sind sogar die, welche noch einen Begriff vom Besseren haben und somit von der Notwendigkeit einer Änderung hatten, konservativ geworden. Konservieren wollen sie Demokratie und Menschenrechte (gegen die Populisten), die Natur (gegen ihre Zerstörung), das Internet (gegen Überwachung und hate speech) und das Klima (gegen seinen Wandel). Sie wollen eine Welt ohne Auswüchse, Mißstände und Machenschaften.

Dabei ist doch die ureigenste und keineswegs originelle Erfahrung, die jeder tagtäglich macht, daß die angeblichen Auswüchse, Mißstände und Machenschaften mit eherner Notwendigkeit immer und immer wieder stattfinden. Daraus kann man zweierlei schließen: Entweder hat es verhungernde Kinder und folternde Beamte, ertrinkende Flüchtlinge und erniedrigte Frauen, korrupte Politiker und eigensinnige Geschäftsleute, Tierquälerei und kriegführende Staaten schon immer gegeben und jedes Ansinnen, dies zu ändern, ist naiv und zum Scheitern verurteilt – oder dies alles ist einer Welt gemäß, die doch mal grundsätzlicher infrage zu stellen wäre, Nichts anderem haben sich die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft verschrieben. 2018 veröffentlichten sie ihr Traktat „Umrisse der Weltcommune“ (ca. 100 Minuten).

Vorher (ca. 20 Minuten) eine Art Bestandsaufnahme der Gruppe Eiszeit: „Auf dem Weg nach Nirgendwo. Das Ende des Fortschritts und die Aktualität einer staaten- und klassenlosen Welt“. Beide Beiträge datieren aus dem Jahr 2018.

„Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ ( Tocotronic, 1995 )

„Was die Lohnabhängigen nicht mehr aufrechterhalten, können auch Panzer nicht retten.“ ( Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, 2018 )

Mit dem historischen Kommunismus wird oft Säuberung und Gehirnwäsche assoziiert. Während autoritäres Gebaren und das Eliminieren von Menschen aus Gremien oder sogar dem gesellschaftlichen Leben („Säuberung“) tatsächlich durchweg abzulehnen sind, bedarf das vom Vorurteil freie Räsonieren und Abwägen neuer Ideen jenes sprichwörtlichen klaren Kopfes. Jede Philosophie, die den Namen verdient, lebt davon. Die alten Gedanken, Ideen und Verfahrensweisen müssen daher nicht „weggewaschen“ werden, sie gehören allerdings am Maßstab der Vernunft und Humanität relativiert. Und letztendlich historisiert, ins Museum.

„Wir erheben keinen Anspruch auf Originalität. Anstatt neue »Ansätze«, »Paradigmen« oder »Theorieschulen« auszurufen, versuchen wir lieber, mit dem Gedankenreichtum aus circa zwei Jahrhunderten […] etwas anzufangen; fast alles ist längst gesagt, wir sagen es in der heutigen Situation nur ein bißchen anders.“ ( Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft ) [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 48 MB; 1:59:59 h)

In der Zwischenzeit ist als Flugschrift der Edition Nautilus der Text „Klasse – Krise – Weltcommune“ erschienen – offensichtlich eine Erweiterung des ursprünglichen Weltcommune-Textes.

Can‘t take my eyes off you

… ein Versuch, utopisch zu denken

Unter dem Titel Can’t take my eyes off you hat der Leipziger AK Unbehagen im Mai 2019 einen temporären Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum eröffnet. Im Rahmen dessen fanden auch mehrere Veranstaltungen statt, die wir im Folgenden dokumentieren. Es geht weitestgehend um die Stellung der Utopie innerhalb gesellschaftskritischen Denkens. Zur Ausstellung und zur Veranstaltungsreihe siehe auch das Interview des Transit-Magazins mit dem AK-Unbehagen.

Was wäre in der Utopie anders? Was steht der Utopie im Weg? Und wo sehen wir in der Gegenwart, in unserem Leben Utopisches?

Diese und weitere Fragen haben wir uns und Menschen, die uns nahe stehen, in den letzten Monaten gestellt. Im Mai 2019 eröffnen wir einen Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum, in dem wir unsere Auseinandersetzung sichtbar machen und zu utopischem Denken einladen wollen.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzung haben wir Briefe an Menschen verschickt, deren Gedanken und Haltungen uns wichtig sind. Aus den Antworten, die wir bekommen haben, haben wir ein fiktives Gespräch geschrieben, das in Form einer Audioinstallation hörbar sein wird.

Für das Veranstaltungsprogramm haben wir Freund*innen und Genoss*innen eingeladen, ihre Überlegungen mit uns zu teilen und mit uns in den Austausch zu treten.

In dieser Reihe wollen wir Debatten darüber anstoßen, welche Formen von Arbeit, Beziehungen und Subjektivität wir uns wünschen. Wir möchten mit euch über die gegebenen Verhältnisse hinaus denken und über die Vorstellungen und Bedingungen von einem guten Leben diskutieren.

[Edit (28.03.2020): Ein ausführliches Gespräch mit zwei Mitgliedern des AK Unbehagens, über die Aktivitäten des AK’s und die Auseinandersetzungen im Rahmen der dokumentierten Reihe findet sich hier.]

1.) …und für wen das alles? – das Subjekt und die Utopie

In einer Lesung hat der AK Unbehagen einige Überlegungen vorgestellt, die der Ausstellung und der Veranstaltungsreihe vorangegangen sind. Es geht dabei insbesondere um das Subjekt der Utopie: Ausgangspunkt ist bürgerliche Subjektivität, die ihre eigenen Voraussetzungen abspalten muss. Mit Überlegungen zur Psychanalyse, weiblicher Subjektivität, Arbeit, Alltag, Bedürfnissen, Bedürftigkeit, Körperlicheit, linke Gruppen und (Liebes)Beziehungen kreist die Lesung um die Aufhebung bürgerlicher Subjektivität, hin zu einer Gesellschaft glücklicher Subjekte, zur Vorstellung einer ganz anderen Gesellschaft. Dabei geht es auch immer wieder um Geschlechterverhältnisse. (Die Tonqualität dieser Aufnahme ist nicht sonderlich gut – die anderen Mitschnitte sind deutlich besser.)

Wenn wir versuchen utopisch zu denken, sind wir immer darauf zurückgeworfen, uns zu fragen, wer oder was da eigentlich denkt. Was für ein Subjekt ist das und welche Zurichtung erfährt es? Wo weisen unsere Vorstellungen von einer glücklichen und befreiten Gesellschaft in ihrer Negation auf gegenwärtige Verhältnisse hin, über die hinaus wir gar nicht denken können, weil uns die Sprache dafür fehlt?

Wir möchten in unserer Lesung Aspekte diskutieren, die das Subjekt mit der Utopie verbinden und unser Begehren nach dem wirklich Besseren ausdrücken. Welche Rolle spielt Mangel in der Subjektkonstitution und kann das Glück im Kleinen ein Stück Zukunft im Hier und Heute bedeuten? Wie soll sich alles zum guten Leben für alle ändern oder wie sollen sich alle ändern? Und an welchen Utopie-Entwürfen können wir uns abarbeiten?

    Download: via AArchiv (mp3; 66.8 MB; 48:39 min)

2.) Über das Utopische in der Erfahrung

In einer Lesung haben zwei Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Outside the Box Texte aus der 7. Ausgabe der Zeitschrift zum Thema Erfahrung vorgestellt (zur Ausgabe siehe auch: Interview von Radio Corax; Interview des Konkret-Magazins). Die Redakteurinnen lesen zu folgenden Themen: Ein Erfahrungsbericht von gegenwärtigen feministischen Kämpfen in Buenos Aires; ein Gespräch über gewerkschaftliche Frauengruppen in der BRD der 70er-Jahre; ein Gespräch mit Frigga Haugg u.a. über deren (4 in 1)-Perspektive (siehe auch das Interview mit Haugg zum Thema hier); ein Text über Verena Stefan und deren Roman „Häutungen“; ein Text über die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ (siehe auch das Interview zum Thema hier, siehe auch den Kurztext hier); das Editorial zum Verhältnis von Erkenntnis und Erfahrung; ein Gedicht (Überraschung). Die Aufnahme setzte kurz nach Beginn der Lesung ein.

»Wir erfahren den Gegensatz zwischen dem, was sein könnte, und dem, was ist.«

— Preview-Lesung über das Utopische in der ERFAHRUNG (Ausgabe #7) der Outside the Box. Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik

Erfahrung – ist das, als unmittelbar Gegenwärtiges und Alltägliches, nicht das Gegenteil von Utopie? Zwei Redakteurinnen der outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik hoffen, bei ihrer allerersten Lesung aus der Ausgabe #7, die jeden Moment erscheinen wird, Antworten auf diese und alle darin enthaltenen Fragen zu finden – ob Erfahrung so unmittelbar überhaupt ist, zum Beispiel – oder, falls das nicht gelingen sollte, zumindest ein paar neue Fragen aufzuwerfen. Eine (utopische?) ERFAHRUNG, die man sich nicht entgehen lassen sollte!

    Download: via AArchiv (mp3; 138 MB; 1:00:22 h)

3.) „Rufen, was nicht ist“

Zur Utopie und ihrer Rolle für die Emanzipation. In ihrem Vortrag gehen Max und Jakob von der Translib Leipzig näher auf eine begriffliche Bestimmung des Verhältnisses von Utopie und Gesellschaftskritik ein. Zunächst charakterisiert Max das utopische Denken seit Thomas Morus, geht auf die Kritik des Utopismus von Friedrich Engels ein, verharrt kurz bei Ernst Bloch, um dann die Argumentation für ein Bilderverbot mit Adorno und Horkheimer zusammenzufassen. Er geht dann mit Hans-Jürgen Krahl auf das Verhältnis von objektiven und subjektiven Bedingungen einer kommunistischen Befreiung ein, das für den Stellenwert der Utopie entscheidend ist. Daran knüpft Jakob im zweiten Vortragsteil an. Er untersucht das Verhältnis von bestimmter Negation und positivem Gegenentwurf; rekonstruiert, wie durch die Tendenzen des Ökonimusmus und Determinismus im marxistischen Denken die Differenz von Bestehendem und zu erreichendem Zustand verwischt wurde und benennt Kriterien für eine befreite Gesellschaft. Insbesondere der zweite Teil des Vortrags knüpft an die Diskussionen der Klassenlossen und Hannes Giessler-Furlan sowie an die Reihe Where is an alternative? an. (Edit: Aus dem Vortrag ist ein Text entstanden, der mittlerweile hier nachgelesen werden kann.)

Emanzipatorische Bewegung zeichnet sich durch den Willen der Veränderung des herrschenden Zustandes aus. Die Kritik am Bestehenden, von der sie ausgeht, enthält immer schon ihre logische Gegenseite – so abstrakt sie auch sein mag – der Gedanke eines Anderen, Besseren. Die Diskussion darum, ob und – wenn ja – wie dieses bestimmt werden kann, ist daher in der Linken immer geführt worden: von der Kritik des »wissenschaftlichen Sozialismus« am »utopischen« Frühsozialismus zum sozialdemokratischen »Zukunftsstaat«, vom Rätekommunismus bis zu gegenwärtigen Ideen eines »Marktsozialismus« – die Bedeutung der Utopie als der Gestalt, in der das Bessere als Ganzes auftritt, für das Denken und die Praxis der Emanzipation spiegelt sich in der Bedeutung, die ihr in verschiedenen, mitunter verfeindeten linken Strömungen zugesprochen wird. Gemeinhin sind jedoch eine fundamentale Umwälzung der Produktionsverhältnisse beinhaltende Utopien heute weitestgehend diskreditiert.

Die Reflexion auf das bisherige Scheitern der revolutionären Linken zeigt aber auch, dass diese entweder alles in Schutt legen wollte, in der Behauptung des Besseren dem Schlechteren womöglich näher kam, oder dem Besseren unter Verweis auf die Unmöglichkeit es zu denken entsagte, um sich doch noch im Bestehenden einzurichten. Allen geht das Denken konkreter kommunistischer Forderungen ab. Dass es mit dem Verweis auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht getan ist, weil keiner sagen kann, was sie mehr meint als die Negation des Privateigentums, hat Karl Korsch bereits vor mehr als hundert Jahren festgestellt.

Dies verweist uns heute auf die drängende Frage nach konkreter Utopie. Was ist sie und wie müsste sie gedacht werden, wenn sie nicht hinter berechtigter Kritik an abstraktem Utopismus zurückfallen soll? Wie kann sie vermeiden, bestehendes Elend gedanklich bloß zu verlängern? Wie kann sie konkretes Fordern ohne bloß Soziareformismus zu sein?

In unserem Vortrag wollen wir uns zunächst dem Begriff der Utopie unter Reflexion des Vorwurfs des Utopismus und des Bilderverbots annähern und ihn historisch verorten. Hier sollen auch die Debatten innerhalb der Arbeiterinnenbewegung und revolutionären Linken beleuchtet werden. Auf Basis dieser Reflexionen möchten wir moderne konkrete Utopien vorstellen, um dann mit euch ins Gespräch zu kommen.

    Download: via AArchiv (mp3; 91.3 MB; 1:06:30 h)

4.) Utopische Forderungen an Mutterschaft / Elternschaft

Auf dem Podium wurde die Frage diskutiert, inwiefern es utopische Bilder von Mutterschaft gibt und in welchem Verhältnis feministische Ansprüche an eine (emanzipierte) Mutterschaft und reale Verhältnisse von Müttern stehen. Neben persönlichen Erfahrungen werden auch psychoanalytische und historische Perspektiven diskutiert. Zentral ist die (reproduktive) Arbeitsteilung. Am Ende werden einige Forderungen im Bezug auf Mutterschaft vorgetragen. An der Diskussion waren beteiligt: Anke Stelling (Schriftstellerin, u.a. Fürsorge und Schäfchen im Trockenen), Maya Dolderer (Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?) sowie Lisa und Saša (beide vom Feministischen MÜTTER*-Stammtisch Süd, Leipzig).

In der gegenwärtigen Gesellschaft erscheinen Fürsorge, die fundamentale Bezogenheit aufeinander und Abhängigkeiten – kurz alles, was mit Mütterlichkeit assoziiert ist – systematisch abgewertet. Dies spiegelt sich nicht nur in konkreten Erfahrungen von Müttern, sondern weiterhin in den prekären Arbeitsbedingungen im Care-Sektor oder den miserablen Zuständen in Pflegeeinrichtungen wider. Auch die feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft verläuft notgedrungen ambivalent.

Wir möchten nach einer Kritik an gegenwärtigen Bedingungen von Mutterschaft suchen, die nicht bei der Aushandlung von Aufgaben oder beim Entwurf der „neuen Mutterideale“ endet. Wir möchten danach fragen, was mit einer Gesellschaft und ihren Beziehungen passiert, wenn eine grundlegende Abhängigkeit nicht mehr geleugnet werden muss.

In dieser Podiumsdiskussion möchten wir deshalb aus psychoanalytischer, materialistischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive nach Ansatzpunkten für ein utopisches Denken von Mutterschaft und Elternschaft suchen. Gleichzeitig soll hierbei auch immer wieder auf Grenzen verwiesen werden, die sich aus einer feministisch-materialistischen Betrachtung stellen. Auch die eigene Erfahrung der Gegenwart soll dabei in den Blick genommen und explizit verhandelt werden.

Wir stellen uns unter anderem diese Fragen: Wie kann Mutterschaft in feministischer Kritik und emanzipatorischen Entwürfen mitgedacht werden? Neben solidarischen Konzepten und neuen Familienmodellen – welche fruchtbaren Punkte bietet eine feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft? Wie sehen unsere utopischen Forderungen an Mutterschaft und Elternschaft aus und auf welchen Mangel verweisen sie in der Gegenwart?

Es werden sprechen: Anke Stelling, Autorin aus Berlin. Maya Dolderer, Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?. Lisa und Saša vom Feministischen MÜTTER*- Stammtisch Süd (Leipzig)

    Download: via AArchiv (mp3; 91.4 MB; 1:06:33 h)

Talkin‘ bout a Revolution?! #4

Nach 1968

Im vierten Teil unserer Beitrags-Serie über 1968 fokussieren wir auf das, was nach 1968 geschah. Überhaupt scheint eine Fokussierung auf das eine Jahr 1968 eine fragwürdige Verengung zu sein. Nicht nur, dass wichtige Gruppierungen der Neuen Linken schon Ende der 50er-Jahre entstanden waren. Für die Bewegung entscheidende Ereignisse fanden im Jahr 1967 statt: Beginn der Anti-Springer-Kampagne, Antischah-Protest, Erschießung Benno Ohnesorgs… Wer das Interesse an der Rekonstruktion eines Beweguns-Zyklus‘ hat, dessen Blick wird auch auf das Jahr 1969 und darüber hinaus gelenkt… Wir versammeln hier Beiträge über die Zeit nach 1968, die jedoch immer wieder auch auf 1968 Bezug nehmen.

1.) Das Sozialistische Büro und die Gründung einer Rätepartei

Im Jahr 1969 gründete sich mit dem Sozialistischen Büro eine linkssozialistische Gruppierung jenseits von DKP, SPD und Spontis. Carsten Prien hat im August 2019 ein Buch mit dem Titel „Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros, Oskar Negt und Rudi Dutschke – Ein Beitrag zur Organisationsdebatte“ veröffentlicht. Im Interview skizziert Prien die Entstehungsbedingungen des SB, dessen „Arbeitsfeldansatz“ und die Diskussion über eine Parteigründung aus dem SB heraus.

    Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21:15 min)

2.) Zur Theorie der Stadtguerilla in der BRD

Im April 1968 legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein einen Brand in einem Frankfurter Kaufhaus. Die Täter wurden gefasst – die anschließende Befreiung von Andreas Baader mit Hilfe von Ulrike Meinhoff im Jahr 1970 war die Geburtsstunde der RAF. Die RAF war nicht die einzige bewaffnete Gruppe in der BRD – neben (und zum Teil mit) ihr agierten auch die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die Rote Zora. In der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ hat Robert Wolff einen Text mit dem Titel „Das Konzept Stadtguerilla – Die Entzauberung kommunistischer Guerilla- und Revolutionstheorien?“ veröffentlicht. Im Gespräch rekonstruiert er die Entstehungsbedingungen des Bewaffneten Kampfes in der BRD, schildert Unterschiede zwischen den bewaffneten Gruppen und geht auf die Theorie der Stadtguerilla und den „Primat der Praxis“ ein. Er geht zunächst auf die Gewalt-Debatten ein, die schon im Zuge der 68er-Bewegung eine Rolle gespielt hatten.

    Download: via FRN (mp3; 38 MB; 23:46 min)

Zur Kritik der RAF siehe das Buch: „Stadtguerilla und soziale Revolution. Über den bewaffneten Kampf der Roten Armee Fraktion“ von Emile Marenssin.

3.) Zur Geschichte der Roten Zora

Die Rote Zora war zunächst ein Teil der Revolutionären Zellen – später agierte sie als eigenständiger Zusammenhang unabhängig von den Revolutionären Zellen. Ihre Aktionen hatten einen dezidiert feministischen Fokus, Themen der Gruppe waren Reproduktionsarbeit, Reproduktionsmedizin, weibliche Arbeitskämpfe, Flüchtlingssolidarität, (Anti-)Militarismus, Pornografie und Frauenhandel. Katharina Karcher hat im September 2018 ein Buch unter dem Titel „Sisters in Arms. Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968“ veröffentlicht, in dem es u.a. auch um die Rote Zora geht. In der „Analyse und Kritik“ hat sie einen Artikel über die Rote Zora geschrieben. Im Gespräch rekonstruiert Karcher Entstehungsbedingungen, Themenschwerpunkte und Entwicklung der Roten Zora. Zunächst geht es um Begriffe von Gewalt und Gegengewalt in den Diskussionen feministischer Gruppierungen der 60er-Jahre.

    Download: via FRN (mp3; 48 MB; 30:09 min)

Im Frühjahr 2019 ist unter dem Titel „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ ein Film über die Rote Zora erschienen (siehe Rezension hier). Radio Corax hat ein etwa 20-minütiges Feature über den Film produziert. Zu hören sind neben den Filmemacherinnen des Kollektivs „Lasotras“ auch Ausschnitte aus dem Film – unter anderem die Historikerin Katharina Karcher und die (eingelesenen) Stimmen von Roten Zoras…

    Download: via FRN (mp3; 28 MB; 21:18 min)

Zum Thema siehe auch den Text „Frauen, die Schweine haben Adressen! Feminismus und Militanz“ des Autorinnenkollektivs Zora Zobel im Buch „Feministisch Streiten!„. Zu den Revolutionären Zellen und der Roten Zora siehe das Buch „Die Fruechte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora„. Zu den RZ siehe auch den entsprechenden Unterpunkt in diesem Beitrag.

4.) Zur Geschichte der K-Gruppen

Im Zuge des Zerfalls der 1968er-Bewegung entstanden in der BRD die sogenannten „K-Gruppen“ – leninistische Kader-Organisationen, deren mittelfristiges Ziel jeweils die Gründung einer neuen kommunistischen Partei gewesen ist und die sich auf unterschiedliche Weise auf den Maoismus bezogen. Im Gespräch skizziert der Historiker David Spreen Entstehungsbedingungen, Unterschiede und Entwicklung der verschiedenen K-Gruppen. Zur ersten Frage:

Dabei baten wir ihn zunächst um die Einordnung einer gewissen Erzählung über die K-Gruppen: Sie seien das Resultat einer „anti-autoritären Phase“ gewesen, die an ihre Grenzen geraten und der eine Organisationsdebatte gefolgt war. Aus dieser Organisationsdebatte seien dann die K-Gruppen entstanden – was daran ist wahr, was daran ist Mythos? (via)

    Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21 min)

Zahlreiche Primärquellen zu den K-Gruppen finden sich unter: Materialien zur Analyse von Opposition (MAO).

5.) Geschichte und Begriff der „Neuen Sozialen Bewegungen“

Neben Stadtguerilla, K-Gruppen und Autonomen entstanden in den 70er-Jahren auch die sogenannten „Neuen Sozialen Bewegungen“. Damit sind eher dezentral und unabhängig von Parteien organisierte Bewegungen gemeint, die sich jeweils spezifischen Themen gewidmet haben: Anti-AKW-Bewegung, Ökologiebewegung, Bürgerbeteiligungsbewegung, Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung, Stadtteilbewegung, Friedensbewegung… Dabei werden die Begriffe „Neue Soziale Bewegungen“ und „Alternativbewegungen“ oft analog verwendet. Mit der Hinwendung zu diesen jeweils spezifischen Themen ging auch eine zunehmende Abwendung von der Klassenfrage einher – so eine gängige These in der Historisierung. Genau diese These wird in der Ausgabe 3/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ angezweifelt – u.a. angesichts der Beteiligung von Lehrlingen und Proletarisierten an den NSB, die dort immer wieder auch ihre spezifische Betroffenheitslage thematisierten. Ulf Teichmann hat gemeinsam mit Christian Wicke den Thementeil dieser Ausgabe betreut – er skizziert im Gespräch Entstehungsbedingungen und Spezifika der Neuen Sozialen Bewegungen.

    Download: via FRN (mp3; 41 MB; 25:49 min)

6.) Falsche Wege und neue Anfänge

Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass sich die radikale Linke Ende der 70er-Jahre im Zustand einer umfassenden Niederlage wahrgenommen hat. Nachdem es mit den Autonomen und der Hausbesetzerbewegung in den 80er-Jahren einen zeitweiligen Aufschwung der Bewegung gegeben hat, sah man sich 1989-91 erneut mit einem Trümmerhaufen konfrontiert. Die Zeiten der Niederlage sind immer auch Zeiten von Reflexion und Kritik, in denen alte Gewissheiten über Bord geworfen werden. Solche Debatten hat sich Jana König in der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ näher angeschaut: „Falsche Wege und neue Anfänge: Die Bedeutung von Theorie in Zeiten linker Krisen – im Kontext von ‚Deutscher Herbst‘ und ‚Wiedervereinigung‘“. In diesem Text rekonstruiert sie die Debatten zweier Kongresse: Des Tunix-Kongresses von 1978 und des Konkret-Kongresses von 1993. Jana König im Gespräch über ihren Text, in dem sie zunächst auf die gesamtgesellschaftliche Situation der 70er-Jahre eingeht:

    Download: via FRN (mp3; 36 MB; 19:54 min)

Es bleiben einige Lücken: Spontis, Autonome, Anarchismus und Rätekommunismus nach 1968, linke Intellektuelle jenseits der verschiedenen Lager, etc. Aspekte dessen werden hier in verschiedenen Beiträgen demnächst immer wieder auftauchen. Im nächsten – vorerst letzten – Teil unserer Serie wird es noch einmal allgemeiner um 1968 gehen.

Zur politischen Ökonomie des Ostens

Mit Marx in den neuen Bundesländern

Wir dokumentieren hier einen Vortrag, den Dominik Intelmann im August 2018 im Rahmen der Kantine Marx in Chemnitz gehalten hat (siehe Kantine Festival). Er rekonstruiert die Besonderheiten der ostdeutschen Gesellschaft unter Rückgriff auf die ökonomiekritischen Kategorien von Marx. Dabei geht es insbesondere darum, wie durch die politischen Entscheidungen nach der Wiedervereinigung ein Umverteilungsmechanismus installiert wurde: Die Besteuerung westdeutscher Löhne finanziert den Aufbau „allgemeiner Produktionsbedingungen“ (Marx) im Osten – der so erwirtschaftete Profit fließt zurück in den Westen, da sich im Osten keine eigenständige Bourgeoisie etabliert hat.

    Download: via AArchiv (mp3; 37.8 MB; 1:05:30 h)

Ein Interview von Radio Corax mit Dominik Intelmann zum selben Thema findet sich hier (im Grunde eine kürzere Version des Vortrags in Gesprächsform). Weitere Vortragsmitschnitte von der Kantine Marx finden sich hier zum Nachhören bzw. hier zum Herunterladen. Ein Interview über die Kantine Luxemburg (2019) findet sich hier. In Kürze dokumentieren wir die Audio-Mitschnitte der Tagung „Lost in Transformation„. (Edit: Die Tagung ist inzwischen hier dokumentiert.)

Material zu Johannes Agnoli

Wir dokumentieren hier – anschließend an den letzten Teil der 68er-Reihe – die Aufnahme einer Diskussionsveranstaltung über Johannes Agnoli, sowie eine ältere Radiosendung über Agnoli.

1.) 50 Jahre Johannes Agnoli – Transformation der Demokratie

Im Dezember 2017 hat die Junge Panke Thomas Ebermann, Felix Klopotek und Jan Giolan von TOP B3rlin zu einer Diskussionsveranstaltung über Johannes Agnoli eingeladen. Thomas Ebermann und Felix Klopotek rekonstruieren die historischen Bedingungen, auf die Johannes Agnoli in seinem (gemeinsam mit Peter Brückner herausgegebenen) Buch Transformation der Demokratie reflektiert hat. Dabei geht es insbesondere um die Frage, inwiefern Elemente des Faschismus in den Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit eingegangen sind und um den Zusammenhang mit der 68er-Bewegung. Jan Giolan geht auf die Frage ein, inwiefern Agnoli auch für eine Reflexion und Praxis im Umgang mit dem Aufstieg der AfD und des Rechtspopulismus fruchtbar gemacht werden kann. Die Diskussion dreht sich dann um Fragen der Bündnispolitik im Angesichts des Erstarkens rechter Bewegungen. In der Tageszeitung Neues Deutschland ist ein Bericht über den Abend erschienen.

Als der Politikwissenschaftler Johannes Agnoli und der Sozialpsychologe Peter Brückner im Jahr 1967 gemeinsam „Die Transformation der Demokratie“ veröffentlichten, trafen sie damit einen Nerv der beginnenden Revolte. Vor allem die Rezeption von Agnolis radikaler Kritik der parlamentarischen Demokratie innerhalb der außerparlamentarischen Bewegungen brachte der Schrift die Bezeichnung „APO-Bibel“ ein. Agnolis Auseinandersetzung mit dem Repräsentationsprinzip, das er als repressives Befriedungs- und Herrschaftsinstrument analysiert, mündet in die Kritik am konstruktiven Mitwirken in den Institutionen, das lediglich der Aufrechterhaltung der Verhältnisse sowie der Domestizierung der Opposition diene. Als „Staatsfeind auf dem Lehrstuhl“ bestand Agnoli auf Subversion, Destruktion und Aufklärung: „Es dient keinem Herrschaftssystem, wenn die Techniken des Herrschens den beherrschten zum Bewußtsein gebracht werden.“ Während Agnoli seine negationistische Staats- und Institutionenkritik am Beispiel der Grünen und der Linken Jahrzehnte später veranschaulichte und aktualisierte, scheint sie heutzutage angesichts der Angriffe auf die demokratischen Institutionen von Rechts fast anachronistisch. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 192 MB; 2:09:04 h) | via YouTube

2.) Johannes Agnoli – Ein Staatsfeind mit Lehrstuhl

Wir dokumentieren hier eine ältere Sendung von Context XXI. In der Sendung hat Stephan Grigat Auszüge von einer Gedenkveranstaltung für Johannes Agnoli zusammengestellt, die im Juni 2003 in Berlin stattgefunden hat und an der Michael Heinrich, Joachim Bruhn und Clemens Nachtmann beteiligt waren. Michael Heinrich führt aus, dass Agnoli keine Theorie des Staats, sondern eine Kritik des Staats als Form eines objektiven Zwangszusammenhangs formuliert hat. Joachim Bruhn schildert, auf welche Weise Agnoli sich auf den deutschen Idealismus bezogen hat. Clemens Nachtmann führt aus, was nach Agnoli eine Kritik der Politik bedeutet, geht darauf ein, inwiefern nach Agnoli Bestandteile des Nationalsozialismus in die BRD der Nachkriegszeit übergegangen sind und weist auf den Mangel hin, dass Agnoli die Differenz von Post-Faschismus und Post-Nationalsozialismus nicht ausreichend berücksichtigt habe.

    Download: via AArchiv (mp3; 26.5 MB; 57:47 min) | via YouTube

Weitere Beiträge zu Johannes Agnoli im Audioarchiv: Zur Aktualität von Johannes Agnolis ‚Transformation der Demokratie‘ | Das negative Potential – Gespräche mit Johannes Agnoli | Subversive Theorie

Talkin‘ bout a Revolution?! #3

Theorie und Kritik der ‚Neuen Linken‘

Zum dritten Teil unserer Beitragsreihe über 1968: Die Bewegung von 1968 und die Geschichte der „Neuen Linken“ sind eng miteinander verknüpft, aber sie fallen nicht in eins: Die Neue Linke hat ihre Ursprünge in den 50er-Jahren, bekommt in den Jahren um 1968 herum eine größere Aufmerksamkeit und spielt für die Reflexion des Scheiterns der 68er-Revolte eine wichtige Rolle. Es ist fraglich, ob es die Neue Linke überhaupt gibt, ihre Geschichte ist widersprüchlich: Steht sie anfangs für eine dissident-marxistische, linksradikal-undogmatische, anti-stalinistische Position, die bisherige Modelle von Partei und Gewerkschaft infrage stellt, geht sie später in (neo-)marxistisch-leninistische Theorie- und Organisationsmodelle einerseits, in postmoderne Theorieansätze und „Neue Soziale Bewegungen“ andererseits über. Die Geschichte der Neuen Linken verweist auch auf die Geschichte der Zwischenkriegszeit – sind es doch linkskommunistische oder -sozialistische Theoretiker (meist männliche) aus dieser Zeit, die ab den 50er-Jahren zum Entstehen der Neuen Linken beitragen. Anhand einzelner Personen verweisen wir hier vor allem auf die Theorie(n) der Neuen Linken, wobei stets auch deren Einfluss und Bezug auf 1968 behandelt wird. Herbert Marcuse, der sicher als wichtiger Impulsgeber einer Neuen Linken gelten kann (sowohl in Westdeutschland, als auch in den USA), wird in diesem Beitrag nicht einzeln behandelt – wir verweisen dazu auf diesen Sammelbeitrag.

1.) Ignorierte Vorläufer: Die Neue Linke der 50er Jahre

Dass 1968 nicht vom Himmel fiel – auch und gerade was eine dezidiert linksradikale theoretische Reflexion betrifft -, darauf weist Christoph Jünke (u.a. Autor des Buches „Streifzüge durch das rote 20. Jahrhundert„) hin. Er schildert im Gespräch, wie eine Neue Linke schon in den 50er-Jahren entstand. Es geht um die Bezüge der Neuen Linken auf die alte Arbeiterbewegung, die linken Debatten der Weimarer Republik und die Oktoberrevolution, die Frage des Anti-Autoritarismus und die Staatskritik, um die Aktualität der Neuen Linken.

1968 gab es nicht nur einen Bruch und Entwicklungsschub innerhalb des Kapitalismus, sondern auch das Jahr der „antiautoritären Linken“. An den 60’er Jahren lässt sich nachvollziehen, wie eine „Neue Linke“ in Deutschland entsteht, nachdem zuvor eine linke und/oder revolutionäre Bewegungstradition abgebrochen war. Über diesen Abbruch sprach Radio Corax mit dem Historiker Christoph Jünke. Jünke schreibt vor allem zur Geschichte des Realsozialismus und des Marxismus. (via)

    Download: via FRN (mp3; 43 MB; 27:07 min)

2.) Zauber der Theorie – Ideengeschichte der Neuen Linken in Westdeutschland

Mit der „Ideengeschichte“ der Neuen Linken hat sich das Heft 2018/II der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ auseinandergesetzt. Im Gespräch schildert David Bebnowski (verantwortlicher Redakteur dieser Ausgabe – seine Einleitung zum Schwerpunkt hier) den Anlass des Themenschwerpunkts und spricht über Ursprünge der Neuen Linken (mit dem Schlüsseljahr 1956), die Rolle der Theorie, die Rolle West-Berlins als Zentrum der Neuen Linken, die Rolle der Universitäten und der Politikwissenschaft. Insbesondere geht es auch um die Rolle Franz Neumanns, zu dem Bebnowski gearbeitet hat.

Im Mai ist die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ erschienen, die sich mit der Geschichte der Neuen Linken auseinandersetzt. Wir sprachen mit David Bebnowski, dem inhaltlich verantwortlichen Redakteur dieser Ausgabe. Wir fragten ihn zunächst nach der Geschichte der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“, die ursprünglich als „JahrBuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung” erschienen ist. (via)

    Download: via FRN (mp3; 38 MB; 22:43 min)

3.) Leo Kofler – Ein vergessener Vordenker der Neuen Linken

Eine Zeit lang ging die Theorieentwicklung der Neuen Linken mit Impulsen einher, die vom Frankfurter Institut für Sozialforschung ausgegangen waren – später kam es (wie unten noch zu sehen sein wird) auch zum Bruch mit diesen „Vordenkern“. Es gab jedoch bereits von Anfang an Vorbilder und Einflüsse von Denkern, die der kritischen Theorie Frankfurter Provenience kritisch gegenüberstanden. Zu diesen Figuren gehört auch Leo Kofler, wie Christoph Jünke hervorkehrt, der selbst zu den Schülern Koflers gehört. Er spricht über die politisch-theoretische Herkunft Koflers, über seine Tätigkeit in der außerakademischen Bildungsarbeit und sein Verhältnis zur „Frankfurter Schule“. Siehe Jünkes Kofler-Biografie (PDF) und die Homepage der Kofler-Gesellschaft.

Als marxistischer Theoretiker ist Leo Kofler heute kaum noch bekannt. Dies mag darin liegen, dass sein Denken quer zu eindeutigen Traditionslinien lag: So verband er etwa die politischen Ansätze des Austromarxisten und Linkssozialisten Max Adler mit Motiven des marxistischen Philosophen Georg Lukács. Obwohl Leo Kofler heute kaum noch bekannt ist, kann seine Rolle als Vordenker der 68’er nicht unterschätzt werden – seit Anfang der 50er Jahre war er in der außerakademischen Bildungsarbeit aktiv. Wir sprachen mit dem Kofler-Biographen Christoph Jünke und fragten ihn zunächst nach seinem persönlichen Zugang zu Leo Kofler. (via)

    Download: via FRN (mp3; 40 MB; 24:55 min)

4.) Johannes Agnoli – Ein Staatskritiker mit Lehrstuhl

Johannes Agnoli war Stichwortgeber für die Neue Linke, nahm ihre Impulse in sein eigenes Denken auf und er reflektierte ihre Beschränkungen. Sein Buch „Transformation der Demokratie“ kann als eines der wichtigsten Werke für die Neue Linke in Westdeutschland gelten. Dennoch war er eine Einzelperson, die zu keiner der festen Gruppen der Neuen Linken gehörte. Im Gespräch mit Felix Klopotek geht es um den Lebensweg Agnolis, seine Rolle in verschiedenen Debatten und um Vorwürfe, die immer wieder gegen Agnoli lanciert worden sind. Siehe auch Klopoteks Vortrag über Agnoli.

Das Buch „Transformation der Demokratie“ von Johannes Agnoli verhalf den Aktivisten der außerparlamentarischen Opposition zu einer Kritik desjenigen Staates, dessen Polizeiknüppel sie zuvor auf den eigenen Köpfen gespürt hatten. Agnoli nahm an zahlreichen Debatten der Neuen Linken teil und versuchte den Charakter des antiautoritären Protests (sowie seine Beschränkung) auf den Begriff zu bringen. Wir sprachen mit Felix Klopotek über diesen Staatskritiker mit Lehrstuhl.

Johannes Agnoli wurde 1925 in Italien geboren – das heißt er hat den Faschismus als junger Mann miterlebt. Aber nicht nur das: über die SS meldete er sich bei der Wehrmacht, um an der Seite der Deutschen kämpfen zu können. Wir fragten Felix Klopotek wie Agnoli von einem jungen Faschisten zu einem Theoretiker der Neuen Linken wurde. (via)

    Download: via FRN (mp3; 47 MB; 29:12 min)

5.) Peter Brückner – Ein großer Bruder der ApO

Ein Kollege von Agnoli war Peter Brückner – er hatte etwa einen Essay zu Agnolis „Transformation der Demokratie“ beigesteuert. Während bei Johannes Agnoli der Faschismus Italiens den Erfahrungshintergrund prägte, war es bei Peter Brückner der deutsche Nationalsozialismus – diese Erfahrung hat das ganze Denken Brückners beeinflusst. Brückner begleitete die Debatten der radikalen Linken bis zu seinem Tod und hat dafür als Proffessor immer wieder Stress gekriegt. Christoph Jünke spricht im Interview über Brückners Verhältnis zum SDS und zur antiautoritären Protestbewegung, seine Suspendierungen und seine Reflexionen über den bewaffneten Kampf. Siehe auch: Ein Interview mit Simon Brückner, dem Sohn Peter Brückners, der einen Dokumentarfilm über seinen Vater gedreht hat – und: die Aufnahmen einer Theorie-Praxis-Lokal-Seminarreihe über Brückner.

Der kritische Sozialpsychologe und Hochschullehrer Peter Brückner war ein stetiger Begleiter und Diskussionspartner der radikalen Linken in der Nachkriegs-BRD. Er hatte Kontakt zum SDS, gehört zu den Gründern des Club Voltair in Hannover und sprach sich für das Sozialistische Patientenkollektiv Heidelberg aus. In seinen Texten versuchte er, der Protestbewegung zu einem kritischen Bewusstsein zu verhelfen und kritisierte ihre Beschränkungen. Immer wieder äußerte sich Brückner auch zum bewaffneten Kampf – was ihm eine mehrmalige Suspendierung einbrachte. Wir sprachen mit dem Historiker Christoph Jünke über diesen älteren Bruder der ApO.

Peter Brückner wurde im Jahr 1922 in Dresden geboren – den Nationalsozialismus erlebte er als Jugendlicher. Eine autobiographische Skizze über diese Zeit überschrieb er mit dem Titel „Das Abseits als sicherer Ort“. Wir fragten Jünke zunächst, wie Peter Brückner den Nationalsozialismus überlebte. (via)

    Download: via FRN (mp3; 36 MB; 22:37 min)

6.) Hans-Jürgen Krahl – Ein Theoretiker der Neuen Linken

Rudi Dutschke war nicht nur ein charismatischer Sprecher der anti-autoritären Fraktion innerhalb des SDS – (als Schüler Ernst Blochs) war er auch ein wichtiger Theoretiker der ApO. Christoph Jünke hat dies in einem Text über Dutschke herausgestellt. Während Rudi Dutschke heute nach wie vor als Ikone der 68er gilt, ist Hans-Jürgen Krahl heute nahezu unbekannt – und das, obwohl Krahl innerhalb des SDS mindestens genauso wichtig war wie Dutschke. Als Schüler Adornos hat die kritische Theorie die Perspektive von Krahls Denken maßgeblich bestimmt – und doch hat Krahl eine Kritik an Adornos Positionen erarbeitet. Im Interview rekonstruiert Carsten Prien (u.a. Krahl-Briefe) die politische Sozialisation Krahls und spricht über seine Rolle innerhalb des SDS, Aspekte seiner kritischen Theorie (als einer Theorie der Klassengesellschaft), sein Verhältnis zu Adorno und die Aktualität von Krahls Denken. Siehe auch: Aufnahmen einer TPL-Veranstaltungsreihe über Krahl – und: Krahls „Angaben zur Person“ (verfilmt von der Gruppe Slatan Dudow).

Für den SDS war er ebenso relevant wie Rudi Dutschke, ist aber heute viel weniger bekannt: Hans-Jürgen Krahl. Als Adorno-Schüler versuchte er das theoretische Bewusstsein der außerparlamentarischen Opposition voranzutreiben – seine hinterlassenen Texte zeugen von analytischer Schärfe und Weitsicht. Wir sprachen mit Carsten Prien über diesen Theoretiker der Neuen Linken.

Carsten Prien ist Mitarbeiter des Projekts „Krahl-Briefe“. Wir fragten ihn zunächst nach der Geschichte dieses Projekts. (via)

    Download: via FRN (mp3; 32 MB; 20:05 min)

Im vierten Teil der 68er-Beitragsserie wird es um die Ausläufer und Nachfolger von 1968 gehen.

Material zu Herbert Marcuse

Wir stellen hier mehrere Beiträge zusammen, die sich mit dem Leben und Denken von Herbert Marcuse auseinandersetzen. Dies durchaus passend zur gerade Laufenden Beitragsserie über 1968 – hat doch Herbert Marcuse als engagierter Intellektueller wie kaum ein anderer eine Verbindung zwischen der Erfahrung der Novemberrevolution und den Impulsen der Bewegung der 60er Jahre hergestellt.

1.) Leben und Werk Herbert Marcuses

Aus Anlass des 118. Geburtstags von Herbert Marcuse hat Radio Corax im Juli 2016 ein Interview mit Roger Behrens geführt. Ausgehend von der Politisierung Marcuses im Zuge des 1. Weltkriegs geht das Gespräch einigen biographischen Stationen Marcuses nach, um anhand dessen immer wieder Aspekte seines Denkens zu skizzieren.

Einer, der an der Novemberrevolution teilgenommen hat, der bei Heidegger Philosophie gelernt hat, um dann Marx zu entdecken, ein wichtiger Theoretiker des Freudo-Marxismus zu werden und der dann später Stichwortgeber der amerikanischen Studentenbewegung geworden ist – der wurde am 19. Juli 1898, also heute vor 118 Jahren in Berlin geboren und er hieß Herbert Marcuse. Er zählt zu den wichtigen Vertretern der kritischen Theorie – auch wenn er nicht wie Adorno und Horkheimer nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland zurückgekehrt ist. Wir haben den 118. Geburtstag von Herbert Marcuse zum Anlass genommen, um über sein Leben und sein Denken zu sprechen. Dazu haben wir mit Roger Behrens telefoniert. Begonnen haben wir bei einer Station im Leben von Herbert Marcuse, die eine ganze Generation einschneidend geprägt hat – der erste Weltkrieg. Marcuse war jemand, der ziemlich nah dran war an der Novemberrevolution – das heißt bei Marcuse hat der erste Weltkrieg eine Politisierung nach links bedeutet. Wir haben Roger Behrens gefragt, wie diese Politisierung auch die Entwicklung des Denkens von Marcuse beeinflusst hat. [via]

    Download: via FRN (mp3; 54 MB; 39:40 min)

2.) Kapitalismus und Opposition – Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen

Unter dem Titel „Kapitalismus und Opposition“ sind im Herbst 2017 eine Reihe von Vorlesungen veröffentlicht worden, die Herbert Marcuse 1974 an der Universität Vincennes gehalten hat. Die Vorlesungen aktualisieren und konkretisieren Aspekte der Überlegungen, die Marcuse im „Eindimensionalen Menschen“ angestellt hat und entfalten zentrale Motive, die sich durch das Werk Marcuses durchziehen. Herausgegeben wurden diese Vorlesungen von Peter-Erwin Jansen, Lisa Doppler und Alexander Neupert-Doppler. Peter-Erwin Jansen ist der Nachlassverwalter Marcuses. Radia Obscura hat ein Interview mit ihm über Marcuse und das neu erschienene Buch geführt.

2017 ist unter dem Titel „Kapitalismus und Opposition“ ein etwa 150-seitiger Band beim zuKlampen!-Verlag erschienen, in dem die Herausgeber*innen Lisa Doppler, Peter-Erwin Jansen und Alexander Neupert-Doppler in erster Linie eine Vorlesungsreihe abdrucken, die Herbert Marcuse 1974 an der Pariser Universität Vincennes abhielt. Marcuse nimmt darin am Beispiel der USA eine Analyse des Kapitalismus seiner Zeit vor, diagnostiziert einen Konsumkapitalismus und wägt Möglichkeiten seiner Überwindung ab. Ergänzt werden diese Vorlesungen u.a. um eine Einleitung durch Roger Behrens und ein Interview, das Le Monde mit Marcuse führte. Wir hatten die Gelegenheit, Peter-Erwin Jansen, Philosoph und Vorstand der Internationalen Marcuse Gesellschaft (IMS), zu dieser Publikation zu befragen und eine historische und theoretische Einordnung vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen. [via]

    Download: via FRN (mp3; 80 MB; 35:09 min)

3.) Buchvorstellung: Kapitalismus und Opposition

Am 15.03.2019 haben Lisa Doppler und Alexander Neupert-Doppler das Buch Kapitalismus und Opposition. Vorlesungen zum eindimensionalen Menschen in der „Neuen Republik Reger“ in Berlin vorgestellt. Sie geben im Vortrag einen kurzen Überblick über Leben und Werk von Marcuse, um dann folgende Aspekte zu diskutieren: Die Frage nach dem sozialen Ort der Revolution angesichts der Verschiebungen innerhalb der globalen Arbeitsteilung; die Kritik liberaler Ideologie und des autoritären Charakters; die Frage der Opposition im integrierten Kapitalismus. Dabei beschränkt sich der Vortrag nicht auf eine Wiedergabe der Vorlesungen Marcuses, sondern sie versuchen stets einen Bezug zu aktuellen Problemen der Gesellschaftskritik herzustellen.

Herbert Marcuse (1898-1979) wurde vor 50 Jahren berühmt als angeblicher Kopf der Protestwelle von 1968, der er 1969 seine Schrift ‚Versuch über die Befreiung‘ widmete. Die Revolte und deren Reflexion blieben, wie in Marcuses Titel angedeutet, leider ein Versuch. Auch heute noch leben wir im Kapitalismus, wenn auch in anderer Gestalt, auch heute noch gibt es Opposition. Erst durch dieses Fortdauern werden alte Texte interessant und aktuell.

1974 hielt Marcuse sieben Vorlesungen an der Universität Sorbonne in Paris. In erster Linie kritisierte er, als Praktiker der Theorie, bestimmte Entwicklungen im Kapitalismus. Er ging auf die Tendenz zum Monopolkapitalismus ein, die sogenannte postindustrielle Gesellschaft, auf Neoimperialismus, Konsumkapitalismus und den scheinbaren Zerfall alter Autoritäten. Aber auch die Chance der Opposition, zwischen Revolte und Integration, wird diskutiert.

2017 wurden diese Pariser Vorlesungen im zuKlampen-Verlag in deutscher Übersetzung herausgegeben von Peter-Erwin Jansen, Lisa Doppler und Alexander Neupert-Doppler. Freilich nicht aus Nostalgie, welche die größte Feindin der Utopie ist, sondern aus dem Bedürfnis die eigene Situation in ihrem Abstand zu dieser Vergangenheit einzuschätzen. Wie hat sich der Kapitalismus entwickelt? Welche Gelegenheiten findet die Opposition vor?

Lisa Doppler promoviert an der Justus-Liebig-Universität Gießen über Herbert Marcuse und Anknüpfungspunkte für heutige Proteste am Beispiel der Refugeebewegung. Alexander Neupert-Doppler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am IASS in Potsdam. 2013 erschien sein Buch über politische Widrigkeiten (Staatsfetischismus), 2015 und 2018 Bände über Möglichkeiten (Utopie), ein Buch zum Begriff Gelegenheit (Kairós) ist in Arbeit.

    Download: via AArchiv (mp3; 36.8 MB; 1:07:29 h)

4.) Herbert Marcuse und der OSS

Im US-amerikanischen Exil hat Herbert Marcuse von 1942 bis 1951 für den Office of Strategic Services (OSS), den Nachrichtendienst des Kriegsministeriums, gearbeitet. In diesem Rahmen fertigte er einerseits Studien über den Nationalsozialismus an (später erschienen als „Feindanalysen„), nach dem Krieg aber auch über die Sowjetunion und das Denken des Sowjet-Marxismus. Radio Corax hat zwei Gespräche über diese Tätigkeit Marcuses geführt. Im ersten Gespräch mit Dr. Tim B. Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung (der ein Buch über „Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ veröffentlicht hat) geht es um die Motivation Marcuses, für den OSS zu arbeiten, um den gesellschaftlich-historischen Kontext, das Verhältnis von Geheimdiensten und Regierung, sowie um die Reaktionen auf Marcuses Tätigkeit für den Geheimdienst.

Herbert Marcuse hat das Denken der Studentenbewegung und der 68er Generation in Deutschland maßgeblich bestimmt und wird sogar manchmal als deren Guru bezeichnet. Seine beiden Werke Triebstruktur und Gesellschaft (1955) und Der eindimensionale Mensch (1964) gehören zu den wichtigsten Büchern der Kritischen Theorie. Um so verblüffender ist es, dass der Held der Außerparlamentarischen Opposition und das geistige Vorbild für radikale Gegner des Kriegs in Vietnam für den US-amerikanischen Geheimdienst gearbeitet hat. Für den Geheimdienst OSS, den Vorgänger der CIA. Wir haben mit dem Historiker Dr. Tim B. Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung gesprochen. Er hat ein Buch geschrieben. „Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ heißt das. [via]

    Download: via FRN (mp3; 17 MB; 18:56 min)

Im zweiten Gespräch mit Detlev Claussen (der in der TAZ einen Artikel über die kritische Theorie im Dienst des OSS geschrieben hat) geht es um die Arbeitssituation des Insituts für Sozialforschung im Exil, das wechselseitige Interesse der Intelektuellen des IfS und des OSS, die Faschismus-Analyse(n) von Marcuse und die Vorwürfe der Neuen Linken, Marcuse habe sich als Agent des Imperialismus schuldig gemacht.

Herbert Marcuse, Franz Neumann und Otto Kirchheimer haben als Marxisten im Exil in den USA in den 1940’er Jahren für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet. Die Dokumente dieser Tätigkeit sind nun erstmals auf deutsch erschienen. Wir sprachen mit Detlev Claussen darüber, wie es zu dieser Zusammenarbeit kam, welche Erkenntnisse die drei über den Nationalsozialismus hatten und wie der Vorwurf zu bewerten ist, Marcuse wäre ein Agent des US-Imperialismus gewesen. Zuerst beantwortet er die Frage, wie die Arbeitsbedingungen des Instituts für Sozialforschung im Exil gewesen sind. [via]

    Download: via FRN (mp3; 37 MB; 16:12 min)

Talkin‘ bout a Revolution?! #2

1968 als multipolares Weltereignis

1868 war ein multipolares, mehrdimensionales Weltereignis. Nicht nur, dass die von 68 ausgehende Bewegung in ihrem Selbstverständnis internationalistisch war – weltweit brachen in den Fabriken und Universitäten ähnliche Konflikte auf, in der sogenannten 3. Welt formierten sich anti-koloniale Befreiungsbewegungen. Es verallgemeinerte sich die Jugend als eigenständiger Lebensabschnitt, der mit einem spezifischen Warenangebot versehen und mit diversen Konflikten verbunden ist. Es formieren sich überall Gruppen, die sich dissident zum damals vorherrschenden Modell kommunistischer Parteien verhielten und eine Revision des Marxismus vornahmen (später bezeichnet als „Neue Linke“). All dies ist verbunden mit einer wechselseitigen Bezugnahme und gegenseitigen Beeinflussung. (Siehe auch diesen Text.) Im zweiten Teil unser 68er-Reihe (Teil 1 hier) beleuchten wir die internationale Dimension von 1968.

1.) Die Situationisten und der Pariser Mai 1968

Die Situationistische Internationale gehört zu den oben genannten dissidenten Gruppierungen, die bereits ab Mitte der 50er Jahre zu wirken begannen und später zu wichtigen Stichwortgebern der 68er-Revolte geworden sind – wobei es den Situationisten selbst darum ging, der radikalste und theoretisch versierteste Ausdruck der revolutionären Bewegung zu sein. Im Gespräch rekonstruieren Kazimir und Negator (BBZN) die Rolle der Situationisten im Pariser Mai 68 und gehen dabei auf die historische Situation im Frankreich der 60er Jahre ein. (Siehe auch die Buchbesprechung zu „Paris Mai 68 – Die Phantasie an die Macht„. Siehe auch „Midnight Notes: Zwei Sendungen über 1968„.)

In der Nachkriegszeit bildeten sich überall neue, linksradikale Gruppen heraus, die nach Organisierungsmodellen jenseits der kommunistischen/sozialistischen Parteien und der traditionellen Gewerkschaften suchten. Zu ihnen gehörte auch die „Situationistische Internationale“ (1957 – 1972). Die Situationisten waren auch während der Maitage 1968 in Frankreich aktiv. Wir sprachen mit Negator und Kazimir über die Situationisten und den französischen Mai ’68. [via]

    Download: via FRN (mp3; 76 MB; 55:13 min)

2.) Italien: Ein Kampfzyklus 1960-1980

Eine weitere dissidente neo-marxistische Strömung ist später mit dem Stichwort „Operaismus“ bezeichnet worden und ist eng mit den Klassenkämpfen in Italien verbunden. Das besondere an der italienischen Situation besteht darin, dass hier radikale Studentenbewegung und militante Fabrikkämpfe eine Verbindung eingegangen sind und sich die Kämpfe über beinahe zwei Jahrzehnte hinweg zogen – bis hin zu bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen in den 70er Jahren. Über diesen Kampfzyklus und den Operaismus war Christian Frings im Gespräch. (Über Italien siehe auch ein Gespräch mit Thomas Bremer.)

Die Ereignisse, die üblicherweise mit der Chiffre „1968“ bezeichnet werden, zogen sich in Italien über beinahe drei Jahrzehnte hin. Die Auseinandersetzungen waren in Italien besonders intensiv. Wir sprachen mit Christian Frings über die italienische Gesellschaft der Nachkriegszeit, die Ereignisse von 1960 und 1962, die Operaisten, den heißen Herbst 1969, die 77er-Bewegung und die Strategie der Spannung. Am Ende schlagen wir den Bogen zur Gegenwart.

Zunächst fragten wir nach der Nachkriegszeit in Italien. Italien hatte eine faschistische Vergangenheit, hier hatte es jedoch eine starke Resistenza-Bewegung gegeben. Inwiefern hat dies die Nachkriegszeit bestimmt? [via]

    Download: via FRN (mp3; 61 MB; 38:01 min)

3.) 1968 international – ein grenzenloser Aufbruch

Unter dem Titel „1968 international – ein grenzenloser Aufbruch“ hat die Zeitschrift iz3w im Januar/Februar 2018 eine Schwerpunktausgabe veröffentlicht. Die Ausgabe hat sich nicht nur mit 1968 im globalen Süden auseinandergesetzt, sondern auch mit der Geschichte der Zeitschrift selbst – denn 50 Jahre 1968 und 50 Jahre iz3w fielen zusammen (in diesem Zusammenhang hat iz3w auch einiges Audiomarterial veröffentlicht: hier). Im Gespräch mit dem iz3w-Redakteur Christian Stock gibt es einen kusorischen Überblick über 1968 im globalen Süden.

Im Rahmen unserer Sendereihe über 1968 wollen wir den Rahmen des nationalen Geschichtsbewusstseins verlassen und 1968 als ein globales Geschehen in den Blick nehmen. Dazu passend hat die Zeitschrift „iz3w“ im Januar/Februar ein Themenheft veröffentlicht. Wir sprachen mit dem Redakteur Christian Stock über diese Ausgabe und 1968 im globalen Süden. Zunächst baten wir ihn, das iz3w vorzustellen. [via]

    Download: via FRN (mp3; 21 MB; 13:17 min)

4.) 1968 in Afrika

In der im April/Mai 2018 folgenden Ausgabe von iz3w hat Bernhard Schmid einen Artikel mit dem Titel „1968: Révolution Afrique“ geschrieben. Im Gespräch mit Radio Dreyeckland skizziert er Ereignisse um das Jahr 1968 herum in Afrika.

Das magische Revoltenjahr gab es nicht nur in Europa und den USA auch in Mexiko und im frankophonen Afrika war es ein Jahr der Revolte und mehr als ein Anhängsel von Paris oder Westberlin. Der Frankreichskorrespondent von Radio Dreyeckland, Bernard Schmid vertritt sogar die These, dass es den Mai 68 in Paris ohne den Kontakt der französischen Linken jenseits der KP so garnicht gegeben hätte. Das Interview könnt Ihr hier nachhören oder den Artikel im neuen Heft der iz3w nachlesen. [via]

    Download: via RDL (mp3; 8.1 MB; 8;59 min)

5.) Das Massaker von Tlatelolco

Im oben dokumentierten Gespräch mit Christian Stock (iz3w) wird die harte Repression des mexikanischen Staates gegen die Studentenbewegung von 1968 erwähnt. Zentral war dabei das Massaker von Tlaltelolco – ein Massenmord an 200 bis 300 friedlich demonstrierenden Studenten im Stadtteil Tlatelolco von Mexiko-Stadt. Über diesen Massenmord und seine (ungenügende) Aufarbeitung sprach Radio Dreyeckland mit dem Historiker Julián. (Siehe ein weiteres Gespräch mit Julián über Proteste und Gewalt vor dem 02.10.1968.)

Historiker Julián erzählt uns von einem menschenverachtenden Kapitel der mexikanischen Geschichte, als am 2. Oktober 1968 der Staat der Studierendenbewegung gewaltsam ein Ende setzte. Das „Bataillon Olympia“, war eigentlich für die Sicherheit der olympischen Spiele verantwortlich und verursachte heute vor 50 Jahren ein Blutbad.

Während des ganzen sogenannten „Schmutzigen Krieges“ in Mexiko verschwanden etwa 1.200 Personen; man spricht von Folter und politischen Gefangenen, sogar von einer Geheimpolizei. [via]

    Download: via RDL (mp3; 15 MB; 9:34 min)

6.) 1968 in der DDR, der Tschechoslowakei und Polen

Auch im Ostblock war 1968 ein Jahr der Bewegungen und Proteste – und die Entstehung der „Neuen Linken“ im Westen ist auch von zentralen Verschiebungen im Ostblock beeinflusst (die Geheimrede Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der KPdSU, der Aufstand in Ungarn 1956, der Prager Frühling 1968). In der DDR lässt sich kaum von einer 68er-Bewegung sprechen – und doch war es auch hier ein Jahr der Proteste und Konflikte. Das ist die These von Bernd Gehrke (AK Geschichte Sozialer Bewegungen Ost West), der im Gespräch einen Überblick über Bewegungen und Ereignisse um 1968 herum in der DDR, der Tschechoslowakei und Polen gibt. (Siehe auch Bernd Gehrke über das „proletarische 1968“ hier.)

Auch wenn in der DDR 1968 keine vergleichbare Revolte stattfand wie in der BRD, war es doch auch hier ein Jahr außerordentlicher Proteste. Dabei ging es sowohl um subkulturelle Bewegungen als auch um Auseinandersetzungen um Öffentlichkeit in den Betrieben.

In der Tschechoslowakei und in Polen fanden unterdessen Ereignisse statt, die für 1968 zentral waren: In der CSSR leuteten Gewerkschaften und kritische Intelligenz den Prager Frühling ein, der schließlich niedergeschlagen wurde. Auch in Polen gab es eine Studentenbewegung, die für eine Demokratisierung des Sozialismus eintrat – sie wurde niedergeschlagen und die Partei leitete eine antisemitische Kampagne ein.

Hinter all dem steht ein längerer Entwicklungsprozess, für den das Jahr 1956 zentral ist: Anfang dieses Jahres sprach Chruschtschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU über die Verbrechen Stalins – am Ende des Jahres wurde die Räte-Bewegung in Ungarn niedergeschlagen. Die Räte sind immer wieder Bezugspunkt in den nachfolgenden Ereignissen.

Über diese Ereignisse sprach Radio Corax mit Bernd Gehrke. Wir fragten ihn zunächst nach der Quellenlage und danach, woran es liegt, dass „1968 in der DDR“ in der heutigen Öffentlichkeit kaum präsent ist. [via]

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7.) 1968 in Japan

Auch in Japan gab es 1968 eine starke Studentenbewegung, die dort besonders radikal und militant auftrat. Die in Japan geführten Kämpfe, in deren Zusammenhang die Zengakuren zentral waren, wurden weltweit zu einem Vorbild und diese suchten ihrerseits Kontakte zu Gruppierungen der Neuen Linken in anderen Ländern. Die Entwicklung der Bewegung, ihre Militarisierung und Sektenbildung, hat für die Japanische Linke bis heute traumatisierende Folgen. William Andrews hat eine Forschungsarbeit unter dem Titel „Japanese Radicalism and Counterculture, from 1945 to Fukushima“ veröffentlicht. Ein erweiterter Auszug aus diesem Buch über die Japanische Rote Armee ist in deutscher Übersetzung bei Bahoe Books erschienen. Andrews sprach mit Corax über 1968 in Japan. Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.

Die Stärke der japanischen Linken strahlte in den 1960er Jahren in die ganze Welt. Die Studierendengewerkschaft Zengakuren machte aus den japanischen Universitäten verbarrikadierte Stützpunkte und Ausbildungszentren des Klassenkrieges. Auf riesigen Demonstrationen kämpften tausende behelmte und mit Stöcken bewaffnete Studenten gegen die Polizei. Auf internationalen Konferenzen mit Gruppen wie den Students for a Democratic Society, dem Weather Underground, den Black Panthers oder dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, wurde versucht durch intensive Vernetzung eine weltweite simultane Revolution denkbar zu machen. Hierzulande ist über 1968 in Japan jedoch relativ wenig bekannt.

William Andrews lebt in Tokyo und forscht zur Geschichte der sozialen Bewegungen in Japan. Wir sprachen mit ihm per Skype und fragten ihn zunächst, wie sein Interesse an der japanischen Geschichte zustandekam und nach den Gründen, letztlich nach Japan zu ziehen. [via]

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8.) DRUM Beats Detroit – Schwarze Fabrikrevolten 1968

1968 war Detroit ein Zentrum der Fabrikrevolten, die eng mit antirassistischen Kämpfen verbunden waren. Die Heftigkeit und Militanz der Bewegung in Detroit ist historisch verbunden mit der Rolle der Stadt im 2. Weltkrieg, den ökonomischen Verschiebungen nach 1945 und der rassistischen Segregation. Auch in Detroit enstanden Gruppierungen der Neuen Linken, die marxistische Analyse und eine Thematisierung der spezifischen Situation schwarzer FabrikarbeiterInnen miteinander verbanden. Christian Frings, Felix Klopotek, Malte Meyer und Peter Scheiffele haben einen Text darüber geschrieben. Auf Basis dieses Textes und eines Interviews mit Felix Klopotek ist im Rahmen der Sendereihe Wutpilger-Streifzüge ein einstündiges Feature entstanden. (Siehe auch ein Interview in der Jungle World.)

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Im nächsten Teil der Beitragsserie widmen wir uns den Theoretikern der „Neuen Linken“.

Die Umrisse der Weltcommune und ihre Kritik

Im März 2018 haben die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft den Text „Umrisse der Weltcommune“ veröffentlicht (siehe auch die Vorstellung des Textes hier). Der Text soll dem eigenen Anspruch nach eine kommunistische Gesellschaft nicht „ausmalen“, verstößt aber dezidiert gegen ein „Bildverbot“, indem er Voraussetzungen und Anforderungen an eine kommunistische (Re)Produktion und Verteilung skizziert. Seit Erscheinen dieses Diskussionsaufschlags sind zwei Texte erschienen, die eine Kritik der „Umrisse“ formuliert haben und dabei beide insbesondere die Arbeitszeitrechnung als wichtiges Element kommunistischer Produktion und Planung gegen die „Klassenlosen“ verteidigen: „Eine kommunistische Arbeitszeitrechnung – kein Element der »Weltcommune«?“ von Jakob Koekepann und „Kritik von Hermann Lueer an den Thesen zur Weltcommune„.

Im Mai 2018 hat Hannes Giessler-Furlan ein Buch mit dem Titel „Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie“ veröffentlicht, in dem er eine Kritik des Kommunismus formuliert, „die dessen Beweggründe teilt und der Marx’schen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft verbunden ist“ (siehe auch das Gespräch mit Giessler-Furlan über sein Buch, hier). Das Buch enthält keine explizite Kritik der Thesen der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, formuliert aber eine Skepsis an Vorstellungen einer freien Assoziation der ProduzentInnen, wie sie die Klassenlosen skizzieren, bzw. versucht Widersprüche und Schwierigkeiten solcher Vorstellungen aufzuzeigen. Folgerichtig hat sich Hannes Giessler-Furlan mit Christian und Felix von den „Klassenlosen“ im Conne Island in Leipzig getroffen, um gemeinsam über die „Umrisse der Weltcommune“ zu diskutieren.

Hannes Giessler-Furlan macht den Aufschlag, auf den dann Christian und Felix reagieren, anschließend wird die Diskussion zum Publikum geöffnet. Das Gespräch dreht sich vor allem um zwei Phasen des Kommunismus: Eine erste Phase, die von Mangel und Not (oder zumindest von erschwerenden Begleitumständen) geprägt ist, in der eine Arbeitszeitrechnung vorausgesetzt ist, die auch den Zugang zum Konsum reguliert. Eine zweite, höhere Phase, in der der Anspruch „Jede nach ihren Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ durchgesetzt ist. (Bezugspunkt hierbei: Marxens Kritik des Gothaer Programms.) Es werden für und wider, Notwendigkeit oder Obsoleszenz, Widersprüche und Fallstricke der ersten Phase diskutiert. Insgesamt geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und allgemeiner Vernunft, Vergesellschaftung und Freiheit des Individuums.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft haben jüngst mit ihrem Text Umrisse der Weltcommune eine »Verständigung über die Grundzüge der klassenlosen Gesellschaft« eingefordert bzw. einen »Streit darum, wie man die alte Welt hinter sich lassen kann«. Das Wesensmerkmal einer solchen Gesellschaft, soweit legen sich die Verfasser fest, wären die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Auflösung des Staates in einem Geflecht von Räten.

Hannes Giessler Furlan hat etwa gleichzeitig sein Buch Verein freier Menschen? veröffentlicht, in dem er zwar an der Einsicht festhält, dass es so, wie es ist, nicht bleiben darf, andererseits aber konstatiert, dass der Kommunismus nicht an äußeren Umständen, sondern an der eigenen Idee gescheitert ist und daher einstweilen im Stadium selbstkritischer Aufarbeitung verbleiben muss.

Beide Standpunkte sollen an dem Abend zur Diskussion gestellt werden, vor allem mit Blick auf folgende Fragen: Gibt es heute in der Realität überhaupt Tendenzen und Potentiale, die gen Weltcommune weisen? Wie wären Produktion und Verteilung zu organisieren, wird es eine Arbeitszeitrechnung und Lohn geben? Lässt sich eine globale Industriegesellschaft zugleich rätedemokratisch und planmäßig-rational gestalten? Und würden Industrie, Technik und Wissen, wie sie eine freiere Gesellschaft zunächst von der jetzigen erben würde, mehr nützen oder schaden?

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Rüdiger Mats hat in der JungleWorld einen kritisch kommentierenden Bericht zur Veranstaltung veröffentlicht. Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft haben in der Veranstaltung angekündigt, demnächst eine Kritik des Buches von Hannes Giessler-Furlan zu veröffentlichen. Hermann Lueer hat in seinem Beitrag auf den Text „Weltgesellschaft ohne Geld. Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform“ von Norbert Trenkle verwiesen, der aus wertkritischer Perspektive auf dem gleichen Spielfeld spielt. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es um die Grundrisse einer kommunistischen Produktionsweise geht, nicht um die Frage des Wegs dort hin. Wo wir bei kritischen Denkern sind, die den Kommunismus kritisch durchdenken – Holger Marcks von der FAU hat genau dies im Gespräch mit Radio Corax auf der Ebene der Revolutionstheorie und für die Frage der Gewalt getan.

Inhaltlich Verwandtes

Mütterimagines, Mückenstiche und die selbstverschuldete Unmündigkeit der Frau

Zum Zusammenhang von einseitiger Ideologiekritik und antifeministischer Regression – Ein Vortrag der Feministischen Intervention

Am 30.01.2019 fand im Conne Island eine Diskussionsveranstaltung zum antideutschen Antifeminismus statt. Dabei ging es insbesondere um die Positionen von Magnus Klaue, Thomas Maul und David Schneider, die sich u.a. in der Bahamas #78 nachlesen lassen. Die Veranstaltung war auch eine Reaktion auf Vorträge von Thomas Maul und Magnus Klaue im Conne Island. Der Vortrag hatte drei Teile: Im ersten Teil hat Sarah (es wird nur der Vorname genannt) einige Aussagen von Maul, Klaue und Schneider analyisiert. Sie geht dabei insbesondere auf die ökonomische Entwicklung der letzten Jahrzehnte ein, und was diese mit dem Geschlechterverhältnis zu tun haben. Sie skizziert das Problem einer einseitigen Ideologiekritik, die sich nicht mehr auf ökonomische Verhältnisse bezieht. Im zweiten Teil führt Constanze Stutz aus, inwiefern Antifeminismus eine regressive Reaktion auf gesellschaftliche Widersprüche und Krisenerscheinungen ist und was das mit Männlichkeit zu tun hat. In diesen Zusammenhang ordnet sie auch den antideutschen Antifeminismus ein. Im dritten Teil skizziert Koschka Linkerhand ein notwendiges Spannungsverhältnis zwischen Realpolitik und grundlegender Gesellschaftskritik, das in Teilen der antideutschen Theoriebildung einseitig aufgelöst werde. Sie formuliert die Notwendigkeit einer feministischen, materialistischen Gesellschaftsanalyse. In den Referaten gibt es mehrere Bezüge auf den Text „Raus aus der Comfort Zone. Für eine feministische Position in antideutscher Gesellschaftskritik„, den der Antifaschistische Frauenblock vor etwa zehn Jahren veröffentlicht hat. Bei Minute 32:30 gibt es eine technik-bedingte Unterbrechung der Aufnahme.

Eine Befindlichkeit vorab: Die Welt geht unter und wir diskutieren den Frauenhass von Magnus Klaue und Thomas Maul. Aber da wir an der Notwendigkeit einer linken, feministischen Gesellschaftskritik festhalten und das Conne Island als zentralen Veranstaltungsort der Leipziger Linken nicht unkommentiert diesem offenen Antifeminismus überlassen wollen, diskutieren wir heute Abend über Magnus Klaue und Thomas Maul.

Innerhalb des letzten Jahres haben die beiden Bahamas-Autoren in ihren Artikeln und Vorträgen im Conne Island eindrucksvoll vorgeführt, wie weit die antifeministische Regression einiger antideutscher Theoretiker fortgeschritten ist: Kritik heißt bei ihnen mittlerweile, Feministinnen als »brutal verdummt« zu verunglimpfen. Kaum des Lesens und Schreibens mächtig und unabgelöst von ihren Müttern, seien sie so unwillens wie unfähig, »Männer, sei es sexuell oder gar intellektuell, zu befriedigen«. Dass Feministinnen sich und ihren antideutschen Kritikern diese Befriedigung versagen, beklagen ideologiekritische Pamphlete, die mit einer Analyse des kapitalistisch-patriarchalen Istzustands nicht viel zu tun haben.

Der Vortrag soll erhellen, wie sich – während Nazis, Islamisten und die Klimakatastrophe auf dem Vormarsch sind – die krisenhafte Verfasstheit des männlichen Subjekts auch in den autoritären Auswüchsen antideutscher Kritik zeigt. Wir fordern eine Ideologiekritik, die sich nicht für die Rundumschläge gekränkter Theoretikermännlichkeit eignet, sondern Ideologien in Beziehung zu den Verhältnissen setzt, die sie hervorbringen. Weder Islamkritik noch die Kritik am Queerfeminismus darf den Mäulern und Klauen antideutscher Antifeministen überlassen werden. Denn die haben immer noch nicht verstanden, dass das bürgerliche Subjekt, das sich wesentlich über kapitalistische Sphärentrennung und damit die Abspaltung von Weiblichkeit und Reproduktion konstituiert, nicht das Sehnsuchtsziel einer feministischen Gesellschaftskritik sein kann. Der Vortrag plädiert dafür, antideutschen Antifeministen zukünftig lieber den Felsenkeller oder das Haus Auensee als Vortragsort anzuempfehlen und sich einem materialistischen Feminismus als adäquater Gesellschaftsanalyse zu widmen.

Vortrag:

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Diskussion:

    Download: via AArchiv (mp3; 189 MB; 1:26:07 h)

Neuer Imperialismus, Demokratie und autoritärer Staat

Wir dokumentieren hier eine Reihe von Veranstaltungen des Conne Island Infoladens, die mehr oder weniger thematisch zusammenhingen und sich mit Staat(skritik), Demokratie, Polizei, Aufstand, Imperialismus, … auseinandergesetzt haben:

1.) Zur Theorie des Riots – Anmerkungen zur Staatsfaschisierung

Im ersten Teil des Vortrags führt Richard Bachmann in die Theorie ein, die Joshua Clover in seinem Buch Riot.Strike.riot entwickelt hat. Zentrale These ist dabei, dass der Träger einer jüngeren Welle von Riots das Surplus-Proletariat sei (zum Surplusproletariat siehe auch das Interview mit / den Text von den FreundInnen der klassenlosen Gesellschaft), das sich in den Riots Mittel zur eigenen Reproduktion aneignet. Ein Artikel von Joshua Clover findet sich in deutscher Übersetzung im Buch „RIOT – Was war das los in Hamburg“ (siehe auch: Da war doch was in Hamburg). Es wird dann ausgeführt, welche Rationalität in dem Umstand besteht, dass der Riot vor allem an der Zirkulationssphäre ansetzt. Im zweiten Teil führt Achim Szepanski (u.a. NON) einige Thesen zur „Staatsfaschisierung“ aus. Staatsfaschisierung ist für Szepanski ein Behelfsbegriff, der keine allgemeine Faschisierung der Gesellschaft bedeutet, sondern eine zunehmende Dominanz exekutiver Teile des Staats. Mit Bezug auf Nicos Poulantzas (Stichwort „autoritärer Etatismus“) skizziert er die zunehmende Präventionslogik polizeilichen und staatlichen Handelns. Am Ende bezieht er diese Überlegungen auch auf die aktuellen Ausformungen des Rechtspopulismus. Drei Essays zum Thema hat Szepanski im Laika-Verlag veröffentlicht. Ein Vorabinterview zum Vortrag mit Radio Corax findet sich hier, die Diskussion im Anschluss des Vortrags hier.

Wir leben in Zeiten der Aufstände. Und sie haben ihre materialistische Grundlage. So lautet eine der Kernaussagen von Riot.Strike.Riot: The New Era of Uprisings (2016) des us-amerikanischen Professors Joshua Clover. Die gesellschaftlichen Verhältnisse haben sich geändert, so dass gegenwärtige Kämpfe zumeist die Zirkulationssphäre des Kapitals betreffen und folglich andere Formen der Auseinandersetzung erfordern. Der Streik hat in seinem oftmals geregelten Ablauf die einstmalige Schärfe verloren. So ist es nicht verwunderlich, wenn es zuletzt häufiger zu Blockaden der Verkehrsströme oder der Logistikzentren kam. Um all dies zu begreifen, bedarf es daher einer dezidiert materialistischen Theoretisierung des Aufstands (Clover).

So sehr sich die Formen der Auseinandersetzung verändern, so sehr verändert sich auch staatliches Vorgehen darauf. Kontrolle, Normierung und Repression sind die Folge immer neuer Gesetze, wie es aktuell im Verfolgungseifer der G20-Repression oder den Polizeigesetzen zu sehen ist. Als Staat des Kapitals ist dieser notwendig von einer möglichst reibungslosen Entwicklung abhängig und übersetzt den objektiven Zwangscharakter der Reproduktion in seine politische Form (Szepanski).

In einem ersten Input wird Richard Bachmann auf zentrale Thesen von Joshua Clover eingehen. Im zweiten Teil wird sich dann Achim Szepanski einiger Anmerkungen zur strukturellen Staatsfaschisierung widmen.

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2.) Drohende Gefahr – Neue Polizeigesetze & autoritäre Zuspitzung

Der Vortrag über die Neuen Polizeigesetze hatte zwei Teile: Im ersten Teil erläutert Michèle Winkler (Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Sprecherin des Bündnis „Nein zum neuen Polizeigesetz in NRW„) die Veränderungen, die sich durch die jüngsten Verschärfungen der Polizeigesetze ergeben. Dabei legt sie u.a. einen Fokus auf Bayern, dessen Polizeigesetz als Vorbild für die Veränderungen in vielen anderen Bundesländern gilt. Im zweiten Teil geht Sophie Perthus aus sozialwissenschaftlicher Perspektive näher auf die strukturellen Veränderungen innerhalb der Polizei ein. Sie argumentiert für die These, dass die Polizei immer mehr ein politischer Akteur wird, der zur Bearbeitung sozialer Probleme ermächtigt ist – soziale Konflikte werden zunehmend als Sicherheitsproblem verhandelt. Am Ende formuliert sie auch eine Kritik am Conne Island. Die Diskussion im Anschluss des Vortrags findet sich hier.

Am 25. Mai wurde ein neues „Polizeiaufgabengesetz“ in Bayern verabschiedet. Es enthält eine Fülle an neuen Befugnissen für die Polizei, wie Ausspähung, Überwachung des öffentlichen Raums und optische/akustische Mustererkennung per Algorithmus. Ähnliche Gesetzesentwürfe liegen für Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen (NRW) und Sachsen auf dem Tisch. Verbindendes Element bei allen Entwürfen ist der bloße Verdacht bzw. die „drohende Gefahr“ um mit einer Vielzahl an rechtlichen Mitteln die Kontrolle jedes Einzelnen zu intensivieren und unliebsames Handeln zu bestrafen – bis hin zum präventiven Freiheitsentzug.

Doch das Gesetz in Bayern wurde nicht ohne Protest verabschiedet. Mehrere zehntausend Menschen versammelten sich zu einer zentralen Demonstration in München und nahmen an einem Schüler*innenstreik teil. Auch in NRW demonstrierten rund zwanzigtausend Menschen gegen den Gesetzesentwurf, in Niedersachsen und Sachsen sind Proteste bereits angekündigt.

Wir wollen mit Michèle Winkler (Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., Sprecherin des Bündnis „Nein zum neuen Polizeigesetz in NRW“) über die autoritären Maßnahmen diskutieren und inwiefern zielführender Protest dagegen organisiert werden kann. Ebenso soll es dabei um eine Einbettung in den gegenwärtigen Rechtsruck gehen. In einem zweiten Input wird Sophie Perthus auf die sächsischen Zustände konkreter eingehen und aufzeigen, wie die Polizei in den letzten Jahren zunehmend ihre angedachte Funktion erweitert hat und als politischer Akteur auftritt, um gesellschaftliche Prozesse zu beeinflussen.

    Download: via AArchiv / via FRN (mp3; 76 MB; 57:47 min)

3.) From Democracy to Freedom – der Unterschied zwischen Regierung und Selbstbestimmung

Am 11.12.2018 wurde im Conne Island im Gespräch mit Hanna Poddig das Buch „From Democracy to Freedom – Der Unterschied zwischen Regierung und Selbstbestimmung“ von Crimethinc vorgestellt. Dabei ging es zunächst um die Herkunft von Crimethinc und die Positionierung dieses Netzwerkes innerhalb des Anarchismus. In Anlehnung an das Buch wurden dann Aspekte der Demokratie-Kritik vorgestellt. Im nächsten Schritt wurden dann Erfahrungsberichte aus dem jüngeren Bewegungszyklus in Spanien, Griechenland, USA und Bosnien vorgestellt. Dabei gab es einen Fokus auf eine Kritik an Formen direkter Demokratie bzw. des Konsensprinzips, wobei insbesondere ein Formenfetisch innerhalb von Organisierungsdebatten kritisiert wurde, wenn sie zu Ungunsten der Inhalte und von Entscheidungsfähigkeit gehen. Insbesondere letzteres weist eine Analogie zu dem auf, was das Unsichtbare Kommitee in „An unsere Freunde“ entwickelt hat. Die Publikumsdiskussion im Anschluss an das Gespräch findet sich hier. Zu Crimethinc siehe auch: Message in a bottle.

Demokratie wollen alle. Es ist das politische Ideal schlechthin – über alle inhaltlichen Gräben hinweg. Mehr Demokratie ist eine Forderung, die stets von sich oppositionell wähnenden Gruppen eingefordert wird. Dabei ist die konkrete Vorstellung von mehr Demokratie sehr unterschiedlich. Wo einige nach direkter Demokratie streben um sich als „Volkswille“ zu inszenieren, sehen andere Konzepte eine Vielzahl an Föderationen ohne Zentralstaat vor. Es benötigt also einmal mehr Maulswurfsarbeit, um sich dem Begriff zu nähern und Erkenntnis daraus zu ziehen.

Das anarchistische Netzwerk CrimethInc untersucht in seinem Buch den Unterschied zwischen Regierung und Selbstbestimmung. Hierzu wird Demokratie historisch beleuchtet und soziale Bewegungen der jüngeren Vergangenheit in mehreren Ländern reflektiert.

Im Rahmen eines Gesprächs mit Hanna Poddig möchten wir uns der Thematik widmen und laden herzlich zur gemeinsamen Diskussion ins Conne Island ein.

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4.) Chinas neuer ,Imperialismus‘ und die Konfrontation mit den USA

Ralf Ruckus hat in seinem Vortrag die aktuelle polit-ökonomische Verfasstheit und die damit verbundenen außenpolitischen Bestrebungen Chinas skizziert. Dabei geht er u.a. auf die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft seit den 70er Jahren, die ökonomische Entwicklung seit der Krise 2007/08 und auf den gegenwärtigen „Handelskrieg“ mit den USA ein. Er wirft jeweils Schlaglichter auf Demographie, Preisentwicklung, Klassenkämpfe, Repression, Opposition und Linke in China. Zuletzt diskutiert er verschiedene linke Perspektiven auf China. Leider ist die Aufnahme etwas verhallt. Außerdem verweist er immer wieder auf Grafiken und Folien – zumindest eine Grafik ist in einem Artikel enthalten, den Ruckus für die WOZ geschrieben hat. Zu China siehe auch die Wildcat im Interview, „These boots were made for walking – Klassenkämpfe in China„, und das China-Dossier der Wildcat. Die Diskussion im Anschluss des Vortrags findet sich hier.

Seit 2013 verfolgt die Kommunistische Partei Chinas ein Investitionsprogramm mit Infrastrukturprojekten entlang der globalen Handelswege, die sog. Belt and Road Initiative (BRI), und nutzt in vielen beteiligten Ländern seine neue Wirtschaftsmacht zur Verfolgung eigener ökonomischer und geopolitischer Interessen. 2015 verkündete sie den Plan Made in China 2025, demzufolge das Land in den nächsten Jahren zur technologisch führenden Weltmacht werden will. Zudem hat China in den letzten Jahren militärisch stark aufgerüstet und fordert so die Hegemonialmacht USA heraus. Wie hängt der globale Expansionskurs mit die vielen sozialen Kämpfen in China zusammen? Was bedeutet Chinas Vorgehen für die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems? Und wie soll eine globale Linke darauf reagieren?

Ralf Ruckus hat zum Thema einen Artikel in der WOZ veröffentlicht, gibt in Kürze die deutsche Fassung des Buches “Die andere Kulturrevolution” von Wu Yiching heraus und arbeitet an dem Buchprojekt “Der kommunistische Weg zum Kapitalismus. Bruch und Permanenz in China seit 1949”.

    Download: via AArchiv / via FRN (mp3; 64 MB; 1 h)