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Leib ohne Trieb – Von der Prostitution zur Sexarbeit

Zeitgleich mit tagespolitischen Diskussionen um ein Verbot der Prostitution, lud die Kritische Intervention Theodora Becker und Magnus Klaue nach Halle, um – Abseits von Skandalisierung und Voyeurismus – den Begriff der Sexarbeit hinsichtlich des gesellschaftlichen Verhältnisses zu Arbeit, Sexualität und Körper zu untersuchen.

Theodora Becker: Sehnsucht nach Unmittelbarkeit – Prostitution als illegitimes Kind der Kulturindustrie

Theodora Becker von der autonomen Hurenorganisation Hydra e.V. in Berlin geht der Frage nach, was an der Prostitution der bürgerlichen Ordnung so bedrohlich erscheint, von der sie doch zugleich ein unabdingbarer und institutionalisierter Bestandteil ist, dessen Kontrolle zwar für dringend notwendig erachtet, dessen tatsächliche Abschaffung aber doch selten versucht wurde. In der ambivalenten Stellung der käuflichen Lust zeigt sich ein ebenso problematisches gesellschaftliches Verhältnis zur Sexualität, das auch durch sogenannte sexuelle Revolutionen nicht aus der Welt geschafft wurde. Wie dieses Verhältnis heute aussieht, zeigt sich auch daran, wie sich die Ware Sexualität unter kulturindustriellen Vorzeichen darstellt und welche Bedürfnisse und Sehnsüchte sie bedient. Becker wirft auch die Frage auf, warum in der üblichen, moralisch gefärbten Kritik an der Prostitution die Kommerzialisierung des Intimsten beklagt, jedoch das, was dieser Tauschhandel ermöglicht, meist nicht beachtet wird.

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Wie so häufig bei Veranstaltungen in Halle, gab es vor dem Referat ein Gespräch mit Radio Corax, welches den Fokus stärker auf die tagesaktuellen Debatten um Alice Schwarzers Forderung nach der Abschaffung der Prostitution legt.

Ankündigung:

Sie wollen Prostitution abschaffen und Frauenhandel stärker bekämpfen. Das Argument: Sexarbeiterinnen würden nicht freiwillig in dem Gewerbe arbeiten, es seien patriarchal dominierte ökonomische Strukturen, welche sie in ihre Situation drängen würden. Daher veröffentlichte die Zeitschrift von Alice Schwarzer, EMMA, einen „Appell gegen Prostitution“. Allerdings: Nach Frauen, die selbst betroffen sind, sucht man auf der Liste der UnterstützerInnen vegebens. Die haben schlicht woanders unterschrieben. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter beklagen in einem »Appell für Prostitution« die Ächtung ihres Berufes. Radio Corax sprach mit Theodora Becker vom Hydra e. V. über Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit.

Magnus Klaue – Sexwork und Körperpolitik als postfeministische Sozialtechnologie

Magnus Klaue, der in einigen Wochen im Ca-Ira Verlag ein neues Buch veröffentlichen wird, kritisiert die Verwandlung von Sexualität in „Arbeit“, wie sie sich exemplarisch an den Werken von Beatriz Preciado studieren lässt, die keinen Unterschied zwischen Sexualität und Prostitution kennen und das inkommensurable Moment des Triebs durch totale Technifizierung des Sexus zu tilgen suchen. Klaue versucht zu zeigen, inwiefern die „postfeministische“ Körperpolitik Emanzipation nur noch als restlose Selbstzurichtung subjektloser Subjekte kennt, denen Unbewusstes, Trieb und Leib nichts anderes sind als Objekt und Resultat von Wahlentscheidungen und „Einschreibungen“, mithin Ausdruck totaler Vergesellschaftung.

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testcard #17: Sex

Abschließend sei noch auf eine ältere Ausgabe der Testcard hingewiesen. Nummer 17 erschien 2008 unter dem Titel „Sex“ und Radio Corax sprach aus diesem Anlass mit dem, mittlerweile verstorbenen, Herausgeber Martin Büsser

Ankündigung:

„Wurden Sexualität und gesellschaftliche Befreiung Anfang der 1970er noch in einem untrennbaren Zusammenhang miteinander gedacht, ist linker Umgang mit Sex schon ein Jahrzehnt später immer stärker von Sexismus-Debatten überlagert worden. Nirgends wurde lustvoll über Sexualität geschrieben: Körper und Sex erscheinen seit den 1980ern in linksradikalen Kreisen als vermintes Gelände…“ Mit diesen Worten beginnt das Editorial der neuen Testcard. Jene Zeitschrift, die sich als Anthologie zur Popgeschichte und Poptheorie versteht. Testcard erscheint halbjährlich und beinhalten Artikel zu Musik, Film und zeitgenössischer Kunst, die um einen wechselnden Themenschwerpunkt kreisen. Diesmal eben Die Linke und der Sex. Was die MacherInnen dazu veranlasst hat? Darüber hat Judith mit dem Mitherausgeber Martin Büsser geredet.

Nischen als Übungsfeld für den sich ständig erneuernden Kapitalismus

Hier werden neue Arbeitszeitmodelle geübt, Menschen flexibilisiert, das Chefduzen erlernt, die Kreativität und der Spaß ausgebeutet: (subkulturelle) Nischen. Ein Feature von Radio Corax, welches einen Artikel aus Testcard #19 vertont, unter der Frage „Was blüht (uns) in der Nische?“ Hörenswert gerade beim Blick auf jene Versuche, die sich – bei der Suche nach dem guten Leben – in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus einrichten. Download: via AA (mp3; 0:25 h; 34 MB)

Recht auf Stadt & Recht auf Party

Auf Radio Corax werden immer wieder sehr hörenswerte Features gesendet. Zwei davon seien hier dokumentiert:

Zur Ambivalenz der heutigen und der anderen Stadt: Im Feature kommen sowohl Vertreter_innen der Anti-Gentrifizierungsbewegung zu Wort, als auch die Kritiker_innen dieser Bewegung. Zu hören sind Andrej Holm (Stadtsoziologe), Gesine Leyk (Radio Corax), Roger Behrens (Philosoph), Karsten Jost (Initiative Media Spree versenken), und Jean Baudrillard.

Seit einigen Jahren beklagen Initiativen, die Gentrifizierung bekämpfen, eine neoliberale Stadtpolitik, die sich dem Regime der Kapitalakkumulation unterwirft. Doch ist dieses Regime wirklich so neu? Und was ist eigentlich vom utopischen Moment einer Auseinandersetzung mit Städten geblieben? Ein Moment, der nicht für Mitgestaltung, sondern für das Recht auf ein ganz anderes Leben steht. Wir sprechen mit Menschen, die sich weigern die (städtische) Realität als die einzig Mögliche anzuerkennen und wir sprechen mit Menschen, die sich im Bereich des Möglichen versuchen zu behaupten. [via]

Bis zur Revolution… Gedanken zum Hedonismus: Diskutiert wird das Konzept des Hedonismus in seiner Widersprüchlichkeit innerhalb und außerhalb der linken Szene. Zu Wort kommen Torsun (Egotronic), Chris (Beatpunk), Sebastian Tränkle (Vgl. Phase 2 (Ausgabe 33) – „Alle Lust will Ewigkeit„), Johannes Ullmaier (Testcard), Jan Gerber (Vgl. Bahamas 57 – „Die Partei des Glücks“), Nina Scholz (Hate Mag), Mark Terkessidis (Mainstream der Minderheiten) und Vertreter der Hedonistischen Internationale.

Nicht selten ist das, was als links und revolutionär angepriesen wird, vom selben Arbeits- und Konkurrenzfetisch geprägt wie im Bestehenden. Für einige bleibt da nur noch der Rückzug aus den praktischen Zusammenhängen ins Reich der reinen Kritik, aus dem heraus sich ab und an in einer hedonistischen Party gegönnt wird. Nicht die schlechteste Idee, findet Sebastian Tränkle, der hier in den nächsten Minuten (auch) zu Wort kommen wird. Für Tränkle verlangt dennoch die Kritik Reflexion auch in Bezug aufs Feiern. Wird der Abschlag nämlich fürs Ganze genommen, dann ist auch die Suche nach dem guten Leben nur die Einrichtung in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus. Ein Collage zum Hedonismus als Ideologie der Selbstbefreiung. [via]

In Erinnerung an Martin Büsser

Im September 2010 ist, völlig überraschend, der Poptheoretiker, Musikkritiker und Herausgeber der Zeitschrift Testcard, Martin Büsser, an Krebs gestorben (Nachruf des Ventilverlags, Nachruf von Roger Behrens). Er schrieb unrastsam zahlreiche Bücher und Artikel zur Geschichte der Popmusik, zu Popnationalismus, Geschlechterverhältnissen und vielen anderen Themen. Mit seinem Tod ist eine wertvolle und herausragende Stimme in der linken Presse, sowie ein sympathischer Mensch verlorengegangen. Ihm sei hier in Form einer unvollständigen Zusammenstellung von Vortragsmitschnitten und Radiobeiträgen von Martin Büsser gedacht. Einige weitere unveröffentlichte Audio-Beiträge von Martin Büsser werden in Kürze nachgereicht.

1. Wie klingt die neue Mitte – Vortrag über rechte und reaktionäre Tendenzen in der Popmusik

2. Emo – Portrait einer neuen Jugendszene

3. Das Verschwinden linearer Musikgeschichte

4. Über den Regress in der deutschen Kultur (Gespräch mit Lorettas Leselampe)

5. I can’t relax in Deutschland – Diskussion mit Marvin Alster (Conne Island), Martin Büsser, Elena Lange (Stella), Markus Moll (ISF) und Marvin (I can’t relax in Deutschland) – mit einem Beitrag von Martin Büsser über die Geschichte der nationalen Radioquote

6. Jenseits der Rezession – Musik, Subkultur und Politik heute

7. Martin Büsser über Tine Plesch, Kultur und Feminismus im Rahmen einer Reihe zur Erinnerung an Tine Plesch – die Einleitung und die weiteren Audio-Beiträge im Rahmen der Tine-Plesch-Lesung (mit Beiträgen von Jörg Sundermeier, Dagmar Brunow, Wally Geyermann und Conny Lösch) gibt es hier

Martin Büsser im Audioarchiv:
Von der Avantgarde zur Selbstreferenzialität (Vortrag KSR) | Über das Geschlechterverhältnis in der Punk- und Hardcoreszene

Kleinere Beiträge und Interviews
:
Indizierung von Musik | Testcard: blühende Nieschen | Über Indie, Popkultur und Jugendbewegungen | Interview Testcard 17: Sex | Interview über Emo | Über die Dokumenta

Von der Avantgarde zur Selbstreferenzialität

Kurzbeschreibung: In einem historisch ausgerichteten Vortrag zeigt Martin Büsser, Mitherausgeber der Zeitschrift „Testcard“ und Mitarbeiter im Ventil-Verlag, wie sich die künstlerische Avantgarde im 20. Jahrhundert entwickelte, welcher Avantgarde-Begriff den unterschiedlichen Strömungen zugrunde lag und welche Bewegungen sich auf je eigene Weise mit dem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Politik auseinandergesetzt haben. Anschließend beschäftigt er sich mit den Problemen, die mit dem Auftreten einer Post-Avantgarde zutage treten. Weiterlesen