Wir dokumentieren hier zwei Vorträge, die die Geschichte des Rätekommunismus bzw. Linkskommunismus (vor allem im deutschsprachigen Raum) zum Gegenstand hatten.
1.) Ein Bürgerkrieg in Deutschland – Zu Theorie und Praxis des antiautoritären Kommunismus 1914 – 1923
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ hat Seb Bronsky am 19.06.2014 in Erfurt einen Vortrag über den Rätekommunismus in Deutschland gehalten. Anhand einer kenntnisreichen Schilderung der Klassenkämpfe zwischen 1914 und 1923 (Novemberrevolution, Spartakusaufstand, Ruhrkämpfe, mitteldeutsche Märzkämpfe) entwickelt er die Geschichte, Debatten und Spaltungen des linken Kommunismus: Spartakusbund und KPD, KAPD, AAU, AAU-E, Rote Kämpfer und KAU. Neben den Organisations- und Strategiedebatten, die sich u.a. um die Stellung zum Parlament und zu den Gewerkschaften drehten, schildert er skizzenartig auch das Verhältnis der Linkskommunisten zu Lenin und dem Bolschewismus. Er schließt mit einigen zusammenfassenden Thesen, die auch auf Fehler und Schwachstellen der Linkskommunisten hinweisen.
»Andere mögen ihr: ›Nur nicht zu viel! Nur nicht zu früh!‹ plärren. Wir werden bei unserem: ›Nur nicht zu wenig! Nur nicht zu spät!‹ beharren.« [Karl Liebknecht, Die Frage des Tages, geschrieben im Knast 1918]
Die russische Oktober-Revolution, die Bolschewiki, allen voran Lenin wurden von den deutschen Kommunisten bewundert, begeistert waren auch die antiautoritären Kommunisten von dem Maximalismus, der nicht nur den 1. Weltkrieg beenden, sondern ihn in einen Bürgerkrieg umwandeln wollte; es schien, mit der sozialistischen Weltrevolution würde endlich ernst gemacht. Zwei, spätestens drei Jahre später war von dieser Bewunderung nicht mehr viel übrig, Bolschewiki und deutsch-holländischer Rätekommunismus waren auseinandergegangen. Lenin warf den Antiautoritären unter den Kommunisten vor, sie wären eine utopistische Kinderkrankheit des Kommunismus, die Antiautoritären sahen in Sowjetrußland nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die staatskapitalistische Despotie der bolschewistischen Partei.
Der Vortrag möchte auf drei Ebenen vorgehen: Erstens soll an die wirkliche Bewegung in Deutschland erinnert werden, das heißt nicht nur an die proletarischen Kämpfe gegen den Weltkrieg und die November-Revolution, sondern mehr noch an den heute weitgehend vergessenen, anschließenden Bürgerkrieg. Zweitens an die revolutionären Organisationen: vom Spartakusbund und den Internationalen Kommunisten Deutschlands zur Kommunisten Partei und deren erster Spaltung; von der Kommunistischen Arbeiter-Partei und der Allgemeinen Arbeiter Union, die erst nach tausenden zählten und von denen 1923 nur noch heillos zerstrittene Grüppchen übrig waren. Drittens soll die aus diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen hervorgegangene Gesellschaftskritik, das was man heute Links- oder Rätekommunismus nennt, vorgestellt werden, ihre historischen Verdienste wie auch ihre Schwächen und Fehler. [via]
2.) Die Revolution war für mich ein großes Abenteuer
2013 ist im Unrast-Verlag ein Buch über den Rätekommunisten Paul Mattick erschienen. Den Hauptteil des Buches bildet ein Interview, das der Politologe Michael Buckmiller 1976 in Vermont mit Mattick geführt hat. Im Anhang befinden sich zwei literarische Texte Matticks, eine kommentierte Bibliografie zum Stichwort Rätekommunismus und ein ausführliches Nachwort Michael Buckmillers, der die Figur des Arbeiterintellektuellen anhand von bis dato noch nie publizierten Briefen Matticks darstellt. Im März dieses Jahres war einer der Mitherausgeber des Buches, Christoph Plutte, in Bremen zu Gast und hat das Buch vorgestellt. Plutte liest einige Passagen aus dem Gespräch mit Paul Mattick vor (es sind auch einige O-Töne aus dem Interview zu hören) und führt diese jeweils kommentierend ein. Es geht um diverse Aktionen in der Jugend Matticks, um Rätekommunismus, KAPD und AAU-E, literarische Aktivitäten Matticks, einen Streik in Köln, das Exil in den USA, die Arbeitslosenbewegung in Chicago, die Krisentheorie Matticks und um Matticks Umgang mit Marx.
Paul Mattick (1904-1981) ist vielleicht der exemplarische Arbeiterrevolutionär und Intellektuelle: Seine furiose Abrechnung mit John Maynard Keynes, seine Kritik an Herbert Marcuse, die dieser übrigens als einzig taugliche Kritik von links akzeptierte, seine sprichwörtliche Marx-Orthodoxie, mit der er den tendenziellen Fall der Profitrate gegen allerlei »Modernisierer« verteidigte, machten den Deutsch-Amerikaner in den 60er und 70er Jahre zu einer Art kommunistischem Gewissen und Stichwortgeber der antiautoritären Revolte.
Fundiert war sein sympathisch halsstarriges radikales Denken in einer aufregenden Lebensgeschichte, von der man sich damals wie von einer Legende erzählte: Der Schulabbrecher und Autodiktat aus prekären proletarischen Verhältnissen war in der Weimarer Republik in der anti-parlamentarischen marxistischen KAPD organisiert, schlug sich als Schlosser, Tagelöhner und Wanderagitator durch, war durchdrungen von der revolutionären Stimmung jener Tage. 1926 wanderte er aus Abenteuerlust in die USA aus, re-organisierte in Chicago die Wobblies, engagierte sich in der Arbeitslosenbewegung der Grossen Depression, tauchte später in die New Yorker Boheme ein und verfocht in selbstverlegten Kleinstpublikationen einen antiautoritären Kommunismus.
Mattick hat um diese Biographie kein Aufheben gemacht, Heldengeschichten waren ihm zuwider. Aber er gab trotzdem Auskunft: 1976 führte der Hannoveraner Politologe Michael Buckmiller ein langes autobiographisches Interview mit ihm. Das Interview wurde bis dato nie publiziert, nur einzelne Informationen daraus kursierten, Jahrzehnte war es unter Verschluss, erst vor kurzem haben es die Berliner Herausgeber ausgegraben – und das Recht auf eine Veröffentlichung durchsetzen können. Das Interview übertrifft tatsächlich die Erwartungen: Es ist ein lebenssatter Bericht, in dem uns Mattick als ebenso lakonischer wie unabhängiger Kommunist, dem alle Parteischablonen und alles friedfertig sich beschränkende Denken zuwider waren, begegnet.
Der Herausgeber wird kurz in Leben und Werk von Paul Mattick einführen und Passagen aus diesem Lebensbericht lesen – kombiniert mit literarischen Texten Matticks, in denen er etwa die Klassenkriege, die in den 20er Jahren in den USA tobten, verarbeitete. [via]
Die Freiburger Gruppe La Banda Vaga hat einen Text veröffentlicht, in dem sie einige Aspekte des Rätekommunismus und einige Kritikpunkte an ihm zusammengefasst hat.
A toupeira e os cravos – Crise e Revolucão em Portugal – O rizoma … 1974 – 2014 / The mole and the carnations – crisis and revolution in Portugal – the rhizome … 1974 – 2014
This article includes one lecture in english language – please have a look at the third capture.
Im letzten Jahr hat die Leipziger Translib eine Veranstaltungsreihe anlässlich der vierzigsten Jährung der portugiesischen Revolution von 1974/75 organisiert. Nach dem Putsch vom 25.04.1974 gegen das faschistische Regime Salazars explodierten in Portugal die Klassenkämpfe und das Proletariat begann sich in großen Teilen in Räten und Komitees selbst zu organisieren. Gegen diese Selbstorganisierungsansätze setzte sich in Portugal nach erheblichen Auseinandersetzungen schließlich die bürgerliche Demokratie durch – die radikalen Tendenzen der »letzten sozialistisch orientierten Revolutionsbewegung der Arbeiter_innen und der Landarmut im alten Europa« sind heute nahezu vergessen. Die Translib hat es sich im Zuge der Veranstaltungsreihe zur Aufgabe gemacht, diesem Vergessen entgegenzuwirken und zahlreiches Material zutage befördert. Dabei ging es nicht um eine rückblickende Glorifizierung dieser Bewegung, sondern um eine Aufarbeitung – so wurde etwa im Rahmen der Reihe immer wieder der Sexismus der Arbeiterbewegung Portugals jener Zeit problematisiert und die Rolle der Frauen herausgearbeitet. Wir dokumentieren im Folgenden die Mitschnitte der Veranstaltungsreihe. Wir hatten damals bereits schon ein Interview zur Veranstaltungsreihe dokumentiert, das gut zur Einführung und Einstimmung gehört werden kann.
Die Veranstaltungsreihe „Der Maulwurf & die Nelken“ / „Topeira e Cravos“ hat zum Gegenstand die revolutionäre communistische Tendenz in der bürgerlichen Gesellschaft, die in den Ereignissen um die „Nelkenrevolution“ in Portugal vor allem in den Jahren 1974 und 1975 als wirkender Faktor in Erscheinung trat. Dieser Teil der Geschichte, als eine von Klassenkämpfen, ist heute weitgehend vergessen oder überhaupt unbekannt, und an seiner Stelle steht das spektakuläre Bild der Aktionen von Militärs und Politikern. Dabei war der Putsch vom 25.4.1974 gegen das faschistische Regime der Anlass zu einer regelrechten Explosion der Klassenkämpfe, die sich schon durch die vielen Streiks und Demonstrationen der Arbeiter_innen Ende 1973 angekündigt hatte, zu einem Zeitpunkt, an dem sich die portugiesische Gesellschaft in einer tiefen Krise befand. Der proletarische Maulwurf wühlte eben schon, bevor die Nelken zu blühen begannen, die dann zum Symbol des friedlichen Umsturzes des faschistischen Salazar/Caetano-Regimes geworden sind. Diese Periode des Klassenkampfes, die in Portugal als „Processo Revolucionário Em Curso” (anhaltender revolutionärer Prozess; abgekürzt: PREC) bezeichnet wird, begann mit einer großen Welle von Streiks und Demonstrationen. Sofort strömten die Menschenmassen spontan auf die Straße, feierten das Ende des alten Regimes und nahmen den Kampf gegen die faschistischen Überreste in der Gesellschaft (zunächst die Geheimpolizei sowie Faschisten in der Leitung verschiedener Unternehmen) selbsttätig auf. Am 1.Mai 1974 war der Aufbruch von Millionen Menschen auf den Straßen der deutlichste Ausdruck des allgemeinen Willens zur Emanzipation von den alten Mächten. Am Vorabend, dem 30. April („Walpurgisnacht“!) hat sich die organisierte Frauenbewegung in Portugal gegründet – die MLM. Wie schwer sie es hatte, machte aber auch zugleich die fatale Rückständigkeit des proletarischen „Maulwurfs“, seine Blindheit deutlich ! Immerhin: überall gab es nun Streiks und Fabrikbesetzungen, und die Arbeiter_innen organisierten sich selbst, unabhängig von den gewerkschaftlichen Apparaten, um ihre Interessen durchzusetzen und teilweise sogar die Produktion in die eigenen Hände zu nehmen. Auch wurden schliesslich viele Ländereien besetzt, und die Landarbeiter_innen schlossen sich zu Kooperativbetrieben zusammen, begannen sich so aus der Armut und Ohnmacht zu befreien. Nachdem im März 1975 noch einmal ein rechter Putschversuch von Arbeiter_innen und Soldaten abgewehrt werden konnte, wurden zunehmend Fragen der Selbstbewaffnung und der Bildung revolutionärer Räte aufgeworfen. Dieser Macht-Klärungsprozess spitzte sich bis Ende 1975 immer weiter zu und konnte erst durch eine große polizeiliche Aktion der unter dem Schutz der „sozialistischen“ Militärdiktatur neuentstehenden bürgerlichen Demokratie unterbunden werden.
Im offiziellen Gedächtnis ist wenig Wahres von dieser abgebrochenen Revolution übrig geblieben. Die Rolle des Proletariats als Maulwurf und Unterminierer der alten feudalen, kolonialen und ebenso der modernen bürgerlichen Gesellschaft und seine Wühlarbeit als revolutionäre Subversion in den Klassenkämpfen wird kaum begriffen, ist aber darum noch lange nicht aus der Welt geschafft. Das Rhizom bleibt! Denn der gesellschaftliche Gegensatz von gesellschaftlicher Arbeit und privatem Klasseneigentum, der immer wieder zur Krise und zum Klassenkampf treibt, wie die Ereignisse der letzten 6 Jahre auf der ganzen Welt mal wieder gezeigt haben, besteht weiterhin und zwingt uns bei Strafe des Untergangs, ihn auf eine neue Weise aufzuheben. Um den schon begonnenen, aber bisher immer wieder gescheiterten Übergang zu einer communistischen Produktions- und Verteilungsweise erneut anzugehen, müssen wir die revolutionären Versuche der Vergangenheit genau studieren, um nicht dem geschichtlichen Wiederholungszwang zu verfallen, ihre alten Fehler erneut zu begehen. An der „portugiesischen Erfahrung“ können wir vor allem lernen, wie und um welchen Preis das Proletariat die politische Macht an das Militär oder an staatstragende Parteien – trotz ihrer vorübergehenden „sozialistischen“ Programme stets die Hüter der bürgerlichen Eigentumsordnung – abgeben kann und wie es passiert, dass wir im Schatten unserer Repräsentation alle unsere Möglichkeiten aufgeben können, endlich zur geschichtlichen Macht, zum selbstbewussten Subjekt zu werden, das heisst für unsere eigene Aufhebung als Proletariat, als Objekt der Lohnsklaverei. Die Zahlungsbilanz der sozialen Kämpfe an Europas Peripherie wirft nach 40 Jahren im Zentrum der neuen Krise unweigerlich, auf allen Ebenen die Frage der Abrechnung auf. [via]
1.) „Nelkenrevolution“ – 40 Jahre PRECärer Aufbruch in Portugal
Die Veranstaltungsreihe wurde mit einer kommentierten Lesung eröffnet. Nach einer Einleitung zum Titel und zur Intention der Reihe begann die Lesung mit einem Auszug des Textes „Wer hat die Macht in Portugal?“ von Maren Sell aus dem Sommer 1974, worin die Vorgeschichte der Revolution und die Ereignisse und Stimmungen unmittelbar nach ihrem Ausbruch beschrieben werden. Im Text „Portugal vor der Entscheidung“ von Tony Cliff aus dem Herbst 1975 wird dann die Dynamik und Entfaltung der Klassenkämpfe beschrieben. Der Text „Der soziale Krieg in Portugal“ des Situationisten Jaime Semprun charakterisiert die Klassenauseinandersetzungen im Zuge der portugiesischen Revolution und bezieht sich dabei vor allem auf die Ereignisse des Jahres 1975. Der Text des Trotzkisten Peter Robinson, „Arbeiterräte in Portugal 1974/75“, aus dem Jahr 2010 enthält Beschreibungen der rätemäßigen Organisierung der Arbeiter, wobei er die Auseinandersetzung um die Selbstverwaltung mehrer Zeitungen fokussiert, und beschreibt das Auslaufen des revolutionären Prozesses. Der Text „Die portugiesische Erfahrung“ des Zeitzeugen Charles Reeve versucht eine Auswertung der gescheiterten Revolution und eine Bestimmung ihrer inneren Schranke, die er vor allem in der Fixierung auf das Militär sieht. Der zweite Teil widmet sich der Erfahrung von Frauen, die an der Revolution teilgenommen, sich in ihrem Zuge ebenfalls selbst organisiert haben und die dabei auf erheblichen Widerstand der Männer gestoßen sind. So werden Auszüge aus den „Neuen Portugiesischen Briefen“ von Maria Isabel Barreno, Maria Teresa Horta und Maria Velho da Costa verlesen. Außerdem wurden einige Stellungnahmen und Flugblätter der Movimente de Libertação das Mulheres (MLM, Bewegung zur Befreiung der Frauen) verlesen. Eine Literaturliste der verlesenen Texte gibt es hier (PDF). Ein Video von dem in der Lesung erwähnten Angriff auf eine feministische Demonstration in Lissabon kann hier gesehen werden, ein Flugblatt der MLM, das auf dieses Ereignis reagiert, gibt es hier.
“A Revolucâo dos Cravos“ – 40 anos de partida PRECária – „Nelkenrevolution“ –40 Jahre PRECärer Aufbruch in Portugal
Wir wollen diese „vergessene Revolution“ am Rande Europas ins Zentrum der Gegenwart, unserer Wahrnehmung bringen – in eine heute noch weiter verschärft krisenhafte Aktualität, deren Alltag ähnlich prekär ist für lohnabhängige Menschen überall, wie sie es bei dem Aufbruch in Portugal vor 40 Jahren war. Und diese – wie jede – Revolution war selbst äusserst brüchig, ja gebrochen, eben prekär: so in ihrer Klassenzusammensetzung, ihren widerspruchsvollen sozialen Interessen-Triebkräften, was in ihrem politischen Durchbruch, Aufbruch und Abbruch als Tumult und „Chaotisierung“, als „Ordnung“ und „Demokratisierung“ erschien. So im Geschlechterverhältnis, im Aufbruch der Frauen aus dem klerikal-faschistischen und unterentwickelt-kapitalistischen Muff patriarchalischer Ausbeutung … Und auch der feministische Emanzipationsanlauf brach sich zunächst noch während jener Revolution an dem Machismo und Sexismus, der in Portugal – natürlich nicht nur dort — bis heute fast ungebrochen dominant geblieben ist.
Aus Anlass der Gründung der portugiesischen Frauenselbstbefreiungsorganisation MLM (Movimento de Libertaçâo das Mulheres) am 30.April 1974 — wenige Tage nach dem Miltärputsch der antifaschistischen Offiziere & Hauptmänner und am Vorabend des 1.Mai, an dem „die Arbeiterklasse und das Volk“ in Portugals Zentren massenhaft als revolutionäres Subjekt, aber auch als bloße Repräsentation auf die Bildfläche trat – in dieser „Walpurgisnacht“ ist die translib ein Ort der Zugänge und des Zusammentreffens: von Bildern und Dokus, Analysen und Stimmen aus jenen Tagen sowie kritischen Blicken der Jetztzeit … Eine Fete ohne Folklore und Tanz in den Mai. Ein Büffet mit Portwein soll es aber geben. [via]
2.) Die Abrechnung steht noch aus – 40 Jahre Klassenkämpfe in Portugal
Am 20. Juni 2014 waren im Rahmen der Portugal-Reihe Charles Reeve und Ricardo Noronha zu Gast. Charles Reeve war selbst an der portugiesischen Revolution beteiligt und hat seit dem mehrere Texte über die revolutionären Prozesse aus linkskommunistischer Sicht veröffentlicht. Nach einer Einleitung durch die Translib referiert Reeve auf portugiesisch und wird von Cornelia Döll ins Deutsche übersetzt. Charles Reeve geht es in seinem Vortrag vor allem darum, mehrere Mythen zu zerstören: Ein demokratischer Teil der Armeeführung habe die Revolution gemacht und das faschistische Regime gestürzt; die Portugiesische Revolution sei eine Revolution gewesen, die das heutige bürgerlich-demokratische System erreichen wollte; die Portugiesische Revolution sei ein staatssozialistischer Putsch gewesen. Außerdem skizziert er die Schwierigkeiten der ökonomischen Organisierung des Landes im Zuge der revolutionären Prozesse und sucht nach Ursachen für das Scheitern der Revolution. Immer wieder setzt er sich dabei mit Äußerungen Guy Debords zur Portugiesischen Revolution auseinander.
Ajustar contas ainda abertas – 40 anos de luta de classes em Portugal. Debate acerca da “Revolução dos Cravos/PREC”, com um participante e um activista de Portugal (colaboradores da revista “Tranvía” e do Vol. 15 da “Biblioteca da Resistência”)
Die Abrechnung steht noch aus – 40 Jahre Klassenkämpfe in Portugal. Diskussionsveranstaltung zur „Nelkenrevolution / PREC“ mit Charles Reeve und Ricardo Noronha
Es gibt Orte und Jahreszahlen, die in linken Ohren sofort vertraut klingen und bei Vielen eine Flut von Assoziationen, Bildern und Namen hervorrufen. St. Petersburg 1917, Barcelona 1936 oder Paris 1968 sind längst zu mythischen Chiffren für die Siege und Niederlagen der sozialen Revolution geworden. „Lissabon 1974“ bringt dagegen nichts zum Klingen, ruft keine Namen, Bilder und Parolen hervor. Lissabon 1974 steht in keiner lebendigen Beziehung mehr zu uns, und das wofür die Chiffre einsteht, ist nahezu völlig aus dem historischen Bewusstsein einer sich revolutionär verstehenden Linken gelöscht. Und das obwohl – oder vielleicht: gerade weil – das, was am 25. April 1974 in Lissabon mit einem linken Militärputsch in Gang kam, sich rasant zu der radikalsten und umfassendsten sozialen Revolution ausweitete, die Westeuropa nach dem 2. Weltkrieg erschüttert hat. Denn auf die Absetzung eines faschistischen und kolonialistischen Regimes folgte in Portugal eine riesige Bewegung der Besetzungen, die sich innerhalb weniger Monate zehntausende Wohnhäuser, Betriebe und Landgüter aneignete und sie unter die räteförmige Selbstverwaltung der ausgebeuteten Klassen stellte. Seither gab es wohl keinen praktischen Angriff auf die bestehenden Eigentumsverhältnisse mehr, der den herrschenden Klassen so gefährlich geworden wäre!
Wir möchten an diesem Abend über jene Ereignisse diskutieren. Dafür konnten wir mit Charles Reeve und Ricardo Noronha zwei ganz besondere internationale Gäste gewinnen.
Charles Reeve (*1945) desertierte 1967 aus der portugiesischen Kolonialarmee und lebt seitdem im Pariser Exil. Er war in den Jahren 1974/75 aktiver Teilnehmer des revolutionären Prozesses in Portugal. Bereits im Frühjahr 1976 legte er eine kritische Analyse des Scheiterns der „Nelkenrevolution“ in seiner Broschüre Die portugiesische Erfahrung vor. Die hierin enthaltenen Einsichten sind bis heute maßgebend und wurden von Reeve in mehreren über die letzten 40 Jahre verfassten Artikeln und Essays zum Thema kontinuierlich vertieft, zuletzt in seinem neusten Text Das Unvorhersehbare – unser Territorium. Reeve schreibt unter anderem für die Zeitschrift Wildcat und berichtet seit den 1970ern aus verschiedenen Kontinenten über die Kämpfe und Lebensbedingungen eines in permanenter Umwälzung begriffenen Weltproletariats. Zuletzt erschien 2001 von ihm Die Hölle auf Erden. Bürokratie, Zwangsarbeit und Business in China in deutscher Übersetzung bei Edition Nautilus.
Ricardo Noronha arbeitet als Sozial- und Wirtschaftshistoriker am Institut für Zeitgeschichte der Universität Lissabon. Er forscht vor allem zur Einbindung des semi-peripheren Portugal in die europäische und weltkapitalistische Ökonomie und zur Nationalisierung des Bankwesens im Rahmen der „Nelkenrevolution“ (siehe seinen Aufsatz “Die Banken im Dienste des Volkes” in dem Buch “Portugal 25. April 1974 – Die Nelkenrevolution” vom Laika-Verlag). Unlängst veröffentlichte er unter dem Titel Never has a winter been so long ein Thesenpapier auf der Homepage der Gruppe Affect (New York), in dem er seine Einschätzung der komplizierten Konflikte und Alternativen 1974-75 prägnant verdichtet. In der Vergangenheit hat Noronha sich auch mit dem Spanischen Bürgerkrieg 1936-39, dem italienischen Operaismus und der Situationistischen Internationale auseinandergesetzt.
Gemeinsam wollen wir danach fragen, wie und warum die damals durch die Aktion der Ausgebeuteten kurzfristig eroberten ungeheuren Möglichkeiten zur Emanzipation wieder zerschlagen werden konnten? Welche Rolle spielten Staat und Kapital, aber auch die linken Organisationen, also Sozialdemokraten und Gewerkschaften, Parteikommunisten und linksradikale Grüppchen in dieser Auseinandersetzung? Worin bestanden die entscheidenden Schwächen der Bewegung, die eine teils gewaltsame, teils „samtene“ Konterrevolution möglich machten? Und nicht zuletzt: wo stehen Portugal und die portugiesische Bewegung heute, nach 40 Jahren bürgerlicher Konterrevolution und 5 Jahren Schuldenkrise? [via]
3.) Revenge is still outstanding – 40 years of class struggles in Portugal
After a progressive military coup against the fascist Salazar-regime in april 1974 the class struggles exploded in Portugal. What happened then is known as the PREC (permanent revolutionary process): the working class started to organize itself in councils and neighborhood-comittees, workers started to takeover factories and poor farmers began to collectivize the acres. The PREC was ended by a social-democratic counter-coup in november 1975. On 20.06.2014 the historian Ricardo Noronha (Lissabon) was guest of the Translib (a self-organized, far-left-communist library in Leipzig) and talked about the PREC. He held a well-informed lecture about the economic, political, military and psychological reasons of the revolution, described it’s course and how it was possible, that the proletariat first started to organize autonomous in a radical way but then the state was able to takeover the organization of the workers. In his opinion the revolution is still current and it is present in the mind of many people in Portugal. Also in the recording of the discussion you get many interesting informations about the PREC – in the discussion you can also hear Charles Reeve, a left-communist who participated in the PREC. Sorry for any mistakes in this english description.