Schlagwort-Archive: Identität

Wir sind der Euro?

Bevor der Euro schließlich doch noch notgeschlachtet wird (oder sich vielmehr selbst erledigt), möchte ich hier auf einen Vortrag Gerhard Stapelfeldts vom 27. Mai 2011 hinweisen, der sich mit der politischen Ökonomie und Krise des Euro sowie mit dessen integrativer wie identitätsstiftender Funktion befasst. Er liegt als Audio- und als Video-Mitschnitt vor.

    Download/Audio: via AArchiv (1:31 h, 31 MB)

    Video/Audio: via Archive.org (ogg vorbis/ogg video/mpeg/mp3/flac/wav), Stream via Youtube

Psychoanalyse als Aufklärung

Zum Fortbestehen des autoritären Charakters

Sachzwang FM hat sich einmal mehr der Psychoanalyse und ihres kritischen Potentials angenommen. Verlesen werden zwei Texte:

  1. Ljiljana Radonic, Psychopathologie der Normalität. Die Bedeutung der Psychoanalyse für die Kritische Theorie, ça ira 2006
  2. René Wiegel, Die schlechte Aufhebung des bürgerlichen Subjektbegriffs (etwa die letzte halbe Stunde)

Ein Hauptanliegen beider Texte ist die Zurückweisung der humanistischen und postmodernen Revision der Psychoanalyse und ein Plädoyer für ihre Aktualisierung vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher Bedingungen (Individualisierung, Flexibilitätszwang, Subjektwerdung der Frau u.Ä.). Der Fokus liegt dabei auf Wandel und Fortbestehen des autoritären Charakters, wie er von der Kritischen Theorie diagnostiziert wurde.

Sexualität und Behinderung

„Behinderung“ bedeutet in kapitalistischen Gesellschaften die körperlich oder geistig bedingte Unmöglichkeit gelungener Subjektivität. Vermittelt über die gesellschaftlichen Anforderungen an das Subjekt, ist es den unter diese Kategorie subsumierten Menschen nicht nur erschwert ein glückliches Verhältnis zu sich selbst und zum eigenen Körper zu finden, es sind zudem zahlreiche Ausschlüsse im gesellschaftlichen Leben damit verbunden. Zentral ist dabei u.a., dass behinderten Menschen abgesprochen wird, eine selbstbestimmte Sexualität zu haben. Nicht nur, dass etwa weibliche Behinderte in der ideologischen Vorstellung als geschlechtslose Wesen gelten – die gesellschaftlichen Bedingungen zeigen deutlich, dass Sexualität Behinderter nicht erwünscht ist. Im Februar 2011 wurde auf Radio LORA München eine Sendung ausgestrahlt, die sich mit Sexualität und Behinderung auseinandersetzte. Vier körperlich behinderte Frauen kommen in dieser Sendung zu Wort, sprechen über das gesellschaftliche Körperverhältnis, über ideologische Vorstellungen von der (A-)Sexualität Behinderter, gesellschaftliche Schranken, die Behinderten gesetzt werden, über den Kampf Behinderter um sexuelle Selbstbestimmung und berichten vor allem über eigene Erfahrungen.

Behindert ist nicht – behindert wird. Auch im Ausleben selbstbestimmter Beziehung und Sexualität müssen körperlich Behinderte gesellschaftliche, bürokratische und physische Hürden nehmen. Erschreckend ist die Zahl der sexuellen Gewalt, die behinderten Mädchen und Frauen wiederfährt und der Umgang der Rechtsprechung mit diesem Phänomen. Interviewpartnerinnen sind die Sozialpädagogin Ute Strittmater und die Mitarbeiterin Ute Schön von den Netzwerkfrauen-Bayern. Außerdem die Psychologinnen Inge Plangger und Renate Geifrig. Alle vier Frauen bewegen sich im Rollstuhl. [via]

Download: via FRN (mp3; 47,5 MB; 51:50 min)

»Ich unterstütze Sie doch nicht dabei, einen weiteren Sozialfall zu produzieren« – dies wird oftmals körperlich beeinträchtigten Frauen entgegengehalten, wenn sie sich bei Kinderwunsch über eine mögliche Schwangerschaft beraten lassen wollen. Das Stichwort des ›Sozialfalls‹ verweist dabei darauf, dass die Diskriminierung Behinderter, soziale Ungleichheit und Biopolitik eng miteinander verwoben sind. Eine weitere Sendung auf Radio LORA klärt darüber auf, wie Behinderung und deren angebliche Vererbbarkeit tatsächlich in Beziehung zueinander stehen, welche Möglichkeiten behinderte Frauen mit Kinderwunsch haben und welche Schwierigkeiten ihnen dabei durch die Gesellschaft und die körperliche Einschränkung gesetzt sind. Es kommen in der Sendung betroffene Frauen, eine Gynäkologin und eine Dokumentarfilmerin zu Wort, die über Hilfsmaßnahmen, pränatale Diagnostik (das damit verbundene Thema der Eugenik ist Gegenstand dieses Artikels in der Phase 2) und eigene Erfahrungen berichten und formulieren dabei die klare Botschaft, dass der Kinderwunsch behinderter Frauen erfüllbar ist. Im zweiten Teil der Sendung spricht die Moderatorin zudem mit einer Sexualpädagogin über gesellschaftlich bedingte Probleme bei der Sexualität geistig beeinträchtigter Menschen.

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“, steht im Artikel 3 des Grundgesetzes. Die gesellschaftlichen Tabuthemen: ‚mentale und körperliche Beeinträchtigungen und Sexualität und Kinderwunsch‘ finden allerdings reichlich zögerlich Raum in der öffentlichen Wahrnehmung. Wer will sich schon gedanklich damit befassen, womit Menschen mit Lernschwierigkeiten und deren Angehörige konfrontiert sind, wenn mit der Pubertät die Sexualität in ihr Leben tritt? Wer will sich damit auseinandersetzen, welche Probleme auftauchen, wenn beispielsweise Frauen mit Lähmungen oder Spastiken, im Rollstuhl sitzend, Kinder bekommen wollen? Es sind wahrscheinlich auch deshalb Tabuthemen, weil wenig Wissen über Erblichkeiten, über die tatsächlichen Probleme, über Hilfsmaßnahmen und Finanzierungsbedarf vorhanden ist. Wir versuchen heute ein wenig Aufklärungsarbeit zu leisten und lassen zu Wort kommen: Die Betroffenen Esther Hoffmann und Christine Gasafy, die Gynäkologin Prof. Dr. Gerlinde Debus, die Dokumentarfilmerin Ute Wagner-Oswald, die Betroffene Petra Gross und die Diplompsychologin und Sexualpädagogin Lucyna Wronska. [via]

Download: via FRN (mp3; 50 MB; 54:38 min)

Leider ist das Thema der Behinderung, die damit verbundenen gesellschaftlichen Körperverhältnisse und das hierdurch produzierte Leid viel zu selten Teil linksradikaler Theoriebildung und Forderungen. Daher sei zusätzlich auf ein sehr hörenswertes Interview mit Philipp von den Falken Erfurt verwiesen [via], das im Vorfeld der Veranstaltung „Hauptsache gesund!? Behinderung und Krankheit als Super-GAU des bürgerlichen Subjekts„, in der Sendung „Reibungspunkt“ auf Radio FREI gesendet wurde. Unbedingt lesenswert ist außerdem der gleichnamige Text der Jungen Linken gegen Kapital und Nation. Im FRN stehen in der Kategorie Behinderung neu denken weitere Sendungen zum Thema zum Nachhören zur Verfügung.

Identität und Geschlecht

Die AG Queer Weimar hat anlässlich des Internationalen Tags gegen Homophobie eine Veranstaltungsreihe organisiert, in deren Rahmen zwei Vorträge gehalten wurden, die wir hier dokumentieren:

1. Identitätspolitik und Anti-Identitätspolitik

Michel von der Gruppe Wider die Natur und vom Bildungskollektiv Erfurt demonstriert in seinem Vortrag zunächst anhand der deutschen Identität, wie Identitäten entstehen und was sie auszeichnet. Anhand schwuler Identitätspolitik zeigt er, dass diese durchaus emanzipative Fortschritte erringen kann und geht dann darauf ein, wieso mit diesen Errungenschaften dennoch neue Ausschlüsse entstehen. Er hält dann nach Perspektiven von Anti-Identitätspolitk Ausschau und plädiert dafür, ein Spannungsverhältnis von Identitätspolitik und Anti-Identitätspolitik aufrecht zu erhalten.

Identitäten organisieren die Subjektivität in der modernen Welt. Fahnen, Pässe und „Du bist Deutschland“ stärken die nationale Identität, „Ich bin halt so“ erklärt Verhalten mit der persönlichen Identität. Identität ist aber auch Mittel emanzipatorischer Kämpfe: Die Frauenbewegung ist oft nur deswegen so stark, weil sie auf weibliche Identität pocht, ähnliches gilt für die Schwulenbewegung und manchmal – ungewollt – sogar für queeres Aufbegehren. Die Veranstaltung schärft das Verständnis für Identität und den politischen Umgang damit. Die zugrundeliegende These ist: Bei politischen Kämpfen ist ein Identitätsbewusstsein vonnöten, um nicht in die Identitätsfalle zu stolpern. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 25,9 MB; 45:20 min)


2. Queer und Kapitalismuskritik

Heinz-Jürgen Voß (siehe auch das zahlreiche Audiomaterial auf seiner Homepage und im FRN, sowie das Interview hier) arbeitet im ersten Teil seines Vortrags fragmentarisch heraus, warum Ökonomiekritik und eine queere Kritik der Geschlechterverhältnisse notwendig zusammengehören. Im zweiten Teil begründet er warum Körperlichkeit und Wahrnehmung immer schon gesellschaftlich sind. Einen besonderen Augenmerk legt er dabei auf biologistische Begründungszusammenhänge.

Unterschiede zwischen Menschen – so geschlechtliche – sind nicht vorgegeben, sondern resultieren aus Ungleichbehandlungen. Anstatt noch immer über die Berechtigung der 1949 gewagten These von Beauvoir „Kein biologisches […] Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen […] annimmt“ zu diskutieren, gilt es, radikal weiterzudenken. Die Kategorie „Geschlecht“ soll einer genauen Analyse unterzogen und Ableitungen für Veränderung erarbeitet werden, die ein gutes Leben für alle Menschen ermöglichen. Kapitalismuskritik braucht queere Perspektiven, genau wie zu Queer unbedingt Kapitalismuskritik gehört.
Dr. Heinz-Jürgen Voß forscht und lehrt zu Geschlecht, Biologie und Queer. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 66,8 MB; 1 h 56:45 min)