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Dissidenten der Arbeiterbewegung

Im letzten Jahr haben die Falken Erfurt und das Bildungskollektiv eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ organisiert. Es ging darum, an Strömungen und Personen zu erinnern, die innerhalb der Arbeiterbewegung mit Reformismus, Staatssozialismus und autoritären Strukturen gebrochen haben und sich deren Vermächtnis neu anzueeignen (insb. Linkskommunismus, Anarchismus, Rätebewegung). Zwei Vorträge aus dieser Reihe stehen als Mitschnitt zur Verfügung:

1.) »Ergriffen vom Strudel der Arbeiterbewegung« – Johann Most und sein Verhältnis zu Sozialdemokratie, Marxismus und Anarchismus

Bernd Löffler und Lukas Holfeld (beide vom BiKo) haben einen Vortrag über den deutschen Anarchisten Johann Most gehalten, der mit seiner Zeitung „Die Freiheit“ erheblich zur Verbreitung des Anarchismus beigetragen hat. Der Vortrag erzählt die Biografie Mosts nach und gibt einen kurzen Einblick in seine theoretische Entwicklung (u.a. Johann Most – Der kommunistische Anarchismus). Die beiden Referenten lassen wissen, dass ihr Urteil über den Streit zwischen Most und Peukert anders ausgefallen wäre, wenn sie die Autobiografie Emma Goldmanns vorher gelesen hätten.

Johann Most (1846 – 1906) stieß früh zur revolutionären Arbeiterbewegung, saß für die Sozialdemokratie im Reichstag und für seine Überzeugung in den Knästen Österreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der USA. Während der Zeit des Sozialistengesetzes kam es zum offenen Konflikt mit der sozialdemokratischen Parteiführung und Most entwickelte sich zum anarchistischen Agitator. Zeit seines Lebens hat Most eine unermüdliche Energie für den Kampf um politische und soziale Emanzipation der Arbeiter an den Tag gelegt, was ihm gleichermaßen Freunde und Feinde schuf, für ihn oft aber auch bedeutete, auf einem einsamen Posten zu stehen. Im Vortrag soll seine Biografie skizziert und dabei insbesondere ein Fokus auf sein Verhältnis zur Sozialdemokratie und Marxismus sowie seine Stellung innerhalb der anarchistischen Bewegung gelegt werden. (via)

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2.) Zur Geschichte der Arbeiterbewegung und dem Verhältnis der »offiziellen« Bewegung zur »Dissidenz«

Jörg Wollenberg (Historiker, Bremen) hat in seinem Vortrag einige grundlegende Gedanken über den „Mainstream“ der Arbeiterbewegung und ihrer „Dissidenz“ formuliert, was er insbesondere am Beispiel der Bremer Rätekommunisten um die Gruppe „Arbeiterpolitik“ ausführt. Er geht auf zahlreiche Personen ein und wirft einen Blick auf ihren Werdegang zwischen Organisierung der Arbeiterbewegung, revolutionären Versuchen, Widerstand gegen den NS und Neuorientierung in der Nachkriegszeit.

»Ganz Deutschland sieht auf uns. Ganz Europa sieht auf uns!« Das verkündeten die Anhänger der »Arbeiterpolitik«, als sie am 10. Januar 1919 die Bremer Räterepublik ausgerufen hatten. Nach der Zerschlagung der Sozialistischen Republik am 4. Februar 1919 finden die Anhänger dieser Gruppe um Johann Knief, Anton Pannekoek, Paul Frölich oder Heinrich Brandler ebenso nach 1920 in der KPD, der KAPD oder bei den Syndikalisten wie in der USPD, SAP oder KPDO und bei den »Roten Kämpfern«. Weil sie den Kontakt zu den beiden »offiziellen« Hauptrichtungen der deutschen Arbeiterbewegung nicht gänzlich abreißen ließen, gewannen diese Anhänger von Rosa Luxemburg als »Dissidenten« besonders im Widerstand gegen den Faschismus und erneut nach 1945 Einfluss auf die Politik in beiden deutschen Staaten. Sie versuchten mit ihren basisdemokratischen Vorstellungen von »Freiheit und Sozialismus« die politische Neuordnung in einem sozialistischen europäischen Deutschland (erneut vergeblich) zu prägen. Und dennoch gelang einigen dabei eine erstaunliche Karriere im Bereich von Wissenschaft, Kultur und Politik. Einer von ihnen wurde gar mit »Mehr Demokratie wagen« Bundeskalnzler der BRD. (via)

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Auch außerhalb dieser Reihe gab es Bildungsveranstaltungen, die sich mit Dissidenten der Arbeiterbewegung im weitesten Sinne beschäftigt haben – wir dokumentieren zwei:

3.) »Wir wollen Alles« – Anarchisten in Dortmund von der Nachkriegsgesellschaft bis ins 21. Jahrhundert

Auf Einladung der Anarchistischen Gruppe Dortmund hat Andreas Müller von der Geschichtswerkstatt Dortmund einen spannenden Vortrag über Anarchismus nach dem Zweiten Weltkrieg in Dortmund gehalten. Er gibt zunächst einen knappen Überblick über Anarchismus in Deutschland vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg und konzentriert sich dann auf die anarchistische Nachkriegsgeschichte im Dortmunder Raum. Müller weiß von zahlreichen Verbindungen zu berichten und viele Anekdoten zu erzählen – etwa die vom Mitglied der Roten Kämpfer, Fritz Riwotzki, der später als Dortmunder Polizeipräsident anarchistische Jugendliche räumen ließ.

Zu Beginn des Vortrags hat Andreas Müller einige Literaturhinweise über Anarchismus in Deutschland gegeben, die wir hier noch einmal zusammengetragen haben: Günter Bartsch: Anarchismus in Deutschland | Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland 1945-1960 | Hans Jürgen Degen: Die Wiederkehr der Anarchisten | Hans Manfred Bock: Anarchosyndikalismus in Deutschland, Eine Zwischenbilanz | Holger Jenrich: Anarchistische Presse in Deutschland 1945-1985 | Bernd Drücke: Anarchismus und libertäre Presse in Ost- und Westdeutschland | Andreas Graf (Hg.): Anarchisten gegen Hitler | Rudolf Berner: Die Unsichtbare Front

Frei­heit­li­che, an­ti­au­to­ri­tä­re und an­ar­chis­ti­sche Kon­zep­te (Ideen) für den Auf­bau einer de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft sind in Dort­mund seit dem Kai­ser­reich ent­wi­ckelt und dis­ku­tiert wor­den. Immer wie­der haben es Ge­nos­sIn­nen in Dort­mund ver­sucht, diese Kon­zep­te und Ideen um­zu­set­zen. Auch nach dem 2. Welt­krieg fan­den sich wie­der Ge­nos­sIn­nen zu­sam­men. Doch be­reits An­fang der 50er Jahre über­roll­te das Wirt­schafts­wun­der und der au­to­ri­tä­re Ade­nau­er­staat die schon durch den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus mar­gi­na­li­sier­te Be­we­gung. Erst An­fang der 70er Jahre fan­den sich be­son­ders Ju­gend­li­che zu­sam­men, die sich ihr Leben jen­seits des re­al­ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tems or­ga­ni­sie­ren woll­ten. An­ar­chis­ti­sche Grup­pen der Gras­wur­zel­be­we­gung oder die an den Be­trie­ben aus­ge­rich­te­te Freie Ar­bei­ter­uni­on ent­stan­den, um­her­schwei­fen­de Spon­tis und sogar Par­tei­grün­dun­gen wie die Liste Un­güL­tig waren nun in Dort­mund zu fin­den; sogar eine Ar­beits­grup­pe An­ar­chie in­ner­halb der Grü­nen.An die­sem Abend sol­len die li­ber­tä­ren Be­stre­bun­gen in Dort­mund seit 1945 kri­tisch vor­ge­stellt wer­den. (via)

    Download: via FRN (mp3; 51,2 MB; 1:16:38 h)

4.) Zur Geschichte der Arbeiterjugendbewegung

Viele Dissidenten der Arbeiterbewegung kamen aus der Arbeiterjugendbewegung oder standen ihr nahe, nicht selten kamen die Arbeiterjugendorganisationen in Konflikt mit denen der Erwachsenen – einen Vortrag über die Geschichte der Arbeiterjugendbewegung haben Philipp und Fred von den Falken Erfurt gehalten. Inhaltliche Punkte des ersten Teils des Vortrags sind: Entstehung unabhängiger Jugendorganisationen in der Arbeiterbewegung, Spaltung der Arbeiterbewegung angesichts des Ersten Weltkriegs, die Freie Sozialistische Jugend und ihre Abspaltungen, Jugendbewegung in der Weimarer Republik, Frauen in der Arbeiterbewegung, Rätekommunisten in der Bildungsarbeit, Konflikt mit der SPD, Reichsjugendtag in Weimar 1920, Freizeitgestaltung, Halbstarke und Klopperei, SAJ, KJV, Kinderfreunde und Kurt Löwenstein, Volkstümlichkeit in der Arbeiterjugendbewegung.

    Teil 1: via AArchiv (mp3; 92,6 MB; 1:41:08 h)

Inhaltliche Punkte des zweiten Teils: Arbeiterjugendbewegung angesichts des Nationalsozialismus, Reichstagsbrand, schleichende Integration, Illegalität und Verfolgung, das Warten auf den Befehl der Arbeiterführer, Organisation im Exil und Auslandsbüros, Widerstand, Einheitsbestrebungen in der Arbeiterbewegung nach ’45, FDJ-West, Antikommunismus in der Adenauer-Ära, FDJ-Ost, Umgang mit Veteranen in der DDR, Gründung der Falken, Zeltlager nach dem Krieg, Einfluss der Rätekommunisten, Internationalistische Jugend gegen den Krieg, Gegen die Wiederbewaffnung, Falken-Kontakte Ost-West, Falken und SPD, Falken und SDS, Jugendverbände und ’68, Krise der Jugendverbände, Subkultur und neue Jugendbewegung, Arbeiterjugendbewegung heute, Bürokratisierung der Jugendverbände.

    Teil 2: via AArchiv (mp3; 105,8 MB; 1:55:35 h)

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Die Veranstaltungsreihe „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ nimmt unterdes ihren Fortgang. Die Termine des zweiten Teils der Reihe findet ihr hier.