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Lost in Transformation

Konferenz zu aktuellen Analysen der ostdeutschen Gesellschaft

Anschließend an den Beitrag zur politischen Ökonomie des Ostens dokumentieren wir hier Aufnahmen von einer Tagung, die im Oktober 2019 in der Galerie KUB in Leipzig stattgefunden hat (leider liegen uns nicht die Mitschnitte von allen gehaltenen Vorträgen vor). Im Ankündigungstext zur Tagung hieß es:

Die Konferenz „Lost in Transformation“ möchte geläufige und weniger geläufige Analysen über die Eigenarten Ostdeutschlands versammeln und mit einer interessierten Öffentlichkeit debattieren. Neben aktuell diskutierten Fragen zum ostdeutschen Wohnungsmarkt, zum Rechtsruck und zur spezifischen ostdeutschen Wirtschaftsweise werden auch die ideologischen Hinterlassenschaften der DDR-Gesellschaft und die Widersprüchlichkeiten der Debatten zu Migration damals und heute beleuchtet. (via)

Wir dokumentieren zunächst ein Interview, das Radio Corax im Vorfeld der Tagung mit Dominik Intelmann geführt hat. Es geht um die Hintergründe der Tagung und die Motivation der OrganisatorInnen:

    Download: via FRN (mp3; 15 MB; 12:48 min)

0.) Wie schauen wir heute zurück?

Am Freitag Abend wurde die Konferenz mit einer Lesung und einem Podium eröffnet (die Lesung steht leider nicht zur Veröffentlichung zur Verfügung). Auf dem Podium diskutieren Caroline Krahl (Politisch Schreiben) und Anne Hoffmann (Outside the Box). Es geht um persönliche Erfahrungen in der Wendezeit, Anlässe der Auseinandersetzung mit der Geschichte der DDR, Zugänge zu Feminismus in der DDR und weiblicher Ost-Literatur, Position der Frauen in der DDR und in der Nachwendezeit. Diskutiert werden u.a. Christa Wolf, Brigitte Reimann, Irmgard Morgner… Leider gibt es irgendeinen Wackelkontakt, der sich negativ auf die Aufnahme ausgewirkt hat.

Hinweis: Wir warten noch auf die Freigabe zur Veröffentlichung.

    Download: via AArchiv (folgt)

1.) Einleitung zur Konferenz

Im Eröffnungsvortrag vom Samstag schildert Dominik Intelmann chronologisch die Konjunkturen der Aufmerksamkeit auf Ostdeutschland in der bundesdeutschen Öffentlichkeit seit dem ersten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung. Es geht um eine Art Bestandsaufnahme der Diskurse über Ostdeutschland: von regierungspolitischen Erzählungen, über die Kenntnisnahme und Analyse von rassistischen Mobilisierungen, bis zu einer emanzipatorischen ostdeutschen Perspektive. Eine weitere an der Organisation der Tagung beteiligte Person schildert die Vorgeschichte zur Tagung.

    Download: via AArchiv (mp3; 74.9 MB; 32:43 MB)

2.) Kapitalismus in der Peripherie – die Politische Ökonomie Ostdeutschlands

In seinem Vortrag geht Dominik Intelmann auf den Staatsinterventionismus im Osten ein und auf den spezifischen Transferkreislauf, der Kapital und Wert im Osten Deutschlands zirkulieren lässt. Zuletzt fasst er die Charakteristik ostdeutscher Ökonomie in mehreren Thesen zusammen. Im Grunde handelt es sich um eine leicht überarbeitete Version seines Vortrags, den wir bereits hier dokumentiert haben. In der Diskussion geht Intelmann noch einmal darauf ein, was es u.a. für Lohnkämpfe bedeutet, dass sich in Ostdeutschland keine lokale Bourgeoisie herausgebildet hat.

Die Politische Ökonomie Ostdeutschlands ist geprägt durch eine strukturelle Abhängigkeit vom westdeutschen Landesteil. Dabei schlägt sich das Fehlen einer lokalen Eigentümer*innenklasse in einer dauerhaften Transferabhängigkeit nieder. Im Beitrag wird diese bis heute andauernde Konstellation anhand der politischen Richtungsentscheidungen im Wiedervereinigungsprozess rekonstruiert.

    Download: via AArchiv (mp3; 153 MB; 1:07:11 h)

3.) Die Widersprüche der SED-Ideologie und ihre Auswirkungen

Absicht des Vortrags von Jeanne Franke ist es, die Widersprüche der SED-Ideologie aus nicht-antikommunistischer Sicht darzulegen. Es geht dabei um die Frage, ob die DDR eine Diktatur des Proletariats oder eine Parteiendiktatur gewesen ist. Diese Frage diskutiert Franke anhand der Produktionsbrigaden, deren Entstehung und Entwicklung sie rekonstruiert. These des Vortrags ist, dass die Brigaden zur Integration in die Parteidiktatur dienten, von den Arbeitern jedoch im Sinne des Begriffs des Eigensinns (Hegel) angeeignet wurden. In der Diskussion dreht es sich u.a. um Klassen-, Milieu- und Generationsunterschiede innerhalb der DDR und um die Frage nach der Möglichkeit des Vergleiches zwischen DDR und Nationalsozialismus.

In den öffentlichen Auseinandersetzungen um Ostdeutschland wird die DDR häufig pauschal als eine zweite deutsche Diktatur und autoritäres Regime bestimmt. Ziel des Vortrags ist es, einen differenzierteren Blick auf die politische Herrschaft der SED zu werfen und die Idee eines sozialistischen Staates ernst zu nehmen. Im Mittelpunkt stehen dabei das Verhältnis zwischen Demokratie und Diktatur sowie Internationalismus und Antiimperialismus.

    Download: via AArchiv (mp3; 194 MB; 1:24:49 h)

4.) Migrationserfahrungen in Ostdeutschland

In der Podiumsdiskussion geht es um Die Perspektiven ehemaliger Vertragsarbeiter*innen und der Nachwendegeneration. Am Podium nahmen teil: Nhi Le, freie Journalistin und Bloggerin und Emiliano Chaimite, Vorsitzender des Dachverbands Sächsischer Migrantenorganisationen. Fragen des Podiums sind u.a.: Welche Erfahrungen haben MigrantInnen in der DDR gemacht, wie haben MigrantInnen die Wendezeit erfahren, wie hat sich der Rassismus seit der Wende verändert, welche Kontinuitäten gibt es, welche (spezifischen) Formen von Rassismuserfahrungen gibt es in Ostdeutschland heute? Die Aufnahme bricht nach etwa 1:20 h (nach der Öffnung der Diskussion zum Publikum) ab.

In einem Gespräch mit anschließender Diskussion werden die Erfahrungen unterschiedlicher Generationen von Menschen mit Migrationserfahrung in Ostdeutschland in den Blick genommen. Welche spezifischen Veränderungen brachte die Wiedervereinigung und inwiefern knüpfen aktuelle Widersprüchlichkeiten innerhalb der Debatten um Migration an diejenigen der Wendezeit an? Welche Rolle spielen die Kategorien Ost und West heute?

    Download: via AArchiv (mp3; 184 MB; 1:20:34 h)

5.) Die Wohnungsfrage(n) in Ostdeutschland

– zwischen sozialer Ungleichheit und politischem Autoritarismus. Im Doppelvortrag skizziert zunächst Elisa Gerbsch grob die Ursprünge der Wohungsfrage im 19. Jahrhundert, um dann auf die Wohnungsverhältnisse (und damit verbundene soziale Segregation) in der DDR einzugehen. Basierend auf einer kurzen (polit-ökonomischen) Rekonstruktion der Wendezeit beschreibt sie dann die Besonderheiten der Wohnungsfrage in Ostdeutschland nach 1991. Dass die Wohnungsfrage sich in Ostdeutschland besonders verschärft darstellt, ist ihres Erachtens vor allem auf politische Entscheidungen zurückzuführen. In seinem Vortragsteil geht dann Paul Zschocke auf das Fallbeispiel Leipzig-Grünau ein. Er stellt einen Zusammenhang zwischen sozialer Segregation und rassistischen Mobilisierungen in Grünau her, wobei er zunächst allgemein auf Thesen zum Zusammenhang von „Rechtsruck“ und sozialer Entwicklung eingeht. Er schildert dann die Entstehung des Stadtteils Leipzig-Grünau und dessen Veränderung in der Wendezeit. Der Vortrag bricht dann nach etwa 20 Minuten leider ab (ein Interview zum Thema von Radio Corax wird folgen).

Die Suche nach Antworten auf die Wohnungsfrage aus sozialistischer Perspektive fand mit der Wende ihr jähes Ende. In den 1990er Jahren breitete sich eine Landschaft schrumpfender Städte aus. Erst in den 2000er Jahren gelang es der politischen Ökonomie Ostdeutschlands Städten wie Dresden, Leipzig oder Jena eine neue Anziehungskraft zu verleihen. Die revitalisierten Wohnungsmärkte leben jedoch von einem dauerhaften Verdrängungsdruck. In der Folge entsteht in den ostdeutschen Städten eine Wohnungsfrage von neuem Charakter.

Die Großwohnsiedlung galt ihren Erbauern in der DDR als architektonische visionäre Umsetzung sozialistischen Wohnens und Lebens. Nach 30 Jahren Transformation erfüllt sie jedoch eine gänzlich andere Funktion im städtischen Gefüge ostdeutscher Groß- und Mittelstädte. Am Fallbeispiel Leipzig-Grünaus wird verdeutlicht, wie dieser Funktionswandel einherging mit einer Abwertung von Lebensweisen, dem Aufkommen neuer städtischer Konflikte und der Zunahme gegenwärtiger autoritär-populistischer Potentiale.

    Download: via AArchiv (mp3; 159 MB; 1:09:50 h)

6.) Ostdeutschland und kein Ende?

– Gesellschaftliche Realitäten 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Im Abschlusspodium ging es noch einmal darum, nach den Spezifika ostdeutscher Erfahrung zu fragen. These ist dabei, dass die Erzählungen über die Wendezeit von einer westdeutschen Perspektive dominiert werden und dadurch emanzipatorische Bestandteile der Wendebewegung verschüttet werden. Am Podium nahmen einerseits OrganisatorInnen der Tagung, andererseits Vortragende teil: Stefan Meyer (Aufbruch Ost) Carolin Krahl (Autorin, Politisch Schreiben) und Emiliano Chaimite (DaMigra, Dresden) – für die OrganisatorInnen: Elisa Gerbsch und Paul Zschocke.

    Download: via AArchiv (mp3; 223.7 MB; 1:37:44 h)

Ergänzend zum Thema: Reihe der Initiative gegen jeden Extremismusbegriff.

Interview mit Eike Geisel über drei Berliner Ausstellungen

»Die Dummköpfe haben sich verdoppelt in dieser Stadt durch die Wiedervereinigung.«
(Eike Geisel über Berlin)

Der Journalist und Essayist Eike Geisel (1945-1997) war ein herausragender Kritiker der deutschen Ideologie. Er war ein Kritiker deutscher Geschichtspolitik, auch in ihrer beredsamen Variante, und deutsch-jüdischen Verbrüderungskitsches und denunzierte früh den Antisemitismus in der politischen Linken (auch in seiner philosemitischen Variante). Seine treffsicheren Polemiken sind auch dann heute noch lesenswert, wenn sie als Eingriffe in tagespolitische Debatten geschrieben waren. Auf archive.org findet sich ein Interview mit Eike Geisel, das Geert Lovink geführt hat. Darin spricht Geisel zum einen über die Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“, die 1991 im Berliner Gropius-Bau eröffnet worden war und deren Ausrichtung er scharf kritisiert hatte. Zum anderen spricht er über sein eigenes Buch „Im Scheunenviertel“ über das Berliner Scheunenviertel, das zwischen den beiden Weltkriegen ein Zuwanderungsort für osteuropäische Juden gewesen war, und über Geisels Ausstellung über den Jüdischen Kulturbund, auf dessen Geschichte er relativ ausführlich eingeht. Zuletzt spricht er über die damals eröffnete Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. Das Interview muss 1991 oder ’92 geführt worden sein – weitere Informationen über den Hintergrund des Gesprächs liegen mir leider nicht vor.

Bei Edition Tiamat ist in diesem Jahr unter dem Titel Die Wiedergutwerdung der Deutschen ein Buch erschienen, in dem zahlreiche Texte von Eike Geisel gesammelt sind. Darin ist auch der Text von 1992 in der konkret enthalten, in dem Geisel die Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ kritisiert hat.

Im Dezember erscheint ein Film über Geisel. Ein Ausschnitt bzw. Teaser ist hier zu sehen. Der Macher des Films hat uns freundlicherweise eine besser klingende Fassung des Interviews bereitgestellt. Der AArchiv-Link und die Hörfassung unten sind aktualisiert worden (13.10.2015).

    Download: via AArchiv (mp3; 56 MB; 1:01 h, HQ) | via AArchiv (zip/mp3, einzelne tracks, 140 MB, Super Qualität) | via archive.org (verschiedene Formate, schlechte Klangqualität)