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Momente einer kritischen Theorie der Naturwissenschaften

Ein weiterer Beitrag zur Kritik der historischen wie gegenwärtigen Naturverhältnisse, der auf eine Vortragsreihe in Jena verweist, die versuchte Momente einer kritischen Theorie der Naturwissenschaften herauszuarbeiten: Die Veranstalter, die sich die Frage stellten, warum die Naturwissenschaften im Kontext von Debatten, die sich auf das kritische Denken von Horkheimer und Adorno stützen, bisher tendenziell eher als randständig angesehen wurden, zur Motivation der Reihe.

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1.) Martin Blumentritt – Zum Begriff der Natur und der Wissenschaft bei Marx

In Erinnerung und mit Bezug auf den 2012 verstorbenen Alfred Schmidt, referiert Martin Blumentritt über die Lehre der Natur bei Marx.

Die Überlegungen der Frankfurter Kritischen Theorie in den frühen 60er Jahren kreisten um einen Materialismus der „zweiten Natur”. Alfred Schmidts Dissertation über die Lehre der Natur bei Karl Marx suchte nicht bloß interpretierend, die Kritische Theorie weiterzuführen. Durch den erneuten Rekurs auf Marx konkretisierte er die Kritik an der auf Engels zurückgehenden Variante der Marx-Interpretation, die zu einer Trennung von historischem und dialektischem Materialismus und der Vorordnung eines naturalistisch-ontologischen Materialismus vor dem historischen führte. Die alten Materialisten hätten in der Sache, nicht in der Form, recht gehabt, die die Stärke des Idealismus war:

„Es gibt in der idealistischen Philosophie Fragestellungen, die mit der idealistischen Form, in der sie vorgetragen werden, nicht abgetan sind. Der deutsche Idealismus von Kant bis Hegel, an den Marx bewußt angeknüpft hat, zeigt, daß die uns umgebende Welt keine bloß an sich seiende, sondern ebensosehr eine für und durch uns seiende Realität ist. Freilich hat der Idealismus diese Abhängigkeit des Objektiven vom Subjektiven, indem er sie aussprach zugleich mystifiziert, und zwar deshalb, weil er die subjektive Konstitution dessen, was wir Erfahrungs- und Dingwelt nennen radikal entstofflichte und dadurch die Sache verdunkelte.”[1]

Mit dem Begriff der „gegenständlichen Tätigkeit” hielt Schmidt die Vermitteltheit des unmittelbar Vorfindlichen gegen die idealistischen Formen fest und arbeitete eine Alternative zu Engels ontologischer Naturdialektik heraus, wodurch der erkenntnistheoretischen Abhängigkeit der Objektwelt und ontologischen Unabhängigkeit gleichermaßen Rechnung getragen wird. Aus der Perspektive von Kants negativer Metaphysik und Hegels Produktionslogik diskutierte Schmidt das Verhältnis erster und zweiter Natur mittels der Interpretation der marxschen Texte in Hinsicht auf ihr Naturverhältnis. [via]

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2.) Jörg Huber – Subjektive und objektive Momente physikalischer Erkenntnis

Huber spricht über den naiven Glaube an die absolute Objektivität der Naturwissenschaften. Denn: Naturwissenschaften können gar keine völlig objektive Beschreibung der Natur liefern, da ihre Erkenntnisformen historischen Ursprungs sind. Huber fragt, inwieweit Reformulierungen von gesellschaftlichen Veränderungen abhängen.

Ihre naturwissenschaftliche Grundlagenforschung stellen Wissenschaftler gerne als Selbstzweck dar, den sie aus reiner Neugierde verfolgen würden. Sie möchten Gesetze finden, denen die Natur folgt, und damit zur Akkumulation menschlichen Wissens beitragen. Ihr gemeinsames höchstes Ziel ist die lückenlose Erklärung der ganzen Welt durch solche Gesetze. Die Gesellschaft soll die Mittel für diese Forschung bereitstellen, die Wissenschaftler fühlen sich aber im Zweifelsfall nicht dafür verantwortlich, wie ihre Erkenntnisse genutzt werden. Die Gesellschaft soll also auch die Verantwortung für den Gebrauch ihrer Resultate übernehmen. Wie aber können dann diese Resultate ganz unabhängig von der Gesellschaft sein und die Natur einfach so erklären, wie sie an sich ist? Der naive Glaube an die absolute Objektivität der Naturwissenschaften liefert eine bequeme Rechtfertigung für wissenschaftliche Verantwortungslosigkeit, die scientific community erteilt ihrem insgesamt blinden Treiben damit selbst die Absolution. Demgegenüber skeptische Positionen erschöpfen sich häufig darin, inhumane technische Anwendungen naturwissenschaftlichen Wissens auf ethische Mängel zurückzuführen.

Der eigentümliche Status des Wissens, das die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung liefert, lässt sich aber nur ernsthaft kritisieren, wenn der unüberbrückbare epistemologische Spalt zwischen der Natur und unserer Vorstellungen von ihr nicht unterschlagen wird. Die Naturwissenschaften können gar keine völlig objektive Beschreibung der Natur liefern, da ihre Erkenntnisformen historischen Ursprungs sind. Naturwissenschaftliche Theorien als Funktionsweise oder gar als Schöpfungscode der Natur auszugeben, erweist sich als ideologischer Abdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Um dieser Erscheinung von Ideologie auf die Spur zu kommen, wird sich der Vortrag anhand bekannter Beispiele erkenntniskritisch mit dem Verhältnis naturwissenschaftlicher Theorie zu ihrem spezifischen Gegenstand befassen. Die theoretische Entwicklung der Himmelsmechanik zeigt die enormen Wandlungen auf dem Weg zur ersten allgemeingültigen physikalischen Theorie, deren Gegenstand, die Ordnung der Himmelskörper, dabei gegenüber irdischen Maßstäben starr geblieben ist. Aus der Himmelsmechanik entstand dann die heutige theoretische Mechanik, die noch mehrfach reformuliert wurde, obwohl keine grundsätzlichen Probleme bei ihren bekannten mechanischen Experimenten aufgetreten waren. Daher liegt die Frage nahe, inwieweit solche Reformulierungen von gesellschaftlichen Veränderungen abhängen. Der enorme Erfolg der Relativitätstheorie degradierte die klassische Mechanik dann zum wichtigsten Spezialfall allgemeingültigerer Gesetze. Und die Kantische Vorstellung, dass Raum und Zeit bloße Formen unserer Anschauung seien, geriet ins Wanken. [via]

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Da der Mitschnitt leider abrupt abbricht, hat Jörg Huber für das Audioarchiv die nicht aufgezeichneten Momente des Vortrags und Teile der Diskussion nachträglich eingesprochen.

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3.) Prof. Dr. Gerhard Stapelfeldt – Der Begriff der Natur in der Epoche des Liberalismus

Stapelfeldt untersucht den Begriff – die Begriffe – der Natur in der Epoche des Liberalismus (um 1765-1870), der bürgerlichen Aufklärung, der bürgerlichen Revolutionen.

Der Vortrag untersucht den Begriff – die Begriffe – der Natur in der Epoche des Liberalismus (um 1765-1870), der bürgerlichen Aufklärung, der bürgerlichen Revolutionen.
‚Natur’ scheint ein ganz einfacher Begriff, der einen selbstverständlichen Gegenstand bestimmt. Man denkt an Gesteine, an Pflanzen, an Tiere, an die körperlicher Natur des Menschen, an Naturgesetze, an Naturwissenschaften, an Naturschutz. Aber dann wird es doch schwierig: Gibt es eine ‚Natur der Sache’, eine Natur des Menschen, eine Natur der Gesellschaft? Was ist ‚natürlich’? Schon der antike Naturbegriff ist heute kaum nachvollziehbar: Natur als göttliche, subjektive, mit moralischen Qualitäten ausgestattete Natur. In der Neuzeit hat Galilei, nach seinem Selbstverständnis, im „Buch der Natur“ gelesen. Im Liberalismus wird es mit dem Begriff – den Begriffen – der Natur in der Philosophie, der Sozial- und Naturwissenschaft ganz kompliziert: Vico unterscheidet die „Welt der Natur“ von der „gesellschaftlichen Welt“; Kant spricht von einer „sinnlichen“ und von einer unbewußten „übersinnlichen (zweiten) Natur“, Smith von der „Natur des Reichtums der Nationen“, Darwin von einer Naturgeschichte; Comte stellt der Wissenschaft der Biologie die Wissenschaft von der Gesellschaft (Soziologie) zur Seite und bezeichnet beide als „Physik“ – als Naturwissenschaften. Diese Begriffe, ihr Zusammenhang, ihre gesellschaftsgeschichtliche Grundlage sind zu klären.

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Fussnoten:

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Gerhard Stapelfeldt: Kritik der Soziologie

Die kritische Theorie der Gesellschaft in Soziologie zu verwandeln, ist überhaupt ein problematisches Unterfangen. (Max Horkheimer)

Gerhard Stapelfeldt, der 30 Jahre am Institut für Soziologie der Universität Hamburg lehrte, bestimmt den Begriff der Soziologie in Differenz zur Gesellschaftstheorie: Die Theorie der Gesellschaft ist Aufklärung über die Bewusstlosigkeit der Gesellschaftsgeschichte und des gesellschaftlichen Verhältnisses. Die Soziologie, so Stapelfeldt, geht von dieser Bewusstlosigkeit aus, ohne sie zu Bewusstsein zu bringen: sie erfährt dadurch Gesellschaft als einen Kosmos unveränderlicher Gesetze und Tatsachen. Einen Beitrag zur Kritik der Soziologie leistete Stapelfeld auf Einladung der ag antifa in Halle, in dem er unter anderem die Entstehungsgeschichte von Soziologie und Gesellschaftstheorie aufzeigt.

Die Soziologie, die Wissenschaft vom logos der societas, verhält sich paradox zu ihrem Gegenstand: sie untersucht gesellschaftliche Phänomene und Strukturen, indem sie gesellschaftliche Verhältnisse voraussetzt. Daher ist ihr nicht der Geist des Widerspruchs, sondern der Geist der Anpassung und des Autoritarismus immanent.
Um im allgemeinen zu bestimmen, was Soziologie sei, ist ihre Entstehung als Fachwissenschaft im frühen 19. Jahrhundert nachzuzeichnen. Daraus ergeben sich nicht nur die Differenzen von Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie einerseits, Soziologie andererseits, sondern auch die beiden grundsätzlich unterschiedenen Richtungen der Soziologie als Naturwissenschaft (»soziale Physik«) einerseits und als Geisteswissenschaft andererseits. Max Weber hat um 1900/1920 versucht, diese beiden Richtungen zusammenzuführen: in einer sinnverstehenden Soziologie, die geschichtstheoretisch die Genese der politischen Gesellschaft als »Gehäuse der Hörigkeit« vorführt.

    Download: via AArchiv | via RS.com (mp3; 82 min; 113 MB)

Siehe auch Stapelfeldts Veröffentlichungen Zur deutschen Ideologie, Soziologische Theorie und gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Lit-Verlag Münster, 2005. Hier besprochen von JustIn Monday und Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung. Zur Logik der Aufklärung des Unbewußten, ça ira Freiburg, 2004.

Wir sind der Euro?

Bevor der Euro schließlich doch noch notgeschlachtet wird (oder sich vielmehr selbst erledigt), möchte ich hier auf einen Vortrag Gerhard Stapelfeldts vom 27. Mai 2011 hinweisen, der sich mit der politischen Ökonomie und Krise des Euro sowie mit dessen integrativer wie identitätsstiftender Funktion befasst. Er liegt als Audio- und als Video-Mitschnitt vor.

    Download/Audio: via AArchiv (1:31 h, 31 MB)

    Video/Audio: via Archive.org (ogg vorbis/ogg video/mpeg/mp3/flac/wav), Stream via Youtube

Krise und Integration der bürgerlichen Gesellschaft in den Romanen von Charles Dickens

1. Björn Oellers: Krise und Integration der bürgerlichen Gesellschaft in den Romanen von Charles Dickens

Ein hörenswerter Vortrag von Björn Oellers (Falken Hamburg), den er am 29.01.2011 im Rahmen der Reihe »Kunst und Kritik« der Falken Erfurt gehalten hat. Er beginnt mit einer kurzen Einführung in die Theorie des Romans von Georg Lukács, skizziert dann das Selbstverständnis der liberalen Epoche der kapitalistischen Gesellschaft, um anschließend, jeweils in Bezug auf Analysen von Karl Marx, darzulegen, wie Charles Dickens die Wirklichkeit dieser Gesellschaft in seinen Romanen darstellt.

Björn Oellers: Krise und Integration der bürgerlichen Gesellschaft in Romanen von Charles Dickens, in: Gerhard Stapelfeldt (Hrsg.): Interdisziplinäre Beiträge zur kritischen Gesellschaftstheorie Band 10, Hamburg 2010.

    Download: via Audioarchiv (61,9 MB, 1 h 7 min); Nachbearbeitet via Audioarchiv (23 MB)

Während der Ausdruck “Neoliberalismus” eine Neuauflage impliziert, stellt sich die Frage nach dem Inhalt des klassichen Liberalismus. Schon dieser ist durch einen tiefen Widerspruch -Verherrlichung und Liquidierung des Individuums – gekennzeichnet, was anhand einer Analyse der englischen Literatur dargelegt werden kann. Für einen näheren Blick auf das Schicksal des bürgerlichen Subjekts sollen ausgesuchte Romane von Charles Dickens (1812 – 1870) untersucht werden, der wie Marx in der Zeit der Hochphase des Liberalismus lebte. Seine Romane bilden ein Panorama zeitgenössischer sozialer Problemstellungen und gesellschaftlicher Krisen. Der Roman thematisiert bereits durch seine Form das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, indem sich die Handlung auf eine/n oder mehrere Held_innen konzentriert, deren Erlebnisse und Gedanken den Zusammenhang des Geschehens bilden und die Ereignisse struturieren. Es sind, wie in der Theorie des klassischen Liberalismus, die freien Individuen, die handeln und die Gesellschaft gestalten. In Dickens Romanen dagegen geht die liberale Gesellschaft einen anderen Weg, der von ihrer Entstehung über Blüte und Krise in eine neue Form gesellschaftlicher Integration führt: den Imperialismus. Diese Entwicklung des Verfalls von Individualität soll in der Veranstaltung nachgezeichnet werden.

2. Bayern 2: Charles Dickens und Emily Bronte – Geschichten aus dem viktorianischen England

Ein Feature von Herbert Becker über das Leben von Charles Dickens, gesellschaftliche Hintergründe und über das soziale Engagement seiner Literatur.

    Download: via Bayern 2 (15 MB, 21 min 49 sec)

3. Hörbücher von Charles Dickens (Die Silvesterglocken, Die Geschichte des Tom Smart, Die Geschichte des Schuljungen): hier.

Zur deutschen Ideologie. Entstehung der deutschen Identität bis 1918.

Der Arbeits- und Aktionskreis kritischer Studierender Kiel dokumentiert viele seiner früheren Veranstaltungen. Unter den hochwertigen Mitschnitten befindet sich auch dieser Leckerbissen von Gerhard Stapelfeldt zur Entstehung der deutschen Identität. Stapelfeldt gibt einen fundierten Abriss deutscher Ideologiegeschichte vom nationalen Liberalismus und der Gegenaufklärung des 19. Jahrhunderts (besonders Savigny, Fichte und List) bis zu den Autarkisten um 1914/18 und zum Nationalsozialismus.

Download: Nachbearbeitet (28 MB, 1:22 h)

Die Originaldatei ist leiser und 75 MB groß.

Antisemitismus & Krise

*Update*: Der Beitrag wurde überarbeitet, die Links stimmen wieder.

*Update*: Leider sind die EAG-Links schon wieder tot; die MF-Links ebenso. Die Referate sind aber via AArchiv weiter verfügbar.

Die Emanzipative Antifaschistische Gruppe aus Berlin stellt die Audioaufzeichnungen der von ihr und der Gruppe Disparat organisierten Veranstaltungsreihe »Antisemitismus und Krise« zum Download bereit.

Die verlinkten nachbearbeiteten Dateien sind etwas lauter, z.T. von Störgeräuschen bereinigt und von derselben Größe wie die Originale.

1. Martin Dornis: Möglichkeit, Wirklichkeit und Permanenz der Krise – von der gewaltförmigen Vergleichung zum Massenwahn
Dornis‘ Vortrag ähnelt stark seinen übrigen Referaten aus der letzten Zeit. Ankündigungstext:

Der Kapitalismus trägt sowohl das Moment der Krise, als auch das der Ideologie, die sich in der Krise bis zum Massenmord zuspitzen kann, von Anbeginn in sich. Warum nicht der Kommunismus, sondern die nationalsozialistische mörderische Krisenlösung in der Logik der Warengesellschaft angelegt ist, soll begründet werden. Vor diesem Hintergrund soll im Vortrag über grundlegende Zusammenhänge von kapitalistischer Gesellschaft, politisch-ökonomischer Krisen, Staat und ideologischer Verarbeitung diskutiert werden.

Download: Referat (1:20 h, 18 MB, mp3) – Diskussion via EAG, via AArchiv (0:44 h, 10 MB, mp3)
Nachbearbeitet: Referat via AArchiv, via MF

2. Gerhard Stapelfeldt: Neoliberalismus und Antisemitismus  - Hörenswert
Sehr empfehlenswert!
Ankündigungstext:

Der Neoliberalismus tritt nicht antisemitisch auf; offen antisemitische Äußerungen wird man im Werk des Hauptes der neoliberalen Theorie, Friedrich August von Hayek (1899-1992), nicht finden. Aber der Antisemitismus ist kein Bewußtes, sondern ein Gesellschaftlich-Unbewußtes. Darum ist der Antisemitismus allererst nicht in Rücksicht auf das Judentum zu erklären, sondern als unbewußte gesellschaftliche Projektion. Diese freilich benötigt eine Projektionsfläche, die der unbewußten Übertragung Plausibilität verleiht: nicht jeder Mensch, nicht jede soziale Gruppe ist als eine solche Fläche geeignet. So ist der Antisemitismus gesellschaftlich unbewußt, zugleich keine pure Willkür: „Der Antisemitismus ist das Gerücht über die Juden.“ (Adorno) Der Antisemitismus bedurfte der Juden, aber er vermag sich auch zu erhalten, ohne daß empirisch auf Juden verwiesen werden könnte. Umgekehrt ist der Antisemitismus auch ohne of-fen antisemitische Charaktere möglich. Der Neoliberalismus nun ist die Apologie des unbewußten Allgemeinen. Daraus folgt sein kategorischer Imperativ: Anpassung an die undurchschauten Mächte der Tradition; daraus folgt seine Negation und Diffamierung aller Gestalten gesellschaftlicher Utopien; daraus folgt seine Individualisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. In dieser Konstellation von neoliberalen Basisdogmen besteht eine Wahlverwandtschaft zwischen dem neuen Liberalismus und dem Antisemitismus. Vor allem in Zeiten der Krise droht diese Nähe in einer manifesten Praxis zu erscheinen. Die Aufklärung dieses Zusammenhangs hat sich vor einem allzu umstandslosen Vergleich des Neoliberalismus mit dem Nationalsozialismus, vor einer Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Staatsterrors zu hüten. Sie hat aber ebenso die neoliberale Verdrängung des Terrors zurückzuweisen, die schon kurz nach 1945 im Dogma von der ‚Stunde Null’ einsetzte. Seit Freud ist bewußt, daß jede Verdrängung die „Wiederkehr des Verdrängten“ impliziert; die „Wiederkehr“ ist jedoch keine Wiederholung, sondern die Erscheinung des Verdrängten unter veränderten Verhältnissen.

Download: via AArchiv, via EAG, via MF (1:31 h, 21 MB, mp3)

3. Ljiljana Radonic: Finanzkapital, USrael und Antisemitismuskeule – Eine Einführung in die Antisemitismustheorie
Ankündigungstext:

Pflegt man in der Wirtschaftskrise dem Finanzkapital die Schuld an der Misere zu geben, so ist die Trennung von „raffendem“ und „schaffenden“ Kapital nicht weit. Warum schon dieser Verfolgungswahn eine für den Antisemitismus charakteristische pathische Projektion ist, soll hier ebenso aufgezeigt werden, wie danach gefragt werden soll, warum verkürzte Kapitalismuskritik, Antizionismus und Antiamerikanismus zu einem „neuen Antisemitismus“ geführt haben, bei dem sich rechtsextreme, linke und islamistische Parolen plötzlich aufs Haar gleichen.

Download: Referat (0:55 h, 13 MB, mp3) – Diskussion (0:39 h, 9 MB, mp3)
Nachbearbeitet: Referat via AArchiv, via MF

4. Stephan Grigat: Der Iran – Analyse einer islamischen Diktatur und ihrer Bedrohung für Israel
Ankündigungstext:

Der Vortrag analysiert Geschichte und Gegenwart der iranischen Diktatur und setzt sich mit dem Verhältnis Europas, insbesondere Deutschlands und Österreichs, zum Iran auseinander. Betrachtet wird die innenpolitische Lage im Iran, der Terror der Teheraner Mullahs gegen die iranische Bevölkerung sowie das geheime Atomprogramm des Iran und die Vernichtungsdrohungen gegen Israel.

Download: Referat (0:58 h, 13 MB, mp3) – Diskussion (1:14 h, 17 MB, mp3)
Nachbearbeitet: Referat

5. Luise Schirmer: »Stalin hat uns das Herz gebrochen« – Antisemitismus in der DDR
Ankündigungstext:

Einem von rechter Seite stark besetzten Thema soll eine linke Perspektive entgegengesetzt werden, die einen differenzierten Blick auf die diversen Erscheinungsformen des Antisemitismus in der Politik der SED, aber auch in der DDR-Bevölkerung ermöglicht.

Download: Referat (0:38 h, 9 MB, mp3) – Diskussion (0:46 h, 11 MB, mp3)
Nachbearbeitet: Referat via AArchiv, via MF

6. Tanja Kinzel: Sexismus und Antisemitismus  - Hörenswert
Guter, historisch fundierter Überblick über die Entwicklung juden- und frauenfeindlicher Ideologeme in der bürgerlichen Gesellschaft. Ankündigungstext:

Sexismus, Rassismus und Antisemitismus sind konstitutiv mit der Durchsetzung der bürgerlich kapitalistischen Gesellschaft verbunden. Grundlagen dieser Einstellungen lassen sich historisch an der Entwicklung und Beantwortung der “Frauenfrage” und der “Judenfrage” nachvollziehen: In antisemitischen Stereotypen verschmelzen frauenfeindliche Sexualfantasien mit rassistischen Bildern. Im Vortrag geht es um die historischen Entwicklungen und Verschränkungen von Geschlechtsbildern und antisemitischen Vorstellungen – und die Frage, inwiefern diese Bilder heute noch aktuell sind.

Download: Referat (1:00 h, 14 MB, mp3), Diskussion (0:17 h, 4 MB, mp3)
Nachbearbeitet: Referat via AArchiv, via MF
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Wissenschaft – Aufklärung – Mündigkeit. Anmerkungen zum Bildungsbegriff

Die letzten Studierendenproteste sind längst abgeflaut und ihre Inhalte galten der radikalen Linken als mindestens zweifelhaft. An dieser Stelle seien einige Beiträge zum Themenkomplex Bildung & Wissenschaft gewissermaßen nachgereicht (oder auch präventiv für den nächsten Protest empfohlen).

  1. Gerhard Stapelfeldt: Bildung ist keine Ware? Kritische Anmerkungen zu einer politischen Parole.
    Dieser Text wurde in der »contra.funk«-Sendung vom Dezember 2009 (vom bermuda.funk – Freies Radio Rhein-Neckar) gekürzt wiedergegeben. Stapelfeldt leitet die Idee der Bildung von der Idee der Philosophie und des Humanismus als (revolutionäres) Streben nach Mündigkeit her und kritisiert das Humboldtsche Bildungsideal als eines der »deutschen Innerlichkeit«. Zudem geht er dem historischen Wandel/Niedergang der Bildung nach.
    Die Sendung enthält darüber hinaus einen Bericht zu den antisemitischen Vorfällen bei der Filmvorführung von »Warum Israel« in Hamburg, ein Interview über das mögliche Aus der Freien Radios in Sachsen und Terminankündigungen und Musik.
    Download (20,5 MB; 1 h); Text hören auf Myspace (21 min); Text als PDF via Antifa AK
  2. »Bildung, Halbbildung, Bildungsklau? Zum Bildungsbegriff Theodor W. Adornos und seiner semantischen Verkümmerung zur Parole innerhalb der Studierendenproteste«.
    Es handelt sich um ein 36minütiges Radiogespräch, das Markus Mersault von der Gruppe Emanzipation und Frieden mit Eva Klinkisch führte. Letztere promoviert im Fach Soziologie und beschäftigt sich dabei u.a. mit dem Bildungsbegriff.
    Download: via FRN (35 MB); via MF (11 MB)
    Beschreibung:

    Wer heutzutage Kritik am Bildungswesen formuliert, stellt mitnichten seine Renitenz und Autonomie zur Schau, sondern reiht sich ein in eine mal latent und unterschwellig, mal akut und offen auftretende Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsteile, die von Schülern, Studenten und Arbeitslosen bis hin zu Arbeitgebern und Politikern artikuliert werden. Während den einen die Ausrichtung des Bildungswesens an Verwertungsimperativen zu weit geht und sie lauthals fordern, ihnen nicht die Bildung zu klauen, geht den anderen die Zurichtung des Bildungswesens gemäß ökonomischen Bedürfnissen im Zeitalter verstärkten Wettbewerbs und angesichts der Globalisierung nicht weit genug, solange weiter unnützes, unverwertbares Wissen vermittelt werde und sich einige Studierende erdreisten, die Regelstudienzeit zu überschreiten. Fast allen Diskussionen ist gemeinsam, dass über das Grundsätzliche überhaupt nicht diskutiert wird: Was eigentlich ist Bildung?
    Jener Frage soll mit Hilfe Theodor W. Adornos nachgegangen werden, der Bildung nicht nur von Wissen, sondern gerade auch von Halbbildung abgrenzt und auf den essentiellen Zusammenhang von Bildung und Gesellschaft verweist. Mit ihm lässt sich am heutigen Bildungsbegriff eine Kritik formulieren, die individuellen und gesellschaftlichen Verkürzungen widersteht. Und mit ihm lassen sich auch kritische Anmerkungen zu jenen Protestlern machen, die sich mit ihrem Kampf gegen Gebühren und Kapitalisierung überhaupt am kritischsten wähnen: den Studierenden.

  3. Auch die Kulturkritik München hat sich mit der Bildungsproblematik beschäftigt. Es liegen folgende Radioaufzeichnungen vor:
    1. Wissenschaft und Kultur – menschliche Selbstverständigung und die Macht pluraler Beliebigkeiten
    2. Wissenschaft und Emanzipation – Begriffsbildung einer kritischen Theorie
    3. Diskussion zum Bildungsstreik: Wissenschaft und Emanzipation – Begriffsbildung einer kritischen Theorie. (83 Minuten)
      Es handelt sich um die Aufzeichnung einer Diskussionsveranstaltung zum vorgenannten Text.

    Die Sendungen enthalten Musik und sind etwa eine Stunde lang.

Zum Thema u.a. bereits archiviert: Weiterlesen

Aufbruch des konformistischen Geistes

Gerhard Stapelfeldt hielt Ende 2008 bei der Campusantifa Frankfurt/M. im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Transformation der Hochschulen« einen Vortrag zur »Kritik der neoliberalen Universität«. Er trägt den Titel »Der Aufbruch des konformistischen Geistes« und ist auch gedruckt erschienen.
Unter demselben Titel referierte Stapelfeldt dann auch noch mal an anderer Stelle. Da allerdings beide Fassungen des Vortrags recht groß sind, stelle ich sie hier komprimiert bereit:

Campusantifa-Version (1:41 h mit Fremd-Einführung): Original (92 MB), komprimiert 28,9 MB
Querdurch-Version (1:37 mit Erklärung, warum das Buch so teuer ist + Schwenk aus der Jugend) Original (89,2 MB), komprimiert 33,4 MB.

Eine Skizze zur Geschichte und Kritik der Universität liefert außerdem die Gruppe Gesellschaft im Widerspruch aus Münster. (mp3, mono, 64 kBit/s; 29 min; 13,18 MB) Stream & Download auch hier und hier.

Zum Verhältnis von Krise und Kritik

Kurzbeschreibung: Ein Vortrag im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der Hamburger Gruppe Kritikmaximierung. Gerhard Stapelfeldt referiert darin zur aktuellen Wirtschaftskrise, zur Genese des Neoliberalismus und zur Möglichkeit der Kritik.

Gesamtlänge/-größe: 1:44h / 95,5 MB

Alles Weitere auf FRN

Download alternativ: Vortrag (22,5 MB, 1:06 h, 48 kBit/s), Diskussion (11 MB, 39 Minuten, nachbearbeitet, 40 kBit/s) (beide mp3, mono)