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Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie

Georg Lukács und die Ohnmacht der Arbeiterklasse

Markus Bitterolf und Denis Maier, die beiden Herausgeber des kürzlich im ça ira-Verlag erschienen Sammelbandes „Verdinglichung, Marxismus, Geschichte – Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie„, haben am 23. Mai das zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienene Buch vorgestellt. Darin referieren sie über die historischen Bedingungen (Oktoberrevolution in Russland, Novemberrevolution in Deutschland) unter deren Einfluss der ungarische Marxist Georg Lukács zu wirken begann. Sie rekonstruieren Lukács‘ politischen Werdegang und diskutieren dann einige zentrale Kategorien der mittleren Phase des Denkers: Das Rätsel der Ware und die Verdinglichung, Totalität, Klassenbewusstsein und Freiheit. Zuletzt sprechen sie über Horkheimers Weiterentwicklung Lukács’er Theoreme, dessen spezifischem Begriff von Materialismus und die damit einhergehende Verabschiedung der kritischen Theorie vom Proletariat. Mangel des Vortrags, ähnlich wie der meisten Beiträge des Buches, ist m.E. die vollständige Aussparung des Lukács’en Spätwerkes (u.a. Ontologie des gesellschaftlichen Seins und Die Eigenart des Ästhetischen), in dem Lukács seine früheren Schriften selbst einer gründlichen Kritik unterzieht.

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Daß “die Weltrevolution um die Ecke ist”, wie sich Leo Löwenthal einmal ausdrückte, war nicht nur für viele Linke in den Jahren nach der Oktoberrevolution gewiß. So auch für Georg Lukács. Warum sich allerdings das “Tempo der Entwicklung der Revolution” verlangsamt hatte und wie diese Einsicht mit der “Erkenntnis von Gesellschaft und Geschichte” zusammenhing, diese Frage wollte Lukács beantworten. Vor dem Hintergrund von Krieg, Krise und Revolution schrieb er acht Aufsätze, die damals einen der radikalsten Versuche bedeuteten, das Revolutionäre an Marx durch Weiterführung der Hegelschen Dialektik wieder aktuell zu machen. Als sie 1923 unter dem Titel Geschichte und Klassenbewußtsein erschienen, war zunächst kaum abzusehen, welche Bedeutung diesem Buch vergönnt sein sollte. Der wichtigste Essay über Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats orientierte sich an Marx’ Kritik des Fetischcharakters der Ware und wollte gleichzeitig begründen, warum das Proletariat sich als revolutionäres Subjekt konstituieren müsse. Dem Materialismus, wie ihn Max Horkheimer bestimmte, blieb es überlassen zu fragen, wie die Aktualität der Revolution mit der Erfahrung ihres Scheiterns zusammenhing, wie die Entwicklung in der Sowjetunion zu beurteilen sei und warum sich das Proletariat nicht als das Subjekt-Objekt der Geschichte konstituieren wollte, wie es Lukács’ Theorie darlegte. – Es sprechen Markus Bitterolf (Heidelberg) und Denis Maier (Luzern), Herausgeber des Bandes Georg Lukács u.a., Verdinglichung, Marxismus, Geschichte. Von der Niederlage der Novemberrevolution zur kritischen Theorie. [via]

Autonomie und Kapitalsouveränität

Jean-Paul Sartre, Adorno und der Begriff der Freiheit

In seinen Texten gegen Sartre trifft Adorno den Existenzialismus, aber geht an Sartre vorbei – diese These nahm Manfred Dahlmann (ISF) in einem Vortrag am 02.11.2011 in Freiburg zum Ausganspunkt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Kritischen Theorie und dem philosophischen Entwurf Sartres herauszuarbeiten. Er referiert vor allem über die Begriffe der Autonomie und der Freiheit und knüpft dabei an die Diskussionen an, die in der Prodomo (Teil 1 und Teil 2 seines Beitrags) und auf der Konferenz der Sonntagsgesellschaft geführt wurden. Zuletzt spricht er über den Begriff der Scham und setzt ihn in Beziehung zum Kapital. Siehe auch die anderen Beiträge zum Existenzialismus im Audioarchiv.

Weil nur der je einzelne Mensch frei sein kann, nicht aber etwas ihn, d.h. seinen individuellen Leib Überschreitendes, darum, so lautet Sartres logisch unwiderlegbares Urteil, kann keinem äußeren Objekt die Fähigkeit, autonome Entscheidungen zu fällen, zugesprochen werden. Wenn ein Subjekt einem ihm Äußeren – sei‘s Gott, der Natur oder dem Staat, dem Kapital, dem Schönen oder gar dem Glück –, derart Autonomie zuschreibt, belügt es sich, um die Angst vor der Freiheit zu beherrschen und sich für seine Taten nicht verantwortlich fühlen zu müssen. Wenn man Adornos Ästhetik dieser Subjektbestimmung konfrontiert, läßt sich jedoch zeigen, daß, so sehr Sartre logisch im Recht sein mag, die Kritik im Grunde darauf zielen muß, genau jenes für Sartre Unmögliche dennoch zur Darstellung zu bringen: um die Verkehrungen erkennen zu können, dank derer das Kapital als automatisches Subjekt, als Souverän, agieren kann. Diese Kritik muß zum einen erkennen lassen, daß jede Form geschichtlich geworden, das heißt “sedimentierter Inhalt” ist; in diesem Erkenntnisinteresse gibt es zwischen Adorno und Sartre keine Differenz. Als derart Erkanntes schlägt sie zum anderen aber auch auf jede Logik, somit auch die Sartres, zurück: sie relativiert sie dahingehend, daß auch die Freiheit in eine Objektivität, in eine – bewußt gewählte – Form eingebettet werden muß; wenn auch in eine, die es, im Gegensatz zur Autonomie des Kapitals, verhindert, daß sie sich gegen sich selbst wendet. Aus der Konfrontation Adornos mit Sartre ergeben sich jedenfalls Subjekt­bestimmungen und Urteile über die Negativität der Gesellschaft, die, ungeachtet aller Differenzen im Grundsätzlichen, überraschende Gemeinsamkeiten zwischen diesen Protagonisten der individuellen Freiheit beziehungsweise des Nichtidentischen erkennen lassen. – Es spricht Manfred Dahlmann (ISF Freiburg), der u.a. für die Zeitschriften “Prodomo”, “Jungle World” und “Bahamas” schreibt (siehe: hier). [via]

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Weitere Mitschnitte aus dem Jour-Fixe-Programm der ISF gibt es direkt auf dem AArchiv-Server – die dazugehörigen Ankündigungstexte gibt es jeweils hier. Dahlmanns Buch über die Existenzphilosophie wird in Kürze im ça-ira-Verlag erscheinen – zur Vorschau.

Was Tun?

Zum Verhältnis von Theorie und Praxis

Unter diesem Titel hat die Gruppe Kritische Intervention aus Halle im letzten Jahr eine sehr interessante Veranstaltungsreihe (siehe auch Text zur Reihe) organisiert, deren Vorträge wir im Folgenden als Audio-Dateien dokumentieren:

1. Birte Hewera, Engagement und Desengagement. Jean-Paul Sartre – Michel Foucault – Jean Améry

Birte Hewera (Berlin) zeichnet Jean Amerys Weg zu dessen Kritik des Strukturalismus nach und legt hierbei einen Fokus auf seine spezifische Auseinandersetzung mit dem Existenzialismus, die von Amerys Erfahrung der Verfolgung und Folterung durch die Nazis geprägt ist. Dabei erhält man einen Überblick über Leben und Werk Amerys und dessen Auseinandersetzung mit dem intellektuellen Leben in Frankreich und dem politischen Geschehen im Nachkriegsdeutschland. Zuletzt spricht sie über Amerys Begriffe von Gewalt und Gegengewalt, sowie seine Position zum Staat Israel und seine Kritik des Antizionismus (siehe seinen Text »Der ehrbare Antisemitismus«).

Jean Améry wurde im April 1945 von den Engländern aus Bergen-Belsen befreit. Nach zwei Jahren in verschiedenen Konzentrationslagern, darunter Auschwitz, stieß der Anhänger des Wiener Neopositivismus nun auf die Philosophie Jean-Paul Sartres. In Auschwitz hatte Amérys Bezug zum Neopositivismus einen Bruch erfahren, da sich in diesem Denken die erlittene Wirklichkeit von Folter und KZ nicht wiederfinden ließ. Erst der Sartre’sche Existentialismus gab Améry die Möglichkeit, dieses Erlittene zu arti­kulieren, sein eigenes Handeln als moralisch zu bekräftigen, die Täter zu verurteilen und für sich selbst eine Zukunft jenseits des von den Nazis über ihn verhäng­ten Urteils überhaupt zu denken. Die „Tendenzwende“ – das Aufkommen des französischen Strukturalismus – stellte diese Errungenschaft jedoch wieder in Frage. Améry kritisierte den Strukturalismus, dem er Michel Foucault entgegen dessen Selbstbeschreibung ausdrücklich zuordnete, bereits sehr früh, lange schon, bevor dieser in Deutschland populär wurde. Er bezeichnete den Strukturalismus als „Philosophie jenseits des Menschen“, da der leibliche und leidende Mensch hier keinen Platz hatte, das Handeln als Akt freier Wahl negiert, sowie überhaupt von jeglicher Erfahrung abstrahiert wurde. Schließlich ist es konstitutiv für das Denken Amérys, dass die gelebte Erfahrung – das „vécu“, den unhintergeh­baren Referenzpunkt jeglicher Reflexion bildet. So polemisierte Améry auch gegen alle diejenigen, die die existenzielle Bedeutung des Staates Israels nicht sehen wollten. Denn das Bestehen dieses Staates, so Améry, sei nur vor dem Hintergrund der Katastrophe Auschwitz und der darin enthaltenen Möglichkeit eines zweiten Auschwitz zu sehen. Améry hatte sich selbst immer als der Linken zugehörig betrachtet. Die Ignoranz gegenüber der andauernden Bedrohung Israels und der zunehmende und nur schlecht als „Antizionismus“ verhüllte Antisemitismus ausgerechnet innerhalb der Linken ließen ihn jedoch schließlich an dieser Linken verzweifeln. Die Bezeichnung der arabischen Gewaltregime als progressiv, Israels hingegen als reaktionär, verweise auf eine „totale Verwirrung der Begriffe“, auf den „definitiven Verlust moralisch-politischer Maßstäbe“. Am Israel-Palästina-Konflikt schließlich habe die Linke sich neu zu definieren, insofern sie sich nicht selbst aufgeben und die Maßstäbe der Gerechtigkeit für den „Fetisch Revolution“ opfern will. [via]

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2. Lars Quadfasel, Die Abgründe der Autonomie. Zur Kritik von Freiheit und Subjektivität

Wenn man Freiheit materialistisch nicht als den schroffen Gegensatz zur Notwendigkeit definiert und folglich der Entwurf einer zukünftig freien Menschheit seine materielle Bedingung in der Gegenwart finden muss, die im kritischen Sinne jedoch als unfrei zu diffamieren ist, findet man sich begrifflich in einer Aporie, die nur durch Praxis aufzulösen ist. Über einen materialistischen Begriff von Freiheit, der keine wirkliche Freiheit gegen eine vermeintlich falsche ins Feld führen kann, referiert Lars Quadfasel (Hamburger Studienbibliothek).

Freiheit, Selbstbestimmung, Autonomie sind Parolen, ohne die bislang noch keine widerständige Bewegung ausgekommen wäre. Sie sind aber zugleich die Parolen, unter denen der Sozialstaat demontiert und die Individuen in die »Eigenverantwortung« entlassen werden, selbst dafür zu sorgen, wie sie mit Krankheit, Alter und Armut fertig werden. Die Freiheitsemphase der bürgerlichen Gesellschaft wusste schon Marx mit dem Verweis auf die ›doppelt freien Lohnarbeiter‹ zurechtzurücken: »Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei im Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andererseits andere Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.«

Unter manch hartgesottenen Marxisten gilt es daher als Ausweis besonderer Radikalität, den Begriff der Freiheit als bloße Herrschaftsideologie zu denunzieren. Dagegen spricht freilich, dass er auch unter den Bürgern kaum mehr den besten Klang genießt. Dass Selbstbestimmung und Autonomie Illusionen seien, die vor den Sachzwängen des Marktes nicht bestehen können und auf die man angesichts der neuesten Ergebnisse der Gehirnforschung ohnehin besser verzichtet, gehört in den gebildeten Kreisen längst zum common sense, und eher peinlich berührt wird der Anachronismus zur Kenntnis genommen, der iranische Aufständische für die Freiheit ihr Leben aufs Spiel setzen lässt.

Das widersprüchliche Verhältnis ist kein Zufall, sondern gehört zur Sache selbst. Jede positive Behauptung über die Freiheit oder Unfreiheit der Menschen schlägt schnurstracks in ihr Gegenteil um. Die, welche die Determiniertheit aller menschlichen Handlungen, ob durch eherne geschichtliche Gesetze oder durch Synapsenverschaltungen im Gehirn, propagieren, wollen dadurch ja andere dazu bewegen, dieser Einsicht zu folgen – während wiederum ihre Kontrahenten, die auf der Autonomie des Einzelnen beharren, Freiheit auf eine Art mystischen Indeterminismus reduzieren, auf eine Willkür also, die von Zufall, Inbegriff des Heteronomen, nicht mehr zu unterscheiden ist. Freiheit als Propagandaformel war noch stets für jede repressive Konsequenz, die Legitimation göttlichen oder staatlichen Strafens gut, und bringt selbst im besten Fall kaum mehr hervor als die beruhigende Gewissheit, dass, egal wie zwanghaft die Verhältnisse auch sein mögen, es etwas Unantastbares im Inneren der Menschen gäbe. Und doch beruht auch und gerade der Materialismus, der die Praxis der Einzelnen auf den gesellschaftlich vermittelten Naturzwang zurückführt, auf der – nicht anders als metaphysisch zu nennenden – Überzeugung, dass die Menschen auch anders handeln könnten, als sie es hier und jetzt tun.

Was der Materialismus als menschliches Potential voraussetzt, muss ihn jedoch zugleich verzweifeln lassen: warum die Menschheit, wenn sie es doch besser könnte, nichts besseres zustande gebracht hat als diese unendlich blutige, unendlich barbarische, unendlich deprimierende Geschichte. Die zentrale Aporie jeder Revolutionstheorie ist, dass alles, was an Möglichkeiten für die Menschheit spricht, sie zugleich, als bislang ungenutzte, verdammt. Um diese Aporie, die nur umso drückender wird, desto fortgeschrittener die Produktivkräfte entwickelt sind und desto unentschuldbarer also die ausgeschlagenen Chancen auf der Menschheit – und damit auch auf jedem Einzelnen – lasten, soll es auf dieser Veranstaltung gehen. [via]

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3. Axel Berger, Marxistisches Terrain? Die Linke nach der kapitalistischen »Lösung« der Agrarfrage

Axel Berger (u.a. Kosmoprolet) diskutiert in seinem Vortrag ein für die gegenwärtigen linken Theorie-Debatten m.E. eher ungewöhnliches Thema: inwiefern die Agrarrevolution eine wesentliche Bedingung für die Herausbildung der sozialistischen Bewegung gewesen ist. Anhand der Agrarfrage rekonstruiert er (eher implizit) einige Aspekte der Selbstkritik der ArbeiterInnenbewegung in der Theorie des Rätekommunismus, spricht aber auch darüber, was Agrarfrage, grüne Revolution und Land-Grabbing für die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus bedeuten.

Walden Bello, Träger des Alternativen Nobelpreises und einer der wichtigsten Theoretiker der globalisierungskritischen Bewegung, hat zuletzt deprimiert eingestanden, das gegenwärtig überall, insbesondere in der sogenannten Dritten Welt zu beobachtende „land grabbing“ der großen Konzerne und Staatsfonds stelle „die letzte Etappe der Verdrängung der bäuerlichen durch die kapitalistische Landwirtschaft“ dar. Die Folgen sind barbarisch, wie in allen anderen Phasen dieses über Jahrhunderte währenden Prozesses, und sie haben Methode. Denn die Agrarrevolution bildet, zumindest nach Marx, die Grundlage des Kapitalismus. Seit den Zeiten der ursprünglichen Akkumulationen und seitdem in jedem Zyklus immer aufs Neue proletarisierte die Dynamik des Kapitals Millionen ehemaliger Bauern.Marx und viele historisch-materialistische Denker betonten bei der Betrachtung dieser „reellen Subsumtion“ der Arbeit unter das Kapital stets die Dialektik von Barbarei und Emanzipation. Der „Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft“ durch die kapitalistischen Agrarrevolutionen setzte vor allem Marx die Hoffnung entgegen, dass der Kapitalismus damit sowohl in materieller Hinsicht als auch revolutionstheoretisch durch die Bildung des Proletariats als Klasse an und für sich die Voraussetzungen einer klassenlosen Gesellschaft überhaupt erst schaffen würde. Der Stand der Revolutionierung der Verhältnisse auf dem Land stellt dementsprechend nicht nur einen Gradmesser für die Durchsetzung des Kapitalismus dar, sondern gab auch das Terrain vor, auf dem sich die revolutionäre Linke seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu bewegen hatte.Die Tragik bestand darin, dass sich schließlich die Sozialisten selbst des Themas anzunehmen hatten, dessen Lösung man eigentlich von der Entwicklung des Kapitalismus „naturwüchsig“ erwartet hatte: Der Transformation agrarischer Gesellschaften in moderne industriell-kapitalistische Klassengesellschaften mit den Polen von Bourgeoisie und Proletariat. Im Ergebnis fielen revolutionäre Strategie und kommunistische Kritik in den Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts stets auseinander, da die bürgerliche Umwälzung integraler Bestandteil der historischen Arbeiterbewegungen und des Marxismus wurde und – wenn die Revolution auf die Tagesordnung gesetzt werden sollte – auch werden musste. Im Zentrum aller Überlegungen stand dementsprechend die revolutionäre Bemächtigung des staatlichen Regimes zur Durchsetzung der Agrarrevolution, während ihr Ausgangspunkt oftmals die Revolte der Bauern darstellte.Ist in der sogenannten Dritten Welt die „Agrarfrage“ nun endgültig gelöst? Welchen Einfluss hat der weitgehende Abschluss der Agrarrevolution – weniger im Sinne einer Proletarisierung denn als permanente Ausdehnung einer „Überschussbevölkerung“? Wird etwa der Kommunismus als „wirkliche Bewegung“ (Marx) zur Aufhebung des Staates und der Klassengesellschaft nun von seinem etatistischen Erbe befreit? Diese Fragen sollen auf der Veranstaltung erörtert und diskutiert werden. [via]

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4. Hannes Bode, Negation und Utopie. Überlegungen zur Realgeschichte der Aufklärung und der Ideologie der Menschenrechte

Hannes Bode (u.a. Jungle World) rekonstruiert in seinem Vortrag, wie die Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft und der Aufklärung an die Sklaverei in den Kolonien gekoppelt war (vgl. Hegel und Haiti) und dechiffriert davon ausgehend die aufklärerischen Ideale »Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte« als Verschleierung realer Ungleichheit und Unfreiheit. In seiner skizzenartigen Aufklärungskritik berührt er zahlreiche Aspekte bürgerlicher Inbezugnahme, u.a. die Bedingungen bürgerlicher Öffentlichkeit und politischen Interessenausgleichs. Neben mehreren literarischen Beispielen (Franz Fühmann, Christa Wolf, Günter Kunert, Heiner Müller) bezieht er sich auch auf die beiden Kant-Texte von Daniel Späth in den Ausgaben 8 und 9 der Zeitschrift Exit!. Bodes Handout mit Zitaten könnt hier beziehen.

Aufklärung erscheint in den heutigen Debatten entweder als europäisches Erbe, als Ursprung der nun endlich umgesetzten bürgerlichen Demokratie, oder als überholtes eurozentrisches Modell, das in Zeiten postmoderner Pluralität ausgedient hat. Vertreter der ersten Darstellungsweise dozieren idealistisch die Ideengeschichte der großen Aufklärer, insbesondere die Geschichte der Idee der Menschenrechte, und ignorieren die Realgeschichte der Aufklärung, die Freiheit als Unfreiheit, den Wohlstand der Bürger aus Sklaverei und Ausbeutung erschuf. Das negative Potential, die „Dialektik der Aufklärung“, den Zivilisationsbruch der Moderne verstecken sie in belesenen Fußnoten, um nicht radikal reflektieren zu müssen.

Auch die an zweiter Stelle Genannten fordern keine Reflektion, sie diffamieren vielmehr nicht nur alle Ideen der Aufklärung, sondern auch Idee und Wahrheitsanspruch. Die Berücksichtigung der schlechten Realgeschichte der Aufklärung ermöglicht aber einen emanzipatorischen Bezug auf Ideen der Aufklärung, etwa auf die Idee der Menschenrechte, die als noch nie verwirklichte eben Basis aller Kritik der gegenwärtigen Verhältnisse sein könnten.

Ein materialistischer Blick zeigt den unmittelbaren Zusammenhang von Sklaverei, Kolonisation, Akkumulation und bürgerlicher Aufklärung. Die Formulierung der Menschenrechte fällt zusammen mit dem Beginn des kapitalistischen Zusammenwachsens und Auseinandertretens der Kontinente. Bürgerliche Ideologie spricht von den Menschenrechten, während nur der besitzende Bürger auf der Welt Mensch ist. Der Versuch, diese Verhältnisse zu verstehen und zu kritisieren, kann auch auf die in Fragen nach Theorie und Praxis oft vernachlässigte Literatur zurückgreifen. Sie soll im Vortrag zu Wort kommen. In den Werken von Heiner Müller, Franz Fühmann, Christa Wolf und anderen wird die Frage nach Befreiung und damit nach Freiheit und Menschenrecht immer wieder gestellt – negativ beantwortet vor dem Hintergrund nie aufgegebener Utopie, der Hoffnung auf Erlösung, wie sie Walter Benjamin in seinen Geschichtsthesen formulierte. Sie verweisen uns auf die zentrale Bedeutung von Empathie – ohne sie versagen Kritik und Praxis. [via]

    Download via AArchiv | via MF | via FRN; Handout mit Zitaten (PDF)

Von Wahrheit und Politik

Die folgende Zusammenstellung enthält Originalaufnahmen von Hannah Arendt aus den 50er und 60er Jahren – ein Interview, Reden und Vorträge. Es wäre sinnvoll, wenn die einzelnen Files auch noch auf anderen Fileservern hochgeladen werden (bitte als Kommentar posten). Die angegebene Größe betrifft die entpackten Dateien.

1. Im Gespräch (Interview mit Günter Gaus): Download (31,3 MB)

2. Natur und Geschichte (Vortrag): Download (33 MB)

3. Freiheit und Politik (Vortrag): Download (26,4 MB)

4. Laudatio auf Karl Jaspers (Vortrag): Download (16,8 MB)

5. Erinnerungen an Martin Heidegger (Vortrag): Download (19,9 MB)

6. Wahrheit und Politik (Vortrag): Download (42,5 MB)

7. Reflexionen über Brecht (Vortrag): Download (34,8 MB)

Immanuel Kant und die »Aufklärung«

Nachdem so einiges zum Denken Hegels im Audioarchiv schon Platz gefunden hat, möchte ich zwei Radiobeiträge aus dem Öffentlich-Rechtlichen zum Anlass nehmen, auf Material zu Immanuel Kant im Besonderen und zur sogenannten Aufklärung im Allgemeinen aufmerksam zu machen. Leider liegen mir jedoch bisher keine (gesellschafts)kritischen Darstellungen oder dergleichen vor (für Hinweise auf solche wäre ich dankbar).

Kurze Radiobeiträge von BR RadioWissen (~0:23 h):

  • »Vernunft als Wahrheit – Die Epoche der Aufklärung«
  • »Der Weltweise aus Königsberg – Immanuel Kant im Porträt«
  • »Zweckmäßigster Irrtum – Ist Wahrheit so wahr?« – 25.07.2012

    Für den Philosophen Immanuel Kant war die objektive und zweifelsfreie Erkenntnis eines Gegenstands nicht möglich. Unsere Wahrnehmung sei eine Leistung unserer Sinnesorgane und somit Irrtümern unterworfen, objektiv könne sie nie sein. Autor: Michael Reitz

(Bildungsbürgerliche) Vorträge aus Ringvorlesungen:

  • Prof. Dr. Manfred Sommer zur »Kritik der reinen Vernunft« aus der Reihe »Philosophische Weltliteratur« der Uni Kiel (2008). (1:22 h)
    Download: Original (mp3, mono, vbr ~65 kBit/s; 39,5 MB) oder kleinere Fassung (mp3, mono, 48 kBit/s, 29,5 MB)
  • Prof. Dr. Günther Patzig: »Immanuel Kant und das kategoriale Gefängnis unserer Sinne« aus der Ringvorlesung »Bilderwelten — Vom farbigen Abglanz der Natur« der Uni Göttingen (2006/07). (58 Minuten)
    Download: Original (mp3, stereo, 128 kBit/s; 53,3 MB) oder kleinere Fassung (mp3, mono, 48 kBit/s; 20 MB)

Philosophische Brocken: Kantische Moralvorstellungen

Philosophische Audiothek: So einiges – sehet selbst!

Vom Denken – und Tauschen

Diese Sendung von Anfang 2009 befasst sich mit der frühen Aufklärung, dem Denken René Descartes‚ und dem Liberalismus. Zunächst werden die beiden Texte »Dualismus und Descartes« und »Das Charisma des Cartesianismus« von Ilse Bindseil gelesen, anschließend ein Aufsatz Martin Blumentritts: »Antinomie der Freiheit. Zur Dialektik des Liberalismus«.

Sendereihe: Sachzwang FM

Mitwirkende:
Moderation & Sprecher: Dr. Indoktrinator
AutorInnen: Ilse Bindseil, Martin Blumentritt

Links zum Beitrag: Beschreibung auf FRN

Audiocharakteristika: mp3, mono, 48 kbit/s; 2 Stunden

Download: In einem zweistündigen Stück via AArchiv oder via Mediafire oder in zwei einstündigen Teilen via Mediafire: Teil 1, Teil 2 (Gesamtgröße: 41,1 MB)

Jean Paul Sartre und seine Zeit

Kurzbeschreibung: Dieser Beitrag, etwas außer der Reihe, beschäftigt sich in Form eines Features, leider kaum theoretisch (geschweige denn kritisch), mit der Philosophie Jean Paul Sartres, gibt dafür aber einen brauchbaren Überblick über das Leben des Existenzialisten. Zu Wort kommt unter anderen seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir.

Gesamtlänge: 54 min

Audiocharakteristika: mp3, stereo, 320 kbps

Download: Teil 1, Teil 2
(Gesamtgröße 124,6 MB)