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Elemente des Poststrukturalismus und seiner Kritik

Das sicherste Erkennungsmerkmal von Poststrukturalist_innen ist ihr Insistieren darauf, dass es den Poststrukturalismus gar nicht gebe. Mit ihrer redundanten Betonung des Vielfältigen, Kontingenten, Differenten und Flüchtigen verbinden sie den Anspruch, ein vereinheitlichendes Denken zu überwinden, das im Vollzug seines Universalitäts- und Objektivitätsanspruchs dem Einzelnen Gewalt antue. Diese Stoßrichtung lässt es plausibel erscheinen, den Poststrukturalismus in die Nähe kritischer Gesellschaftstheorie zu rücken, welche ebenfalls Identitätszwang und Rationalität als Resultate wie auch als Triebfedern einer historischen Entwicklung problematisiert, die in Gestalt der Shoah die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte ermöglicht hat. Grund genug, einen weiteren1 Blick auf dieses Denken zu werfen und auf seine Eigenarten, die es trotz scheinbarer oder tatsächlicher Übereinstimmungen von kritisch-dialektischer Theorie trennen.

1. Poststrukturalismusmen: Einführung von Gesa Mayer und Christian Schütze

Die Weigerung, poststrukturalistische Theoretiker_innen als Vertreter_innen des vermeintlich homogenen Poststrukturalismus zu präsentieren, bildet auch den Ausgangspunkt von Gesa Mayer und Christian Schütze, die als Kenner_innen und Sympathisant_innen der französischen Philosophie in Hamburg eingeladen waren, die Intros-Reihe mit einer Einführung zu dieser Strömung fortzusetzen. Sie widmeten sich jeweils überblicksweise poststrukturalistischen Denkern und den jeweils möglichen politischen Anschlüsse an deren Theorien (siehe Ankündigungstext unten). Auf die stinklangweiligen Thesen zu »post-autonomen Politiken«, mit denen der Vortrag endete, folgte eine wenig zielführende Diskussion, die wie üblich ebenfalls dokumentiert ist. Wie es sich gehört, waren Adorniten anwesend, die teils lediglich identitär motiviert, teils aber auch mit durchaus treffenden Einwänden (unter ihnen Roger Behrens), Kritik am Vorgetragenen äußerten. Zu einer richtigen Auseinandersetzung z.B. über das Verhältnis von Diskursanalyse und Ideologiekritik kam es ebenso wenig wie zu einer Diskussion über die Differenz von Dialektik und Dekonstruktion. Interessant fand ich allerdings eine Wortmeldung, in der der »antideutschen« PoMo-Kritik über regelrecht peinliche Unkenntnis ihres Kritikgegenstands hinaus eine unbemerkte inhaltliche Übereinstimmung mit Habermas vorgeworfen wurde (Ausschnitt siehe unten). Was den Vortrag betrifft, ist der in ihm gegebene Überblick recht brauchbar. Zumindest bin ich mir jetzt sicher, dass eine Beschäftigung mit Deleuze/Guattari sich weit weniger lohnt als eine mit Foucault.

DEN Poststrukturalismus gibt es nicht – wohl aber diverse, z.T. sehr unterschiedliche Theorieperspektiven, die als „poststrukturalistisch“ bezeichnet werden. Bei all ihrer Heterogenität ist den meisten Poststrukturalismen gemeinsam, dass sie die wirklichkeitserschaffende Kraft der Sprache betonen und sich besonders für Brüche und Diskontinuitäten (z.B. in Geschichte, Diskursen und Subjekten) interessieren.
In unserem Vortrag möchten wir die Ansätze der einflussreichen Poststrukturalisten* Michel Foucault, Jacques Derrida und Gilles Deleuze/Félix Guattari vorstellen und aufzeigen, welche Anknüpfungspunkte und Potenziale sie für linke Politiken bieten:

  • Welche Perspektiven eröffnet Foucaults kritische Analytik der Produktivität von Macht-Wissen im Vergleich zu Ideologiekritik und Repressionshypothesen? Wozu dient eine Lokalisierung von Techniken der (Selbst-)Regierung auch jenseits von staatlicher Herrschaft?
  • Wie lässt sich eine Subversion hierarchischer Gegensätze wie Männlich-Weiblich, Hetero-Homo, Gesund-Krank mit Derridas Konzept der Dekonstruktion betreiben? Welchen Beitrag leistet sein Begriff der Iterabilität zur Bestimmung der Möglichkeiten von (Un-)Doing Gender und aneignender Resignifizierung diskriminierender Sprache?
  • Wie kommt Deleuzes und Guattaris Theorie der De- und Re-Territorialisierung in post-operaistischen Konzepten wie denen der Multitude und des Empire zum Tragen? Welche Rolle spielt ihr Begriff des Begehrens für die Erfindung neuer Formen der Vernetzung und der Dissidenz?
  • Und: Was sind post-autonome Politiken?

Gesa Mayer promoviert in Soziologie an der Universität Hamburg zur Wirkungsmächtigkeit und Dekonstruktion der Monogamie-Norm.
Christian Schütze promoviert in Philosophie an der Freien Universität Berlin zur aneignenden Resignifizierung diskriminierender Sprache.

Hamburg, 7. Februar 2013.

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2. Roger Behrens mit einigen Bemerkungen zur poststrukturalistischen Theoriemode am Beispiel von Gilles Deleuze

In der Ausgabe der Freibaduniversität vom August 2007 geht Roger Behrens u.a. dem Umstand nach, dass Deleuze und andere Poststrukturalisten, bei denen der Begriff des Subjekts (und sei es als dekonstruierter) ja durchaus zentral ist, hinter die klassischen Subjekt-Philosophien von Kant, Hegel, Marx auf die rationalistisch-mechanistische Philosophie der Barockzeit (Spinoza, Leibniz) zurückgehen. Nach einigen Exkursen u.a. in die Musik diagnostiziert er Deleuze Idealismus, Geschichtslosigkeit und eine Ontologie der Differenz.

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3. La douce France? Birte Hewera über Jean Amérys zweite geistige Heimat zwischen Revolution und ewigem Stillstand

Birte Hewera geht in ihrem, der Thematik nach keineswegs neuen2, Vortrag der Strukturalismuskritik Jean Amérys nach, in ein paar Punkten aber auch über diese hinaus, indem sie Zitate anderer Kritiker des (Post-)Strukturalismus einarbeitet (z. B. François Dosse, Manfred Frank, Alfred Schmidt). Im Mittelpunkt steht, neben Lévi-Strauss, Foucault, der, Améry folgend, dem Strukturalismus zugeschlagen wird. Die von Améry geltend gemachte Gegenposition, der Sartresche Existentialsmus, mag als konterfaktische Restitution des bürgerlichen Humanismus, zumal nach der Liquidation des Individuums, fragwürdig sein. Einige seiner Aspekte, etwa der Anspruch, die – in letzter Instanz auch immer leibliche – (Leidens-)Erfahrung der Einzelnen in die Gesellschaftskritik vermittelnd aufzunehmen, erscheinen mir jedoch kompatibel mit einer kritischen Theorie im Anschluss an Adorno. Darüber hinaus formuliert Hewera eine interessante, wenn auch knappe, Kritik an Foucaults Diskursanlyse, welche zwar als Historisierung von Wissensformen auftritt, aber keinen Begriff von Geschichte mitbringt, der eine Ableitung und damit eine Erklärung der verschiedenen »Episteme« und ihres Übergangs ineinander ermöglichen würde.

1966 prognostiziert Michel Foucault, „daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“. Dass dieser Satz keine Empörung erregt, sondern von einer breiten Anhängerschaft geteilt wird, zeigt, dass sich die von Améry befürchtete Tendenzwende in Frankreich – und nicht nur dort – vollzogen hat: nämlich die Ablösung Sartres, der seit der Nachkriegszeit die intellektuelle Szene Frankreichs geprägt hatte, durch den Strukturalismus. Diese historische Entwicklung, sowie die inhaltliche Bestimmung des Strukturalismus gilt es nachzuvollziehen. Die Bedeutung Jean Amérys ist in diesem Kontext kaum zu überschätzen: Améry ist einer der ersten, die sich in deutscher Sprache einer Kritik am Strukturalismus widmen, lange bevor dieser in Deutschland überhaupt zu großer Bedeutung gelangt. Seine Kritik holt zurück, was der Strukturalismus verleugnet, nämlich die prekäre Leiblichkeit des Menschen. Nicht zuletzt gilt es zu fragen, warum gerade die Linke den Strukturalismus, der doch dem Individuum keinen nennenswerten Platz mehr beimisst, aufgreift und vorantreibt.

Mitschnitt vom 29. Januar 2013 in der Reihe „Philosophische Gespräche“.
Eine Veranstaltung des Helle Panke e. V. in Kooperation mit dem Institut für Sozialtheorie Bochum e. V.

Birte Hewera ist Mitarbeiterin an der Arbeitsstelle Kommunikationsgeschichte/Medienkulturen an der FU Berlin und arbeitet an einem Promotionsprojekt zu Jean Améry. [via]

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  1. Siehe z. B. die Beiträge zur feministischen Kritik am Poststrukturalismus, zum The­men­kom­plex Post­mo­der­ne, Se­xua­li­tät, Kör­per sowie Roswitha Scholz‘ These vom Abstraktionstabu im poststrukturalistisch dominierten Feminismus heute. »Antideutsche« Kritiken postmodernen Denkens finden sich in Beiträgen von Manfred Dahlmann und Alex Gruber.
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  2. Vgl. ihre Vortragsmitschnitte aus Halle und Berlin. [zurück]

Roger Behrens: Versuche einer kritischen Radiopraxis

Er hielt Rundfunkvorträge, nahm an Gesprächsrunden1 teil, diskutierte im Fernsehen über Fragen der kritischen Theorie, bediente sich des Rundfunks, um im Sinne der Erziehung zur Mündigkeit mit politisch – philosophischen Beiträgen Aufklärung zu leisten: Theodor W. Adorno. Michael Schwarz, Mitarbeiter im Adorno-Archiv, hat allein 114 Rundfunkgespräche gezählt, bei denen sich Adorno vor das Mikrophon setzte. Noch höher ist die Zahl der ausgestrahlten Vorträge im Radio. Durch die Partizipation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprach er sich seinen Teil zur Entbarbarisierung beizutragen; das Radio als Kommunikationsapparat zu nutzen, statt es wie in der Kulturindustrie zum Volksempfänger zu funktionalisieren.
Das (öffentlich-rechtliche) Radio, das hilft nicht zu verkümmern, ist heute Illusion: Rundfunkanstalten sind vernarrt in die Idee, dass Hörfunk eine Art überall erreichbaren Services sei. Die Konsequenz ist das kleinste zumutbare gemeinsame Vielfache: Musik, die durch den Alltag dudelt und – quasi zusätzlich- Informationen über das Wetter, den Verkehr und das tagesaktuelle Geschehen – möglichst gut und schnell verdaulich. Nicht verwunderlich daher, dass Akteure, die sich in der Tradition der Kritischen Theorie sehen, sehr selten in solchen Formaten zu Wort kommen. Die Wenigen, die dennoch zu hören sind, sind zumeist auf die limitierten Möglichkeiten freier Radios angewiesen. Ein Beispiel liefert Roger Behrens Sendung Freibaduniversität (im Winter Hallenbaduniversität genannt), die er für das Freie Senderkombinat Hamburg und Radio Corax produziert. Einige Sendungen der letzten Monate dokumentieren wir im Folgenden.
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Konterrevolution & Revolte

In der letzten Ausgabe der Freibaduniversität sendete Roger Behrens einen Vortrag über »Aufstände, Wutbürger und den Wunsch, dass irgendwas bleibt«, den er im April 2011 in Kiel gehalten hat. Er skizziert darin zunächst die kulturellen Umbrüche in den 60er/70er Jahren (»postindustrielle« Produktion, postmodernes Wissen, Pluralisierung von Sinn, Individualisierung der Kultur, Kulturalisierung gesellschaftlicher Phänomene), um daran anschließend dann den »Wutbürger« als autoritären/konformen Charakter zu beschreiben. Skizzenhaft referiert er über das Verhältnis des Wutbürgers zum Staat, über den Wegfall verbindlicher politischer Positionen in der Protestbewegung und die moralischen Finessen der gegenwärtigen öffentlichen Debatten.

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Das Jahrzehnt der Gleichgültigkeit

Nichts ging mehr in den Nuller Jahren. Statt die Welt zu verändern, sind wir auf ihre Interpretation zurückgeworfen.

Roger Behrens verliest in der letzten Ausgabe der Hallenbaduniversität eine längere Version seines Artikels „Das Jahrzehnt der Gleichgültigkeit„, der in der letzten Jungle World erschienen ist und gibt darin einen pessimistisch-realistischen Rückblick auf das letzte Jahrzehnt. Er konstatiert darin, dass die „Nuller Jahre“ gewissermaßen als eine farce-mäßige Wiederholung der 20er Jahre erscheinen, in der Geschichte zunehmend zu einer kulturellen Endlosschleife wird.

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