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Beiträge zum Rätekommunismus

Wir dokumentieren hier zwei Vorträge, die die Geschichte des Rätekommunismus bzw. Linkskommunismus (vor allem im deutschsprachigen Raum) zum Gegenstand hatten.

1.) Ein Bürgerkrieg in Deutschland – Zu Theorie und Praxis des antiautoritären Kommunismus 1914 – 1923

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ hat Seb Bronsky am 19.06.2014 in Erfurt einen Vortrag über den Rätekommunismus in Deutschland gehalten. Anhand einer kenntnisreichen Schilderung der Klassenkämpfe zwischen 1914 und 1923 (Novemberrevolution, Spartakusaufstand, Ruhrkämpfe, mitteldeutsche Märzkämpfe) entwickelt er die Geschichte, Debatten und Spaltungen des linken Kommunismus: Spartakusbund und KPD, KAPD, AAU, AAU-E, Rote Kämpfer und KAU. Neben den Organisations- und Strategiedebatten, die sich u.a. um die Stellung zum Parlament und zu den Gewerkschaften drehten, schildert er skizzenartig auch das Verhältnis der Linkskommunisten zu Lenin und dem Bolschewismus. Er schließt mit einigen zusammenfassenden Thesen, die auch auf Fehler und Schwachstellen der Linkskommunisten hinweisen.

Texte, auf die Bronsky im Vortrag u.a. hingewiesen hat: Hans Martin Bock – Syndikalismus und Linkskommunismus 1918-1923 | Bernhard Reichenbach – Zur Geschichte der K(ommunistischen) A(rbeiter)-P(artei) D(eutschlands) | Otto Rühle – Von der bürgerlichen zur proletarischen Revolution (PDF) — Der Mitschnitt eines weitestgehend identischen Vortrags, den Seb Bronsky in der Translib gehalten hat, kann (jedoch in etwas schlechterer Tonqualität) bei Youtube angehört werden.

»Andere mögen ihr: ›Nur nicht zu viel! Nur nicht zu früh!‹ plärren. Wir werden bei unserem: ›Nur nicht zu wenig! Nur nicht zu spät!‹ beharren.« [Karl Liebknecht, Die Frage des Tages, geschrieben im Knast 1918]

Die russische Oktober-Revolution, die Bolschewiki, allen voran Lenin wurden von den deutschen Kommunisten bewundert, begeistert waren auch die antiautoritären Kommunisten von dem Maximalismus, der nicht nur den 1. Weltkrieg beenden, sondern ihn in einen Bürgerkrieg umwandeln wollte; es schien, mit der sozialistischen Weltrevolution würde endlich ernst gemacht. Zwei, spätestens drei Jahre später war von dieser Bewunderung nicht mehr viel übrig, Bolschewiki und deutsch-holländischer Rätekommunismus waren auseinandergegangen. Lenin warf den Antiautoritären unter den Kommunisten vor, sie wären eine utopistische Kinderkrankheit des Kommunismus, die Antiautoritären sahen in Sowjetrußland nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die staatskapitalistische Despotie der bolschewistischen Partei.

Der Vortrag möchte auf drei Ebenen vorgehen: Erstens soll an die wirkliche Bewegung in Deutschland erinnert werden, das heißt nicht nur an die proletarischen Kämpfe gegen den Weltkrieg und die November-Revolution, sondern mehr noch an den heute weitgehend vergessenen, anschließenden Bürgerkrieg. Zweitens an die revolutionären Organisationen: vom Spartakusbund und den Internationalen Kommunisten Deutschlands zur Kommunisten Partei und deren erster Spaltung; von der Kommunistischen Arbeiter-Partei und der Allgemeinen Arbeiter Union, die erst nach tausenden zählten und von denen 1923 nur noch heillos zerstrittene Grüppchen übrig waren. Drittens soll die aus diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen hervorgegangene Gesellschaftskritik, das was man heute Links- oder Rätekommunismus nennt, vorgestellt werden, ihre historischen Verdienste wie auch ihre Schwächen und Fehler. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 102 MB; 1:52:10 h)

2.) Die Revolution war für mich ein großes Abenteuer

2013 ist im Unrast-Verlag ein Buch über den Rätekommunisten Paul Mattick erschienen. Den Hauptteil des Buches bildet ein Interview, das der Politologe Michael Buckmiller 1976 in Vermont mit Mattick geführt hat. Im Anhang befinden sich zwei literarische Texte Matticks, eine kommentierte Bibliografie zum Stichwort Rätekommunismus und ein ausführliches Nachwort Michael Buckmillers, der die Figur des Arbeiterintellektuellen anhand von bis dato noch nie publizierten Briefen Matticks darstellt. Im März dieses Jahres war einer der Mitherausgeber des Buches, Christoph Plutte, in Bremen zu Gast und hat das Buch vorgestellt. Plutte liest einige Passagen aus dem Gespräch mit Paul Mattick vor (es sind auch einige O-Töne aus dem Interview zu hören) und führt diese jeweils kommentierend ein. Es geht um diverse Aktionen in der Jugend Matticks, um Rätekommunismus, KAPD und AAU-E, literarische Aktivitäten Matticks, einen Streik in Köln, das Exil in den USA, die Arbeitslosenbewegung in Chicago, die Krisentheorie Matticks und um Matticks Umgang mit Marx.

Paul Mattick (1904-1981) ist vielleicht der exemplarische Arbeiterrevolutionär und Intellektuelle: Seine furiose Abrechnung mit John Maynard Keynes, seine Kritik an Herbert Marcuse, die dieser übrigens als einzig taugliche Kritik von links akzeptierte, seine sprichwörtliche Marx-Orthodoxie, mit der er den tendenziellen Fall der Profitrate gegen allerlei »Modernisierer« verteidigte, machten den Deutsch-Amerikaner in den 60er und 70er Jahre zu einer Art kommunistischem Gewissen und Stichwortgeber der antiautoritären Revolte.

Fundiert war sein sympathisch halsstarriges radikales Denken in einer aufregenden Lebensgeschichte, von der man sich damals wie von einer Legende erzählte: Der Schulabbrecher und Autodiktat aus prekären proletarischen Verhältnissen war in der Weimarer Republik in der anti-parlamentarischen marxistischen KAPD organisiert, schlug sich als Schlosser, Tagelöhner und Wanderagitator durch, war durchdrungen von der revolutionären Stimmung jener Tage. 1926 wanderte er aus Abenteuerlust in die USA aus, re-organisierte in Chicago die Wobblies, engagierte sich in der Arbeitslosenbewegung der Grossen Depression, tauchte später in die New Yorker Boheme ein und verfocht in selbstverlegten Kleinstpublikationen einen antiautoritären Kommunismus.

Mattick hat um diese Biographie kein Aufheben gemacht, Heldengeschichten waren ihm zuwider. Aber er gab trotzdem Auskunft: 1976 führte der Hannoveraner Politologe Michael Buckmiller ein langes autobiographisches Interview mit ihm. Das Interview wurde bis dato nie publiziert, nur einzelne Informationen daraus kursierten, Jahrzehnte war es unter Verschluss, erst vor kurzem haben es die Berliner Herausgeber ausgegraben – und das Recht auf eine Veröffentlichung durchsetzen können. Das Interview übertrifft tatsächlich die Erwartungen: Es ist ein lebenssatter Bericht, in dem uns Mattick als ebenso lakonischer wie unabhängiger Kommunist, dem alle Parteischablonen und alles friedfertig sich beschränkende Denken zuwider waren, begegnet.

Der Herausgeber wird kurz in Leben und Werk von Paul Mattick einführen und Passagen aus diesem Lebensbericht lesen – kombiniert mit literarischen Texten Matticks, in denen er etwa die Klassenkriege, die in den 20er Jahren in den USA tobten, verarbeitete. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 51.5 MB; 1:15:03 h)

Die Freiburger Gruppe La Banda Vaga hat einen Text veröffentlicht, in dem sie einige Aspekte des Rätekommunismus und einige Kritikpunkte an ihm zusammengefasst hat.

Zum Begriff der Natur in der materialistischen Gesellschaftskritik

Wir dokumentieren hier zwei sehr unterschiedliche Vorträge, die sich aus einer Perspektive materialistischer Gesellschaftskritik mit dem Begriff der Natur beschäftigen.

1. Materialistische Naturbegriffe und Kritik herrschender Naturvorstellungen

Kann die Kritik an den herrschenden Vorstellungen von Natur und den Naturwissenschaften politisiert und zum Aktionsfeld emanzipatorischer Kritik gemacht werden?

Im Vortrag von Christoph Plutte geht es um Naturbegriffe und -philosophien, wie sie von den französischen Materialisten der (Vor-)Revolutionszeit, Friedrich Engels (Dialektik der Natur) und Anton Pannekoek entworfen worden sind. Einigen Raum nimmt dabei die Diskussion des Verhältnisses von Zufall und Notwendigkeit ein. Auffällig und m.E. problematisch ist, dass Plutte offenbar einen positiv bestimmten Naturbegriff sucht, statt die Kritik der Naturbeherrschung als destruktiver gesellschaftlicher Praxis in seine Überlegungen einzubeziehen.

Der Vortrag wurde am 29. März 2012 von der Linksorientierten Studierendeninitiative Münster veranstaltet.

Ankündigungstext, Referenteninfo & Literaturhinweis:

In jeder historischen Epoche werden bestimmte Vorstellungen von Natur ausgebildet, in denen sich die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse vielfach widerspiegeln. Die Naturvorstellungen des Mittelalters wurden von der Kirche sanktioniert und überwacht, die die gesellschaftliche und ständische Ordnung in der himmlischen und natürlichen Ordnung zu verdoppeln suchte. Daher bekämpfte die Kirche vehement alle Versuche, das starre Bild der von Gott geschaffenen Natur aufzuweichen.

Unter ihren zahlreichen Gegner*innen haben insbesondere die Materialist*innen im Vorfeld der französischen Revolution die Naturphilosophie dazu benutzt, am Gegenstand von Natur und Mensch, Seele und Körper und in naturphilosophischen Begriffen über die Gesellschaft zu sprechen, revolutionäre Gedanken zu entwickeln und den Sturz des Königs zu fordern.

Seitdem hat sich viel verändert und die Naturanschauung unterliegt keiner Zensur von Staat und Kirche mehr und auch die politische Herrschaft stützt sich nicht mehr auf unhinterfragbare Wahrheiten, sondern eher auf ein konfuses Durcheinander von Meinungen. Nicht mehr der Zweifel an „ewigen Wahrheiten“ ist ein Skandal, sondern die selbstbewusste Behauptung, wahre Aussagen über die Ursachen der gesellschaftlichen Misere treffen zu können.

Im Vortrag sollen unter anderem die Versuche Friedrich Engels beleuchtet werden, einen dialektisch-materialistischen Begriff von Natur zu entwickeln. Wenn von linker und emanzipatorischer Seite naturwissenschaftliche Anschauungen und Theorien kritisiert werden, dann bezieht sich diese Kritik häufig auf Naturwissenschaftler*innen, die naturwissenschaftliche Theorien auf soziale Phänomene übertragen wie z.B. beim Sozialdarwinismus oder gegenwärtig bei Hirnforschern und Gentechnikern.

Dabei wäre vielmehr die Frage zu stellen, inwiefern ein materialistisch-dialektischer Naturbegriff dabei helfen kann, nicht nur diese falschen Übertragungen und Biologisierungen zu kritisieren, sondern diesen an der Wurzel ein anderes Naturverständnis entgegenzusetzen. Schließlich scheint die erkenntnistheoretische Selbstbeschränkung in den Naturwissenschaften – keine Begriffe von Natur, sondern nur Modelle zur Berechnung von Naturphänomenen liefern zu wollen – ein Pendant zur Behauptung zu sein, das menschliche Elend und die gesellschaftlichen Missstände nicht abschaffen, sondern nur sozialdemokratisch lindern zu können.

Diese Gedanken sollen vor dem Hintergrund der materialistischen Naturphilosophie der französischen Aufklärung und der ›Dialektik der Natur‹ von Friedrich Engels, die in gewisser Weise ihre Weiterentwicklung ist, ausgeführt werden.

Christoph Plutte arbeitet als Programmierer in Berlin und veröffentlichte im vergangenen Jahr in der Zeitschrift prodomo einen Artikel über Engels‘ Naturdialektik [dazu eine Erwiderung von Franz Forst]. Ebenfalls 2011 ist in der Edition Tiamat eine Sammlung von Briefen Guy Debords erschienen, die er mit übersetzt hat.

Download: via AArchiv, via MF (0:44 h, 15 MB) | via archive.org (40 MB)

2. Naturbeherrschung und Emanzipation

Was Plutte nicht interessiert, leistet Dirk Lehmann in seinem Vortrag über die Verdinglichung der Natur. Er greift dazu auf die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno und die Verdinglichungskritik von Georg Lukács zurück. Ihm geht es dabei im Anschluss an die Kritische Theorie sowohl um die Geschichte als auch um das Subjekt der Naturbeherrschung. Auch einige Andeutungen Adornos zur Utopie eines nicht-verdinglichenden Umgangs mit der Natur gibt er wieder.

Der Vortrag wurde, organisiert von [association critique], am 1. Juni 2011 in Bielefeld gehalten.

Literaturhinweis: Die Verdinglichung der Natur. Über das Verhältnis von Vernunft und die Unmöglichkeit der Naturbeherrschung in Phase 2. 33/2009

Ankündigungstext & Referenteninfo:

Die Erfahrung, die der kritischen Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos, vor allem der gemeinsam verfassten Dialektik der Aufklärung, zugrunde liegt, ist, dass die Geschichte der Befreiung des Menschen von übermächtigen (Natur-)Gewalten nicht zu einem vernünftigen Zustand der Welt geführt hat. Indem die Menschen ihre Emanzipation ins Werk gesetzt haben, eine Unternehmung, die wesentlich darin bestand, sich zum Herren und Eigentümer der Natur zu machen, haben sie sich einer allein technisch-instrumentellen Rationalität ausgeliefert, so dass schließlich, nach der bekannten Aussage der Dialektik, die »vollends aufgeklärte Welt… im Zeichen triumphalen Unheils« strahlt.

Das Werk Horkheimers und Adornos ist bestrebt, den fehlerhaften Mechanismus bloßzulegen, der den bisherigen Geschichtsverlauf beinah schicksalhaft dominiert. Damit halten die Autoren an der Absicht fest, in den Weltlauf einzugreifen. Mit der Dialektik der Aufklärung wird, freilich in emanzipatorischer Perspektive, versucht, das wahre Wesen der Vernunft und den in ihrem Fundament verborgenen Defekt aufzutun.

Im Vortrag soll zunächst näher erläutert werden, was eigentlich unter diesem ‚schwierigen’ (Christoph Görg) Begriff der Naturbeherrschung zu verstehen ist. Hierzu ist ein Rückgriff auf die Verdinglichungskritik Georg Lukács’ hilfreich, auch weil damit deutlicher wird, warum die spezifische Art und Weise der Aneignung des Natürlichen vor allem im modernen Kapitalismus zum Problem wird. Überdies wird die Entstehung und Entwicklung des herrschaftlichen Umgangs mit Natur im Sinne der Dialektik der Aufklärung nachgezeichnet – mitsamt den Konsequenzen sowohl für die Erde wie auch den Menschen. Schließlich soll das Projekt einer vernünftigen Einrichtung der Welt im Lichte der kritischen Theorie über die Naturbeherrschung reflektiert werden.

Dirk Lehmann hat in Duisburg und Bielefeld Soziologie studiert und arbeitet gegenwärtig über den Begriff der Naturbeherrschung der kritischen Theorie. Er schreibt für Phase 2 sowie analyse und kritik.

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