Er hielt Rundfunkvorträge, nahm an Gesprächsrunden1 teil, diskutierte im Fernsehen über Fragen der kritischen Theorie, bediente sich des Rundfunks, um im Sinne der Erziehung zur Mündigkeit mit politisch – philosophischen Beiträgen Aufklärung zu leisten: Theodor W. Adorno. Michael Schwarz, Mitarbeiter im Adorno-Archiv, hat allein 114 Rundfunkgespräche gezählt, bei denen sich Adorno vor das Mikrophon setzte. Noch höher ist die Zahl der ausgestrahlten Vorträge im Radio. Durch die Partizipation im öffentlich-rechtlichen Rundfunk versprach er sich seinen Teil zur Entbarbarisierung beizutragen; das Radio als Kommunikationsapparat zu nutzen, statt es wie in der Kulturindustrie zum Volksempfänger zu funktionalisieren.
Das (öffentlich-rechtliche) Radio, das hilft nicht zu verkümmern, ist heute Illusion: Rundfunkanstalten sind vernarrt in die Idee, dass Hörfunk eine Art überall erreichbaren Services sei. Die Konsequenz ist das kleinste zumutbare gemeinsame Vielfache: Musik, die durch den Alltag dudelt und – quasi zusätzlich- Informationen über das Wetter, den Verkehr und das tagesaktuelle Geschehen – möglichst gut und schnell verdaulich. Nicht verwunderlich daher, dass Akteure, die sich in der Tradition der Kritischen Theorie sehen, sehr selten in solchen Formaten zu Wort kommen. Die Wenigen, die dennoch zu hören sind, sind zumeist auf die limitierten Möglichkeiten freier Radios angewiesen. Ein Beispiel liefert Roger Behrens Sendung Freibaduniversität (im Winter Hallenbaduniversität genannt), die er für das Freie Senderkombinat Hamburg und Radio Corax produziert. Einige Sendungen der letzten Monate dokumentieren wir im Folgenden.
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Schlagwort-Archive: Adorno
An den Grenzen des Geistes (II)
Tagung zum 100. Geburtstag von Jean Améry
Nach einiger Verzögerungen können wir nun einige weitere Beträge der Berliner Améry-Tagung vom 17. November 2012 dokumentieren. Es handelt sich um zwei Vorträge des zweiten Podiums, das einen philosophischen Schwerpunkt hatte, sowie um den Abschlussvortrag der Améry-Biografin Irene Heidelberger-Leonard, die viele Motive der Tagung noch einmal aufgreift und einige neue Aspekte anspricht. Das Literatur-Podium wurde nicht aufgezeichnet. Es ist nach Aussage der VeranstalterInnen allerdings ein Tagungsband geplant, in dem alle Beiträge schriftlich dokumentiert werden.
Podium 2: Philosophie im Spannungsfeld von Erfahrung und Abstraktion
Gerhard Scheit, Folter und Vernichtung. Jean Amérys immanente Kritik an der Philosophie Jean-Paul Sartres
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Deborah Hartmann, »Was mir anliegt, das ist die Beschreibung der subjektiven Verfassung des Opfers.« Jean Améry, Theodor W. Adorno und das Jude-Sein nach Auschwitz
Deborah Hartmann, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien, seit 2007 Pädagogische Mitarbeiterin der International School for Holocaust Studies Yad Vashem, lebt seit 2011 in Berlin und repräsentiert die pädagogische Abteilung Yad Vashems in den deutschsprachigen Ländern. [via]
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Festvortrag:
Irene Heidelberger-Leonard, Was bleibt? – Jean Améry zum 100. Geburtstag
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Vom Festvortrag gibt es auf Youtube eine Videoaufzeichnung mit mäßiger Klangqualität.
Die un_kritische Theorie Judith Butlers? Beiträge zur Adorno-Preisverleihung 2012
Vor einigen Monaten diskutierte (nicht nur) die politische Linke die Frage, ob Judith Butler eine würdige Preisträgerin des nach und gegen Adorno benannten Preises der Stadt Frankfurt sei. Butlers Unterstützung für antiisraelische Boykottkampagnen und die Bekundung, Hamas und Hisbollah wären Teil der globalen Linken, widersprachen allzu deutlich dem, wofür der Namensgeber des Preises einstand. Wir dokumentieren Beiträge, die Adorno gegen seine Preisträger verteidigen (Alex Gruber und Magnus Klaue) und den grundlegend affirmativen Zug der als so radikal gefeierten Gender-Theorie und Moralphilosophie Butlers versuchen darzulegen (Lars Quadfasel). Hinzu kommt aber auch eine Position (Ole Frahm), die Butlers Philosophie als einen Versuch sich in einer bestimmten jüdischen Tradition zu denken liest und Kritik an den Kritikern der Verleihung übt.
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Ästhetik Denken
Die Mitschnitte einer Leipziger Reihe zur Ästhetischen Theorie Adornos finden sich (leider nur als Stream) hier
An den Grenzen des Geistes (I)
Tagung zum 100. Geburtstag von Jean Améry
Am 17. November veranstaltete der Arbeitsbereich Kommunikationsgeschichte/Medienkulturen der FU Berlin eine kleine, aber gut besuchte Konferenz über Jean Améry. Unterstützt durch die VeranstalterInnen sowie die Tontechniker vor Ort und mit freundlicher Einwilligung der ReferentInnen habe ich einige der Vorträge aufgezeichnet. Hier erfolgt nun zunächst die Dokumentation des Eröffnungspodiums. Es stand unter dem Titel: »…daß das Wort nicht verstumme«: Was bedeutet »Moralisierung der Geschichte«?
Sich durch dieses und andere Podien ziehende Fragen bezogen sich auf Amérys Erfahrungen als Opfer von Folter und als Shoahüberlebender, sowie auf sein Verhältnis zu Sartre, Adorno, Hannah Arendt und zum Zionismus.
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Kulturindustrie is coming heim. Eine Vergangenheitsbewältigung
Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie (II)
Eine Buchvorstellung zu diesem im Verbrecherverlag erschienenen Sammelband haben wir bereits vor einiger Zeit dokumentiert. Nun hat mir ein Genosse aus Frankfurt eine weitere Aufzeichnung zugespielt – herzlichen Dank dafür! In ihr ist Mitherausgeber Dirk Braunstein zu hören, der nach einigen Worten zum Inhalt des Bandes aus seinem eigenen Beitrag liest. Es handelt sich um eine treffsicher-polemisch kommentierte Presseschau zu Adornos 100. Geburtstag (2003). Braunstein behandelt damit in angemessener Weise einige hanebüchenen »Würdigungen« Adornos, die im Schlechten nur noch von den – zu diesem Anlass ebenfalls überreichlich und nicht selten im selben Atemzug verbreiteten – dummdreisten »Kritiken« an »Teddie, dem Schlechte-Laune-Bären« übertroffen werden. Und das ist nicht nur hörens- bzw. lesenswert, sondern stellenweise auch (im Einklang mit der Kulturindustrie?) sehr amüsant.
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Wo keins ist, ist eins #8 – #11
Da ich vermute, dass auch die meisten Nutzer_innen des Audioarchivs nicht die ganzen letzten Sommertage in ihren Zimmern hocken und sich Radiosendungen über Hegel reinziehen, mögen sie es mir verzeihen, dass ich es mit der Regelmäßigkeit etwas habe schleifen lassen und nun schon wieder eine ganze geballte Ladung Philosophie, diesmal gleich vier Ausgaben der Dialektik-Sendung vom FSK auf einmal hier dokumentiere. Vielleicht sind es ja ein paar Stunden, mit denen sich die werten Hörer_innen den kommenden Herbst oder dann den Winter denkerisch versüßen können – hörenswert sind die Sendungen in jedem Fall.
Wo keins ist, ist eins #8 (13.05.2012)
In der Sendung steht die Wirklichkeit als Einheit von Inneren und Äußeren, Kraft und Äußerung, Wesen und Erscheinung im Vordergrund. Hatte die metaphysische und positivistische Tradition die formelle Wirklichkeit als das, was sich widerspruchsfrei denkbar zu erweisen hat, erfasst, so wird mit Hegel die innere Widersprüchlichkeit einer solchen Wirklichkeit aufgewiesen, die sich als zufällig erweist, d.h. nicht notwendig so ist, wie sie ist, sondern auch anders sein kann. Das nötigt Hegel von der formellen zur realen Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit überzugehen. Ein Kurzschluss von Notwendigkeit und Wirklichkeit, ein überdeterminierter Wirklichkeitsbegriff, wie der Positivismus oder kritische Rationalismus ihn haben, führt dazu, dass schließlich alles, was notwendig sein soll, sich als etwas erweist, was auch ganz anders sein kann. Die reale Möglichkeit der Totalität der Bedingungen einer Sache ist vorhanden, bevor die Sache in Existenz tritt. Fehlen Bedingungen der Veränderung in einer bestehenden Möglichkeit, sind Versuche gesellschaftliche Praxis zum Scheitern verurteilt.
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Wo keins ist, ist eins #9 (Juni 2012)
Zur Wirklichkeit gehört nicht nur das Beobachtbare, sondern auch deren Möglichkeiten, Vernunftpotentiale; so endet die objektive Logik Hegels und dies reflektiert auch die materialistische Dialektik Adornos. Der Übergang zum Subjekt oder Begriff des Begriffs hat es in sich. Die Dialektik von Allgemeinen und Besondern wird anhand von Hegels Verständnis von Begriff und deren materialistischer Kritik aufgewiesen wie u.a. Adorno sie zusammenfaßt: »Dialektik heißt nicht, wozu sie in der Parodie wie in der dogmatischen Versteinerung wurde, die Bereitschaft dazu, die Bedeutung eines Begriffs durch eine erschlichene andere zu substituieren; nicht, man solle, wie man der Hegelschen Logik es zumutet, den Satz vom Widerspruch ausstreichen. Sondern der Widerspruch selber: der zwischen dem festgehaltenen und dem bewegten Begriff, wird zum Agens des Philosophierens. Indem der Begriff festgehalten, also seine Bedeutung mit dem unter ihm Befaßten konfrontiert wird, zeigt sich in seiner Identität mit der Sache, wie die logische Form der Definition sie verlangt, zugleich die Nichtidentität, also daß Begriff und Sache nicht eins sind. Der Begriff, der der eigenen Bedeutung treu bleibt, muß eben darum sich verändern; Philosophie, die den Begriff für höher achtet denn ein bloßes Instrument des Verstandes, muß nach deren eigenem Gebot die Definition verlassen, die sie daran hindern möchte. Die Bewegung des Begriffs ist keine sophistische Manipulation, die ihm von außen her wechselnde Bedeutungen einlegte, sondern das allgegenwärtige, jede genuine Erkenntnis beseelende Bewußtsein der Einheit und der gleichwohl unvermeidlichen Differenz des Begriffs von dem, was er ausdrücken soll. Weil Philosophie von jener Einheit nicht abläßt, muß sie dieser Differenz sich überantworten.«(Adorno)
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Wo keins ist, ist eins #10 (Juli 2012)
Hegels Begriff des Begriffs als Einheit der Allgemeinheit, Besonderheit und Einzelnem, wurde in der vorherigen Folge von „Wo keins ist, ist eins“ als Ergebnis des Durchgangs durch die Kategorien der Substantialität als Ergebnis der Wesenslogik herausgearbeitet. Den Begriff bezeichnet er als absolute Einheit von Reflexion und Gesetztsein oder Anundfürsichsein. Anundfürsichsein ist der Kontrastbegriff zu allen nur verhältnisweisen, außenrelativen Bestimmungen einer Sache, wie sie bei Hegel beim Staat (Allgemeinwille), christlichem Gott und dem Lebendigen auftritt. Mit dem Gedanken der „Identität von Anundfürsichsein und Gesetztsein“ artikuliert Hegel, daß eine Sache durch sich selbst bestimmt sei, so erweist sich der Idealismus als Theorie der Freiheit. In der materialistischen Dialektik wird aufgewiesen, daß in dieser Art von Subjekt bzw. „Begriff“ gesellschaftliche Arbeit sich verbirgt. Neben einigen Lektüretips zum Idealismus und deren materialistischer Kritik, soll das Verhältnis von Allgemeinen und Besonderen, nun im Kontrast Hegel und Adornos Negativer Dialektik entfaltet werden.
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Wo keins ist, ist eins #11 (August 2012)
Die Diskussion der gesellschaftlichen Substanz, die dem Wert der Ware zugrundeliegt, aus der Juli Sendung, wird fortgesetzt. Die folgende Dialektik, die Adorno am Verhältnis vom Allgemeinen und Besonderen herausarbeitete, wird genauer diskutiert: »Je selbstherrlicher das Ich übers Seiende sich aufschwingt, desto mehr wird es unvermerkt zum Objekt und widerruft ironisch seine konstitutive Rolle. Ontisch vermittelt ist nicht bloß das reine Ich durchs empirische, das als Modell der ersten Fassung der Deduktion der reinen Verstandesbegriffe unverkennbar durchscheint, sondern das transzendentale Prinzip selber, an welchem die Philosophie ihr Erstes gegenüber dem Seienden zu besitzen glaubt. Alfred Sohn-Rethel hat zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß in ihm, der allgemeinen und notwendigen Tätigkeit des Geistes, unabdingbar gesellschaftliche Arbeit sich birgt. Der aporetische Begriff des transzendentalen Subjekts, eines Nichtseienden, das doch tun; eines Allgemeinen, das doch Besonderes erfahren soll, wäre eine Seifenblase, niemals aus dem autarkischen Immanenzzusammenhang von notwendig individuellem Bewußtsein zu schöpfen.« (Adorno, Negative Dialektik) Es werden Kriterien zur Aneignung der idealistischen Dialektik durch eine materialistische Theorie erarbeitet, die in der Folgesendung historisch weitergeführt wird.
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Reflexionen über die Kulturindustrie
Im Rahmen der Sendung Klärwerk hat Marius Meier von Radio Z Nürnberg im Juli 2012 ein interessantes Interview mit Detlev Claussen geführt, das in eine Reihe von Reflexionen über Begriff und Wirklichkeit der Kulturindustrie eingebettet ist. Sowohl eine knappe Einführung in die Kritik der Kulturindustrie wird geboten, als auch die Frage nach ihrer Aktualisierung (insb. hinsichtlich des WWW) gestellt. Interessant sind Claussens Ausführungen zum Verhältnis des Internets zur (Halb-)Bildung sowie zum Eindringen der Verwalteten Welt ins Individuum.
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Im Rahmen unserer letzten Sendung beschäftigten wir uns eine Stunde lang mit der Theorie der Kulturindustrie.
Ein wechselhafter Sommer hat begonnen, und während andere Medien sich vor allem einer ressentimentbehafteten Berichterstattung über die Folgen der Schulden- und Wirtschaftskrise widmen, will das Klärwerk heute die Frage nach den Verhältnissen und Rahmenbedingungen stellen, unter denen sich Kultur im Jahre 2012 abspielt.
Der Begriff der „Kulturindustrie“ geisterte noch vor 20 Jahren häufiger durch Zeitungen und Magazine und wurde häufig im Sinne der kulturkonservativen Konstatierung eines vermeintlichen Werteverfalls missbraucht. Heutzutage gibt es kaum mehr öffentliche Debatten, die sich seiner bedienen.Wir versuchen im Rahmen unserer Themenstunde in die Theorie der Kulturindustrie einzuführen.
Das situationistische Ende der Kunst und sein Ausbleiben
Alles falsch — auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie
Anlässlich des kürzlichen Erscheinens des Buches »Alles falsch. Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie« hat Sebastian Dittmann am 3. Juli 2012 in Halle einen Vortrag gehalten, in dem er zunächst eine kurze Einführung in das Theorem der Kulturindustrie von Horkheimer & Adorno gibt und anschließend über die Spektakel-Kritik der Situationisten referiert. Konklusio des Vortrags ist die Gegenüberstellung der verschiedenen Ausgangsbedingungen Adornos und Horkheimers auf der einen und Debords und der Situationisten auf der anderen Seite und wie daraus unterschiedliche Positionen zum Umgang mit der Kunst entspringen.
Während es üblich geworden ist, innerhalb der Kulturwaren zu differenzieren, um so deren vermeintliche Freiheitspotentiale zu entdecken, haben es sich die Autoren eines vor kurzem im VerbrecherVerlag erschienenen Buches vorgenommen, die Kulturindustrie als das zu kritisieren, was sie ist: Produkt und zugleich Produzentin des falschen Ganzen, als welche sie Theodor W. Adorno zu seiner Zeit verurteilte. Konnte der noch damit rechnen, durch Übertreibung ihre Wahrheit zu treffen, hat die Kulturindustrie unterdessen ihren eigenen Superlativismus übertroffen. „Alles falsch – Auf verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie“, heißt das betreffende Buch. Mitherausgeber Sebastian Dittmann stellt es nun vor. In den Mittelpunkt rückt Dittmann dabei die Situationisten um Guy Debord. Debord und Adorno versuchten Mitte des letztens Jahrhunderts das Voranschreiten der Entfremdung seit dem Erscheinen von Marx´ ›Kapital‹ zu fassen. Interessanterweise ist ihre Kritik von „Kulturindustrie“ bzw. „Spektakel“ sich dabei recht ähnlich, manchmal bis in die Wortwahl, aber ihre Schlußfolgerungen unterscheiden sich radikal: Bejahte Adorno die Kunst als letztes Medium von Kritik, verneinten die Situationisten sie, da in der von ihnen erwarteten Revolution die in der Kunst in eine eigene Sphäre ge- und verbannte ästhetische Qualität in die wirkliche Welt zurückgenommen, die Poesie mit dem Leben versöhnt werden sollte; in dieser Aufhebung der Kunst erblickten die Situationisten die „Nordwestpassage“ der proletarischen Revolution. Der Vortrag versucht, zuerst einige zentrale situationistische Begriffe darzustellen und davon ausgehend ihre Kritik der Kunst behandeln; abschließend wird es um die Frage gehen, warum die erwartete Aufhebung der Kunst ausblieb. [via]
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Kritik und Utopie
Die Jenaer Gruppe Revolta hat am 28. Juni Klaus Holz von der Jour Fixe Initiative Berlin zu einem Vortrag über die Begründung einer materialistischen Ethik eingeladen. Ausgehend von der Feststellung, dass es in der Kritischen Theorie ein Übergehen von der Bestimmung objektiver Möglichkeiten, hin zur Beschäftigung mit dem Subjekt gibt, das ein Bewusstsein dieser Möglichkeit haben könnte, gibt er eine Problemskizze, die für ihn eine materialistische Ethik notwendig macht. Weil gegebene Möglichkeiten nicht gleich in einem emanzipatorischen Sinne erwünscht sein müssen, bedürfe es der Ethik, die darüber reflektiert, wie mit den Tendenzen der Wirklichkeit umzugehen ist, ohne der Gefahr zu unterliegen in der Überhöhung (unbedingter) Subjektivität selbst wieder idealistisch zu werden. Materialistische Kritik, so Holz, basiert auf der Bestimmung ihrer objektiven Bedingung, kann sich aber nicht in ihr erschöpfen – damit wendet er sich einer anti-hegelianischen Position zu, die Marx aus einer kantianischen Perspektive kritisiert. Zudem problematisiert er das Verhältnis von Humanismus und „Ahumanismus“ in den verschiedenen Phasen von Marx. Auch wenn der Vortrag thematisch auf einer anderen Ebene angesiedelt ist, gibt es einige Parallelen zum Vortrag von Christine Zunke, in dem diese ebenfalls eine kanto-marxistische Position zu begründen versucht.
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Materialistische Kritik und Utopie fallen nicht in eins. Die Kritik bestehender Verhältnisse genügt nicht, um eine zukünftige Gesellschaft und den Weg zu ihr zu begründen. Denn Kritik ist einem theoretischen Antihumanismus verpflichtet, der viel über das Kapital (resp. die Gesellschaft), wenig über die Proletarier (resp. die Subjekte) zu sagen weiß. Das Problem der Emanzipation aber liegt gerade darin, dass die neue Gesellschaft zugleich neue Menschen braucht und umgekehrt. Die sich daraus ergebenden Probleme provozieren Gewalt gegen die Menschen, Entmündigung, Erziehungsdiktatur bis hin zum Gulag. Dem entspricht das linke Vorurteil, Ethik, zumal eine humanistische, sei bürgerlich, jedenfalls bäh.
Der Vortrag wird Kritik, Ethik und Utopie im Blick auf Marx, Marcuse, Bloch und Adorno erörtern, utopische Ziele benennen und Widersprüche, die den Weg zum guten Leben verstellen, reflektieren. Was also fehlt? Eine Politik, die antihumanistischer Kritik und humanistischer Ethik verpflichtet ist. Das mag man Posthumanismus nennen. [via]
Denkstoffe
Beim Schweizer Radio DRS gab es in der Sendung Reflexe eine interessante Reihe zu KlassikerInnen der Kulturwissenschaften im 20. Jh. In je etwa halbstündigen Gesprächen mit KennerInnen des besprochenen Werkes geht u. a. um Horkheimer/Adorno, H. Arendt, M. Foucault, J. Butler, J. Derrida und N. Luhmann. (Backup via MF)
Zum Begriff der Natur in der materialistischen Gesellschaftskritik
Wir dokumentieren hier zwei sehr unterschiedliche Vorträge, die sich aus einer Perspektive materialistischer Gesellschaftskritik mit dem Begriff der Natur beschäftigen.
1. Materialistische Naturbegriffe und Kritik herrschender Naturvorstellungen
Kann die Kritik an den herrschenden Vorstellungen von Natur und den Naturwissenschaften politisiert und zum Aktionsfeld emanzipatorischer Kritik gemacht werden?
Im Vortrag von Christoph Plutte geht es um Naturbegriffe und -philosophien, wie sie von den französischen Materialisten der (Vor-)Revolutionszeit, Friedrich Engels (Dialektik der Natur) und Anton Pannekoek entworfen worden sind. Einigen Raum nimmt dabei die Diskussion des Verhältnisses von Zufall und Notwendigkeit ein. Auffällig und m.E. problematisch ist, dass Plutte offenbar einen positiv bestimmten Naturbegriff sucht, statt die Kritik der Naturbeherrschung als destruktiver gesellschaftlicher Praxis in seine Überlegungen einzubeziehen.
Der Vortrag wurde am 29. März 2012 von der Linksorientierten Studierendeninitiative Münster veranstaltet.
Ankündigungstext, Referenteninfo & Literaturhinweis:
In jeder historischen Epoche werden bestimmte Vorstellungen von Natur ausgebildet, in denen sich die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse vielfach widerspiegeln. Die Naturvorstellungen des Mittelalters wurden von der Kirche sanktioniert und überwacht, die die gesellschaftliche und ständische Ordnung in der himmlischen und natürlichen Ordnung zu verdoppeln suchte. Daher bekämpfte die Kirche vehement alle Versuche, das starre Bild der von Gott geschaffenen Natur aufzuweichen.
Unter ihren zahlreichen Gegner*innen haben insbesondere die Materialist*innen im Vorfeld der französischen Revolution die Naturphilosophie dazu benutzt, am Gegenstand von Natur und Mensch, Seele und Körper und in naturphilosophischen Begriffen über die Gesellschaft zu sprechen, revolutionäre Gedanken zu entwickeln und den Sturz des Königs zu fordern.
Seitdem hat sich viel verändert und die Naturanschauung unterliegt keiner Zensur von Staat und Kirche mehr und auch die politische Herrschaft stützt sich nicht mehr auf unhinterfragbare Wahrheiten, sondern eher auf ein konfuses Durcheinander von Meinungen. Nicht mehr der Zweifel an „ewigen Wahrheiten“ ist ein Skandal, sondern die selbstbewusste Behauptung, wahre Aussagen über die Ursachen der gesellschaftlichen Misere treffen zu können.
Im Vortrag sollen unter anderem die Versuche Friedrich Engels beleuchtet werden, einen dialektisch-materialistischen Begriff von Natur zu entwickeln. Wenn von linker und emanzipatorischer Seite naturwissenschaftliche Anschauungen und Theorien kritisiert werden, dann bezieht sich diese Kritik häufig auf Naturwissenschaftler*innen, die naturwissenschaftliche Theorien auf soziale Phänomene übertragen wie z.B. beim Sozialdarwinismus oder gegenwärtig bei Hirnforschern und Gentechnikern.
Dabei wäre vielmehr die Frage zu stellen, inwiefern ein materialistisch-dialektischer Naturbegriff dabei helfen kann, nicht nur diese falschen Übertragungen und Biologisierungen zu kritisieren, sondern diesen an der Wurzel ein anderes Naturverständnis entgegenzusetzen. Schließlich scheint die erkenntnistheoretische Selbstbeschränkung in den Naturwissenschaften – keine Begriffe von Natur, sondern nur Modelle zur Berechnung von Naturphänomenen liefern zu wollen – ein Pendant zur Behauptung zu sein, das menschliche Elend und die gesellschaftlichen Missstände nicht abschaffen, sondern nur sozialdemokratisch lindern zu können.
Diese Gedanken sollen vor dem Hintergrund der materialistischen Naturphilosophie der französischen Aufklärung und der ›Dialektik der Natur‹ von Friedrich Engels, die in gewisser Weise ihre Weiterentwicklung ist, ausgeführt werden.
Christoph Plutte arbeitet als Programmierer in Berlin und veröffentlichte im vergangenen Jahr in der Zeitschrift prodomo einen Artikel über Engels‘ Naturdialektik [dazu eine Erwiderung von Franz Forst]. Ebenfalls 2011 ist in der Edition Tiamat eine Sammlung von Briefen Guy Debords erschienen, die er mit übersetzt hat.
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2. Naturbeherrschung und Emanzipation
Was Plutte nicht interessiert, leistet Dirk Lehmann in seinem Vortrag über die Verdinglichung der Natur. Er greift dazu auf die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer/Adorno und die Verdinglichungskritik von Georg Lukács zurück. Ihm geht es dabei im Anschluss an die Kritische Theorie sowohl um die Geschichte als auch um das Subjekt der Naturbeherrschung. Auch einige Andeutungen Adornos zur Utopie eines nicht-verdinglichenden Umgangs mit der Natur gibt er wieder.
Der Vortrag wurde, organisiert von [association critique], am 1. Juni 2011 in Bielefeld gehalten.
Literaturhinweis: Die Verdinglichung der Natur. Über das Verhältnis von Vernunft und die Unmöglichkeit der Naturbeherrschung in Phase 2. 33/2009
Ankündigungstext & Referenteninfo:
Die Erfahrung, die der kritischen Theorie Max Horkheimers und Theodor W. Adornos, vor allem der gemeinsam verfassten Dialektik der Aufklärung, zugrunde liegt, ist, dass die Geschichte der Befreiung des Menschen von übermächtigen (Natur-)Gewalten nicht zu einem vernünftigen Zustand der Welt geführt hat. Indem die Menschen ihre Emanzipation ins Werk gesetzt haben, eine Unternehmung, die wesentlich darin bestand, sich zum Herren und Eigentümer der Natur zu machen, haben sie sich einer allein technisch-instrumentellen Rationalität ausgeliefert, so dass schließlich, nach der bekannten Aussage der Dialektik, die »vollends aufgeklärte Welt… im Zeichen triumphalen Unheils« strahlt.
Das Werk Horkheimers und Adornos ist bestrebt, den fehlerhaften Mechanismus bloßzulegen, der den bisherigen Geschichtsverlauf beinah schicksalhaft dominiert. Damit halten die Autoren an der Absicht fest, in den Weltlauf einzugreifen. Mit der Dialektik der Aufklärung wird, freilich in emanzipatorischer Perspektive, versucht, das wahre Wesen der Vernunft und den in ihrem Fundament verborgenen Defekt aufzutun.
Im Vortrag soll zunächst näher erläutert werden, was eigentlich unter diesem ‚schwierigen’ (Christoph Görg) Begriff der Naturbeherrschung zu verstehen ist. Hierzu ist ein Rückgriff auf die Verdinglichungskritik Georg Lukács’ hilfreich, auch weil damit deutlicher wird, warum die spezifische Art und Weise der Aneignung des Natürlichen vor allem im modernen Kapitalismus zum Problem wird. Überdies wird die Entstehung und Entwicklung des herrschaftlichen Umgangs mit Natur im Sinne der Dialektik der Aufklärung nachgezeichnet – mitsamt den Konsequenzen sowohl für die Erde wie auch den Menschen. Schließlich soll das Projekt einer vernünftigen Einrichtung der Welt im Lichte der kritischen Theorie über die Naturbeherrschung reflektiert werden.
Dirk Lehmann hat in Duisburg und Bielefeld Soziologie studiert und arbeitet gegenwärtig über den Begriff der Naturbeherrschung der kritischen Theorie. Er schreibt für Phase 2 sowie analyse und kritik.
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Wo keins ist, ist eins #5 – #7
Diesmal durch sonstige Verpflichtungen etwas verzögert, dafür als geballte Ladung, dokumentieren wir hier die letzten drei Ausgaben der Dialektik-Sendung vom FSK:
Wo keins ist, ist eins #5 (12.2.2012)
Nachdem die vorherigen Sendungen zu erklären suchten, wie die Wesenslogik Hegels, die auch für die materialistische Dialektik wichtig wurde, aus Kants und Fichtes Reflexionsphilosophie entwickelt wurde, werden in dieser die setzende, voraussetzende und bestimmende Reflexion, konstruktive Voraussetzung der Reflexionsbestimmungen: Identität, Unterschied, Verschiedenheit, Gegensatz und Widerspruch konkretisiert. In Adornos Utopie einer Welt, in der man ohne Angst verschieden sein kann, wird gezeigt, welche Bedeutung die Kritik der Identitätsphilosophie auch für eine Gesellschaftstheorie hat.
- Download: via AArchiv (mp3; 52 MB; 1:30:56 h)
Wo keins ist, ist eins #6 (11.3.2012)
Von den unterschiedlichen Fassungen der Wesenslogik wird die »große Logik« oder »Wissenschaft der Logik II«, zur Entfaltung des Begriffs des Grundes herangezogen. Hierbei wird die Mehrdeutigkeit des Begriffs des Wesens diskutiert. Ein identisches Wesen zeigt sich in verschiedenen Formen, die Materie kann verschiedene Formen annehmen, eine bestimmte formierte Materie macht einen Inhalt aus. Diesen zu erklären aus tautologischen Gründen oder beliebigen vom begründeten unterschiedenen Gründen, ist unzureichend. Zur Vollständigkeit des Grundes bedarf es der Be-Dingungen, die notwendig sind, damit eine Sache in Existenz tritt.
- Download: via AArchiv (mp3; 58,5 MB; 1:42:15 h)
Wo keins ist, ist eins #7 (08.4.2012)
Diese und die im Mai folgende Sendung beschäftigt sich mit der Wirklichkeit als der in Existenz getretenen Sache. Die unmittelbare Existenz ist die von Dingen und ihren Eigenschaften, deren Fixiertheit aufgelöst wird. Dialektik verflüssigt die festen Bestimmungen und löst alles auf in ein Verhältnis von Kräften oder Potenzen, die sich gegenseitig hervorlocken (solizitieren), die Wirklichkeit erweist sich als ein Verhältnis von Inneren und Äußeren. Auch die menschliche Vernunft, so erweist sich, gehört zu diesen Kräften, Potenzen, zum Inneren der sich manifestierenden Wirklichkeit, deren Einheit dann dargelegt wird.
- Download: via AArchiv (mp3; 57,1 MB; 1:39:51 h)
Autonomie und Kapitalsouveränität
Jean-Paul Sartre, Adorno und der Begriff der Freiheit
In seinen Texten gegen Sartre trifft Adorno den Existenzialismus, aber geht an Sartre vorbei – diese These nahm Manfred Dahlmann (ISF) in einem Vortrag am 02.11.2011 in Freiburg zum Ausganspunkt, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Kritischen Theorie und dem philosophischen Entwurf Sartres herauszuarbeiten. Er referiert vor allem über die Begriffe der Autonomie und der Freiheit und knüpft dabei an die Diskussionen an, die in der Prodomo (Teil 1 und Teil 2 seines Beitrags) und auf der Konferenz der Sonntagsgesellschaft geführt wurden. Zuletzt spricht er über den Begriff der Scham und setzt ihn in Beziehung zum Kapital. Siehe auch die anderen Beiträge zum Existenzialismus im Audioarchiv.
Weil nur der je einzelne Mensch frei sein kann, nicht aber etwas ihn, d.h. seinen individuellen Leib Überschreitendes, darum, so lautet Sartres logisch unwiderlegbares Urteil, kann keinem äußeren Objekt die Fähigkeit, autonome Entscheidungen zu fällen, zugesprochen werden. Wenn ein Subjekt einem ihm Äußeren – sei‘s Gott, der Natur oder dem Staat, dem Kapital, dem Schönen oder gar dem Glück –, derart Autonomie zuschreibt, belügt es sich, um die Angst vor der Freiheit zu beherrschen und sich für seine Taten nicht verantwortlich fühlen zu müssen. Wenn man Adornos Ästhetik dieser Subjektbestimmung konfrontiert, läßt sich jedoch zeigen, daß, so sehr Sartre logisch im Recht sein mag, die Kritik im Grunde darauf zielen muß, genau jenes für Sartre Unmögliche dennoch zur Darstellung zu bringen: um die Verkehrungen erkennen zu können, dank derer das Kapital als automatisches Subjekt, als Souverän, agieren kann. Diese Kritik muß zum einen erkennen lassen, daß jede Form geschichtlich geworden, das heißt “sedimentierter Inhalt” ist; in diesem Erkenntnisinteresse gibt es zwischen Adorno und Sartre keine Differenz. Als derart Erkanntes schlägt sie zum anderen aber auch auf jede Logik, somit auch die Sartres, zurück: sie relativiert sie dahingehend, daß auch die Freiheit in eine Objektivität, in eine – bewußt gewählte – Form eingebettet werden muß; wenn auch in eine, die es, im Gegensatz zur Autonomie des Kapitals, verhindert, daß sie sich gegen sich selbst wendet. Aus der Konfrontation Adornos mit Sartre ergeben sich jedenfalls Subjektbestimmungen und Urteile über die Negativität der Gesellschaft, die, ungeachtet aller Differenzen im Grundsätzlichen, überraschende Gemeinsamkeiten zwischen diesen Protagonisten der individuellen Freiheit beziehungsweise des Nichtidentischen erkennen lassen. – Es spricht Manfred Dahlmann (ISF Freiburg), der u.a. für die Zeitschriften “Prodomo”, “Jungle World” und “Bahamas” schreibt (siehe: hier). [via]
- Download: via AArchiv (mp3; 47,9 MB; 52:19 min)
Weitere Mitschnitte aus dem Jour-Fixe-Programm der ISF gibt es direkt auf dem AArchiv-Server – die dazugehörigen Ankündigungstexte gibt es jeweils hier. Dahlmanns Buch über die Existenzphilosophie wird in Kürze im ça-ira-Verlag erscheinen – zur Vorschau.
Kritische Theorie und Emanzipation
Wir stellen stellen im Folgenden Download-Versionen der von der Bielefelder Association Critique dokumentierten Aufzeichnungen der Tagung Kritische Theorie und Emanzipation bereit. Diese fand, veranstaltet von der Antifa AG an der Uni Bielefeld, [association critique], der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld, dem Rosa-Luxemburg-Club Bielefeld sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW, am 11. und 12. November 2011 statt. Verlinkt sind jeweils mit 48 kBit/s kodierte Dateien. Auf dem Audioarchiv-Server sind zusätzlich auch 64 kBit/s-Varianten verfügbar (allerdings mit einer geringeren Abtastrate von 22 statt 32 kHz).
Alex Demirovic: Was ist Kritische Theorie?
Im Vortrag wird das Selbstverständnis von kritischer Theorie umrissen. Diese kann nicht als Theorie einzelner Personen verstanden werden. Vielmehr handelt es sich um ein Projekt, das tief in der bürgerlichen Gesellschaft verankert ist und an dessen Entwicklung viele Menschen seit vielen Jahrzehnten beteiligt sind. Entsprechend den historischen Veränderungen und gesellschaftlichen Herausforderungen verändert sich auch das Verständnis von kritischer Theorie. Es geht kritischer Theorie um Aufklärung und Emanzipation, um Mündigkeit, Einrichtung einer vernünftigen Welt, Weltfrieden, Demokratie. Seit Marx ist kritische Theorie nicht mehr naiv, sondern stellt die Frage danach, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich solche Ziele verwirklichen lassen. Horkheimer und Adorno haben danach gefragt, wieweit die Tradition der kritischen Theorie nicht naiv im Verhältnis zu sich selbst ist. Zu wenig kritisch gegenüber der eigenen Praxis, kann auch kritische Theorie autoritär werden. So stellt sich heute, angesichts einer neuen Phase kapitalistischer Vergesellschaftung die Frage nach einer erneuerten Befreiungstheorie.
Alex Demirovic, Prof. Dr., lehrt z.Zt. politische Theorie an der Technischen Universität Berlin. Zuvor arbeitete er u.a. am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Er gilt als einer der jungen Vertreter der kritischen Theorie. Mitglied der Redaktionen von PROKLA und LuXemburg. Arbeitsschwerpunkte: Demokratie- und Staatstheorie, kritische Theorie der Gesellschaft, Intellektuellen- und Wissenschaftssoziologie.
Rüdiger Dannemann: Über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács und dessen Aktualität
Rüdiger Dannemann gibt einen guten Überblick über die Verdinglichungskritik von Georg Lukács, dessen spätere Selbstkritik, ihre Fortentwicklung sowie ihren Stellenwert für die Kritische Theorie und ihre Entschärfung bei Habermas und Honneth. Adorno nimmt dabei wenig Raum ein. Dafür erfährt man einiges über aktuelle englischsprachige Ansätze, die sich der Thematik annehmen und im Zuge dessen auch Axel Honneths Verdinglichungstheorie kritisieren.
Im theoretischen Zentrum Georg Lukács’ 1923 veröffentlichten „Geschichte und Klassenbewußtsein“ steht die durch das Warenverhältnis allgegenwärtig gewordene Verdinglichung. Hinter dem Warentausch verschwinden die Beziehungen zwischen den Personen und erscheinen als streng rationelle, geschlossene Verhältnisse von Dingen. So kann Lukács schließlich festhalten, dass im modernen Kapitalismus die Individuen einzig noch als teilnahmslose Beobachter eines ihnen scheinbar fremden Geschehens dastehen. Damit nicht genug, ist zuletzt die gesamte Gesellschaft eine Funktion des Warenverkehrs. In einer sehr grundlegenden Weise stehen die gesellschaftskritischen Analysen der frühen kritischen Theorie Max Horkheimers, Theodor W. Adornos und anderer auf den Schultern der „Studien über marxistische Dialektik“, ja scheinen ohne den großen Wurf des Jahres 1923 kaum denkbar. Jürgen Habermas indes gelang es, dies – wie zuletzt das gesamte marxistische Erbe der kritischen
Theorie – respektvoll zu tilgen. Jedoch kehrt die Verdinglichung als verdrängter, unverarbeiteter Brocken aus den Untiefen vergangen geglaubter Zeiten wieder. So haben unlängst Rahel Jaeggi sowohl als auch Axel Honneth den durchaus mutigen Versuch unternommen, die Überlegungen Georg Lukács zu reformulieren. Insbesondere Honneth aber wendet die Verdinglichung anerkennungstheoretisch und bringt die Verdinglichungskritik weiter um ihren politökonomisches Stachel. Im Vortrag soll zunächst die Verdinglichungskritik Georg Lukács dargestellt werden. Im Anschluss wird versucht, die oft verleugnete Bezugnahme Horkheimers und zumal Adornos sichtbar zu machen. Schließlich werden die Anschlüsse Honneths und Jaeggis ebenso zur Sprache kommen wie Möglichkeiten einer polit-ökonomisch informierten Verdinglichungskritik.Rüdiger Dannemann, Philosophielehrer, Mitbegründer und stellv. Vorsitzender der Internationalen Georg Lukács-Gesellschaft; Studium der Philosophie, Germanistik und Geschichte in Bochum und Frankfurt am Main. Promotion über Das Prinzip Verdinglichung (1987) in Rotterdam. Arbeitsschwerpunkte: Georg Lukács, Kritische Theorie und westlicher Marxismus; ästhetische Probleme der populären Musik.
Heinz Gess: Antisemitismus und Emanzipation
Heinz Gess bestimmt Antisemitismus als die Gegenbewegung zur Emanzipation und spricht in seinem Vortrag u.a. über Verdrängung und Schuldabwehr im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus.
Der Antisemitismus markiert die „Grenzen des Aufklärung“, so der Untertitel des von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno unter Mitwirkung Leo Löwenthals gemeinsam verfassten Abschnittes „Elemente des Antisemitismus“. Spätestens seit den frühen 1940er Jahren steht die Antisemitismuskritik auch im Zentrum der Bemühungen der kritischen Theorie. Eine wesentliche Einsicht ist dabei, dass die antisemitische Verhaltensweise gerade keine bloß vorurteilsbasierte ist. Damit gehen Horkheimer und Adorno deutlich über konventionelle Erklärungsansätze hinaus. Kritische Theorie versucht den Antisemitismus gesellschaftstheoretisch aus einem gescheiterten Zivilisationsprozess heraus zu begreifen. Vor diesem Hintergrund geht es ihr schließlich sowohl um die historische Entstehung des Antisemitismus, seine Grundlagen im Lebensprozess einer Gesellschaft, das heißt in der Ökonomie, als auch um die Verfasstheit der Subjekte dieser Gesellschaft.
Im Vortrag wird es einerseits um die Antisemitismuskritik des exilierten Instituts für Sozialforschung gehen. Zudem soll versucht werden, die Überlegungen Horkheimers und anderer von anderen Erklärungsansätzen abzugrenzen. Zuletzt wird es freilich um die Aktualität einer kritischen Theorie über den Antisemitismus, gerade auch vor dem Hintergrund des Islamismus, gehen.Heinz Gess, Prof. Dr., war bis 2010 Hochschullehrer für Soziologie an der Fachhochschule Bielefeld. Er ist Herausgeber von Kritiknetz – Zeitschrift für Kritische Theorie der Gesellschaft.
Isabelle Klasen: Über Begriff und Aktualität der Kulturindustrie
Isabell Klasen erläutert den Begriff der Kulturindustrie im Kontrast zur autonomen Kunst, wie Adorno sie verstand.
Max Horkheimer und Theodor W. Adorno entwickelten den Begriff der Kulturindustrie am Modell der „verwalteten Welt“, des Spätkapitalismus der 40er und 50er Jahre, welcher samt der kulturellen Erzeugnisse durch die Destruktivität des kapitalistischen Verwertungsmechanismus und die Herrschaft des universalen Tauschprinzips geprägt war. Alles Individuelle sei hierdurch in Schemata gezwungen und die Wirklichkeit werde mit Identität und Konformismus geschlagen. In den Produkten der Kulturindustrie sahen Horkheimer und Adorno diese Identität besonders zwingend zum Ausdruck kommen, auch und gerade durch deren scheinbare Nonkonformität und Pluralität. Kulturindustrie ziele auf das, was zunächst einmal nicht identisch sei und was, insbesondere für Adorno, die Kunst dagegen bewahre: die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, welche sie neutralisiere.
Im Vortrag soll der Begriff der Kulturindustrie im Gegensatz zur Kunst dargestellt werden. Überdies soll es um die Aktualität der Überlegungen Horkheimers und Adornos gehen. Es läßt sich nämlich fragen, ob heute am Begriff der Kulturindustrie noch festgehalten werden kann, da die Kulturindustrie mittlerweile ihren eigenen, einstmals kritischen Begriff geschluckt zu haben scheint.Isabelle Klasen ist Lehrbeauftragte an der Ruhr-Universität Bochum und Mitglied des Arbeitskreises Rote-Ruhr-Uni. Sie ist Mitherausgeberin des in Kürze erscheinenden Bandes „Alles falsch: von verlorenem Posten gegen die Kulturindustrie“.
Dirk Braunstein: Kritische Theorie und Kritik der politischen Ökonomie
Dirk Braunstein legt seinen Fokus zwar auf Adornos Beschäftigung mit der Kritik der Politischen Ökonomie, rekonstruiert aber auch die Debatten, die innerhalb des Instituts über die polit-ökonomische Verfassung des Nationalsozialismus geführten worden sind (Pollocks Staatskapitalismus-These vs. Neumanns Behemoth). Er arbeitet heraus, dass Adornos Zugang zur Ökonomiekritik zunächst allein von Lukács Verdinglichungskritik bestimmt ist, dann aber durch die Wendung zur Klassentheorie und zur (transhistorischen) Kritik der »Ökonomie überhaupt« eine andere Gestalt annimmt. Auch Adornos Position zu den Begriffen der Gerechtigkeit und des Rechts nimmt im Vortrag wie in der Diskussion einigen Raum ein.
Bis heute ist die Einschätzung verbreitet, dass der Rückgriff auf Karl Marx – und zumal auf dessen Kritik der politischen Ökonomie – in den Schriften der Frankfurter Schule ein Relikt aus bald überwundenen Stadien seiner Theorieentwicklung darstelle. Offensichtlich gab es eine große Distanz zum Fortschrittsoptimismus und erst recht zum Parteikonformismus marxistisch inspirierter Theoretiker wie etwa Georg Lukacs. Jedoch zieht sich eine produktive Auseinandersetzung mit wesentlichen Bestandteilen des Marx‘schen Hauptwerkes durch das gesamte Schaffen von Horkheimer und Adorno. Anhand zahlreicher Textdokumente lässt sich diese These belegen. Sie zeigt, dass im Zentrum von Adornos kritischer Theorie der Gesellschaft eine Kritik nicht nur der politischen Ökonomie steht, sondern eine von Ökonomie überhaupt.
Der Vortrag soll das Beziehungsgeflecht von Marxscher Ökonomiekritik und der klassischen kritischen Theorie beleuchten und fragen, welche Aktualität diesen Inhalten zukommt.Dirk Braunstein, Dr. phil., studierte in Bochum, Köln, Frankfurt a.M. und Berlin und gibt die Vorlesung „Philosophie und Soziologie“ aus dem Nachlass Adornos heraus. Letzte Veröffentlichung: Adornos Kritik der politischen Ökonomie, Bielefeld, 2011.
Barbara Umrath: Kritische Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen
Ausgangs- und Hauptbezugspunkt des Vortrags sind die Ausführungen in der »Dialektik der Aufklärung«, in denen eine Kritik des Subjekts und an dessen männlichem Charakter formuliert werden. Umrath konfrontiert darüber hinaus Aussagen Adornos zum Subjektstatus der Frau und zu deren Stellung im Produktionsprozess mit Ergebnissen der (empirischen) Frauenforschung. Hier stellen die Arbeiten Regina Becker-Schmidts einen wichtigen Bezugspunkt da. Sie zeigt im Zuge dessen, dass feministische Theorie produktiv an die Kritische Theorie anknüpfen kann – was eben auch heißt, über sie hinaus zu gehen.
Das Denken Adornos, Horkheimers und Co. hat bis heuteeinen starken Einfluss auf gesellschaftskritische Theorien. „Geschlecht“ war für die frühe Kritische Theorie jedoch keine zentrale Analysekategorie, sondern findet eher beiläufig und an verschiedenen Stellen immer wieder Erwähnung.Dabei finden sich gleichermaßen Passagen, in denen die Unterdrückung von Frauen denunziert wird wie solche, in denen die bürgerliche Familie und die mit dieser gegebene geschlechtliche Arbeitsteilung in einem verklärten Licht erscheinen. Dies brachte der Kritischen Theorie von feministischer Seite den Vorwurf ein, sie wiederhole die patriarchale Unterdrückung. Entsprechend spielt die Kritische Theorie heutzutage in der Frauen- und Geschlechterforschung kaum eine Rolle.
Im Vortrag sollen die Äußerungen der Kritischen Theorie zu Geschlecht, Subjekt und Körper im Kontext ihrer herrschaftskritischen Grundüberlegungen betrachtet werden. Dabei wird deutlich werden, dass sich die feministischen Einwände nur bedingt bestätigen lassen. Es wird sich sogar zeigen, dass feministische Kritik von der frühen Kritischen Theorie wichtige Impulse aufnehmen kann.Barbara Umrath studierte Diplom-Pädagogik an der Universität Augsburg und Soziologie an der New School for Social Research, NYC. Sie war lange Jahre in Frauenprojekten gegen Gewalt in Deutschland und Mexiko aktiv. Aktuell lebt sie in Köln und arbeitet an einer Promotion zum Thema Feminismus und Kritische Theorie.
- Download: via AArchiv | via MF (1:32 h, 32 MB)
Zu feministischen Bezugnahmen auf die Kritische Theorie siehe auch die Vorträge von Regina Becker-Schmidt, Cornelia Klinger und Roswitha Scholz.