Nach 1968
Im vierten Teil unserer Beitrags-Serie über 1968 fokussieren wir auf das, was nach 1968 geschah. Überhaupt scheint eine Fokussierung auf das eine Jahr 1968 eine fragwürdige Verengung zu sein. Nicht nur, dass wichtige Gruppierungen der Neuen Linken schon Ende der 50er-Jahre entstanden waren. Für die Bewegung entscheidende Ereignisse fanden im Jahr 1967 statt: Beginn der Anti-Springer-Kampagne, Antischah-Protest, Erschießung Benno Ohnesorgs… Wer das Interesse an der Rekonstruktion eines Beweguns-Zyklus‘ hat, dessen Blick wird auch auf das Jahr 1969 und darüber hinaus gelenkt… Wir versammeln hier Beiträge über die Zeit nach 1968, die jedoch immer wieder auch auf 1968 Bezug nehmen.
1.) Das Sozialistische Büro und die Gründung einer Rätepartei
Im Jahr 1969 gründete sich mit dem Sozialistischen Büro eine linkssozialistische Gruppierung jenseits von DKP, SPD und Spontis. Carsten Prien hat im August 2019 ein Buch mit dem Titel „Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros, Oskar Negt und Rudi Dutschke – Ein Beitrag zur Organisationsdebatte“ veröffentlicht. Im Interview skizziert Prien die Entstehungsbedingungen des SB, dessen „Arbeitsfeldansatz“ und die Diskussion über eine Parteigründung aus dem SB heraus.
- Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21:15 min)
2.) Zur Theorie der Stadtguerilla in der BRD
Im April 1968 legten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein einen Brand in einem Frankfurter Kaufhaus. Die Täter wurden gefasst – die anschließende Befreiung von Andreas Baader mit Hilfe von Ulrike Meinhoff im Jahr 1970 war die Geburtsstunde der RAF. Die RAF war nicht die einzige bewaffnete Gruppe in der BRD – neben (und zum Teil mit) ihr agierten auch die Bewegung 2. Juni, die Revolutionären Zellen und die Rote Zora. In der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ hat Robert Wolff einen Text mit dem Titel „Das Konzept Stadtguerilla – Die Entzauberung kommunistischer Guerilla- und Revolutionstheorien?“ veröffentlicht. Im Gespräch rekonstruiert er die Entstehungsbedingungen des Bewaffneten Kampfes in der BRD, schildert Unterschiede zwischen den bewaffneten Gruppen und geht auf die Theorie der Stadtguerilla und den „Primat der Praxis“ ein. Er geht zunächst auf die Gewalt-Debatten ein, die schon im Zuge der 68er-Bewegung eine Rolle gespielt hatten.
- Download: via FRN (mp3; 38 MB; 23:46 min)
Zur Kritik der RAF siehe das Buch: „Stadtguerilla und soziale Revolution. Über den bewaffneten Kampf der Roten Armee Fraktion“ von Emile Marenssin.
3.) Zur Geschichte der Roten Zora
Die Rote Zora war zunächst ein Teil der Revolutionären Zellen – später agierte sie als eigenständiger Zusammenhang unabhängig von den Revolutionären Zellen. Ihre Aktionen hatten einen dezidiert feministischen Fokus, Themen der Gruppe waren Reproduktionsarbeit, Reproduktionsmedizin, weibliche Arbeitskämpfe, Flüchtlingssolidarität, (Anti-)Militarismus, Pornografie und Frauenhandel. Katharina Karcher hat im September 2018 ein Buch unter dem Titel „Sisters in Arms. Militanter Feminismus in Westdeutschland seit 1968“ veröffentlicht, in dem es u.a. auch um die Rote Zora geht. In der „Analyse und Kritik“ hat sie einen Artikel über die Rote Zora geschrieben. Im Gespräch rekonstruiert Karcher Entstehungsbedingungen, Themenschwerpunkte und Entwicklung der Roten Zora. Zunächst geht es um Begriffe von Gewalt und Gegengewalt in den Diskussionen feministischer Gruppierungen der 60er-Jahre.
- Download: via FRN (mp3; 48 MB; 30:09 min)
Im Frühjahr 2019 ist unter dem Titel „Frauen bildet Banden – eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“ ein Film über die Rote Zora erschienen (siehe Rezension hier). Radio Corax hat ein etwa 20-minütiges Feature über den Film produziert. Zu hören sind neben den Filmemacherinnen des Kollektivs „Lasotras“ auch Ausschnitte aus dem Film – unter anderem die Historikerin Katharina Karcher und die (eingelesenen) Stimmen von Roten Zoras…
- Download: via FRN (mp3; 28 MB; 21:18 min)
Zum Thema siehe auch den Text „Frauen, die Schweine haben Adressen! Feminismus und Militanz“ des Autorinnenkollektivs Zora Zobel im Buch „Feministisch Streiten!„. Zu den Revolutionären Zellen und der Roten Zora siehe das Buch „Die Fruechte des Zorns. Texte und Materialien zur Geschichte der Revolutionären Zellen und der Roten Zora„. Zu den RZ siehe auch den entsprechenden Unterpunkt in diesem Beitrag.
4.) Zur Geschichte der K-Gruppen
Im Zuge des Zerfalls der 1968er-Bewegung entstanden in der BRD die sogenannten „K-Gruppen“ – leninistische Kader-Organisationen, deren mittelfristiges Ziel jeweils die Gründung einer neuen kommunistischen Partei gewesen ist und die sich auf unterschiedliche Weise auf den Maoismus bezogen. Im Gespräch skizziert der Historiker David Spreen Entstehungsbedingungen, Unterschiede und Entwicklung der verschiedenen K-Gruppen. Zur ersten Frage:
Dabei baten wir ihn zunächst um die Einordnung einer gewissen Erzählung über die K-Gruppen: Sie seien das Resultat einer „anti-autoritären Phase“ gewesen, die an ihre Grenzen geraten und der eine Organisationsdebatte gefolgt war. Aus dieser Organisationsdebatte seien dann die K-Gruppen entstanden – was daran ist wahr, was daran ist Mythos? (via)
- Download: via FRN (mp3; 34 MB; 21 min)
Zahlreiche Primärquellen zu den K-Gruppen finden sich unter: Materialien zur Analyse von Opposition (MAO).
5.) Geschichte und Begriff der „Neuen Sozialen Bewegungen“
Neben Stadtguerilla, K-Gruppen und Autonomen entstanden in den 70er-Jahren auch die sogenannten „Neuen Sozialen Bewegungen“. Damit sind eher dezentral und unabhängig von Parteien organisierte Bewegungen gemeint, die sich jeweils spezifischen Themen gewidmet haben: Anti-AKW-Bewegung, Ökologiebewegung, Bürgerbeteiligungsbewegung, Frauenbewegung, Schwulen- und Lesbenbewegung, Stadtteilbewegung, Friedensbewegung… Dabei werden die Begriffe „Neue Soziale Bewegungen“ und „Alternativbewegungen“ oft analog verwendet. Mit der Hinwendung zu diesen jeweils spezifischen Themen ging auch eine zunehmende Abwendung von der Klassenfrage einher – so eine gängige These in der Historisierung. Genau diese These wird in der Ausgabe 3/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ angezweifelt – u.a. angesichts der Beteiligung von Lehrlingen und Proletarisierten an den NSB, die dort immer wieder auch ihre spezifische Betroffenheitslage thematisierten. Ulf Teichmann hat gemeinsam mit Christian Wicke den Thementeil dieser Ausgabe betreut – er skizziert im Gespräch Entstehungsbedingungen und Spezifika der Neuen Sozialen Bewegungen.
- Download: via FRN (mp3; 41 MB; 25:49 min)
6.) Falsche Wege und neue Anfänge
Verschiedene Faktoren haben dazu geführt, dass sich die radikale Linke Ende der 70er-Jahre im Zustand einer umfassenden Niederlage wahrgenommen hat. Nachdem es mit den Autonomen und der Hausbesetzerbewegung in den 80er-Jahren einen zeitweiligen Aufschwung der Bewegung gegeben hat, sah man sich 1989-91 erneut mit einem Trümmerhaufen konfrontiert. Die Zeiten der Niederlage sind immer auch Zeiten von Reflexion und Kritik, in denen alte Gewissheiten über Bord geworfen werden. Solche Debatten hat sich Jana König in der Ausgabe 2/2018 der Zeitschrift „Arbeit – Bewegung – Geschichte“ näher angeschaut: „Falsche Wege und neue Anfänge: Die Bedeutung von Theorie in Zeiten linker Krisen – im Kontext von ‚Deutscher Herbst‘ und ‚Wiedervereinigung‘“. In diesem Text rekonstruiert sie die Debatten zweier Kongresse: Des Tunix-Kongresses von 1978 und des Konkret-Kongresses von 1993. Jana König im Gespräch über ihren Text, in dem sie zunächst auf die gesamtgesellschaftliche Situation der 70er-Jahre eingeht:
- Download: via FRN (mp3; 36 MB; 19:54 min)
Es bleiben einige Lücken: Spontis, Autonome, Anarchismus und Rätekommunismus nach 1968, linke Intellektuelle jenseits der verschiedenen Lager, etc. Aspekte dessen werden hier in verschiedenen Beiträgen demnächst immer wieder auftauchen. Im nächsten – vorerst letzten – Teil unserer Serie wird es noch einmal allgemeiner um 1968 gehen.
Danke für die Arbeit.