Vor vierzig Jahren brach in Portugal im Zuge vorhergehender Streiks und einer progressiven Verschwörung innerhalb des Militärs die sogenannte Nelkenrevolution aus, die nicht nur die Befreiung vom faschistischen Salazar-Regime durchsetzte, sondern in einer Bewegung von Besetzungen die Kollektivierung des Bodens anstrebte und dazu tendierte, die Produktion in proletarischer Selbstverwaltung zu übernehmen. Aus diesem Anlass hat die Leipziger Translib eine Veranstaltungsreihe über diese »letzte sozialistisch orientierte Revolutionsbewegung der Arbeiter_innen und Landarmut im alten Europa« organisiert. Für die Translib war Christopher Zwi in der Sendung Buhne bei Radio Blau zu Gast. Im Gespräch gibt Zwi einen guten Überblick über die Abläufe und das Scheitern der Revolution.
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Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Beitrags findet in der Translib gerade ein Workshop zum Thema »Avantgarde oder Arrièregarde? Die linken Organisationen Portugals im andauernden revolutionären Prozess« statt. Der letzte Programmpunkt der Veranstaltungsreihe findet am 20. Juni statt. An diesem Abend wird ein Zeitzeuge aus Portugal zu Gast sein. Wir möchten diese Veranstaltung ausdrücklich empfehlen. Weitere Infos hier.
Im letzten Jahr haben die Falken Erfurt und das Bildungskollektiv eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Dissidenten der Arbeiterbewegung“ organisiert. Es ging darum, an Strömungen und Personen zu erinnern, die innerhalb der Arbeiterbewegung mit Reformismus, Staatssozialismus und autoritären Strukturen gebrochen haben und sich deren Vermächtnis neu anzueeignen (insb. Linkskommunismus, Anarchismus, Rätebewegung). Zwei Vorträge aus dieser Reihe stehen als Mitschnitt zur Verfügung:
1.) »Ergriffen vom Strudel der Arbeiterbewegung« – Johann Most und sein Verhältnis zu Sozialdemokratie, Marxismus und Anarchismus
Bernd Löffler und Lukas Holfeld (beide vom BiKo) haben einen Vortrag über den deutschen Anarchisten Johann Most gehalten, der mit seiner Zeitung „Die Freiheit“ erheblich zur Verbreitung des Anarchismus beigetragen hat. Der Vortrag erzählt die Biografie Mosts nach und gibt einen kurzen Einblick in seine theoretische Entwicklung (u.a. Johann Most – Der kommunistische Anarchismus). Die beiden Referenten lassen wissen, dass ihr Urteil über den Streit zwischen Most und Peukert anders ausgefallen wäre, wenn sie die Autobiografie Emma Goldmanns vorher gelesen hätten.
Johann Most (1846 – 1906) stieß früh zur revolutionären Arbeiterbewegung, saß für die Sozialdemokratie im Reichstag und für seine Überzeugung in den Knästen Österreichs, Deutschlands, Großbritanniens und der USA. Während der Zeit des Sozialistengesetzes kam es zum offenen Konflikt mit der sozialdemokratischen Parteiführung und Most entwickelte sich zum anarchistischen Agitator. Zeit seines Lebens hat Most eine unermüdliche Energie für den Kampf um politische und soziale Emanzipation der Arbeiter an den Tag gelegt, was ihm gleichermaßen Freunde und Feinde schuf, für ihn oft aber auch bedeutete, auf einem einsamen Posten zu stehen. Im Vortrag soll seine Biografie skizziert und dabei insbesondere ein Fokus auf sein Verhältnis zur Sozialdemokratie und Marxismus sowie seine Stellung innerhalb der anarchistischen Bewegung gelegt werden. (via)
2.) Zur Geschichte der Arbeiterbewegung und dem Verhältnis der »offiziellen« Bewegung zur »Dissidenz«
Jörg Wollenberg (Historiker, Bremen) hat in seinem Vortrag einige grundlegende Gedanken über den „Mainstream“ der Arbeiterbewegung und ihrer „Dissidenz“ formuliert, was er insbesondere am Beispiel der Bremer Rätekommunisten um die Gruppe „Arbeiterpolitik“ ausführt. Er geht auf zahlreiche Personen ein und wirft einen Blick auf ihren Werdegang zwischen Organisierung der Arbeiterbewegung, revolutionären Versuchen, Widerstand gegen den NS und Neuorientierung in der Nachkriegszeit.
»Ganz Deutschland sieht auf uns. Ganz Europa sieht auf uns!« Das verkündeten die Anhänger der »Arbeiterpolitik«, als sie am 10. Januar 1919 die Bremer Räterepublik ausgerufen hatten. Nach der Zerschlagung der Sozialistischen Republik am 4. Februar 1919 finden die Anhänger dieser Gruppe um Johann Knief, Anton Pannekoek, Paul Frölich oder Heinrich Brandler ebenso nach 1920 in der KPD, der KAPD oder bei den Syndikalisten wie in der USPD, SAP oder KPDO und bei den »Roten Kämpfern«. Weil sie den Kontakt zu den beiden »offiziellen« Hauptrichtungen der deutschen Arbeiterbewegung nicht gänzlich abreißen ließen, gewannen diese Anhänger von Rosa Luxemburg als »Dissidenten« besonders im Widerstand gegen den Faschismus und erneut nach 1945 Einfluss auf die Politik in beiden deutschen Staaten. Sie versuchten mit ihren basisdemokratischen Vorstellungen von »Freiheit und Sozialismus« die politische Neuordnung in einem sozialistischen europäischen Deutschland (erneut vergeblich) zu prägen. Und dennoch gelang einigen dabei eine erstaunliche Karriere im Bereich von Wissenschaft, Kultur und Politik. Einer von ihnen wurde gar mit »Mehr Demokratie wagen« Bundeskalnzler der BRD. (via)
Auch außerhalb dieser Reihe gab es Bildungsveranstaltungen, die sich mit Dissidenten der Arbeiterbewegung im weitesten Sinne beschäftigt haben – wir dokumentieren zwei:
3.) »Wir wollen Alles« – Anarchisten in Dortmund von der Nachkriegsgesellschaft bis ins 21. Jahrhundert
Auf Einladung der Anarchistischen Gruppe Dortmund hat Andreas Müller von der Geschichtswerkstatt Dortmund einen spannenden Vortrag über Anarchismus nach dem Zweiten Weltkrieg in Dortmund gehalten. Er gibt zunächst einen knappen Überblick über Anarchismus in Deutschland vom Kaiserreich bis zum Zweiten Weltkrieg und konzentriert sich dann auf die anarchistische Nachkriegsgeschichte im Dortmunder Raum. Müller weiß von zahlreichen Verbindungen zu berichten und viele Anekdoten zu erzählen – etwa die vom Mitglied der Roten Kämpfer, Fritz Riwotzki, der später als Dortmunder Polizeipräsident anarchistische Jugendliche räumen ließ.
Freiheitliche, antiautoritäre und anarchistische Konzepte (Ideen) für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft sind in Dortmund seit dem Kaiserreich entwickelt und diskutiert worden. Immer wieder haben es GenossInnen in Dortmund versucht, diese Konzepte und Ideen umzusetzen. Auch nach dem 2. Weltkrieg fanden sich wieder GenossInnen zusammen. Doch bereits Anfang der 50er Jahre überrollte das Wirtschaftswunder und der autoritäre Adenauerstaat die schon durch den Nationalsozialismus marginalisierte Bewegung. Erst Anfang der 70er Jahre fanden sich besonders Jugendliche zusammen, die sich ihr Leben jenseits des realkapitalistischen Systems organisieren wollten. Anarchistische Gruppen der Graswurzelbewegung oder die an den Betrieben ausgerichtete Freie Arbeiterunion entstanden, umherschweifende Spontis und sogar Parteigründungen wie die Liste UngüLtig waren nun in Dortmund zu finden; sogar eine Arbeitsgruppe Anarchie innerhalb der Grünen.An diesem Abend sollen die libertären Bestrebungen in Dortmund seit 1945 kritisch vorgestellt werden. (via)
Viele Dissidenten der Arbeiterbewegung kamen aus der Arbeiterjugendbewegung oder standen ihr nahe, nicht selten kamen die Arbeiterjugendorganisationen in Konflikt mit denen der Erwachsenen – einen Vortrag über die Geschichte der Arbeiterjugendbewegung haben Philipp und Fred von den Falken Erfurt gehalten. Inhaltliche Punkte des ersten Teils des Vortrags sind: Entstehung unabhängiger Jugendorganisationen in der Arbeiterbewegung, Spaltung der Arbeiterbewegung angesichts des Ersten Weltkriegs, die Freie Sozialistische Jugend und ihre Abspaltungen, Jugendbewegung in der Weimarer Republik, Frauen in der Arbeiterbewegung, Rätekommunisten in der Bildungsarbeit, Konflikt mit der SPD, Reichsjugendtag in Weimar 1920, Freizeitgestaltung, Halbstarke und Klopperei, SAJ, KJV, Kinderfreunde und Kurt Löwenstein, Volkstümlichkeit in der Arbeiterjugendbewegung.
Inhaltliche Punkte des zweiten Teils: Arbeiterjugendbewegung angesichts des Nationalsozialismus, Reichstagsbrand, schleichende Integration, Illegalität und Verfolgung, das Warten auf den Befehl der Arbeiterführer, Organisation im Exil und Auslandsbüros, Widerstand, Einheitsbestrebungen in der Arbeiterbewegung nach ’45, FDJ-West, Antikommunismus in der Adenauer-Ära, FDJ-Ost, Umgang mit Veteranen in der DDR, Gründung der Falken, Zeltlager nach dem Krieg, Einfluss der Rätekommunisten, Internationalistische Jugend gegen den Krieg, Gegen die Wiederbewaffnung, Falken-Kontakte Ost-West, Falken und SPD, Falken und SDS, Jugendverbände und ’68, Krise der Jugendverbände, Subkultur und neue Jugendbewegung, Arbeiterjugendbewegung heute, Bürokratisierung der Jugendverbände.
Inge Hannemann ist dadurch bekannt geworden, dass sie als Angestellte eines Jobcenters zunächst auf ihrem Blog, dann in zahlreichen anderen Medien und im Zuge mehrerer Gerichtsverfahren auf die unmenschliche Sanktionierungspraxis der Arbeitsagenturen aufmerksam gemacht hat. Am 18.09.2013 hat sie in Marburg einen Vortrag gehalten, in dem sie u.a. über die Praxis in den Jobcentern bzw. Arbeitsagenturen und ihre Gerichtsverfahren berichtet hat. Radio Unerhört Marburg hat die Aufnahme des Vortrags nun zur Verfügung gestellt:
Nachdem Inge Hannemann als erste Angestellte einer Arbeitsagentur öffentlich eine Kritik an dem Umgang mit Hartz-IV-Empfängern formuliert hat, sind Andere ihrem Beispiel gefolgt. So hat etwa Marcel Kallwass, der an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit eingeschrieben war, auf seinem Blog Einblicke in die Sachbearbeiter-Praxis gegeben und wurde dafür prompt gekündigt. Hierüber hat er dem Freien Radio Rhein-Neckar ein Interview gegeben:
Auf Einladung der FAU Mannheim hat er unter dem Titel „Innenansichten einer Agentur“ außerdem einen Vortrag über das System Hartz IV gehalten:
Das System Hartz IV begann 2005 mit zahlreichen Protesten gegen die neuen Zumutungen. Unter starker Alltagsrepression haben diese Proteste zwar abgenommen, aber es gibt sie noch. Und: Vermehrt werden sie auch in den Arbeitsagenturen selber formuliert. Marcel Kallwass ist ein solcher „Whistleblower“ und berichtet von seinen Erfahrungen. (via)
Zur Ergänzung sei verwiesen auf zwei soziologische Studien zu Hartz IV: Die Universität Halle-Wittenberg hat eine Studie vorgelegt, die zeigt, dass Hartz-IV-EmpfängerInnen überdurchschnittlich oft an psychischen Erkrankungen leiden. Soziologen der Uni Jena haben kürzlich die Ergebnisse einer Studie über die Folgen „aktivierender Arbeitsmarktpolitik“ vorgelegt. Weniger akademisch: In der Zeitschrift „Das Große Thier“ hat Schnittler über eine vom Amt verhängte Schulungsmaßnahme und eine Arbeitsmaßnahme berichtet. In der Zeitschrift „Lirabelle“ hat Yvette eine Erklärung veröffentlicht, die er seinem Sachbearbeiter vorgelegt hatte. Eine umfassende materialistisch-ökonomiekritische Analyse des Systems Hartz IV steht meines Wissens noch aus – Hinweise werden gern entgegen genommen.