Archiv für den Monat: Juni 2013

90 Jahre Georg Lukács’ »Geschichte und Klassenbewußtsein«

Denn es gibt kein Problem […], dessen Lösung nicht in der Lösung des Rätsels der Warenstruktur gesucht werden müßte. (Georg Lukács)

Diejenigen, die beim Namen Georg Lukács an den ungarischen Kommunisten denken und nicht (nur) an Star Wars, werden in den letzten Monaten wieder zahlreicher. Bücher, Artikel und Vortragsveranstaltungen beschäftigen sich derzeit mit dem anspruchvollen und widersprüchlichen Werk des ersten genuinen Philosophen der Oktoberrevolution (Lars Quadfasel), der die Kategorie der Verdinglichung ins Zentrum seiner Gesellschaftskritik stellte. Lukács war es, der in seinem Werk Geschichte und Klassenbewusstsein darauf verwies, dass mit der universellen Warenform – die alle Lebensäußerungen entscheidend beeinflussende Form – die Verdinglichung total wurde. In Hamburg organisierte Kritikmaximierung eine dreiteilige Veranstaltungsreihe mit Frank Engster/Patrick Eiden-Offe, Rüdiger Dannemann und Detlev Claussen, die wir hier dokumentieren können.
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Dokumente gescheiterter Aufstände

1.) Der Kronstadt-Aufstand

In der Sendung Shalom Libertad auf FSK wurde kürzlich der Text Die Kronstadt Rebellion von Alexander Berkman verlesen. Berkman stellt darin ausführlich die Vorgeschichte und den Verlauf des Matrosen-Aufstandes von 1921 dar und wertet dessen Niederschlagung durch die Bolschewiki aus: „Kronstadt war der erste volksmäßige und ganz unabhängige Versuch einer Befreiung vom Joch des Staatssozialismus – ein direkt vom Volk, von den Arbeitern, Soldaten und Matrosen selbst gemachter Versuch.“ Die Kronstadt-Broschüre kann hier nachgelesen werden.

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    Mit Musik (via MF; zip; pw: Anarchul) | Ohne Musik (via AArchiv)

2.) Aus dem Leben von Jules Vallès

In seiner Broschüre hat Alexander Berkman die Niederschlagung des Kronstädter Matrosenaufstandes mit jener der Pariser Kommune verglichen. Eines der eindrucksvollsten Dokumente über die Pariser Kommune von 1871 hat der unabhängige Sozialist und Schriftsteller Jules Vallès in seiner Autobiografie Jacques Vingtras – Das Kind / Die Bildung / Die Revolte hinterlassen. Die erste Veranstaltung der Hamburger Reihe Die Untüchtigen im Golem hatte Vallès Biografie zum Thema – es wurden Auszüge daraus vorgelesen und mit musikalischen Darbietungen ergänzt. Eine Veranstaltung vom Politbüro, Thomas Ebermann & co.

Jules Valles (1832-1885) wer kennt den denn noch? Eben, da liegt das Problem. Valles ist so etwas wie der „Urvater“ der gesellschaftskritischen Boheme, also des Flügels dieser Spezies, der sich nicht bescheiden wollte mit der These, in der Jugend dürfe man sich ruhig austoben, um nach einer Zeit wilden Lebens um so gesättigter ein reifes, etabliertes Leben zu führen. Jules Valles war: Bohemien, Literat, hungernder Gelegenheitsarbeiter, Aktivist der Pariser Commune, Herausgeber diverser Zeitschriften, gestrenger Feind jeglicher Disziplin, Phantasieuniform-Träger, zum Tode verurteilter, Begnadigter.

Seine Literatur, meint unser Lexikon zutreffend, sei „ein von wildem Hass und bitterem Humor erfülltes, scharfsinniges Werk in bisweilen krass realistischem Stil.“ Was von Valles an diesem Abend gelesen wird, ist also kompatibel mit Arbeiten von Ebermann, Kamerun, Spilker, Schamoni…

Und Valles ist fast logischer Auftakt einer Reihe, die DIE UNTÜCHTIGEN und ihr leben zwar nicht romantisieren, aber doch in notwendige Erinnerung rufen möchte. Eine Lanze brechen für jene, die nicht mit beiden Beinen im Leben stehen, keine Realisten sind, die nach landläufigen Maßstäben weder gefördert noch gefordert werden wollen. Die – ob als literarische Figuren oder reale Autoren – den Anforderungen des (kulturindustriellen) Betriebes nicht gewachsen waren. Die gegenüber der Welt – „so, wie sie nun einmal ist“ – fremdeln. Die Vergrübeltheit für keine Schande halten; die umstürzlerisches denken und, sollte sich die Gelegenheit ergeben, sogar praktizieren.

„Untüchtige“ Autoren wie Erich Mühsam und Gisela Elsner, grobe Spötter das Kulturgetriebe wie Thomas Bernhard, Albert Camus und Georg Kreisler werden also in den nächsten Monaten im „Uebel & Gefährlich“ präsentiert von alteingesessenen Schnapsnörglern und jungen aufstrebenden Versagern auf dem Weg ins kulturelle Nirvana. Die Fragestellung lautet: wie kann ich mir selbst möglichst erfolgreich Steine in den Weg legen. [via]

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Mit gescheiterten Aufständen beschäftigt sich derzeit gerade eine Veranstaltungsreihe in Erfurt und Weimar, auf die wir hiermit hinweisen wollen: Dissidenten der Arbeiterbewegung. Material aus der Reihe wird beizeiten an dieser Stelle auftauchen. Außerdem wollen wir auf einen thematisch passenden Redebeitrag hinweisen, der kürzlich auf der 1.Mai-Demo in Erfurt verlesen wurde – die Gruppe Club Communism hat darin den 1. Mai, entgegen seiner üblichen symbolischen Aufladung, als einen Tag der Niederlagen gedeutet – um gerade in dieser Reflexion der revolutionären ArbeiterInnenklasse die Treue zu halten: zum Redebeitrag.

Fetzen kritischer Theorie in Zeiten konstitutiver Überflüssigkeit

Zur Stellung der Überbleibsel des Denkens zum stacheligen Objekt

In der Reihe »Nackte Gewalt – Die Übermacht der Verhältnisse und die Sprachlosigkeit der Kritik« wandte sich zuletzt Arne Kellermann der etwas ratlos machenden Frage zu, wie mit der realen Ohnmacht kritischer Theorie im Angesicht des perennierenden Elends in der kapitalistischen Peripherie umzugehen ist und warum es nötig ist, Adorno hinter sich zu lassen.

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Ankündigungstext: Weiterlesen

»[…] das wache Begehren, zu kritisieren, was uns so müde macht.« – Outside the Box #4. Arbeit

Unser Leben ist der Mord durch Arbeit, wir hängen 60 Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.
(Georg Büchner, Dantons Tod, 1835)

Heute erscheint in Leipzig die vierte Ausgabe der feministisch-materialistischen Zeitschrift »Outside the Box«. Zum Thema Arbeit sind lesenswerte 160 Seiten entstanden, die in gesellschaftskritischen Artikeln, künstlerischen Auseinandersetzungen, Diskussionen und Gesprächen die (all)gegenwärtigen Widersprüche und Zwänge thematisieren und so eine theoretische und praktische Auseinandersetzung (nicht nur) mit dem Feminismus vorantreiben. Dazu ein Gespräch von Radio Corax mit zwei Redakteurinnen der Zeitschrift.

    Download: via AArchiv (mp3; 36 min; 83 MB)

Wie Outside the Box, wo seit mittlerweile fünf Jahren auch mit neuen Formen des Zeitschriftenmachens experimentiert wird, versucht auch Roswitha Scholz an einer feministischen Kritischen Theorie zu arbeiten. Bei Rotten System/Rotten World findet sich ein Interview mit Scholz.

    Download: via AArchiv (mp3; 47 min; 65 MB)

Nischen als Übungsfeld für den sich ständig erneuernden Kapitalismus

Hier werden neue Arbeitszeitmodelle geübt, Menschen flexibilisiert, das Chefduzen erlernt, die Kreativität und der Spaß ausgebeutet: (subkulturelle) Nischen. Ein Feature von Radio Corax, welches einen Artikel aus Testcard #19 vertont, unter der Frage „Was blüht (uns) in der Nische?“ Hörenswert gerade beim Blick auf jene Versuche, die sich – bei der Suche nach dem guten Leben – in den jämmerlichen Gegebenheiten des Kapitalismus einrichten. Download: via AA (mp3; 0:25 h; 34 MB)

Überlegungen zur Kritischen Theorie

Nackte Gewalt – Die Übermacht der Verhältnisse und die Sprachlosigkeit der Kritik (I)

In dieser Woche begann in Berlin eine vielversprechende Veranstaltungsreihe, deren erster Teil im Folgenden dokumentiert wird. Es handelt sich um einen sehr einführenden Vortrag zur Kritischen Theorie. Nina Rabuza und Martin Mettin geben anhand »klassischer Texte« Kerngedanken Horkheimers, Benjamins und Adornos wieder. Im einzelnen geht es um Traditionelle und kritische Theorie (Horkheimer), Benjamins Geschichtsthesen, die Dialektik der Aufklärung (Horkheimer/Adorno) und Adornos Reflexionen zur Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden in der Negativen Dialektik.

    Hören:

Download: mp3 via AArchiv (0:54 h, 31 MB) | mp3/ogg via Archive.org

Die weiteren Termine im Überblick (Vorträge finden donnerstags um 19:30 Uhr in der HU statt):

  • Arne Kellermann, Fetzen kritischer Theorie in Zeiten konstitutiver Überflüssigkeit. Zur Stellung der Überbleibsel des Denkens zum stacheligen Objekt – 20. Juni 2013
  • Jordi Maiso, Gegenwärtige Vorgeschichte: Versuch einer Standortbestimmung – 27. Juni 2013 + Tagesseminar am Folgetag
  • Joachim Bruhn, Kalkül und Wahn, Vertrauen und Gewalt. Vor dem Ausnahmezustand des Kapitals – 5. Juli 2013 + Tagesseminar am Folgetag zu Kritik und Krise. Der Anfang des Marxschen Kapital und das Ende der kapitalisierten Gesellschaft
  • Lea Bendemann, »Wirf‘ weg, damit Du gewinnst«. Metaphysik bei Adorno – 11. Juli 2013
  • Sebastian Tränkle, »Sagen, was sich eigentlich nicht sagen lässt«. Über Sprachlosigkeit und materialistische Sprachkritik – 18. Juli 2013

Ankündigungstext zum Vortrag:

Die Kritische Theorie der Gesellschaft, wie Max Horkheimer in seinem Aufsatz »Traditionelle und kritische Theorie« schreibt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die realen gesellschaftlichen Verhältnissen zu analysieren und die Frage nach der Möglichkeit von Freiheit zu stellen, deren Verwirklichung heute unmöglich erscheinen muss. Die Spannung zwischen der Hoffnung auf Glück und Freiheit und deren verpasster Verwirklichung stellt eine paradoxe Grundfigur der Kritischen Theorie dar. Der Vortrag möchte diese und einige weitere Motive des Kritischen Denkens, insbesondere Theodor W. Adornos, Max Horkheimers und Walter Benjamins, einführend beleuchten.

Ankündigungstext der Reihe: Weiterlesen

Kinder, Küche, Kantine?

Arbeiterinnen in der Industrialisierung

Radio Z machte kürzlich ein Hörbuch des Nürnberger Forums Frauengeschichte verfügbar, in dem recht anschaulich die geschlechtliche Dimension der Industrialisierung und Proletarisierung dargestellt wird. Unterbrochen von etwa je zweiminütigen Musikschnipseln, schildert das Hörbuch teilweise historisch-allgemein, teilweise erzählend und ZeitzeugInnenberichte wiedergebend, die ungleiche Behandlung, die Arbeiterinnen durch Mehrfachbelastung, Fabrikgesetzgebung und selbst seitens der Genossen von der organisierten Arbeiterbewegung widerfuhr. Wenig theoretisch, aber sehr informativ.

Download: via Radio Z, via AArchiv, via RS.com (0:55 h, 50 MB)

Inhalt:

  1. Kein Drang nach rastlosem Schaffen: Die erste Generation der Fabrikarbeiterinnen
  2. Dreifachbelastung: Lohnarbeit, Hausarbeit, Mutterschaft
  3. „Stillprämien“: Säuglingssterblichkeit und Gegenmaßnahmen
  4. Rationalisierung und (mangelnde) Qualifikation
  5. „Das Evangelium der Arbeiterbewegung“: Sozialistische Frauenagitation und Streiks

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