Zur Aktualität von Hegels »Philosophie der Geschichte«
Deutschlandfunk stellt ein interessantes Radio-Essay von Peter Bürger zum Hören zur Verfügung, in dem dieser einige Überlegungen über die Aktualität der Hegelschen Geschichtsphilosophie anstellt. Das Essay ist meines Erachtens ambivalent: Einerseits spricht hier deutlich der bürgerliche Intellektuelle, der von der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Institutionen (der »Souverenität des Volkes« und insbesondere der Kultur) enttäuscht ist, ohne in einer materialistischen Analyse herauszuarbeiten, wie dieser Verfall einer kapitalistischen Krisenlogik immanent sein könnte (und dabei auch ohne Managergehälter oder italienische Wahlen etwas mit Ausbeutung zu tun hat). Er muss daher bei seinem Vergleich dieser Institutionen mit dem Hegelschen Bild der römischen Gesellschaft auf der Ebene oberflächlicher Analogien verbleiben — auf der anderen Seite bemüht sich Bürger jedoch, ein »nach dem Kapitalismus« denkbar zu machen, ohne dabei einerseits in blinden Geschichtsoptimismus oder andererseits in ebenso blinden Fatalismus zu verfallen.
Der Philosoph Georg Friedrich Wilhelm Hegel betrachtete die Geschichte als Prozess eines dialektischen Fortschritts. Von diesem Vertrauen ist heute nicht mehr viel übrig. Die Zukunft erscheint in eher düsteren Farben. Doch auch für die Gegenwart hält Hegels „Philosophie der Geschichte“ Ermutigung bereit.
Der Literaturwissenschaftler Peter Bürger befasst sich in regelmäßigen Abständen mit vielfach als verstaubt geltenden Klassikern der Geistesgeschichte. So untersuchte er etwa die Rolle Friedrich Nietzsches als Reformator oder er versuchte Oswald Spenglers „Untergang des Abendlands“ neu zu bewerten.
Er lehrte an der Universität Bremen Literaturwissenschaften. Sein Hauptwerk über die „Theorie der Avantgarde“ wurde in fast alle Sprachen übersetzt. 2007 erschien beim Suhrkamp Verlag sein Buch „Sartre. Eine Philosophie des Als-ob“. [via]
Lesen und Hören: bei DLF (Essay und Diskurs)
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Die tatsächlich vorhandenen kritischen Einsichten verblassen dann aber doch irgendwie endgültig hinter der eben doch nicht abgeschüttelten internalisierten Vorstellung vom „Fortschreiten der Geschichte“, wie es die bürgerlichen Aufklärer in die Welt gesetzt haben – wie „idealistisch“ und in Zeiten weltweiten kapitalistischen Elends zynisch ist es, diese Gedanken mit dem Satz enden zu lassen: „Die Völker müssen wohl durch die Phase der Globalisierung hindurchgehen und die Subjekte ganz außer sich geraten sein, damit etwas wieder denkbar wird wie das Bedürfnis nach Geist.“
Kritischere Pendants dazu sind bei Euch Daniel Späths Hegel-Kritik (/2011/10/16/weltgeist-und-ideologie/), der Vortrag von Lars Quadfasel zur Kritik von Freiheit und Subjektivität (/2012/03/25/was-tun/) und der von Hannes Bode zur Realgeschichte der Aufklärung (ebd.) sowie in Buchform Susan Buck-Morrs Kapitel zu Hegel und Universalgeschichte (http://de.scribd.com/doc/39909559/BUCK-MOSS-Hegel-Haiti-and-Universal-History).
Gute Einschätzung des Beitrages. Ich war beim Hören auch etwas enttäuscht.
Dieses Hegel-Essay scheint einen vorläufigen Abschluss einer ganzen Reihe von Beiträgen zu sein, in denen Peter Bürger sich mit philosophischen Klassikern beschäftigte und zwar in umgekehrter historischer Reihenfolge.
1. »Schreibend existiere ich«. Der gewandelte Blick auf Jean-Paul Sartre. Ein Gespräch mit Peter Bürger.
2. Friedrich Nietzsche – Der Reformator. Reformprojekt des Philosophs: Erneuerung der zeitgenössischen Kultur.
3. »Ich tanze nicht«. Annäherungen an Kierkegaard.
4. »Die Wahrheit ist selbst geschichtliche Bestimmtheit«. Die Wirkmacht des Linkshegelianismus.
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