Dath und Ebermann haben sich offensichtlich seit längerer Zeit einmal vorgenommen, miteinander öffentlich zu diskutieren – kürzlich wurde der Mitschnitt dieser Diskussionsveranstaltung, die am 14.12.14 im Hamburger Golem stattfand, bei Soundcloud veröffentlicht. Dietmar Dath nimmt die Behauptung von Wolfgang Pohrt, die Verwissenschaftlichung der Revolution sei ein großer Quatsch (siehe auch hier), zum Ausgangspunkt, um zu begründen, warum er und Barbara Kirchner (u.a. in „Implex“ und „Klassenkampf im Dunkeln„) am Anspruch wissenschaftlichen Denkens festhalten und sich dabei explizit auf Wissen und Denkmodelle aus den Naturwissenschaften bedienen. Ebermann kritisiert dann einige Sachen, die er an Dath schon immer mal kritisieren wollte und dann kommen sie ins Gespräch über das Verhältnis von Kritik und Spekulation, die Stellung zum Staat, Produktivkraftentwicklung und Fortschritt.
Talkin’ bout a Revolution
Der Sozialismus ist kein schwer verständliches und lückenhaftes Traumgebilde. Er ist die erreichbare Konsequenz geschichtlicher Erfahrungen – die praktische Aufhebung des bestehenden Unrechts. Das Ziel mag weit entfernt, und die Kräfte zur Erzwingung eines besseren gesellschaftlichen Zustands mögen schwach sein. Dennoch gilt es zu kämpfen, zu streiten, zu organisieren, zu propagieren, zu erfinden und auszuprobieren und es kommt darauf an, sich nicht dumm machen zu lassen von dem ganzen Mitmachgewürge, das mit der bestehenden Scheiße einverstanden ist.
Dietmar Dath stellte an diesem Abend sein Buch Klassenkampf im Dunkeln. Zehn zeitgemäße sozialistische Übungen vor, erklärt wie all das gehen könnte und was auf dem Weg zu einem neuen Sozialismus zu tun wäre. Mit ihm diskutiert Thomas Ebermann. Gemeinsam werden sie einige sozialistische Übungen probieren und dem Publikum kein revolutionäres Geheimnis vorenthalten. Es wird gefachsimpelt, debattiert und gestritten, bis das Stuhlbein regiert. (via)
Seit dem (Wieder)Erstarken der Thematisierung des Klimawandels sind Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Energiesparen, CO2-Minimierung und vor allem „gesunde“ (Bio-)Nahrungsmittel alltägliche Paradigmen der Lebenswelt. Vor einigen Jahren noch undenkbar ist das Warenangebot an Bio-Produkten, vollwertigen Lebensmitteln, ökologisch verträglichen, früher nur in der Reformhaus-Szene erhältlichen Verbrauchsprodukten bis hin zum Stromanbieter, energieneutralem Hausbau sowie Umweltinvestment für den Kleinanleger unüberschaubar gewachsen. Kaum ein Unternehmen leistet sich kein Umweltmanagement, Umweltschutz ist auf regionaler bis globaler Ebene eines der wichtigsten Topoi in der Politik geworden und die Konsumwelt ist ohne die Labels ›Bio‹, ›ökologisch abbaubar‹, ›CO2-neutral‹ etc. nicht mehr vorstellbar. Umweltbewusstsein, nachhaltiger Konsum und darauf bezogene Wachstums- und Konsumkritik beleben nicht nur Untote wie die globalisierungskritische ATTAC-Bewegung, sondern transformieren den seine Bedürfnisse befriedigenden Normalbürger in einen ›kritischen Konsumenten‹. Der Natur was Gutes tun, ob „mit jedem Waschgang“ oder der Balkon-Tomate.. Im Mittelpunkt der konsumkritischen Wohlfühl- und Bewusstseinspraxis steht ein Verständnis von Natur, in dem sie als vermeintliches Prinzip des Reinen, Guten oder Authentischen, als Gegensatz zur Gesellschaft fetischisiert wird. Was hinter der gesamtgesellschaftlichen Pseudoaktivität, ob als ›kritischer Konsument‹, als von Wellblechhütte und Subsistenz träumende Wachstumskritikerin oder moralisch richtig gepolter, grün-konservativer Altbau-Bewohner, verschwindet, ist eine Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Naturverhältnis. Die Frage, was die Zerstörung der Natur und das zügige Voranschreiten zu tatsächlichen Grenzen des Planeten, mit dem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang, mit der kapitalistischen Produktionsweise und mit gesellschaftlicher Herrschaft zu tun haben könnte, stellt sich erst gar nicht. Dies ist der Ausgangspunkt einer aus drei Vorträgen bestehenden Reihe des AK Kritische Intervention, in der Martin Blumentritt, Julian Kuppe und Michael Schüßler Aspekte einer materialistischen Gesellschaftskritik des Verhältnisses von Natur und Gesellschaft herausarbeiten.
Martin Blumentritt: Der Begriff der Natur bei Marx und Adorno
Bereits in der bekannten ersten Feuerbachthese bestimmte Marx das Verhältnis von Natur und Gesellschaft in kritischer Auseinandersetzung mit dem sinnlichen Materialismus Ludwig Feuerbachs. Diesem sei zu zugestehen, dass im Gegensatz zur Erkenntnistheorie des deutschen Idealismus dem Subjekt wirklich „sinnliche Objekte“ und nicht „Gedankenobjekte“ gegenüberstehen. Die subjektive Hinwendung folge aber nicht einfach der „Form des Objekts“ oder sei Prozess der „Anschauung“, sondern ist die Geschichte der „sinnlich[en] menschliche[n] Tätigkeit“ selbst. Marx stellt damit den Subjektivismus des Idealismus auf materialistische Füße. Er verneinte nicht einfach den idealistischen Konstruktivismus, sondern zeigte, wie der Mensch sich durchaus seine Wirklichkeit schafft, weniger aber durch sein Erkennen als vielmehr durch sein schöpferisches, umgestaltendes und notwendiges Tätig-Sein, dass jedoch zugleich die objektive Welt zwar ›für ihn‹ ist, aber nicht letztlich aus seiner Anschauung oder Praxis hervorgeht. Die sich darin abzeichnende Dialektik, dass der Mensch stets eine „geschichtliche Natur und eine natürliche Geschichte vor sich habe“ (Marx/Engels; Deutsche Ideologie), ja mehr sogar, dass der Mensch als zugleich Natur- wie gesellschaftliches Wesen selbst Teil dieser Konstellation ist, stellt auch den materialistischen Kern der Kritischen Theorie dar. Natur wird darin mit der Kategorie der „Naturgeschichte“ und der „Negativen Ontologie“ (Adorno) in ihrem „gesellschaftlich-geschichtlichen Charakter“ begriffen. Das bedeutet, dass „[a]lle (…) Aussagen über Natur, seien sie spekulativer, erkenntnistheoretischer oder naturwissenschaftlicher Art, (…) die Gesamtheit der technologisch-ökonomischen Aneignungsweisen der Menschen, gesellschaftliche Praxis jeweils schon voraus[setzen]“ (Alfred Schmidt). Natur, auch des Menschen selbst, ist somit stets vermittelt, gewinnt aber zugleich durch ihre doppelte immanente Notwendigkeit als für den Menschen lebensnotwendiger Naturstoff sowie als Natur am Menschen einen zur Gesellschaft antagonistischen Charakter. Was das für eine Gesellschaftskritik bedeutet, soll ausgehend vom Referat diskutiert werden.
Julian Kuppe: Ohnmacht und imaginäre Inszenierung. Zu einigen gegenwärtigen Erscheinungen des Verhältnisses von Natur, Individuum und Gesellschaft
In gegenwärtigen Gesellschaften ist eine Gleichzeitigkeit von Dynamik und Erstarrung vorzufinden. Der dieser Erscheinung zugrunde liegende Zusammenhang muss im Verhältnis von Natur, Individuum und Gesellschaft in ihrer kapitalismusspezifischen Form gesucht werden. Wie Marx und die kritische Theorie aufweisen, ist Geschichte bis heute Vorgeschichte, in der sich Naturzwang blind durchsetzt. Fortschritt und gesellschaftliche Dynamik erweisen sich damit als Ausdruck unbegriffenen Naturzwangs, als Naturgeschichte. Diese Dynamik der ihrer selbst unbewussten Gesellschaft bringt ganz offenbar erhebliche soziale und ökologische Widersprüche hervor, die innerhalb des Rahmens der bestehenden Verhältnisse nicht aufzulösen sind. Was aber ist die gesellschaftliche Antwort auf diese Konstellation? Ein Schwerpunkt gesellschaftlichen Praxis scheint vor allem darin zu bestehen, die scheinbare Ohnmacht gegenüber den als Naturmacht erscheinenden gesellschaftlichen Verhältnissen imaginär zu bewältigen. Gesellschaftliche Dynamik ist damit einerseits als blinder Naturzwang real und andererseits als imaginäre gesellschaftliche Praxis scheinhaft, wobei sich dahinter zugleich die gesellschaftliche Statik in Form der erstarrten gesellschaftlichen Verhältnisse verbirgt. Da die Identität von Imaginärem und Realität aber nicht herzustellen ist, sondern immer wieder scheitert, wird letztlich Gewalt zum Mittel des Versuchs der Herstellung dieser unmöglichen Identität. Der Vortrag versucht der Frage nachzugehen, welche Stellung imaginäre Identität in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Konstellation einnimmt und in welchem Verhältnis diese gesehen werden müsste, um die katastrophalen, gewaltförmigen Folgen, die diese gegenwärtig mit sich bringt, zu vermindern.
Michael Schüßler: Interaktionsform und Sprachzerstörung. Die materialistische Sozialisationstheorie Alfred Lorenzers – Kritische Theorie des Subjekts
Trotz ihrer Wendungen zwischen Kulturismus und Biologismus ist die Psychoanalyse stets ein Feld, in dem sich der Antagonismus zwischen Natur und Gesellschaft am Menschen auftut. Im Gegensatz zu den Positionen der revisionistischen oder biologistischen Seite, aber auch gegenüber dem ‚Lacanschen Mainstream‘ hat Alfred Lorenzer versucht, für den Gegenstand der Psychoanalyse die Dialektik von Natur und Gesellschaft darzulegen und damit zugleich die methodologischen Grundlagen der psychoanalytischen Praxis als auch ihr Verhältnis zur kritischen Gesellschaftstheorie schärfer zu bestimmen.
Seine psychoanalytische Theorie stellt sich dem Widerspruchsverhältnis einer nicht in Gänze in gesellschaftlicher Praxis aufgehenden menschlichen Natur, ohne das diese einer Essentialisierung gleichkäme. Hierfür sind bei Lorenzer zwei zusammenhängende Stränge von Bedeutung. In seiner materialistischen Sozialisationstheorie zeigt er, wie in Reiz-Reaktions-Komplexen zwischen Fötus und Mutter bereits intrauterin, später in vorsprachlichen leiblich-körperlichen Interaktionsformen zwischen Neugeborenen und primären Beziehungsobjekten und vor allem in der Spracherwerbung Naturanlagen und gesellschaftliche Praxis beständig vermittelt werden. Zugleich zeichnet Lorenzer in diesem Zusammenhang von prässymbolischen Interaktionsformen und der späteren Spracherwerbung die Bruchlinien zwischen Kind und gesellschaftlichen Anforderungen als stets konflikthafte, beschädigende Subjektwerdung unter den Bedingungen gesellschaftlicher Herrschaft nach. Die Psychoanalyse Alfred Lorenzers weitet sich so zu einer Kritischen Theorie des Subjekts.
Im Vortrag möchte ich mit besonderem Fokus auf das Verhältnis von Natur und Gesellschaft am Menschen diese Kritische Theorie des Subjekts von Lorenzer darlegen und die Stärke des Ansatzes auch vor dem Hintergrund des poststrukturalistischen Mainstreams diskutieren. Hierzu werde ich den Fokus auf Lorenzers Ansatz einer materialistischen Sozialisationstheorie legen.
Zudem bat Michael Schüßler um Platz für eine Verortung der materialistischen Sozialisationstheorie Alfred Lorenzers und damit um Platz für eine Kontextualisierung des Vortrags.
In seiner materialistischen Sozialisationstheorie zeigt Alfred Lorenzer, wie in Reiz-Reaktions-Komplexen zwischen Fötus und Mutter bereits intrauterin, später zwischen dem Körperbedarf des Kindes und den von primären Beziehungsobjekten dargebotenen gesellschaftlichen Praxisformen die ›innere Natur‹ des Kindes und Gesellschaft beständig vermittelt werden. Vor allem das gestisch-praktische Arrangement zwischen Kind und primären Bezugsobjekten (›Mutter‹) sowie die in Triebe umgesetzten somatischen Reize stellen das Ergebnis dieser ›Interaktionen‹ und der frühen Objektbeziehungen des Kindes dar. Dieses von Lorenzer im Begriff der ›Bestimmten Interaktionsformen‹ reflektierte Repertoire an ersten Praxisfiguren zwischen Kind und der von ihm noch nicht geschiedenen Objektwelt schlägt sich im werdenden Subjekt auch neurophysiologisch als Erinnerungsengramme, folglich leiblich nieder.
Wie sich nach Lorenzer bereits in der vor- aber nicht außersprachlichen Phase die Dialektik von Natur und Gesellschaft am Menschen nachzeichnen lässt, so fügt sich der qualitative Umschlag von den unbewussten Interaktionsformen in die ersten Bewusstseinsformen durch die Spracherwerbung in dieses Verhältnis ein.
Lorenzer macht deutlich, dass Spracherwerbung nicht die bloße Übernahme der objektiven Sprachstruktur und ihrer Regeln ist. Vielmehr ist Sprache beim Kind ebenso die innerpsychische und neurophysiologische Verankerung von Praxis; in dem Fall die Verklammerung von Bestimmten Interaktionsformen mit lautlicher Symbolisierung. In diese ›Symbolischen Interaktionsformen‹ sind folglich der gestische und sinnlich-mimetische Zusammenhang der ersten Praxisfiguren und das Triebgeschehen aufgehoben.
Besonders an der Spracherwerbung als bedeutenden Punkt der Ausbildung von Ich- und Nicht-Ich-Pol hebt Lorenzer hervor, dass bereits die primäre Sozialisation als stets konflikthafte, beschädigende Subjektwerdung unter den Bedingungen gesellschaftlicher Herrschaft zu begreifen ist. Bereits in der Ausbildung der ersten Bewusstseinsformen kommt es zu dem, was Lorenzer Sprachzerstörung nennt und Freud mit den Begriffen der Verdrängung und Fixierung bezeichnet hat. Es geht um die Konfrontation von bereits hergestellten Symbolischen Interaktionsformen mit neuen Praxisanforderungen in konflikthafter Konstellation. Unter der Dominanz und der Vehemenz der neue Anforderung zerreißt das bestehende Gefüge von Interaktionsform und Symbol; drängt die nun verpönte Praxisfigur ins Unbewusste, wo jedoch ihr energetischer, triebhafter Gehalt bestehen (Freud: fixiert) bleibt. Als konflikthafte Bestandteile des ES können diese „Klischees“ (Freud) durch bestimmte situative Reize in unmittelbarer und nicht realitätsgerechter Form nach ›oben‹ drängen. Sie sind die Quelle neurotischen oder gar psychotischen Leidens.
Materialistisch ist diese Theorie in dreifacher Weise. 1. Sie zeigt, wie Natur und Gesellschaft am Menschen in einem Widerspruchsverhältnis vermittelt sind. Natur bildet zwar den Möglichkeitenhorizont, entfaltet sich jedoch stets unter dem Eindruck gesellschaftlicher Praxis; bereits in der embryonalen Phase. Zugleich lässt sich Natur nicht aus dieser Praxis ableiten, geht in dieser nicht auf. 2. Darüberhinaus sind die ersten Objekt-Beziehungen des Kindes nicht auf eine familiäre Praxis eingeschränkt. Lorenzer erörtert, dass die ›mütterliche‹ Praxis stets schon gesellschaftliche, herrschaftsförmige Praxis qua gesellschaftlicher Subjekt- und Leibform und der primären wie sekundären Sozialisation der primären Bezugspersonen ist. 3. Zudem ist Sprache als wesentliches qualitativ veränderndes Moment der primären Sozialisation in die Dialektik von Natur und gesellschaftlicher Praxis eingespannt und geht dieser nicht einfach voraus. Sprache ist Praxisform zwischen Anlagen des Kindes, der bis dato hergestellten Triebstruktur und des objektiven Sprachsystems. Als Vermittlungsschritt von Interaktionsform und (Laut-)Symbol sind in den Sprachfiguren das sinnlich-gestische Arrangement der Erlebnisszene und das Triebgeschehen bewahrt. Erst die durchgesetzte Rationalität ›schleift‹ beim Kind die sinnlich-mimetischen und bildlichen Aspekte der Sprachsymbole ab, macht aus symbolvermittelten Erlebnisszenen ›entleerte‹ Allgemeinbegriffe und Zeichen. Dies ist zugleich potentialfördernd als Bedingung höherer Abstraktionsgrade und doch auch beschädigend im Sinne einer ›Entsinnlichung‹ von Sprache und Praxis. Genannte Aspekte bleiben im Kern der Sprache sowie als Teil des Unbewussten „als Stachel des Nichtidentischen gegen das allgemein Anerkannte lebendig“ (Lorenzer, Zu Begründung einer materialistischen Sozialisationstheorie, 1972, S. 119). Sie stellen, ob nun als Anteil lustbesetzter Erlebnisszenen, als Erinnerung und Phantasie oder aber als sinnlicher Gehalt von Reflexivität, widerständige Momente gegen die herrschende Rationalität dar.
Vor diesem Hintergrund begründet Lorenzer die psychoanalytische Praxis in ihrer Methodologie als materialistische Tiefenhermeneutik. Als ›szenisches Verstehen‹ muss der Analytiker die ›Erzählbilder‹ des Analysanden in dessen lebensgeschichtliche Genese einordnen, sich folglich auf den lebenspraktischen Zusammenhang einlassen.
In dem unmittelbaren Zusammenspiel beider Akteure nimmt der Analytiker keine bloße Beobachtersituation ein, vielmehr wird er selbst zum Teil der Konfliktszenen, die der Analysand in die Analysesituation überträgt. Er wird in der Analytiker-Analysand-Dyade selbst Teil des ›Spiels‹ des Patienten, der dem Analytiker eine Rolle in seinem ›Drama‹ zuweist. Dem Analytiker kann es gelingen, die verschütteten Konfliktsituation sinnlich-konkret (nach)zuerleben und im Verein mit dem szenisch-hermeneutischen Deuten als eigene Erlebnisschicht des Fremdpsychischen verbalisieren und so den unbewussten Gehalt der Konfliktszenerie ins Bewusstsein holen.
Die ›Resymbolisierung‹ verändert die Konfliktkonstellation zwischen bewussten und verdrängten Bestandteilen. Mitnichten ist damit das Leiden beendet oder sind gar die Zumutungen der Realität vom Patienten genommen. Das Leiden, begriffen als zugleich inneres wie soziales Leid, kann die Psychoanalyse nicht beenden, vielmehr ist sie „Hilfe gegen die ungeeigneten Selbstbeschränkungen, die der notwendigen Selbstbehauptung[!] entgegenstehen“ (Lorenzer, Kultur-Analysen, 1986, S. 23).
Dies deutet auf ein weiteres wichtiges Element in Lorenzers Ansatz. Die Analyse subjektiver Struktur, als Sozialisationstheorie wie als psychoanalytische Praxis, muss stets vermittelt werden mit der Analyse objektiver Struktur. Beide Perspektiven laufen gewissermaßen gegenläufig aufeinander zu. Dies bedingt sich dadurch, dass Individuum und gesellschaftliche Verkehrsformen jeweils nicht völlig auseinander ableitbar, also nichtidentisch sind. Lassen wir dazu zum Schluss Lorenzer zu Wort kommen:
„Gegenstand des psychoanalytischen Verfahrens sind die ››Produkte‹‹ des Sozialisationsprozesses. Der Durchblick auf Sozialisation darf ebensowenig mißverstanden werden wie die Rede davon, daß das erfaßbare Leiden letzten Endes auf eine verfehlte Synthesis von innerer Natur und vermittelter gesellschaftlicher Praxis zurückgeht. Beide Aussagen enthalten keinen kausalgenetischen Anspruch. Im Gegenteil. Psychoanalyse ist ausschließlich Strukturanalyse, ohne ››hinter‹‹ den subjektiven Strukturen objektive Bedingungen erfassen zu können. Um die Kausalgenese zu entfalten, muß die subjektive Strukturanalyse einer objektiven Analyse vermittelt werden, was allemal den theoretischen und gegenwärtig-praktischen Rahmen der Psychoanalyse überschreitet und nur innerhalb einer historisch-materialistischen Gesellschaftstheorie möglich wird. Psychoanalytische Erkenntnisse durchbrechen nicht den Bannkreis ideologischer Bornierung. ››Wahr‹‹ im Sinne einer an die geschichtlichen Prozesse gebundene Wahrheit ist jedoch die ››Richtung‹‹ der hermeneutischen Durchdringung: Die Richtung von unerträglichen lebenspraktischen Entwürfen zu erträglichen verweist auf Gewalt, die dem Produkt des Sozialisationsprozesses angetan wird. Sie verweist auf antagonistische Produktionsverhältnisse.“ (Lorenzer, Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis, 1976, S. 278).
Ein weiterer Beitrag zur Kritik der historischen wie gegenwärtigen Naturverhältnisse, der auf eine Vortragsreihe in Jena verweist, die versuchte Momente einer kritischen Theorie der Naturwissenschaften herauszuarbeiten: Die Veranstalter, die sich die Frage stellten, warum die Naturwissenschaften im Kontext von Debatten, die sich auf das kritische Denken von Horkheimer und Adorno stützen, bisher tendenziell eher als randständig angesehen wurden, zur Motivation der Reihe.
1.) Martin Blumentritt – Zum Begriff der Natur und der Wissenschaft bei Marx
In Erinnerung und mit Bezug auf den 2012 verstorbenen Alfred Schmidt, referiert Martin Blumentritt über die Lehre der Natur bei Marx.
Die Überlegungen der Frankfurter Kritischen Theorie in den frühen 60er Jahren kreisten um einen Materialismus der „zweiten Natur”. Alfred Schmidts Dissertation über die Lehre der Natur bei Karl Marx suchte nicht bloß interpretierend, die Kritische Theorie weiterzuführen. Durch den erneuten Rekurs auf Marx konkretisierte er die Kritik an der auf Engels zurückgehenden Variante der Marx-Interpretation, die zu einer Trennung von historischem und dialektischem Materialismus und der Vorordnung eines naturalistisch-ontologischen Materialismus vor dem historischen führte. Die alten Materialisten hätten in der Sache, nicht in der Form, recht gehabt, die die Stärke des Idealismus war:
„Es gibt in der idealistischen Philosophie Fragestellungen, die mit der idealistischen Form, in der sie vorgetragen werden, nicht abgetan sind. Der deutsche Idealismus von Kant bis Hegel, an den Marx bewußt angeknüpft hat, zeigt, daß die uns umgebende Welt keine bloß an sich seiende, sondern ebensosehr eine für und durch uns seiende Realität ist. Freilich hat der Idealismus diese Abhängigkeit des Objektiven vom Subjektiven, indem er sie aussprach zugleich mystifiziert, und zwar deshalb, weil er die subjektive Konstitution dessen, was wir Erfahrungs- und Dingwelt nennen radikal entstofflichte und dadurch die Sache verdunkelte.”[1]
Mit dem Begriff der „gegenständlichen Tätigkeit” hielt Schmidt die Vermitteltheit des unmittelbar Vorfindlichen gegen die idealistischen Formen fest und arbeitete eine Alternative zu Engels ontologischer Naturdialektik heraus, wodurch der erkenntnistheoretischen Abhängigkeit der Objektwelt und ontologischen Unabhängigkeit gleichermaßen Rechnung getragen wird. Aus der Perspektive von Kants negativer Metaphysik und Hegels Produktionslogik diskutierte Schmidt das Verhältnis erster und zweiter Natur mittels der Interpretation der marxschen Texte in Hinsicht auf ihr Naturverhältnis. [via]
2.) Jörg Huber – Subjektive und objektive Momente physikalischer Erkenntnis
Huber spricht über den naiven Glaube an die absolute Objektivität der Naturwissenschaften. Denn: Naturwissenschaften können gar keine völlig objektive Beschreibung der Natur liefern, da ihre Erkenntnisformen historischen Ursprungs sind. Huber fragt, inwieweit Reformulierungen von gesellschaftlichen Veränderungen abhängen.
Ihre naturwissenschaftliche Grundlagenforschung stellen Wissenschaftler gerne als Selbstzweck dar, den sie aus reiner Neugierde verfolgen würden. Sie möchten Gesetze finden, denen die Natur folgt, und damit zur Akkumulation menschlichen Wissens beitragen. Ihr gemeinsames höchstes Ziel ist die lückenlose Erklärung der ganzen Welt durch solche Gesetze. Die Gesellschaft soll die Mittel für diese Forschung bereitstellen, die Wissenschaftler fühlen sich aber im Zweifelsfall nicht dafür verantwortlich, wie ihre Erkenntnisse genutzt werden. Die Gesellschaft soll also auch die Verantwortung für den Gebrauch ihrer Resultate übernehmen. Wie aber können dann diese Resultate ganz unabhängig von der Gesellschaft sein und die Natur einfach so erklären, wie sie an sich ist? Der naive Glaube an die absolute Objektivität der Naturwissenschaften liefert eine bequeme Rechtfertigung für wissenschaftliche Verantwortungslosigkeit, die scientific community erteilt ihrem insgesamt blinden Treiben damit selbst die Absolution. Demgegenüber skeptische Positionen erschöpfen sich häufig darin, inhumane technische Anwendungen naturwissenschaftlichen Wissens auf ethische Mängel zurückzuführen.
Der eigentümliche Status des Wissens, das die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung liefert, lässt sich aber nur ernsthaft kritisieren, wenn der unüberbrückbare epistemologische Spalt zwischen der Natur und unserer Vorstellungen von ihr nicht unterschlagen wird. Die Naturwissenschaften können gar keine völlig objektive Beschreibung der Natur liefern, da ihre Erkenntnisformen historischen Ursprungs sind. Naturwissenschaftliche Theorien als Funktionsweise oder gar als Schöpfungscode der Natur auszugeben, erweist sich als ideologischer Abdruck gesellschaftlicher Verhältnisse. Um dieser Erscheinung von Ideologie auf die Spur zu kommen, wird sich der Vortrag anhand bekannter Beispiele erkenntniskritisch mit dem Verhältnis naturwissenschaftlicher Theorie zu ihrem spezifischen Gegenstand befassen. Die theoretische Entwicklung der Himmelsmechanik zeigt die enormen Wandlungen auf dem Weg zur ersten allgemeingültigen physikalischen Theorie, deren Gegenstand, die Ordnung der Himmelskörper, dabei gegenüber irdischen Maßstäben starr geblieben ist. Aus der Himmelsmechanik entstand dann die heutige theoretische Mechanik, die noch mehrfach reformuliert wurde, obwohl keine grundsätzlichen Probleme bei ihren bekannten mechanischen Experimenten aufgetreten waren. Daher liegt die Frage nahe, inwieweit solche Reformulierungen von gesellschaftlichen Veränderungen abhängen. Der enorme Erfolg der Relativitätstheorie degradierte die klassische Mechanik dann zum wichtigsten Spezialfall allgemeingültigerer Gesetze. Und die Kantische Vorstellung, dass Raum und Zeit bloße Formen unserer Anschauung seien, geriet ins Wanken. [via]
Da der Mitschnitt leider abrupt abbricht, hat Jörg Huber für das Audioarchiv die nicht aufgezeichneten Momente des Vortrags und Teile der Diskussion nachträglich eingesprochen.
3.) Prof. Dr. Gerhard Stapelfeldt – Der Begriff der Natur in der Epoche des Liberalismus
Stapelfeldt untersucht den Begriff – die Begriffe – der Natur in der Epoche des Liberalismus (um 1765-1870), der bürgerlichen Aufklärung, der bürgerlichen Revolutionen.
Der Vortrag untersucht den Begriff – die Begriffe – der Natur in der Epoche des Liberalismus (um 1765-1870), der bürgerlichen Aufklärung, der bürgerlichen Revolutionen.
‚Natur’ scheint ein ganz einfacher Begriff, der einen selbstverständlichen Gegenstand bestimmt. Man denkt an Gesteine, an Pflanzen, an Tiere, an die körperlicher Natur des Menschen, an Naturgesetze, an Naturwissenschaften, an Naturschutz. Aber dann wird es doch schwierig: Gibt es eine ‚Natur der Sache’, eine Natur des Menschen, eine Natur der Gesellschaft? Was ist ‚natürlich’? Schon der antike Naturbegriff ist heute kaum nachvollziehbar: Natur als göttliche, subjektive, mit moralischen Qualitäten ausgestattete Natur. In der Neuzeit hat Galilei, nach seinem Selbstverständnis, im „Buch der Natur“ gelesen. Im Liberalismus wird es mit dem Begriff – den Begriffen – der Natur in der Philosophie, der Sozial- und Naturwissenschaft ganz kompliziert: Vico unterscheidet die „Welt der Natur“ von der „gesellschaftlichen Welt“; Kant spricht von einer „sinnlichen“ und von einer unbewußten „übersinnlichen (zweiten) Natur“, Smith von der „Natur des Reichtums der Nationen“, Darwin von einer Naturgeschichte; Comte stellt der Wissenschaft der Biologie die Wissenschaft von der Gesellschaft (Soziologie) zur Seite und bezeichnet beide als „Physik“ – als Naturwissenschaften. Diese Begriffe, ihr Zusammenhang, ihre gesellschaftsgeschichtliche Grundlage sind zu klären.
Vom 26.-29. Oktober 2013 richtete die Gruppe »Exit!« ihr Jahresseminar unter dem etwas schlicht formulierten Thema »Gesellschaftliche Naturverhältnisse« aus. Im Folgenden werden alle vier Vorträge dokumentiert, die sich unter unterschiedlichen Gesichtspunkten (Ökonomie, Ökologie, Wissenschaft, Ideologie, Subjekt) mit einer Kritik der historischen wie gegenwärtigen Naturverhältnisse des warenproduzierenden Patriarchats befassten.
Die Mitschnitte sind, größtenteils auch in kleineren ogg-Versionen, ebenfalls auf archive.org zu finden (dort auch alles auf einmal als Zip-Archiv, knapp 400 MB). Bei den Vortragenden handelt es sich mit Ausnahme Karina Koreckys um Exit!-Redakteure. Die dokumentierten Diskussionen enthalten Beiträge u.a. von JustIn Monday und Roswitha Scholz.
Seminarankündigungstext von Roswitha Scholz:
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks erlebte der Kasinokapitalismus in den 1990er Jahren seinen Höhepunkt. In diesem Kontext stellten sich auch linke und feministische Theoriebildung auf kulturalistische und dekonstruktivistische Konzepte um. „Natur“ und eine wie auch immer verstandene „Materie“ waren als Beschäftigungsgegenstand weithin suspendiert, ja geradezu verpönt. Man/frau trug stets die Essentialismus-Keule bei sich. In den 2000er Jahren änderte sich dies, nicht zuletzt die Finanzkrise von 2008 machte deutlich, dass objektive und „materielle“ Problemlagen nicht mehr selbstverständlich zurückgewiesen werden können. Nun drängten auch liegen gelassene ökologische Fragen wieder in den Vordergrund, ausgehend von Skandalisierung der Klimaveränderung. Allerdings sind postmoderne Schlacken in großen Teilen der Ökologie-Debatte noch deutlich sichtbar: So etwa im linksfeministischen Kontext: „Ziel der sozial-ökologischen Forschung ist es, Wissensinhalte in Bezug auf konkrete Problemlagen zu generieren, die es ermöglichen, praktisch verändernd in die Welt einzugreifen. Dementsprechend beansprucht das Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse keine universalisierende Welterklärung, sondern die Generierung kontextualisierten Gestaltungswissens. Gesellschaftliche Naturverhältnisse werden in ihrer Pluralität betrachtet und es wird zwischen einer Vielzahl gesellschaftlicher Naturverhältnisse differenziert – es gibt nicht das singuläre gesellschaftliche Naturverhältnis.“ (Diana Hummel/Irmgard Schulz, Hervorheb.i.O.)
Wenn wir von gesellschaftlichen Naturverhältnissen sprechen, geht es um etwas anderes, nämlich um das Verhältnis von Natur und kapitalistischem Patriarchat, das sich nicht in postmoderne Pluralität auflösen lässt. Ökologische Probleme können unter kapitalistischen Bedingungen nicht gelöst werden; darüber hinaus weisen neue ökologische Bewegungen starke ideologische Momente auf, die bei fortschreitender Krise ihr Destruktionspotential erst voll entfalten könnten, wie anhand der Postwachstumsbewegung aufgezeigt wird. Außerdem werden Überlegungen zum Androzentrismus in der Geschichte der Naturwissenschaften und zur „Natur des Subjekts und des Staates“ angestellt.
1. Claus Peter Ortlieb: Kapitalistische Krise und Naturschranke
Claus Peter Ortlieb leitete das Seminar ein mit recht umfangreichen Ausführungen zu aktuellen Positionen, die den Zusammenhang von kapitalistischer Ökonomie, Wachstumszwang und den Grenzen der ökologischen Belastbarkeit der natürlichen Umwelt thematisieren – und meist verfehlen. Der Vortrag enthält einige Zwischen- und eine Abschlussdiskussion, die ebenfalls dokumentiert sind. Der eingangs erwähnte Konkret-Artikel zum selben Thema ist mittlerweile online verfügbar.
Anders als die ökonomische Krise, die in der bürgerlichen Öffentlichkeit als vorübergehende Erscheinung gedeutet wird, wird die ökologische Krise dort durchaus als Grundproblem der modernen Lebensweise wahrgenommen. Allzu offensichtlich ist der Widerspruch zwischen den ökonomischen Wachstumsimperativen auf der einen und der Endlichkeit der stofflichen Ressourcen auf der anderen Seite. Solange allerdings die kapitalistische Produktionsweise für so natürlich gehalten wird wie die Luft zum Atmen, beruhen alle Problemlösungen auf Fiktionen: Während die einen die Naturschranke unter Hinweis auf den technischen Fortschritt als nicht existent vom Tisch wischen, vernachlässigen oder verniedlichen die anderen die systemischen Zwänge und halten allen Ernstes einen Kapitalismus ohne Wachstum für möglich. Dazwischen versucht eine Mehrheit, das Problem durch die Kreation logisch unverträglicher Begriffe wie den des „nachhaltigen Wachstums“ zu vernebeln und sich so die Vereinbarkeit des Unvereinbaren einzureden.
Zur Klärung der Frage, was da eigentlich so zwanghaft wächst, sollen im Referat die im Laufe der kapitalistischen Entwicklung dynamisch sich verändernden Beziehungen zwischen Mehrwertproduktion, stofflichem Output und Ressourcenverbrauch und die aus ihnen resultierenden Wachstumszwänge untersucht werden. Dabei zeigt sich, dass ökonomische und ökologische Krise einerseits dieselbe Ursache in dem immer weiteren Auseinandertreten von stofflichem und abstraktem Reichtum haben. Auf der anderen Seite geraten die innerkapitalistischen Lösungsversuche für beide Krisen miteinander zunehmend in Widerspruch: Während etwa im Rezessionsjahr 2009 die weltweite CO2-Emission tatsächlich leicht zurückging, laufen die vergeblichen Versuche zur Bewältigung der ökonomischen Krise darauf hinaus, noch die letzten natürlichen Schranken gewaltsam zu durchbrechen.
2. Johannes Bareuther: Überlegungen zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft
Die Naturwissenschaften, die das Wissen zur Naturbeherrschung liefern können, tauchen in den Debatten, die sich auf die Kritische Theorie beziehen, in den letzten Jahren nur selten auf. Dankenswerterweise erinnert daher Johannes Bareuther mit seinen Überlegungen zum Androzentrismus der naturbeherrschenden Vernunft an einige Texte und Diskussionen zur Kritik der Naturwissenschaften. Hervorgehoben wird etwa ein unvollendetes Meisterwerk (Fabian Kettner) aus dem Jahr 2004: Eske BockelmannsIm Takt des Geldes, ein Buch, das anhand der Taktlehre aufzeigen konnte, wie Geld das Denken von seinen Grundlagen her bestimmt. Rhythmus nach betont/unbetont erscheint als etwas ganz Natürliches, ist aber erst seit dem 17. Jahrhundert Norm. Das Referat arbeitet die Grenzen der Untersuchung Bockelmanns sowie den Zusammenhang von Geschlecht und Wissenschaft heraus und nimmt Bezug auf einen älteren Aufsatz von Claus Peter Ortlieb.
Dass ein enger Zusammenhang zwischen der Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaften und der kapitalistischen Vergesellschaftung besteht, aus dem sich auch deren destruktive Tendenzen erklären, diese Ahnung treibt schon länger TheoretikerInnen um. 2004 wies Eske Bockelmann in überzeugender Weise nach, dass sich die gesetzesförmige Naturerkenntnis der klassischen Mechanik einer an der Ware-Geld-Beziehung erlernten Abstraktionsleistung verdankt. Nicht in den Blick gerät in seiner Studie (wie in vielen anderen Wissenschaftskritiken) jedoch, welch konstitutive Rolle dem sich in derselben Zeit umwälzenden Geschlechterverhältnis hinsichtlich den naturwissenschaftlichen Denk- und Praxisformen zukam. Und dies, obwohl feministische Theoretikerinnen wie Elvira Scheich und Evelyn Fox Keller diesem Zusammenhang auf unterschiedlichen Ebenen bereits seit den 1980er Jahren nachgegangen sind. Keller untersuchte u. a. die geschlechtliche Metaphorik in den Schriften Francis Bacons, der von Bockelmann wie schon zuvor von Adorno/Horkheimer als Kronzeuge des modernen Programms wissenschaftlicher Naturbeherrschung herangezogen wird. Scheich wiederum knüpft in ihrem Buch Naturbeherrschung und Weiblichkeit (1993) an Sohn-Rethels Versuche an, die Entstehung der Naturwissenschaft aus der formalen Vergesellschaftung über das Geld zu erklären. Dabei erweitert sie Sohn-Rethels androzentrische Perspektive um die Dimension der abgespaltenen, unbewusst gemachten Gesellschaftlichkeit des Geschlechterverhältnisses und hebt die Bedeutung des Phantasmas der Weiblichkeit für das wissenschaftliche Naturverhältnis der Moderne hervor.
Der Vortrag möchte, an die feministische Wissenschaftskritik anknüpfend, einige Überlegungen vorstellen, wie eine wert-abspaltungs-theoretisch akzentuierte Kritik der Naturwissenschaft aussehen kann, wobei der Schwerpunkt auf der historischen Konstitutionsphase um das 17. Jahrhundert liegen wird.
Literatur:
Bockelmann, Eske (2004): Im Takt des Geldes: Zur Genese modernen Denkens. 1., Aufl. Springe: Zu Klampen.
Braun, Kathrin; Kremer, Elisabeth (1987): Asketischer Eros und die Rekonstruktion der Natur zur Maschine. Oldenburg: Bibliotheks- u. Informationssystem d. Univ. Oldenburg (Studien zur Soziologie und Politikwissenschaft).
Keller, Evelyn Fox (1986): Liebe, Macht und Erkenntnis. Männliche oder weibliche Wissenschaft. Carl Hanser.
Merchant, Carolyn (1987): Der Tod der Natur. Ökologie, Frauen und neuzeitliche Naturwissenschaft. C.H. Beck Verlag.
Ortlieb, Claus Peter (1998): „Bewusstlose Objektivität – Aspekte einer Kritik der mathematischen Naturwissenschaft“. In: Krisis. (21/22).
Scheich, Elvira (1993): Naturbeherrschung und Weiblichkeit: Denkformen und Phantasmen der modernen Naturwissenschaften. Pfaffenweiler: Centaurus (Feministische Theorie und Politik).
Scheich, Elvira (1990): „„Natur“ im 18. Jahrhundert und die Bestimmung der Geschlechterdifferenz“. In: Gerhard, Ute; Jansen, Mechtild; Andrea, Maihofer; u. a. (Hrsg.) Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht. Frankfurt am Main: Ulrike Helmer Verlag.
Hören:
Download via AArchiv: Vortrag (1:10 h mit Zwischendiskussion, 42 MB), Diskussion (0:18 h, 11 MB)
3. Karina Korecky: »Man nennt mich Natur und ich bin doch ganz Kunst«: Zur Natur des Subjekts und des Staates
Karina Korecky widmet sich der Geschichte des bürgerlichen Naturverhältnisses auf der Ebene der politischen Theorie. Die »innere Natur des Menschen«, die in den Vertragstheorien seit Hobbes als Voraussetzung des politischen Gemeinwesens, bürgerlicher Subjektivität und Rechtsgleichheit begriffen worden ist, verlor im Zuge der »Biopolitik« des »autoritären Staates« den Charakter einer positiven Berufungsinstanz und wurde folgerichtig im 20. Jh. zum Gegenstand rücksichtsloser »Dekonstruktion«. Wie angesichts dieser historischen Konstellation noch ein »Eingedenken der Natur im Subjekt« (Horkheimer/Adorno) möglich ist, ohne Natur zur Parole verkommen zu lassen, ist die letztlich unbeantwortbar bleibende Frage des Vortrags, der an vielen Stellen sympathisch-unsichere, fragende, aporetische Züge trägt.
Wer in kritischer Absicht von den Gründen für Unfreiheit, Unterdrückung und Diskriminierung spricht, verortet diese normalerweise in der Gesellschaft oder im Sozialen, keineswegs in der Natur. Alles, was gesellschaftlich, sozial, gemacht oder konstruiert ist, kann verändert werden, während „Natur“ Ungleichheit und Zwang verfestigt und legitimiert. Einst war das genau anders herum: Die Natur war gut und ihr zum Durchbruch zu verhelfen Programm der Aufklärung zur Durchsetzung von Freiheit und Gleichheit.
Die freundliche Natur der Aufklärung des ausgehenden 18. Jahrhunderts wurde zweihundert Jahre später zur Berufungsinstanz für Ungleichheit. Wer heute für gleiche Rechte kämpft, kritisiert „Naturalisierung“ und „Biologismus“. Am konsequentesten – sozusagen als Aufklärung mit umgekehrten Vorzeichen – geht dabei der linke Poststrukturalismus vor, der eine klare Feinderklärung an Natur abgibt und auf die Fähigkeiten des Geistes zur (De-)Konstruktion setzt. Demgegenüber steht in der linken Debatte ein eher hilfloser und vage bleibender Verweis auf Natur als das unverfügbare Moment, das sich sperrt, nicht aufgeht im beherrschenden Zugriff – manchmal verbunden mit der Hoffnung, da möge es ein Außen der gesellschaftlichen Totalität geben, vielleicht sogar einen Ausgangspunkt, an dem der revolutionäre Hebel angesetzt werden kann.
Der Vortrag handelt von der inneren Natur als Voraussetzung von Subjekt (Natur des Menschen) und Staat (Naturzustand) und ihrer Geschichte. Gezeigt werden soll, dass Materialismus nicht heißen kann, nach dem richtigen Naturbegriff zu suchen, sondern die Geschichte des Verhältnisses von Geist und Natur zu erzählen: von der Befreiung versprechenden Natur zur Biopolitik des autoritären Staates.
4. Daniel Späth: Postwachstumsbewegung: Eine Variante (links)liberaler Krisenverdrängung
Daniel Späth sprach noch einmal (siehe Mitschnitt aus Halle) über die verschiedenen Varianten linker und liberaler »Wachstumskritik«, die er in einen Zusammenhang mit der Aufklärungsphilosophie stellt.
Es ist ein Wesensmerkmal des linken ideologiekritischen Reduktionismus, sich in den vielfältigen Polaritäten moderner Subjektivität einzurichten und damit Freiheit im Sinne Adornos, als kritische Verweigerung gegenüber den herrschenden Alternativen, der Partikularität zu überantworten. Ob nun der Idealismus zu einem Materialismus (Hegel vom Kopf auf die Füße gestellt) oder aber der Subjektivismus zu einem Objektivismus („Historischer Materialismus“) gewendet wird, das Resultat ist immer dasselbe: Als kritische Weiterentwicklung der bürgerlichen Vernunft apostrophiert, desavouiert sich der identitätslogische Anbau an der modernen Theoriearchitektur nicht etwa als transzendierende Kritik, sondern regelmäßig als ein immanenter Widerpart. Dieser Reduktionismus blamiert sich insbesondere in der Krise des warenproduzierenden Patriarchats. Der westliche Linksradikalismus, der statt der Fundamentalkrise überall „Chancen“ und „Aushandlungsoptionen“ wittert, hat die realgeschichtlichen Metamorphosen der Aufklärungsvernunft nicht überwunden, welche vielmehr zum unhinterfragbaren Selbstverständnis sedimentierte. Der weithin neoliberalisierten Linken scheinen sich quasi naturwüchsig neue Alternativen zu eröffnen: „Aufklärung“ versus „Gegenaufklärung“, „Vernunft“ versus „Unvernunft“, „Liberalismus“ versus „Volkstum“ etc., wobei, der identitätslogischen Versessenheit folgend, erstere gerne dem „rationalen Westen“ und letztere irgendwelchen „irrationalen Banden“ zugeordnet werden, wodurch der eigene männlich-westliche, weiße Standpunkt wieder mal fein raus ist.
Einer derart verkürzten „Ideologiekritik“ muss die „Postwachstumsbewegung“ als Wiederkehr eines ausgemacht völkischen Denkens gelten. Schließlich operieren ihre VertreterInnen nicht nur mit einem positiven Naturbegriff, darüber hinaus verweisen die diversen Begründungsmodi eines „falschen Wachstums“ auf eine strukturell antisemitische Ideologie, deren Ursachendiagnostik bezüglich der Krise sich ausschließlich auf das dämonisierte Finanzkapital und den inkriminierten Zins kapriziert. Für die assoziative Grundgesinnung des postmodernisierten Linksradikalismus bedürfte es hierbei keinerlei dialektischer Begründung mehr, zumindest dort, wo derartige Sachverhalte noch einem Anspruch der Kritik unterliegen: Naturversessenheit und struktureller Antisemitismus – na, wenn das kein völkisches Denken ist… Allerdings handelt es sich hierbei um einen Trugschluss. Denn dass struktureller Antisemitismus und ein problematischer Naturbegriff gleichwohl zu Bestandteilen liberaler Gesinnung gerinnen können, soll an ausgewählten Texten jener „Postwachstumsbewegung“ rekonstruiert werden. In diesem Sinne wird der erste Teil des Vortrags einen erkenntnis- und ideologiekritischen Durchgang durch zentrale Referenztheorien der Postwachstumsideologie (Immanuel Kant/ Silvio Gesell) versuchen, um den gemeinsamen epistemologischen Bezugsrahmen einer liberalen Zins- bzw. Geld„kritik“ offenzulegen, um sodann ihre zentrale Kategorie in den Fokus zu rücken: Die Natur. Auch weitere wichtige Aspekte der Postwachstumsbewegung (Regionalwährung, quasi subsistenzwirtschaftliche Arbeitsformen, neue Maßstäbe des Wachstums etc.) werden dabei einer Kritik unterzogen und in den Kontext der Fundamentalkrise gerückt, deren konstitutiver Bedingungszusammenhang für jene liberale „Kritik“ des Wachstums evident ist.
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Der Wahnsinn des Weibes – oder: Sternstunden patriarchaler Wissenschaft
Das Krankheitsbild der Hysterie und seine Geschichte geben ein eindrückliches Beispiel von den sexistischen Gehalten männlich dominierter Wissenschaft, wurde der Hysterie und somit der Gebärmutter doch alles zugeschlagen, was am »Weib« vermeintlich unerklärlich und/oder krankhaft war. Die folgenden Beiträge aus dem Öffentlich-Rechtlichen zeichnen die Geschichte der Hysterie mit unterschiedlichen Schwerpunkten nach.
1. Die wandernde Gebärmutter – Eine Kulturgeschichte der Hysterie (2012)
Diesmal führt die Reise von der Antike bis ins 20. Jahrhundert, immer auf den Spuren eines medizinischen Irrglaubens – in die Welt gesetzt von Männern, zu Lasten der Frauen.
2. Hysterie – Die Geschichte eines Krankheitsbildes (2012)
„Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt. Bleibt es lange Zeit unfruchtbar, so erzürnt es sich und erzeugt allerlei Krankheiten!“ So heißt es bei Platon. Vom griechischen Wort für Gebärmutter ist die Bezeichnung Hysterie abgeleitet. Die Hysterieforschung brachte Freuds Psychoanalyse hervor. Autorin: Ulrike Rückert
3. Theatrum Hystericum. Der Siegeszug/kurze Glanz eines Nervenleidens (2013)
Das SWR2-Feature von Christine Wunnicke legt den Schwerpunkt auf das fin de siècle, eine Zeit, in der die Hysterie eine Art kulturellen Hype erlebte und regelrecht zur Kunstform avancierte. Sehr schön gestaltet und hörenswert!
In den 1880er-Jahren öffnete die neurologische Abteilung des Hôpital de la Salpêtrière in Paris ihre Pforten für die Öffentlichkeit: Jeden Dienstag führten die hauseigenen Hysterikerinnen vor Publikum ihr ansehnliches Leiden vor. Professor Charcot erklärte; Dr. Tourette assistierte; Dr. Duchenne elektrisierte und nahm Lichtbilder auf. In hypnotischen Tableaus inszenierte man die Krankheit der Epoche. Sie konnte jeden ereilen; neuerdings auch Männer. Die Hysterie, eben noch mit rustikalen Theorien über wandernde Gebärmütter assoziiert, wurde plötzlich zur Befindlichkeit à la mode, zur Muse der Künste, zum Schatten der Belle Époque.
Wolfgang Dreßen hat für den DLF einen guten Beitrag über die (Vor-) Geschichte und das Nachleben des NS-»Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« verfasst. Er beleuchtet u.a. die Nichtentschädigung der von Zwangssterilisierung betroffenen Menschen in der BRD und die Individualisierung der »Biopolitik« durch pränatale medizinische Techniken heute.
Evelyn Fox Keller is one of the pioneers of feminist science studies. 2009 the Canadian radio series How to think about science dedicated an episode to her work. Listen to the feature including a talk about her experiences as a female scientist, the gender metaphors shaping science and the history of genetics. Though not giving a (explicitly) feminist perspective, the second half of the podcast concerning the public discourse on genes and the very different way contemporary biology conceptualizes inheritance is very interesting, too. On Youtube there is a speech by Evelyn Fox Keller on the same issue.
Science, according to its first practitioners, was a masculine pursuit. Francis Bacon writing in the early 17th century invited „the sons of knowledge“ to pass through „the outer courts of nature“ and on into „her inner chambers.“ Science was male, nature female. And, according to Evelyn Fox Keller, this was no mere figure of speech – it had a shaping influence through the centuries on how science was imagined and how it was done. Evelyn Fox is emeritus professor of the philosophy and history of science at MIT, and a keen observer of the ways in which models and metaphors condition our understandings. In recent years she has been particular critical of the ways in which simplistic models of the all-powerful gene mislead public understanding of genetics and developmental biology. And her proposal with regard to what she calls „gene talk“ is the same one she made in her pioneering Reflections on Gender and Science in the 1980’s: „change the terms of the discussion.“ Evelyn Fox Keller shares some of her story and some of her thoughts on how gender, language, model and metaphor have coloured the practice of science.
Zum Abschluss der Satellitenseminare 2012 sprach Eva Bockenheimer über das Verhältnis der Marxschen Gesellschaftskritik zur Hegelschen Dialektik. Kenntnisreich und zugleich sehr verständlich führt sie in ihrem Vortrag zunächst in das Problem des Anfangs in der Hegels Wissenschaft der Logik ein (reines Sein geht über ins Nichts usw.). Anschließend skizziert sie Marxens Übernahme und Modifikation der dialektischen (Anti-)Methode, der es nicht um die Anwendung eines äußerlichen Verfahrens auf den Gegenstand geht, sondern, ansetzend bei der abstrakten Unmittelbarkeit, um die Entfaltung der Logik der Sache selbst.
Einen interessanten Vortrag über die Erkenntnisansprüche und -verfehlungen des Positivismus in der Physik, genauer gesagt in der Kosmologie, hat Jörg Huber im Dezember 2011 in Freiburg gehalten.
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Die am naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn geschulten, auf messbare Fakten gestützten positivistischen Modelle breiten sich seit Beginn der Neuzeit wie selbstverständlich als bevorzugte Methode der Welterklärung aus.
Traditionell religiöse oder metaphysische Vorstellungen werden entmythologisiert – denn in positiver Gestalt erweisen sie sich allesamt als dogmatisch und wissenschaftlich widerlegbar.
Doch der unaufhaltsame Siegeszug des Positivismus wird seinerseits selbst begleitet von esoterischen Denkmustern und phantastischen Spekulationen. So stellt etwa die Astrophysik Vermutungen über bewohnbare Exoplaneten an, über neue, fremde Welten in anderen Sternensystemen und über deren mögliche Bewohner – die mythischen Aliens. Wie passen solche durch keine Erfahrung gedeckten Projektionen mit dem rationalen Anspruch naturwissenschaftlicher Aufklärung zusammen?
Als ambitioniertestes Projekt des Positivismus darf die «Theorie von Allem» gelten, der Versuch einer rein physikalischen Welterklärung, die ihre Bekanntheit in erster Linie dem Kosmologen Stephen W. Hawking verdankt. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch «Der große Entwurf» mit einer Weiterentwicklung jener Theorie, die er zuerst in seinem Weltbestseller «Eine kurze Geschichte der Zeit» der Weltöffentlichkeit präsentierte.
Jörg Huber (Freiburg), Physiker, nimmt sich diese neueste Ausprägung der Hawking’schen Kosmologie vor und zeigt an ihrem Beispiel, wie positivistisch-naturwissenschaftliches Denken in Dogmatismus und schließlich in Aberglauben umschlägt und er analysiert die systematischen Fehler, die jenem Umschlag notwendig vorausgehen.
Seite A: Zu hören ist ein Vortrag des Philosophen und Theologen Georg Picht über »Die weltpolitische Bedeutung der Wissenschaftsplanung«. Als Heidegger-Schüler nimmt für ihn, ähnlich wie etwa bei Hannah Arendt oder Günther Anders, die durch die technische Entwicklung möglich gewordene Perspektive der Auslöschung der ganzen Gattung eine zentrale Stellung ein. Von dieser Perspektive ausgehend, wird für ihn die Planung der Wissenschaft zu einer unverzichtbaren Angelegenheit, weshalb er die Ansätze einer Theorie der Planung und einige Überlegungen zum Subjekt dieser Planung entwickelt.
Seite B: [Anfang fehlt] Passend zum kürzlich geposteten Vortrag über Bildlichkeit und Sehen, eine Radiosendung die sich mit dem Auge beschäftigt. Das Feature mit dem Titel »Zwei Augen hat die Seel« von Eva Severini beschäftigt sich mit der Rolle des Auges für das Denken und die Philosophe, dem Verhältnis von Licht, Göttlichkeit und Vernunft, mit der Farbenlehre und dem inneren Sehen. Zitiert werden unter anderem Hildegard von Bingen, Thomas von Aquin, ETA Hoffmann, Josef Eichendorff und Goethe.
Moderne Mythen – Zu gut, um falsch zu sein.
Der moderne Mensch denkt, er sei rational und aufgeklärt. Doch trotzdem halten sich viele Mythen, die wie früher die Märchen mündlich weiter überliefert werden. Und niemand entlarvt diese Mythen als unwahr.
Die letzten Studierendenproteste sind längst abgeflaut und ihre Inhalte galten der radikalen Linken als mindestens zweifelhaft. An dieser Stelle seien einige Beiträge zum Themenkomplex Bildung & Wissenschaft gewissermaßen nachgereicht (oder auch präventiv für den nächsten Protest empfohlen).
Gerhard Stapelfeldt: Bildung ist keine Ware? Kritische Anmerkungen zu einer politischen Parole.
Dieser Text wurde in der »contra.funk«-Sendung vom Dezember 2009 (vom bermuda.funk – Freies Radio Rhein-Neckar) gekürzt wiedergegeben. Stapelfeldt leitet die Idee der Bildung von der Idee der Philosophie und des Humanismus als (revolutionäres) Streben nach Mündigkeit her und kritisiert das Humboldtsche Bildungsideal als eines der »deutschen Innerlichkeit«. Zudem geht er dem historischen Wandel/Niedergang der Bildung nach.
Die Sendung enthält darüber hinaus einen Bericht zu den antisemitischen Vorfällen bei der Filmvorführung von »Warum Israel« in Hamburg, ein Interview über das mögliche Aus der Freien Radios in Sachsen und Terminankündigungen und Musik. Download (20,5 MB; 1 h); Text hören auf Myspace (21 min); Text als PDF via Antifa AK
»Bildung, Halbbildung, Bildungsklau? Zum Bildungsbegriff Theodor W. Adornos und seiner semantischen Verkümmerung zur Parole innerhalb der Studierendenproteste«.
Es handelt sich um ein 36minütiges Radiogespräch, das Markus Mersault von der Gruppe Emanzipation und Frieden mit Eva Klinkisch führte. Letztere promoviert im Fach Soziologie und beschäftigt sich dabei u.a. mit dem Bildungsbegriff. Download: via FRN (35 MB); via MF (11 MB)
Beschreibung:
Wer heutzutage Kritik am Bildungswesen formuliert, stellt mitnichten seine Renitenz und Autonomie zur Schau, sondern reiht sich ein in eine mal latent und unterschwellig, mal akut und offen auftretende Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsteile, die von Schülern, Studenten und Arbeitslosen bis hin zu Arbeitgebern und Politikern artikuliert werden. Während den einen die Ausrichtung des Bildungswesens an Verwertungsimperativen zu weit geht und sie lauthals fordern, ihnen nicht die Bildung zu klauen, geht den anderen die Zurichtung des Bildungswesens gemäß ökonomischen Bedürfnissen im Zeitalter verstärkten Wettbewerbs und angesichts der Globalisierung nicht weit genug, solange weiter unnützes, unverwertbares Wissen vermittelt werde und sich einige Studierende erdreisten, die Regelstudienzeit zu überschreiten. Fast allen Diskussionen ist gemeinsam, dass über das Grundsätzliche überhaupt nicht diskutiert wird: Was eigentlich ist Bildung?
Jener Frage soll mit Hilfe Theodor W. Adornos nachgegangen werden, der Bildung nicht nur von Wissen, sondern gerade auch von Halbbildung abgrenzt und auf den essentiellen Zusammenhang von Bildung und Gesellschaft verweist. Mit ihm lässt sich am heutigen Bildungsbegriff eine Kritik formulieren, die individuellen und gesellschaftlichen Verkürzungen widersteht. Und mit ihm lassen sich auch kritische Anmerkungen zu jenen Protestlern machen, die sich mit ihrem Kampf gegen Gebühren und Kapitalisierung überhaupt am kritischsten wähnen: den Studierenden.
Auch die Kulturkritik München hat sich mit der Bildungsproblematik beschäftigt. Es liegen folgende Radioaufzeichnungen vor:
Wissenschaft und Kultur – menschliche Selbstverständigung und die Macht pluraler Beliebigkeiten
Vielleicht interessieren wen die verfügbaren Aufzeichnungen der Göttinger Ringvorlesung vom Sommersemester 2008 zum Thema: »Höhere Frauenbildung vom Mittelalter bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs«.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung dokumentiert einen im September 2009 gehaltenen Vortrag Ingo Elbes (Rote Ruhr Uni), der von diesem zwar als „kurz“ und „einführend“ angekündigt wird, dann aber doch mehr als eine Stunde Zeit in Anspruch nimmt. Sein Gegenstand ist die Theoriegeschichte des Marxismus, in der er drei (idealtypische) Phasen bzw. Paradigmata der Interpretation des Marx’schen Werkes ausmacht. Elbe untersucht zunächst recht ausführlich den traditionellen, dann wesentlich kürzer den sog. westlichen Marxismus und grenzt schließlich die »Neue Marx-Lektüre« von beiden ab. Im Zentrum stehen dabei philosophisch-method(olog)ische Fragen, sowie (sekundär) das Staatsverständnis der jeweiligen Lesart.
Hinweise: Textfassung (pdf) des Vortrags. Das hier ausgesparte Thema der Revolutionstheorie behandelt Elbe hier, die staatstheoretischen und -kritischen Auffassungen innerhalb des Marxismus ausführlich hier.
*Drei* Beträge zum Feminismus im Kontext von (akademischer) Forschung und Wissenschaft:
Unter dem Titel »Feministische Wissenschaftsphilosophie« „diskutieren Elisabeth Nemeth und Waltraud Ernst über feministische Stellungnahmen zur konventionellen Wissenschaftstheorie. Sie sind darüber einig, daß ihr unbekümmerter Objektivitätsanspruch nicht akzeptabel ist. Die Meinungen darüber, wie mit dieser Situation umzugehen ist, gehen auseinander.“ Download entweder in schlechter Qualität: mp3, stereo, 48 kBit/s; 20,2 MB; 1 h mit Musik; oder in besserer Qualität: mp3, mono, 96 kBit/s; 44,6 MB; 1:05 h ebenfalls mit Musik)