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Die Umrisse der Weltcommune und ihre Kritik

Im März 2018 haben die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft den Text „Umrisse der Weltcommune“ veröffentlicht (siehe auch die Vorstellung des Textes hier). Der Text soll dem eigenen Anspruch nach eine kommunistische Gesellschaft nicht „ausmalen“, verstößt aber dezidiert gegen ein „Bildverbot“, indem er Voraussetzungen und Anforderungen an eine kommunistische (Re)Produktion und Verteilung skizziert. Seit Erscheinen dieses Diskussionsaufschlags sind zwei Texte erschienen, die eine Kritik der „Umrisse“ formuliert haben und dabei beide insbesondere die Arbeitszeitrechnung als wichtiges Element kommunistischer Produktion und Planung gegen die „Klassenlosen“ verteidigen: „Eine kommunistische Arbeitszeitrechnung – kein Element der »Weltcommune«?“ von Jakob Koekepann und „Kritik von Hermann Lueer an den Thesen zur Weltcommune„.

Im Mai 2018 hat Hannes Giessler-Furlan ein Buch mit dem Titel „Verein freier Menschen? Idee und Realität kommunistischer Ökonomie“ veröffentlicht, in dem er eine Kritik des Kommunismus formuliert, „die dessen Beweggründe teilt und der Marx’schen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft verbunden ist“ (siehe auch das Gespräch mit Giessler-Furlan über sein Buch, hier). Das Buch enthält keine explizite Kritik der Thesen der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft, formuliert aber eine Skepsis an Vorstellungen einer freien Assoziation der ProduzentInnen, wie sie die Klassenlosen skizzieren, bzw. versucht Widersprüche und Schwierigkeiten solcher Vorstellungen aufzuzeigen. Folgerichtig hat sich Hannes Giessler-Furlan mit Christian und Felix von den „Klassenlosen“ im Conne Island in Leipzig getroffen, um gemeinsam über die „Umrisse der Weltcommune“ zu diskutieren.

Hannes Giessler-Furlan macht den Aufschlag, auf den dann Christian und Felix reagieren, anschließend wird die Diskussion zum Publikum geöffnet. Das Gespräch dreht sich vor allem um zwei Phasen des Kommunismus: Eine erste Phase, die von Mangel und Not (oder zumindest von erschwerenden Begleitumständen) geprägt ist, in der eine Arbeitszeitrechnung vorausgesetzt ist, die auch den Zugang zum Konsum reguliert. Eine zweite, höhere Phase, in der der Anspruch „Jede nach ihren Fähigkeiten, jeder nach seinen Bedürfnissen“ durchgesetzt ist. (Bezugspunkt hierbei: Marxens Kritik des Gothaer Programms.) Es werden für und wider, Notwendigkeit oder Obsoleszenz, Widersprüche und Fallstricke der ersten Phase diskutiert. Insgesamt geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Selbstverwaltung und allgemeiner Vernunft, Vergesellschaftung und Freiheit des Individuums.

Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft haben jüngst mit ihrem Text Umrisse der Weltcommune eine »Verständigung über die Grundzüge der klassenlosen Gesellschaft« eingefordert bzw. einen »Streit darum, wie man die alte Welt hinter sich lassen kann«. Das Wesensmerkmal einer solchen Gesellschaft, soweit legen sich die Verfasser fest, wären die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Auflösung des Staates in einem Geflecht von Räten.

Hannes Giessler Furlan hat etwa gleichzeitig sein Buch Verein freier Menschen? veröffentlicht, in dem er zwar an der Einsicht festhält, dass es so, wie es ist, nicht bleiben darf, andererseits aber konstatiert, dass der Kommunismus nicht an äußeren Umständen, sondern an der eigenen Idee gescheitert ist und daher einstweilen im Stadium selbstkritischer Aufarbeitung verbleiben muss.

Beide Standpunkte sollen an dem Abend zur Diskussion gestellt werden, vor allem mit Blick auf folgende Fragen: Gibt es heute in der Realität überhaupt Tendenzen und Potentiale, die gen Weltcommune weisen? Wie wären Produktion und Verteilung zu organisieren, wird es eine Arbeitszeitrechnung und Lohn geben? Lässt sich eine globale Industriegesellschaft zugleich rätedemokratisch und planmäßig-rational gestalten? Und würden Industrie, Technik und Wissen, wie sie eine freiere Gesellschaft zunächst von der jetzigen erben würde, mehr nützen oder schaden?

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Rüdiger Mats hat in der JungleWorld einen kritisch kommentierenden Bericht zur Veranstaltung veröffentlicht. Die Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft haben in der Veranstaltung angekündigt, demnächst eine Kritik des Buches von Hannes Giessler-Furlan zu veröffentlichen. Hermann Lueer hat in seinem Beitrag auf den Text „Weltgesellschaft ohne Geld. Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform“ von Norbert Trenkle verwiesen, der aus wertkritischer Perspektive auf dem gleichen Spielfeld spielt. In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass es um die Grundrisse einer kommunistischen Produktionsweise geht, nicht um die Frage des Wegs dort hin. Wo wir bei kritischen Denkern sind, die den Kommunismus kritisch durchdenken – Holger Marcks von der FAU hat genau dies im Gespräch mit Radio Corax auf der Ebene der Revolutionstheorie und für die Frage der Gewalt getan.

Inhaltlich Verwandtes

Where is an alternative?

Im November des letzten Jahres hat die Leipziger Gruppe The Future is unwritten (assoziiert im Ums-Ganze-Bündnis) eine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Where is an Alternative“ durchgeführt. Es ging dabei darum, Modelle einer bedürfnisorientierten Produktionsweise zur Diskussion zu stellen. Wir dokumentieren im Folgenden die Mitschnitte der Vortragsreihe. Zusätzlich stellen wir die Interviews zur Verfügung, mit denen Radio Corax die Veranstaltungsreihe begleitet hat.

1.) Einführung in die Veranstaltungsreihe & Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung

Im Vorfeld der Veranstaltungsreihe hat Radio Corax ein Interview mit einem Genossen von The Future is unwritten geführt. Einerseits ging es um die Veranstaltungsreihe insgesamt, andererseits wurde schon recht ausführlich auf den ersten Vortrag der Reihe eingegangen.

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Im Eröffnungsvortrag haben zwei Mitglieder der Gruppe dann zunächst einige grundlegende Gedanken referiert, was für sie im Wesentlichen eine gelungene Kapitalismuskritik ausmachen muss. Dabei begründen sie auch, warum es für sie notwendig ist, sich schon jetzt Gedanken über Alternativen zum Bestehenden zu machen. Anschließend gehen sie zum eigentlichen Thema des Abends über: Das Buch „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ der Gruppe Internationaler Kommunisten Hollands (GIKH – siehe auch hier) von 1930. Dabei geht es einerseits um deren Kritik des Staatssozialismus und andererseits um ihre Vorstellung, wie Produktion und Verteilung durch eine Arbeitszeitrechnung aufeinander bezogen werden können. In der Diskussion folgen viele skeptische Nachfragen.

Grundprinzipien Kommunistischer Produktion und Verteilung – Gruppe Internationale Kommunisten Hollands

Die raetekommunistische Tradition mit ihren Anfaengen bei Rosa Luxemburg bis zu den Hollaendischen Raetekommunisten kann aus heutiger Sicht als einer der progressivsten linken Stroemungen aufgefasst werden. Vom Widerstand gegen den ersten Weltkrieg bis zur fruehen Kritik des Bolschewismus und des Stalinismus haben sie die trotz der Wirren des politischen Zeitgeschehens richtige politische Entscheidungen getroffen. Hochinteressant fuer die heutige linke Perspektive ist insbesondere, dass die Positionen der Raetekommunist*innen â wie der Name schon verraet sich aus ihren Ideen zur revolutionaeren Umorganisation der gesellschaftlichen Produktion speist, die im Gegensatz zu entsprechenden Ideen ihrer Zeitgenoss*innen standen. Solche Ideen scheinen heute vergessen, erschoepft sich heutige linke Politik doch in systemimmanenten Verbesserungen oder der blossen Ablehnung des Kapitalismus.

Um dem entgegenzuwirken, moechten wir in diesem Vortrag die Grundprinzipien Kommunistischer Produktion & Verteilung der Gruppe Internationale Kommunisten Hollands vorstellen, kritisieren und mit euch diskutieren. Mit direktem Bezug auf Marx entwerfen die Hollaendischen Raetekommunisten hier ein Bild einer beduerfnisorientierten Oekonomie, das auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Arbeitszeitrechung beruht. Durch die Bestimmung eines exakten Verhaeltnisses zwischen Produzent und Produkt soll die Autonomie der einzelnen Produzent*innen ueber die Produktion gewahrt werden, ohne dass sich ein repressiver Apparat ueber sie erhebt.

Der AK Kommunismus ist ein Arbeitskreis innerhalb der kommunistischen Gruppe the future is unwritten aus Leipzig. Ziel des AK’s ist die Erarbeitung, Diskussion, Kritik und Verbreitung der Ideen zu einer beduerfnisorientierten Ãkonomie als Teil eines linken Projekts zur progressiven Umwaelzung der Produktionsverhaeltnisse.

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2.) Vom Sozialismus zur Wirtschaftsdemokratie

Den zweiten Vortrag hat der Historiker Ralf Hoffrogge (u.a. Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland in der theorie.org-Reihe) gehalten. Im Vorfeld sprach Radio Corax mit ihm über die Forderung nach einer Demokratisierung der Wirtschaft und Aspekte der Arbeiterbewegung:

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Der Vortrag war dann im Grunde ein Überblick über bestimmte Strömungen der Arbeiterbewegung in Deutschland: Die Frühsozialisten und präkommunistische Genossenschaften; Schulze-Delitzsch, Ferdinand Lasalle, Augest Bebel, Karl Kautsky, Marx und die frühe Sozialdemokratie; der Kriegssozialismus während des 1. Weltkriegs und die Rätebewegung nach dem Krieg; und das Konzept der Wirtschaftsdemokratie in der Weimarer Republik. Am Ende versucht Hoffrogge die Vorteile und Beschränkungen des Genossenschaftsgedankens einzuholen.

Vom Sozialismus zur Wirtschaftsdemokratie? – Die ArbeiterInnenbewegung und ihre Forderung nach einer Demokratisierung der Produktion

Heute wird die Unterscheidung zwischen Sozialismus und Kapitalismus oft auf den Gegensatz zwischen »Staat« und »Markt« und das Gegensatzpaar »Planung« vs. »Freiheit« reduziert. Im Gegensatz zu dieser landlaeufigen Vorstellung spielte jedoch Demokratie in der Ideengeschichte des Sozialismus eine zentrale Rolle.

Denn seit Beginn der industriellen Revolution kaempfte die Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter dafuer, die politische Demokratie auszuweiten: gefordert wurde das Frauenwahlrecht und das Ende diskriminierender Regelungen wie dem preussischen Dreiklassenwahlrecht, bei dem Waehlerstimmen nach Steueraufkommen gewichtetet wurden. Darueber hinaus ging es jedoch um die Demokratisierung der Produktion selbst: Bereits im 19ten Jahrhundert entstanden erste Kommunen und Produktivgenossenschaften, sozialistische Gewerkschaften forderten den vollen Arbeitsertrag. Im 20ten Jahrhundert folgten groessere Entwuerfe: Verstaatlichung, Sozialisierung, Raete- oder Wirtschaftsdemokratie. All diese Modelle strebten eine Demokratisierung der Produktion an, unterschieden sich jedoch stark in Reichweite und Taktik. Erdacht, umgesetzt – gescheitert, erreichten sie selten ihr wahres Ziel und veraenderten doch die Welt.

Der Vortrag von Ralf Hoffrogge stellt diese Konzepte am Beispiel der deutschen ArbeiterInnenbewegung vor. Danach ist Zeit fuer Diskussion: ist solidarische und sozialistische Oekonomie eine Utopie von Gestern, oder hat sie ihren Platz in den sozialen Kaempfen von Heute?

Ralf Hoffrogge ist Historiker und Autor der Einfuehrung „Sozialismus und Arbeiterbewegung in Deutschland“ aus der Reihe theorie.org (Stuttgart 2011). Er ist spezialisiert auf Biographien der Arbeiterbewegung, 2008 erschien sein Werk: Richard Mueller der Mann hinter der Novemberrevolution. Seine Dissertation: „Werner Scholem – eine politische Biographie (1895-1940)“ erschien 2014.

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3.) Commonismus – selbstorganisiert und bedürfnisorientiert produzieren

Innerhalb der Vortragsreihe wurde auch das Prinzip des Commons diskutiert – hierzu hat Christian Siefke referiert, der u.a. Autor der Plattform Keimform ist (einer Strömung der Commons-Bewegung, die einen wertkritischen Einschlag hat). Commons beschreibt einen Zusammenhang von Ressourcen, die gemeinschaftlich verwaltet werden. Leider liegt von diesem Vortrag kein Audiomitschnitt vor. Dafür gibt es ein Interview von Radio Corax, in dem Siefkes nach den Grundlagen der Commons-Produktion befragt wurde.

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4.) Commonismus statt Kommunismus?

Eine Kritik des Commons-Gedankens hat im Rahmen der Reihe Rüdiger Mats (Ex-Mitglied der Gruppe The Future is unwritten, Autor der Phase 2) formuliert. Einige Aspekte dieser Kritik hat er bereits im Vorab-Interview formuliert (dem Interview ist ein Einspieler vorangestellt, in dem Siefkes eine Definition von Commons gibt):

    Download: via FRN (mp3; 12:08 min; 28 MB)

Rüdiger Mats kritisiert in seinem Vortrag, dass die Commons-Idee keine politische Vermittlung denken kann, dass sie gesellschaftliche Konflikte und Interessensgegensätze ausblendet, dass sie letztlich nicht der Komplexität der modernen Gesellschaften entspricht. Dennoch kehrt er am Ende positive Aspekte von Commons hervor. Zuletzt kommt er auch nochmal auf den Eröffnungsvortrag zurück und skizziert eine Kritik der Rätekommunisten und deren Vorstellung von Arbeitszeitrechnung.

Commonismus statt Kommunismus? – Ueber ein Konzept libertaerer Oekonomie ohne Ausbeutung und Herrschaft – Vorstellung und Kritik

In den letzten Jahren werden vermehrt Konzepte von commons- oder peer-basierter Oekonomie diskutiert: Darin nutzen Menschen so genannte Commons, Gemeingueter, die niemandem gehoeren, sondern nur zur Nutzung vergeben werden. Es existiert kein Markt, es gibt keine Planbehoerde, die alles bestimmen darf immer wechselnde Kollektive tun auf Zuruf alles das, was getan werden muss. Ist das zu schoen, um wahr werden zu koennen? Das werden wir diskutieren.

Ruediger Mats promovierte zur Oekonomie des Realsozialismus und veroeffentlicht regelmaessig zu linken Politikkonzepten und zur Idee, Organisierung und historischen Defensive des Kommunismus. Er war bis 2016 Mitglied der kommunistischen Gruppe the future is unwritten aus Leipzig.

    Download: via AArchiv (mp3; 1:45:01; 36 MB)