Schlagwort-Archive: Parlamentarismus

Einführendes zur Kritik des Parlamentarismus

Wir dokumentieren hier die Aufnahmen von zwei Veranstaltungen der Leipziger Gruppe „The Future is Unwritten„. Beide Vorträge behandeln auf verschiedene Weise die Kritik des Parlamentarismus. Beide Veranstaltungen fanden statt im Rahmen der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative„.

1.) Echte Demokratie jetzt!?

Kritiken des Parlamentarismus im Vergleich. Nach einer kurzen Definition des Parlamentarismus führt der Vortrag in verschiedene Spielarten der Parlamentarismuskritik ein: Die linkssozialistische Parlamentarismuskritik Rosa Luxemburgs, die anarchistische Parlamentarismuskritik Erich Mühsams, die faschistische Parlamentarismuskritik Carl Schmidts und die linkskommunistische Parlamentarismuskritik von Johannes Agnoli. Es geht im ganzen Vortrag immer wieder auch um die Problematisierung von Schnittstellen zwischen rechter und linker Parlamentarismuskritik.

    Download: via AArchiv (mp3; 87.5 MB; 1:35:39 h) | Hören: via Soundcloud

2.) Gestern radikal – heute Landtagswahl

Parlamentarismuskritik in Zeiten des Rechtsrucks. Der Referent gibt zunächst eine knappe Einführung in die Grundlagen der Kapitalismuskritik, um dann zum Verhältnis von Ökonomie und Politik, Kapital und Staat zu kommen. Er skizziert verschiedene Spielarten der Staatskritik, um dann ausführlicher auf die Parlamentarismuskritik von Johannes Agnoli einzugehen. Als Beispiel für den Charakter staatlicher Politik und parlamentarischer Prozesse werden dann ausführlicher die Agenda 2010 und die Hartz-Reformen verhandelt. Zuletzt werden einige strategische Überlegungen angesichts des aufsteigenden Rechtspopulismus angestellt. Unter dem Titel „Gestern radikal, heute Landtagswahl – Zur Situation der Parlamentarismuskritik in Zeiten des Rechtsrucks“ gibt es auch einen längeren Text auf der Seite von Unwritten Future.

    Download: via AArchiv (mp3; 77.5 MB; 1:24:39 h) | Hören: via Soundcloud

Zur Kritik des Parlamentarismus siehe auch: Anton Pannekoek – Denker der Revolution.

Zur Aktualität von Johannes Agnolis ‚Transformation der Demokratie‘

Am 29.05.2018 hat Felix Klopotek im Conne Island einen Vortrag über den Politikwissenschaftler, Philosophen und sozialrevolutionären Denker Johannes Agnoli gehalten. Dabei legte er einen Fokus auf eines der wichtigsten Bücher Agnolis: Die Transformation der Demokratie (gemeinsam mit Peter Brückner, 1967). Der Vortrag geht recht ausführlich auf die Biographie Agnolis und den Vorwurf (u.a. von Wolfgang Kraushaar) ein, Agnoli habe faschistisches Gedankengut in seine Staats- und Demokratiekritik aufgenommen. Anschließend rekonstruiert er einige Aspekte der Staatskritik Agnolis und dessen Problematisierung der Demokratie als Form. Hier geht es zentral um das Problem, dass sich mit dem verallgemeinerten Staatsbürgerbewusstsein soziale Konflikte in politische auflösen. Zuletzt spricht Klopotek über den Klassencharakter des Staates, wobei er sich neben Agnoli auch auf Adam Smith und Marx bezieht. Siehe auch Klopoteks Text Das Unbehagen in der Demokratie.

Johannes Agnolis Thesen zur »Transformation der Demokratie« (erstmals im Herbst 1967 erschienen) waren nicht als ein aktivistischer oder interventionistischer Text gedacht. Aber sie trafen auf eine sich gerade formierende außerparlamentarische Opposition, der – nicht zuletzt durch die Ereignisse vom 2. Juni 1967 – ziemlich rüde mitgeteilt wurde, dass demokratische Willensbildung nur als Akt der Unterwerfung unter den bundesrepublikanischen – sprich: antikommunistischen – Konsens erlaubt ist. Und so kam es, dass Agnolis Thesen, die eigentlich »nur« der damals an Verfassungsidealen orientierten sozialistischen oder sozialdemokratischen Linken argumentativ den Boden unter den Füßen wegziehen wollten, der Wut und Verzweiflung der Studentinnen und Studenten eine angemessen intellektuelle Form gaben: Ihr Unbehagen am Parlamentarismus, an der »formierten Gesellschaft« und an der Sozialpartnerschaft waren berechtigt! Agnoli zeigte, dass noch die hehrsten Ideale und Ansprüche der parlamentarischen Demokratie einen herrschaftsaffirmativen und kapitalförmigen Gehalt haben, und er erinnerte an das revolutionäre Subjekt, das außerhalb dieser Institutionen seine Kämpfe zu führen hat.

Alles lange her. Die präzise Arbeit Agnolis an der negativen Dialektik des Parlamentarismus wich in den 70er Jahren der abstrakten Generalanalyse der »Staatsableitung«, und dann kamen ja auch schon die Grünen und die neue Lust am Mitmachen. Agnoli wurde zum akademischen Einsiedler des Linksradikalismus, seine Thesen galten als »legendär«, waren schon fast anekdotisch, wurden jedenfalls nicht mehr gelesen.

Heute kann keiner genug von Demokratie und Partizipation bekommen: Die Rechten träumen von der illiberalen Demokratie, in der qua Volksabstimmung endlich Schluss gemacht werden soll mit Schutz- und Minderheitenrechten; die Linken träumen von der verallgemeinerten Demokratie, die in allen möglichen öffentlichen und halböffentlichen Institutionen Einzug halten soll, um dort Machtverhältnisse abzubauen; die Mitte träumt von der Renaissance des Bundestages, um so die Rechten und Linken einhegen zu können. Keiner kann mit keinem, aber alle schwören auf Demokratie. Von Agnoli kann man immer noch lernen, dass genau dieser Demokratie-Hype paradoxerweise auf die Transformation der Demokratie verweist – auf ihre negative Selbstaufhebung im kapitalistischen Totalitarismus. (via)

    Download: via AArchiv (mp3; 156.3 MB; 1:31:20 h)