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Dialektik und Existenzphilosophie

Mit drei Vorträgen über Dialektik von Existenzphilosophie und westlichem Marxismus hat die Frankfurter Translib noch einmal die Reihe »Existentialism Revisited« fortgesetzt und damit einen Beitrag zu einer Debatte geleistet, die zur Zeit in einem (post-)antideutschen Umfeld ihre Wellen schlägt. Die Diskussion über das Verhältnis von Adorno und Sartre bzw. Existenzialismus und Kritischer Theorie begann zum einen in der vierzehnten Ausgabe der Zeitschrift Prodomo, mit einem Beitrag von Ingo Elbe über Sartres Antisemitismusanalyse, die bereits in der selben Ausgabe eine Erwiderung von Tjark Kunstreich fand. Die Diskussion setzte sich dann in der fünfzehnten Ausgabe mit einem Beitrag von Philipp Lenhard und einem ausführlichen Text zu Sartres Freiheitskonzeption von Manfred Dahlmann fort, war aber bspw. auch zentrales Thema der Tagung der Wiener Sonntagsgesellschaft und ist u.a. Gegenstand in Gerhard Scheits letztem Buch.

1. Roswitha Scholz: »Simone de Beauvoir heute«

Roswitha Scholz (EXIT!) diskutiert die Theorie Simone de Beauvoirs anhand ihrer Rezeption im Spannungsfeld von Gleichheitsfeminismus, Differenzfeminismus, dekonstruktivistischem und materialistischem Feminismus. Dazu referiert sie zunächst die Grundlagen des Existenzialismus in seinem Verhältnis zum Marxismus, insbesondere das Verhältnis von Subjekt-Objekt-Dialektik und dem Verdinglichungstheorem und untersucht diese Debatte auf das Geschlechterverhältnis hin. Im letzten Teil skizziert sie die Grundlagen der Wertabspaltungskritik, arbeitet Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus und wirft abschließend einen Blick auf postmoderne Theoriebildung und inwiefern dort de Beauvoir wieder auftaucht (hierbei kritisiert sie u.a. Heinz-Jürgen Voß, aber auch »neo-situationistische« Positionen). Scholz richtet sich eindeutig gegen eine Neuauflage des Existenzialismus. Ein für die Debatte m.E. interessanter Bezugspunkt ihres Vortrags ist der Aufsatz »Phänomenologie und Marxismus in geschichtlicher Perspektive« von Winfried Dahlmeyer. In der Diskussion dreht es sich vor allem um das Theorem der Wertabspaltung und den Begriff des (warenproduzierenden) Patriarchats.

Simone de Beauvoirs Buch Das andere Geschlecht spielte in der feministischen Theorie/Genderforschung lange keine Rolle mehr. In letzter Zeit taucht de Beauvoir aber nicht nur in neu erstellten Überblickswerken zu Klassikerinnen des Feminismus wieder auf, zu ihr und ihrer Theorie wurden inzwischen auch vermehrt Tagungen und Veranstaltungen angeboten (was wohl mit ihrem hundertsten Geburtstag 2008 zusammenhängt). Hie und da erinnert man/frau sich wieder an sie. Dies dürfte nicht zuletzt einem Selbstreflexivwerden von Feminismus und Genderforschung in der gegenwärtigen Krisensituation geschuldet sein. Dabei stellen sich die Fragen des „Wie weiter?“ und „Was kommt nach der Genderforschung?“. In den 1970er Jahren hatte sich insbesondere ein Gleichheitsfeminismus mit dem Slogan „Man wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht“ auf de Beauvoir berufen. Ein Differenzfeminismus bezichtigte sie sodann, männliche Normalitätskriterien auf Frauen anzuwenden. Schließlich wurde ihr in den 1990er Jahren von einem dekonstruktiven Feminismus vorgeworfen, trotz all ihrer Kritik der hierarchischen Geschlechterverhältnisse einem dualistischen Denken verpflichtet geblieben zu sein und eine erneute Herstellung von Zweigeschlechtlichkeit betrieben zu haben. In dem Vortrag wird eine zeitliche Einordnung des „anderen Geschlechts“ und seiner Bedeutung vor dem Hintergrund der Wert-Abspaltungskritik versucht sowie auf Aspekte hingewiesen, die durchaus noch heute Aktualität beanspruchen können. [via]

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 35,5 MB; 1 h 2 min) | Diskussion (mp3; 26,2 MB; 45:51 min)

2. Christoph Zwi: »Die Heidegger-Kritik von György Lukács«

Zwi gibt einen Überblick über die verschiedenen Anläufe, in denen Georg Lukács den Versuch unternahm, eine grundlegende und immanente Kritik Heideggers Philosophie zu leisten. Während dies in »Die Zerstörung der Vernunft« im Zuge der Kritik des dekadent-bürgerlichen Irrationalismus geschah, entwickelte Lukács in seiner unvollendet gebliebenen »Ontologie des gesellschaftlichen Seins« eine Kritik Heideggers Pseudo-Ontologie, indem er selbst den Ansatz für eine kritische, materialistische und historische Ontologie entwarf. Im größten Teil des Vortrags gibt Zwi einen Überblick über das Verhältnis von Heidegger und Lukács, weist Bezüge und Abgrenzungen auf. Auch hier ist das Subjekt-Objekt-Verhältnis, zwischen bzw. jenseits der idealistischen Figur des identischen Subjekt-Objekt, sowie Subjektivismus und Objektivismus, von zentraler Bedeutung. Außerdem geht es zentral um das Verhältnis von Kategorien, Geschichtlichkeit und Sprache. Ein interessanter Punkt ist die Frage, inwiefern Adorno Ontologie grundlegend verwarf, oder ob er selbst einen kritisch-ontologischen Ansatz hatte. Die Diskussion ist vor allem in der zweiten Hälfte noch einmal sehr spannend – neben interessanten Ergänzungen zu Lukács‘ Ontologie, werden hier konkret einige Sätze von Heidegger unter die Lupe genommen. Mit seiner zentralen Positionierung für eine kritische Ontologie, bezieht Zwi Stellung gegen die meisten Beiträge in der bisherigen Existenzialismus-Debatte.

Der philosophische Dichter und Denker im Lande der Richter und Henker – der (prä- und post-) NS-Ideologe Martin Heidegger – hat vor allem auf einem Gebiet zu siegen nicht aufgehört: bis heute wird „Ontologie“ in einem stereotypen Reflex gerade auch von Linken allererst mit seinem Namen in Verbindung gebracht. Dass es sich dabei jedoch um eine Pseudo-Ontologie handelt, welche vom „Dasein“, „Seienden“ und „Seinsgrund“ usw. faselt, während sie die begriffliche Bestimmung aller Kategorien und Beziehungen von gesellschaftlichem Sein, Bewusstsein sowie last but not least naturhaften Seinsgrundlagen verbietet und durch Mystizismus ersetzt, dies materialistisch aufzudecken gelang dem Begründer des „westlichen Marxismus“, Georg Lukács, dessen ontologische Kritik aber noch immer weithin verdeckt wird von der Adornoschen Ontologiekritik. Ohnehin wird im fachphilosophischen herrschenden Universitätskanon „Ontologie“ noch stets pauschal als „vor(erkenntnis)kritische Metaphysik“ tabuisiert.

In der bisherigen transLib-Reihe zum Existenzialismus (2010/2011) wurde indes ein spannender Aspekt sichtbar: Es gibt auch Bemühungen um eine kritische Methode der Gesellschaftsanalyse und ihr entsprechende Ethik, die von Karl Marx‘ Feuerbachthesen und der Kritik der politischen Ökonomie ausgeht, sich in dieser Perspektive als kommunistisch-revolutionär versteht und gleichwohl sich durchaus als ontologisch basiert begreift. Die phänomenologische oder spekuläre Ontologie von J.P.Sartre, die spektakelkritische der Situationisten und eben die historisch-genetische Gesellschaftsontologie von Lukács wurden bisher benannt. Wenn nun letztere ins Zentrum dieses Vortrags gestellt wird, dann geht es um ein Resümee des Weges, den eine „Neue Ontologie“ seit dem Ende des Ersten Weltkrieges in der Heidegger- und in der Lukács-Richtung in unversöhnlicher Divergenz eingeschlagen hat.

An jeder Wegmarke erwies er sich erneut als Scheideweg: – ob Kategorien oder ob „Existenzialien“ herauszuarbeiten sind, – ob es einen „dritten Weg“ zwischen „Idealismus“ und „Materialismus“ oder zwischen „Rationalismus“ und „Irrationalismus“ geben kann, – ob Philosophie, Wissenschaft, Theorie und Denken miteinander und mit gesellschaftlicher Praxis revolutionär zusammengehen können, – ob Geschichtlichkeit mit theologischen Deutungsmustern zu interpretieren ist oder immer nur als Veränderung der Gegenständlichkeit durch die Menschen begriffen werden kann, – ob die Subjektivität oder die Objektivität im gesellschaftlichen Sein, in Raum und Zeit für die Analyse der Bewusstseinsformen und Gesellschaftsformen das Entscheidende ist, – und welche Funktion in alledem die Sprache hat … Jede dieser Entscheidungsfragen wurde von Lukács seit 1920 bis 1970 diametral entgegen den Heideggerschen Denkvoraussetzungen gestellt und beantwortet. „Das eigentliche Sein zum Tode, d.h. die Endlichkeit der Zeitlichkeit ist der verborgene Grund der Geschichtlichkeit des Daseins.“ (Heidegger) Lukács denunziert dies als Pseudogeschichtlichkeit. „Heidegger will eine theologische Geschichtsphilosophie für den ‚religiösen Atheismus‘ schaffen.“ Die Lukács’sche Ontologie arbeitet ideologiekritisch, indem sie materialistisch bloßlegt, dass und wie Sein wesentlich permanentes Anderswerden ist. „Es ist nicht so, dass sich die Geschichte innerhalb des Kategoriensystems abspielt, sondern es ist so, dass die Geschichte die Veränderung des Kategoriensystems ist. Die Kategorien sind also Seinsformen“.

Wenn die menschlichen Bewusstseinskategorien die Seinskategorien reflektieren, dann bedeutet ontologische Methode die Analyse von Erscheinungen und Scheinformen in ihrer objektiven Wirkungsmächtigkeit als dialektisches, wesentliches Aufeinandereinwirken der Menschen. Sowohl Lukács als auch Heidegger sprechen von „Verdinglichung“. Doch genau mit der fetischismuskritischen Entfaltung dieses Begriffs legt Lukács die „Pseudoobjektivität“ der „Fundamentalontologie“ Heideggers als subjektivistische, ungeschichtliche – und immer wieder suggestive – Fixierung kapitalistischer Alltagsunmittelbarkeiten bloß. Ihre „philosophische“ Mystifikation hilft Menschen in der „Sorge“ der gesellschaftlichen Krise, sich dem vorgeblichen „Seinsgeschick“ und der „Entschlossenheit“, der „Gelassenheit zu den Dingen“ und dem „Sein zum Tode“ zu unterwerfen. [via]

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 39,2 MB; 1 h 8:32 min) | Diskussion (mp3; 42 MB; 1 h 13:23 min)

3. Magnus Klaue: »Abschied von der Geschichtsphilosophie: Adorno, Sartre und die Sehnsucht nach der positiven Freiheit«

Man muss nur denken: „Na, was schadet schon das Wandern?“
Und man darf weder sich noch and’ren Leuten grollen
Denn man muss wissen: Man ist ganz so wie die Andern
Nur dass die Andern grade das nicht wissen wollen
(Georg Kreisler)

In der Verweigerung, zu erkennen, dass man wie die anderen ist, sieht Magnus Klaue einen wesentlichen Impuls des Existenzialismus. Während Heideggers Existenzialontologie gerade in diesem Punkt – sich im willigen Vollzug des schlechten Allgemeinen noch als etwas Besonderes zu wähnen – im Nationalsozialismus verwirklicht wurde, konnte dieses Bedürfnis in Deutschland nach dem NS nicht mehr ohne weiteres über Heidegger geäußert werden, sondern musste seinen Umweg über Frankreich (also die Beerbung Heideggers im Strukturalismus, Poststrukturalismus und in Sartres Existenzialismus) nehmen, so eine zentrale These im Vortrag von Klaue. Er untersucht unterschiedliche historische Ausgangsbedingungen von Sartres Philosophie und der Kritischen Theorie Adornos und inwiefern diese auch die jeweilige Reflexion über Antisemitismus gefärbt haben. Skizzenhaft widmet er sich zudem den unterschiedlichen ästhetischen Konzepten von Sartre und Adorno, indem er Adornos Beckett-Rezeption mit den Dramen von Sartre im Bezug auf das Konzept der Absurdität vergleicht. Klaue begründet eine Kritik am erneuten Aufgreifen von Sartres Freiheitsphilosophie.

Seit einiger Zeit findet in antideutschen Kreisen verstärkt die zuerst von Jean Améry unter dem Schlagwort vom „Jargon der Dialektik“ aufgestellte These Anklang, wonach im geschichtsphilosophischen Entwurf der „Negativen Dialektik“ und in der negativen Anthropologie, wie die „Dialektik der Aufklärung“ sie entwerfe, eine Verwischung der Grenze zwischen Tätern und Opfern der Shoah und eine Leugnung der moralischen Zurechenbarkeit individueller Handlungen wie auch individueller Leiderfahrung angelegt sei. Dadurch mache sich die Kritische Theorie, entgegen ihren Möglichkeiten, blind für die in keine „Dialektik“ auflösbaren Widersprüche der Empirie. In Rückgriff auf die Existenzphilosophie, insbesondere auf Amérys Begriff der Leiberfahrung und Sartres Theorem der „Entscheidung“, versucht etwa Gerhard Scheit in seiner Studie „Der quälbare Leib“, diesem Defizit beizukommen. Der Vortrag möchte es demgegenüber unternehmen, gerade das oft als „negative Teleologie“ abgelehnte Moment des Adornoschen Denkens als notwenige Bedingung geschichtlicher Wahrheitserkenntnis auszuweisen, und daran erinnern, daß an den „Schwierigkeiten mit der Geschichtsphilosophie“ (Odo Marquard), in die jeder denkende Mensch durch die reflektierte Erfahrung der Wirklichkeit gestürzt wird, nicht die Philosophie, sondern die Geschichte schuld ist. [via]

    Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 35,9 MB; 1 h 2:41 min) | Diskussion (mp3; 28,1 MB; 49:08 min)

Hingewiesen sei noch auf zwei Veranstaltungen zum Thema in Halle: Am 13.12.2011 wird Birte Hewera über »Engagement und Desengagement. Jean-Paul Sartre – Michel Foucault – Jean Améry« referieren und am 15.12.2011 spricht Lars Quadfasel über »Die Abgründe der Autonomie. Zur Kritik von Freiheit und Subjektivität«. Beide Veranstaltungen finden im Melanchthonianum am Uniplatz in Halle statt (via Bubizitrone | via Hintergrundrauschen).

Schönheit ist die Wahrheit selbst

Geschlecherbilder in der Kunst des Nationalsozialismus

Müsli-Mann hat uns schon vor längerer Zeit darauf hingewiesen, dass der Asta der Uni Trier zahlreiche Audio-Vorträge zur Verfügung stellt. Passend zum Beitrag über die nationalsozialistische Kunstpolitik und zum letzten Posting, findet sich dort ein Vortrag von Elke Frietsch über Geschlechterbilder in der Kunst des Nationalsozialismus, den sie am 10.02.2010 in Trier im Rahmen einer Reihe über Kunst und Faschismus (Programm) gehalten hat. Sie diskutiert hier zwei Thesen: zum einen, dass die Kunst im Zentrum nationalsozialistischer Propaganda stand, zum anderen, dass Geschlechterbilder im NS sowohl im Alltag, als auch in der Propaganda und in der Kunst einen großen Stellenwert hatten. Sie stellt dann sehr ausführlich dar, welche Funktion die Kunst im NS hatte und wie sie in Verbindung mit Geschlechterbildern stand – hier ist für Frietsch vor allem der Vergleich von männlichen und weiblichen Körperdarstellungen zentral, die sie auch mit Körperdarstellungen in der sowietischen Kunst vergleicht. Zur Erklärung nationalsozialistischer Körperverhältnisse bezieht sie sich auf Michel Foucaults Thesen zu Körpertechniken und Biomacht. Als Beispiel wird u.a. der nationalsozialistische Skulptur-Künstler Arno Breker herangezogen. Bemerkenswert scheinen mir im Vortrag vor allem drei Aspekte zu sein, die nur scheinbar widersprüchlich sind und in der NS-Ideologie zusammen gehen: ein antifeministischer Kampf gegen »Frauenemanzipation«, die Funktion der Frau als reine Repräsentation und Reproduktion der Rasse und das Postulat der Gleichberechtigung der Frau am Arbeitsplatz und an der Front.
Zur besseren Hörbarkeit habe ich in der nachbearbeiteten Version die längere Einleitung, in der es vor allem um den Anlass und die Vorstellung der Reihe geht, herausgeschnitten. Wer daran interessiert ist (es geht u.a. über die Diskussion um Johannes Scherl), sollte auf die Version der Uni Trier zurückgreifen:

    Download: via Uni Trier (mp3; 58,6 MB; 1 h 3:57 min) oder kürzer via AArchiv (mp3; 26 MB; 45:28 min)

Zum Ankündigungstext der Reihe: Weiterlesen

Arabischer Nationalismus …

…, Antisemitismus und die Auslandspropaganda der Nationalsozialisten

Etwas verspätet: Das Bündnis gegen den Al Quds-Tag in Berlin stellt einen sehr informativen Vortrag über die Beziehungen der Nationalsozialisten zu Kollaborateuren in arabischen Ländern zur Verfügung, der am 24.08.2011 im Rahmen der Mobilisierung gegen den Al Quds-Tag in Berlin gehalten wurde. Darin gibt Hannes Bode zunächst einen sehr differenzierten Überblick über die Bedingungen, unter denen im arabischen Raum überhaupt eine Öffentlichkeit im modernen Sinne entstanden ist und im Rahmen welcher Kräfteverhältnisse sich dort nationalistische und antisemitische Positionen etablieren konnten. Vera Henßler spricht dann über diplomatische und propagandistische Versuche der Nationalsozialisten, im arabischen Raum (kriegerisch) Fuß zu fassen. Die Aufnahme enthält leider starke Hintergrundgeräusche.

    Download: via FRN (mp3; 57,5 MB; 1 h 2:44 min) | via AArchiv (mp3; 35,9 MB) | Soundcloud

Die weiteren im Rahmen der Mobilisierung gehaltenen Vorträge findet ihr auf dem Blog des Bündnisses oder direkt auf dem AArchiv-Server. Zudem sei auf das zahlreiche Material des Bündnisses hingewiesen. Ebenfalls maßgeblich: die Ausgabe des iz3w mit dem Schwerpunkt zum Thema.

Zum Ankündigungstext des Vortrags: Weiterlesen

Arbeit am schönen Schein

Warum Goebbels die Kunstkritik verbot

Der Führer liebt die Künstler, weil er selbst ein Künstler ist.
(Goebbels)

Vorletzte Woche war auf DLF ein sehr hörenswertes Feature von Walter van Rossum über die Kunstpolitik im Nationalsozialismus zu hören. Es wird unter anderem das Verhältnis der Nazis zur Moderne und den Avantgarden, zu Expressionismus und Futurismus und insbesondere zu Gottfried Benn und Marinetti beleuchtet und analysiert. Eine wichtige Rolle spielt die negative Bestimmung der wahren völkischen Kunst über die entartete Kunst und die damit verbundenen Kunstvernichtungsaktionen. Das Feature läuft zudem auf die Charakterisierung nationalsozialistischer Herrschaft als Ästhetisierung der Politik (Walter Benjamin) hinaus: die Übertragung der Konzeption vom Gesamtkunstwerk auf die Gestaltung der Volksmasse, die Volksgemeinschaft als ästhetisierte Religionsgemeinschaft und der Krieg als letztes und höchstes ästhetisches Ereignis. Zu Wort kommt unter anderem der Kunsthistoriker Bazon Brock, von dem auch der Titel des Features stammt. Das Feature ist zudem durchaus als gelungene Einführung in den Charakter des Nationalsozialismus zu empfehlen.

Am 26. November 1936 platzt Dr. Goebbels der Kragen. Die deutsche Kunstkritik hätte vier Jahre Zeit gehabt, sich nach nationalsozialistischen Grundsätzen auszurichten. Jetzt helfe nur noch ein amtlicher Erlass: »An die Stelle der bisherigen Kunstkritik, die in völliger Verdrehung des Begriffes ›Kritik‹ in der Zeit jüdischer Kunstüberfremdung zum Kunstrichtertum gemacht worden war, wird ab heute der Kunstbericht gestellt.« Fast möchte man lachen über den konfusen Ernst, mit dem der Minister der Kunstkritik zu Leibe rückt. Doch in Wahrheit geht es hier um ein Kernstück des Nationalsozialismus: Diese Bewegung wollte Ernst machen mit der Kunst, ästhetische Visionen als Wirklichkeit zu erzwingen – und umgekehrt: Sie wollte das Politische ästhetisieren. [via]

Download: via Mediafire (mp3; 41 MB; 44:48 min) | Zum Text des Features.

Buße & Strafe

1. Eine weitere sehr hörenswerte Sendung von 17Grad beschäftigt sich mit der Todesstrafe. Die Hörer_innen erhalten einige statistische Informationen und erfahren Hintergründe über die Geschichte der Todesstrafe in Deutschland (hierbei interessant, dass einerseits bereits 1947 Todesurteile wieder durch deutsche Richter verhängt und durch Scharfrichter vollstreckt wurden, die schon vor ’45 diese Ämter innehatten und dass andererseits ein wichtiger Grund für die Abschaffung der Todesstrafe in Deutschland, die Abwendung von Todesurteilen gegen NS-Verbrecher war). Außerdem behandelt die Sendung das Vorkommen von Todesstrafen in deutschen Volksmärchen und ihre rechtshistorischen Parallelen und die Geschichte der Zunft der Scharfrichter. Musikalisch wird die Sendung von Johnny Cash begleitet.

    Download: via Mediafire (mp3; 82 MB; 59:41 min)

2. Nicht erst die Abschaffung der Todesstrafe, sondern bereits die Verlagerung ihrer Vollstreckung in nicht-öffentliche Räume, steht nach Michel Foucault für eine Tendenz der Strafe weg von einer Gerichtetheit auf den Körper, hin zu einem »körperlosen« Strafsystem. Eine Eigentümlichkeit der vormodernen Strafe als Marter des Körpers, ist die Sanftmütigkeit, das Mitleid und das Verständnis, welches die geistlichen Begleiter der Zeremonie gegenüber den Gemarterten an den Tag legten: so küsst etwa der Pfarrherr von Marsilly den gemarterten Damien auf die Stirn, dessen Hinrichtung Foucault auf den ersten Seiten von »Überwachen und Strafen« beschreibt. Auch der Rabbi Aser Abarbanel, der in der Geschichte »Die Marter der Hoffnung« von Comte de Villiers de L’Isle-Adam gefangen in einem Folterkeller sitzt, erfährt diese seltsame Sanftmut: als man ihn über sein Todesurteil informiert, wird er sowohl vom Großinquisitor, als auch vom zuständigen Foltermeister und seiner Begleitung umarmt und geküsst. Die Geschichte steht hier in einer Hörspielversion von Radebass zur Verfügung.

    Download: via Mediafire (zip; 24,2 MB)

pw:

Hoppmart

Die Deutschen und der Stuttgarter Bahnhof

Über die Neuordnung des Eisenbahnknotens Stuttgart und die damit verbundenen baulichen Maßnahmen wird nach wie vor auf allen Ebenen gestritten: Der Bundestag hält eine aktuelle Stunde zum Thema ab, Feuilletonisten und Leitartikler beleuchten das Thema von allen moralischen Seiten, Soziologen rätseln über den neuartigen Charakter sozialer Konflikte, der hier zum Ausdruck kommen soll und die Linke weiß nicht so recht, wie sie sich zu all dem verhalten soll. Wir dokumentieren hier zwei Beiträge, die sich kritisch mit der neuen Protestbewegung gegen Stuttgart 21 auseinandersetzen.

1. Uff de’ schwäb’sche Eisebahne…“ – Der Protest gegen Stuttgart 21 als Spielwiese der Gegensouveränität:

Uli Krug (Redaktion Bahamas) referiert in seinem von der Gruppe Monaco in München organisierten Vortrag vor allem zwei Thesen: 1. Es ist kennzeichnend für die deutsche Protestbewegung, dass sie nicht die Welt verändern will, sondern dass sie verhindern will, dass sich die Welt verändert. 2. Im Protest gegen Stuttgart 21 wird ein Idealbild von Gesellschaft und Staat verhandelt: angestrebt wird eine Abkehr vom naturfernen, künstlichen Rechtsstaat – es handelt sich um eine Heimatschutzbewegung. Während diese Thesen (nebst eingestreuten Klagen über den Anti-Katholizismus) wohl von einem Bahamas-Redakteur zu erwarten gewesen sind, sind die weiteren Ausführungen dann doch recht interessant. So führt er aus, dass sich im Motto der Proteste, „Oben bleiben„, die soziale Abstiegsangst der grünen Mittelschicht ausdrückt, die ihren drohenden Abstieg in der Verlagerung des Stuttgarter Bahnhof ins Unterirdische symbolisiert sieht. So trennte ein überirdischer Bahnhof bisher sauber diejenigen, die sich ein Bahnticket leisten können, vom ubahnfahrenden Pöbel, während ein unterirdischer Bahnhof das bisher Getrennte nun zu vermischen droht. Dass hier nicht nur eine Analogie in der Symbolik vorliegt, macht er deutlich, indem er die Sozialstruktur Baden-Württembergs als von mittelständigen Zünften und Clans geprägt charakterisiert, die sich hartnäckig gegen Modernität und Mobilität zur Wehr setzen.

In Stuttgart wird ein Bahnhof gebaut. Der schäbige, alte Kopfbahnhof, der die Durchreisenden dazu zwang, länger als eigentlich nötig in der Spießermetropole Nummer 1 zu verweilen und kostbare Lebenszeit für mehr als einen Blick auf ein trostloses Beispiel antimoderner Architektur zu opfern, wird endlich abgerissen. Nicht eine einzige Person wird durch den Bau des neuen Bahnhofes absichtlich verletzt werden, keiner wird deshalb verhungern oder erfrieren (im Gegenteil), und niemand droht darum die Abschiebung oder Verhaftung. Und doch behaupten die Protestierenden, es gehe um nichts weniger als um die „Zerstörung der Stadt“ (www.kopfbahnhof-21.de). Wo der wahnwitzige Kult um die Heimat so stark ist, dass jede Veränderung, ja sogar jede Verschönerung zur „Zerstörung“ erklärt wird, während man sich um die physisch und psychisch durch den Gang der kapitalistischen Logik Zerstörten, die auch in Stuttgart allgegenwärtig sind, nicht im Geringsten schert, da ist „sozialer Protest“ nur ein anderes Wort für irregewordene Raserei. Der Bahnhof wird zur heiligen Stätte, die Steine selbst zum Symbol des Widerstands gegen ein fetischisiertes Abbild des Kapitalismus, der alles niederreiße und nichts als neue Wunden hinterlasse, die nie wieder verheilten.

Gegen diesen „Raubtierkapitalismus“ (Helmut Schmidt) der Banken und Konzerne helfe nur die geballte Wut des Volkes, ein Aufstand der Anständigen, die sich nicht mehr durch das korrumpierte Staatspersonal repräsentiert fühlen. Die in der Form Demokratie als Tendenz angelegte Herrschaft des Mobs wird in Stuttgart als wirksame Arznei gegen volks- und umweltschädliche Potentaten empfohlen. Die Zauberformel der Stunde heißt, in Ermangelung eines Volkstribuns Hitlerschen Typus, mit dem sich die Massen fraglos identifizieren könnten, „Volksbefragung“. Die Ausschaltung des Parlaments und des rationalen, weil kalkulierbaren Rechts zugunsten der obskuren und willkürlichen Beschlüsse eines sich ebenso spontan wie vorhersehbar bildenden Plebiszits der Öko-, Friedens- und Sozialaktivisten läuft auf nichts weniger als eine postmoderne Version der Volksgemeinschaft hinaus. [via]

    Download: original via MF (m4a; 27,1 MB; 56:42 min) oder nachbearbeitet via AArchiv (mp3; ; 56:42 min)

2. 17 Grad – Stuttgarter Bahnhof:

Dass es sich bei den Protesten gegen Stuttgart 21 tatsächlich um eine besonders deutsche Bewegung handelt, macht eine Sendung der Redaktion „17 Grad“ deutlich, die den Blick vor allem auf den Architekten desjenigen Gebäudes richtet, das hier so vehement verteidigt wird: Paul Bonatz, der das Hauptgebäude des Stuttgarter Bahnhofs entwarf, steht für diejenige nationalistische, antimoderne Architekturschule, die sich gegen das neue Bauen (Bauhaus etc.) engagierte, für die selbst das Bauen rassisch und naturverbunden zu sein hatte und die sich der nationalsozialistischen Herrschaft andiente und von dieser gefördert wurde. Der sonst von der 17Grad-Redaktion gewohnte gute Musikgeschmack lässt in dieser Sendung leider etwas zu wünschen übrig (gespielt wird ausschließlich Reggae), deshalb habe ich eine nachbearbeitete Version erstellt, in der die Musik entfernt ist.

    Download: Originalsendung via MF (mp3; 55,3 MB; 1 h) oder nachbearbeitet, ohne Musik via AArchiv (mp3; 13,9 MB; 24:19 min)

Rote Armee Fiktion

Im Folgenden sei eine etwas ältere Veranstaltung dokumentiert, die 2007 für einigen Trubel gesorgt hat: Die Werbeveranstaltung für das Buch »Rote Armee Fiktion« mit Jan Gerber und Joachim Bruhn auf der linken Literaturmesse in Nürnberg am 15.12.2007. Im ersten Part referiert Bruhn und streift darin in gewohnter Polemik zahlreiche Aspekte zum Thema RAF und Deutscher Herbst: Das Attentat als Berufsrisiko für Politiker in der Klassengesellschaft, die RAF als Naturkatastrophe der bürgerlichen Gesellschaft usw. Er formuliert sowohl eine Kritik an der Aufregung über die RAF, als auch an der RAF selbst – diese hat, so Bruhn, dem revolutionären Projekt geschadet, da sie den Begriff der Charaktermaske ruiniert hat und zudem nicht auf die Aneignung von Reichtum, sondern auf das Anzünden von Kaufhäusern gesetzt hat. Zentral ist dabei auch der Antizionismus der RAF und der RZ. Jan Gerber versucht die RAF in eine Geschichte der Protestbewegung nach ’68 einzuordnen und kritisiert ebenfalls sowohl die Herrschaft, die, sobald es um die RAF geht, in ein Gestammel des gesunden Menschenverstandes verfällt, als auch die RAF selber, die er als »ideelle Gesamtlinke« bezeichnet. Ob es sich bei der Kritik der beiden an der RAF nun um eine »solidarische Kritik« handelt oder nicht, ist dann zentraler Gegenstand der Diskussion.

    Download: via ISF (mp3; 22 MB; 1 h 36:02 min) oder nachbearbeitet (trotzdem relativ schlechte Klanqqualität) via AArchiv (mp3; 16,5 MB)

Am obigen Beitrag ist es also möglich nachzuprüfen, ob oder wie Joachim Bruhn und Jan Gerber die Gesprächskultur auf der linken Literaturmesse zerstört oder dies zumindest versucht haben – dies war nämlich der zentrale Vorwurf, mit dem schließlich der Ausschluss des ça ira Verlags von der linken Literaturmesse begründet wurde (siehe die Erklärung des ça ira Verlags). In einem Gespräch mit dem FSK haben dann Norbert von der AG Kritische Theorie und Joachim Bruhn ihre Sicht auf die Vorgänge des Ausschlusses geschildert. Das Interview enthält sowohl eine Vorstellung des ça ira Verlags als auch der AG Kritische Theorie, welche den ça ira Verlag damals auf der Literaturmesse vertreten hatte:

    Download: via FRN (mp3; 29,8 MB; 25:59 min)

Nachprüfbar ist ebenfalls, ob Joachim Bruhns Seitenhieb gegen Jutta Ditfurths Ulrike-Meinhof-Biographie zutrifft, die er in seinem Vortragsteil als »Terror-Soap« unter dem Niveau bürgerlicher Geschichtsschreibung beschreibt und sie vor allem als Ideal- bzw. Wunschbiographie Ditfurths selbst versteht. In zwei Interviews mit Ditfurth erfährt man, neben einigen Details über die Person Meinhof und die bisherige Behandlung dieser Person im allgemeinen Kanon der bundesdeutschen Literatur und Presse, auch einiges über Ditfurth selbst: dass sie cool und mit Profis gegen Verleumdungen in der Presse vorgeht, wie sie aufopferungsvoll viele Jahre an dieser Biographie gearbeitet hat, dass Kunst, Literatur und Politik ihr Leben sind und dass sie meint, dass Veränderung und Gegenöffentlichkeit eher aus einer anderen Welt kommen (dass eine solche möglich ist, wissen wir ja bereits):

  • Interview mit J. Ditfurth von Klaus Blödow vom NEWS Magazin: via FRN (mp3; 25,8 MB; 37:35 min)
  • Interview mit J. Ditfurth von Roger Spindler vom Schweizer Freien Radio RaBe: via archive.org (mp3; 48 MB; 59:54 min)

»Bewältigungsversuche eines Überwältigten«. Nie geführte Interviews mit Jean Améry

Die Göttinger Gruppe OLAfA hat in einem Anfang 2011 gesendeten, hörenswerten Radioprojekt Auszüge aus Schriften Jean Amérys zu einem fiktiven Interview komponiert. Améry (1912-1978), der als (areligiöser) Jude in der Résistance die Nazis bekämpfte und das KZ überlebte, berichtet in seinen Texten u.a. von seinen Erfahrungen als von Antisemiten Verfolgter und von seinem Engagement für die juristische Belangung der Täter nationalsozialistischer Verbrechen. Schließlich geht es auch um Israel und den Antizionismus der Linken.

  1. »Ich verliere jeden Tag von Neuem das Weltvertrauen«
    Download via AArchiv, via MF (0:40 h, 14MB) | via OLAfA (36 MB)
  2. Teil 2: »Ich gehörte zur mißbilligten Minderheit derer, die nachtrugen«
    Download via AArchiv, via MF (0:43 h, 15 MB) | via OLAfA (40 MB)
  3. Teil 3: Making of – die OLAfA im Interview
    Download via AArchiv, via MF (0:32 h, 11 MB) | via OLAfA (29 MB)

Skript Teil 1: via AArchiv, via MF, via OLAfA (PDF)
Skript Teil 2: via AArchiv, via MF, via OLAfA (PDF)

50 Jahre Eichmann-Prozess

Über Twitter sind die einzelnen Teile dieser Reihe von DLF Essay und Diskurs schon gegangen. Hier folgt nun die gesammelte Archivierung der drei ganz hörenswerten Beiträge.

1. Beim ersten handelt es sich um einen Essay von Wolfgang Dreßen:
Abstrakte Arbeit und destruktive Sehnsucht. Hannah Arendt und der banale Antisemitismus

Vor 50 Jahren wurde dem Naziverbrecher Adolf Eichmann in Jerusalem der Prozess gemacht. Die Philosophin und Publizistin Hannah Arendt hat das Verfahren vor Ort verfolgt. Ihre Charakterisierung Eichmanns als „Banalität des Bösen“ löste damals heftige Kontroversen aus.

Die anderen beiden Beiträge bestehen aus Gesprächen, die Jochanan Shelliem geführt hat:

2. Eine Epoche vor Gericht. Zeitzeugengespräch mit dem damaligen Stellvertretenden Ankläger Gabriel Bach. Eindrucksvoll!

Bach wurde in Deutschland geboren, ehe er mit seiner Familie nach Palästina entkommen konnte. 1960 leitete er die Untersuchung der ermittelnden Polizeibehörde gegen Eichmann und im Prozess war er stellvertretender Ankläger.

3. Die Shoah als Grundlage nationaler Identität. Gespräch mit dem israelischen Philosophen und Schriftsteller Avraham Burg

Der Sohn des langjährigen israelischen Ministers, Josef Burg, beschreibt die seit 50 Jahren anhaltenden traumatischen Folgen des Prozesses für die jüdische Nation. Er sieht den Staat Israel in seiner Fixierung auf den Holocaust als erstarrt an. Burg war von 1999 bis 2003 Sprecher der Knesset. Im August wird sein Buch „Hitler besiegen“ im Campus-Verlag erscheinen.

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Die Nazis und der Swing

1. SWR2 Wissen: Goebbels‘ Swing-Band. Musik als Propagandamittel.
Von Mechthild Müser

Swing und Jazz waren im nationalsozialistischen Deutschland als „entartete Musik“ diffamiert und verboten. Das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda selbst veranlasste jedoch 1939, vermutlich sogar angestoßen von Joseph Goebbels, die Gründung einer Big-Band: Charlie and his Orchestra. Mit Sendung der Lieder dieser Combo im Auslandrundfunk sollte der Feind demoralisiert und verspottet werden – einige der bekanntesten und begabtesten Jazzmusiker Deutschlands schlossen sich so zu einer NS-Propaganda-Jazz-Band zusammen. Das Feature von Mechthild Müser berichtet über Geschichte und Hintergründe der Band „Charlie and his Orchestra„.

Download: via SWR2 (mp3; 25,7 MB; 28:01 min)

2. »… in the way of Lindy Hop«. Swingtanzen zwischen Anpassung und Widerstand
Vortrag mit Juliane Hummitzsch

Juliane Hummitzsch zeigt in ihrem Vortrag, wie sich in der Form des Tanzstils „Lindy Hop“ auf spezifische Weise die Widersprüchlichkeit kapitalistischer Subjektivität widerspiegelt. Dazu rekonstruiert sie in einem historischen Teil die Geschichte der Jazz-Musik, die Entstehung des Lindy Hop in den USA und die Rolle der Swing-Kultur in Deutschland, um anschließend mit Bezug auf Adorno, Kracauer und Gerhard Scheit einige Überlegungen zum Verhältnis von Anpassung und Widerstand in der Kulturindustrie im Allgemeinen und im Lindy Hop im Besonderen anzustellen. Der Versuch, einen Zusammenhang zwischen Tanztheorie und Gesellschaftskritik herzustellen, macht den Vortrag sehr interessant. Der Vortrag ist in Textform in der Bremer Zeitschrift Extrablatt erschienen.

Download: via archive.org (mp3; 24,9 MB; 43:24 min)

Ankündigungstext: Weiterlesen

Nietzsche im Lichte unserer Erfahrung

Lieber Herr Professor, zuletzt wäre ich sehr viel lieber Baseler Professor als Gott; aber ich habe es nicht gewagt, meinen Privategoismus so weit zu treiben, um seinetwegen die Schaffung der Welt zu unterlassen…1

[…] wenn die Notstände Philosophie treiben, wie bei allen kranken Denkern – und vielleicht überwiegen die kranken Denker in der Geschichte der Philosophie -: was wird aus dem Gedanken selbst werden, der unter den Druck der Krankheit gebracht wird? […] Nicht anders als es eine Reisender macht, der sich vorsetzt, zu einer bestimmten Stunde aufzuwachen, und sich dann ruhig dem Schlafe überläßt: so ergeben wir Philosophen, gesetzt daß wir krank werden, uns zeitweilig mit Leib und Seele der Krankheit – wir machen gleichsam die Augen vor uns zu.2

Friedrich Nietzsche bejahte die Krankheit als Kraft der Erkenntnis, die den Gedanken unter Druck setzt und in der Genesung, im Moment des Erwachens, „den Geist auf der Tat ertappt“. Anekdotisch beginnt Thomas Mann seinen Vortrag über „Friedrich Nietzsche im Lichte unserer Erfahrung“ mit einer Auseinandersetzung mit Nietzsches eigener Krankheit. Der Schriftsteller und Weltbürger Mann referierte zur Eröffnung des XIV. Kongresses des internationalen PEN-Clubs am 3. Juni 1947 in Zürich über die Ambivalenz des Vermächtnis von Friedrich Nietzsche. Er gibt dabei zunächst einen biographischen Überblick, führt dann in das Werk Nietzsches ein, um ihm schließlich aus einer liberal-bürgerlichen Perspektive eine Affinität zum Nationalsozialismus nachzuweisen – nicht ohne auf humanistische und aufklärerische Züge Nietzsches hinzuweisen und hieraus eine Perspektive für seine Zeit zu eröffnen. Auch wenn es sich bei diesem Vortrag gewiss nicht um eine materialistische Kritik handelt, ist er ein sehr hörenswertes Zeitdokument. [Nebenbei sei auf einen kürzlich bei Beatpunk erschienenen Text über Nietzsches Sprachphilosophie hingewiesen – ähnlich wie Thomas Mann Nietzsche mit Oscar Wilde vergleicht, werden hier Nietzsche und Baudelaire gegenübergestellt.]

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  1. So und ähnlich lauteten kleine Briefchen und Zettelchen, die Nietzsche zu Beginn seines geistigen Zusammenbruchs allen möglichen Leuten schickte. Friedrich Nietzsche, Nachlass, zitiert nach Mazzino Montinari: Friedrich Nietzsche: eine Einführung. de Gruyter, Berlin und New York 1991, S.129. [zurück]
  2. Friedrich Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft, Stuttgart 1965, S.5. [zurück]

Vom Antifa-Sommer zum Irak-Krieg. Die Transformation des deutschen Nationalismus

Als Nachtrag zur »Wie scheiße ist Deutschland?«-Konferenz hier eine Aufnahme vom November 2008 zu einem ähnlichen Thema. Zur Transformation des deutschen Nationalismus und zum Stillstand bzw. Verstummen »antideutscher« Kritik gibt es Statements bzw. Kurzvorträge von der Gruppe B17, einem Referenten von [a:ka] Göttingen und Lars Quadfasel (Hamburger Studienbibliothek).

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Kapitalistische Vergesellschaftung und nationalistische Ideologie

Mitschnitt eines Vortrags, den Martin Dornis am 19.08.2010 in Jena, im Rahmen der Reihe »Schwarz.Rot.Gold. …sind nicht mal alles Farben« gehalten hat. Er skizziert die Geschichte des Staates im Kapitalismus, um anschließend Besonderheiten des deutschen Staates und der damit verbundenen nationalistischen Ideologie herauszuarbeiten. Ankündigungstext hier. Untenstehend findet ihr das Thesenpapier zum Vortrag und die verwendeten Zitate.

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Öffentlich-Rechtliches (15)

Perversion einer Utopie

Deutschlandfunk Essay und Diskurs hat mal wieder eine interessante Reihe gesendet.

  1. Der sowjetische „Neue Mensch“

    Das Heilsziel eines „Neuen Menschen“ ist den Diktaturen des 20. Jahrhunderts gemein. Es hat religiöse Wurzeln und zeitigt totalitäre Konsequenzen. Im ersten Teil der Reihe befasst sich Albrecht Betz mit der stalinistischen Sowjetunion und ihrer Utopie, deren wichtigster geistiger Wegbereiter Karl Marx war.

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  2. Der „Neue Mensch“ im Italo-Faschismus

    Der zweite Teil der Reihe hat den Italo-Faschismus zum Thema. Es geht um die inhumane Obsession eines elitären Übermenschen unter der Herrschaft Mussolinis. Das Ziel war eine Regeneration Italiens.

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  3. Der „Neue Mensch“ im Nationalsozialismus

    „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ wollte Hitler seine Jugend haben. In Leni Riefenstahls Filmen wurden das hellenistische Körperideal und jenes des martialisch nordischen Helden propagiert. Die Juden wurden zum Feind der „Herrenrasse“ erklärt.

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