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Can‘t take my eyes off you

… ein Versuch, utopisch zu denken

Unter dem Titel Can’t take my eyes off you hat der Leipziger AK Unbehagen im Mai 2019 einen temporären Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum eröffnet. Im Rahmen dessen fanden auch mehrere Veranstaltungen statt, die wir im Folgenden dokumentieren. Es geht weitestgehend um die Stellung der Utopie innerhalb gesellschaftskritischen Denkens. Zur Ausstellung und zur Veranstaltungsreihe siehe auch das Interview des Transit-Magazins mit dem AK-Unbehagen.

Was wäre in der Utopie anders? Was steht der Utopie im Weg? Und wo sehen wir in der Gegenwart, in unserem Leben Utopisches?

Diese und weitere Fragen haben wir uns und Menschen, die uns nahe stehen, in den letzten Monaten gestellt. Im Mai 2019 eröffnen wir einen Denk-, Experimentier- und Ausstellungsraum, in dem wir unsere Auseinandersetzung sichtbar machen und zu utopischem Denken einladen wollen.

Im Verlauf unserer Auseinandersetzung haben wir Briefe an Menschen verschickt, deren Gedanken und Haltungen uns wichtig sind. Aus den Antworten, die wir bekommen haben, haben wir ein fiktives Gespräch geschrieben, das in Form einer Audioinstallation hörbar sein wird.

Für das Veranstaltungsprogramm haben wir Freund*innen und Genoss*innen eingeladen, ihre Überlegungen mit uns zu teilen und mit uns in den Austausch zu treten.

In dieser Reihe wollen wir Debatten darüber anstoßen, welche Formen von Arbeit, Beziehungen und Subjektivität wir uns wünschen. Wir möchten mit euch über die gegebenen Verhältnisse hinaus denken und über die Vorstellungen und Bedingungen von einem guten Leben diskutieren.

[Edit (28.03.2020): Ein ausführliches Gespräch mit zwei Mitgliedern des AK Unbehagens, über die Aktivitäten des AK’s und die Auseinandersetzungen im Rahmen der dokumentierten Reihe findet sich hier.]

1.) …und für wen das alles? – das Subjekt und die Utopie

In einer Lesung hat der AK Unbehagen einige Überlegungen vorgestellt, die der Ausstellung und der Veranstaltungsreihe vorangegangen sind. Es geht dabei insbesondere um das Subjekt der Utopie: Ausgangspunkt ist bürgerliche Subjektivität, die ihre eigenen Voraussetzungen abspalten muss. Mit Überlegungen zur Psychanalyse, weiblicher Subjektivität, Arbeit, Alltag, Bedürfnissen, Bedürftigkeit, Körperlicheit, linke Gruppen und (Liebes)Beziehungen kreist die Lesung um die Aufhebung bürgerlicher Subjektivität, hin zu einer Gesellschaft glücklicher Subjekte, zur Vorstellung einer ganz anderen Gesellschaft. Dabei geht es auch immer wieder um Geschlechterverhältnisse. (Die Tonqualität dieser Aufnahme ist nicht sonderlich gut – die anderen Mitschnitte sind deutlich besser.)

Wenn wir versuchen utopisch zu denken, sind wir immer darauf zurückgeworfen, uns zu fragen, wer oder was da eigentlich denkt. Was für ein Subjekt ist das und welche Zurichtung erfährt es? Wo weisen unsere Vorstellungen von einer glücklichen und befreiten Gesellschaft in ihrer Negation auf gegenwärtige Verhältnisse hin, über die hinaus wir gar nicht denken können, weil uns die Sprache dafür fehlt?

Wir möchten in unserer Lesung Aspekte diskutieren, die das Subjekt mit der Utopie verbinden und unser Begehren nach dem wirklich Besseren ausdrücken. Welche Rolle spielt Mangel in der Subjektkonstitution und kann das Glück im Kleinen ein Stück Zukunft im Hier und Heute bedeuten? Wie soll sich alles zum guten Leben für alle ändern oder wie sollen sich alle ändern? Und an welchen Utopie-Entwürfen können wir uns abarbeiten?

    Download: via AArchiv (mp3; 66.8 MB; 48:39 min)

2.) Über das Utopische in der Erfahrung

In einer Lesung haben zwei Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Outside the Box Texte aus der 7. Ausgabe der Zeitschrift zum Thema Erfahrung vorgestellt (zur Ausgabe siehe auch: Interview von Radio Corax; Interview des Konkret-Magazins). Die Redakteurinnen lesen zu folgenden Themen: Ein Erfahrungsbericht von gegenwärtigen feministischen Kämpfen in Buenos Aires; ein Gespräch über gewerkschaftliche Frauengruppen in der BRD der 70er-Jahre; ein Gespräch mit Frigga Haugg u.a. über deren (4 in 1)-Perspektive (siehe auch das Interview mit Haugg zum Thema hier); ein Text über Verena Stefan und deren Roman „Häutungen“; ein Text über die Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ (siehe auch das Interview zum Thema hier, siehe auch den Kurztext hier); das Editorial zum Verhältnis von Erkenntnis und Erfahrung; ein Gedicht (Überraschung). Die Aufnahme setzte kurz nach Beginn der Lesung ein.

»Wir erfahren den Gegensatz zwischen dem, was sein könnte, und dem, was ist.«

— Preview-Lesung über das Utopische in der ERFAHRUNG (Ausgabe #7) der Outside the Box. Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik

Erfahrung – ist das, als unmittelbar Gegenwärtiges und Alltägliches, nicht das Gegenteil von Utopie? Zwei Redakteurinnen der outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik hoffen, bei ihrer allerersten Lesung aus der Ausgabe #7, die jeden Moment erscheinen wird, Antworten auf diese und alle darin enthaltenen Fragen zu finden – ob Erfahrung so unmittelbar überhaupt ist, zum Beispiel – oder, falls das nicht gelingen sollte, zumindest ein paar neue Fragen aufzuwerfen. Eine (utopische?) ERFAHRUNG, die man sich nicht entgehen lassen sollte!

    Download: via AArchiv (mp3; 138 MB; 1:00:22 h)

3.) „Rufen, was nicht ist“

Zur Utopie und ihrer Rolle für die Emanzipation. In ihrem Vortrag gehen Max und Jakob von der Translib Leipzig näher auf eine begriffliche Bestimmung des Verhältnisses von Utopie und Gesellschaftskritik ein. Zunächst charakterisiert Max das utopische Denken seit Thomas Morus, geht auf die Kritik des Utopismus von Friedrich Engels ein, verharrt kurz bei Ernst Bloch, um dann die Argumentation für ein Bilderverbot mit Adorno und Horkheimer zusammenzufassen. Er geht dann mit Hans-Jürgen Krahl auf das Verhältnis von objektiven und subjektiven Bedingungen einer kommunistischen Befreiung ein, das für den Stellenwert der Utopie entscheidend ist. Daran knüpft Jakob im zweiten Vortragsteil an. Er untersucht das Verhältnis von bestimmter Negation und positivem Gegenentwurf; rekonstruiert, wie durch die Tendenzen des Ökonimusmus und Determinismus im marxistischen Denken die Differenz von Bestehendem und zu erreichendem Zustand verwischt wurde und benennt Kriterien für eine befreite Gesellschaft. Insbesondere der zweite Teil des Vortrags knüpft an die Diskussionen der Klassenlossen und Hannes Giessler-Furlan sowie an die Reihe Where is an alternative? an. (Edit: Aus dem Vortrag ist ein Text entstanden, der mittlerweile hier nachgelesen werden kann.)

Emanzipatorische Bewegung zeichnet sich durch den Willen der Veränderung des herrschenden Zustandes aus. Die Kritik am Bestehenden, von der sie ausgeht, enthält immer schon ihre logische Gegenseite – so abstrakt sie auch sein mag – der Gedanke eines Anderen, Besseren. Die Diskussion darum, ob und – wenn ja – wie dieses bestimmt werden kann, ist daher in der Linken immer geführt worden: von der Kritik des »wissenschaftlichen Sozialismus« am »utopischen« Frühsozialismus zum sozialdemokratischen »Zukunftsstaat«, vom Rätekommunismus bis zu gegenwärtigen Ideen eines »Marktsozialismus« – die Bedeutung der Utopie als der Gestalt, in der das Bessere als Ganzes auftritt, für das Denken und die Praxis der Emanzipation spiegelt sich in der Bedeutung, die ihr in verschiedenen, mitunter verfeindeten linken Strömungen zugesprochen wird. Gemeinhin sind jedoch eine fundamentale Umwälzung der Produktionsverhältnisse beinhaltende Utopien heute weitestgehend diskreditiert.

Die Reflexion auf das bisherige Scheitern der revolutionären Linken zeigt aber auch, dass diese entweder alles in Schutt legen wollte, in der Behauptung des Besseren dem Schlechteren womöglich näher kam, oder dem Besseren unter Verweis auf die Unmöglichkeit es zu denken entsagte, um sich doch noch im Bestehenden einzurichten. Allen geht das Denken konkreter kommunistischer Forderungen ab. Dass es mit dem Verweis auf die Vergesellschaftung der Produktionsmittel nicht getan ist, weil keiner sagen kann, was sie mehr meint als die Negation des Privateigentums, hat Karl Korsch bereits vor mehr als hundert Jahren festgestellt.

Dies verweist uns heute auf die drängende Frage nach konkreter Utopie. Was ist sie und wie müsste sie gedacht werden, wenn sie nicht hinter berechtigter Kritik an abstraktem Utopismus zurückfallen soll? Wie kann sie vermeiden, bestehendes Elend gedanklich bloß zu verlängern? Wie kann sie konkretes Fordern ohne bloß Soziareformismus zu sein?

In unserem Vortrag wollen wir uns zunächst dem Begriff der Utopie unter Reflexion des Vorwurfs des Utopismus und des Bilderverbots annähern und ihn historisch verorten. Hier sollen auch die Debatten innerhalb der Arbeiterinnenbewegung und revolutionären Linken beleuchtet werden. Auf Basis dieser Reflexionen möchten wir moderne konkrete Utopien vorstellen, um dann mit euch ins Gespräch zu kommen.

    Download: via AArchiv (mp3; 91.3 MB; 1:06:30 h)

4.) Utopische Forderungen an Mutterschaft / Elternschaft

Auf dem Podium wurde die Frage diskutiert, inwiefern es utopische Bilder von Mutterschaft gibt und in welchem Verhältnis feministische Ansprüche an eine (emanzipierte) Mutterschaft und reale Verhältnisse von Müttern stehen. Neben persönlichen Erfahrungen werden auch psychoanalytische und historische Perspektiven diskutiert. Zentral ist die (reproduktive) Arbeitsteilung. Am Ende werden einige Forderungen im Bezug auf Mutterschaft vorgetragen. An der Diskussion waren beteiligt: Anke Stelling (Schriftstellerin, u.a. Fürsorge und Schäfchen im Trockenen), Maya Dolderer (Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?) sowie Lisa und Saša (beide vom Feministischen MÜTTER*-Stammtisch Süd, Leipzig).

In der gegenwärtigen Gesellschaft erscheinen Fürsorge, die fundamentale Bezogenheit aufeinander und Abhängigkeiten – kurz alles, was mit Mütterlichkeit assoziiert ist – systematisch abgewertet. Dies spiegelt sich nicht nur in konkreten Erfahrungen von Müttern, sondern weiterhin in den prekären Arbeitsbedingungen im Care-Sektor oder den miserablen Zuständen in Pflegeeinrichtungen wider. Auch die feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft verläuft notgedrungen ambivalent.

Wir möchten nach einer Kritik an gegenwärtigen Bedingungen von Mutterschaft suchen, die nicht bei der Aushandlung von Aufgaben oder beim Entwurf der „neuen Mutterideale“ endet. Wir möchten danach fragen, was mit einer Gesellschaft und ihren Beziehungen passiert, wenn eine grundlegende Abhängigkeit nicht mehr geleugnet werden muss.

In dieser Podiumsdiskussion möchten wir deshalb aus psychoanalytischer, materialistischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive nach Ansatzpunkten für ein utopisches Denken von Mutterschaft und Elternschaft suchen. Gleichzeitig soll hierbei auch immer wieder auf Grenzen verwiesen werden, die sich aus einer feministisch-materialistischen Betrachtung stellen. Auch die eigene Erfahrung der Gegenwart soll dabei in den Blick genommen und explizit verhandelt werden.

Wir stellen uns unter anderem diese Fragen: Wie kann Mutterschaft in feministischer Kritik und emanzipatorischen Entwürfen mitgedacht werden? Neben solidarischen Konzepten und neuen Familienmodellen – welche fruchtbaren Punkte bietet eine feministische Auseinandersetzung mit Mutterschaft? Wie sehen unsere utopischen Forderungen an Mutterschaft und Elternschaft aus und auf welchen Mangel verweisen sie in der Gegenwart?

Es werden sprechen: Anke Stelling, Autorin aus Berlin. Maya Dolderer, Mitherausgebering des Sammelbandes Oh Mother, Where Art Thou?. Lisa und Saša vom Feministischen MÜTTER*- Stammtisch Süd (Leipzig)

    Download: via AArchiv (mp3; 91.4 MB; 1:06:33 h)