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Beiträge zur Staatskritik

Wir dokumentieren hier mehrere Beiträge zur Staatskritik, die mehr oder weniger einen einführenden Charakter haben:

1.) Intros: Kritik des Staates

Im Rahmen der Reihe von Einführungsveranstaltungen unter dem Titel „Intros„, die von Kritikmaximierung, [a²] und der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg organisiert wird, hat Moritz Zeiler am 12.07.2011 einen Vortrag über verschiedene Theorien des Staates gehalten. Er stellt darin Lenins Vorstellung vom Staat, die Staatskritik von Eugen Paschukanis und verschiedene Staatsbegriffe des „westlichen Marxismus“ (hier vor allem Gramsci, Althusser, Poulantzas) vor. Auf die sogenannte „Staatsableitungsdebatte“ geht er nur kurz ein. In der Diskussion dreht es sich u.a. noch einmal um den Nationalismus und um Mängel der von Zeiler vorgestellten Staatstheorien. Zur Ergänzung und zur Kritik an Gramsci, Althusser, Poulantzas – siehe Elmar Flatschart über Defizite linker Staatskritik.

Über den Staat gehen in der Linken die Interpretationen weit auseinander: für die einen ist er der Garant des Allgemeinwohls, anderen gilt er als das Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft und wieder andere sehen in ihm das Terrain sozialer Kämpfe.

Mit der Veranstaltung wird eine Einführung in die verschiedenen Tendenzen marxistischer Staatstheorie geboten. Dabei werden in drei Themenkomplexen die zentralen Thesen marxistischer Theorie zum Begriff des Staates präsentiert. Themen sind die instrumentelle Staatstheorie bei Lenin (Staat als Instrument der herrschenden Klasse), die relationale Staatstheorie bei Antonio Gramsci, Louis Althusser und Nicos Poulantzas (Staat als materielle Verdichtung von Kräfteverhältnissen) sowie die Reflexionen von Eugen Paschukanis über den Staat als Rechtsform und die daran anknüpfende Staatsableitungsdebatte.

Moritz Zeiler hat Geschichte und Politikwissenschaften studiert und ist Mitglied im Vorstand der Rosa Luxemburg Initiative Bremen (RLI) und Mitherausgeber von Staatsfragen. Einführungen in materialistische Staatskritik, rls papers, Berlin 2009. [via]

    Download: via AArchiv | via FRN (mp3; 58.9 MB; 1:42:58 h)

2.) Was ist eigentlich der Staat?

Auf Einladung der Gruppe „Association Critique“ hat Ingo Elbe am 01.12.2010 in Bielefeld einen Vortrag über die begriffliche Bestimmung des Staates gehalten. Im Wesentlichen stellt er drei verschiedene Vorstellungen vom Staat vor: Staat im Kapitalismus (vertreten von Teilen der historischen Arbeiterbewegung, u.a. Ferdinand Lasalle), Staat der Kapitalisten (zentral vertreten von Lenin, den Elbe noch einmal genauer darstellt als Zeiler) und Staat des Kapitals. Die letzte Vorstellung vertritt Elbe selbst und nimmt daher auch den größten Raum ein. Mit Bezug auf Eugen Paschukanis skizziert er eine Formanalyse des Staates, die eng auf die Analyse der Warenform bezogen ist.

Der politische Verstand ist eben politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. Je geschärfter, je lebendiger, desto unfähiger ist er zur Auffassung sozialer Gebrechen.“ (Karl Marx)

Appelle an den ‚Vater Staat’, die Wirtschaft doch an die Kandare zu nehmen und damit ‚soziale Gerechtigkeit’ walten zu lassen, erfreuen sich gerade in der Linken nicht erst in neoliberalen Zeiten großer Beliebtheit. Die unbedingte Loyalität, die noch die Aufgeklärtesten den Formen Staat und Recht entgegenbringen, verblüfft dabei stets aufs neue. Hier bekommt radikale Staatskritik den Zorn des gesunden politischen Menschenverstands zu spüren: wo Menschen zusammenleben, da muss die Zwangsgewalt von Staaten herrschen, wer Gegenteiliges behauptet, gilt als unzurechnungsfähig.

Die Form Staat, in deren Apologie sich Nazis und SozialdemokratInnen, evangelische GlobalisierungsgegnerInnen und Altstalinisten einig sind, darf allerdings ebenso wenig in bloß moralischer Manier als Exponent des ‚Schweinesystems’ abqualifiziert werden.

Entgegen einer solchen „Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß“ (Marx) und wie sie noch das ebenso sympathische wie hilflose Grundrepertoire jeder AnarchistIn ausmacht, sollte es zuerst darauf ankommen, zu erklären, was der (bürgerliche) Staat überhaupt ist, warum kapitalistische Vergesellschaftung, die in der Regel nicht mehr durch direkt gewaltvermittelte, sondern wesentlich sachlich-tauschvermittelte Aneignungsprozesse gekennzeichnet ist, ein solches nunmehr als ‚politische Sphäre’ ausdifferenziertes Zwangsverhältnis noch benötigt, bzw. es permanent reproduziert, wo die Grenzen staatlicher Eingriffskompetenzen in die Ökonomie liegen, warum das Gewaltmonopol den BürgerInnen stets noch als legitimes erscheint usw.

Praktische Relevanz erlangt die Erörterung solch ‚abstrakter Fragen’ u.a. durch die daraus folgende Kritik der Auffassungen, gesellschaftliche Emanzipation sei von einem ‚Politikwechsel’ zu erwarten, der Staat sei im Grunde neutrales Instrument sozialer Gruppen oder könne gar beliebig die Ökonomie gestalten – es sei also alles eine Frage des ‚politischen Willens’.

Der Vortrag stellt Aspekte einer marxistischen Staatskritik anhand von Positionen aus der sog. Staatsableitungsdebatte dar. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 67.3 MB; 1:13:30 h) | Hören: bei Soundcloud

3.) Theorien des Staatsfetischismus

Alexander Neupert (u.a. Autor des Utopie-Bändchens in der Theorie.org-Reihe sowie des Buches „Staatsfetischismus – Zur Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs„) hat im Rahmen des Jour-Fixe der ISF einen Vortrag über Theorien des Staatsfetischismus gehalten. Er unterzieht dabei die Theorien von John Holloway (Rissesucher), Robert Kurz (Wandkritiker) und Joachim Hirsch (Möbelrücker) einer Kritik. Gemeinsam sei allen dreien, dass sie sich entweder auf eine als gegeben angenommene (kämpferische, revolutionäre) Praxis beziehen oder diese motiveren wollen – die Vorstellung von der jeweiligen Praxis bestimme dann folgerichtig die Architektur der Kritik und nicht deren Gegenstand. Demgegenüber habe eine Kritik des Staatsfetischismus sich einzugestehen, dass in der gegenwärtigen Lage eine Lücke zwischen Theorie und Praxis klaffe, dass Kritik nie den Moment ihres Umschlagens in Praxis bestimmen könne und sich deshalb eines Bezugs auf Praxis zu enthalten habe. Warum Neupert seine Reflexionen am Begriff des Staatsfetischismus aufmacht, der im Vortrag eigentlich keine große Rolle spielt, ist mir unklar geblieben.

Bedienen sich Theoretiker eines Begriffs, so wird damit nie nur eine Sache auf den Begriff gebracht, sondern stets auch in ein theoretisches System eingepasst. Im Vortrag wird darüber anhand der Verwendung des ‚Staatsfetischbegriffs‘ in der wertabspaltungskritischen Krisentheorie von Robert Kurz, der rebellischen Befreiungstheorie von John Holloway und der materialistischen Staatstheorie von Joachim Hirsch aufgeklärt. “Im Fetischismus des Staates verschwindet die Gewalt, die diesem doch zugrunde liegt” (Stephan Grigat) – so lautet die ideologiekritische Pointe. In den genannten Theorien wird darüber hinaus versucht, ausgehend von unterschiedlichen Betrachtungen über den Fetischcharakter des modernen Staates, Theorien der Praxis zu begründen. Welche emanzipatorischen oder politischen oder rebellischen Praxisvorstellungen Kurz bzw. Holloway bzw. Hirsch aus ihren Staatsfetischtheorien ableiten, wie dies überhaupt möglich sein soll und wie diese einzuschätzen sind – darüber kann an diesem Abend diskutiert und beraten werden – Es spricht Alexander Neupert-Doppler. Er lehrte Politische Theorie in Osnabrück, veröffentlichte 2013 das Buch Staatsfetischismus. Zur Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs und arbeitet für die Sozialistische Jugend in Trier. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 65.1 MB; 1:11:07 h)

4.) Der bürgerliche Staat

Moritz Zeiler hat in seinem Vortrag den Resultate-Band (1979) der marxistischen Gruppe erwähnt, der seinem Anspruch nach die Staatsableitungsdebatte beendet hat, weil er selbst die Staatsableitung sei. Im Audioarchiv von Argudiss findet sich ein Vortrag von Karl Held (Marxistische Gruppe, später GegenStandpunkt), den dieser am 02.02.1979 in Bremen gehalten hat. Auf Grundlage des Resultate-Bandes gibt Held mehrere Bestimmungen des Staates, wobei er weniger begrifflich geordnet, sondern anhand von zahlreichen Beispielen und Anekdoten vorgeht. Themen sind u.a.: Der abstrakt freie Wille; Freiheit und Gleichheit; Souverenität und Staatsvolk; Rechtsstaat; Moral; Sozialstaat; Klassenstaat; Steuern; Haushalt; Staatsidealismus; bürgerliche Öffentlichkeit. Der Vortrag ist gespickt mit Spitzen gegen den Spartacusbund. Die Aufnahme ist leider etwas verrauscht.

    Download: via Argudiss (mp3; 33.5 MB; 2:26:24 h) | Einzeldateien: bei Argudiss

Psychologie und Psychologiekritik des Gegenstandpunkts

1. Die Psychologie des bürgerlichen Individuums

Im Vortrag, den Karl Held (GegenStandpunkt, damals Marxistische Gruppe) 1980 in München gehalten hat, kritisiert er die Funktionsweise bürgerlicher Subjektivität und erklärt die damit verbundenen Macken. Bürgerliche Subjektivität sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich das Individuum die Welt als Chance zur Verwirklichung der eigenen Interessen vorstellt. Weil es ständig gegenteilige Erfahrungen macht, aber die Vorstellung der Welt als Chance nicht aufgeben will, muss es sich permanent selbst täuschen. Auch psychische Erkrankungen können auf diesem Weg erklärt werden – das Individuum erfindet Gründe für sein Scheitern, die in ihm selbst liegen, anstatt die eigene Beschädigung durch die verkehrte Einrichtung der Gesellschaft zu erklären. Interessante Randnotiz: Ernst Jünger hat den dem Vortrag zugrundeliegenden Resultate-Band über Umwege rezipiert – auch wenn er die darin formulierte Kritik am Selbstmord nicht ganz verstanden hat.

    Download: via Argudiss (mp3; 27.4 MB; 1:59:54 h)

2. Kritik des GegenStandpunkts an dessen Kritik der Psychologie

Auf Einladung der Falken Jena hat am 29.01.2015 ein Genosse aus Leipzig einen Vortrag zur Kritik des GegenStandpunkts vorgetragen. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die psychologischen Theorien des GSP, die er als charakteristisch für dessen Grundausrichtung bezeichnet. So kritisiert er bspw. die Rückführung jeglichen Handelns und aller psychologischen Phänomene auf den freien Willen bzw. auf eine Entscheidung und versucht aufzuzeigen, dass Wille und Bewusstsein immer auf Unbewusstes, Triebe und Wünsche bezogen bleiben. Er beharrt auf dem realen Widerspruch, dass ein Wille sowohl frei, als auch bedingt ist. In der Diskussion dreht es sich dann vor allem um die Frage der Moral und die Basierung von Kritik auf Interessen. Eine ausgearbeitete schriftliche Version des Vortrags haben die Falken Erfurt zur Verfügung gestellt. Die Aufnahme ist leider etwas verhallt.

Derzeit erfährt eine politische Gruppe Zulauf, die vierteljährlich eine Zeitschrift heraus gibt, Vorträge, Schulungen und Diskussionsrunden zu gefühlt allen Themen – ob Demokratie, Lohnarbeit, Dummheit, Psychoanalyse, Heidegger oder Kafka – veranstaltet und dabei die kapitalistische Gesellschaft und das bürgerliche Denken kritisiert: Der GegenStandpunkt.

Zu den besprochenen Themen zählt auch die ‘bürgerliche’ Psychologie. Ein Kritikpunkt lautet, dass sie das Denken und Handeln der Menschen zirkulär mit dahinter liegenden Kräften oder Faktoren begründet. Der Grund für das, was Menschen tun und wollen, liege laut GegenStandpunkt aber einzig in den Gedanken, denen sie dabei anhängen, und den Zwecken, die sie sich in Bezug auf eine kapitalistische Realität setzen und nicht irgendwo dahinter im Verborgenen. Folglich widmen sie sich dem Inhalt von Gedanken und kritisieren ihn, wenn sie Fehler entdecken. Das wird von psychologischen Erklärungen wirklich ausgeblendet, wo sie Urteile und Intentionen – gleichgültig gegen den Inhalt – nur als Ausdruck von etwas anderem deuten. Trotzdem ist das, was Menschen denken, auch Ausdruck von vorbewussten und unbewussten Wünschen und Ängsten und bleibt immer auf Wünsche bezogen. Wille und Denken sind in ihrem Verhältnis zu Wünschen weder völlig frei, noch unfrei. Statt diesen Widerspruch zur Kenntnis zu nehmen, wird auf der Freiheit beharrt und die andere Seite ausgeblendet. Das hat zur Folge, dass die Theorie nicht mehr fassen kann, dass Wünsche und auch Gesellschaft jenseits der bewussten Verarbeitung in die Form und den Inhalt von Denken und Willen hineinwirken. Der GSP nimmt dadurch die Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft als natürlich hin und reproduziert sie dadurch in seiner Theorie. Das ist ein Widerspruch zur Intention des GegenStandpunkts: die Gesellschaft so zu organisieren, dass es um Bedürfnisbefriedigung geht.

Eine Veranstaltung der Falken Thüringen in Kooperation mit dem AK Politische Bildung der Universität Jena. [via]

    Vortrag: via AArchiv (mp3; 97.2 MB; 1:46:07 h)
    Diskussion: via AArchiv (mp3; 29.5 MB; 32:14 min)

Robert Kurz zum Gedächtnis

Am 18.7.2012 starb Robert Kurz im Alter von 68 Jahren. Mit ihm verliert die radikale Linke einen ihrer produktivsten wie innovativsten Theoretiker und Kritiker. Seine Analysen waren meist umstritten, aber stets von einer heute alles andere als selbstverständlichen Tiefe. War sein Tonfall zuweilen nicht frei von Polemik, so wurde sie ihm doch nie zum Selbstzweck. Schriften wie das Schwarzbuch Kapitalismus, deren Eindringlichkeit sich nicht zuletzt aus dem ungemilderten Hass aufs Bestehende und dessen Irrationalität speisten, brachten mich und sicher auch viele andere der Wert- und Abspaltungskritik näher und regten zum Weiterlesen, -fragen, -denken an. Robert Kurz und sein unbeirrbar kritischer Geist werden zweifellos fehlen in geistlosen Zuständen, die mehr denn je einer radikalen Kritik bedürfen. Ihm sind die folgenden Beiträge gewidmet.

1. Nachruf von Roger Behrens mit anschließendem Interview von 2006.

    Download via AArchiv (0:40 h, 14 MB) | via FRN (45 MB)

2. Collage von FSK Hamburg. Eine Stunde, gefüllt mit Erinnerungen, Würdigungen sowie teilweise kommentierten Zitaten des Verstorbenen. Mit Beiträgen u.a. von JustIn Monday, Günther Jacob, Daniel Späth.

    Download via AArchiv (1:02 h, 21 MB) | via FRN (57 MB)

3. »Proletarier aller Länder, macht Schluß!«

Das Manifest gegen die Arbeit der Gruppe Krisis stammt aus dem Jahre 1999 und ist im gleichen Zeitraum von der Redaktion 3 [FSK] eingelesen worden.

    Download: Teil 1 (19 MB), Teil 2 (20 MB) via AArchiv | via FRN (~2 h, 103 MB)

Zum Schluss noch der Hinweis darauf, dass das neue Buch von Robert Kurz im Erscheinen begriffen ist.