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Psychologie und Psychologiekritik des Gegenstandpunkts

1. Die Psychologie des bürgerlichen Individuums

Im Vortrag, den Karl Held (GegenStandpunkt, damals Marxistische Gruppe) 1980 in München gehalten hat, kritisiert er die Funktionsweise bürgerlicher Subjektivität und erklärt die damit verbundenen Macken. Bürgerliche Subjektivität sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass sich das Individuum die Welt als Chance zur Verwirklichung der eigenen Interessen vorstellt. Weil es ständig gegenteilige Erfahrungen macht, aber die Vorstellung der Welt als Chance nicht aufgeben will, muss es sich permanent selbst täuschen. Auch psychische Erkrankungen können auf diesem Weg erklärt werden – das Individuum erfindet Gründe für sein Scheitern, die in ihm selbst liegen, anstatt die eigene Beschädigung durch die verkehrte Einrichtung der Gesellschaft zu erklären. Interessante Randnotiz: Ernst Jünger hat den dem Vortrag zugrundeliegenden Resultate-Band über Umwege rezipiert – auch wenn er die darin formulierte Kritik am Selbstmord nicht ganz verstanden hat.

    Download: via Argudiss (mp3; 27.4 MB; 1:59:54 h)

2. Kritik des GegenStandpunkts an dessen Kritik der Psychologie

Auf Einladung der Falken Jena hat am 29.01.2015 ein Genosse aus Leipzig einen Vortrag zur Kritik des GegenStandpunkts vorgetragen. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die psychologischen Theorien des GSP, die er als charakteristisch für dessen Grundausrichtung bezeichnet. So kritisiert er bspw. die Rückführung jeglichen Handelns und aller psychologischen Phänomene auf den freien Willen bzw. auf eine Entscheidung und versucht aufzuzeigen, dass Wille und Bewusstsein immer auf Unbewusstes, Triebe und Wünsche bezogen bleiben. Er beharrt auf dem realen Widerspruch, dass ein Wille sowohl frei, als auch bedingt ist. In der Diskussion dreht es sich dann vor allem um die Frage der Moral und die Basierung von Kritik auf Interessen. Eine ausgearbeitete schriftliche Version des Vortrags haben die Falken Erfurt zur Verfügung gestellt. Die Aufnahme ist leider etwas verhallt.

Derzeit erfährt eine politische Gruppe Zulauf, die vierteljährlich eine Zeitschrift heraus gibt, Vorträge, Schulungen und Diskussionsrunden zu gefühlt allen Themen – ob Demokratie, Lohnarbeit, Dummheit, Psychoanalyse, Heidegger oder Kafka – veranstaltet und dabei die kapitalistische Gesellschaft und das bürgerliche Denken kritisiert: Der GegenStandpunkt.

Zu den besprochenen Themen zählt auch die ‘bürgerliche’ Psychologie. Ein Kritikpunkt lautet, dass sie das Denken und Handeln der Menschen zirkulär mit dahinter liegenden Kräften oder Faktoren begründet. Der Grund für das, was Menschen tun und wollen, liege laut GegenStandpunkt aber einzig in den Gedanken, denen sie dabei anhängen, und den Zwecken, die sie sich in Bezug auf eine kapitalistische Realität setzen und nicht irgendwo dahinter im Verborgenen. Folglich widmen sie sich dem Inhalt von Gedanken und kritisieren ihn, wenn sie Fehler entdecken. Das wird von psychologischen Erklärungen wirklich ausgeblendet, wo sie Urteile und Intentionen – gleichgültig gegen den Inhalt – nur als Ausdruck von etwas anderem deuten. Trotzdem ist das, was Menschen denken, auch Ausdruck von vorbewussten und unbewussten Wünschen und Ängsten und bleibt immer auf Wünsche bezogen. Wille und Denken sind in ihrem Verhältnis zu Wünschen weder völlig frei, noch unfrei. Statt diesen Widerspruch zur Kenntnis zu nehmen, wird auf der Freiheit beharrt und die andere Seite ausgeblendet. Das hat zur Folge, dass die Theorie nicht mehr fassen kann, dass Wünsche und auch Gesellschaft jenseits der bewussten Verarbeitung in die Form und den Inhalt von Denken und Willen hineinwirken. Der GSP nimmt dadurch die Rationalität der kapitalistischen Gesellschaft als natürlich hin und reproduziert sie dadurch in seiner Theorie. Das ist ein Widerspruch zur Intention des GegenStandpunkts: die Gesellschaft so zu organisieren, dass es um Bedürfnisbefriedigung geht.

Eine Veranstaltung der Falken Thüringen in Kooperation mit dem AK Politische Bildung der Universität Jena. [via]

    Vortrag: via AArchiv (mp3; 97.2 MB; 1:46:07 h)
    Diskussion: via AArchiv (mp3; 29.5 MB; 32:14 min)