Beiträge zur jüngsten Aufstandsbewegung in Chile
Wir dokumentieren hier zwei Beiträge, die sich mit der jüngsten Aufstandsbewegung in Chile auseinandersetzen. Zunächst ein Interview, das Radio Corax Ende Oktober, also kurz nach Ausbruch der Proteste, mit Dr. Bettina Schorr vom Lateinamerika Institut der Freie Universität in Berlin geführt hat. Sie ordnet Ursachen und Motivation der Proteste ein, spricht über soziale und ökonomische Bedingungen in Chile, über historische Hintergründe und die Repression.
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Unter dem Titel „Wir werden nicht zur Normalität zurückkehren, da die Normalität das Problem war“ fand am 30.11.2019 ein Gesprächsabend in der Translib Leipzig statt. Zu Gast waren drei GenossInnen aus Chile, die über ihre Erfahrungen während der Proteste berichtet haben. Zunächst gibt ein Mitglied der Translib eine Einführung, in der er die globalen Aufstandsbewegungen miteinander vergleicht – u.a. nimmt er Bezug auf die Gelbwestenbroschüre der Translib (dazu Interview: hier). Die GenossInnen aus Chile sprechen dann über die Ursachen und Motive der Bewegung, über ihre soziale Zusammensetzung, die Ausgangsbedingungen in Chile und über konkrete Kampferfahrungen. Während der Veranstaltung wurde auch der Film „Chile in Flammen“ gezeigt (in der Aufnahme nicht enthalten).
Seit Mitte Oktober kommt Chile nicht mehr zur Ruhe. Spontane Proteste von Schülerinnen und Studentinnen gegen eine Fahrpreiserhöhung vermochten es, mit der schrecklichen Normalität zu brechen, die viele Chileninnen seit Jahrzehnten verarmt und verschuldet in einer „Oase des Wachstums“ (Präsident Piñera) gefangen hält. Dieser Moment barg nun enorme Sprengkraft in sich. Den jungen Protesten gegen die Fahrpreiserhöhung schlossen sich sogleich Arbeiter_innen, ein urbanes Sub-Proletariat, die indigenen Mapuche, wie auch Teile der prekären Mittelschicht an. Aus einem limitierten Protest gegen Verteuerung wurde schnell eine soziale Mobilisierung gegen die gesamte politische Ordnung. Der Staat reagierte prompt und, wie in Chile üblich, mit brutaler Repression. So hat die Bewegung bereits zahlreiche Tote zu beklagen, ebenso wird über Folter, Vergewaltigungen und das Verschwindenlassen von Demonstranten berichtet. Die Regierung hat mittlerweile die Erhöhung zurückgezogen und weitere Zugeständnisse gemacht. In einem letzten Versuch, die Lage zu beruhigen, hat Piñera die Bildung einer von der Opposition geforderte verfassungsgebende Versammlung in Aussicht gestellt. Trotz der massiven staatlichen Gewalt und entgegen der Befriedungsversuche der Regierung halten die Proteste an und anstatt „zur Normalität zurückzukehren“ sind viele Leute weiterhin auf der Straße. Stellenweise haben sich lokale Versammlungen gebildet, die als Orte der Diskussion und der Selbstorganisation dienen.
Wir wollen gemeinsam mit chilenischen Genoss_innen aus Leipzig die Proteste in Chile in den Kontext der globalen Revolten einordnen, über die chilenische Normalität und die Proteste dagegen sprechen und uns insbesondere darüber austauschen, wie mit dieser Normalität gebrochen werden kann. Außerdem zeigen unsere Gäste ihren Kurzfilm „Chile in Flammen“, den sie anlässlich der Proteste produziert haben. (via)
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Ein Auszug aus der im Anschluss geführten Diskussion findet sich hier. Im Vortragsgespräch wird gegen Ende auch auf die Tendenz zur Bildung von Vollversammlungen hingewiesen – dazu ein Text aus Chile „über die Wichtigkeit und Möglichkeiten der territorialen Vollversammlungen“, übersetzt von der Gruppe Eiszeit.