Es gibt Deutsche, die protestieren vor dem Flüchtlingsheim, wünschen die Ausweisung der Geflohenen und drohen unter Berufung auf die Parole »Wir sind das Volk«, für ihre Nation selbst Hand anzulegen. Und es gibt Deutsche, die empfangen Flüchtlinge am Bahnhof mit Applaus und Sachspenden und sind dann stolz auf Deutschland, weil Deutschland so barmherzig hilft. In den aktuellen politischen Wirrungen wird auf seltsame Weise besonders deutlich, wie unhinterfragt der Bezug auf die Nation in den meisten politischen Lagern ist. Grund genug, einige Vorträge zur Einführung in die Kritik des Nationalismus zusammenzustellen.
1.) Vortrag von Thorsten Mense
Einen sehr kompetenten und gut verständlichen Vortrag zur Einführung in die Kritik des Nationalismus hat Thorsten Mense (u.a. Autor bei Konkret, Jungle World) im Juni 2014 auf Einladung der Linken Liste Siegen gehalten. Er schildert die Geschichte des Begriffs der Nation und des Nationalismus (wobei er eine idealtypische Unterscheidung zwischen französisch-republikanischem und deutsch-kulturellem Nationalismus einführt), geht auf die Spezifik des Befreiungsnationalismus ein und gibt einen Überblick über die kritische Nationalismusforschung (hier hebt er Eric Hobsbawms Buch Nationen und Nationalismus hervor). Dann referiert er über Nationalismus als Ideologie, formuliert eine Kritik des Nationalismus und trägt noch einmal einige Aspekte des Nationalismus zusammen. Die »Linke Liste Siegen« hat im Nachgang des Vortrags eine Literaturliste zum Thema zusammengestellt. Auf der Homepage der Linken Liste gibt es zudem noch weitere interessante Vortragsmitschnitte.
Obwohl die Möglichkeiten grenzüberschreitender Kommunikation und transnationaler sozialer Beziehungen noch nie so groß waren wie heute, ging diese Zunahme globaler Gleichzeitigkeit keineswegs mit einem Abbau national begrenzter Wahrnehmung einher. Die Vorstellung einer Welt aus Völkern und Nationen bestimmt auch weiterhin das Denken und die Politik. Dabei sind Nationen keineswegs naturgegebene Einheiten, sondern von den Menschen selber geschaffene soziale Konstruktionen, die gerade mal 200 Jahre alt sind. In seiner jungen Geschichte führte Nationalismus sowohl zur Befreiung als auch zu Massenmord, zur kollektiven Einforderung gleicher Rechte als auch zur Verweigerung derselben Rechte gegenüber anderen Kollektiven. Vor allem aber dient er als ideologische Grundlage für die Legitimation des Ausschlusses und der Gewalt gegenüber den „Anderen“; als Zwangskollektiv lässt die Nation dabei auch die „Eigenen“ nicht in Ruhe. Wie kommt es aber, dass die Menschen bis heute massenhaft bereit sind, für diese „kümmerlichen Einbildungen der jüngeren Geschichte“ (Benedict Anderson) zu töten, zu sterben oder sich sonstwie aufzuopfern?
In dem Vortrag wird die Entstehung und Entwicklung des Nationalismus nachgezeichnet und aufgezeigt, welche Funktionen er in der widersprüchlichen Moderne erfüllt. Darauf aufbauend soll eine Kritik entwickelt werden, die seinen vielfältigen Erscheinungsformen gerecht wird. (via)
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2.) Vortrag von Junge Linke gegen Kapital und Nation
Vor einigen Jahren hat die ARAB einen »Erkenntnistag« organisiert, um mal ein bisschen Theorie unter die Gefolgschaft zu bringen. Dafür haben sie sich u.a. einen Vertreter von Jimmy Boyle Berlin / Junge Linke gegen Kapital und Nation eingeladen, der einige Grundlagen zur Kritik des Nationalismus vorgetragen hat. Er fragt danach, wie die nationale Gemeinschaft vorgestellt wird, wie stimmig diese Vorstellung ist und was sie zusammenhält. Dann geht es um das reale Verhältnis der Menschen zum Staat und warum man sich nicht positiv darauf beziehen sollte. So werden verschiedene Formen des Patriotismus/Nationalismus durchgegangen. In der Diskussion geht es dann recht grundlegend darum, was man denn eigentlich tun soll. Texte der Gruppen gegen Kapital und Nation zum Thema Nation und Nationalismus gibt es hier.
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3.) Vortrag von Roger Behrens
Im Rahmen der Intros (einer Einführungs-Veranstaltungsreihe der Gruppen [a²]-Hamburg, Kritikmaximierung und dem FSK) hat Roger Behrens am 08.12.2011 einen einführenden Vortrag zum Begriff der Nation und zur Kritik des Nationalismus gehalten. Er skizziert vor allem, wie die Idee der Nation aus der Aufklärung und aus dem sich emanzipierenden Bürgertum heraus entstand und wie sich parallel dazu die Ideen von Volk, Gemeinschaft, Gesellschaft und Politik entwickelten. Er fasst Nationalismus als Ideologie der Herrschaftslegitimation und geht am Ende auf neue Formen des Nationalismus ein, die er vor allem als Subjektivierung der Nation fasst.
In diesem Intro geht es um die Kritik des Nationalismus, aber auch die grundsätzliche Frage, was überhaupt Nation und warum sie ein Problem ist. Die Einführung versteht sich historisch und systematisch: Einerseits versucht sie zu klären, warum eine Kritik des Nationalismus immer auch eine Kritik der Nation ist; andererseits soll diese Kritik anhand der Geschichte des Nationalismus bzw. der Geschichte der Nation (des modernen Nationalstaats) formuliert werden. Kritik des Nationalismus ist, auch in Bezug auf seine gegenwärtige Realität und Ideologie, immer Kritik der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse; dafür sollen weitere, für die Moderne fundamentale Begriffe wie Volk, Kultur oder Tradition in den Blick genommen werden, aber auch Aspekte der Massenpsychologie, der so genannten Biopolitik und der Kritik der politischen Ökonomie. (via)
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