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Natur bei Marx

Das kapitalistische Naturverhältnis ist, heute unübersehbar, ein destruktives und herrschaftliches. Der traditionelle Marxismus knüpfte jedoch bevorzugt an jene Äußerungen von Marx und Engels an, die einen Fortschritts- und Produktivkraftoptimismus nahelegten. Damit die Emanzipation ermöglichenden »Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums« sprudeln, müssen Naturbeherrschung und -ausbeutung zuallererst intensiviert werden, so die Maxime. Im 20. Jahrhundert nahmen, noch bevor die »ökologische Krise« ins allgemeine Bewusstsein rückte, Walter Benjamin, Theodor Adorno, Max Horkheimer und schließlich Alfred Schmidt die Thematik der unbeherrschten gesellschaftlichen Naturverhältnisse kritisch auf.

Zwei Vorträge aus der Leipziger Reihe MarxExpedition beschäftigten sich mit dem vielschichtigen Naturbegriff von Marx und seiner Brauchbarkeit für die materialistische Reflexion der »Ökologie«-Problematik. Sie greifen dazu beide, mehr oder weniger kritisch, auf Alfred Schmidts Dissertation Der Begriff der Natur in der Lehre von Karl Marx (1962) zurück.

Die Aufzeichnungen der Veranstaltungsreihe sind von recht unterschiedlicher, teilweise schlechter, technischer Verarbeitung. Ich habe daher eine Reihe von ihnen in nachbearbeiteter Form auf unseren Server geladen.

1. Christoph Görg, Marx, der Marxismus und die ökologische Krise

Christoph Görg beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Naturverhältnissen und ökologischer Krise aus Sicht der Kritischen Theorie. In seinem Vortrag stellt einige Überlegungen zu diesem Themenkomplex, insbesondere Gedanken der oben genannten »heterodoxen« Marxisten vor.

Marx hat als Zeitgenosse der Industrialisierung schon sehr früh auf problematische Konsequenzen einer schrankenlosen Ausbeutung der Natur aufmerksam gemacht. Allerdings stehen diese Bemerkungen nicht im Zentrum seiner theoretischen Arbeiten – und sie wurden von seinen Nachfolgern im Parteimarxismus kaum aufgegriffen. Es bedurfte ab den 1960er Jahren erst der umfangreichen Diskussionen zur Rekonstruktion der Marxschen Theorie, um den nicht-ontologischen Materialismus (A.Schmidt) der Marxschen Theorie wie den möglichen Beitrag dieser Theorie zur Thematisierung der Krise gesellschaftlicher Naturverhältnisse herauszuarbeiten.

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2. Christian Schmidt, Natur und Arbeit: Über die Rolle der Praxis bei Karl Marx

Weniger instruktiv ist der Vortrag von Christian Schmidt, weil der Mitschnitt nach etwa 35 Minuten abbricht. Schmidt beginnt mit einer These zur Kritik an Alfred Schmidt und deutet anschließend verschiedene Stellen aus dem Marxschen Werk, an denen es um Natur geht.

Das aufgelöste Rätsel der Geschichte, schreibt der junge Marx, sei „als vollendeter Naturalismus Humanismus, als vollendeter Humanismus Naturalismus“. Die rätselhafte Formulierung führt direkt ins marxsche Denken des Verhältnisses von Mensch und Natur, in dem der Mensch einerseits selbst Teil der Natur ist, andererseits dieser aber auch schaffend gegegübersteht, die Natur und sich selbst als einen Teil von ihr überformt und sich aneignet. Doch eine Spannung bleibt trotzdem bestehen. Noch in der Kritik des Gothaer Programms weist Marx die Sozialdemokraten zurecht, die die Arbeit zur einzigen Quelle des Reichtums erklärten: Auch die Natur ist Reichtum.

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Die »klassische deutsche Philosophie« und die kritische Theorie der Gesellschaft

Aspekte der materialistischen Auseinandersetzung mit Kant und Hegel

Die Systemphilosophie Hegels stellt als Abschluss der durch Kant eingeleiteten transzendental-idealistischen Bewegung zweifellos einen Wendepunkt der europäischen Philosophie dar. Aus dem Zusammenbruch der Hegel-Schule traten Materialisten mit Anspruch hervor, mit der so genannten klassischen deutschen Philosophie die Philosophie überhaupt zu beerben, sie revolutionär zu verwirklichen und in gesellschaftsverändernde Praxis aufzuheben.

Die folgenden Vorträge kreisen unter verschiedenen Gesichtspunkten, allerdings leider strikt androzentrisch, um die Frage, ob Hegel das letzte Wort der Philosophie gesprochen oder aber eher eine problematische Tendenz des Kantischen »Kritizismus« auf die Spitze getrieben hat, welche die materialistische Gesellschaftskritik spätestens im 20. Jahrhundert nötigte, zu Kant zurückzukehren, um über ihn und Hegel gleichermaßen hinauszugelangen.

1. Andreas Arndt, Die Hegel-Kritik des frühen Marx.

Andreas Arndt ist Professor der Philosophie an der theologischen Fakultät der Berliner Humboldtuni und ein Hegelianer vor dem Herrn. Der vorliegende Kurzvortrag stammt von der Konferenz »La réalisation de la philosophie à l’époque du Vormärz« (Paris, Februar 2012, Videodokumentation hier) und behandelt leider (fast) nur den jungen Marx. Arndt konzentriert sich auf Marxens Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie und stellt auch heraus, worin Marx selbst in seinen materialen Arbeiten Hegelianer geblieben ist. Allerdings bricht er an einer Stelle ab, an der eine materialistische Wendung Not täte: Dass Marx kategoriale Bestimmungen der Hegelschen Logik im Kapital bzw. aufs Kapital anwenden kann, ist m. E. dadurch bedingt, dass das Kapital bereits in Hegels Kategorien steckt.

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2. Alfred Schmidt, Gegenwartsprobleme in der materialistischen Erkenntnistheorie. Besonders hörenswert

Auf Einladung des Verbands Sozialistischer Studenten Österreichs sprach der vor etwa einem Jahr verstorbene Horkheimerschüler, Adornoassistent und spätere Philosophieprofessor Alfred Schmidt 1970 (!) in Wien über materialistische Erkenntnistheorie. Er skizziert in seinem noch heute hörenswerten Vortrag u.a. die Auseinandersetzung Marxens mit der theoretischen Philosophie Hegels. Marx und Engels verwarfen Hegels identitätsphilosophischen Ansatz, hielten aber an seiner Kritik am Kantischen »Ding an sich« fest. Diese »prekäre« Konstellation materialistischer Erkenntnistheorie und die Frage, warum auch der Materialismus nicht (im Gefolge Hegels) völlig ohne erkenntnistheoretische Erwägungen auskommt, beleuchtet Schmidt eingehend.

3. Paul Mentz, Philosophie im Angesicht der Verzweiflung. Adornos negative Philosophie der Moral.

Moralphilosophie scheint für radikale Gesellschaftskritik kein Anliegen ersten Ranges zu sein, möchte sie doch nicht an die Einzelnen appellieren, sie mögen ihr Verhalten ändern, sondern sie anstacheln zum Umsturz jener fetischistisch objektivierten Verhältnisse, in denen sie geknechtete (usw.) Wesen sind. Und doch sah Adorno sich veranlasst, Moralphilosophie nicht allein als Gegenstand, sondern auch als Medium oder Bestandteil seiner kritischen Theorie der Gesellschaft zu behandeln. Paul Mentz (Rote Ruhr Uni) zeichnet in seinem am 3. Juli 2013 bei der ISF in Freiburg gehaltenen Vortrag Adornos Auseinandersetzung mit Kants Individualethik und Hegels Theorie der Sittlichkeit nach.

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Ankündigungstext:

Eine Moralphilosophie, die den eigenen Anspruch, moralisch zu sein nicht preisgeben will, muß auf die Verstrickung von herrschender Praxis und herrschender Unfreiheit reflektieren, und dabei festhalten, daß “nur wenn, was ist, sich ändern läßt, ist das, was ist, nicht alles.” Angesichts der fortschreitenden Geschichte der Herrschaft und des Leidens läßt sich kein positiver Standpunkt der Moralphilosophie ausmachen, denn selbst “was der Mensch an sich sein soll”, läßt sich nicht sagen, da er immer nur das ist, “was er war: er wird an den Felsen seiner Vergangenheit geschmiedet.” Wie ein freier Mensch wäre, läßt sich nicht antizipieren, so daß keine moralischen Prinzipien aus der inneren Verfaßtheit des Menschen abgeleitet werden können. Adornos negative Moralphilosophie ist keine ethische Konzeption, sondern Kritik sowohl der Moralphilosophie als auch der Herrschaft und des Leidens, die, gerade weil sie auf die Unfreiheit reflektiert, zugleich auf die Realisierung von Freiheit insistiert, ohne diese positiv zu bestimmen. – Es spricht Paul Mentz (Dortmund), Autor u.a. von „Moralphilosophie im Stande der Unfreiheit – Adornos negative Moralphilosophie“ (Berlin 2012).

4. Literaturempfehlungen

1. Fragen die Erkennbarkeit der Natur betreffend, werden in Karl Heinz Haags Der Fortschritt in der Philosophie diskutiert, wobei Kant als ambivalenter Denker Gegenstand der Kritik wird ebenso wie Einspruchsinstanz gegen Hegel, den Neukantianismus, den Positivismus, ja gar gegen die materialistische Metaphysik Lenins und der marxistischen Orthodoxie. Das etwa 200 Seiten lange Plädoyer für eine negative Metaphysik, welche die Natur nicht in dem aufgehen lässt, was an ihr erkennbar ist, und die nicht von der historisch-gesellschaftlichen Vermitteltheit der Erkenntnis absieht, enthält auch ein Kapitel über Marx, in dem herausgearbeitet wird, dass dieser mit dem Begriff der immanenten Form von Naturdingen an einem Kerngedanken negativer Metaphysik festhält. Meines Erachtens überaus lesenswert, auch wenn die Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte meist nur immanent-argumentativ ohne Rückbezug der behandelten Theorien auf gesellschaftliche Realität erfolgt.

2. Um Ideologiekritik an Kant und Hegel, die eine feministische Dimension nicht ausspart, bemüht sich Daniel Späth in einer Reihe von Ausgaben der EXIT! Krise und Kritik der Warengesellschaft. Kürzlich erschien der erste Teil zu Hegel.