Damit Deutschland den Deutschen gehört?

Zum Zusammenhang von Nationalismus und Arbeiterbewegung seit dem Ersten Weltkrieg

Passend zum Datum dokumentieren wir einen anti-nationalistischen Vortrag, der gleichzeitig eine Erinnerung daran ist, dass Nationalismus nicht nur von rechts zu befürchten ist, sondern auch in der Arbeiterbewegung und innerhalb der Linken immer wieder zugegen war und ist. Olaf Kistenmacher hat am 28. Juli 2014 bei Verdi Bezirk Stuttgart einen Vortrag zum Nationalismus innerhalb der Arbeiterbewegung gehalten. Dabei geht er zuerst auf den Antiimperialismus der 1920’er bis 40’er und dessen Bezug auf die nationalen Befreiungsbewegungen ein, wie er etwa von Lenin formuliert wurde. Später geht er ausführlicher auf den Nationalismus innerhalb der KPD ein und führt Verlautbarungen an, wie sie etwa im Zuge des Schlageter-Kurses der KPD zu hören und zu lesen waren. Als Kritiker des Nationalismus innerhalb der Arbeiterbewegung führt Kistenmacher Rosa Luxemburg (u.a. Die Russische Revolution), die Antinationale Sozialistenpartei (zu ihr gehörten u.a. Franz Pfemfert und Carl Zuckermayer) und Leo Trotzki (Gegen den Nationalkommunismus) an. Zum Antinationalismus Rosa Luxemburgs hat Kistenmacher ein Essay in der Jungle-World geschrieben – ein Text von ihm zum Antisemitismus innerhalb der KPD (auf den er im Vortrag ebenfalls eingeht) findet sich hier. Die Version auf freie-radios.net enthält eine einleitende Anmerkung zum Wahlerfolg der AfD von Lothar Galow-Bergemann (Freies Radio für Stuttgart).

Der Erste Weltkrieg war für die späteren Gründungsmitglieder der KPD ein Schock. In „Die Krise der Sozialdemokratie“ schrieb Rosa Luxemburg 1916: „Dieser Weltkrieg – das ist ein Rückfall in die Barbarei.“ Aber nicht erst der nationale Taumel in der Arbeiterbewegung zeigte das Problem des proletarischen Patriotismus. Schon 1896 verständigte sich die Sozialdemokratie auf das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, was Luxemburg kritisierte. Aber auch die KPD vertrat kurz nach ihrer Gründung einen „proletarischen Nationalismus“, der mit dem Internationalismus vereinbar sein und sich vom Nationalismus von rechts unterscheiden sollte. 1930 verabschiedete die KPD ihr „Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“. Leo Trotzki kritisierte aus dem Exil den „Nationalkommunismus“. Den Nationalismus gaben die sozialistischen und kommunistischen Parteien auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf. Ernst Busch sang zu dieser Zeit in „Roter Wedding„: „Der Wedding kommt wieder; Berlin bleibt rot/Damit Deutschland den Deutschen gehört“. [via]

    Download: via AArchiv (mp3; 47.2 MB; 51:30 min) | via FRN (inkl. Anmoderation; mp3; 51 MB; 55:12 min) | via archive.org (ogg; 25 MB; 51:42 min)

Edit: Das oben verlinkte Essay von Olaf Kistenmacher über Rosa Luxemburg kann bei freie-radios.net oder hier angehört und heruntergeladen werden:

    Download: via FRN (mp3; 37 MB; 39:54 min)

Edit 2: Nach der Ausstrahlung des Vortrags beim FSK, bat die Sendung „Das Brett“ Kistenmacher zum Gespräch. Hier die Aufzeichnung.

5 Gedanken zu „Damit Deutschland den Deutschen gehört?

  1. Ernst

    Die Größenordnung der Mitgliederzahlen antinational ausgerichteter Organisationen war mir nicht klar. Du hast natürlich recht, so genau weiß man nicht, was gewesen wäre, wenn…

  2. MoshMosh

    @ Ernst: Ob eine anti-nationalistische Position zwangsläufig zu einer randständigen Position verurteilt gewesen wäre, lässt sich m.E. nicht so einfach sagen – nur weil es historisch tatsächlich nur wenige gewesen sind, die der Nation eine Absage erteilt haben, heißt es nicht, dass es nicht anders möglich gewesen wäre. Die KPD hätte sich ja auch anders entscheiden können; Organisationen wie die KAPD oder die AAU-E (zu der auch Pfemfert gehörte), die eine Kritik des Nationalismus viel eher auf dem Schirm hatten und definitiv keine parlamentarischen Ansinnen verfolgten, hatten nach dem 1. WK zeitweise zigtausend Mitglieder – das waren Massenorganisationen. Allerdings hast du Recht, dass eine anti-nationalistische Position nicht gut möglich ist, wenn man den Einzug in ein nationales Parlament als vorderstes Anliegen erstmal gesetzt hat. Wie auch immer – es gibt keinen Grund, den Nationalismus der KPD nicht zum Gegenstand zu machen.

  3. MoshMosh

    Audioarchiv-Beiträge zum Ersten Weltkrieg, Sozialdemokratie, Kriegskredite und Spartakusbund sind hier schon in Planung.

    Zum Thema Gewerkschaften/1.Weltkrieg/Nationalismus sei von meiner Seite empfohlen: P. Lapinski – Der Sozialstaat (1926)

  4. Ernst

    Es ist absolut folgerichtig, den Nationalismus in der Arbeiterbewegung vor der NS-Zeit an der KPD zu verhandeln; 1. weil die Niedertracht und das Maß an Verkommenheit der SPD hinreichend bekannt sind; 2. weil es aufschlussreich ist zu sehen, dass selbst die radikalere und vergleichsweise sympathische KPD nicht konsequent antinational war, obwohl ihre (eher zur Galionsfigur degradierte) Vordenkerin Rosa Luxemburg entsprechende Einsichten vertreten hat. 3. verhielt sich die KPD offenbar auch deshalb so, weil sie ihrem populistischen Kalkül als parlamentarische Partei entsprechend, den anderen nationalistischen Parteien WählerInnen streitig machen wollte. Es handelt sich also tatsächlich um ein Problem »der« deutschen Arbeiterbewegung, da eine strikt antinational auftretende KPD vermutlich als absolute Minderheit in der Versenkung verschwunden wäre (wie die paar AntinationalistInnen, die es gab, eben in der Minderheit waren).

    Dass eine Veranstaltung wie diese in einer Gewerkschaft stattfindet, hat mit Antikommunismus nichts zu tun. Eher damit, dass es vereinzelt Leute gibt, die in Gewerkschaften deren eigene Finanzmittel nutzen, um der verbreiteten Standortverbundenheit im eigenen Verein etwas entgegenzusetzen – und zwar in durchaus kommunistischer Absicht.

    Kistenmachers Essay über Luxemburg kann man übrigens auch, gelesen von Galow-Bergemann, bei FRN hören.

  5. kritiker

    Es ist schon beeindruckend. Da behandelt ein Vortrag den Nationalismus „der“ Arbeiterbewegung. Jetzt könnte man erwarten, dass er darüber spricht, wie eine (ihrem subjektivem Anspruch nach) revolutionäre Partei (die SPD) entdeckt, dass der Arbeiter doch ein Vaterland hat. Da ließe sich viel erzählen und – wenn man denn wollte – auch erklären. Z.B. die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, die Aktivitäten der SPD bei ihren Regierungsbeteiligungen ab 1918. Auch über die deutschen Gewerkschaften könnte man einiges erzählen.

    Aber nein, der Referent nimmt sich die KPD vor, die praktischerweise im antizipierten Zuhörerkreis niemand mag und gibt den deutschen Gewerkschaftlern jetzt noch einen guten antinationalistischen Grund für ihren Antikommunismus an die Hand anstatt einmal zu erklären, dass das Vaterland eben KEIN Lebensmittel für den Arbeiter ist und auch durch Sozialstaatsgebot im Grundgesetz, sozialdemokratische Regierungsbeteiligungen, erlaubte Gewerkschaften nicht dazu gemacht wird. DAS wäre mal ein lohnendes Unterfangen, mit dem aber natürlich keinen Platz in einem deutschen Gewerkschaftshaus fände.

    Damit soll nicht bestritten sein, dass die KPD viel nationalistischen Unfug vertreten hat. Aber die Fehler von SPD und Gewerkschaften waren in der Praxis viel wirksamer als der Unfug, den die KPD vertreten hat.

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