Es ist schon wieder einige Zeit vergangen, seitdem wir die letzten Ausgaben der Hamburger Dialektik-Sendung „Wo keins ist, ist eins“ dokumentiert haben. Bevor wir auch dialektisch ins neue Jahr starten, seien also hier zunächst die letzten Sendungen aus dem Jahr 2012 präsentiert:
Wo keins ist, ist eins #12 (09.09.2012)
Karl Marx: Die Entwicklung vom Junghegelianer zum Kritiker der Politischen Ökonomie. Schellings Vorlesung: Philosophie der Offenbarung 1841/42 hatte ein Publikum, das aus hohen Staatsbeamten, Militärs, Universitätsprofessoren, Hörern wie Bakunin, Kierkegaard, Friedrich Engels, Jakob Burckhardt, Savigni, Steffens, Trendelenburg, Ranke, A. von Humboldt usw. bestand. Nach Hegels Tod war Berlin philosophisch durchaus geistiger Mittelpunkt. Die Diskussion der Kritik idealistischer Dialektik durch Marx ist selber zu historisieren. Es gilt die Phasen der Hegelaneignung und (Selbst-) Kritik des Junghegelianismus, denen auch Theoriephasen Marxens entsprechen herauszuarbeiten. In den Folgesendungen wird dann die Ost-West-Spaltung innerhalb des Marxismus Thema werden, die sich in einer neuen Hegelaneignung durch Lukács und Korsch und eine positivistische Marxaneignung im Osten vollzog.
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Wo keins ist, ist eins #13 (14.10.2012)
Die 13. Ausgabe der Dialektik-Sendung hat sich erneut ausführlich mit dem Positivismusstreit auseinandergesetzt. Ein etwas ausführlicherer Ankündigungstext zur Sendung ist in der Oktober-Ausgabe des Transmitter erschienen. (Siehe unten)
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Wo keins ist, ist eins #14 (11.11.2012)
Fortsetzung: Positivismusstreit „Das Ganze ist das Unwahre.“ „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“ Oder: warum ist Kritik möglich? Nachdem in der Oktobersendung die positivistische Stellung des Gedankens zur Wirklichkeit des „Kritischen Rationalismus“ kritisiert wurde, wird die dialektische Auffassung von Kritik zum Thema, wie sie anhand jener berühmten Sätze Adornos sich zeigen läßt. »Die Verdinglichung des Bewußtseins, das zur Dingwelt überläuft, vor ihr kapituliert, ihr sich gleichmacht; die verzweifelte Anpassung dessen, der die Kälte und Übergewalt der Welt anders nicht zu bestehen vermag, als indem er sie womöglich überbietet, gründet in der verdinglichten, der Unmittelbarkeit menschlicher Beziehungen entäußerten, vom abstrakten Prinzip des Tausches beherrschten Welt. Gibt es wirklich kein richtiges Leben im falschen, so kann es eigentlich auch kein richtiges Bewußtsein darin geben. Nur real, nicht durch ihre intellektuelle Berichtigung allein wäre über die falsche Meinung hinauszukommen.« (Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften Bd. 10.2, S. 591)
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Wo keins ist, ist eins #15 (09.12.2012)
Idealistische und materialistische Dialektik I – Die erste der Marxschen Feuerbachthesen sah den „Hauptmangel alles bisherigen Materialismus“ darin, daß der „Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung gefaßt wird, nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit“. Die tätige Seite sei im Idealismus lediglich abtrakt herausgearbeitet worden. In der Sendung soll anhand der Phänomenologie des Geistes und der Logik des Begriffs, diese tätige Seite herausgearbeitet (materialisiert) werden.
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Text zur 13. Sendung:
POSITIVISMUSSTREIT: KRITISCHER RATIONALISMUS vs. DIALEKTIK
Eine Ausarbeitung der Möglichkeiten der Dialektik, die den kritischen Rationalismus übersteigen
Der Positivismus wird durch seinen überdeterminierten Wirklichkeitsbegriff letztlich dazu gezwungen, alle objektiven Wahrheitsansprüche preiszugeben und zu schlussfolgern: Wir können nichts verifizieren, sondern alles könnte künftig auch anders sein, das heißt wir können die Allsätze nur unter dem Falsifikationsvorbehalt behaupten, dass es irgendwann Überprüfungen geben könnte, die sie widerlegen.
Wenn nun aber die Allsätze, die Popper von Basissätzen – also empirischen – unterscheidet, die Notwendigkeit zum Ausdruck bringen sollen und gleichermaßen auf die Wirklichkeit unmittelbar bezogen werden, dann könnte tatsächlich die Wirklichkeit jederzeit eine andere Gesetzmäßigkeit haben. Das stellt Dialektik in Frage: Die differenzierte Dialektik von Notwendigkeit, Möglichkeit und Zufall wie sie bei Hegel vorliegt, geht davon aus, dass das was wirklich ist, immer schon vorher möglich gewesen sein muss.
Was möglich oder unmöglich ist, dies sagen wir mit Notwendigkeit aus. Der Ziegelstein auf dem Dach – ein Beispiel aus einer späteren Sendung – fällt immer gemäß dem Fallgesetz, aber es fallen nicht ständig Ziegelsteine, sondern bei Sturm oder Unwetter. Ein Gesetz, eine Notwendigkeit, drückt eine Möglichkeit aus, nicht die unmittelbare Wirklichkeit. Im Experiment dagegen wird diese Möglichkeit allerdings erzwungen und Bedingungen hergestellt, damit beispielsweise Kugel und Feder gleich schnell fallen, was im Vakuum der Fall ist.
Popper nennt die Bedingung, aus der ein Ereignis folgt, Randbedingung. Wobei: Rahmenbedingungen, die das Verhältnis von Gesetz und Folge zum Gegenstand der Überlegung haben sollten, werden hier erst gar nicht ausreichend wahrgenommen. Das bedeutet also für die Dialektik: Die Wirklichkeit ist auch zufällig, aber die Möglichkeit, die die Wirklichkeit voraussetzt – denn etwas Unmögliches kann nicht Wirklichkeit werden – ist nicht zufällig.
Wenn zum Beispiel Marx von ökonomischem Bewegungsgesetz spricht, dann ist das kein Determinismus in Hinsicht auf die Wirklichkeit – Marx zeigt, wie Krisen möglich sind, unter welchen Bedingungen sie eintreten, aber wann sie eintreten, lässt sich nicht voraussagen, nur erwarten.
Das Fazit dieser knapp komprimierten Überlegungen: Die Gesetze beschreiben also in der Analyse gesellschaftlicher Formen systematische Bedingungen der Möglichkeit von wirklichen Ereignissen, nicht deren unmittelbare Wirklichkeit. Dazu könnte man dann den Satz des Wowereit anführen: Und das ist gut so.
Wäre es so, dass ein Gesetz unmittelbar die Wirklichkeit bestimmt, kein Zufall in ihr wäre, so wäre auch keine eingreifende Praxis möglich, die etwas an der Wirklichkeit änderte. Nun ist es bei Marx so, dass ja die Bedingungen – oder Poppers Randbedingungen – einmal historisch entstanden im Kapitalismus wieder hergestellt werden, darum gibt es immer wieder Krisen. Das ist dann ein organisches System (spätere Systemtheorie spricht von Autopoiesis oder Selbstorganisation und dergleichen) und kein bloß mechanisches/chemisches.
Ein Beitrag der Sendung „Wo keins ist, ist eins“ (via Transmitter 10/12)