Bereits seit 2008 veranstaltet die Associazione delle Talpe in Bremen eine Veranstaltungsreihe, die zwar einführenden Charakter haben soll(te), aber dennoch ein ansprechendes Niveau aufweist. Neben einer Kritik der Verschwörungstheorien und linksnationalistischer Befreiungsbewegungen, können wir hier auch auf Ausführungen Hendrik Wallats (Rote Ruhr Uni) – zu den Begriffen Fetischismus und Verdinglichung bei Marx – verweisen.
Kritik des Verschwörungsdenkens (Martin Wassermann)
Seit einigen Jahren kritisiert Martin Wassermann auf seinem Blog Verschwörungstheorien, die mit ihrer Mischung aus Wahn und Ideologie in den letzten Jahren (wieder) an Konjunktur gewonnen haben. Im Vortrag geht Wassermann auf die Verschwörungsideologie und die dazugehörige Szene ein, skizziert Instrumente des Verschwörungsdenkens und gibt einen Überblick über die Entfaltung dieser in der deutschen Linken.
Verschwörungsmythen sind wirkungsmächtige Konstrukte, von denen eine wachsende Minderheit der Menschen überzeugt ist. Mehr als ein Drittel der Menschen in Deutschland glaubt zum Beispiel, dass die Anschläge des 11. Septembers 2001 durch geheimnisvolle Institutionen verübt wurden. Einige Menschen meinen, eine geheime Gruppe ausgemacht zu haben, die hinter den sichtbaren Ereignissen die Fäden zieht. Sie entwerfen eine hunderte Jahre andauernde Weltverschwörung, mit der sämtliche historischen Ereignisse umgedeutet werden.
Derartige Verschwörungskonstrukte sind wahnhafte und irrationale Gebilde, die häufig in der Tradition der deutschen Ideologie stehen. So etwa der Neuschwabenlandmythos, der davon ausgeht, dass sich die Nazi-Elite nach 1945 auf geheime Festungen in der Antarktis retten konnte, um mit Ufos den zweiten Weltkrieg fortzuführen. Ein weiteres Beispiel sind angebliche Wetterwaffen: Viele Verschwörungsideolog_innen glauben, dass das Erdbeben in Japan durch eine Super-Waffe der USA ausgelöst wurde. Für die Morde des Anders Behring Breivik und die des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ werden geheime Organsiationen aus New York oder Tel Aviv verantwortlich gemacht.
Solche Erklärungsmodelle stellen wirkungsmächtige, geschlossene und manchmal antisemitische Gebilde dar, mit denen die kapitalistische Realität märchenhaft verklärt wird. Es sind regressive Modelle der Weltverklärung, die es auch innerhalb der politischen Linken gibt: einerseits von Linken originär formulierte Verschwörungstheorien, andererseits eine Anschlussfähigkeit mancher Linker an verschwörungstheoretische Projekte, die sich selbst nicht als links verorten.
Auf der Veranstaltung wird es um aktuelle und historische Verschwörungsmythen gehen. Der Autor Martin Wassermann, der sich unter anderen in seinem Blog (www.reflexion-blog.com) mit verschiedenen verschwörungsideologischen Ansätze beschäftigt, wird unterschiedliche Weltverklärungsmodelle vorstellen. Es wird dort auch um die Frage gehen, warum derartige Ideologien einem kritischen und emanzipatorischen Denken im Wege stehen.
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Nationale Befreiung oder Befreiung von der Nation (Thorsten Mense)
Entgegen einer empathischen Passage im Manifest der Kommunistischen Partei (Die Arbeiter haben kein Vaterland), gehörte spätestens mit Lenins Schrift über den Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus das Selbstbestimmungsrecht der Völker zu den zentralen Bezugsgrößen der Linken. Den unterdrückten Völkern als die Verkörperung des Guten wurde dabei der Imperalismus als das Böse gegenübergestellt. Die Folgen dieser Dichotomie betrachtet Thorsten Mense beim Blick auf das Umschlagen vom Kampf um Befreiung zum nationalen Befreiungskampf. Zu Beginn zeigt Mense die Entstehung, Funktionen und Ursachen des Nationalismus auf, um dann auf die Positionen der Arbeiterbewegung zur Nation zu verweisen. Während Staatskritik und Antisemitismus nur kurz angerissen werden, liegt der Fokus bei Mense auf der Betrachtung antikolonialer, nationaler Befreiungsbewegungen, denen er mit einer Kritik des Antiimperalismus antwortet.
Wenn man die alltägliche Gewalt und die historischen Massengräber des Nationalismus betrachtet, verwundert es, dass es auch heute noch linke Bewegungen gibt, die im Nationalismus das Instrument zur Befreiung sehen. Tatsächlich stand – im bürgerlichen Sinne – hinter dem Konzept der Nation historisch auch eine emanzipatorische Idee: Es ging es darum, Untertan_innen unabhängig von Herkunft und Stand zu gleichen und freien Subjekten zu machen, die sich im freiwilligen Zusammenschluss eine rationale politische Ordnung geben. Bekanntermaßen ist daraus nichts geworden. Stattdessen wurde das revolutionäre Element des Nationalismus für die demokratische Transformation der Gesellschaft schon bald von kulturalistischen und rassistischen Grenzziehungen im Namen der Nation verdrängt. Nationalismus wurde zur ideologischen Grundlage für die Legitimation des Ausschlusses und der Gewalt gegenüber den „Anderen“. Als Zwangskollektiv lässt das Konstrukt der Nation dabei auch die „Eigenen“ nicht in Ruhe. Diese Entwicklung liegt in der Sache selbst begründet. Nationalismus stellt keine Kritik an den herrschenden Verhältnissen dar – sondern ist selber ein Teil von ihnen.
In dem Vortrag wird es um Geschichte und Funktion des Nationalismus gehen, mit Fokus auf die (vermeintlich) linken Varianten und ‘Nationalen Befreiungsbewegungen’. Dabei ergeben sich viele Fragen: Wer soll hier eigentlich von wem befreit werden? Hat revolutionärer Nationalismus mit der Einrichtung der Nationalstaaten nicht sein Emanzipationsversprechen verloren? Was bedeutet es, wenn baskische Kommunist_innen und deutsche Nazis beide ein „Europa der freien Völker“ fordern?
Thorsten Mense ist freier Autor (Jungle World, Konkret) und beschäftigt sich mit der Frage, warum sich der Kampf um Befreiung so oft gegen die Befreiung wendet. In seiner Promotion untersucht er die linksnationalistischen Bewegungen in Katalonien und im Baskenland aus einer ideologiekritischen Perspektive.
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Einführung in den Fetischbegriff der Marxschen Theorie (Hendrik Wallat)
Hendrik Wallat greift ein Thema auf, welches die Marx-Forschung lange beschäftigt hat und auch heute noch diskutiert wird: Marx Ausführungen zum Begriff des Fetischismus und zur Verdinglichung. 1
Der Begriff des Fetischismus gehört zu den schillerndsten Termini der kritischen Theorie von Karl Marx. Gegenüber dem traditionellen Marxismus, dessen zentrale theoretische und praktische Bezugspunkte Ausbeutung, Proletariat und Klassenherrschaft waren, stellen jüngere Aneignungen der Marxschen Theorie – zu Recht – häufig die herrschafts- und erkenntniskritische Dimension der Marxschen Fetischanalyse heraus. Der Marxsche Fetischbegriff verliert durch seine Universalisierung zum Schlagwort allerdings leicht seinen spezifischen (ökonomiekritischen) Bedeutungsgehalt. Zuspitzend ließe sich sagen, dass die Fetischvergessenheit sich zu einer Fetischversessenheit gewandelt hat.
Der Vortrag versucht demgegenüber den Marxschen Fetischbegriff zu konkretisieren und zu kontextualisieren, um abschließend seine Aktualität zu skizzieren. Zu diesem Zwecke soll sowohl die Begriffsgeschichte des Fetischs kurz dargestellt werden, als auch sein Zusammenhang mit Begriffen wie Ideologie, Verdinglichung, Entfremdung etc. herausgearbeitet werden, mit denen er nicht zu verwechseln ist. Die angestrebte Spezifizierung des Fetischbegriffs dient dazu, sein Potential für eine kritische Theorie moderner Herrschaft herauszustellen, aber auch seine Grenzen deutlich zu machen.
Hendrik Wallat ist Politikwissenschaftler und lebt in Hannover. Letzte Veröffentlichung: Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik, Münster 2012, edition assemblage.
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Auch in Hamburg wurde eine Reihe unter gleichem Namen initialisiert und vom Audioarchiv dokumentiert.
- Leider sind in dieser Aufnahme Wallats Äußerungen über Grenzen und Leistungen des Fetischbegriffs nicht enthalten, die er bei anderen Vorträgen bereits thematisiert hat. [zurück]
Pingback: Klingenkurier #8 am 10.11.2014 | DeWitts Gedankenstrudel – reloaded
broschüre, die auch die drei dokumentierten referate beinhaltet: http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/rls_papers/Papers_Maulwurfsarbeit_II.pdf