Phantasie als Kompetenz. Zur Ideologie der Kreativität in der neueren Pädagogik.

Im Rahmen der Antifaschistischen Hochschultage (unter dem schönen Titel Hört auf zu studieren, fangt an zu begreifen) lud die ag antifa Magnus Klaue nach Halle, um ihn über die Ideologie der Kreativität in der neueren Pädagogik referieren zu lassen. Nach einigen Worten zur Begriffsgeschichte der Kreativität, skizziert Klaue – mit Verweis auf einen Ausspruch Neil Postmans (der vom Verschwinden der Kindheit schrieb) – die Veränderung des Kindheitsbegriffs und zeigt die Umgestaltung der Pädagogik: Am Beispiel der sogenannten unbedingten Schule, einer Reformschule aus Bonn, verdeutlicht er die Integration einstiger Ideologiekritik, um abschließend über die Möglichkeiten einer ästhetischen Erziehung (Schiller) zu sprechen.

»Stell Dir vor, es ist Schule … und jeder will hin!« Unter die­ser Maxime skiz­zierte jüngst eine »Grün­dungs­in­itia­tive Unbe­dingte Schule« nicht etwa eine päd­ago­gi­sche Dysto­pie, deren Ver­wirk­li­chung unbe­dingt zu ver­hin­dern wäre, son­dern das Ideal einer »guten Schule«, die »selbst­be­stimm­tes, eigen­ver­ant­wort­li­ches Ler­nen« ermög­licht und in der, wie gedroht wird, »Inklu­sion selbst­ver­ständ­lich ist«. Das gute Leben ist da, wenn nie­mand mehr aus­ge­schlos­sen wer­den muss, weil alle sich wider­stands­los ein­schlie­ßen las­sen. Ent­spre­chend ver­steht sich die »Unbe­dingte Schule«, in Überein­stim­mung mit Jac­ques Der­ri­das »Unbe­ding­ter Uni­ver­si­tät«, als zivil­ge­sell­schaft­li­cher Gegen-Staat »ohne Men­schen­bild« und mit fla­chen Hier­ar­chien, einem eige­nen »Ethik­rat«, einer »Schul­ver­samm­lung« und einem »Schul­ge­richt«. Ihre päd­ago­gi­schen Prin­zi­pien sind das Stre­ben nach »Welt­wis­sen« statt nach bana­lem Schul­wis­sen sowie die Ermög­li­chung maxi­ma­ler »Bewe­gungs­frei­heit«. Der päd­ago­gi­sche Schlüs­sel­be­griff lau­tet statt »Erzie­hung« oder »Bil­dung« nicht zufäl­lig »Spiel«: Aller ehe­ma­lige Ernst des Lebens soll spie­le­risch auf­ge­fasst, aber auch alles Spiel päd­ago­gi­siert wer­den. Aus­ge­hend von die­ser einst­wei­len ima­gi­nä­ren Insti­tu­tion, die erah­nen lässt, wie die Zukunft der Kind­heit aus­se­hen könnte, soll gezeigt wer­den, wie die neuere Päd­ago­gik Phan­ta­sie und Ima­gi­na­tion der wer­den­den Indi­vi­duen in ihrem Trieb­grund liqui­diert, indem sie sie in »Krea­ti­vi­tät« über­führt.
Magnus Klaue ist freier Autor und schreibt u.a. für Baha­mas und Jungle World.

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Passend dazu noch ein Artikel von Klaue: eine Elegie auf die bürgerliche Kindheit in der Jungle World.