Unter dem Titel kommunismus – communismus – ˌkɔmuˈnɪsmʊs. Reflexion über Geschichte, Kritik und Rettung eines bedeutungsschweren Begriffs fand im August 2012 ein Kongress in Oberhausen statt. Dabei wurde der Versuch unternommen, vergangenes kommunistisches (Auf-)Begehren zu reflektieren. Vier Referate der Veranstaltung können wir im Folgenden dokumentieren.
Die Idee des Kommunismus (Roger Behrens)
Roger Behrens zeigt die Notwendigkeit weiterhin über (die Idee des) Kommunismus zu reden und beginnt mit einem Rückgriff auf Brecht/Eislers Lob auf den Kommunismus.
Nicht erst die Diskussion um die „Wege zum Kommunismus“, die die Vorsitzende der Partei Die Linke Gesine Lötzsch vorschlug, zeigen, dass „Kommunismus“ in erster Linie mit Gulags, Stasi und Massenhinrichtungen verbunden wird. Unterschlagen wird dabei nur allzu gerne, dass Sowjetunion und Satellitenstaaten sich selbst als sozialistisch, das heißt als Übergangsphase zum Kommunismus verstanden. Bequem ist jedoch auch die daran anknüpfende und in linken Kreisen beliebte Behauptung, das sei eben nicht der Kommunismus gewesen. Hält man sich an die Definition von Marx und Engels, dass er „die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt“ sei, so ist dem Rechnung zu tragen, dass der Realsozialismus sich eben als diese Bewegung verstand. Auch wenn er die einzige militärisch erfolgreiche war, war er jedoch mitnichten eine wirkliche Aufhebung des Kapitalismus, sondern trieb vielmehr die Vergesellschaftung über Arbeit und Staat auf die Spitze. In der sozialdemokratischen Auslegung wurde die Bewegung verabsolutiert, hinter der das Ziel der Überwindung des Kapitalismus zurücktreten musste.
Dieser Hintergrund begründet die Notwendigkeit einer Bestimmung des Kommunismus, die diesen weder aus seiner vermeintlichen Umsetzung ableitet, noch als Bild der befreiten Gesellschaft in die ferne Zukunft verlegt. In der Veranstaltung soll der Versuch bestritten werden, Kommunismus als negative Utopie zu beschreiben, die aus der Kritik der Verhältnisse hervorgeht. Das „Bilderverbot“ soll dabei ebenso diskutiert werden, wie das Verhältnis von Utopie und der Praxis der Aufhebung.
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Zur Kritik des marxistisch-leninistischen Antiimperialismus (Olaf Kistenmacher)
Olaf Kistenmacher, der im Vortrag mit vielen Abbildungen arbeitet, blickt auf die 1920er Jahre, um eine Kritik des frühen – sich auf Lenin berufenden – Antiimperialismus der KPD zu entwickeln.
Kurz nach ihrer Gründung 1919 entdeckte die Kommunistische Internationale in den nationalen Befreiungsbewegungen ein neues revolutionäres Subjekt. Die berühmte Forderung aus dem Kommunistischen Manifest wurde zu „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker der Welt, vereinigt euch!“ erweitert. Dieser Antiimperialismus knüpfte an Wladimir I. Lenins Broschüre Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus an, in der Lenin den Imperialismus als „Herrschaft des Finanzkapitals“ definiert und damit einen Begriff geprägt hatte, der heutzutage zur Erklärung der Globalisierung wieder geläufig ist. Die Komintern unterstützte in den 1920er Jahren nationale Befreiungsbewegungen in den Kolonien – eine Politik, die bereits 1927 in China scheiterte und 1929 dazu führte, das Pogrom im britischen Mandatsgebiet Palästina als arabische Aufstandsbewegung zu feiern. Doch anstatt diese Niederlagen selbstkritisch zu reflektieren, blieben die kommunistischen Parteien überzeugt, dass sie nicht nur für die soziale, sondern zugleich für die „nationale Befreiung“ kämpfte. 1930 verabschiedete die Kommunistische Partei Deutschland ihr Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes. Der Vortrag zeigt anhand von Lenins zentralem Text und Beiträgen aus der deutschen kommunistischen Parteipresse, was der Antiimperialismus der 1920er Jahre über den Antikapitalismus der KPD und über die Vorstellung des Imperialismus aussagte.
Olaf Kistenmacher, Hamburg, ist Historiker und schreibt für Jungle World, Konkret und Phase 2.
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Aspekte & Probleme linker Bolschewismuskritik (Hendrik Wallat)
Die Grundlage für den Beitrag von Hendrik Wallat, liefert sein Buch Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik. Dort verweist Wallat auf frühe, hellsichtige Kritik am bolschewistischen ‘Befreiungsmodell’.
Das Scheitern des bolschewistischen Emanzipations- modells ist nicht erst mit dem Zusammenbruch des sogenannten real-existierenden Sozialismus konstatiert worden. Es gab vielmehr eine ganze Anzahl von fundierten Kritiken an Lenins Politik und an der Entwicklung der jungen Sowjetunion, die einerseits sehr zeitnah geäußert wurden und andererseits dem emanzipatorischen Impuls der Oktoberrevolution die Treue hielten. Im Vortrag sollen ausgewählte Schriften vorgestellt werden, die dieser vergessenen, von Partei- wie Antikommunist*innen verdrängten Tradition entstammen. Dabei soll nicht nur zur Aufklärung über die Geschichte des linken Kommunismus und Anarchismus als Alternativen im Prozess der gescheiterten Emanzipation beigetragen werden, sondern auch grundsätzliche Fragen an die Idee radikaler Selbstbefreiung gestellt werden.
Der Referent, Dr. Hendrik Wallat (Jg. 1979), lebt in Hannover. Forschungsschwerpunkte: Politische Theorie und Philosophie, Erkenntnis- und Gesellschaftskritik, Geschichte der Arbeiterbewegung. Letzte Veröffentlichung zum Thema: Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik, edition assemblage, Münster 2012.
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Der Verein freier Menschen – Marx’ Grundlegungen des Realsozialismus (Hannes Gießler)
Hannes Gießler, der die von Marx angedeuteten Fluchtlinien in den Kommunismus als naiv und unkritisch bezeichnet, versucht das Scheitern des Sozialismus aus den spärlichen Ideen bei Marx – wie der Sozialismus aussehen solle – abzuleiten.
Der Urkommunismus – ob Mythos oder nicht – solle unter den Bedingungen der Freiheit eingeholt, d.h. die Produktion vergesellschaftet, die historisch errungenenen Bedingungen der Entfaltung des Individuums aber nicht kassiert werden. Soweit die Proklamation des Kommunismus.
Doch im Realsozialismus blieben davon nur schöne Worte. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel realisierte sich als deren Verstaatlichung. Die unmittelbare Vergesellschaftung der Produktion und deren “planmäßige Kontrolle” (Marx) verwirklichte sich als Eingliederung des Individuums in die sozialistische Gesellschaft bzw. in der plangemäßen Kontrolle des Produktionsprozesses und damit auch der Arbeiter.
Die Kritik der politischen Ökonomie in allen Ehren; aber wo sie über den herrschenden Zustand hinaus weist, wird sie unkritisch. Sie flüchtet in schöne Worten – statt die Gefahr wenigstens zu benennen: dass jenseits verdinglichter Vermittlung nicht weniger, sondern mehr Staat oder andere Formen der Herrschaft und Gewalt drohen.
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