Heidegger und der Nationalsozialismus
Emanuel Kapfinger und Paul Stephan (beide aus Frankfurt, u.a. Ivi) haben im Januar auf Einladung der IG Philosophie in Wien einen Vortrag über das Verhältnis Heideggers zum Nationalsozialismus gehalten. Dabei richten sie sich explizit gegen einen biographischen Reduktionismus und versuchen dieses Verhältnis an der Philosophie Heideggers selbst nachzuverfolgen.
Die historischen Fakten zeigen eindeutig, dass Martin Heidegger ein Nazi war. Unter anderem war er als erster nationalsozialistischer Hochschulrektor maßgeblich daran beteiligt, Führerprinzip und nationalsozialistische Gesinnung an den deutschen Hochschulen zu verankern. Doch ist damit bereits das Urteil über seine Philosophie gesprochen? Im Vortrag soll daher auf diese selbst eingegangen und dargelegt werden, dass Heideggers Denken einer hochabstrakten, philosophischen Fassung nationalsozialistischen Bewusstseins entsprach, wozu unter anderem sein heroischer Nihilismus, seine mystizistische Argumentationsweise, die Auflösung konkreter Geschichte in ein Seinsgeschehen und antisemitische Klischees in seiner Philosophie zu nennen sind.
Gegenüber der Entwicklung in Heideggers Philosophie möchte das Vorgetragene sensibel sein. Emanuel Kapfinger versucht, innerhalb der früheren Phase den Nachweis eines faschistischen Wesensbegriffes (Sein) sowie eines Bezugs zu einem unmittelbaren abstrakt-allgemeinen Individuum (das faschistische Volk) in der Eigentlichkeit zu führen und die Kontinuität der Philosophie von Sein und Zeit (1927) zu den politischen Stellungnahmen von 1933 aufzuzeigen. Paul Stephan möchte auf Grundlage des Gesamtwerks überprüfen, inwiefern in diesem der persönliche Antisemitismus Heideggers einen strukturellen Wiederhall findet. Er bezieht sich insbesondere auf die Kritiken von Jean-Paul Sartre (in Das Sein und das Nichts, 1943), Theodor W. Adorno (Jargon der Eigentlichkeit, 1964) und Pierre Bourdieu (Die politische Ontologie Martin Heideggers, 1988). [via]
Gliederung des Vortrags:
- Download (via AArchiv): Vortrag (mp3; 1:24:54 h; 39,2 MB) | Diskussion (mp3; 1:00:27 h; 27,2 MB) | Handout (PDF)
Ich empfehle die Lektüre dieses Artikels.
Dass im Übrigen Heidegger seine Philosophie nicht der Nazi-Ideologie anpassen brauchte, weil sie bereits die Philosophie der Nazis war, spricht selbstverständlich gegen ihn.
Metaphysik und Seinsgeschichte müssen nicht entnazifiziert werden! Ihr vergeudet eure Energie!
Wie viele Konservative der Weimarer Republik haben einen Band voller Liebesbriefe und Gedichte an ihre jüdische Geliebte hinterlassen? Wie viele haben ihr Hauptwerk einem Juden gewidmet und dessen Philosophie unterrichtet und weiterentwickelt? Nach der Machtergreifung haben Hunderttausende ihre Grundüberzeugungen, Gutachten, Arbeitsgrundlagen der Nazi-Ideologie angepasst. Heidegger tat dies nicht.
Existenz- (Seins-) Philosophie geht davon aus, dass alle Menschen – jenseits von Religion, Rasse und Nation – in denselben existenziellen Bezügen zum Sein stehen (Sprache, Zeitlichkeit, Vernunft, Verstehen, Ideen usw.) Alle Menschen sind in diesen wesenhaften Seinsbezügen gleich und damit gleichwertig. Dies ist der Grund, warum sich z.B. kein rassistischer Gedanke in H.s Werk finden lässt, und dies ist der Grund warum u.a. Sartre H. aufgegriffen hat.
Wenn man Heidegger diskutiert muss man sich regelmäßig mit der “ war kein Nazi“ – Fraktion, sowie den “ war ein Nazi, aber seine Philosophie ist trotzdem unglaublich Tiefsinnig“ – Apologeten herumschlagen. Zu dem hier Vorgetragenen habe ich eine Art Handreichung mit hoffentlich überzeugenden Zitaten zusammengestellt: https://sonntagsgesellschaft.wordpress.com/2013/06/12/heideggers-nationalsozialismus-im-lichte-seiner-philosophie/
Martin Heidegger und der Nationalsozialismus – über dieses Verhältnis diskutierten 1986 auch Manfred Frank, Víctor Farías, André Glucksmann und Hugo Ott. Der Mitschnitt ist auf Youtube zu hören und hier zum Download.