Kommentar zum Rücktritt von Chr. Lindner
Die Redaktion Sachzwang FM hat offenbar eine gewisse Freude (?) daran, sich neben ideologiekritischen Traktaten ab und zu auch dem sog. politischen Alltagsgeschäft der Bundesrepublik zu widmen. Nach den Abgesängen auf Horst Köhler und den Freiherrn zu Guttenberg erfährt nun auch ein FDP-Politker eine Würdigung der polemischen Art.
Ein bissiger Kommentar zum „überraschenden“ Rücktritt des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner, der bisher v.a. als „charismatischer Hoffnungsträger“ und „Nachwuchstalent“ durch die Talkshows tingelte. Der Lex-Barker-Lookalike ist ein waschechter Möllemann-Zögling.
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DIE RÜCKKEHR DER HERRENREITER – oder: DER MANN, DER NIE LACHTE
Endlich einer, der die Liberalen wirklich zu Freiheitlichen machen kannAuf der Internetseite abgeordnetenwatch.de, eigentlich der kritischen Beobachtung parlamentarischer Repräsentanten verpflichtet, stimmt ein Bauchredner des Volkes den folgenden Lobgesang an:
„Sehr geehrter Herr Lindner,
ich habe soeben im Fernsehen Ihren Rücktritt als FDP-Generalsekretär live mitverfolgt, den ich persönlich sehr bedauere.
Meine Fragen an Sie:
Was war der entscheidende Grund für Ihren Rücktritt?
Kann es möglicherweise sein, dass Sie das „Bauernopfer“ für Ihren meiner Meinung nach chaotischen und sich an demokratische Spielregeln offensichtlich nicht haltenden Parteivorsitzenden Dr. Philipp Rösler sind? […]
Darf die deutsche Öffentlichkeit damit rechnen, dass Sie weiterhin die politische Bühne betreten und Ihrer Partei treu bleiben?
(Eine persönliche Bemerkung: Ich halte Sie als Parteivorsitzenden der FDP für wesentlich besser geeignet als den jetzigen Vorsitzenden.)
Für Ihre Antwort im Voraus herzlich dankend verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
[Guido L.]“Der kriecherisch-ehrerbietige Duktus dieser Fanpost, der wohl repräsentativ genannt werden darf, zeigt an, wohin es in Zukunft gehen wird. Es sind dies vermutlich dieselben Leute, die von Merkel immer noch ein „Durchregieren“ fordern und die Pragmatikerin für eine unheilvolle Aufweichung erzkonservativer Positionen verantwortlich machen. Dieselben Leute, die noch vor einem Jahr an den vorerst gescheiterten Heiland Guttenberg adressiert hatten, „Ich halte Sie als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland für wesentlich besser geeignet als die jetzige Bundeskanzlerin.“
Doch wer ist Christian Lindner, dieses Guttenberg-Pendant? Schon vor einem halben Jahr war über ihn zu lesen, „Kein anderer hat in der FDP eine derartige Blitzkarriere hingelegt. Niemand wird bei den Liberalen so uneingeschränkt mit dem Etikett ‚Hoffnungsträger‘ versehen, […]. Unter normalen Umständen wäre der Generalsekretär der ‚geborene‘ Nachfolger an der Parteispitze.“ Und wessen Zögling, wes Geistes Kind ist dieser ambitionierte Karrierist? „Möllemann hatte das Nachwuchstalent entdeckt und gefördert.“ Nun gibt das Nachwuchstalent Einschätzungen von sich wie die, ein „Linksruck“ habe die Berliner CDU erfaßt.
Gerne sagt er in die Kameras, „Der Staat ist ein teurer Schwächling“, der auf seine Kernaufgaben zurückgeführt werden müsse. Daß der Mann, der nie lachte, hier die Repressionsorgane meint, darüber muß nicht lange spekuliert werden.
Der Lex Barker der FDP verbindet das zackige Erscheinungsbild eines Stabsadjutanten oder Standartenscharführers mit der Drohung, die Dreiprozentpartei müsse auch für Intellektuelle wieder wählbar werden. Seine Rücktrittserklärung, die er andeutungsvoll mit einem „Auf Wiedersehen!“ schloß, ist offenbar derart motiviert, daß sich am Ruin der Partei zunächst einmal die aktuelle, mäßig populäre Parteiführung aufreiben und die Finger verbrennen möge, bevor er selbst als strahlender Held zurückkehrt.
Den Wählern ebenso wie den biederen und provinziellen Mittelständlern von der FDP-Basis war der attraktive und charmante, ja smarte Musterschüler Rösler wohl schon von Anfang an ein nicht hinreichend volkstümlicher Geselle. Zu weich, zu höflich, zu freundlich. Wie Merkel, wie Wulff. Der Kosmopolit Rösler ist so gar nicht nach dem Geschmack der wieder mal in tiefer Krise ernste Gesichter ziehenden Deutschen. Gleiches gilt für Amigo Brüderle, der joviale und sympathische Genußmensch, der schon mal Fünfe gerade sein läßt und sich souverän durch die Medien kalauert. Der Mann der Stunde ist eher der die Krise schon in Physiognomie transformierende Christian Lindner. „So einen braucht es jetzt in Deutschland.“ Und das ist nicht nur Mundart, sondern tatsächlich: Das nationale Es, das, frei nach Freud, nur begehrt und fühlt und nicht denkt, braucht wirklich genau so einen. Daß Lindner als telegener Bedenkenträger keine Eintagsfliege bleiben wird, dafür sorgt schon die Permanenz der kapitalistischen Krise, deren Vorwehen erst wir seit 2008 erleben.
Pathetisch und gefaßt, nur nicht lächeln, bloß nicht lässig – die Zeiten der „Spaßgesellschaft“ sind ja laut Scholl-Latour seit zehn Jahren vorbei –, den Ernst der Lage so stereotyp im Gesicht, Markenkern und Alleinstellungsmerkmal: das ist Christian Lindner. So nordisch das blonde Haar, so affirmativ der christliche Vorname, so redlich der ganze Asket, diese eigentümliche Mischung aus Beichtvater und Bedenkenträger. So sieht man aus, wenn man den Gürtel enger schnallt. „Den hat die Vorsehung geschickt“, hätte man früher geraunt – und sich dabei vielleicht noch bekreuzigt. „Der ist zu Großem berufen.“ Stets empfahl sich der Anfangdreißiger in den gängigen Talkshows staatsmännisch und Beifall heischend als anständiger und gewissenhafter Führertyp. Wäre er nicht noch etliche Jahre jünger als Rösler, so wäre mit Sicherheit er der Emporkömmling der Stunde, also nachrückender Parteichef gewesen. Perfekt verkörpert er den Siegfried, nach dem sich die schweigende Mehrheit sehnt: kein windiger Showman, sondern ein rustikaler Heiland, aufrecht, blond, heterosexuell, ohne Migrationshintergrund. Oder doch nur ein Opportunist? Zunächst Kriegsdienstverweigerer, hat er dann die Laufbahn als Reserveoffizier eingeschlagen. Guttenberg und Rösler, um die Vierzig, mögen der Generation Modern Talking angehören, Lindner, Anfang Dreißig, verkörpert die Generation Rammstein.
Es ist ein Spezifikum dieses Landes, daß man hier paradoxerweise populär wird, wenn man vermeintlich „unpopuläre Wahrheiten“ ausspricht und daraus die Notwendigkeit einer rigiden Politik ableitet. Jeder der auf autoritäre Typen abonnierten Deutschen hätte Lindner als Parteichef gewollt, interessant wäre es allemal, einen Korrelationskoeffizienten zu ermitteln zwischen der untrüblichen Verehrung eines von und zu Guttenberg und dem Zuspruch für den rechtsliberalen Nachwuchsblondie. Mal sehen, ob – wie ehemals der fränkische Baron – auch Lindner immer seltener bloß Teilnehmer von Talkrunden sein wird als vielmehr ihr zu beschwörender exklusiver Gegenstand. Als handele es sich um mondäne Prominenz vom Schlage eines Obama oder Putin.
Natürlich sind auch nüchterne Nerds und Technokraten beliebt, wie v.a. Peer Steinbrücks Renommee bezeugt, ferner das der Kanzlerin. Aber zur wirklichen Führungsfigur, die Popularität im autoritären Modus verschweißt, schafft man es eben nur mit: Charisma. Das ist so, seit es Ton- und Bildmedien gibt, seit den zwanziger Jahren eigentlich; in Deutschland verstärkt seit den Dreißigern. Charisma, das ist das, worauf man prima reinfallen kann, wo meistens nichts dahinter ist. Charisma, zu dt.: „Gnadengabe“, Ausstrahlung. Hinterher wird man dann immer noch sagen können: Wir fühlen uns verschaukelt, oder, noch besser: „Davon haben wir nichts gewußt.“ Daß aber die Unmündigkeit selbst verschuldet ist, darauf gilt es zu insistieren.
Nach dem überraschenden Rücktritt Lindners freut man sich aber zu früh. Schon jetzt zittert die Redaktion Sachzwang FM vor einer Rückkehr der Herrenreiter. Mögen wir die Koffer für die Emigration gepackt haben, wenn in nicht allzu ferner Zukunft ein Gruselkabinett unter Bundeskanzler zu Guttenberg mit einem Superminister Lindner, Finanzminister Sarrazin, Verteidigungsminister Henkel, Bildungsminister Guido Knopp und Regierungssprecher Norbert Bolz, vielleicht noch ergänzt um den kalten Krieger Gauck als Reichspräsident, seine Arbeit aufnimmt und sich anschickt, die letzten Reste von Kuschelpolitik und dissidenter Intellektualität wegzukrempeln.
Daß Anders Breivik das noch erleben darf.
Musik von MITTAGSPAUSE: „Herrenreiter“ (1979)
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