Weltgeist und Ideologie

Die innere Schranke der Hegelschen Dialektik

Auf dem diesjährigen Sommerworkshop des Wert-Abspaltungskritischen Lesekreises Berlin hat Daniel Späth (EXIT!) einen Workshop gegeben, in dem er einen kritischen Zugang zu Hegels Dialektik vorgestellt hat. Ausgehend von Hegels Frühwerk und insbesondere dem »System der Sittlichkeit« und der »Phänomenologie des Geistes«, hat er anhand einiger Zitate einen Überblick über wichtige Gedankengänge Hegels gegeben. Inwiefern handelt es sich beim Dreischritt der Hegelschen Dialektik um eine Subsumtionslogik? Inwiefern werden hier Momente des Geschlechterverhältnisses reproduziert und festgeschrieben? Inwiefern findet hier eine Ontologisierung von Arbeit als Grundvoraussetzung für Individualität und Selbstbewusstsein statt? Diese und andere Fragen hat Daniel Späth zusammen mit den TeilnehmerInnen diskutiert. Es sind dabei unter anderem Diskussionsbeiträge von Justin Monday und Karina Korecky zu hören, deren Vorträge wir in Kürze ebenfalls dokumentieren werden.

    Download:

  1. Teil 1: via AArchiv (mp3; 37,6 MB; 1:05 h)
  2. Teil 2: via AArchiv (mp3; 29,5 MB; 29,5 MB; 51:31 min)
  3. Präsentationsfolien mit Zitaten via AArchiv (PDF, 100 KB)

Zum Ankündigungstext:

Da­ni­el Späth

Welt­geist und Ideo­lo­gie
Die in­ne­re Schran­ke der He­gel­schen Dia­lek­tik

Neben Marx präg­te wohl kein an­de­rer Phi­lo­soph kri­ti­sche Theo­rie­bil­dung so grund­sätz­lich wie Hegel. In den aus­führ­li­chen He­gel-​Re­zep­tio­nen von Theo­re­ti­kern wie Georg Lukács,V.I. Lenin oder Theo­dor W. Ador­no, um nur ei­ni­ge zu nen­nen, fir­miert der Idea­list nicht sel­ten als „Er­gän­zung“ zu Marx, oder doch zu­min­dest als der erste kri­ti­sche Ex­po­nent der bür­ger­li­chen Auf­klä­rungs­phi­lo­so­phie, an dem kri­ti­sche Re­fle­xi­on zu schu­len wäre. Und in der Tat scheint im He­gel­schen Den­ken be­reits eine kri­ti­sche Tie­fen­di­men­si­on ma­ni­fest, deren In­halt le­dig­lich mit an­de­ren Vor­zei­chen zu ver­se­hen, das heißt „vom Kopf auf die Füße“ zu stel­len wäre: Denn nicht nur, dass mit Hegel das dia­lek­ti­sche Den­ken in sys­te­ma­ti­scher Form auf die his­to­ri­sche Bühne tritt, auch die Tat­sa­che, dass er auf einer We­sens-​Er­schei­nungs-​Dif­fe­ren­zie­rung in­sis­tiert und in der „Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes“ mit einem Sub­stanz­be­griff ope­riert, si­gna­li­siert un­mit­tel­bar die Nähe zur Marx­schen Theo­rie. Wenn man und frau sich dann noch ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass Hegel in sei­nen frü­hen Schrif­ten den Aus­druck der „abs­trak­ten Ar­beit“ präg­te, könn­te bei­na­he ge­meint wer­den, Hegel sei „der erste Mar­xist“ ge­we­sen.
Der erste Teil des Work­shops wird sich an­hand aus­ge­wähl­ter Text­pas­sa­gen aus dem He­gel­schen Früh­werk (ich meine hier­mit jene frühe Phase sei­nes Wer­kes, die mit der „Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes“ endet) mit dem Ur­sprung der He­gel­schen Dia­lek­tik aus­ein­an­der­set­zen, wobei diese ge­ne­ti­sche Re­kon­struk­ti­on sich vor allem den öko­no­mi­schen Schrif­ten He­gels („Sys­tem der Sitt­lich­keit“, „Je­na­er Re­al­phi­lo­so­phie“) zu­wen­den wird, die als Er­gän­zung zur Lek­tü­re der „Phä­no­me­no­lo­gie“ die­nen sol­len, um den kon­kre­ten ge­sell­schaft­li­chen Hin­ter­grund der dia­lek­ti­schen Be­we­gung des deut­schen Auf­klä­rers dar­zu­stel­len, wo­durch ein Maß­stab einer Kri­tik der He­gel­schen Dia­lek­tik ge­won­nen wer­den wird. Fol­gen­de, für eine kri­ti­sche Theo­rie zen­tra­le Fra­gen wer­den dabei auf­ge­wor­fen und hof­fent­lich auch be­ant­wor­tet wer­den:

  • Abs­trak­te Ar­beit“ bei Hegel: Der An­fang einer ma­te­ria­lis­ti­schen Fe­tisch­kri­tik oder die in­tel­lek­tu­el­le Selbst­ver­ge­wis­se­rung des Geis­tes über seine ge­dank­li­che Tä­tig­keit?
  • Der Sub­stanz­be­griff in der „Phä­no­me­no­lo­gie“: Kri­ti­scher To­ta­li­täts­be­griff oder Le­gi­ti­ma­ti­on des ewi­gen Geis­tes?
  • Die dia­lek­ti­sche Be­we­gung bei Hegel: An­satz­punkt für eine kri­ti­sche Theo­rie oder Mys­ti­fi­ka­ti­on der Dia­lek­tik als on­to­lo­gi­sche Me­tho­de?

Die im ers­ten Teil des Work­shops auf­ge­wor­fe­nen Pro­ble­me, die im Rah­men einer Struk­tur­ana­ly­se der „Phä­no­me­no­lo­gie“ her­au­ge­ar­bei­tet wer­den, blei­ben als sol­che abs­trakt, da sie mit dem In­stru­men­ta­ri­um der Wert­kri­tik eine ent­schei­den­de Di­men­si­on des He­gel­schen Den­kens nicht ana­ly­sie­ren kön­nen. Des­halb wird sich der zwei­te Teil noch ein­mal den He­gel­schen Früh­schrif­ten zu­wen­den, um auf die eben­so ei­gen­ar­ti­ge wie be­zeich­nen­de Tat­sa­che hin­zu­wei­sen, dass im „Sys­tem der Sitt­lich­keit“ Dia­lek­tik in Ge­stalt einer wech­sel­sei­ti­gen Sub­sum­ti­ons­lo­gik auf­tritt, die He­gel­sche Dia­lek­tik also be­reits in ihren ba­sa­len Struk­tu­ren an­dro­zen­tri­sche Denk­be­we­gun­gen setzt. Die auf einer form­lo­gi­schen Ebene be­reits se­xis­tisch be­grün­de­te Dia­lek­tik He­gels hat ihr in­halt­li­ches Pen­dant in der Ne­ga­ti­on von weib­li­chem Den­ken und Han­deln: Nicht nur, dass der Welt­geist die Be­deu­tung von Frau­en in der Ge­schich­te auf vor­mo­der­nen, in­suf­fi­zi­en­ten Stu­fen fest­schreibt und da­durch dis­kri­mi­niert, viel­mehr be­treibt Hegel sys­te­ma­tisch die Til­gung jeg­li­cher Spur von Weib­lich­keit in der Ge­ne­se des uni­ver­sa­li­sie­ren­den Geis­tes: Weib­lich­keit wird in der an­dro­zen­trisch-​uni­ver­sa­li­sie­ren­den Be­we­gung des Geis­tes „auf­ge­ho­ben“ und ge­ra­de da­durch ne­giert und zum Ver­schwin­den ge­bracht. Um einen theo­re­ti­schen Hin­ter­grund für den He­gel­schen Se­xis­mus zu ge­win­nen, werde ich mich an Hei­de­ma­rie Ben­nent und ihre He­gel-​Kri­tik in „Ga­lan­te­rie und Ver­ach­tung“ und an El­vi­ra Scheich in ihrer Mo­no­gra­phie „Na­tur­be­herr­schung und Weib­lich­keit“ an­leh­nen.

Li­te­ra­tur­lis­te für In­ter­es­sen­tIn­nen:
G.W.F. Hegel, Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes, Frank­furt a.M., 1970
G.W.F. Hegel, Frühe po­li­ti­sche Sys­te­me, Frank­furt a.M., 1974.

Se­kun­där­li­te­ra­tur:
Chris­ti­ne Weck­werth, Me­ta­phy­sik als Phä­no­me­no­lo­gie. Eine Stu­die zur Ent­ste­hung und Struk­tur der He­gel­schen „Phä­no­me­no­lo­gie des Geis­tes“, Würz­burg, 2000.
Hei­de­ma­rie Ben­nent, Ga­lan­te­rie und Ver­ach­tung, New York, 1985.
El­vi­ra Scheich, Na­tur­be­herr­schung und Weib­lich­keit, Pfaf­fen­wei­ler 1993.

Es wird in den nächs­ten Wo­chen ein Zi­ta­te-​Blatt er­stellt wer­den, das als Grund­la­ge für den Work­shop die­nen wird und zum Selbst­aus­dru­cken an die­ser be­reit ge­stellt wird. [via]

4 Gedanken zu „Weltgeist und Ideologie

  1. Pingback: Male Escorts

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  4. Ernst

    Anstelle des im Ankündigungstext versprochenen Zitatblatts gab es eine Bildschirmpräsentation, die ich im obigen Beitrag als PDF zum Download ergänzt habe.

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