Schule der Nation

Die Redaktion Sachzwang FM ist weiterhin produktiv und nimmt sich in der aktuellen Sendung (Ende April) die Schule als kapitalistische Konditionierungsanstalt vor. Im ersten Teil der Sendung kommt Freerk Huisken (GSP) zu Wort: »Wieso, weshalb, warum macht die Schule dumm?«. Im Anschluss nimmt Magnus Klaue die sog. Bildungsproteste unter die Lupe und kritisiert en passant Reformpädagogik und das deutsche Bildungsbürgertum. Sein Vortrag trägt den Titel »Die Bildung als Widersacher des Geistes« (Dr. Indoctrinator hat in seiner Eröffnungsmoderation offenbar die beiden Substantive vertauscht) und wurde im November 2010 in Wien von der Basisgruppe Politikwissenschaft aufgezeichnet. Er kann einzeln heruntergeladen werden.

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    Sendung: via AArchiv | MF (2 h, 41 MB)
    Vortrag Klaue:
    Edit: nachbearbeitet, daher nun ohne blechernen Klang: via AArchiv | via MF (0:46 h, 33 MB) | Original via BaGruPoWi (21 MB, leiser und mit blechernem Klang)

Ankündigungstext zum Vortrag Klaues:

Alle rufen nach Bildung. Nicht erst seit den studentischen Protesten, den diversen Pressekonferenzen und Universitätsversammlungen der Rektoren im Oktober kann man den Eindruck gewinnen, die Bildung in Österreich sei dabei, zum höchsten nationalen Heiligtum zu werden und selbst dem alpinen Schilauf den Platz streitig zu machen. Da das „bildungspolitische Bild tragisch und erschütternd“ sei, wie ein Rektor feststellt, sollte es, wie ein anderer sekundierte, „eine nationale Strategie geben“ wie für „Schifahrer auch“, um dieser Misere abzuhelfen. Schließlich sind Bildungsausgaben Zukunftsausgaben, die weiter reichen als bis zur nächsten Weltmeisterschaft. Aber auch die Studierenden bemängeln hauptsächlich, dass die momentane Bildungspolitik verkenne, wie groß der „gesellschaftliche Wert von Bildung“ sei, und fordern Bildung für alle und wollen gar der „Bildung an sich“ zu ihrem Recht verhelfen. Dieser bildungspolitische Amoklauf, in dem sich Lehrer, Forscher und Studenten der Sache nach weitgehend einig sind, zeugt von einer frappierenden Geschichtsvergessenheit. Bezeichnet doch der bei Goethe und Humboldt noch im Sinne emphatischer Individuation verstandene Begriff der Bildung in Deutschland spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine Reihe von Schandtaten. Insbesondere richtet er sich gegen den „Geist“, dessen Wurzellosigkeit, Flüchtigkeit, Insistenz und zersetzender Kraft mit der Bildung ein Prinzip intellektueller und sittlicher Bodenhaftung gegenübergestellt werden soll. Wie die Dichotomisierung von Bildung und Geist sich im deutschen Sprachraum historisch entwickelt hat, wie sie mit dem Kapitalverhältnis bzw. dessen falscher Aufhebung zusammenhängt, und weshalb die „Geisteswissenschaften“ heute völlig zurecht durch die „Kulturwissenschaften“ ersetzt werden, möchte der Vortrag in Rekurs auf die Verteidigung des Bildungsbegriffs bei Horkheimer und Adorno zu klären versuchen.

Magnus Klaue lebt in Berlin, arbeitet für die Jungle World und ist Koautor des Bandes „Gegenaufklärung. Der poststrukturalistische Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft“, der demnächst im ça ira-Verlag erscheint.

Eine Veranstaltung von Cafe Critique und der Basisgruppe Politikwissenschaft mit freundlicher Unterstützung der Basisgruppe/Studienvertretung Doktorat GEWI/HuS an der Universität Wien.

Montag, 22. 11. 2010, 20:00
Hörsaal II NIG, Erdgeschoß, Universitätsstraße 7, 1010 Wien

5 Gedanken zu „Schule der Nation

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  2. Ernst

    Die Radikale Linke Bochum stellt auch einen Mitschnitt des Huisken-Vortrages via Soundcloud zur Verfügung. Eine kleinere Fassung habe ich hier hochgeladen (1:28 h, 30 MB).

    Aus­bil­dung macht dumm. Das steht nicht für ein Ver­sa­gen von Schu­le und Uni­ver­si­tät, son­dern das ge­hört zu den Auf­trägen des deut­schen Bil­dungs­sys­tems. Dumm­heit, was ist das? Es fällt nicht unter Dumm­heit, wenn man die Recht­schrei­bung nicht be­herrscht, nur schlecht lesen und rech­nen kann oder die Ne­ben­flüs­se des Rheins nicht kennt. Das ist feh­len­des Wis­sen, das kann man sich an­eig­nen. Bes­ser: das könn­te man sich an­eig­nen, wenn das Schul­we­sen tat­säch­lich das An­lie­gen ver­fol­gen würde, den Nach­wuchs so­li­de in die „Kul­tur­tech­ni­ken“ ein­zu­füh­ren und ihm aus­ge­reif­tes Wis­sen über Natur und Ge­sell­schaft zu ver­mit­teln. Tut es aber nicht.

    Unter Dumm­heit fällt da­ge­gen ziem­lich viel von dem was man lernt, und zwar als Haupt­schü­ler wie als Gym­na­si­ast und als Stu­dent. Es fällt dar­un­ter die Ausstat­tung der Ju­gend mit einer Fülle fal­scher Ur­tei­le über Gott und die Welt. Das liegt nicht daran, dass sich Schul­buch­ver­fas­ser und Leh­rer ein­fach nur irren, wenn sie die Schü­ler mit ihren Leh­ren über De­mo­kra­tie und Fa­schis­mus, über Geld und Markt, über Fa­milie und Staat trak­tie­ren. Das tun sie auch. Aber das trifft nicht die Sache. Dafür sind die Dumm­hei­ten viel zu re­sis­tent gegen Ar­gu­men­te und haben be­reits zu viele Jahr­zehn­te in Schul­bü­chern über­dau­ert. Die früh­zei­ti­ge An­eignung einer ge­hö­ri­gen Por­ti­on Dumm­heit braucht es viel­mehr für die geis­ti­ge Aus­stat­tung des mün­di­gen Bür­gers. Ge­for­dert ist sie für Leis­tun­gen, die hier­zu­lan­de stän­dig ge­for­dert sind: näm­lich für die frei­wil­li­ge Un­ter­ord­nung unter alle Zwän­ge und Sach­zwän­ge die­ser Ge­sell­schaft. Dumm­heit ist par­tei­li­ches Den­ken.

    Zu dem ge­hört auch all das, was man in der Schu­le über Noten und Leis­tungs­ver­glei­che lernt: Jeder habe den Schul­er­folg mit sei­ner An­stren­gung selbst in der Hand, lau­tet das Credo, das Par­tei nimmt für die Or­ga­ni­sa­ti­on des Ler­nens als Lern­kon­kur­renz. Merk­wür­dig nur, dass vor jeder Lern­an­stren­gung der Schü­ler be­reits fest­steht, dass die Mehr­heit von ihnen zum Ab­itur gar nicht erst zu­ge­las­sen wird. Und warum lan­det wohl mit un­schö­ner Re­gel­mä­ßig­keit die Mehr­zahl der Kin­der von armen Leu­ten immer wie­der in der ge­sell­schaft­li­chen Schicht oder Klas­se, aus der sie kom­men? Stren­gen die sich denn nicht an?

    All das leis­tet Er­zie­hung in einer so­ge­nann­ten Wis­sens­ge­schell­schaft. Aber viel­leicht ist das ja gar kein Ge­gen­satz zu einer Er­zie­hung, die den Nach­wuchs auf par­tei­li­ches, also fal­sches Den­ken ein­schwört und zum funk­tio­nie­ren­den Teil­neh­mer an der all­ge­mei­nen Kon­kur­renz er­zieht.

    Ver­an­stal­ter:

    Ra­di­ka­le Linke Bo­chum
    Kul­tur­zen­trum Bahn­hof Lan­gend­re­er

    Ter­min:

    5. Mai 2011 – 19:30

    Ort:

    Bahn­hof Lan­gend­re­er, Wall­baum­weg 108

    Der Re­fe­rent:

    Freerk Huis­ken, Jahr­gang 1941, stu­dier­te Päd­ago­gik in Ol­den­burg und war da­nach bis 1967 als Leh­rer tätig. Da­nach stu­dier­te er Päd­ago­gik, Po­li­tik und Psy­cho­lo­gie in Er­lan­gen-​Nürn­berg. Seit 1971 war er Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Bre­men im Ge­biet der Po­li­ti­schen Öko­no­mie des Aus­bil­dungs­sek­tors. Seit März 2006 ist er im Ru­he­stand.

  3. Ernst

    Der Link auf die Orginaldatei war tatsächlich auch auf der BaGruPoWi-Seite falsch. Ich habe ihn (hier) korrigiert. Die anderen Downloadlinks zur nachbearbeiteten Fassung funktionieren aber auch.

  4. Karl Heinrich

    Ankündigung zum Huisken-Vortrag:

    Ausbildung macht dumm. Das steht nicht für ein Versagen von Schule und Universität, sondern das gehört zu den Aufträgen des hiesigen Bildungssystems. Dummheit, was ist das? Es fällt nicht unter Dummheit, wenn man die Rechtschreibung nicht beherrscht, nur schlecht lesen und rechnen kann oder die Nebenflüsse des Rheins nicht kennt. Das ist fehlendes Wissen, das kann man sich aneignen. Besser: das könnte man sich aneignen, wenn das Schulwesen tatsächlich das Anliegen verfolgen würde, den Nachwuchs solide in die „Kulturtechniken“ einzuführen und ihm gediegenes Wissen über Natur und Gesellschaft zu vermitteln. Tut es aber nicht.

    Unter Dummheit fällt dagegen ziemlich viel von dem was man lernt, und zwar als Volksschüler wie als Gymnasiast und als Student. Es fällt darunter die Ausstattung der Jugend mit einer Fülle falscher Urteile über Gott und die Welt. Das liegt nicht daran, dass sich Schulbuchverfasser und Lehrer einfach nur irren, wenn sie die Schüler mit ihren Lehren über Demokratie und Faschismus, über Geld und Markt, über Familie und Staat traktieren. Das tun sie auch. Aber das trifft nicht die Sache. Dafür sind die Dummheiten viel zu resistent gegen Argumente und haben bereits zu viele Jahrzehnte in Schulbüchern überdauert. Die frühzeitige Aneignung einer gehörigen Portion Dummheit braucht es vielmehr für die geistige Ausstattung des mündigen Bürgers. Gefordert ist sie für Leistungen, die hierzulande ständig gefordert sind: nämlich für die freiwillige Unterordnung unter alle Zwänge und Sachzwänge dieser Gesellschaft. Dummheit ist parteiliches Denken. Zugleich belehren die Dummheiten den erzogenen Mensch darüber, wie er alle Beschränkungen seiner Interessen, die „das Leben“ bringt, zu verarbeiten hat und zugleich dabei brav bleiben kann. Dummheit ist also eine wahre Produktivkraft im und für den Kapitalismus.

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