Robert Kurz (»EXIT!«) stellt seine Theorie einer inneren Schranke der Kapitalakkumulation vor. Er bewegt sich dabei auf der kategorial-logischen Ebene des »Kapital im Allgemeinen«, nicht auf der Ebene der konkreten Krisenverläufe auf dem Weltmarkt. Am Rande gibt es einige Spitzen gegen die Neue Marxlektüre, besonders Michael Heinrich und Abgrenzungen zu früheren Krisentheorien (R. Luxemburg, H. Grossmann).
Veranstaltet und aufgezeichnet vom Wert-Abspaltungskritischen Lese- & Diskussionskreis Berlin in Zusammenarbeit mit dem Verein für kritische Gesellschaftswissenschaften e.V. August 2010.
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Der Begriff der „Zusammenbruchstheorie“ ist ein Reizwort in der Linken, befrachtet mit einem pejorativen ideologischen Verständnis. Dabei geht es zunächst um den Vorwurf des „Objektivismus“. Deshalb soll das Problem zuerst anhand der Subjekt-Objekt-Dialektik in der kapitalistischen Fetisch-Konstitution erläutert werden, nämlich als Verhältnis von „Krise und Kritik“, wie es die Linke schon immer umgetrieben hat. Wenn Krise und Kritik identisch gesetzt werden, resultiert daraus entweder ein objektivistisches oder ein subjektivistisches Verständnis. Deshalb sind die Begriffe von Krise und Kritik strikt auseinanderzuhalten.
Im zweiten Schritt soll die Geschichte der marxistischen Krisentheorie kurz skizziert werden. Marx hat keine kohärente, sondern eine fragmentarische Krisentheorie hinterlassen, was zu einer langen Auseinandersetzungsgeschichte herausgefordert hat. Der Status einer „Zusammenbruchstheorie“ wird dabei heute in der Regel historisch falsch bestimmt (so bei Michael Heinrich). Bei Marx findet sich der Begriff einer historischen „inneren Schranke“, der aber allmählich verloren ging. Das ist nicht nur ein inner-krisentheoretisches Problem, sondern hat etwas damit zu tun, dass der Arbeiterbewegungsmarxismus ebenso wie die postmoderne Linke die Frage der „kategorialen Kritik“ ausgeblendet haben und sich nur immanent auf dem Boden des kapitalistischen Formzusammenhangs bewegten. Die Frage der „inneren Schranke“ ist aber diejenige einer „kategorialen Krise“, die mit einer „kategorialen Kritik“ verbunden ist und zum Postulat eines „kategorialen Bruchs“ führt.
Als nächster Schritt soll der Unterschied zwischen einem zirkulationstheoretischen und einem produktionstheoretisch-gesamtsystemischen Begriff der Krise deutlich gemacht werden. Beide Momente finden sich bei Marx. Die Vorstellung einer bloßen „Reinigungskrise“, die zum Funktionieren des Kapitalismus gehöre, ist zirkulationstheoretisch verkürzt. Ein ganz anderes Bild ergibt sich, wenn die Marxschen Ansätze in den „Grundrissen“ und im 3. Band des „Kapital“ herangezogen werden. Entscheidend dabei ist der Begriff der Arbeitssubstanz. Nicht umsonst zeigt sich hier die entscheidende Differenz zum Postmodernismus und zur „neuen Marxlektüre“ (Substanzbegriff der abstrakten Arbeit als Verausgabung von „Nerv, Muskel, Hirn“, Warencharakter des Geldes, tendenzieller Fall der Profitrate). In der historischen Dynamik des Kapitalismus, bedingt durch die von der Konkurrenz erzwungene Produktivkraftentwicklung, entsteht ein Missverhältnis von totem Sachkapital und Arbeitskraft, das zunächst durch den relativen Mehrwert und die Expansion der Märkte kompensiert wird, schließlich aber in einem absoluten Abschmelzen der gültigen Arbeitssubstanz kulminiert. In diesen Prozess eingeschlossen ist die historische Expansion des Kreditsystems.
Schließlich soll die historisch-empirische Konkretisierung der „radikalen Krisentheorie“ anhand der Geschichte der dritten industriellen Revolution skizziert werden. Die absolute „innere Schranke“ der realen Mehrwertproduktion auf dem neuen Produktivitätsniveau mangels neuer Verwertungspotentiale impliziert eine Entwertung aller Kapitalbestandteile (Geldkapital, Sachkapital, Arbeitskraft, Warenkapital, Geldware als solcher). Dieser historische Entwertungsprozess wurde gebrochen und modifiziert durch eine beispiellose Finanzblasen-Ökonomie und davon genährte Defizitkonjunkturen bzw. globale Defizitkreisläufe. Nach deren Zusammenbruch wurde das Problem von den Finanzmärkten auf den Staatskredit bzw. die Notenbanken zurückverlagert. Abschließend soll das Verhältnis von Staat und Geld erörtert werden. Die staatskapitalistische Krisenverwaltung löst die Krise nicht, sondern bildet nur die letzte Verlaufsform, in der sich die „innere Schranke“ manifestiert.
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