Lars Quadfasel (Hamburger Studienbibliothek) hat in Stuttgart beim Seltsamen Zusammenschluss seinen mehrteiligen Aufsatz zur Metakritik der Religion und Religionskritik vorgestellt. Die Aufnahme vom Juni 2010 ist knapp eine Stunde lang.
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Ankündigungstext:
Der Zustand, den die Religion in der westlichen Welt gegenwärtig bietet, ist ambivalent. Die christliche Religion scheint von der abendländischen Ordnungsmacht zu einer aufgeblasenen Institution für Caritas und Seelsorge heruntergekommen zu sein, die kaum noch den Sonntagsverkauf zu unterbinden vermag. Aktuell kratzen Missbrauchsskandale und Alkoholfahrten prominenter Oberhirten zusätzlich an der verbliebenen moralischen Autorität. Es läge nahe, jene Entwicklung mit Genugtuung als überfälligen Vollzug aufklärerischer Bemühungen zu wähnen.
Gegen eine solche Einschätzung spricht, dass die Religion, nunmehr bar jeder formalen gesellschaftlichen Autorität, sich nicht eben anschickt entsprechend gesellschaftlich irrelevant zu werden. So füllt ein tibetischer Geistlicher mit seinen Kalendersprüchen ganze Fussballstadien und Kreationismus bzw. “Intelligent Design” erheben selbstbewusst Anspruch auf Anerkennung in Schulbüchern.
Indes artikuliert sich ein “neuer Atheismus”, der seinen Ausdruck in den Büchern Richard Dawkins oder Bill Mahers Film “Religulous” findet. Dieser sucht wissenschaftlich die Ansprüche jenes Aberglaubens zurückzuweisen – und mutet dabei wie ein Selbstgespräch an. Notorisch insistiert er auf wissenschaftliche Erkenntnisse, ohne dabei auf die Tatsache zu reflektieren, dass Subjekte, die in vollem Ernst das Alter der Erde auf 5000 Jahre datieren, bereits eine gewisse Disposition zum Wissenschaftsbetrieb verinnerlicht haben müssen. Statt sich ideologiekritisch mit dem Bedürfnis zu solchem Wahn, der theologisch eher blasphemisch denn orthodox ist, zu befassen, widerlegt man diesen lediglich positivistisch und perpetuiert nur, was man kritisieren will, indem man es zur ernsthaft verhandelbaren Position adelt.
Mit einigem Recht beansprucht so der Aberglaube im Meinungspluralismus seinen Platz als eine Theorie neben anderen. So erregen am Christentum heute auch weniger inhaltliche Fragen, als vielmehr dessen Anmaßung eine allgemeingültige Wahrheit zu verkünden, Anstoß. Entsprechend erfährt Spiritualität Legitimation und Dignität gerade dann, wenn sie sich dem Anspruch auf Objektivität gar nicht erst nicht verdächtig macht. Jede religiöse Regung, solange sie sich nur inhaltlich bescheidet mit ungreifbarem zivilisationskritischem Raunen und diffusen Affekten, darf sich als “religiöses Gefühl” dem Schutz der Gesellschaft vor Kritik sicher sein. Der Glauben als solcher gilt als unantastbares Gut. Dabei ist ganz gleich, woran geglaubt wird, und sei es Djihad, Scharia oder Frauenhass. Das Überschreiten der Grenzen dessen, was als Privatangelegenheit gilt, wird dann qualifiziert als “Missbrauch der Religion”, nicht etwa als deren konsequenter Ausdruck. In diesem Verhältnis wird offenbar, dass mit der formalen Herabsetzung der Religion zur Privatangelegenheit diese keineswegs als erledigt gelten kann, sondern sich in ihrem Reservat mehr als nur arrangiert hat.
Lars Quadfasel schreibt u.a. Beiträge für konkret, jungle world, taz & extrablatt. Die Veranstaltung will dazu beitragen, für die Religion, wie sie sich heute darbietet, zu einem angemessenen Begriff (und ergo ihrer Kritik) zu kommen.